· Beihefte zur ZeitschriftfürGeschichtsdidaktik Herausgegeben im Auftrag der Konferenz für...

44

Transcript of  · Beihefte zur ZeitschriftfürGeschichtsdidaktik Herausgegeben im Auftrag der Konferenz für...

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik

Herausgegeben im Auftrag der Konferenz fürGeschichtsdidaktik vom Vorstand

Band 12

Herausgegeben vom Vorstand der Konferenz fürGeschichtsdidaktik: Thomas Sandkühler, Charlotte Bühl-Gramer,Anke John, Astrid Schwabe und Holger Thünemann

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Michael Sauer / Charlotte Bühl-Gramer /Anke John / Astrid Schwabe /Alfons Kenkmann / Christian Kuchler (Hg.)

Geschichte im interdisziplinärenDiskurs

Grenzziehungen – Grenzüberschreitungen –Grenzverschiebungen

Mit 18 Abbildungen

V& R unipress

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þberhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 2198-5391ISBN 978-3-8470-0635-0

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter : www.v-r.de

� 2016, V&R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt.Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigenschriftlichen Einwilligung des Verlages.

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Inhalt

Michael SauerZum Stand von Disziplin und Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Charlotte Bühl-GramerGeschichte im interdisziplinären Diskurs. Grenzziehungen –Grenzüberschreitungen – Grenzverschiebungen. Einführung in dasTagungsthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Sektion 1: Historische Dimensionen in den Didaktikenkulturwissenschaftlicher Fächer

Charlotte Bühl-GramerHistorische Dimensionen in den Didaktiken kulturwissenschaftlicherFächer. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Kunibert BeringZwischen gestalterischer Praxis und Bildanalyse. Die Rolle derKunstgeschichte im kunstpädagogischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . 53

Konstantin LindnerDie historische Dimension religiösen Lernens. Status Quo undPerspektiven einer Kirchengeschichtsdidaktik im Horizont desReligionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Laurenz VolkmannHistory is bunk? Von der Gefahr des Verschwindens historischerDimensionen im kompetenzorientierten Englischunterricht . . . . . . . 85

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Carolin FührerHerausforderungen historischen Lernens in der Literaturdidaktik –Empirische und theoretische Perspektiven auf (kultur-)historischenLiteraturunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Sektion 2: Fächerübergreifendes und fächerverbindendeshistorisches Lernen und Lehren

Astrid SchwabeFächerübergreifendes und fächerverbindendes historisches Lernen undLehren. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Peter Gautschi / Nadine FinkLehrplanlyrik und Unterrichtsalltag in der Schweiz: Einblicke infächerverbindendes historisches Lernen in der deutsch- undfranzösischsprachigen Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Oliver PlessowIntegrierte Lehrkräfte? Das Fach ›Geschichte mit Gemeinschaftskunde‹an baden-württembergischen Berufsgymnasien inorganisationsanalytischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Michele BarricelliNarrationen für den Raum. Geschichtsbewusstsein als Hinsichtgeographischen Handelns – eine Chance für fächerverbindendes Lernen 173

Nikola Forwergk / Wolfgang MoschekGewagte Experimente. Interdisziplinäre Projekte in der universitärenLehramtsausbildung (Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften undMINT) in der Reflexion – ein Werkstattbericht . . . . . . . . . . . . . . . 191

Sektion 3: Grenzen – Entgrenzungen – Grenzgänger

Alfons KenkmannGrenzen – Entgrenzungen – Grenzgänger. Einführung . . . . . . . . . . . 213

Wolfgang HasbergVon Mythen und Ursprüngen der Geschichtsdidaktik. Grenz- undWiedergänger in der Geschichtsdidaktik – epistemologische Erwägungenzur Disziplingeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Inhalt6

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Patrick OstermannWie erfahrene Ausgrenzung transnationales Geschichtsbewusstsein schuf– Jüdische Intellektuelle als idealtypische Grenzgänger . . . . . . . . . . 243

Ullrich KockelEuropa in der Fremde / an der Grenze suchen: Öko-EthnologischeReflexionen über geschichtliche Verortungen . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Daniel GrothKolonialismus und Dekolonisation in nationalen Geschichtskulturen undErinnerungspolitiken in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Sektion 4: Grenzverschiebungen und Raumbezüge historischerBildung. Einführung

Anke JohnGrenzverschiebungen und Raumbezüge historischer Bildung. Einführung 289

Bernd-Stefan GreweEntgrenzte Räume und die Verortung des Globalen. Probleme undPotentiale für das historische Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Anja NeubertVon Grenzgängern und Zeitreisen. Historische Apps und AugmentedReality im Fokus historischen Lernens vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . 321

Ivonne DriesnerAlltägliches sehen lernen? Die Wahrnehmung und Verarbeitung derhistorischen Umgebung – eine empirische Studie . . . . . . . . . . . . . 341

Sektion 5: Quo vadis, Geschichtsdidaktik? Didaktik der Geschichte,ihre Bezugsdisziplinen und Bezugsfelder

Christian KuchlerQuo vadis, Geschichtsdidaktik? Didaktik der Geschichte, ihreBezugsdisziplinen und Bezugsfelder. Einführung . . . . . . . . . . . . . . 357

Bettina AlaviPädagogik als Bezugsdisziplin der Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . 363

Inhalt 7

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Bodo von Borries»Empirische Bildungsforschung« – die hauptsächliche (?)Bezugsdisziplin (?) der Geschichtsdidaktik? . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Frank-Michael KuhlemannHistorische Religionsforschung und Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . 399

Thomas SandkühlerGeschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 415

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Inhalt8

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Michael Sauer

Zum Stand von Disziplin und Verband

Der Vortrag zum Stand von Disziplin und Verband vereint traditionell den en-geren Bericht über die Entwicklungen und Tätigkeiten des Verbandes in denletzten zwei Jahren mit einem weiteren Ausblick auf den Stand der Disziplin.Über einige Verbandsaktivitäten hatte ich schon auf der außerordentlichenMitgliederversammlung berichtet, die im vergangenen Jahr am Rande desHistorikertags in Göttingen stattgefunden hat. Ich greife diese hier noch einmalauf.1

Innere Entwicklung des Verbandes

Ich beginne mit einigen grundlegenden Informationen. Die »Konferenz fürGeschichtsdidaktik« hat momentan 337 Mitglieder, darunter 9 korporative. Wirhaben damit nach Gewinnen und Verlusten in den letzten zwei Jahren 24 Mit-glieder hinzugewonnen. Vor zehn Jahren hatte die KGD knapp über 200 Mit-glieder. Im längerfristigen Vergleich zeigt sich also, dass wir ein erfreulichkontinuierliches Wachstum zu verzeichnen haben.

Information und Kommunikation

Die Homepage der KGD hat sich in den letzten Jahren zu einer professionellenund gut frequentierten Informations- und Kommunikationsplattform entwi-ckelt. Die Positionierung innerhalb des Portals historicum.net bietet einenMehrwert für beide Beteiligte. Insbesondere die Rubrik »Aktuelles« präsentiertzuverlässig die zentralen Informationen für unser Fach, was allerdings auf einer

1 Der Text entspricht bis auf kleine Veränderungen dem Vortrag. Ergänzt wurde der Abschnitt»Geschichtsdidaktische Neuerscheinungen«, der im Vortrag aus Zeitgründen entfallenmusste.

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

intensiven Betreuung durch Astrid Schwabe, unsere Referentin für Öffentlich-keitsarbeit, beruht. Zu einem anderen Punkt muss ich wiederholen, was ichschon vor zwei Jahren angesprochen habe: Unsere Homepage bietet die Mög-lichkeit, unter dem Stichpunkt »Forschung« und weiter »Projektübersicht« überQualifikationsvorhaben zu informieren, die an den einzelnen Standorten laufen.Diese Einträge dienen nicht nur der Information innerhalb der Disziplin, son-dern können auch ein Ausweis entsprechender Aktivitäten nach außen hin sein.Leider nutzen noch nicht alle Standorte dieses Instrument konsequent – ichkann nur appellieren, dies im Interesse der einzelnen Standorte wie der Disziplininsgesamt zu tun. In diesen Tagen wird es noch eine Neuerung auf unsererHomepage geben. Die Informationen zum Thema Nachwuchs sind bislang unterverschiedenen Stichworten verstreut untergebracht – der Vorstand wird jetztunter einem neuen Stichwort »Nachwuchs« den gezielten Zugriff darauf er-leichtern. Wie die Homepage hat sich auch unser seit 2007 erscheinenderNewsletter als Medium einer aktiven Verbandskommunikation etabliert.

Hinweisen möchte ich noch auf ein brandneues Angebot, das zwar kein KGD-Projekt ist, aber sich auf unser Fachgebiet bezieht und hier neue Maßstäbe setzt.Es handelt sich um den »Index Didacticorum«, eine kollaborative digitale Bi-bliografie. Sie ist in den vergangenen drei Jahren in einer Kooperation desZentrums für Elektronisches Publizieren der Bayerischen Staatsbibliothek sowieder Geschichtsdidaktik-Standorte Essen und Basel entwickelt und gerade zuWochenbeginn [39. KW 2015] freigeschaltet worden. Schon jetzt umfasst siemehr als 6.000 Titel. Diese sollen fortlaufend ergänzt werden, auch redaktionell,vor allem aber durch die Beteiligung aller, die in diesem Fachgebiet arbeiten: alsein gemeinsames Projekt zu gemeinsamem Nutzen also. Dank und Gratulationdazu an Marko Demantowsky und Markus Bernhardt.

Nachwuchsförderung

Auf der Mitgliederversammlung 2011 haben wir beschlossen, regelmäßig, aberan wechselnden Standorten Nachwuchstagungen zu veranstalten. Die letzteNachwuchstagung hat im vergangenen Jahr, organisiert vom Kollegen GerhardHenke-Bockschatz, an der Goethe-Universität Frankfurt stattgefunden. Auf dieAusschreibung zu dieser Tagung hat es weitaus weniger Anmeldungen gegebenals zwei Jahre zuvor. Sie fand deshalb in einem überschaubaren Rahmen mitinsgesamt 20 Teilnehmern statt, was aber einen intensiven Austausch in einersehr angenehmen Atmosphäre ermöglichte. Der Tagungsband ist in Vorberei-tung [mittlerweile erschienen]. Für die Organisation der Tagung und des Bandesim Namen der gesamten KGD herzlichen Dank an Gerhard Henke-Bockschatz.

Michael Sauer10

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Über die Ausrichtung der nächsten Nachwuchstagung werden wir uns in derMitgliederversammlung verständigen.

