(Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 85) Eberhard von Waldow-Der...

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  • EBERHARD VON WALDOW

    DER TRADITIONSGESCHICHTLICHE HINTERGRUND

    DER PROPHETISCHEN G E R I C H T S R E D E N

  • EBERHARD VON WALDOW

    DER TRADITIONSGESCHICHTLICHE HINTERGRUND DER PROPHETISCHEN GERICHTSREDEN

    1963

    V E R L A G A L F R E D T P E L M A N N B E R L I N

  • B E I H E F T E Z U R Z E I T S C H R I F T F R D I E

    A L T T E S T A M E N T L I C H E W I S S E N S C H A F T H E R A U S G E G E B E N V O N G E O R G F O H R E R

    85

    1963

    by Alfred Tpelmann, Berlin 30, Genthiner Strae 13

    Alle Rechte, einschl. der Herstellung

    von Photokopien und Mikrofilmen, yon der Verlagshandlung vorbehalten

    Printed in Germany

    Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

    Archiv-Nr. 3822631

  • D. ADOLF WISCHMANN

    dem Prsidenten des Auenamtes der EKD,

    dem unermdlichen Frderer

    der theologischen Fakultt in So Leopoldo, Brasilien,

    in Dankbarkeit gewidmet

  • I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

    1 Einfhrung 1

    2 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung 4

    1. Die Appellationsreden 5

    2. Die Reden vor dem versammelten Gericht 6

    Zu 1: Prophetische Gerichtsrede und profane Rechtsrede . . 9

    Zu 2: Die Bezeichnung Prophetische Gerichtsrede als Sam-melbegriff 10

    3 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden . . . 12

    4 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie . . . 19

    5 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung 25

    6 Die Verteidigungsreden im Rahmen der Bundestheologie . . . 33

    7 Die Gerichtsreden bei Deuterojesaja 42

  • 1: EINFHRUNG

    HERMANN GUNKEL war es, der wohl zum ersten Mal von der Gattung der prophetischen Gerichtsrede gesprochen hat1. Nach den von ihm selbst fr die formgeschichtliche Arbeit aufgestellten Grund-stzen2 hat er sich aber nicht nur mit der Kennzeichnung bestimmter prophetischer Einheiten als Gerichtsreden begngt, sondern er hat sich auch Gedanken ber den sogen. Sitz im Leben dieser Gattung gemacht. Nach seiner Meinung sind die prophetischen Gerichtsreden im Grunde Scheltreden, die der Prophet nach Art einer Rede vor Gericht eingekleidet hat. Danach wre der Sitz im Leben einer Gerichtsrede identisch mit dem einer Scheltrede, und der besondere Redestil wre als Entlehnung aus dem Rechtsleben zu verstehen.

    Diese Position GUNKELS hat dann JOACHIM BEGRICH in seinen Studien zu Deuterojesaja weiter ausgebaut3. Er hat den Begriff der prophetischen Gerichtsrede etwas differenziert und mehrere Arten unterschieden, nmlich die Appellationsreden an ein Gericht, die eigentlichen Gerichtsreden, die ein Verfahren voraussetzen, und die Reden des Richters. Diese Differenzierung lt bereits erkennen, da auch BEGRICH die prophetischen Gerichtsreden aus dem Bereich der profanen Gerichtsverhandlung herzuleiten versucht. Dabei zeigt seine Untersuchung, da er von dieser profanen Gerichtsverhandlung ganz konkrete Vorstellungen hat. Hier wirkt sich die bedeutsame Arbeit LUDWIG KHLERS ber die hebrische Rechtsgemeinde aus4. So sieht BEGRiCHin den prophetischen Gerichtsreden Nachahmungen von Reden, wie sie im Bereich der hebrischen Rechtsgemeinde gehalten wurden.

    Eine grundstzlich andere Lsung des formgeschichtlichen Problems der prophetischen Gerichtsrede hat E R N S T WRTHWEIN vorgetragen5. Bei ihm kommen die Ergebnisse der neueren Psalmen-forschung zum Tragen, die versucht, die Psalmen vom israelitischen

    1 H . GUNKEL, Die Propheten als Schriftsteller und Dichter, in HANS SCHMIDT, Die groen Propheten, SAT 2. Abt., Bd. II, 2. Aufl. 1923, S. L X I I I .

    2 GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen, 1933, S. 22: 1. Bestimmung des Sitzes im Leben; 2. Bestimmung des Inhaltes einer Gattung; 3. Bestimmung der Formensprache.

    3 JOACHIM BEGRICH, S t u d i e n z u D e u t e r o j e s a j a , B W A N T 1 9 3 8 , S . 1 9 f f . 4 LUDWIG KHLER, Die hebrische Rechtsgemeinde, Zricher Universittsbericht

    1930-1931; jetzt im Anhang von L. KHLER, Der hebrische Mensch, Tbingen 1953. 6 ERNST WRTHWEIN, Der Ursprung der prophetischen Gerichtsrede, ZThK 1962,

    S. Iff.

    W a 1 d o w, Traditionsgeschichtl. Hintergrund

  • 2 Einfhrung

    Kultus her zu verstehen. In seiner kultgeschichtlichen Sicht glaubt W R T H W E I N bei einigen Psalmen, in denen vom Gericht Jahves die Rede ist, eine kultische Gerichtsszene, in der Jahve als Richter auf-tritt, als realen Hintergrund erkennen zu knnen6. So kommt W R T H -WEIN zu der These, da es im israelitischen Kultus eine Gerichts-liturgie gegeben haben mu, in der ein Kultprophet im Namen Jahves die gttlichen Anklagen vorgetragen hat. Von daher ergibt sich fr W R T H W E I N durchaus die Mglichkeit, da auch die in den Prophetenbchern berlieferten Gerichtsreden tatschlich im Rahmen einer Kulthandlung vorgetragen worden sein knnen.

    Diese Thesen haben Widerspruch erfahren durch F R A N Z H E S S E 7 Er bestreitet zwar nicht die kultische Herleitung dieser Gattung, aber er erhebt Einspruch gegen die postulierte Gerichtsliturgie, in der Jahve durch einen Kultpropheten als Anklger Israels auftritt. Nach H E S S E soll es im israelitischen Kultus eine Stelle gegeben haben, in der ein Heiisnabi das Gericht Jahves ber die Heidenvlker verkndigt hat. Von dieser Situation wren zwar die sogen, klassischen Propheten in ihren Gerichtsreden ausgegangen, htten dann aber in vllig ber-raschender Weise das Gerichtswort gegen Israel gewendet.

    Die neueste Untersuchung, in der das formgeschichtliche Problem der prophetischen Gerichtsreden ausfhrlicher behandelt wird, hat H A N S JOCHEN B O E C K E R vorgelegt8. Auf Grund einer sorgfltigen Analyse der Redeformen im Rume der profanen Gerichtsbarkeit und eines Vergleiches mit der Formensprache der prophetischen Gattung kommt er zu der These, da die Gerichtsreden bei den Propheten durch die bernahme der Redeformen aus der hebrischen Rechtsgemeinde zu verstehen seien. Damit ist B O E C K E R wieder auf die alte Linie eingeschwenkt, die ber B E G R I C H bis zu G U N K E L zurckfhrt9.

    Diese kurze bersicht lt erkennen, da sich in der Deutung der prophetischen Gerichtsrede heute im Grunde zwei Positionen gegen-

    6 Ps 9611-13 97 5-6 76 8-10 6O1-7. 7 FRANZ HESSE, Wurzelt die prophetische Gerichtsrede im israelitischen Kultus ?

    ZAW 66, 1953, S. 45ff. 8 HANS JOCHEN BOECKER, Redeformen des israelitischen Rechtslebens, Disser-

    tation Bonn 1959. Vgl. auch vom gleichen Verfasser, Anklagereden und Verteidigungs-reden im Alten Testament, Evang. Theol. 1960, S. 398ff.

    An dieser Stelle ist auch der Aufsatz von H. B . HUFFMON zu nennen, The Con-venant Lawsuit in the Prophets, Journal of Biblical Literature 78, 1959, S. 285295. Auf diesen Aufsatz machte mich freundlicherweise Prof. D. FOHRER aufmerksam.

    8 Allerdings sieht BOECKER in den Gerichtsreden nicht mehr eine Sonderform der Scheltrede, sondern nach ihm soll die Scheltrede eine Weiterbildung der Gerichts-reden (Anklagereden) sein; vgl. Dissertation S. 95f. Zur Ableitung der prophetischen Gerichtsrede aus der profanen Rechtspraxis vgl. jetzt auch CLAUS WESTERMANN, Grundformen prophetischer Rede, Mnchen 1960, bes. S. 143f.

  • Einfhrung 3

    berstehen, nmlich eine, die diese Gattung aus dem profanen Rechts-leben, und eine, die sie aus dem Kultus zu verstehen sucht. Fr beide Positionen werden, so scheint es, gute Grnde beigebracht, so da es eigentlich schwer fllt, eine Entscheidung fr eine dieser beiden Richtungen zu fllen. Diese zwiespltige Situation lt es geraten erscheinen, dem Problem der Gerichtsreden noch einmal eine spezielle Untersuchung zu widmen. Das ist heute wohl um so dringender ge-boten, als die beiden wichtigsten Arbeiten ber diesen Fragenkreis nicht ganz frei von einer gewissen Einseitigkeit sind. W R T H W E I N zieht seine Linien aus, ohne ausreichend auf die Ergebnisse von BEGRICH einzugehen, whrend bei BOECKER wiederum, wohl unter dem Eindruck des von ihm erarbeiteten gewichtigen Materials, die Auseinandersetzung mit W R T H W E I N ZU kurz kommt. So wird eine erneute Untersuchung ber die prophetischen Gerichtsreden an beide Positionen, also an W R T H W E I N und an BOECKER, anzuknpfen haben, und sie wird fragen mssen, ob es nicht mglich ist, unter Aufgreifen der richtigen Ergebnisse aus den beiden gegenberliegen-den Positionen eine neue Linie zu erarbeiten, die dem Verstndnis dieser nun schon so viel diskutierten prophetischen Gattung dienlich sein knnte.

    Bevor wir uns nun im folgenden der so umrissenen Aufgabe unter-ziehen, erscheint es jedoch zweckmig, noch eine methodische Vor-erwgung einzuschieben. Die Frage nach dem Sitz im Leben der prophetischen Gerichtsrede ist im Rahmen der form- und gattungsge-schichtlichen Arbeit am Alten Testament gestellt worden, also im Rahmen der Forschungsrichtung, die von stets wiederkehrenden Elementen der Formensprache ausgeht und nach dem Ort fragt, in dem eine Gattung von Hause aus wurzelt, in dem sie gestaltet wurde und lebt. Doch sollte die oben gegebene bersicht deutlich machen, da die Formgeschichte bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis ge-kommen ist. Angesichts dieser Sachlage erscheint es ratsam, den Akzent der Fragestellung etwas zu verschieben und sie nach der Traditions-geschichte hin zu ffnen. Wenn W R T H W E I N auch gute Grnde fr die Annahme eines kultischen Sitzes im Leben fr die prophetische Gerichtsrede vorgebracht hat, so hat sich doch bisher trotz aller Be-mhungen eine kultische Gerichtssituation, in der die Propheten gesprochen htten, eben nicht nachweisen lassen. Aber auch die von BOECKER wieder vorgetragene Profangeschichtshypothese, die in der prophetischen Gattung lediglich eine sekundre Entlehnung von Redeformen aus dem Bereich der Rechtsgemeinde sehen will, kann nicht befriedigen. Sollten auch die Voraussetzungen stimmen, so mu doch sofort nach den Grnden gefragt werden, die den Propheten diese Entlehnung ermglichten. Ging es ihnen hier nur um Fragen der zweckmigsten Formgebung und der Didaktik? Oder aber knnten

    1*

  • 4 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

    hinter den Propheten, die in Gerichtsreden sprachen, nicht ganz bestimmte berlieferungen oder Traditionen stehen, die unter den Zuhrern wieder lebendig werden sollten ? Wre es nicht denkbar, da das Bestreben, derartige berlieferungen und Traditionen neu zu aktualisieren, vielleicht auch noch verbunden mit der Notwendigkeit etwas anders zu akzentuieren, zu der bernahme von Gattungen gefhrt htte, die der Prophetie ursprnglich fremd waren ?

    Mit derartigen Mglichkeiten mu gerechnet werden, nachdem die neuere Prophetenforschung gezeigt hat, da die sogen, klassischen Propheten eben keine Neuerer sind, die mit einem schpferischen Geist begabt auf einer einsamen geistigen Hhe stehen, sondern da sie in ganz bestimmten, vorgegebenen Traditionen Israels leben, deren Inhalt sie in ihrer Verkndigung gegenwrtigsetzen10. So wird es also gut sein, auch bei dem Problem der prophetischen Gerichtsreden nicht in der rein formgeschichtlichen Argumentation stecken zu bleiben, sondern auch die traditionsgeschichtliche Fragestellung mit einzu-beziehen.