Noch ungeklärt ist die Frage, ob es von Seiten der KGD für den NachwuchsAngebote zur Schulung in empirischen Methoden geben solle und, wenn ja, wiediese inhaltlich konturiert und organisatorisch verankert werden sollten. AusNachwuchskreisen war auf früheren Tagungen dieser Wunsch deutlich artiku-liert worden. Um den tatsächlichen Bedarf zu erheben, hat der Vorstand dazu imvergangenen Jahr eine Umfrage vorgenommen. Das Echo war leider bescheidenund ernüchternd – es gab lediglich 14 Rückläufe. Die Ergebnisse lassen sichnicht direkt auf einen Nenner bringen: Gewünscht wird vor allem weiterfüh-rende Schulung in empirischen Methoden, quantitativ im Bereich induktiverStatistik und für die Arbeit mit SPSS, qualitativ für die Analyse von Videodatenund die Arbeit mit der Grounded Theory. Die Ergebnisse liegen momentan dem»Arbeitskreis empirische Geschichtsunterrichtsforschung« vor. An vielen, wennnicht den meisten Universitäten existieren mittlerweile ja Methodenzentrenoder Graduiertenschulen mit einschlägigen Angeboten, die freilich nicht speziellauf unser Fach abgestimmt sind. Ob und wie diese zielgerichtet und mit ange-messenem Aufwand ergänzt werden können, ist in Vorstand und Arbeitskreisnoch zu diskutieren.

Leitbilddiskussion

Auf der ordentlichen Mitgliederversammlung 2013 haben wir beschlossen, unsin einer außerordentlichen Mitgliederversammlung intensiver der konzeptio-nellen Diskussion innerhalb des Verbandes zu widmen. Diese Versammlung hatim September 2014 am Rande des Göttinger Historikertags stattgefunden. Be-schlossen wurde u. a. , in Ergänzung zur Satzung über die Formulierung einesLeitbildes für den Verband nachzudenken. Bärbel Völkel und Martin Lückehaben dafür einen ersten Entwurf vorgelegt, zu dem es diverse schriftlicheRückmeldungen gegeben hat. Ein im Vorfeld der hiesigen Tagung geplantesTreffen fand wenig Zuspruch. Das Thema Leitbild wird Tagesordnungspunkt aufunserer morgigen Mitgliederversammlung sein.

Verbandspolitik und »Außenbeziehungen«

Schon Ende 2013 sind die verschiedenen Disziplingesellschaften von der Kul-tusministerkonferenz dazu aufgefordert worden, die »Ländergemeinsamen in-haltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in

Zum Stand von Disziplin und Verband 11

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

der Lehrerbildung« im Hinblick auf das Thema Inklusion zu ergänzen. DerVorstand ist dem in Abstimmung mit mehreren Kolleginnen und Kollegen, diebei diesem Thema besonders engagiert sind, nachgekommen.

Im Juli letzten Jahres hat die Kultusministerkonferenz den Entwurf vonEmpfehlungen zur »Erinnerungskultur als Gegenstand historisch-politischerBildung in der Schule« vorgelegt. Im Rahmen der Verbändeanhörung wurde dieKGD um Stellungnahme dazu gebeten. Das Papier enthielt eine ganze Reiheaußerordentlich bedenklicher Ansätze und Formulierungen, die in Richtung aufein verordnetes Gedenken zielten; dem Fach Geschichte wurde dabei keinebesondere Rolle zugeschrieben. Die KGD und der »Verband der Historiker undHistorikerinnen Deutschlands« haben dazu auf Initiative des KGD-Vorstandsein gemeinsames kritisches Statement abgegeben. In der Endfassung der»Empfehlung« vom 11. 12. 2014 sind die von uns angesprochenen grundsätzli-chen Monita zwar nicht in vollem Umfang berücksichtigt worden, jedoch ist dasPapier im Sinne eines modernen Konzepts von Geschichts- oder Erinnerungs-kultur immerhin erkennbar differenzierter geworden. Insbesondere wird jetztauch die genuine Zuständigkeit des Faches Geschichte explizit angesprochen.Unsere Stellungnahme kann auf der KGD-Homepage nachgelesen werden.

Gewissermaßen der Dachverband aller didaktischen Disziplingesellschaftenist die »Gesellschaft für Fachdidaktik«. Wir gehören zu ihren Mitgliedern undführen jährlich einen Mitgliedsbeitrag von im Moment ca. 390 Euro an sie ab.Die GFD verstärkt zunehmend ihre Aktivitäten. Neben den inzwischen regel-mäßig stattfindenden Tagungen wird jetzt dort eine eigene Zeitschrift mit demTitel »Research in Subject Matters Teaching and Learning« (RISTAL) ins Lebengerufen, deren erstes Heft 2016 erscheinen soll. Finanziert wird sie zunächstüber eingeworbene Mittel. Mit diesen Aktivitäten verbundene Steigerungen derBeitragskosten sollten wir im Auge behalten. Davon abgesehen stellt die GFD alsPlattform gewiss ein sinnvolles Instrument dar, um die Position der Didaktikengegenüber den Fachwissenschaften, Drittmittelgebern und Ministerien zustärken.

Der letzte Historikertag hat im vergangenen Jahr in Göttingen stattgefunden.Die Geschichtsdidaktik war lediglich mit einer Sektion beteiligt, die von BettinaAlavi, Martin Lücke, Bärbel Völkel und Heike Wolter organisiert worden war :»Geschichtsunterricht ohne Verlierer? – Inklusion als Herausforderung für dieGeschichtsdidaktik in Theorie, Empirie und Pragmatik«. Als Mitglied desOrtskomitees habe ich selbst an der Organisation des »Forum Geschichte inWissenschaft und Unterricht« mitgewirkt. Dies war ein spezielles Angebot anGeschichtslehrkräfte, das in dieser Form zum ersten Mal gemacht wurde. Es gabeine Diskussionsveranstaltung zu »Orientierungen, Konzepten und Prinzipiendes Geschichtsunterrichts in Europa«, eine Debatte über den Beginn des ErstenWeltkriegs sowie eine Sektion zu neueren Turns in der Geschichtswissenschaft

Michael Sauer12

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

und ihre (mögliche) Bedeutung für den Unterricht. Das »Forum« soll auf demnächsten Historikertag in Hamburg fortgesetzt werden. Dieser Historikertagwird unter dem Motto »Glaubensfragen« stehen, was sich natürlich nicht nur aufreligionsgeschichtliche Fragestellungen bezieht. Thematische Stichworte undHinweise zum Verfahren finden sich auf der Seite des Historikerverbands.Sektionsvorschläge können bis Ende Oktober dort angemeldet werden. Prinzi-piell konkurrieren alle Bewerbungen miteinander ; die Ablehnungsquote lagbeim Göttinger Historikertag bei über 50 Prozent. Üblicherweise können aberzumindest zwei Anträge aus der Geschichtsdidaktik zum Zuge kommen.

Publikationen der KGD

Ich komme zu den Publikationen der KGD. Seit unserer letzten Tagung sind zweiHefte der »Zeitschrift für Geschichtsdidaktik« erschienen, mit denen wir zen-trale Problembereiche und Forschungsfelder des Faches thematisiert haben. DasJahresheft 2014 war dem Thema »Forschungsfeld Geschichtslehrkräfte« ge-widmet, Heftherausgeber war Manfred Seidenfuß. Das aktuelle Heft befasst sichmit dem Thema »Sprache und historisches Lernen«, es wurde betreut von SaskiaHandro.2 Ihnen beiden sei an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich für ihreengagierte Arbeit gedankt. Das Heft des nächsten Jahres wird dem Thema»Geschichtsdidaktik postkolonial« gewidmet sein, es wird betreut vom KollegenBernd-Stefan Grewe. Der Call for Paper zu diesem Heft wurde bereits per E-Mailversendet. Eine Anmerkung zum Ablauf des Peer-Review-Verfahrens: DerHeftherausgeber gibt die Beiträge anonymisiert an den Vorstand weiter, der siedann an die Gutachter verteilt. Das Prozedere hat sich mittlerweile eingespielt,wenngleich der Pool der beteiligten Personen bei unserer kleinen Disziplinnatürlich grundsätzlich überschaubar ist.

In der Reihe »Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik« sind seit un-serer letzten Tagung vier Bände erschienen: der Tagungsband der Ludwigs-burger Nachwuchstagung3, der Tagungsband der Göttinger Zweijahrestagung4

sowie die Dissertationen von Georg Kanert5 und Christian Spieß6, beides em-

2 Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 13, 2014: Forschungsfeld Geschichtslehrkräfte; Zeitschriftfür Geschichtsdidaktik 14 (2015): Sprache und historisches Lernen.

3 Tobias Arand/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? EinQuerschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses.Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 7).

4 Michael Sauer/Charlotte Bühl-Gramer/Anke John/Marko Demantowsky/Alfons Kenkmann(Hrsg.): Geschichtslernen in biographischer Perspektive. Nachhaltigkeit – Entwicklung –Generationendifferenz. Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik,Bd. 9).

5 Georg Kanert: Geschichtslehrerausbildung auf dem Prüfstand. Eine Längsschnittstudie zum

Zum Stand von Disziplin und Verband 13

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

pirische Studien, die sich mit der Professionalisierung von Geschichtslehr-kräften bzw. mit der Praxis von Quellenarbeit im Geschichtsunterricht befassthaben. In Vorbereitung ist der Band zur Frankfurter Nachwuchstagung [mitt-lerweile erschienen]. Wie vor zwei Jahren darf ich bei dieser Gelegenheit nocheinmal daran erinnern, dass in dieser Reihe, die vom jeweils amtierenden Vor-stand herausgegeben wird, sowohl einzelne Forschungsarbeiten als auch Ta-gungsbände erscheinen können. Qualifikationsarbeiten von Mitgliedern werdenmit einem Zuschuss von 625 Euro unterstützt. Voraussetzung für die Aufnahmein die Reihe ist bei Dissertationen eine Benotung mit mindestens magna cumlaude.

Geschichtsdidaktische Neuerscheinungen

Ein kurzer Blick sei noch auf andere geschichtsdidaktische Neuerscheinungengeworfen. Erwähnt werden einschlägige Reihen und einzelne Werke mit Hand-buchcharakter.

Im Jahre 2011 hatten Elisabeth Erdmann und Wolfgang Hasberg einenDoppelband vorgelegt, der unter dem Titel »Facing, Mapping, Bridging Diver-sity« eine Überblick über die Ausrichtung und Organisation von »HistoryEducation« in den Staaten der EU geben und damit die Basis für einen inten-siveren übernationalen Diskurs legen sollte.7 Ähnliche Intentionen verfolgt derin diesem Jahr erschienene und von denselben Kollegen herausgegebene Band»History Teacher Education«8, in dem über 15 Staaten nicht nur der EU berichtetwird. Es geht um die Ausbildung von Geschichtslehrkräften und die Bedeutungvon Geschichtsdidaktik, aber auch um allgemeinere Fragen wie den Stellenwertvon Geschichte in der jeweiligen Gesellschaft. Beide Bände bieten eine sehrhilfreiche Orientierung, die auch zu einem verfremdeten Blick auf das Eigene,vermeintlich Selbstverständliche führt.

Gleichfalls um eine internationale Perspektive geht es in dem 2014 erschie-nenen, von Manuel Köster, Holger Thünemann und Meik Zülsdorf-Kersting

Professionalisierungsprozess. Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidak-tik, Bd. 6).

6 Christian Spieß: Quellenarbeit im Geschichtsunterricht. Die empirische Rekonstruktion vonKompetenzerwerb im Umgang mit Quellen. Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift fürGeschichtsdidaktik, Bd. 8).

7 Elisabeth Erdmann/Wolfgang Hasberg (Eds.): Facing, Mapping, Bridging Diversity. Foun-dation of a European Discourse on History Education. 2 Parts. Schwalbach/Ts.: Wochenschau2011.

8 Elisabeth Erdmann/Wolfgang Hasberg (Eds.): History Teacher Education. Global Interrela-tions. Schwalbach/Ts. 2015.

Michael Sauer14

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

herausgegebenen Band »Researching History Education«.9 Er informiert überdie Ausrichtung der empirischen geschichtsdidaktischen Forschung in ver-schiedenen Ländern Europas, in Kanada und in den USA. Dabei bilden sich, wieim Titel schon angesprochen, spezifische Forschungstraditionen der Länder ab.Auch dieser Band bietet eine gute Orientierungsgrundlage.

Markus Furrer und Kurt Messmer haben das 2013 erschienene »HandbuchZeitgeschichte im Geschichtsunterricht« herausgegeben.10 Man mag grund-sätzlich darüber streiten, wie sinnvoll solche Ansätze einer »Epochendidaktik«sein mögen. Das von Hanns-Fred Rathenow, Birgit Wenzel und Norbert H.Weber herausgegebene »Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust«11 ver-eint Beiträge von sehr unterschiedlichem Gewicht von Grundlagenartikeln biszu Praxisberichten. In beiden Fällen wird, wie die Rezensenten einhellig bemerkthaben, der Anspruch eines »Handbuchs«, das einen systematischen Überblicküber ein Forschungs- oder Arbeitsfeld geben soll, nicht in vollem Umfang rea-lisiert.12

Auf unserer letzten Zweijahrestagung in Göttingen ging es in der Ab-schlusssektion um die »Zeitgeschichte der Geschichtsdidaktik«. Welche Dis-kurse, aber auch personellen Bezüge die Siebzigerjahre als Gründungsphase dermodernen Geschichtsdidaktik prägten, rekonstruiert Thomas Sandkühler inseinem 2014 erschienenen Band »Historisches Lernen denken«, der hier alseinzige Monographie erwähnt sei.13 Er dokumentiert 14 sehr detailliert kom-mentierte Interviews mit Protagonisten und Protagonistinnen dieser Zeit undbietet damit Einsichten in eine durchaus noch gegenwartswirksame Disziplin-geschichte.

Der größte Teil geschichtsdidaktischer Publikationen erscheint nach wie vor

9 Manuel Köster/Holger Thünemann/Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Researching HistoryEducation. International Perspektives and Disciplinary Traditions. Schwalbach/Ts. 2014.

10 Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht(= Forum Historisches Lernen). Schwalbach/Ts. 2013.

11 Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozia-lismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildungund Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013.

12 Vgl. zum Handbuch Zeitgeschichte die Rezensionen von Christoph Pallaske in: Zeitschriftfür Geschichtsdidaktik 13 (2014), S. 160f. , Christian Schmidtmann in: H-Soz-Kult, 26. 6.2014 (http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21792) sowie Bernd-StefanGrewe in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10, 15. 10. 2014 (http://www.sehepunkte.de/2014/10/24379.html); zum Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust vgl. Karl-Heinrich Pohl inZeitschrift für Geschichtsdidaktik 13 (2014), S. 186–189, Oliver Plessow in: sehepunkte 14(2014), Nr. 6, 15. 06. 2014 (http://www.sehepunkte.de/2014/06/24477.html) sowie JulianeWetzel in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 9 (2015), H. 16,S. 1–4 (http://www.medaon.de/pdf/medaon_16_Wetzel.pdf), alle aufgerufen am 2. 9. 2015.

13 Thomas Sandkühler (Hrsg.): Historisches Lernen denken. Gespräche mit Geschichtsdi-daktikern der Jahrgänge 1928–1947. Mit einer Dokumentation zum Historikertag 1976.Göttingen 2014.

Zum Stand von Disziplin und Verband 15

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

im Wochenschau Verlag im Rahmen unterschiedlicher Reihen, die das ganzeSpektrum von forschungsorientierten Arbeiten bis zu Praxishandreichungenabdecken. Am umfangreichsten, am klarsten konturiert und wohl auch am er-folgreichsten ist die Reihe »Methoden historischen Lernens«, in der zuletzt dieBände »Historisches Lernen diagnostizieren«14 von Peter Adamski und »OralHistory im Geschichtsunterricht«15 von Gerhard Henke-Bockschatz erschienensind.

In der Reihe »Geschichtskultur und historisches Lernen« des LIT-Verlages,herausgegeben von Bernd Schönemann und Saskia Handro, sind im Berichts-zeitraum die Dissertationen von Manuel Köster über »Historisches Textverste-hen«16 und von Markus Drüding über »Akademische Jubelfeiern«17 erschienen,dazu ein Sammelband der Reihenherausgeber über »Raum und Sinn – Dieräumliche Dimension der Geschichtskultur«18. In der von denselben Kollegenherausgegebenen Reihe »Zeitgeschichte – Zeitverständnis« wurden vier stu-dentische Abschlussarbeiten, drei davon in einem Sammelband vereint, undeine weitere Dissertation herausgebracht.19

In seiner Reihe »Historica und Didactica« hat der Röhrig Universitätsverlagin den letzten Jahren eine ganze Reihe geschichtsdidaktischer Veröffentlichun-gen publiziert. In der Unter-Reihe »Fortbildung Geschichte« sind seit 2013 vierBände herausgegeben worden, drei von ihnen unter Beteiligung von BärbelKuhn.20 Adressaten sind Lehrkräfte sowie Fachleiterinnen und Fachleiter, die

14 Peter Adamski: Historisches Lernen diagnostizieren. Lernvoraussetzungen – Lernprozesse –Lernleistungen. Schwalbach/Ts. 2014.

15 Gerhard Henke-Bockschatz: Oral History im Geschichtsunterricht (= Methoden histori-schen Lernens). Schwalbach/Ts. 2014.

16 Manuel Köster : Historisches Textverstehen. Rezeption und Identifikation in der multieth-nischen Gesellschaft. Berlin 2013.

17 Markus Drüding: Akademische Jubelfeiern. Eine geschichtskulturelle Analyse der Univer-sitätsjubiläen in Göttingen, Leipzig, Münster und Rostock (1919–1969). Berlin 2014.

18 Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Raum und Sinn. Die räumliche Dimension derGeschichtskultur. Berlin 2014.

19 Viola Schrader : Geschichte als narrative Konstruktion. Eine funktional-linguistische Ana-lyse von Darstellungstexten in Geschichtsschulbüchern. Berlin 2013. Bernd Schönemann/Holger Thünemann (Hrsg.): Kompetenzorientierung, Lernprogression, Textquellenarbeit.Aktuelle Schulbuchanalysen. Berlin 2013. Sabine Omland: NS-Propaganda im Unterrichtdeutscher Schulen 1933–1943. Die nationalsozialistische Schülerzeitschrift »Hilf mit!« alsUnterrichts- und Propagandainstrument. Längsschnittuntersuchungen im Erscheinungs-zeitraum 1933–1943, Herausgabebedingungen, Autorenbiografien und tabellarische Dar-stellung von Analyseergebnissen. 2 Bde. Berlin 2014.

20 Bärbel Kuhn/Astrid Windus (Hrsg.): Umwelt und Klima im Geschichtsunterricht (Historicaet Didactica. Fortbildung Geschichte, Bd. 4). St. Ingbert 2013. Michael Wobring/SusannePopp/Daniel Probst/Claudius Springkart (Hrsg.): Flugblätter – Plakate – Propaganda. DieArbeit mit appellativen Bild-Text-Dokumenten im Geschichtsunterricht (Historica et Di-dactica. Fortbildung Geschichte, Bd. 5). St. Ingbert 2013. Bärbel Kuhn/Susanne Popp/JuttaSchumann/Astrid Windus (Hrsg.): Geschichte erfahren im Museum (Historica et Didactica.

Michael Sauer16

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Orientierungen und Materialangebote für innovative, noch wenig für den Un-terricht erschlossene Themen erhalten sollen.

Im Kohlhammer Verlag existieren momentan zwei geschichtsdidaktischeReihen. In der von Werner Heil herausgegebenen Reihe »Geschichte im Unter-richt« liegen nach fünf Bänden aus seiner eigenen Feder inzwischen zwei weiterevor: »Vom Sinn des Lernens an der Geschichte« von Jens Dreßler21 sowie »Bi-lingualer Geschichtsunterricht« von Michael Maset22. Waltraud Schreiber ist dieHerausgeberin der neuen Reihe »Geschichtsdidaktik qualifiziert«, in der bislangzwei Bände erschienen sind: Von ihr zusammen mit Alexander Schöner undFlorian Sochatzy der Band »Analyse von Schulbüchern als Grundlage empiri-scher Geschichtsdidaktik«23, von Catrin B. Kollmann der Band »HistorischeJubiläen als kollektive Identitätskonstruktion«24.

Ganz neu schließlich ist die Reihe »Geschichtsdidaktische Studien«, die imBerliner Logos-Verlag von Bettina Alavi, Markus Bernhardt, Charlotte Bühl-Gramer, Marko Demantowsky und Thomas Hellmuth herausgegeben wird. Alserste Bände dieser Reihe sind in diesem Jahr [2015] die Dissertation von MarcoZerwas mit dem Titel »Lernort ›Deutsches Eck‹«25 sowie der von ChristophPallaske herausgegebene Tagungsband »Medien machen Geschichte«26 er-schienen.

Neben diesen Reihen gibt es selbstverständlich eine Vielzahl von Einzelver-öffentlichungen. Welche inhaltlichen Schwerpunktbildungen lassen sich er-kennen? Vor allem bei den Qualifikationsarbeiten stehen empirische Frage-stellungen nach wie vor hoch im Kurs. Methodische Bandbreite und Kompetenzhaben erkennbar zugenommen, wobei mit wenigen Ausnahmen nur qualitativeVerfahren Anwendung finden. Unter den Empiriethemen scheint mir nach wievor – ich habe das schon vor zwei Jahren angesprochen – die Lehrerforschung

Fortbildung Geschichte, Bd. 6). St. Ingbert 2014. Bärbel Kuhn/Astrid Windus (Hrsg.): DerErste Weltkrieg im Geschichtsunterricht. Grenzen – Grenzüberschreitungen – Medialisie-rung von Grenzen (Historica et Didactica. Fortbildung Geschichte, Bd. 7). St. Ingbert 2014.Bärbel Kuhn/Astrid Windus (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg im Geschichtsunterricht. Grenzen –Grenzüberschreitungen – Medialisierung von Grenzen (Historica et Didactica. FortbildungGeschichte, Bd. 7). St. Ingbert 2014.

21 Jens Dreßler : Vom Sinn des Lernens an der Geschichte. Historische Bildung in schultheo-retischer Sicht. Stuttgart 2012.