    Nach diesen Vorberlegungen wenden wir uns der einen der im Bereich der formgeschichtlichen Arbeit gewonnenen Positionen zu, nmlich der Profangeschichtshypothese.

    2 : D I E P R O P H E T I S C H E G E R I C H T S R E D E U N D D I E P R O F A N E G E R I C H T S V E R H A N D L U N G

    Eine Errterung ber diesen Fragenkreis hat heute von der Dissertation H . J . BOECKERS auszugehen. Es ist daher zweckmig, zunchst einmal in einer kurzen bersicht all das zusammenzu-stellen, was diese Arbeit zum Verstndnis unserer prophetischen Gattung beigetragen hat. Die nun folgende Zusammenstellung kann dann auch gleichzeitig den Kreis der Texte umreien, mit dem sich diese Untersuchung wird beschftigen mssen

    Einleitend stellen wir fest, da BOECKER wie schon vor ihm BEGRICH den Begriff der Gerichtsreden ausweitet und alle Rede-formen mit einbezieht, die bereits vor der Erffnung des Verfahrens begegnen. So durchschreitet er den ganzen Weg von der noch priva-ten Auseinandersetzung zweier Partner ber die Appellation an ein

    10 Vgl. dazu etwa W A L T E R B E Y E R L I N , Die Kulttraditionen Israels in der Ver-kndigung des Propheten Micha, Gttingen 1959. Siehe jetzt auch den Aufsatz von G E O R G F O H R E R , Tradition und Interpretation im Alten Testament, ZAW 7 3 , 1 9 6 1 , S. Iff.

    1 Die Gerichtsreden des Deuterojesaja erscheinen allerdings nur teilweise in dieser bersicht. Ihnen ist am Schlu dieser Untersuchung ein besonderer Paragraph gewidmet.

  • Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung 5

    Gerichtsforum bis hin zu dem richterlichen Urteil und seiner Be-grndung. Die einzelnen Stationen dieses Weges bieten sich als vor-lufiges Ordnungsprinzip fr eine Gruppierung der zahlreichen prophetischen Texte an2.

    1 . D I E A P P E L L A T I O N S R E D E N

    Hierher gehren die Reden, die noch im privaten Bereich der vorgerichtlichen Auseinandersetzung gefhrt werden, die aber be-reits die Aufforderung zur Appellation an ein Gericht oder die Appel-lation selbst enthalten, I Sam 24 13 Jdc 11 27b Gen 31 37b. Drei Formen sind hier mglich :

    a) Die Appellation des Angeschuldigten: Sie kann folgende Ele-mente enthalten : Frage an den Beschuldiger nach der vorgeworfenen Verfehlung, . B. Gen 31 36 Jdc 1112 Jer 2 s 3 , Behauptung und Beweis der eigenen Unschuld: I Sam 24 io-i2a Jdc 11 i5-27a Jer 2 6b-7 ; Gegen-angriff und Gegenbeschuldigung, . . I Sam 24 12b Jdc 11 27a Jer 2 6a. 7b, und schlielich die bereits erwhnte Appellation.

    Hierher gehren aus der prophetischen Literatur die Einheiten Jer 2 4-94 und Jes 43 21-28. Die letzte Einheit fgt sich allerdings nicht glatt in diesen Rahmen, da der Streitgegenstand hier nicht ein vor-geworfenes Delikt ist, sondern ein unerfllter Anspruch, der dem Angeschuldigten vorgehalten wird5.

    b) Die Appellation des Beschuldigers: Sie kann folgende Elemente enthalten: Frage an den Angeschuldigten nach Grund und Motiv seiner Verfehlung und die Beweise fr die Beschuldigung, z. B. I Sam 26 15 Jer 26 9a, sowie einen Urteilsvorschlag mit Begrndung oder Beweis, z. B. I Sam 26 16 Jer 26 8f. Eine expressis verbis aus-gesprochene Appellation fehlt in diesen Beispielen, da sie in dem Urteilsvorschlag implicite enthalten ist, denn der nchste Schritt wre jetzt die Anrufung des Gerichtes, um dem Urteilsvorschlag Rechtskraft verleihen zu lassen6. Aber wie Gen 16 5 zeigt, ist auch hier eine direkt formulierte Appellation mglich.

    c) Die Appellation zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens: Hier handelt es sich um eine Abwandlung der beiden eben skizzierten

    2 Es werden lediglich die Redeformen erwhnt, die in den prophetischen Gerichts-reden wiederkehren. Dabei kann es sich allerdings nur um eine grobe Skizzierung han-deln, da ein ausfhrliches Eingehen auf die Analysen BOECKERS den hier gesteckten Rahmen sprengen wrde.

    3 I Sam 2410 enthlt die Frage nach der Verfehlung in etwas abgewandelter Form.

    4 Vgl. BOECKER Diss. S. 61 ff. 6 Vgl. BOECKER Diss. S. 64f. Vgl. BOECKER Diss. S. 68.

  • 6 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

    Formen von Appellationsreden. Angeschuldigter und Beschuldiger lassen sich nicht mehr genau unterscheiden. Der Streitgegenstand ist eine Behauptung, der die andere Partei mit einer Gegenbehauptung entgegentritt. So steht Aussage gegen Aussage, und ein angerufenes Gericht hat die Entscheidung zu fllen und einer Aussage recht zu geben. Von hier aus sind die Einheiten Jes 118-20 und mit gewissen Einschrnkungen auch Jes 411-5 zu verstehen7. Beide Einheiten werden durch die am Anfang stehende Appellationsformel als Appel-lationsrede ausgewiesen.

    2. DIE R E D E N VOR DEM VERSAMMELTEN GERICHT

    Vor einem Gericht knnen, wie es in der Natur der Sache liegt, grundstzlich drei verschiedene Formen von Reden gehalten werden. Die klagende Partei kann reden, um ihre Anklagen vorzutragen; die angeklagte Partei kann das Wort ergreifen, um sich zu verteidigen; und schlielich mu auch ein Richter zu Worte kommen, um seinen Rechtsentscheid kundzutun. So sind whrend eines Verfahrens fol-gende Formen von Gerichtsreden mglich :

    a) Die Anklagereden: Diese Gattung ist nicht ganz leicht zu charakterisieren, da es eine feste Anklageformel nicht gibt. Man wird auch kaum eine solche erwarten knnen, denn die Form der Anklage-erhebung mu sich nach der Art des Streitfalles richten, und da ist naturgem eine Flle von Mglichkeiten denkbar. Eines ist allerdings allen Anklagereden gemeinsam. Sie richten sich an das Gerichtsforum. So wird der Angeklagte nicht direkt angesprochen, sondern er er-scheint in der Anklagerede in der 3. Person. Ist allerdings das Ver-fahren erst einmal erffnet, dann ist es im weiteren Verlauf auch mglich, den Angeklagten unmittelbar anzusprechen.

    Grundstzlich lassen sich drei Mglichkeiten von Anklageer-hebung unterscheiden :

    Anklageerhebung verbunden mit einem Urteilsvorschlag, Jer 26 11 I I Sam 19 22. In dem Urteilsvorschlag kehrt das gleiche Formelement wieder, das sich bereits bei der entsprechenden Appellationsrede fand.

    Anklageerhebung durch Zeugenaussage, indem die Zeugen der Tat durch ihre Aussage das Verfahren erffnen, I Reg 2113 Dtn 21 20.

    Anklageerhebung durch den Bericht des Geschdigten, wie er etwa in I Reg 3 17-21 oder Dtn 22 14 zu erkennen ist. Aus der prophetischen Literatur sind in diesem Zusammenhang

    mehrere Texte zu nennen. Allerdings lt sich ihre Zuweisung zu 7 Vgl. BOECKER Diss. S. 72ff. Zu Jes 411-5 siehe unten 7.

  • Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung 7

    dieser Gruppe der Gerichtsreden kaum von einer klar ersichtlichen Formensprache her begrnden, da es eine feststehende Form der Anklageerhebung eben nicht gab. Am einfachsten liegen wohl die Verhltnisse bei den Einheiten, in denen vom Angeklagten in der 3. Person gesprochen wird, Jes 1 2b-38 und Jes 5 3b-4. In der ersten dieser beiden Einheiten liegt darber hinaus noch Verwandtschaft mit der Anklageerhebung durch Geschdigtenbericht vor. Auch in Jer 2 Ii findet sich die Rede ber den Angeklagten in der 3. Person. Aber in der gleichen Einheit erscheint auch eine direkte Anrede an die beklagte Gegenpartei. Doch diese Erscheinung erklrt BOECKER durch die vorangestellte Appellationsrede eines flschlich Ange-schuldigten. In dieser Redeform wird der Gegner ja direkt ange-sprochen. Die Stze v. io-ila bilden den bergang von der Appella-tionsrede zur Anklage, die dann in v. nb in dem zu erwartenden Stil folgt9.

    Anders liegen die Dinge in Jes 3 13-15. Hier erscheint nur die direkte Anrede an die Gegenpartei, whrend die Hinwendung an das Gerichtsforum vllig fehlt. Dieser auffllige Befund findet seine Er-klrung darin, da in dieser Einheit der Klger Jahve identisch ist mit dem Richter10. Die gleichen Verhltnisse sind auch in Jes 5 4-5 vorauszusetzen11. Whrend in v. 4 der Sprecher noch der Anklger ist, fhrt er in v. 5 als Richter fort und setzt das Strafma fest. Auf diese bedeutsame Erscheinung der Identitt von Anklger und Richter mu im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch aus-fhrlich eingegangen werden.

    b) Die Verteidigungsreden:12 Bei dieser Form der Gerichtsrede sind zwei Arten mglich: die Selbstverteidigungsrede oder die Rede, in der ein anderer fr den Angeklagten die Verteidigung fhrt, die Fremdverteidigungsrede.

    8 Vgl. B O E C K E R Diss. S. 87 f. Das Zgern B O E C K E R S bei seiner Beurteilung dieser Einheit ist, wie unten noch zu zeigen sein wird, unbegrndet. Vorlufig gengt die Feststellung: v. 2a ist die Einleitung, v. 2b-3 die Anklagerede. Sie enthlt den in dieser Gattung beliebten Hinweis auf Wohltaten in der Vergangenheit und die eigentliche Anklage.

    8 Vgl. B O E C K E R Diss. S . 84f. 1 0 Vgl. B O E C K E R Diss. S. 88ff. v. 13-I4a ist die Exposition, v. 14b enthlt die

    Nennung der Verfehlungen, whrend die Frage in v. 15 an hnliche Fragen in den ent-sprechenden Appellationsreden erinnert.

    11 Vgl. B O E C K E R Diss. S. 85ff. . 1 -2 schildern den Tatbestand in Form eines Leichenliedes, v. 3 ist eine Einleitungsformel, mit der sich der Klger an den Gerichts-hof (die Brger von Jerusalem) wendet, whrend v. i die eigentliche Anklage in Frage-form erhebt. Doch in v. 5 wird der Anklger selbst zum Richter, weil sich die Brger von Jerusalem als der Weinberg und damit als Angeklagte entpuppen.

    12 Vgl. B O E C K E R Diss. S . 96ff.

  • 8 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

    Fr die Selbstverteidigungsrede ist wieder typisch die Anrede an den Gegner in der 2. Person, I Reg 3 22 Jer 26 15. Diese Rede kann folgende Formelemente enthalten : Behauptung der eigenen Un-schuld durch Bestreitung der Anklage, I Reg 3 22, die Frage nach der eigenen Verfehlung, die mit dem gleichen Element aus der Appella-tionsrede des Angeschuldigten verwandt ist, Jer 2 29, und den Gegen-angriff mit der Behauptung der Schuld des Klgers, Jer 2 2913. Da-neben gibt es eine andere Form der Selbstverteidigung, die den Beweis der eigenen Unschuld durch eine andere Interpretation des strittigen Tatbestandes zu erbringen versucht, Jer 26 12-15 Mi 6 3-5 M.

    Die Fremdverteidigungsrede ist dadurch gekennzeichnet, da ein anderer zugunsten des Angeklagten Entlastungsmaterial vor-bringt, Jer 26 17-19. Dabei kann er auch wie bei der Appellation auf das korrekte Verhalten des Angeklagten in der Vergangenheit ver-weisen, Jer 2 1-3 1 6.

    c) Urteile und Urteilsfolgebestimmungen16 : Hierher gehren die Worte des Richters, mit denen er das Verfahren zum Abschlu bringt. Dieser Abschlu wird durch den Urteilsspruch herbeigefhrt, in dem vor aller ffentlichkeit die Schuld festgestellt wird17. Daran schliet sich die sogen. Urteilsfolgebestimmung, in der die Konsequenzen festgelegt werden, die aus dem verkndigten Urteil zu ziehen sind. Ein ausgefhrtes Beispiel zu dieser Redeform aus der prophetischen Literatur ist Hos 4 1-3 1 8.

    v. 1 ist die Exposition, in der mitgeteilt wird, da Jahve einen Rechtsstreit1 9

    mit den Bewohnern des Landes hat. v. 2 enthlt das Urteil, eingeleitet durch in seiner ursprnglichen deiktischen Bedeutung, und dann wird in Form von Zustands-schilderungen der ermittelte Tatbestand dargelegt, v. 3 ist als Urteilsfolgebestimmung

    13 Zu J e r 2 29-35 vgl. BOECKER Diss. S. 99 ff. BOECKER sieht in dieser Einheit wohl zu Recht die Skizze eines prophetischen Auftrittes, eine Form, die H. W. WOLFF an Hand von Hos 4 l - l l herausgearbeitet hat; vgl. H. W. WOLFF, Dodekapropheton, Hosea, B K X I V , 1957, S. 92. Es handelt sich dabei um eine Rede des Propheten, der im Namen Jahves Verteidigung und Gegenklage vorbringt, indem er auf Einwrfe der Gegner eingeht, die in der Skizze des Auftrittes aber nicht verzeichnet sind.

    Auch Jes 50 1-3 gehrt in diesen Zusammenhang. Diese Einheit beginnt mit der Frage des Angeklagten nach dem Beweismittel, das die gegen ihn vorgebrachte Be-schuldigung sttzen knnte.

    1 4 Zu Mi 6 1-5 vgl. BOECKER Diss. S. 104ff. . 1-2 ist das Rahmenstck, whrend mit v. 3 die eigentliche Gerichtsrede beginnt, v. 5 ist ein Schlichtungsvorschlag, mit dem der Angeklagte das Verfahren zu beenden hofft; vgl. BOECKER Diss. S. 122.

    1 5 Zu diesem Text vgl. BOECKER Diss. S. 108ff. 1 6 Vgl . BOECKER Diss . S . 139 ff . 1 7 Einen Freispruch, der sich in der Form des Zuspruches an den Betroffenen

    direkt wendet, gibt es in der prophetischen Literatur nicht. 1 8 Vgl . BOECKER Diss. S . 1 5 4 ff. 1 9 Zur Bedeutung von a n vgl. H . W . WOLFF, a . a. O. S. 82 .

  • Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung 9

    aufzufassen, die sich aus dem gefllten Urteil ergibt2 0 . Das wird deutlich an dem einleitenden 13

    Diese hier dargebotene bersicht lt nun schon bei aller ihrer Krze in eindrcklicher Weise zwei Tatbestnde erkennen: 1. Die prophetischen Gerichtsreden folgen in Ausdruck und Form

    den Redeformen, wie sie in der profanen Rechtsprechung im Tor im Bereich der hebrischen Rechtsgemeinde blich waren. Es bleibt das Verdienst der Arbeit BOECKERS , diesen Tatbestand klar herausgearbeitet zu haben.

    2. Der Begriff prophetische Gerichtsrede kann im Grunde nur als Sammelbezeichnung fr eine Reihe von Gattungen Verwendung finden, die die Propheten aus dem profanen Rechtsbereich ent-lehnt haben. Die prophetische Gerichtsrede gibt es genau genom-men berhaupt nicht, wohl aber gibt es Appellationsreden oder Reden vor Gericht, und jede dieser Gruppen hat ihren eigenen Sitz im Leben.

    Aus diesen beiden Ergebnissen der Formanalyse gilt es nun die entsprechenden Folgerungen zu ziehen.

    ZU 1: P R O P H E T I S C H E G E R I C H T S R E D E UND P R O F A N E R E C H T S R E D E

    Die oben konstatierte enge Verwandtschaft zwischen den pro-phetischen Gerichtsreden und der Redeweise bei der Rechtssprechung innerhalb der hebrischen Rechtsgemeinde fhrt uns vor folgende Frage : Wie sind diese offenkundigen Beziehungen zu erklren? Wie zur Genge bekannt ist, haben die Propheten gerne verbreitete Gattungen aus Bereichen des tglichen Lebens bernommen21, um sie als ein-drckliche Einkleidungen ihrer Worte zu benutzen. Von hier aus liegt natrlich die Annahme nahe, da auch die prophetische Ge-richtsrede ihre Entstehung der Nachahmung entsprechender profaner Vorbilder verdankt. Auf dieser Linie liegt die Erklrung BOECKERS. Er argumentiert: Da die Propheten sich dem Volke gegenber in der Scheit- und Anklagesituation befanden, bernahmen sie als geeignete Redeform aus dem profanen Rechtsbereich die Anklagerede. Das konnten sie tun, denn sie drften sich bei der Benutzung dieser Redeform ganz konkret als Anklger verstanden haben gegenber einem Volk, das Satzung und Recht seines Gottes gebrochen hat22. Aus dieser so verstandenen Gerichtsrede htte sich dann die sogen, prophetische Scheltrede entwickelt.

    2 0 Nicht selten findet sich auch die Reihenfolge : Urteilsfolgebestimmung Urteil, . B . J e r 5 6 (zu den fehlenden Nominalstzen in dem Urteil vgl. BOECKER Diss. S. 157) Jes 524 9 .

    2 1 Vgl. . RAD, Theologie des Alten Testaments, Bd. I I , Mnchen 1960, S. 50. 2 2 BOECKER Diss. S. 9 5 1 ; vgl. auch Evang. Theol. 1960, S. 409.

  • 10 Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung

    Dieser Erklrungsversuch erscheint zunchst recht einleuchtend. Auf die Annahme einer Beziehung der prophetischen Gerichtsrede zum Kultus mte man nun aber verzichten. Doch hier wollen wir gleich fragen: Wo bleiben nun die bereits angedeuteten Argumen-tationen WRTHWEINS ? Sollen sie wirklich in allen Punkten erledigt sein ? Diese Frage sei hier nur kurz gestellt, wir werden sie unten wieder aufzugreifen haben. In diesem Zusammenhang kam es uns lediglich darauf an, die deutlichen Beziehungen der prophetischen Gerichtsrede zu den entsprechenden profanen Gattungen zu konstatieren.

    ZU 2: DIE BEZEICHNUNG PROPHETISCHE GERICHTSREDE

    ALS SAMMELBEGRIFF

    Die Formanalyse hat ergeben, da der in der Gattungsforschung gelufige Begriff prophetische Gerichtsrede zur Bezeichnung einer prophetischen Gattung irrefhrend ist. Er bezeichnet nicht eine einzige Gattung wie etwa die Bezeichnung Mahnwort oder Heils-orakel, sondern er kann nur als Sammelbegriff fr eine ganze Reihe verschiedener Gattungen Verwendung finden, die unter sich aller-dings alle gemeinsam haben, da sie aus dem Bereich des profanen Rechtslebens entlehnt sind. Doch trotz dieser Gemeinsamkeit haben alle eine verschiedene Formensprache und zum Teil auch einen verschiedenen Sitz im Leben. So ist der Sitz im Leben einer Appellationsrede eben nicht die Gerichtsverhandlung selbst, sondern die Auseinandersetzung vor der eigentlichen Verhandlung. Diese findet noch nicht am Gerichtsort statt, sondern irgendwo im Lande, wo die streitenden Parteien gerade aufeinandertreffen. Aber auch die Reden, die den eigentlichen Prozeverlauf als Sitz im Leben vor-aussetzen, bilden in sich noch keine Einheit im Sinne der Gattungs-forschung. Es ist doch ein grundstzlicher Unterschied, ob etwa Jahve als Anklger oder als sich verteidigende Rechtspartei spricht, ein Unterschied, der im Grunde schon fr die beiden Formen der Appellationsreden zutrifft. Diese verschiedenen Rollen der Sprecher fhren dann auch, wie die Beispiele erkennen lassen, zu einer grund-stzlich verschiedenen Struktur und Formensprache der Reden. Und noch grer als der Abstand zwischen den Reden der beiden Rechts-parteien untereinander ist der zwischen dieser Gruppe von Gerichts-reden und den Reden des Richters. Weder klagt er an, noch verteidigt er sich, sondern er konstatiert, fllt das Urteil und begrndet es. Damit haben wir also folgende Gattungen von Gerichtsreden zu unterscheiden :

    1. Die Anklagereden : a) Appellation des Beschuldigers b) Rede des Klgers vor Gericht

  • Die prophetische Gerichtsrede und die profane Gerichtsverhandlung 11

    2. Die Verteidigungsreden : a) Appellation des Angeschuldigten b) Rede des Angeklagten oder Fremd-

    verteidigungsrede 3. Die Reden des Richters

    Es erweist sich jetzt als ein offensichtlicher Mangel der meisten bisherigen Arbeiten ber die prophetischen Gerichtsreden, da sie diese grundlegenden Unterschiede nicht gengend beachtet haben, sondern mehr oder weniger immer von einer Pauschalgattung der Gerichtsreden ausgingen und versuchten, allgemeine Pauschaltheorien ber die Gerichtsreden aufzustellen23. Versucht man . B. die pro-phetische Gerichtsrede aus dem Kultus herzuleiten und sieht man ihren Ursprung in einer kultischen Gerichtsliturgie, in der Jahve sein Bundesvolk oder die Fremdvlker anklagt, so mu unbedingt auch die Frage nach den Gerichtsreden gestellt werden, in denen Jahve als Ver-teidiger spricht. Pat das auch in eine Kulthandlung hinein ? Und wie steht es mit den Appellationsreden? Lassen sie sich auch noch von dieser kultischen Gerichtssituation her verstehen24 ?

    Diese beiden entscheidenden Ergebnisse unserer bisherigen ber-legungen ntigen uns nun, die eingangs umrissene Fragestellung etwas zu konkretisieren bzw. zu variieren. Glaubten wir von der These ausgehen zu drfen, da die Propheten die Form ihrer Ge-richtsreden aus dem profanen Rechtsbereich entlehnt haben, so mu man jetzt in aller Deutlichkeit nach dem Grund fr diese Entlehnung fragen. Gengt hier wirklich der Hinweis auf die gleiche Anklage-situation? Damit wird ja auch nur auf die Gattung der Anklagereden geblickt, whrend die Verteidigungsreden mit ihrer gnzlich anderen Struktur nach wie vor auer Betracht bleiben. Es mssen doch in der Gedankenwelt der Propheten, die ihre Worte in die Form der Ge-richtsreden kleideten, Traditionen und Gedanken lebendig gewesen sein, zu deren Aktualisierung und Verkndigung sich die profane Redeweise als zweckmig anbot. Konkret: Es ist doch wohl kaum anzunehmen, da Jahve erst durch die bernahme der profanen Gattungen in den Rollen von Akteuren einer Gerichtsverhandlung erscheint, als Anklger, als Angeklagter oder als Richter. Sondern diese Vorstellungen mssen doch irgendwie vorgegeben sein, und nur weil sie es waren, konnten die Propheten, um sie in eindrcklicher

    2 3 Als Ausnahme ist allerdings auf die Studien zu Deuterojesaja von J O A C H I M B E G R I C H hinzuweisen; vgl. auch H E I N Z R I C H T E R , Studien zu Hiob, Berlin 1 9 5 9 , S. 3 1 ff.

    2 4 Diese zugespitzte Fragestellung verdanke ich erst H. J . B O E C K E R . Daher be-mngelt er mit Recht, da die Bercksichtigung der Verteidigungsreden in meiner Dissertation Anla und Hintergrund der Verkndigung des Deuterojesaja (Bonn 1953, S. 40ff.) fehlt; vgl. B O E C K E R , Evang. Theol. 1960, S. 409f. So konnte ich damals auch noch uneingeschrnkt fr die kultische Herleitung der prophetischen Gerichts-reden eintreten.

  • 12 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden

    Weise zu verkndigen, auf die profanen Redeformen zurckgreifen. Es war doch nicht so, da die Vorstellungen von dem Gotte Israels durch die Nachahmung der Reden aus dem Rechtsleben bereichert worden sind, sondern es war umgekehrt: Weil die Vorstellungen von dem Gott Israels so reichhaltig waren, deshalb konnte man fremde Redeweisen bernehmen. Daher ist jetzt ganz zugespitzt zu fragen: Welche Traditionen und Vorstellungen im Denken der Propheten waren es, die zur bernahme der profanen Gerichtsreden gefhrt haben ?

    Doch die Mannigfaltigkeit unter den Gattungen der Gerichts-reden warnt uns, diese Frage so allgemein stehen zu lassen. Wollen wir uns vor der Gefahr einer erneuten Pauschaltheorie schtzen, mu diese Frage unterteilt werden :

    1. Welche Vorstellungen haben zur bernahme der Anklage-reden gefhrt ? Dabei wird es erlaubt sein, die Appellationsreden des Beschuldigers mit den Reden des Klgers vor Gericht zusammen-zunehmen. Beide Gattungen haben wohl einen verschiedenen Sitz im Leben, aber im Rahmen unserer Fragestellung kommt es auf die innere Struktur der zu behandelnden Gattungen an, und die ist bestimmt durch die Rollenverteilung, die in beiden Gattungen im Grunde genommen gleich ist. Jahve beschuldigt oder klagt an, whrend Israel als der Beschuldigte oder Angeklagte vor ihm steht.

    2. Welche Vorstellungen haben zur bernahme der Verteidi-gungsreden gefhrt ? Auch hier knnen wieder die Appellationsreden des Beschuldigten mit den Reden des Angeklagten zusammenge-nommen werden, denn auch hier ist die innere Struktur gleich. Jahve verwahrt sich gegen die Vorwrfe seines Volkes.