22 Michael Maset: Bilingualer Geschichtsunterricht. Didaktik und Praxis. Stuttgart 2015.23 Waltraud Schreiber/Alexander Schöner/Florian Sochatzy : Analyse von Schulbüchern als

Grundlage empirischer Geschichtsdidaktik. Stuttgart 2013.24 Catrin B. Kollmann: Historische Jubiläen als kollektive Identitätskonstruktion. Stuttgart

2014.25 Marco Zerwas: Lernort »Deutsches Eck«. Zur Variabilität geschichtskultureller Deutungs-

muster. Berlin 2015.26 Christoph Pallaske: Medien machen Geschichte. Neue Anforderungen an den geschichts-

didaktischen Medienbegriff im digitalen Wandel. Berlin 2015.

Zum Stand von Disziplin und Verband 17

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

unterbelichtet zu sein, auch im Vergleich mit anderen Fachdidaktiken. Ge-schichtskulturelle Phänomene bleiben ein thematischer Schwerpunkt. Undschließlich nehmen unterrichtspraktische Arbeiten einen breiten Raum ein, wiees sich für eine Vermittlungswissenschaft auch gehört.

Stellenausschreibungen und Besetzungsverfahren

Seit unserer letzten Tagung hat es wieder eine Reihe von Ausschreibungen undBesetzungen geschichtsdidaktischer Professuren gegeben; Stellen neu besetztwurden in Bochum, an der PH Freiburg, in Köln, Mainz, Paderborn und Ros-tock, noch nicht abgeschlossen sind Besetzungsverfahren in Bielefeld, abermalsBochum, Flensburg (gleich zwei Stellen), Kiel, München und Tübingen. Den neuberufenen Kolleginnen und Kollegen sei an dieser Stelle herzlich gratuliert.

Drittmittel – DFG-Fachkollegien

Vor zwei Jahren hatte ich das Problem angesprochen, dass es bei der DFG keinspezielles Fachkollegium für Fachdidaktiken gibt. Anträge aus unserem Bereichwerden also in der Regel abschließend – je nach Thema – entweder von Fach-historikern oder aber vornehmlich von Erziehungswissenschaftlern oder Psy-chologen beurteilt. In die Begutachtungen sind allerdings stets Geschichtsdi-daktiker und Geschichtsdidaktikerinnen involviert; Voraussetzung ist, dassdiese irgendwann einmal durch eigene Projekte bei der DFG aktenkundig ge-worden sind. In diesem Jahr werden nun wieder die Wahlen zu den Fachkolle-gien stattfinden, und es steht diesmal, soweit ich sehe zum ersten Mal überhaupt,für den Bereich »Allgemeines und fachbezogenes Lehren und Lernen« innerhalbdes Kollegiums »Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung« auch einGeschichtsdidaktiker zur Wahl, nämlich Dietmar von Reeken. Bei prominenterKonkurrenz haben wir hier also zum ersten Mal die Möglichkeit, einen eigenenKandidaten zu unterstützen. Noch eine Anmerkung zum Verfahren der Kan-didatenfindung. In früheren Jahren wurden die Kandidaten allein von denFachgesellschaften vorgeschlagen. Diesmal sind auch alle Universitäten undandere Forschungseinrichtungen stimmberechtigt. Nominiert werden imPrinzip die Kandidaten mit den meisten Vorschlägen, wenngleich der Senat derDFG auch noch Gewichtungen vornehmen kann. Das hat dazu geführt, dass sichUniversitäten zu Blöcken zusammengetan haben, um ihre gemeinsamen Kan-didaten durchzubringen. Man mag bezweifeln, ob dies im Bereich der Forschungein angemessenes Auswahlverfahren darstellt ; im Historikerverband wird eskritisch gesehen. Die KGD war übrigens, wie auch alle anderen Didaktikge-

Michael Sauer18

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

sellschaften, nicht vorschlagsberechtigt, sondern nur die »Gesellschaft fürFachdidaktik«.

Umfrageergebnisse

Ich komme zu den Ergebnissen der Umfrage zum Stand der Disziplin, die icherneut im Vorfeld unserer Tagung vorgenommen hatte. Diese scheint mir einsehr gutes Instrument zu sein, mit dem wir alle gemeinsam einen Überblick überdie Situation und gewissermaßen auch die Stimmungslage in der Geschichts-didaktik gewinnen können. Ich habe in diesem Jahr genau dieselben Items wieim Jahre 2013 verwendet, so dass Vergleiche möglich sind. Versendet wurden 58Fragebögen an die einzelnen Geschichtsdidaktik-Standorte, es gab 31 Rückläufe,also eine Quote von 53 Prozent – die Beteiligung hätte ich mir durchaus etwaslebhafter vorstellen können.27 Da wir wegen der Anonymität der Auswertungnicht festgehalten haben, inwieweit die Rückläufe der beiden Erhebungsjahre imHinblick auf die Standorte übereinstimmen, relativieren sich auch wieder dieVergleichsmöglichkeiten. Bei den geschlossenen Items ging es schlicht um dieHäufigkeitsverteilung; bei den offenen Items wurden die Antworten in Kate-gorien zusammengefasst, von denen ich nur die relevantesten referiere.

Ausstattung

Die Einschätzung der personellen Ausstattung hat sich nach den quantitativenAngaben verbessert. In Bezug auf die Lehre wird sie von 65 Prozent der Ant-wortenden als ausreichend angesehen; vor zwei Jahren waren es 47 Prozent.

27 Zu Beginn des Jahres 2014 hat eine größer angelegte Befragung von MINT-Fachdidaktike-rinnen und Fachdidaktikern im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung stattgefunden.Versendet wurden hier 413 Fragebögen, die Rücklaufquote betrug 45,8 Prozent. Ergänzendwurde eine Zufallsauswahl von 100 Nicht-MINT-Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikernbefragt; hier lag die Rücklaufquote bei 50 Prozent. Deutsche Telekom Stiftung: MINT-Fachdidaktiken in Deutschland. Eine empirische Erhebung zur aktuellen Situation. Bonn2014, S. 5. Der Fragebogen enthielt Items zu folgenden Bereichen: 1 Fragen zur Person, 2 ZurAkzeptanz/Wahrnehmung in Fakultät und Hochschule, 2.1 Wissenschaftliche Einordnungder Fachdidaktik in Forschung und Lehre, 2.2 Konsequenzen aus der Bologna-Reform für dieFachdidaktik, 2.3 Zur Nachwuchssituation in den Fachdidaktiken, 3 Zur Forschung in derFachdidaktik, 4 Forschungskooperationen, 5 Akzeptanz/Sichtbarkeit der fachdidaktischenForschung bei Schulen/Lehrkräften, 6 Fortbildung von Lehrer/inne/n, 7 Theorie-Praxis-Ausbildung (Praxisphasen/Praxissemester), 8 »Quer- und Seiteneinsteiger«, 9 Beziehung/Verhältnis zur Bildungsadministration (Wissenschaft und Kultus). In der genannten Bro-schüre werden die Items nicht einzeln genannt und die Ergebnisse nur kursorisch berichtet.Es ergeben sich deshalb nur wenige Vergleichsmöglichkeiten mit unserer Befragung.

Zum Stand von Disziplin und Verband 19

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Umgekehrt beurteilen in diesem Jahr 35 Prozent die Personalausstattung imHinblick auf die Lehre als unzureichend gegenüber 53 Prozent beim letzten Mal.Beklagt wird hier vor allem ein Mangel an festen Stellen, mit denen die Lehreverlässlich abgedeckt werden kann. Hoher Lehr- und Betreuungsbedarf entstehedurch neue Bachelor- und Masterstudiengänge sowie durch Praktika. Schlechterwird die Personalsituation im Hinblick auf Forschung eingeschätzt. 42 Prozentder Antwortenden sehen sie als ausreichend an, 58 Prozent als unzureichend;die Vergleichswerte für 2013 lauteten 41 und 59 Prozent, hier hat sich also fastnichts verändert. Was sind die Monita? An acht der beteiligten Standorte gibt estrotz Professur keine dauerhaften Qualifikationsstellen. Forschung müsse, daswird mehrfach angeführt, über Drittmittel finanziert werden, die wiederumschwer zu generieren seien.

Die Beurteilung der finanziellen Ausstattung hat sich verbessert: Betrachte-ten sie vor zwei Jahren 53 Prozent als ausreichend und 44 Prozent als unzurei-chend, so lauten die Werte diesmal 58 und 42 Prozent. Trotz leicht positiverTendenzen bleibt insgesamt die Ausstattung offensichtlich ein erheblichesProblem. Die Freitextantworten belegen, dass es dabei nicht um »Jammern aufhohem Niveau«, sondern um die Sicherung einer tragfähigen Grundausstattunggeht.

Verhältnis zur Fachwissenschaft

Das Verhältnis zur Fachwissenschaft vor Ort wurde vor zwei Jahren mit64 Prozent überwiegend positiv eingeschätzt, von 19 Prozent als schwierig. Diepositiven Voten sind leicht zurückgegangen auf 61 Prozent, die kritischen habenauf 29 Prozent zugenommen – man wird daraus gewiss keinen Trend ablesenkönnen, es ist aber auf jeden Fall kein positives Signal. Die Freitextantwortensind hier relativ detailliert. Mehrfach beklagt wird, dass die Fachkolleginnen und-kollegen zu wenig Verständnis für die Disziplin Geschichtsdidaktik und ihrespezifischen Belange, Konzepte und Forschungsfragen aufbrächten; Koopera-tion gebe es kaum. Umgekehrt ist aber auch von problemloser Anerkennung undZusammenarbeit die Rede. Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass integrativeAnsätze durch die Studienstruktur erschwert würden. In diesem Punkt scheintes eine besonders große Varianz je nach Standort und nach beteiligten Personenzu geben.

Michael Sauer20

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Studiengänge

Der Didaktikanteil an den Lehramtsstudiengängen wird von 58 Prozent alsgenau richtig angesehen – vor zwei Jahren waren es 67 Prozent. 35 Prozenthalten ihn für zu gering gegenüber 30 Prozent 2013. Als zu hoch wird der Di-daktikanteil kaum eingeschätzt, weder 2015 noch 2013. An 45 Prozent der be-teiligten Standorte hat es in den beiden letzten Jahren eine Veränderung derStudiengänge gegeben. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle, nämlich71 Prozent, ist es dabei zu einer Erhöhung des Anteils der Geschichtsdidaktikgekommen. Dem stehen – in absoluten Zahlen – vier Standorte gegenüber, andenen sich die Anteile der Geschichtsdidaktik verringert haben. Wie es zu dieserGegenbewegung zum generellen Trend kommt, lässt sich aus den Angaben nichtgenau erkennen; als ein Punkt wird genannt, dass die Einführung neuer Auf-gaben wie Inklusion und Sprachbildung auf Kosten genuin fachdidaktischerInhalte gehe.