    3. Welche Vorstellungen haben zur bernahme der Reden des Richters gefhrt ?

    Wie berechtigt diese Fragen sind, wird sich jetzt zeigen, wenn wir uns in einem besonderen Paragraphen noch einmal die Frage nach dem Verhltnis der prophetischen Gerichtsreden zu ihren profanen Vorbildern zuwenden. Muten wir bisher die auffallend engen Be-ziehungen betonen, so gilt es jetzt, auf einen entscheidenden Unter-schied hinzuweisen. Wir werden auf ihn stoen, sobald wir nach der Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden fragen.

    3: DIE ROLLENVERTEILUNG IN DEN PROPHETISCHEN GERICHTSREDEN

    Hier haben wir es mit einer der entscheidenden Grundfragen zu tun, von deren richtigen Beantwortung das Verstndnis der prophe-tischen Gerichtsreden wesentlich abhngt. In einigen Punkten liegen die Dinge klar. In den Anklagereden ist Israel der Beschuldigte bzw.

  • Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden 13

    der Angeklagte, whrend Jahve aus der Position des Klgers spricht. In den Verteidigungsreden ist das Verhltnis umgekehrt. Jahve ist der Beschuldigte oder Angeklagte, Israel befindet sich in der Rolle des Beschuldigers bzw. Klgers. Aber wer ist der Richter ? Das ist die Frage, von der hier alles abhngt.

    berblickt man die prophetischen Gerichtsreden als Ganzes, dann scheint es hier zwei Mglichkeiten zu geben. In einigen Einheiten werden Himmel und Erde oder Berge und Hgel genannt. Sie knnten als Richter, die in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel um ein Urteil angerufen werden, angesehen werden1. . B. Jes 1 2:

    Hret ihr Himmel, horche auf, o Erde! Denn der Herr redet.2

    Daneben gibt es aber auch Einheiten, in denen Jahve als Richter erscheint, obwohl er gleichzeitig auch Anklger bzw. Verteidiger ist3. Damit stehen wir wieder vor der merkwrdigen Identitt von Richter und Rechtspartei, die wir oben bereits festgestellt hatten. An zwei Beispielen sei dieser Tatbestand kurz erlutert :

    Jer 2 1-3 : Diese Einheit gehrt zur Gattung der Fremdvertei-digungsreden. Jahve bringt zugunsten des Angeklagten Entlastungs-material vor. Aber wo ist das Gericht, dem er es unterbreitet ? Dar-ber wird nichts gesagt. Wre diese Einheit so zu verstehen, da ein Verteidiger sein Pldoyer in Richtung auf ein Gericht hlt, mte "DT hier statt im Kai im Hi stehen mit der Bedeutung hiermit bringe ich zu deinem Gunsten ins Gedchtnis. Das Kai dagegen hiermit gedenke ich zu deinem Gunsten, scheint nur im Munde eines Richters mglich zu sein, der fr den Angeklagten spricht, der also gleichzeitig die Rolle des Verteidigers bernommen hat. Damit legt sich fr diese Einheit der Schlu nahe, da Jahve einerseits der Richter ist, da er aber andererseits auch wie ein Advokat eine Rechtspartei vertritt4.

    Hos 4 i -3 6 : v. 1 beginnt mit der Proklamationsformel, in der die Israelshne zum Hren auf ein Jahvewort aufgefordert werden, denn Jahve hat einen Rechtsstreit mit ihnen. Wegen der Wendung S 3,*i, die ursprnglich in die Rede des Anklgers gehrt, sollte man erwarten, da Jahve als Klger die Israelshne vor ein Gericht

    1 Mi 6 1 Jer 2 12. 2 Diese Deutung findet sich z. B. bei HANS SCHMIDT, Die groen Propheten,

    2. A u f l . 1 9 2 3 , S . 4 7 ; ARTUR WEISER, A T D B d . 2 4 , S . 2 5 0 ; T h . R . ROBINSON i n ROBIN-SON-HORST, Die Zwlf Kleinen Propheten, Handb. z. AT, 1. Reihe Bd. 14, 2. Aufl. 1 9 5 4 , S . 1 4 6 ; BOECKER Diss . S . 85 .

    3 Jes 313-15 51-7 Jer 2 1-3 Hos 41-3. 4 Vgl. BOECKER Diss. S. 108ff. 5 Zu den brigen in Anm. 3 genannten Texten siehe oben 2 unter den Anklage-

    reden. V g l . H . W . WOLFF a . a . O. S . 83 .

  • 14 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden

    zitiert. Aber der folgende Gottesspruch zeigt dann berraschender-weise die Form eines richterlichen Urteils mit Urteilsfolgebestimmung. Jahve klagt also Israel an, um ihm selbst das Urteil zu sprechen. Damit ist er Klger und Richter in einer Person.

    Diese Beispiele zeigen bei deutlichem Hinsehen, da Jahve der Richter gleichzeitig auch eine Rechtspartei sein kann. Doch daneben stehen nun die Einheiten, in denen Himmel und Erde oder Berge und Hgel angerufen werden. Aber sind diese kosmischen Gren tat-schlich Richter, die in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und seinem Volk zu entscheiden haben ? Das ist die Frage, der jetzt nachgegangen werden mu.

    Wir beginnen zunchst wieder mit einer grundstzlichen Vor-berlegung. Mu man wirklich in den prophetischen Gerichtsreden diese zwei verschiedenen Auffassungen ber das Gericht voraussetzen, dann htte das schwerwiegende Konsequenzen fr diese Gattungen. Hier wrde ein neues Trennungsprinzip eingefhrt, nach dem die Gerichtsreden auch noch zu ordnen wren, denn diese verschiedenen Richtervorstellungen mten sich zutiefst auf das Verstndnis der einzelnen Reden auswirken. Es ist ja ein tiefgreifender Unterschied, ob Jahve als Rechtspartei dargestellt wird, die bereit ist, sich dem Spruch eines anderen unterzuordnen, oder aber, ob er in gttlicher Souvernitt sein Volk vor seinen Richterstuhl zitiert, um ihm hchstselbst das Urteil zu sprechen. Dazu gesellt sich ein weiteres Moment. Ist Jahve in einer Gerichtsrede selbst der Richter, der vor Israel steht, dann ist diese Form kein bloes Stilmittel, etwa ein-drucksvolle Einkleidung einer Scheltrede, sondern dann findet wirklich Gericht statt, da Israel in den Auswirkungen des gttlichen 131, den ihm der Prophet entgegenschleudert, als Realitt zu spren bekommt. Aber wie anders liegen die Dinge, wenn Himmel und Erde den Gerichtshof darstellen sollen, vor den Jahve sein Volk zitiert, um ein Urteil sprechen zu lassen ! Himmel und Erde oder Berge und Hgel sind kosmische Gren, denen in mythischer Redeweise richterliche Wrden zugeschrieben werden. Ein wirkliches Gericht findet gar nicht statt, denn dem mythischen Gerichtshof eignet keine Realitt. So wird auch niemals ein Urteilsspruch zu erwarten sein. Real wre lediglich die Tatsache, da Jahve sein Volk anklagt oder sich vor ihm verteidigt, doch auf diese Realitt blickt man nur durch einen my-thischen Schleier. Hier bliebe vieles eine lautstarke Stilform, der im Gegensatz zu dem wirklichen Gericht vor dem gttlichen Richter eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen ist. Was soll wohl diese my-thisierende Gerichtsvorstellung neben der anderen, deren Wirklichkeit sich kein Israelii entziehen konnte ? So meldet sich eine tiefe Skepsis gegen eine Deutung dieser kosmischen Gren als Richter ber Jahve und Israel.

  • Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden 15

    Wir fgen einen weiteren Gesichtspunkt an. Warum ist es an-scheinend oft so mhsam, in den genannten prophetischen Gerichts-reden der Identitt des gttlichen Richters mit einer Rechtspartei nachzuspren ? Sollte das nicht seinen Grund darin haben, da diese Identitt den Propheten wie ihren Hrern so selbstverstndlich war, da es sich erbrigte, darber ein Wort zu verlieren ? Wenn Jahve zu einer Gerichtsverhandlung erscheint, dann ist er eben der Richter ber Israel, ganz gleich, ob er nun zunchst Anklagen erhebt oder in Form einer Verteidigungsrede das Volk mit seinen Vorwrfen in die Schranken weist. Von hier aus legt sich uns die Vermutung nahe, da in smtlichen prophetischen Gerichtsreden Jahve der Richter ist. Diese Vermutung gilt es nun zu untermauern, indem wir zunchst nach der Rolle der kosmischen Gren, Himmel und Erde oder Berge und Hgel, fragen.

    Zunchst ist einmal festzustellen, da an keiner Stelle des Alten Testaments expressis verbis gesagt wird, da diese kosmischen Gren in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel das Richteramt ver-sehen. Wohl aber lt sich mit einiger Deutlichkeit ein berlieferungs-element aufzeigen, das von Himmel und Erde als Zeugen des gttlichen Handelns spricht. Das in Frage kommende Material sei hier in aller Krze ausgebreitet, da man sich des Eindruckes nicht erwehren kann, als wrden Himmel und Erde oft zu leicht in richterlichen Funktionen gesehen, ohne da man versucht, fr diese wie es scheint un-haltbare These das ntige Beweismaterial beizubringen.

    Dabei ist auszugehen von der Behandlung des Themas Schp-fung in der Psalmengattung der Hymnen. Wird hier die Schpfung Jahves gepriesen, so werden als die uersten Exponenten des Kosmos und als seine wrdigsten und eindrucksvollsten Reprsentanten gerne Himmel und Erde benannt, Ps 96 5 104 2 f. 146 67. Sie legen ein be-redtes Zeugnis ab von der Herrlichkeit ihres Schpfers, die Himmel erzhlen die Ehre Gottes, und das Werk seiner Hnde verkndigt die Feste, Ps 19A. Dabei werden im Denken der Poesie die beiden kosmischen Gren als wirklich redende Zeugen vorgestellt, die hrbar erzhlen und proklamieren8.

    Nun findet sich dieses beredte Zeugnis von Himmel und Erde aber nicht nur im Bereich der Schpfungstheologie, sondern ebenso auch innerhalb der Heilstheologie. Die Himmel knden seine Ge-rechtigkeit, Ps 97 6. Unter Gerechtigkeit ist hier zweifelsohne das

    7 Vgl. auch Ps 148 (4) 9, wo statt dessen Berge und Hgel erscheinen. Auch an Deuterojesaja ist hier zu erinnern, der dieses Motiv gerne in seinen hymnischen Aus-sagen ber Jahve verwendet, Jes 40 22. 28 4 4 24 45 12.18 48 13 5113.

    8 Vgl. H. J . KRAUS, Psalmen, B K Bd. XV-1, 1. Aufl., Neukirchen 1960, S. 154.

  • 16 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden

    gerechte Heilshandeln Jahves seinem Volke gegenber gemeint9. In Ps 148 9 und Jes 55 12 erschallt der Lobpreis ber das Heilshandeln Jahves aus dem Munde der Berge und Hgel10. So nehmen Himmel und Erde oder Berge und Hgel als stndige Zeugen wahr, was Jahve an Israel getan hat, und nun werden sie in der Psalmendichtung auf-gefordert, von dem, was sie sahen, vor dem Forum des Kosmos Zeugnis abzulegen und auf diese Weise Jahve zu verherrlichen, Ps 69 35. Gewi liegt hier wieder eine mythische Redeweise vor, aber diese Aussagen haben ihren theologischen Sinn. Durch dieses Motiv vom lobpreisenden Zeugnis des Kosmos wird das gttliche Heilshandeln an Israel in kosmische Dimensionen erhoben. So wie der einzelne Fromme in Israel vor der Kultgemeinde Zeugnis von dem Heilshandeln Jahves ablegt, um ihn zu verherrlichen, Ps 9 15 Jer 5110, so tun es auch die Reprsentanten der Schpfung vor dem Forum des Kosmos11.

    Auf der anderen Seite sind Himmel und Erde aber auch Zeugen des Gottesgerichtes und nehmen an ihm Anteil. So trauern sie darber, da Jahve das Land Israels zu einer Wstenei machen wird, Jer 428 Hos 4312.

    Dieses angefhrte Stellenmaterial, das sich noch vermehren liee, zeigt, wie verbreitet die Vorstellung von der Teilnahme der reprsen-tativen Vertreter des Kosmos als Zeugen des gttlichen Handelns ist. Dieses Motiv, das ursprnglich in der Hymnendichtung zu Hause ist, ist nun in die Vorstellung von dem Rechtsstreit Jahves mit Israel eingetragen. Durch diese bertragung in die Rechtssphre hat sich an der Funktion der kosmischen Reprsentanten nichts gendert, lediglich die Szenerie ist anders geworden. Ihre Aussagen, die sie nach den in den Hymnen lebenden Vorstellungen schon immer machten, werden jetzt zu Aussagen vor Gericht, Ps 50 6. Werden sie in den Gerichtsreden dagegen zu besonderer Aufmerksamkeit aufgerufen, Jes 1 2 Mi 6 1 Jer 2 12, so deshalb, weil sie jetzt ein neues Tun Gottes an seinem Volk erleben werden, das sie noch- nicht gesehen haben, nmlich Verurteilung und Gericht, dessen Rechtmigkeit sie aber als Teilnehmer an der Gerichtsverhandlung jederzeit bezeugen knnen. Damit stehen wir vor dem Ergebnis, da die Reprsentanten des Kosmos, wenn sie in den prophetischen Gerichtsreden erscheinen, als Zeugen gedacht sind. Entweder sollen sie fr Jahve aussagen, oder aber sie sollen als Zeugen der Verhandlung beiwohnen.

    9 Vgl. H. J . K R A U S a. a. O. Bd. XV-2, S. 673. Ob Ps 89 in diesem Zusammen-hang genannt werden mu, oder ob diese Stelle zum Thema Schpfung gehrt, ist nicht sicher zu entscheiden.

    1 0 In Ps 148 9 und Jes 55 12 ist der Chor noch erweitert durch die Reprsentanten der Fauna und Flora; vgl. auch Jes 44 23 und 49 13.

    11 Es darf jedoch nicht unbeachtet bleiben, da die Reprsentanten des Kosmos auch als Empfnger der Heilstaten erscheinen knnen, . B. Ps 65l3i. 72 3.

    1 2 Z . d . S t . v g l . H . W . W O L F F a . a . O . S . 8 1 .

  • Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden 17

    Noch von einer ganz anderen Seite her werden wir zu dem gleichen Ergebnis gefhrt. Damit wenden wir uns jetzt einigen Stellen aus dem Deuteronomium zu. Hier werden Himmel und Erde als Zeugen dafr angerufen, da Mose das Bundesvolk ermahnt hat, bei den gttlichen Geboten zu bleiben, anderenfalls wrde es bald aus dem von Gott gegebenen Land vertilgt werden, Dtn 4 26 und hnlich Dtn 3019. Am Anfang des Moseliedes, Dtn 32 , und in dem dazugehrenden Rahmen-stck, Dtn 31 27b-3013, erscheinen Himmel und Erde als Zeugen dafr, da Mose den ltesten der Stmme an der Schwelle und unmittelbar vor seinem Tode noch einmal die Worte des Gesetzes und seine Lehre vorgetragen hat.

    Hier erscheinen Himmel und Erde im Zusammenhang mit der Verkndigung des Gesetzes, bzw. im Rahmen der Gesetzesparnese. Die Verkndigung des Gesetzes war, wie wir heute wissen, ein Teil der Liturgie des Bundeserneuerungsfestes, bei dem Israel immer wieder neu in den Jahve-Bund hineingestellt wurde14. Wir haben es somit in den genannten Stellen des Deuteronomiums mit dem im Kultus immer wieder neu geschehenden Akt des Bundesschlusses zu tun, bei dem Himmel und Erde als Zeugen auftreten.

    Dazu gibt es, wie GEORGE E. MENDENHALL gezeigt hat, inter-essante Parallelen aus alten hethitischen Staatsvertrgen15. In den berlieferten Vertragstexten werden hufig die Gtter der Hethiter wie auch die ihrer Vertragspartner als Zeugen der getroffenen Verein-barung genannt. Aber es finden sich auch Urkunden, in denen diese Aufzhlungen erweitert sind durch die Nennung der vergttlichten Berge, Strme, Quellen, Winde und Wolken, aber auch, was uns besonders interessiert, Himmel und Erde. Diese kosmischen Reprsen-tanten gehren also offenbar in die Vorstellung von einem Bundes-schlu hinein.

    Eine derartige Zeugenanrufung, wie wir sie im Deuteronomium finden, hat aber noch eine andere Seite. Was wrde geschehen, wenn die Ermahnungen und Belehrungen, die bei dem Bundesschlu oder der Bundeserneuerung vor den Ohren der genannten Zeugen ausge-sprochen wurden, vergeblich gewesen wren ? Dann wrde Jahve die

    13 Zu dem literarkritischen Problem dieses Stckes vgl. M A R T I N N O T H , berliefe-rungsgeschichtliche Studien, Halle 1943, S. 40.

    14 Vgl. G. V. RAD, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, in Ges. Studien zum Alten Testament, Theologische Bcherei Bd. 8, Mnchen 1958, S. 40. Zu Dtn 30 13 vgl. v. RAD, Gerechtigkeit und Leben in der Kultsprache der Psalmen, Ges. Studien S. 235.

    1 5 GEORGE M E N D E N H A L L , Law and Convenant in Israel and the Ancient Near East, The Biblical Colloquium, Pittsburgh, Pennsylvania 1955; jetzt auch in deutscher Ubersetzung, Recht und Bund in Israel und dem Alten Vorderen Orient, Theologische Studien Heft 64, Zrich 1960, S. 24.

    W a l d o w , Traditionsgeschichtl. Hintergrund o

  • 18 Die Rollenverteilung in den prophetischen Gerichtsreden

    mit den Ermahnungen verbundenen Drohungen verwirklichen, und Himmel und Erde wren pltzlich die Zeugen, die zu besttigen htten, da der Bundesgott mit seinem Tun recht handelt 1 5 \ Das ist die Situation, die wir in den prophetischen Gerichtsreden finden. Die eindrucksvollen Reprsentanten der gttlichen Schpfermacht, die traditionellen Zeugen des Handelns Gottes an seinem Volk, besttigen die Rechtmigkeit des Gerichtes an Israel. Durch ihre Gegenwart auf der Bhne des Rechtsstreites Jahves mit seinem Volk wird das Gerichtshandeln Jahves in kosmische Dimensionen erhoben, so wie es bei seinem Heilshandeln auch schon der Fall war.

    Mit diesen berlegungen knnen wir die Frage der Rollenver-teilung in den prophetischen Gerichtsreden abschlieen. Himmel und Erde oder Berge und Hgel erscheinen niemals in der Rolle eines Richters. Auf zwei Wegen sind wir dagegen zu der Erkenntnis gelangt, da sie, werden sie besonders genannt, die Rolle von Zeugen zu spielen haben. Schalten diese kosmischen Gren somit fr die Rolle des Richters aus, so haben wir jetzt eine entscheidende Sttze ge-funden fr die oben geuerte Vermutung : In smtlichen prophetischen Gerichtsreden ist Jahve selbst der Richter, ganz gleich ob er nun iden-tisch ist mit dem Anklger oder mit dem Verteidiger.

    Bevor nun versucht werden soll, diese These weiter zu begrnden, erinnern wir uns noch einmal an das Ergebnis des vorigen Paragraphen. Dort war deutlich geworden, da die Formensprache der prophetischen Gerichtsreden aus dem profanen Rechtsbereich entlehnt worden ist. Bei dem Blick auf die Rollenverteilung zeigte sich dagegen jetzt, da in smtlichen Gerichtsreden der Propheten Jahve als der Richter identisch ist mit einer der beiden Rechtsparteien. Nun will es zunchst scheinen, als seien beide Feststellungen nur schwer miteinander zu vereinen. Denn mu nicht jetzt auch die Frage nach dieser merk-wrdigen Identitt in der hebrischen Rechtsgemeinde gestellt wer-den? Ist es mglich, da hier der Richter mit einer Rechtspartei identisch ist? Diese Frage ist wohl klar zu verneinen. Beamtete Richter, die selbst in ein Verfahren verwickelt werden konnten, gab es ja nicht. Die streitenden Parteien bestellten ihre Richter aus den freien Brgern ihres Ortes, wie Ruth 4 fi. schn zeigt1. So ist es aber undenkbar, da jemand seinen Prozegegner um einen Rechts-

    16 YGJ

  • Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie 19

    entscheid gebeten htte. Haben wir also die Form der prophetischen Gerichtsrede aus den Formen der Reden des profanen Rechtslebens abzuleiten, so geht das bei der Identitt von Richter und Rechtspartei nicht mehr. Hier rcken die zunchst so eng verwandten Redeformen, die prophetischen Gerichtsreden und ihre profanen Vorbilder, wieder deutlich voneinander ab. Vermutlich gehrt diese Identitt Jahves mit einer Rechtspartei in die Traditionen und Vorstellungen hinein, die den Propheten vorgegeben waren und die es ihnen berhaupt erst ermglichten, ihren Worten die Form der profanen Gerichtsrede zu geben. Aber welche Traditionen waren das? Danach ist jetzt weiter-zufragen. An dieser Stelle wird deutlich, da die rein formgeschicht-liche Fragestellung dem komplizierten Tatbestand der prophetischen Gerichtsreden nicht beizukommen vermag. Es mu die traditions-geschichtliche Fragestellung hinzukommen17.

    Einen ersten noch undeutlichen Hinweis auf den Komplex, den wir nun ins Auge zu fassen haben, vermag vielleicht die Erwhnung der kosmischen Zeugen, Himmel und Erde, in einigen Gerichtsreden zu geben. Wir erkannten unter anderem in ihnen die Zeugen wieder, die bei dem Bundesschlu angerufen wurden. Sollten wir hier nicht, im Bereich der Bundesvorstellung, auf die Traditionen stoen, die bei den Propheten in der Form der Gerichtsreden eine ihrer Aus-gestaltungen gefunden htte ?

    4 : D I E P R O P H E T I S C H E N G E R I C H T S R E D E N U N D D I E B U N D E S T H E O L O G I E

    In seinem eingangs erwhnten Aufsatz, Der Ursprung der pro-phetischen Gerichtsrede, hat ERNST WRTHWEIN mit Nachdruck auf den engen Zusammenhang zwischen den prophetischen Gerichtsreden verratsproze, also um ein Verfahren, das in die Zustndigkeit des neugeschaffenen Knigtums gehrt. Da man damals ja die Unterscheidung zwischen Staatsanwalt und Richter noch nicht kannte, erscheint der Knig ganz selbstverstndlich als Anklger und Richter. Andererseits ist es aber auch nicht mglich, die Identitt von Richter und Rechtspartei in dem Rechtsstreit zwischen Jahve und Israel als Beleg dafr an-zufhren, da es diese Identitt auch im profanen Gerichtsverfahren gegeben habe; s o H . R I C H T E R , a . a . O . S . 4 0 .

    17 Wir stoen hier auf eine der Grenzen der formgeschichtlichen Methode. Es ist immer richtig und frderlich, nach der Form der Prophetenworte zu fragen und nach der Herkunft dieser Formen. Aber bei bernahme von Formen aus ursprnglich fremden Bereichen mu immer damit gerechnet werden, da diese Formen durch den neuen Inhalt umgeprgt oder irgendwie verndert worden sind. Ob das geschehen ist, und welche inhaltlichen Motive dabei wirksam waren, kann, wie das Beispiel der prophetischen Gerichtsreden zeigt, oft nur durch die traditionsgeschichtliche Frage-stellung geklrt werden.

    2*

  • 20 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

    und dem Bundesgedanken hingewiesen. Allein schon die Tatsache, da Errterungen ber das Gott-Volk-Verhltnis im Rahmen rechtlicher Institutionen und in der Terminologie des Rechtslebens erfolgen knnen, setzt voraus, da die Gerichtsreden die Beziehung zwischen Jahve und Israel in rechtlichen Kategorien sehen. So werden wir von den prophetischen Gerichtsreden unmittelbar zur Vorstellung des Bundes Gottes mit Israel gefhrt. Werden in den Anklagereden der Gerichtsreden Anklagen gegen Israel erhoben, so setzt das voraus, da Israel Jahve gegenber rechtliche Verpflichtungen eingegangen ist, denn nur wo eine Verpflichtung besteht, kann eine Anklage erhoben werden1. So knpfen die Anklagen in den prophetischen Gerichts-reden gerne an Gebote Jahves an, das liegt so deutlich auf der Hand, da wir hier von einem Nachweis im einzelnen absehen drfen2. Und zwar ist es die Bundesvorstellung, wie sie in dem berlieferungs-komplex der Sinaitradition ihre Ausprgung gefunden hat, an die die prophetischen Gerichtsreden anknpfen, denn hier finden wir sowohl die rechtlich fixierte Form des Gottesverhltnisses als auch die Ver-pflichtung des Volkes auf einen offenbarten gttlichen Rechtswillen. Das sind die Thesen Wrthwexns, die in eine Untersuchung ber unsere prophetische Gattung unbedingt einbezogen werden mssen. In einem Punkt sollen sie aber noch ergnzt werden : Auch die Gattung der Verteidigungsreden, in denen Jahve sich gegenber Vorwrfen des Volkes zur Wehr setzt, setzt dieses rechtlich geordnete Gott-Volk-Verhltnis voraus, denn nur wenn Jahve seinem Volk gegenber eine rechtlich fixierte Verpflichtung eingegangen ist, kann man die Anklage gegen ihn erheben, er sei bundesbrchig geworden.