Die Auswirkungen der Modularisierung werden wie vor zwei Jahren ambi-valent beurteilt, allerdings ist die Zahl der Befürworter zurückgegangen. Warenes 2015 noch 64 Prozent aller Antwortenden, so sind es in diesem Jahr nur noch55 Prozent; die negativen Voten sind von 25 auf 32 Prozent angestiegen. Wieschon vor zwei Jahren werden »Verschulung« mit inhaltlicher Einengung und»Jagd nach ECTS-Punkten«, außerdem ein erhöhter Verwaltungs- und Betreu-ungsaufwand der Lehrenden beklagt. Angeführt wird auch eine Schwerpunkt-verlagerung hin zu Pädagogik und Psychologie, die zu einer Schwächung derfachwissenschaftlichen Ausbildung führe. Positiv genannt werden eine stärkereVerbindlichkeit in den Studienstrukturen und -inhalten.

Erfahrungen mit Praxissemestern liegen bei 55 Prozent aller Antwortendenvor. 71 Prozent von diesen äußern sich positiv ; vor zwei Jahren hielten sichpositive und negative Voten noch genau die Waage. Hier scheint also die Zu-friedenheit zugenommen zu haben. Positiv hervorgehoben wird der verstärktePraxisbezug, der auch eine sinnvolle Verknüpfung mit fachdidaktischer Theorieund Reflexion zulasse. Moniert wird dagegen eine Entfachlichung der Ausbil-dung, da im Praxissemester allgemeindidaktische und schulpädagogische Fra-gen im Vordergrund ständen. Außerdem sei die Belastung der Studierenden sehrhoch, die Kontinuität der universitären Ausbildung werde unterbrochen. DerErfolg des Praxissemesters sei von einer adäquaten Betreuung abhängig; diesesei in den Schulen aber nicht gewährleistet, und zwischen den beteiligtenHochschullehrern und Seminarausbildern komme es zu Verwerfungen.28

28 In der MINT-Befragung wird die Zusammenarbeit von erster und zweiter Phase bei denPraxissemestern in einem spezifischen Item vorwiegend positiv beurteilt. MINT-Fachdi-daktiken, S. 14. Vgl. zu Erfahrungen mit Praxissemestern Kerstin Arnold: Das gymnasiale

Zum Stand von Disziplin und Verband 21

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Schließlich liege der Zeitpunkt des Praxissemesters im zweiten Studienjahr zufrüh, weil die Studierenden noch nicht über ausreichendes fachliches undfachdidaktisches Wissen verfügten.

Zur bevorstehenden Einführung von Praxissemestern liegen nur fünf Ant-worten vor, bei denen mit drei zu zwei die kritischen überwiegen. Erhofft werdeneine intensivere Theorie-Praxis-Verzahnung, eine Stärkung der Geschichtsdi-daktik, auch verbesserte Möglichkeiten für empirische Zugänge. Die Befürch-tungen entsprechen den Monita derjenigen, die bereits einschlägige Erfahrun-gen gesammelt haben; außerdem sei mit Kapazitätsproblemen in Schule undHochschule zu rechnen, in einem Fall auch durch vorgesehene Schulungen vonMentoren an der Universität.

An 13 Standorten ist die Geschichtsdidaktik in den letzten zwei Jahren eva-luiert worden – das sind zwei Standorte mehr als im Vergleichszeitraum, wie-derum eine erstaunlich hohe Zahl. In fünf Fällen habe dies positive Auswir-kungen auf die Situation der Geschichtsdidaktik vor Ort gehabt, in ebenfalls fünfausdrücklich nicht. In einem Fall habe die Evaluation zur Einrichtung einerProfessur geführt, in einem anderen habe sich jetzt die Chance dazu eröffnet. DieGeschichtsdidaktik, ihre konzeptionelle und strukturelle Aufstellung, sei positivgewürdigt worden. In einem Fall wird erwähnt, dass zwar im Rahmen derEvaluation eine unzureichende Ausstattung der Geschichtsdidaktik moniertworden sei, dies aber aufgrund der Finanzlage der Universität zu keinen Ver-änderungen geführt habe.

Qualifikationsarbeiten und Projekte

An acht der beteiligten Standorte gab es in den letzten beiden Jahren ge-schichtsdidaktische Promotionen; insgesamt waren es 15. Laufende Promoti-onsprojekte gibt es an 26 Standorten, es sind insgesamt 81 Arbeiten im Ent-stehen. Zwar kann man die Zahlen für die laufenden und die abgeschlossenenArbeiten nicht unmittelbar miteinander vergleichen, tendenziell scheint aberdie Abschlussquote bei 50 bis 60 Prozent zu liegen. Weitaus seltener sind Ha-

Lehramtsstudium im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Überlegungen zur Ver-zahnung von Geschichtsstudium und Praxissemester. In: Geschichte in Wissenschaft undUnterricht 65 (2014), H. 11/12, S. 660–671; Thomas Mayer: Das Praxissemester als Praxis-element in der Lehrerausbildung. Chancen und Bedenken. In: ebd. S. 672–682; Anke John:Das Praxissemester in der Mitte des Geschichtslehrerstudiums nach dem Jenaer Modell. Wielassen sich Theorieskepsis und Transferwiderstände geschichtsdidaktischen Denkens auf-lösen? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 67 (2016), H. 3/4, S. 187–189; Chris-toph Wilfert: Das Praxissemester als Element der universitären Geschichtslehrerausbildung.Strukturen, empirische Befunde und Perspektiven. In: ebd. S. 190–206.

Michael Sauer22

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

bilitationen: Es gab an vier Standorten jeweils eine abgeschlossene Habilitation,von fünf Standorten werden insgesamt acht laufende Habilitationsvorhabenangegeben.

Drittmitteleinwerbungen gaben 71 Prozent der Standorte an; allerdingsbezog sich das Item nicht ausdrücklich auf den letzten Zweijahreszeitraum, sodass der Anteil der Neueinwerbungen nicht genau zu beziffern ist. Darunterbefanden sich lediglich fünf DFG-Projekte – immerhin zwei mehr als bei derletzten Umfrage.29 Das thematische Spektrum ist sehr weit gespannt, klareSchwerpunkte lassen sich kaum identifizieren; wie beim letzten Mal wird Ge-schichtskultur häufiger genannt. An internationalen Kooperationen beteiligtsind 68 Prozent der Standorte, ein gegenüber 2013 nochmals erhöhter Wert.

Standing der Geschichtsdidaktik

Den Abschluss des Fragebogens bildete ein offenes, inhaltlich sehr weit gehal-tenes Item zum aktuellen Standing der Geschichtsdidaktik: »Wie würden Sieinsgesamt das heutige Standing der Geschichtsdidaktik in Deutschland cha-rakterisieren? Welche Potentiale, Probleme und Desiderate sehen Sie?« Wie vorzwei Jahren hat es darauf zum Teil sehr ausführliche und detaillierte Antwortengegeben, in denen ganz unterschiedliche Aspekte angesprochen werden undabweichende, oft sogar gegensätzliche Wertungen zu Tage treten. Ich versuchedie wesentlichen Tendenzen zusammenzufassen.

Positive und negative Gesamteinschätzungen halten sich insgesamt dieWaage. Als positiv werden im Einzelnen ein zunehmendes Selbstbewusstsein derDisziplin, eine stärkere Etablierung in den Studiengängen – das wurde schon vorzwei Jahren unterstrichen – und eine erfreuliche Publikationsbreite wahrge-nommen. Der Nachwuchs bewege sich heute auf einem hohen theoretischen undmethodischen Niveau. Negativ wird vor allem mangelnde Beachtung von Seitender Fachwissenschaft und anderer Nachbardisziplinen vermerkt. Aufgaben-überbürdung gehe mit unzureichender Ausstattung einher. Noch immer gebe esan manchen für das Fach ausbildenden Hochschulen keine geschichtsdidakti-sche Professur. Berufungsverfahren seien oft von fachfremden Erwägungenbestimmt, die Besetzung von Professuren zuweilen problematisch. Auch hierwerden noch einmal die Probleme bei der Drittmittelgewinnung angesprochen.

Konzeptionell sei die Positionierung der Geschichtsdidaktik gegenüber undzwischen anderen Disziplinen unscharf. Genau wie vor zwei Jahren wird auf dereinen Seite eine mangelnde Theoriediskussion konstatiert, auf der anderen Seite

29 Bei der MINT-Befragung ergibt sich ebenfalls ein geringerer Drittmittelanteil der DFG (unddes BMBF) im Vergleich zu Ländern und Stiftungen. MINT-Fachdidaktiken, S. 11.

Zum Stand von Disziplin und Verband 23

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

vor zu großer Theorielastigkeit gewarnt. Im Hinblick auf die empirische For-schung dominieren die mahnenden Stimmen: Es bestehe die Gefahr einer»empirischen Schlagseite« insbesondere bei den Qualifikationsarbeiten; derheutige Nachwuchs habe auch kaum noch fachwissenschaftliche Kompetenz inForm einschlägiger Publikationen vorzuweisen. Die Empirie führe nur seltenüber eine Defizitanzeige hinaus. Es mangele an Praxisorientierung und »Pra-xiswirkungsabsicht«. Entwicklungspotentiale werden im Bereich von publichistory gesehen, zugleich wird aber moniert, man habe dieses Arbeitsfeld zuleicht preisgegeben. Stichworte zu den Perspektiven verweisen auf internatio-nale und interdisziplinäre Kooperation.

Bilanz und Ausblick

Der Gesamteindruck dieser Befragungsergebnisse ist wie vor zwei Jahren am-bivalent. Trotz einer Verbesserung der personellen Lehrsituation sind wir voneiner grundsätzlichen Zufriedenheit mit der Ausstattung noch weit entfernt. DasVerhältnis zur Fachwissenschaft und die Verankerung der Geschichtsdidaktik inden Studiengängen werden tendenziell kritischer gesehen als vor zwei Jahren.Die Argumente Pro- und Contra Praxissemester haben sich nicht verändert,wenn auch die Zustimmung offenbar zugenommen hat. Ziemlich weit ausein-ander gehen die Einschätzungen zur aktuellen Situation der Geschichtsdidaktik.Auffallend sind vor allem die gegensätzlichen Einschätzungen zu den Haupt-arbeitsfeldern der Geschichtsdidaktik. Offenbar scheint es bei der Beurteilungvon Theorie und Empirie innerhalb der Disziplin geradezu unterschiedlicheDenkrichtungen zu geben. Die Frage, wie sich die Geschichtsdidaktik zu an-deren Wissenschaften positionieren solle, wurde auf unserer Mitgliederver-sammlung vor zwei Jahren ebenfalls erkennbar kontrovers angesprochen.

Aber ist es denn überhaupt notwendig, sich in diesen Punkten eindeutig zupositionieren? Selbstverständlich hat die Geschichtsdidaktik die beiden Be-zugsbereiche der Geschichtswissenschaft einerseits und der Erziehungswis-senschaften, Pädagogik oder auch der Pädagogischen Psychologie andererseits.Stärker als manch andere Didaktik ist sie an der Fachwissenschaft orientiert. Jeausschließlicher sich dagegen eine Didaktik als vorwiegend empirisch for-schende Disziplin versteht, desto mehr wird sie sich zu Pädagogik und Psy-chologie als Bezugswissenschaft hinwenden. Gewiss besteht hier Diskussions-bedarf, und eben diese Diskussion wird in der Abschlusssektion unserer hiesi-gen Tagung auch geführt werden. Freilich kann es auf keinen Fall darum gehen,hier eine ein für allemal gültige Positionierung vorzunehmen oder etwa vor-schreiben zu wollen, wie diese denn für die gesamte Disziplin auszusehen habe.Denn schließlich hängt dies immer ab von den Forschungsfeldern und For-

Michael Sauer24

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

schungsfragen, mit denen jede und jeder Einzelne sich beschäftigt. Solche Po-sitionierungen sind mithin immer individuell und von Zeit zu Zeit wechselnd.