    Schon hier ist es mglich, das Ergebnis unserer bisherigen ber-legungen in aller Vorsicht als eine These zusammenzufassen: Formal betrachtet wurzeln die prophetischen Gerichtsreden im profanen Rechts-leben der hebrischen Rechtsgemeinde. Aber inhaltlich gesehen weisen sie zurck auf die Tradition vom Bunde Jahves mit Israel.

    Diese Verwurzelung der prophetischen Gerichtsreden in der Bundestheologie kann noch an einem entscheidenden Punkt verdeut-licht werden. Wir wenden uns damit wieder der merkwrdigen Iden-titt von Richter und Rechtspartei zu. Gerade durch sie erscheinen die prophetischen Reden ja doch wieder als etwas Besonderes neben ihren profanen Vorbildern, denn aus der profanen Gerichtsverhandlung im Tor war diese Identitt nicht zu erklren. Wie sich nmlich zeigen lt, handelt es sich hierbei um ein charakteristisches Element der Bundestheologie. Ein Blick auf den alttestamentlichen Bundesgedan-

    1 V g l . W R T H W E I N a . a . O . S . 8 . 2 Vgl. W R T H W E I N a . a . O . S . 8 . Das deutlichste Beispiel ist wohl Hos 4 1 - 3 .

    Aber auch Jes 1 2-3 Jer 2 4-9.10-13.29-37 sind hier zu nennen. Hinter diesen Einheiten steht das erste Gebot des Dekalogs.

  • Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie 21

    ken, wie er durch den Begriff m a ausgedrckt wird, mag das ver-deutlichen.

    Die neueren Arbeiten ber die alttestamentliche berith-Vorstel-lung haben gezeigt, da der berith-Begriff seinen ursprnglichen Sitz im Leben im profanen Bereich hat3 . Hier bezeichnet die berith eine Rechtsform, durch die zwei Partner ihr Verhltnis zueinander vertraglich ordnen. Das Ziel eines solchen berith-Abschlusses ist die Herbeifhrung und Sicherstellung eines schalom-Zustandes zwischen den beiden Vertragspartnern. Es wird ursprnglich mindestens drei verschiedene Formen einer m a gegeben haben :

    1. Die sog. Suzernittsvertrge : In ihnen regelt ein Souvern, etwa ein Groknig, seine Beziehungen zu einem Vasallen4. Der Form nach ist dieser Vertrag unilateral, d. h. nur eine Partei, nmlich die des Souverns, erlegt der anderen rechtlich fixierte Bedingungen auf, zu deren Einhaltung sich der Partner durch einen Eid verpflichtet. Diese Bedingungen legen im ein-zelnen fest, unter welchen Voraussetzungen die schalom-Ge-whrung seitens des Groknigs in Kraft bleibt. Der Souvern hingegen geht keine besonderen Verpflichtungen ein.

    2. Die sog. Parittsvertrge: Diese Form einer m a wird unter zwei gleichrangigen Partnern geschlossen. Hier handelt es sich also um einen bilateralen Vertrag, in dem beide Partner in spezifizierter Form festlegen und eidlich bekrftigen, unter welchen Bedingungen sie zur Aufrechterhaltung des gegen-seitigen schalom-Zustandes bereit sind6.

    3. Neben diesen beiden genannten Formen scheint es noch eine Art Dreiecksvertrag gegeben zu haben, in dem ein Souvern eine m a zugunsten von zwei anderen abschliet. Auf diese Vertragsform hat MARTIN NOTH an Hand eines Beispiels aus den Mari-Texten aufmerksam gemacht7.

    3 VGL JOACHIM BEGRICH, Berit, ein Beitrag zur Erfassung einer alttestamentlichen D e n k f o r m , Z A W 6 0 , 1 9 4 4 , S . I f f . ; GEORGE E . MENDENHALL a . a . . ; E . W R T H W E I N ,

    Der Sinn des Gesetzes im Alten Testament , ZTHK 1958, S. 255 ff. ; KLAUS BALTZER, Das Bundesformular, Neukirchen, 1960. Siehe auch JOHANNES HEMPELin RGG3 Bd. I, Sp. 1613ff.

    4 Vgl. dazu MENDENHALL a. a. O. S. 31 f. s Ein schnes Beispiel eines derartigen Suzernittsvertrages findet sich m. E.

    in Ez 17 11 ff. Von Vertragsbedingungen, die dem Vasallen auferlegt werden, ist ex-pressis verbis allerdings nicht die Rede. Aber der erwhnte Eid, in dem sie beschworen werden, setzt sie voraus.

    6 Vgl. Gen 26 26 3. 7 Vgl. MARTIN NOTH, Das alttestamentliche Bundesschlieen im Lichte eines

    Mari-Textes, in Gesammelte Studien zum Alten Testament, Theologische Bcherei Bd. 6, 2. Aufl. 1960, S. 142 ff.

  • 22 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

    Mit gewisser Wahrscheinlichkeit wird der zuerst genannte Suze-rnittsvertrag als die Urform der beiden anderen Vertragsarten an-zusehen sein. M E N D E N H A L L hat bereits vermutet, da der Paritts-vertrag im Grunde nichts weiter darstellt als zwei Suzernittsvertrge in verschiedene Richtungen hin. So macht sich jede Partei zum Vasal-len der anderen8. Andererseits setzt die Vertragsform, in der ein Dritter einen Parittsvertrag zwischen zwei Partnern vermittelt und abschliet, doch wohl voraus, da diese beiden durch einen Suzerni-ttsvertrag an den Vermittler gebunden sind, so da tatschlich eine Art Dreiecksvertrag entsteht9.

    Fr unseren Zusammenhang ist nun die Feststellung wichtig, da derartige Vertrge, wie sie hier kurz beschrieben wurden, keine rein profanen Angelegenheiten waren, sondern da sie auch eine sakrale Seite hatten. Diese Vertrge wurden am Heiligtum in einer Kult-handlung geschlossen, bei der die vertragschlieenden Parteien sich zu einem Opfermahl zusammenfanden, durch das der geschlossene Vertrag seine sakrale Dignitt erhielt, Gen 31 46. 5410. Bei diesem sakralen Opfermahl galt auch die Gottheit als anwesend. Sie wurde bei dem Vertragsschlu als Zeuge angerufen und bernahm damit eine Art Protektorat ber den vor ihren Augen zustandegekommenen Ver-trag. Das wird besonders in den Fllen deutlich, wo wir in Verbindung mit einem Bundesschlu von einem Eid hren11. Hier wird die Gott-heit als Richter angerufen, der im Falle der Verletzung den Vertrags-brchigen zur Rechenschaft ziehen soll, Gen 31 53. Der Eid hatte dabei die Form der Selbst Verfluchung, die fr den Fall des Vertragsbruches wirksam werden sollte. Die angerufene Gottheit htte in diesem Fall die einst ausgesprochenen Flche ber dem treulosen Partner Wirklich-keit werden zu lassen12.

    Eine weitere Frage ist nun, welche dieser oben skizzierten Ver-tragsformen die Vorlage bei der Beschreibung des Verhltnisses zwi-schen Jahve und Israel mit dem Begriff 3 gewesen ist. Es spricht vieles dafr, da wir die Jahve-berith der Sinaitradition in Analogie zu den profanen Suzernittsvertrgen sehen mssen. M E N D E N H A L L hat in seiner genannten Arbeit auf verblffende Parallelen zwischen alten hethitischen Beispielen aus dem 2. J t . v. Chr. und der ber-lieferung vom Jahve-Bund verwiesen.

    So beginnen die hethitischen Parallelen mit einer Selbstvorstellung des Groknigs. Ihr folgt gern ein betonter Hinweis auf die vergange-

    8 A. a. o. s. 3 1 . 9 V g l . M . N O T H a . a . O . S . 1 4 3 u n d S . 1 5 0 . 1 0 Ein anderes Bundesschluritual schien das Zerschneiden eines Opfertieres

    vorzusehen, Gen 15 7 ff. Je r 34l8f . , vgl. dazu M. NOTH a. a. O. Jos 915 Gen 21 22ff. 26 30f. 3153. 1 2 V g l . M E N D E N H A L L a . a . O . S . 2 6 u n d B A L T Z E R a . a . O . S . 2 4 f .

  • Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie 23

    nen Taten des Wohlwollens dem Vasallen gegenber. Daran schliet sich die Fixierung der Vertragsbedingungen, und unter anderem folgt schlielich noch eine Liste von Gottheiten, die als Zeugen und Garanten des Vertragsverhltnisses genannt werden. Oft sind dabei mit ein-beschlossen Berge, Flsse, Himmel und Erde. Den Abschlu dieser Formulare bildet dann eine Reihe von Segen und Fluchformeln13. Die alttestamentlichen Parallelen hierzu liegen auf der Hand, wenn man etwa die Darstellung des Bundesschlusses von Jos 24 vergleicht. Die Selbstvorstellungsformel findet sich wieder, v. 2, der geschichtliche Rckblick begegnet, v. 3-1314, ebenso wie die Vertragsbedingungen, v. 25 b. Auch das Segen- und Fluchmotiv klingt an, v. 19 f.16.

    An einer, wie es nun scheint, nicht unwesentlichen Stelle unter-scheiden sich aber diese alten hethitischen Parallelen von der Dar-stellung des Jahvebundes. In den alttestamentlichen berlieferungen ber den Bundesschlu zwischen Jahve und Israel fehlt die Liste der angerufenen Gottheiten16. Das hat einen verstndlichen sachlichen Grund. Bei dem sakralen Bundesschluzeremoniell bernahmen die angerufenen Gottheiten die Rolle von Protektoren ber das neue Ver-tragsverhltnis. Sie waren es ja, die die Strafe ber den mglicherweise bundesbrchig gewordenen Partner bringen sollten17. Wie aber konnte das bei der Jahve-berith geschehen? Hier war der Gott, der sonst bei Bundesschlssen angerufen wurde, selbst Vertragspartner. Die Mglichkeit, eine andere Gottheit anzurufen, Schlo sich wegen des Ausschlielichkeitscharakters Jahves von selbst aus. So mute ganz zwangslufig die alte, profane berith-Vorstellung umgeprgt werden. Jahve als der Souvern, der einem Volk einen Bndnisvertrag gewhrt hatte, war selbst die gttliche Autoritt, die ber die Innehaltung des Bundes wachte. Wurde seitens des empfangenen Partners der Bund gebrochen, dann war er der hintergangene und geschdigte Vertrags-partner, der den anderen anklagte. Aber als Gott war Jahve es auch, der fr die Durchfhrung der Strafe sorgte. Sollte also Israel einmal die Jahve-berith brechen, so mute Jahve pltzlich als Anklger und

    1 3 V g l . M E N D E N H A L L a . a . O . S . 3 3 f f . u n d B A L T Z E R a . a . O . S . 1 9 f f . 1 4 Vielleicht darf hiei^ auch an den heilsgeschichtlichen Rckblick erinnert wer-

    den, wie er in dem sog. kleinen geschichtlichen Credo, Dtn 26 5-11, vorliegt. 1 5 Auch die Segen- und Fluchformulare am Ende der alttestamentlichen Gesetzes-

    sammlungen sind hier zu nennen, . B . E x 23 20 ff. Lev 26 und Dtn 27 und 28. 1 6 Darauf verweist bereits MENDENHALL a. a. O. S. 42. Vgl. auch BALTZER a. a. O.

    S. 33ff. 1 7 Ein schnes Beispiel dafr ist J e r 34 8 ff. Nach der jetzt vorliegenden Text-

    gestalt (zum literarischen Problem vgl. WILHELM RUDOLPH, Jerema, Handb. zum AT, 1. Reihe Bd. 12, z. d. St.) hatte der Knig Zedekia mit dem Volk von Jerusalem vor Jahve einen Vertrag geschlossen, nach dem die Sklaven freigelassen werden sollten. Doch dieser Vertrag wurde gebrochen. Daher tritt Jerema auf, um im Namen Jahves die Strafe zu verkndigen.

  • 24 Die prophetischen Gerichtsreden und die Bundestheologie

    Richter in eigener Sache vor seinem Volke stehen. Dies ergibt sich ganz folgerichtig aus dem hier dargelegten Vertragsdenken. Die Iden-titt von Anklger und Richter erscheint jetzt also als ein ganz selbstverstndlicher Bestandteil der Bundestheologie.

    Von hier aus erscheint es verstndlich, da die Liste der ange-rufenen Gottheiten in den alttestamentlichen berlieferungen fort-gelassen werden mute. Die Gtternamen, wie wir sie in den hethi-tischen Parallelen finden, fehlen. Geblieben ist dagegen gelegentlich, wie bereits errtert, die Nennung von Himmel und Erde oder Bergen und Hgel, aber nicht mehr in der Rolle von Protektoren und Garan-ten, sondern als Zeugen, die die Rechtmigkeit des Handelns Gottes zu besttigen haben.