Das gilt genauso für die Standortbestimmung innerhalb der drei klassischenGegenstandsbereiche der Didaktik, also der Theorie/Konzeptionsbildung, Em-pirie und Pragmatik (dazu genommen vielleicht noch die Disziplingeschichte).Auch diese Standortbestimmung kann immer nur sehr persönlich ausfallen. DieDisziplin als Ganze sollte selbstverständlich Aktivitäten auf all diesen Gebietennachweisen können. Die einzelne Vertreterin oder der einzelne Vertreter wirdfür sich stets – schon aus arbeitsökonomischen Gründen – Akzente setzenmüssen.

Gleichwohl sollten wir bei einer solchen Standortbestimmung nicht überse-hen, dass es auch Erwartungen von außen gibt, die an uns gerichtet werden. Dasgilt nicht nur für diejenigen, die wir an den Hochschulen ausbilden, sondernauch für eine weitere Klientel an den Schulen, die von uns Hilfestellungen bei derGestaltung und Optimierung von Geschichtsunterricht erwartet. Diese Erwar-tungen können eher im Bereich von Konzepten, von Methoden oder von Un-terrichtsvorschlägen liegen. Im Moment sind sie sicherlich besonders ausge-prägt bei den (alle miteinander zusammenhängenden) Fragen der Kompe-tenzentwicklung, des Umgangs mit Heterogenität (bis hin zur Inklusion), desDiagnostizierens und Differenzierens, dies alles fachspezifisch verstanden. Hiersehe ich durchaus eine gewisse Dienstleistungsfunktion, die wir erfüllen sollten:Mit einer erkennbaren Reichweite unterstützend und optimierend in die Schulehinein zu wirken sollte ein wesentliches Legitimationsmoment unserer Tätigkeitsein und zu unserem disziplinären Selbstverständnis gehören.

Zum Stand von Disziplin und Verband 25

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Charlotte Bühl-Gramer

Geschichte im interdisziplinären Diskurs. Grenzziehungen –Grenzüberschreitungen – Grenzverschiebungen. Einführungin das Tagungsthema1

Tagungsort und Tagungsthema sind auf der XXI. Tagung der Konferenz fürGeschichtsdidaktik komplementär aufeinander bezogen:1. Mit der Stadt Aachen, im Grenzgebiet zu den Niederlanden und Belgien bzw.

im Zentrum der Euregio Maas-Rhein gelegen, einer Europaregion um dieStädte Aachen, Lüttich und Maastricht sind wir, um nur einige Lagebezie-hungen und Zuschreibungen zu nennen, mit dem Thema »Grenzen« alsGegenstandsbereich und mit der Frage nach Raumbezügen historischerBildung gleichsam vor Ort.

2. Der Gastgeber dieser Tagung, Christian Kuchler, ist seit 2012 Inhaber einesLehrstuhls an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen,der nicht nur mit seiner Denomination »Didaktik der Gesellschaftswissen-schaften« in der bundesdeutschen Hochschullandschaft bislang einzigartigist.2 Mit dem Versuch einer fachdidaktischen Verklammerung der FächerGeschichte, Politik und katholische Religionslehre – unter Ausklammerungder Geographie – und der Geschichtsdidaktik als Leitdisziplin hat derLehrstuhl einen Zuschnitt, der allerdings weniger programmatisch, sondernhauptsächlich den konzeptionellen hochschul- und finanzpolitisch moti-vierten Umgestaltungen der RWTH Aachen geschuldet ist.3 Die Frage nachVerhältnisbestimmungen, Selbstverständnissen und interdisziplinären Dis-kursen von Fachdidaktiken stellt sich somit auch untermittelbar an unseremTagungsort.

1 Der Vortragstext wurde nur geringfügig verändert und mit Fußnoten versehen. Der Vor-tragsduktus ist im Wesentlichen erhalten geblieben.

2 Zwar wurde 1976 an der Universität Gießen ein eigenes »Institut für Didaktik der Gesell-schaftswissenschaften« gegründet, doch handelte es sich hierbei um Professuren zur Didaktikder politischen Bildung bzw. der Sozialwissenschaften. (URL: https://www.uni-giessen.de/fbz/fb03/institute/isd/Abteilungen/Didaktik/Geschichte, aufgerufen am 12. 7. 2015).

3 Christian Kuchler : Didaktik der Gesellschaftswissenschaften in Forschung und Lehre: dasAachener Modell. In: zdg 5 (2014), H. 1, S. 159–163.

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

3. Damit einher gehen schließlich Fragen nach fächerübergreifendem, fächer-verbindendem oder in Fachverbünden situiertem historischem Lehren undLernen und schließlich

4. Fragen nach der Bedeutung und dem Spektrum der sogenannten Bezugs-disziplinen der Geschichtsdidaktik.

Bevor einige zentral erscheinende Aspekte und Fragestellungen in diesem weitenFeld umrissen werden sollen, gilt es, sich zunächst in gebotener Kürze denbeiden Leitbegriffen der Tagung, der »Interdisziplinarität« und der »Grenze«, zunähern:

Unter Interdisziplinarität im Bereich von Wissenschaft und Universität kannman – dem Philosophen und Theologen Clemens Sedmak folgend – prinzipiell»eine Form der koordinierten Zusammenarbeit zwischen verschiedenen wis-senschaftlichen Disziplinen verstehen, die stärker oder schwächer ausgeprägtsein kann und dem Ziel dient, Synergieeffekte zu erzielen und Forschungsarbeitzu optimieren.«4 Dabei gibt es stärkere und schwächere Versionen von Inter-disziplinarität : Stärkere Varianten umfassen gemeinsame Arbeiten zu einemThema, gemeinsame Projektarbeit oder ein gemeinsames Lehr- und Lernpro-gramm, schwächere einen Ideen- und Meinungsaustausch, fachübergreifendeKommunikation, Literaturrezeption oder die Benutzung disziplinfremderQuellen und Forschungsmethoden. Beide Kooperationsformen sind Themaunserer Tagung.

Damit sind wir beim Begriff der Grenze, der kein theoriesprachlicher Begriffist, sondern im Vokabular aller Sprachen existiert. Dadurch ist er zwar einerseitsanschaulich, wird aber andererseits auch in hohem Maße metaphorisch ver-wendet. Christoph Kleinschmidt hat erst jüngst in einem Beitrag die Ambivalenzund Polyvalenz des semantischen Profils der Grenze als ein zentrales Charak-teristikum entfaltet.5 Werden Grenzen heute vor allem im Bereich von Moral undEthik beschworen, erfahren sie im Bereich der Politik mit guten Gründen einenormative Niedrigbewertung und sind dagegen aus sozialpsychologischer Sichtals Abgrenzungen für Ich- und Gruppenidentitäten wichtig.6 Bezogen auf dasTagungsthema des interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurses ist auch daswissenschaftssoziologische Konzept der »Grenze« mehrdeutig: Zum einen wirddie Verwendung von Territorialitätsmetaphern zur Charakterisierung des in-terdisziplinären Diskurses auch kritisch gesehen, da die Frage nach Machtan-

4 Clemens Sedmak: Zur Ethik der Interdisziplinarität. In: Historische Mitteilungen 21 (2008),S. 12–37, hier S. 12.

5 Christoph Kleinschmidt: Semantik der Grenze. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 4–5/14,S. 3–8.

6 Harald Welzer : Grenzen, Identität und Erinnerung. In: Peter Lautzas (Hrsg.): Grenzenlos?Grenzen als internationales Problem. Schwalbach/Ts. 2010, S. 13–22.

Charlotte Bühl-Gramer28

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

sprüchen, Koordinationsmechanismen, internen Hierarchien und strategischenPraktiken noch brennender werden, wenn der interdisziplinäre Raum »besetzt«,von »feindlicher Übernahme«, »Landgewinnen« oder einem »Pyrrhussieg« ge-sprochen wird.7 Kritisch eingewandt wird auch, dass die Verwendung vonGrenzmetaphern das territoriale Aufteilen einer endlichen Ressource des Wis-sensbestandes suggeriert, wo doch Wissensgebiete und -gegenstände durch dieGenese einer neuen Disziplin erst neu geschaffen werden, so dass sich dasTerritorium also erweitert. Interdisziplinarität bedeutet demgemäß eben nichtWiedervereinigung, sondern das Ausprobieren von Unterscheidungen, die vonbestehenden disziplinären Programmen abweichen.8

Zum anderen wird in durchaus positiver Bewertung unter disziplinärenGrenzziehungen die notwendige Markierung einer Differenz als Ergebnis derInnendifferenzierung der Wissenschaft gesehen. Grenzziehungen sind damitnicht nur als »Teil interessengeleiteter Professionalisierungsstrategien derWissenschaftler zu sehen«9, sondern wie der Philosoph Konrad Paul Liessmannin seinem Buch »Lob der Grenze« ausführt, auch als Voraussetzung zu verstehen,um in einem erkenntnistheoretischen Sinn unterscheiden und damit überhaupterst erkennen zu können.10 Diese Grenzziehung ist dabei nicht statisch, nicht alsLinie zu verstehen, sondern als dynamischer Prozess eines ständigen Neuzie-hens und Verwischens von Grenzen ebenso innerhalb wie auch zwischen Dis-ziplinen aufzufassen, was in der Wissenschaftssoziologie als »boundary work«11,also als Arbeit an der Grenze bzw. den Grenzen bezeichnet wird. In diesem Sinnesind Grenzen von Disziplinen nicht nur im Sinne einer Distanznahme zu ver-stehen, sondern als produktive Aushandlungszonen, wie sie auch im kultur-wissenschaftlich gewendeten Verständnis des »spatial turn« konzeptualisiertwerden.12

Interdisziplinarität bedeutet demgemäß nicht Disziplinlosigkeit, sondernsetzt disziplinäre Identitäten und eine »Gegenstandsgewissheit«13 voraus. Daher

7 Vgl. Sedmak (Anm. 4), S. 26.8 Vgl. Falk Schützenmeister : Zwischen Problemorientierung und Disziplin. Ein koevolutio-

näres Modell der Wissenschaftsentwicklung. Bielefeld 2008, S. 44.9 Jürgen Kocka: Disziplinen und Interdisziplinarität. In: Jürgen Reulecke/Volker Roelcke

(Hrsg.): Wissenschaften im 20. Jahrhundert. Universitäten in der modernen Wissensge-sellschaft. Stuttgart 2008, S. 107–117, hier S. 108f.

10 Vgl. Konrad Paul Liessmann: Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft.Wien 2012, S. 34.

11 Bettina Beer/Matthias Koenig: Grenzziehungen im System wissenschaftlicher Disziplinen –Der Fall der »Kulturwissenschaft(en)«. In: Sociologia Internationalis 47 (2009), H. 1, S. 3–38.

12 Vgl. Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns, Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte,29. 3. 2010 (URL: http://docupedia.de/zg/Cultural_Turns?oldid=107014, aufgerufen am12. 06. 2015).

13 Bernd Schönemann: Geschichtsdidaktik in erweiterten Perspektiven. Versuch einer Bilanznach drei Jahrzehnten. In: Saskia Handro/Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.): Geschichtsdidak-

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 29

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

beinhalten Überlegungen zum interdisziplinären Diskurs immer auch Überle-gungen und Fragen zur eigenen Disziplin und ihren Erkenntnismöglichkeitenund -grenzen, zu ihrem Profil und Proprium.

Interdisziplinarität kann die Sensibilität gegenüber den Grenzen der eigenenMöglichkeiten schärfen und diese Grenzen durch zusätzliche Instrumentehinausschieben. Der Grad interdisziplinärer Orientierung ist dabei auch stetseine Gratwanderung zwischen als notwendig erachteter Pluralisierung und be-fürchteter Unterminierung der Fachkohärenz. Aus dem Gegeneinander vonzentripetalen und zentrifugalen Kräften entsteht, wie Jürgen Osterhammel diesfür die Geschichtswissenschaft formulierte, ein Spannungsverhältnis zwischenZunftautismus und Entgrenzung bzw. Grenzverlust.14 Es »räumelt« also nichtnur allenthalben15, so könnte man resümieren, sondern es »grenzelt« auch –nicht zuletzt bildeten »Grenzen« auch 2010 die Tagungsthemen des Histori-kertags in Berlin und der 2. Schweizerischen Geschichtstage in Basel.

Mit Blick auf die Geschichtsdidaktik erfährt das Thema noch einmal eineerhebliche Komplexitätssteigerung. Denn im Unterschied zu Aufstieg und Fallverschiedener Leitdisziplinen der Geschichtswissenschaft, zu der Historikerbesondere Nähe verspürten und verspüren, ist in der Geschichtsdidaktik vonnoch engeren Verknüpfungen mit anderen Fächern zu sprechen, die gemeinhinals »Bezugsdiziplinen« bezeichnet werden. Darüber hinaus ist der schulischeGeschichtsunterricht als bedeutsamer Teil der Geschichtskultur nicht der aus-schließliche Gegenstand geschichtsdidaktischer Reflexion und Forschung, dieBeschäftigung mit Geschichtskultur aber auch kein Allsteinstellungsmerkmalder Geschichtsdidaktik. Und schließlich befassen sich auch Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftler anderer Disziplinen mit Geschichte und deren Ver-mittlung. Das Feld historischen Lehrens und Lernens und der Vermittlung vonGeschichte wird nicht allein von der Geschichtsdidaktik bestellt. Museen, Ge-denkstätten und Archive sind wichtige Agenturen der Geschichtskultur undInstanzen der Geschichtsvermittlung. Die Einschätzung, wie intensiv hierKontakte zu und Kooperationen mit Geschichtsdidaktik ausgebildet sind, fälltunter Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktikern unterschiedlichaus und ist wohl auch individuell unterschiedlich.16 Oliver Plessow hat etwa

tik. Identität – Bildungsgeschichte – Politik. Karl Ernst Jeismann zum 50jährigen Doktor-jubiläum. Münster 2007 (ZfL-Texte Bd. 18), S. 9–30, hier S. 30.

14 Vgl. Jürgen Osterhammel: Die Einheit der Geschichtswissenschaft: vertikal, horizontal,diagonal. In: GWU 60 (2009), S. 166–172, hier S. 171.

15 Axel Gotthard: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raumes in der Vormoderne. Frankfurta. M./New York 2007, S. 18–27, hier S. 19.

16 Vgl. Wolfgang Hasberg: Mapping Diversity – oder : Muss die Geschichtsdidaktik in Europasich neu erfinden? In: Historische Mitteilungen 23 (2010), S. 104–137, hier S. 135f. ; vgl. dazuauch den Zwischenruf von Michele Barricelli : Worüber sprechen wir eigentlich? In: Public

Charlotte Bühl-Gramer30

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

jüngst darauf verwiesen, dass die geschichtsdidaktische Forschung zu histori-schem Lernen außerhalb schulischer Kontexte noch immer von einem schul-bezogenen Verständnis dominiert ist und im Kontext des Geschichtskultur-Paradigmas angeleitete, nicht schulische, non-formale Bildungsangebote fürJugendliche in der nonformalen Jugendbildung derzeit nur ein Randphänomenund ein Forschungsdesiderat darstellen.17

Dieses komplexe Feld in Gänze zu erörtern, ist im Rahmen dieser Einführungnicht möglich und kann im Folgenden nur in Stichworten und Fragen ange-deutet werden.

1. Geschichtsdidaktik als Teildisziplin und Dimension derGeschichtswissenschaft

Da historisches Denken als eine spezifische Form von Lernen anzusehen ist unddie Geschichtsdidaktik aus der historischen Kenntnis selbst Prozesse des Leh-rens und Lernens entfaltet, ist sie sowohl Teildisziplin und als auch Dimensionder Geschichtswissenschaft.18 Sie ist als »Praxis der zielgruppenorientierten,medienbedingten, wirkungsabsichtsleiteten intersubjektiven Konstruktion vonVergangenheitsdeutungen zu begreifen«19, so dass sie tief in die Matrix derGeschichtswissenschaft eingewoben ist. Wolfgang Hasberg bilanzierte jüngst inkritischer Absicht, dass dieses Selbstverständnis – bei unverzichtbarer Nähe zuden zahlreichen Bezugsdisziplinen – nicht mehr unumstößlicher Konsens in dergeschichtsdidaktischen »scientific community« sei.20 Bodo von Borries hat da-

History Weekly 1 (2013) 11. (DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013–629, aufgerufen am 1. 7.2015).

17 Vgl. Oliver Plessow: Vom Rand in die Mitte der Disziplin: Historisches Lernen in der non-formalen beziehungsweise »außerschulischen« Jugendbildung und sein Stellenwert in derGeschichtsdidaktik. In: Tobias Arand/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Neue Wege, neue The-men, neue Methoden? Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wis-senschaftlichen Nachwuchses. Göttingen 2014, S. 135–152, hier S. 146.

18 Vgl. Jörn Rüsen: Historik und Didaktik. Ort und Funktion der Geschichtstheorie im Zu-sammenhang von Geschichtsforschung und historischer Bildung. In: Erich Kosthorst(Hrsg.): Geschichtswissenschaft. Didaktik – Forschung – Theorie. Göttingen 1977, S. 48–64,hier S. 50.

19 Marko Demantowsky : Die Didaktik der Geschichte als »Fachdidaktik« – Abgrenzungen,Vereinnahmungen, Selbstverständnis. In: Ders./Volker Steenblock (Hrsg.): Selbstdeutungund Fremdkonzept. Die Didaktiken der kulturwissenschaftlichen Fächer im Gespräch. Bo-chum/Freiburg 2011, S. 93–53, hier S. 48; vgl. auch Bernd Mütter : Geschichtsdidaktik alsDimension der Geschichtswissenschaft. Ein Beispiel aus der Lehrbucharbeit (Geschichts-buch 4). In: Internationale Schulbuchforschung 14 (1992), S. 251–277.

20 Vgl. Wolfgang Hasberg: Unde venis? Betrachtungen zur Zukunft der Geschichtsdidaktik. In:Arand/Seidenfuß (Anm. 17), S. 15–62, hier S. 48.

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 31

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

gegen diese Selbstzuordnung der Geschichtsdidaktik als »Babylonische Gefan-genschaft«21 der Fachdidaktik in der Fachwissenschaft bezeichnet, die durch dieKategorie bzw. das Forschungsfeld der Geschichtskultur quasi auf kulturwis-senschaftlichem Umweg eine Öffnung zur Interdisziplinarität erreicht habe.Versteht man Disziplinen als Voraussetzung für Interdisziplinarität, dürftengeschichtswissenschaftliche Zuordnung und kulturwissenschaftliche Prägungjedoch keine Gegensätze darstellen. Ob die Zuordnung der Geschichtswissen-schaft zu den Bezugsdisziplinen der Geschichtsdidaktik in der letzten Sektionlediglich äußeren, tagungsorganisatorischen Faktoren geschuldet ist, wird dieVermessung dieses Feldes durch die Vorträge erweisen.22

2. Geschichtsdidaktik und ihre Bezugsdisziplinen

Wissenschaftliche Lehrerbildung ist durch Interdisziplinarität und eine Vielfaltder Bezugsdisziplinen gekennzeichnet, damit der Komplexität des GegenstandesRechnung getragen werden kann. Als zentrale Bezugsdisziplinen der Ge-schichtsdidaktik werden dabei in der Regel die Pädagogik und die Psychologiesowie die Sozial- bzw. Gesellschaftswissenschaften genannt. Doch schon dieseAufzählung bereitet Schwierigkeiten, da sich auch »die« Bezugsdisziplinen ih-rerseits permanent ausdifferenzieren und innerdisziplinär die eigenen Zustän-digkeiten, Grenzziehungen und -überschreitungen diskutieren und verhandeln.Stellvertretend hierfür soll auf die Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft undihre Diskussion um den Begriff der Bildungswissenschaften23 sowie auf den23. Kongress der deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft verwiesenwerden, der 2013 unter dem Leitthema »Erziehungswissenschaftliche Grenz-gänge. Markierungen und Vermessungen« stand.24 Mit der »empirischenWende« in der Geschichtsdidaktik ist überdies die empirische Sozialforschungeine wichtige Bezugsdisziplin geworden. Der Kranz geschichtsdidaktischer»Bezugsdisziplinen« ist also sowohl mit Blick auf den Geschichtsunterricht wieauch mit dem Forschungsgegenstand außerschulischer Geschichtskultur inpermanenter Erweiterung begriffen. An dieser Stelle können nur einige Beispieleaufgezählt werden: Die Medien- und Kommunikationswissenschaften und das

21 Bodo von Borries: Empirische – und andere? – Forschungsmethoden der Fachdidaktiken inden ›Humanities‹ – am Beispiel der Domäne Geschichte. In: Demantowsky/Steenblock(Anm. 19), S. 98–137, hier S. 102.

22 Vgl. den Beitrag von Thomas Sandkühler in diesem Band.23 Vgl. Ewald Terhart: »Bildungswissenschaften«: Verlegenheitslösung, Sammeldisziplin,

Kampfbegriff ? In: Zeitschrift für Pädagogik 58 (2012), H. 1, S. 22–39.24 Vgl. Hans-Rüdiger Müller/Sabine Bohne/Werner Thole (Hrsg.): Erziehungswissenschaftli-

che Grenzgänge. Markierungen und Vermessungen. Opladen u. a. 2013.