    Wenden wir uns von hier aus wieder den prophetischen Gerichts-reden zu ! Wir haben gesehen, da es nicht nur das Denken in recht-lichen Kategorien ist, das die enge Beziehung dieser prophetischen Gattungen zur Bundestheologie erkennen lt; es ist auch nicht nur die inhaltliche Entsprechung bezglich der Gesetzestradition, auf die E. W U R T H W E I N hingewiesen hatte. Sondern vornehmlich zeigt sich diese Beziehung in der inneren Struktur der Gerichtsreden. Die Iden-titt von Richter und Rechtspartei, die sich ganz notwendig und folgerichtig aus der Bundestheologie ergibt, hat den prophetischen Gerichtsreden ihre eigentmliche Struktur gegeben, die sie trotz aller formalen Verwandtschaft zu den profanen Gerichtsreden als eine Rede-form sui generis erscheinen lt. So gehren diese prophetischen Gattungen also in die Tradition vom Bund Jahves mit Israel hinein und sind von hier aus in ihrer Eigenart zu verstehen.

    Nun soll aber nicht bersehen werden, da auf dieser natrlichen Inhrenz der Klger-Richter-Vorstellung im Rahmen der berliefe-rung vom Jahve-Bund kein besonderer Akzent zu liegen scheint. Diese berlieferung ist weit mehr daran interessiert, die im Rahmen des Jahve-Bundes geschehenen Heilserweisungen zu bezeugen und dar-zustellen. Aber wenn es erforderlich erscheint, kann die Klger-Richter-Vorstellung ganz natrlich und selbstverstndlich hervor-treten, wie es zur Zeit der sog. klassischen Prophetie der Fall war. Die in dieser Zeit entstandenen Gattungen der prophetischen Gerichts-reden lassen erkennen, da ihre Urheber wohl in der Tradition des Bundesglaubens lebten, da sie ihm aber eine durchaus eigene Form verleihen konnten.

    Nachdem diese Zusammenhnge deutlich wurden, mssen wir vorlufig noch eine wesentliche Einschrnkung machen. Von dem hier errterten Zusammenhang zwischen Bundestheologie und pro-phetischen Gerichtsreden ist genau betrachtet eigentlich nur ein Licht auf die Anklagereden gefallen, in denen Jahve als der Hintergangene pltzlich als Anklger und Richter vor Israel steht. Aber wie liegen

  • Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung 25

    die Dinge nun bei den Verteidigungsreden, in denen Jahve sich vor Vorwrfen seines Volkes verteidigt und dabei gleichzeitig der Richter sein soll ? Erst wenn es gelingt, diese Verteidigungsreden ebenfalls in die Bundestheologie hineinzustellen, kann der Zusammenhang zwischen dieser Tradition und den Gerichtsreden endgltig behauptet werden. Das soll in einem weiteren Paragraphen geschehen. Zunchst aller-dings mssen die Anklagereden auf dem hier gewonnenen Hintergrund noch genauer ins Auge gefat werden.

    5: D I E A N K L A G E R E D E N IM R A H M E N D E R B U N D E S V O R S T E L L U N G

    ERNST WRTHWEIN hatte, wie eingangs erwhnt, versucht, die prophetischen Gerichtsreden aus dem israelitischen Kultus zu ver-stehen. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, da im Kultus Israels immer wieder neu das Gesetz verlesen und Israel darauf ver-pflichtet wurde1. Daran schliet er die berlegung, wenn derartige Vorgnge im israelitischen Kultus belegt sind, so wurde auch die Gemeinde an diesem Gesetz geprft. Das konnte nicht ausbleiben, sollte nicht Verlesung und Verpflichtung lediglich zu einer Formsache herabsinken2. Hier ist zu fragen, ob dieser Schlu zwingend ist, denn wohl ist die Verkndigung des Gottesrechtes im Kultus belegt, aber die kultische Durchfhrung eines Rechtsverfahrens mit gezielter Anklage, Verteidigungsrede und rechtskrftiger Urteilsverkndigung durch dafr bestimmte Kultpersonen hat sich eben nicht nachweisen lassen3. Spricht schon die so deutlich sichtbare profane Redeweise der prophetischen Gerichtsreden gegen einen Sitz im Leben im Kultus, so wird man aber auch fragen drfen, ob die Annahme eines kultischen Gerichtsaktes zur Verkndigung des gttlichen Gerichts-willens berhaupt ntig ist. Einige alttestamentliche Stellen scheinen jedenfalls in eine ganz andere Richtung zu laufen.

    Sehr aufschlureich ist hier das aus deuteronomistischer Feder stammende Programm des Richterbuches, Jdc 2 lifl.4. Dieses Stck, das am Anfang des Richterbuches in fast schematischer Weise den

    1 Vgl. V. RAD, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, in Gesammelte Studien zum AT, S. 32.

    2 WRTHWEIN a. a . O. S. 12.

    * So H. W. WOLFF, Hauptprobleme alttestamentlicher Prophetie, Evang. Theol. 1 9 5 5 , S. 4 6 1 .

    4 Vgl. M. NOTH, berlieferungsgeschichtliche Studien, Halle 1943, S. 6. Stammt dieses Stck auch erst aus deuteronomistischer Zeit, so sind die darin enthaltenen theologischen Vorstellungen gewi lter. Lediglich die Vorstellung von einem perio-dischen Ablauf der Geschichte wird wohl deuteronomistisches Gedankengut sein.

  • 26 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

    Ablauf der Ereignisse whrend der Richterzeit vorausschauend dar-stellen will, lt folgende Elemente erkennen :

    1. Ungehorsam des Volkes gegenber der Bundesverpflichtung, v. 10-13. 17.185. 2. Die Strafe des Bundesgottes fr den Ungehorsam, da entbrannte der Zorn

    Jahves ber Israel, v. 14-156. 3. Israel erkennt seine Unheilssituation unter dem Zorn Jahves und schreit

    zum Herrn, v. 16. Hinter dieser Wendung wird sich eine Buliturgie am Heiligtum verbergen. Ein Sprecher des Volkes, vermutlich ein Kultprophet7, trug ein Klagegebet vor, das zwei Teile enthielt, nmlich ein Sndenbekenntnis und die Bitte um Hilfe8. Im Anschlu an dieses Gebet wird dann der Prophet in Form eines Orakels den gttlichen Heilswillen verkndigt haben".

    4. Die tatschliche Errettung aus der gttlichen Strafe, v. 16 und 18. Diese Errettung setzt voraus, da Gott das zerstrte Bundesverhltnis wiederher-gestellt hat.

    Bemerkenswert an diesem deuteronomistischen Schema ist, da an keiner Stelle angedeutet wird, da Jahve seinem abgefallenen Volk die Strafe verkndigt hat. Es wurde lediglich gesagt, da die Strafe vollzogen wurde. Dieses fehlende Straf- oder Gerichtswort Jahves kann auch nicht wegen der gedrngten Krze der Darstellung weggelassen sein, denn diese Mglichkeit wird durch die Wendung in v. 15 aus-geschlossen, in der es heit, das Unheil kam, Wie Jahve geredet und wie Jahve ihnen geschworen hatte. Das ist ein deutlicher Rckgriff auf den Bundesschlu, bei dem gesagt wurde, was geschehen wrde, wenn Israel den Bund brechen sollte. Vermutlich haben wir hier an das Segen- und Fluch-Formular zu denken, das der Verkndigung des Gottesrechtes im Kultus folgte10 und das auf die Segen- und Fluchformeln des Bundesschluzeremoniells zurckgeht.

    Betrachtet man die Dinge in diesem Zusammenhang, dann wird deutlich, da eine besondere Gerichtsverkndigung im Falle des Bundesbruches berhaupt nicht erforderlich war. Durch die Aus-rufung der Segen- und Fluchformeln bei dem Akt des Bundesschlusses wurde bereits vorgebildet, was Israel zu erwarten hat, wenn es in den Bund hinein entlassen wird. Kommt es seinen Verpflichtungen

    5 Vgl. v. 20 : Weil dieses Volk meine Bundessatzung bertreten hat, die ich ihm anbefohlen hatte.

    Zum Text vgl. BHK. 7 Vgl. I Sam 15 11. 8 Vgl. I Sam 12 io oder Jdc 1015. 9 Zu den Klagefeiern des Volkes vgl. die Dissertation des Verfassers S. 73ff.

    Doch wird es sich hier um eine besondere Form der Volksklagefeier handeln, nmlich um einen Klage- und Buakt zur Erneuerung des Bundes; vgl. dazu BALTZER a. a. O. S. 48 ff.

    10 Vgl. v. R A D a. a. O. S. 33 ff.

  • Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung 27

    nach, so schafft es um sich herum eine schicksalshafte Tatsphre11, in der Jahve die bei dem Bundesschluakt ausgesprochenen Segens-wnsche sich auswirken lt. bertritt es dagegen die Bundesver-pflichtung, so gert Israel in die andere Sphre, in der sich unter dem Zorn Gottes die Fluchworte realisieren. Es bedarf also gar keiner neuen Strafankndigung, um das Gericht in Gang zu setzen, denn das, was auf die bertretung zwangslufig folgen wird, ist seit dem Bundes-schlu als Mglichkeit schon immer da. An dem, was der Bundesgott seinem Volk widerfahren lt, kann es erkennen, in welcher Sphre es sich befindet.

    War Israel durch seinen Ungehorsam in die Sphre der Fluch-worte geraten, hatte es damit den Snde-Unheils-Ablauf in Gang ge-setzt und den Zorn seines Gottes erfahren, blieb ihm nur noch eine Mglichkeit. Es konnte in einer sakralen Bufeier Gott um Gnade bitten, da er den verhngnisvollen Kausalittszusammenhang unter-bricht und das ursprngliche Verhltnis, wie es vor der bertretung bestand, wiederherstellt. Dazu bedurfte es allerdings eines besonderen Wortes, das er dann auch durch das Erhrungsorakel whrend der Bufeier verkndigen lt.

    Eine willkommene Ergnzung zu diesem Schema liefert die Er-zhlung von Achans Diebstahl in Jos 7. Achan hatte sich an der dem Bundesgott geweihten Kriegsbeute vergriffen. Dadurch war die Ordnung des heiligen Krieges verletzt und das Gott-Volk-Verhltnis zerstrt12. Der gttliche Zorn war ber dem Bundesvolk entbrannt, und die Dinge nahmen ihren verhngnisvollen Verlauf, der israelitische Heerbann wurde geschlagen13. Daran erkannte das Volk, da es sich, ohne es gewut zu haben, in der verhngnisvollen Fluchsphre befand. So folgte die in diesem Falle bliche Klagefeier, v. 6 ff. Nach der ber-lieferung spricht Josua das Klagegebet, v. 7-9, in dem allerdings das Sndenbekenntnis fehlt, da der Beter ja von dem Diebstahl Achans noch nichts wei. Das folgende gttliche Orakel ist nun aber kein Heilsorakel, sondern es ist ein Gerichtswort, in dem begrndet wird, warum Israel unter den Zorn Gottes geraten war:

    Gesndigt hat Israel, ja sogar meine Bundessatzung haben sie bertreten, die ich ihnen anbefohlen hatte, ja von dem Gebannten haben sie genommen, haben gestohlen und gehehlt und es zu ihren Gerten getan. Daher knnen die

    11 Vgl. K L A U S KOCH, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament ? ZThK 1955, S. Iff.

    12 Vgl. V. RAD, Theologie des Alten Testaments Bd. I, Hnchen 1957, S. 263. 13 Da die Achan-Erzhlung in ihrer vorliegenden Form mit der Ai-Uberlieferung

    verbunden ist, erscheint als Folge des Zornes die Niederlage bei Ai. Zu dem hier vor-liegenden berlieferungsgeschichtlichen Problem vgl. M. NOTH, Das Buch Josua, Handb. z. AT. 1. Reihe Bd. 7, 2. Aufl. Tbingen 1953, S. 43ff.

  • 28 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

    Israeliten nicht mehr vor ihren Feinden bestehen. Den Rcken mssen sie ihren Feinden zukehren, denn sie sind selbst zu Gebanntem geworden14.

    In diesem Orakel wird zunchst festgestellt, da Israel den Bund gebrochen hat. Das klingt wie die Anklage des hintergangenen Bundes-partners. Aber da Jahve, wie wir sahen, als der Hintergangene immer auch gleichzeitig der Richter ist, ist das ganze Orakel eine Art richter-liches Urteil mit der Tatfolgebestimmung16. Allerdings ist es wichtig zu sehen, da mit dieser Tatfolgebestimmung nicht etwa eine Strafe angedroht oder verhngt wird, sondern die Strafe, die Israel bereits erlitten hat, und die es nun unter der Realitt der Fluchworte immer wieder neu erleiden kann, wird erklrt und begrndet. Das Ganze ist also mehr Rechtsbelehrung.

    Von hier aus legt sich der Vergleich mit den richterlichen Urteilen und Tatfolgebestimmungen, die wir in der prophetischen Literatur haben, nahe. So ist . B. die Brcke zu der Einheit Hos 4 1-3 sehr leicht zu schlagen:

    Hret das Wort Jahves, ihr Israeliten, denn Gericht hlt Jahve mit den Bewohnern des Landes. Frwahr, es fehlt Zuverlssigkeit, es fehlt

    Gemeinschaftssinn, und kein Wissen um Gott ist im Lande. Verfluchen und Tuschen, Mord Raub und Ehebruch

    reien ein 'im Lande', und Bluttat reiht sich an Bluttat. Darum soll das Land 'verdorren', hinwelken sollen alle seine Bewohner, mitsamt dem Getier des Feldes und den Vgeln des Himmels, und selbst die Fische des Meeres sollen hingerafft werden16.

    . ia ist die Exposition, die das gttliche Gerichtswort, das wir eben noch im Rahmen einer Kulthandlung sahen, in ein Gerichts-verfahren Jahves hineinstellt, v. ib-2 ist die Urteilsverkndigung17.

    14 V. 12a ist wahrscheinlich nachtrglicher Zusatz; vgl. NOTH a. a. O. 15 Interessant ist ein Blick auf die Form dieses Orakels. Sie hnelt sehr der

    Form der sog. richterlichen Urteile mit Tatfolgebestimmung; vgl. BOECKER Diss. S. 147 f. Von dem Tter wird in der 3. Pers. gesprochen. Im Urteilsspruch stehen die Verben im Perfekt, da eine abgeschlossene Handlung konstatiert wird. In der Folge-bestimmung steht dagegen das Imperfekt, denn das, was hier gesagt wird, dauert noch an. Ein hnlicher Text findet sich in Jdc 10 13. Er zeigt die gleichen Charakte-ristika. Dazu findet sich hier am Anfang der Tatfolgebestimmung das charakteristische ID1? Man kann immerhin fragen, ob diese Orakel sich schon bewut an die entsprechende Redeform der profanen Rechtsprechung anlehnen.

    16 Zum Text vgl. H. W. WOLFF, Hosea, S. 81. 17 Israel wird nicht wegen einer bestimmten Tat verurteilt, sondern wegen seines

    gottlosen Zustandes, daher jetzt die Nominalstze.

  • Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung 2 9

    Daran schliet sich in v. 3 die Urteilsfolgebestimmung18. Was ist hier gegenber dem Gerichtsorakel aus Jos 7 anders geworden ?

    In Jos 7 war Jahve der ganzen Intention einer Klagefeier ent-sprechend um ein Orakel gebeten worden. Nur weil die Voraussetzun-gen nicht da waren, wurde aus dem erwarteten Heilsorakel ein Gerichts-orakel. Die gleiche Situation, die zur Verkndigung eines gttlichen Gerichtswortes herausforderte, ist auch bei Hosea gegeben, aber mit einem entscheidenden Unterschied. Der ganze kultische Rahmen fehlt, so hatte auch niemand um ein gttliches Orakel gebeten, denn offen-sichtlich ahnte ja niemand, da das Verhltnis zu Gott nicht in Ord-nung war. Die Initiative zur Verkndigung des Hosea-Spruches mute damit von dem Propheten ausgehen. Das gab ihm die Mglichkeit, seinen Spruch in die Form einer Gerichtsverhandlung zu kleiden, zu der Jahve sein Volk als Anklger zitiert, und in dem er ihm das Urteil spricht. Im Inhalt des Spruches hat sich dadurch gegenber Jos 7 nichts gendert. In beiden Fllen wird dem Volk gesagt, wieso es den Bund gebrochen hat, da es sich also in der Unheils-Fluchsphre befindet und deshalb den Zorn Gottes tragen mu, und da damit der Bundesgott zum Anklger und Richter geworden ist. Lediglich der letzte Punkt, die Anklger- und Richterfunktion, die in Jos 7 bereits latent enthalten war, tritt durch die neue Einkleidung des Hosea-spruches jetzt klarer hervor.

    Vielleicht mchte man einen Unterschied zwischen diesen beiden Gerichtsworten auch darin sehen, da Israel nach Jos 7 den Zorn Gottes bereits ganz konkret durch eine Niederlage gesprt hat, whrend das in Hos 4 noch aussteht. Aber darauf kommt es hier gar nicht an. Wollte das Gerichtswort, das Josua hrte, erklren, da Israel sich in der Snde-Unheilsphre befand, so gilt das gleiche auch von Hos 4 3. Es ist ja nicht zu bersehen, da in der Beschreibung des Unheils bei Hosea nicht Jahve als Subjekt erscheint, ebensowenig wie in Jos 7 1219. Beide Sprche verknden also nicht etwa ein neues Gerichtshandeln, dessen Subjekt Gott wre, sondern beide verknden, da Israel sich nicht mehr im Bereich der gttlichen schalom-Garantie befindet, und da nun eine Kausalittskette abluft, die Gott schon lngst fest-gelegt hat.

    Es mag deutlich geworden sein, wie eng sich die Gerichtsrede, Hos 4 1-3, an die berlieferung von der Geschichte des Gottesbundes anschliet. Es war sogar eine kultische Situation sichtbar geworden, von der her Form und Inhalt des Hoseaspruches verstndlich werden.

    1 8 Eingeleitet durch ]D ; vgl. wieder die charakteristischen Imperfekta. 1 9 Der Schlu in v. 12 gehrt nicht ursprnglich hinzu, vgl. Anm. 14. Etwas

    anders liegen die Dinge in Jdc 10 13. Dort erscheint Jahve zwar als Subjekt, aber dafr wird von der Strafe nur ganz allgemein gesprochen. Darum werde ich euch nicht mehr erretten, daran sprt Israel, da es aus dem schalom-Bereich geraten ist.

  • 30 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

    Doch rechtfertigt diese Beziehung in keiner Weise eine These von einem kultischen Sitz im Leben der prophetischen Gerichtsreden, wie sie gelegentlich allerdings auf Grund von anderen Zusammenhngen vertreten worden ist. Diese kultische Situation war ja eben nicht die . B. von W R T H W E I N postulierte kultische Gerichtsliturgie, sondern es war eine Klagefeier ; es wurde auch kein Gericht verkndigt, sondern lediglich begrndet, warum das erbetene Heilsorakel ausblieb. Auer-dem weist die hier aufgezeigte Beziehung nur auf eine der unter den prophetischen Gerichtsreden mglichen Formen, von der es, soweit wir sehen, nur eine ausgefhrte Einheit gibt, nmlich die Rede des Richters, der das Urteil spricht. Die Beziehung zu dieser kultischen Situation, in der das Heilsorakel verweigert wird, besteht also lediglich darin, da der Anla zu den Gerichtssprchen mit ihrer besonderen Form und ihrer inneren Struktur Jahve steht als Anklger vor dem ungetreuen Bundesvolk und mu als Schirmherr ber sein eigenes Bundesverhltnis wie ein Richter das Urteil sprechen in beiden Fllen der gleiche ist.

    Betrachtet man von hier aus die anderen prophetischen Gerichts-reden, dann zeigt sich, da bei den Propheten der Ton gar nicht so sehr auf der Richterfunktion Gottes als vielmehr auf der Anklage-funktion liegt, die ja sowohl in Jos 7 als auch in Hos 4 deutlich durch-schimmerte. So knnen sie Anklagereden formulieren, die lediglich Anklagen Gottes enthalten. Das richterliche Urteil erbrigt sich, da es ja der gleiche sprechen mte, der die Anklagen vorgebracht hat. Bringt der gttliche Richter aber Anklagen vor, dann sind sie im Grunde schon ein Urteil. Aber auch der Vorschlag einer Strafe kann fehlen, denn bestehen die Anklagen zu Recht, ist bereits erwiesen, da das Bundesvolk in die Snde-Unheilsphre geraten ist, wo das Unheil ganz von selbst kommt20. Das soll an dem Beispiel Jes 118-20 erlutert werden.

    Diese Einheit, die wir im Rahmen unserer Untersuchung mit den Anklagereden zusammengenommen haben, gehrt zur Gattung der Appellationsreden, und zwar ist es eine Appellationsrede zur Einleitung eines Feststellungsverfahrens21 :

    Auf, wir wollen uns ein Rechtsurteil fllen lassen, spricht Jahve.

    Wenn eure Snden wie Scharlach sind, knnen sie dann fr wei gelten wie Schnee ?

    2 0 Vgl. die Anklagereden Jes l 2 b - 3 3 13-15 und Jer 2 10-13. Wenn Jes 5 1-7 doch eine Straffestsetzung enthlt, so liegt das an der besonderen, verschlungenen Form dieser Einheit. Die Straffestsetzung in v. 4 besttigt das Urteil, das die Brger Jerusalems nichtsahnend ber sich selbst gesprochen haben; vgl. zu dieser Einheit BOECKER Diss. S. 85ff.

    2 1 S. o. 2 unter den Appellationsreden Abs. c.

  • Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung 31

    Wenn sie rot sind wie Purpur, knnen sie dann wie Wolle sein ?

    Wenn ihr willig seid und gehorcht, so werdet ihr das Gut des Landes essen,

    wenn ihr euch aber weigert und widerspenstig seid, werdet ihr 'vom Schwert' gefressen22.

    v. 18a ist die Appellationsformel. Jahve fordert seinen Bundes-partner heraus, in einer Streitfrage, die die Grundlage des Bundes-verhltnisses berhrt, einen Rechtsstreit herbeizufhren. Das klingt zunchst noch ganz unverfnglich. Aber sobald dem scheinbar so kollegial angesprochenen Hrer aufgeht, da der Richter in diesem Verfahren ja niemand anders als Gott sein kann, erhalten diese Worte eine unerhrte Durchschlagskraft, v. i8b und c formulieren die Streit-frage. Die angesprochenen Bundespartner meinen wohl, da jede Snde durch irgendein Shne verfahren wieder beseitigt werden kann, so da man sich stndig unter der gttlichen Heilsgarantie des Bundes befindet. Der Appellant dagegen ist anderer Ansicht. Nur im Falle des Gehorsams bleibt Israel unter der schalom-Zusage Gottes. Aber Ungehorsam bleibt Ungehorsam und Widerspenstigkeit bleibt Wider-spenstigkeit ; das ist der Bereich der Snde, der ganz selbstverstndlich die Strafe folgt. Das klingt schon hrter, erscheint aber zunchst noch wie eine unbewiesene Behauptung. Doch der Mund des Herrn hat das gesagt, d. h. der Richter, der hier zu entscheiden hat, ist ja der Bundesgott, und damit ist die bestrittene Meinung des Appellanten bereits ein apodiktisches Urteil. Wer sich mit seinem Bundesgott in ein Rechtsverfahren einlt, hat das Urteil schon immer gegen sich. Angesichts dieser Sachlage gibt es fr Israel nur noch zwei Mglich-keiten : Entweder es gibt in dieser Meinungsverschiedenheit nach und erkennt freiwillig die Ansicht seines Gottes an, verzichtet also auf das Gerichtsverfahren, dann wird es das Gute des Landes essen. Oder aber es besteht auf seiner Meinung, lt es zu einem Verfahren kommen und ist damit als Snder entlarvt.

    Wir knnen hier den Fragenkreis BundestheologieAnklagereden verlassen. Es sollte deutlich gemacht werden, wie erst auf dem Hinter-grund der Bundestradition die Anklagereden der Propheten ihr eigent-liches Gewicht erhalten. Erst in dieser Perspektive zeigt sich, da die aus dem profanen Rechtsleben entlehnte Form der Gerichtsreden nicht nur eine Stilform oder eine Illustration der prophetischen Gerichts-worte darstellt, sondern diese Form ist schon an sich Kerygma. Sie erlaubt es, in kaum zu berbietender Deutlichkeit den Bundesgott als den hintergangenen Bundespartner zu zeigen, der nun das ein-treten lt, was Israel durch die bertretung des ihm gewhrten Heilsbundes selbst vorbereitet hat.

    22 Vgl. BHK.

  • 3 2 Die Anklagereden im Rahmen der Bundesvorstellung

    Jetzt bleibt uns nur noch ein Fragenkreis, nmlich die Verteidi-gungsreden Jahves. Lassen sie sich auch auf dem Hintergrund der Bundestheologie verstehen? Von unserer gewonnenen Position aus-gehend mssen wir ja voraussetzen, da auch in dieser Gattung Jahve jetzt als der Angeklagte identisch ist mit dem Richter. Daher mu unsere Frage konkret lauten: Ist es denkbar, da Jahve sich gegen Anklagen seines Volkes verteidigen mu und gleichzeitig der Richter in eigener Sache ist? Fllt auf diesen fr die Struktur einer Gerichtsverhandlung immerhin recht merkwrdigen Tatbestand von der Bundestheologie her ein erklrendes Licht ?

    Doch bevor wir diesem Fragenkreis nhertreten, sei noch ein Text errtert, der formal bereits zur Gattung der Verteidigungsreden gehrt, da Jahve selbstverstndlich wieder in seiner Identitt mit dem Richter als Verteidiger spricht. Angeklagter ist in dieser Einheit aber wie in den Anklagereden das Volk Israel. Somit darf diese Rede von der Stellung Israels aus gesehen unter den Anklage-reden betrachtet werden. Es ist die Einheit Jer 2 1-3, die der Stilistik und Formgebung nach allerdings als Fremdverteidigungsrede ange-sprochen werden mu 23.

    Ich erinnere zu deinem Gunsten an die Treue deiner Jugendzeit

    an die Liebe deines Brautstandes, als du in der Wste