Charlotte Bühl-Gramer32

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

historische Lernen im digitalen Wandel25 oder der sich erst in Gang befindlicheKompetenztransfer zwischen der Geschichtsdidaktik und der Sonderpädagogik,um sich der Herausforderung der Inklusion – ein Modus der Grenzüberwindungim Sinne einer kulturellen Teilhabe – stellen zu können.26 Die fachspezifischeProfilierung des Zusammenhangs von Sprachlichkeit und historischem Lernen,Thema der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik im Jahr 2015, ist mit Blick auf dieFlüchtlingskinder von tagesaktueller und höchster Brisanz und ohne die Be-zugsdisziplinen Linguistik oder Sprachsoziologie nicht möglich.27 Undschließlich hat Hans-Jürgen Pandel bereits in seinem Bericht zur Sektion»Historische Sinnbildung« auf dem Historikertag in Halle im Jahr 2002 daraufverwiesen, dass im Zuge eines Geschichtsunterrichts in einer kleiner werdendenWelt28, also im Bezugsfeld von Migration, Fremdverstehen, interkulturellemLernen und der Frage nach sog. hybriden Identitäten, Post- und Transdaseins-formen, die Ethonologie bzw. Sozial- und Kulturanthropologie als Bezugswis-senschaften herangezogen werden sollten.29 Es stellt sich daher die Frage, ob der

25 Vgl. Uwe Danker/Astrid Schwabe (Hrsg.): Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdi-daktik und Neue Medien. Schwalbach/Ts. 2008; Bettina Alavi (Hrsg.): Historisches Lernenim virtuellen Medium. Heidelberg 2010; Astrid Schwabe: Historisches Lernen im WorldWide Web: Suchen, flanieren oder forschen? Fachdidaktisch-mediale Konzeption, prakti-sche Umsetzung und empirische Evaluation der regionalhistorischen Website Vimu.info.Göttingen 2012 (Beihefte zur ZfGD, Bd. 4); Jan Hodel: Verkürzen und Verknüpfen, Ge-schichte als Netz narrativer Fragmente. Wie Jugendliche digitale Netzmedien für die Er-stellung von Referaten im Geschichtsunterricht verwenden. Bern 2013; Hannes Burkhardt:Anne Frank auf Facebook – Erinnerungskulturen im Social Web zwischen Trivialisierungund innovativer Erinnerungsarbeit. In: Peter Seibert/Jana Pieper/Alfonso Meoli (Hrsg.):Anne Frank: Mediengeschichten. Berlin 2014, S. 136–163; Marko Demantowsky/ChristophPallaske (Hrsg.): Geschichte lernen im digitalen Wandel. Berlin u. a. 2015; Christoph Pallaske(Hrsg.): Medien machen Geschichte. Neue Anforderungen an den geschichtsdidaktischenMedienbegriff im digitalen Wandel. Berlin 2015.

26 Vgl. Sebastian Barsch: »Die Anderen da draußen« – Behinderung als Kategorie der Ge-schichtsdidaktik. In: ZfGD 10 (2011), S. 105–116; Birgit Wenzel: Heterogenität und Inklu-sion – Binnendifferenzierung und Individualisierung. In: Michele Barricelli/Martin Lücke(Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. 2 Bde. Schwalbach/Ts. 2012, Bd. 2,S. 238–254; Bettina Alavi/Karin Terfloth: Historisches Lernen im inklusiven Unterricht. In:Theo Klauß/Karin Terfloth (Hrsg.): Besser gemeinsam lernen! Inklusive Schulentwicklung.Heidelberg 2013, S. 185–207; Sebastian Barsch/Wolfgang Hasberg (Hrsg.): Inklusiv – Ex-klusiv. Historisches Lernen fur alle. Schwalbach/Ts. 2014.

27 Vgl. Saskia Handro (Hrsg.): Geschichte und Sprache. Berlin u. a. 2010; ZfGD 14 (2015):Sprache und historisches Lernen, hrsg. v. Saskia Handro.

28 Vgl. hierzu auch Rolf Schörken: Geschichtsunterricht in der kleiner werdenden Welt. Pro-legomena zu einer Didaktik des Fremdverstehens. In: Hans Süssmuth (Hrsg.): Geschichts-didaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung. Paderborn 1980,S. 315–336.

29 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Zusammenfassender Bericht. In: Andreas Ranft/Markus Meu-mann (Hrsg.): Traditionen – Visionen. 44. Deutscher Historikertag in Halle an der Saale2002. Berichtsband. München 2003, S. 204–207. Vgl. den Beitrag von Ulrich Kockel in diesemBand.

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 33

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Begriff »Bezugsdisziplinen«, der in der geschichtsdidaktischen Literatur überallzu finden ist, aber nirgends spezifiziert wird, wirklich noch Aussagekraft besitzt.

3. Didaktik der Geschichte und andere Fachdidaktiken –Interdisziplinäre Kontaktzonen

Die von der Erziehungswissenschaft häufig konstatierte Dichotomie zwischenAllgemeiner Didaktik hier und Fachdidaktik dort hat jüngst Marko Deman-towsky noch einmal mit Blick auf die unterschiedlichen Fachkulturen und ihrjeweiliges spezifisches fachliches Selbstverständnis zurückgewiesen. Ein Ma-krokonzept der Fachdidaktik als Kollektivsingular gibt es nicht und kann es auchgar nicht geben, da sich die Fachdidaktiken im Kontext der jeweils korrespon-dierenden Fachwissenschaften disziplinär herausgebildet haben, so dass dasVerhältnis der Didaktiken untereinander ein wesentlich interdisziplinäres ist.Eine Zuordnung der Fachdidaktiken und damit auch der Didaktik der Ge-schichte zu den Bildungswissenschaften bedeutet eine Fokussierung auf dieempirische Unterrichtsforschung, die die Forschungsleistungen der Theorie-entwicklung, der hermeneutisch ausgerichteten Fachdidaktik oder der Curri-culumsforschung aus dem Blick geraten lässt.30

Die Kontaktzonen zu den verschiedenen Fachdidaktiken sind von unter-schiedlicher Dichte und weisen ebenfalls unterschiedliche Konjunkturen auf.Hier kann stellvertretend nur auf die lange, hier nicht nachzuzeichnende Ge-schichte der Aushandlungszonen im Feld der historisch-politischen Bildungverwiesen werden.31 Neue interdisziplinäre Diskurse der Fachdidaktiken öffnensich derzeit im Zuge des »kulturwissenschaftlichen turns« der Literaturdidak-tik32 (linguistic turn), der Didaktik der Geographie (spatial turn) oder derKunstdidaktik und -pädagogik (iconic turn).33 Literarisches Lernen in der

30 Vgl. Marko Demantowsky/Bettina Zurstrassen (Hrsg.): Forschungsmethoden und For-schungsstand – Zur Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Forschungsmethoden und Forschungs-stand in den Didaktiken der kulturwissenschaftlichen Fächer. Bochum 2013, S. 7–19; Mi-chele Barricelli : Geschichtsdidaktik nach PISA – Bilanzen und Perspektiven. Zum Jubiläum:Die Weisheit der Zahl und die Gründe des Erzählens. In: Michael Sauer u. a. (Hrsg.): Ge-schichtslernen in biographischer Perspektive. Nachhaltigkeit, Entwicklung, Generationen-differenz. Göttingen 2014, S. 365–384, hier S. 370f.

31 Vgl. etwa Tagungsthema und Tagungsband der VII. Zweijahrestagung der KGD 1987 inLoccum: Gerhard Schneider (Hrsg.): Geschichtsbewusstsein und historisch–politischesLernen. Pfaffenweiler 1988.

32 Vgl. etwa das Heft Literatur und Geschichte der GWU 7/8 (2015), insbesondere Dirk vanLaak: Erzählen, Erklären oder Erbsenzählen? Über das Verhältnis von Literatur und Ge-schichtsschreibung, S. 365–383.

33 Kunibert Bering u. a. (Hrsg.): Kunstdidaktik. 3. überarb. und erw. Aufl. Oberhausen 2013;ders./Rolf Niehoff: Bildkompetenz. Eine kunstdidaktische Perspektive. Oberhausen 2013.

Charlotte Bühl-Gramer34

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

»Erinnerungskultur« und Konzepte erinnerungsgeleiteten Lernens nachAuschwitz in religionsdidaktischer Perspektive34 verweisen auf die Allgegen-wärtigkeit des Erinnerungsparadigmas und zeigen den inflationären Gebrauchdes Begriffs, so dass die geschichtsdidaktische Grenzziehung durch die Kon-zeption »Geschichtskultur« hier weiter an Plausibilität gewinnt.35

Ist also derzeit eine Intensivierung des interdisziplinären Fachdiskurses derDidaktiken zu verzeichnen, so erscheint in diesem Zusammenhang die Fragenach dem Selbstkonzept der Fachdidaktiken der »Deutungsfächer«36 als klä-rungs- und diskussionsbedürftig. Dies spiegelt sich bereits in den unter-schiedlichen Begrifflichkeiten, wie etwa die Bezeichnung Didaktiken der ge-sellschaftswissenschaftlichen Fächer – verwiesen sei hier auf die 2010 gegrün-dete interdisziplinäre Fachzeitschrift mit den Didaktiken der Geographie,Geschichte, Politik und Wirtschaft – bzw. Konzeptualisierungen als Didaktikender kulturwissenschaftlichen Fächer.37

4. Grenzüberschreitungen historischen Lehrens und Lernensim Unterricht

Sicherlich kann Geschichtsunterricht eo ipso bereits als fachübergreifend unddamit als Metafach definiert werden, so wie auch die Geschichtswissenschaft inihrer vielfältigen Binnendisziplinierung bereits als interdisziplinär charakteri-siert werden kann und demgemäß der Geschichtsdidaktik die Aufgabe zufällt,»die Geschichte« im Schulfach wieder zu einer Einheit zu formen.38 Fragt man

34 Vgl. etwa Jens Birkmeyer (Hrsg.): Holocaust-Literatur im Unterricht. Perspektiven schuli-scher Erinnerungsarbeit. Hohengehren 2008; Carolin Führer (Hrsg.): Die andere deutscheErinnerung. Tendenzen literarischen und kulturellen Lernens. Göttingen 2016; ReinholdBoschki/Wilhelm Schwendemann (Hrsg.): Vier Generationen nach Auschwitz – Wie istErinnerungslernen heute noch möglich? Münster 2010.

35 Vgl. dazu Beatrice Ziegler : »Erinnert euch!« – Geschichte als Erinnerung und die Wissen-schaft. In: Peter Gautschi/Barbara Sommer Häller (Hrsg.): Der Beitrag von Schulen undHochschulen zu Erinnerungskulturen. Schwalbach/Ts. 2014, S. 69–89.

36 Marko Demantowsky : Die Didaktik der Geschichte als »Fachdidaktik« – Abgrenzungen,Vereinnahmungen, Selbstverständnis. In: Demantowsky/Steenblock (Anm. 19), S. 39–52,hier S. 45.

37 Vgl. Eugen Kotte: Cultural turns und Geschichtsdidaktik. Impulse der Neuen Kulturge-schichte zur Erschließung geschichtsdidaktischer Forschungs- und Arbeitsfelder. In: Ders.(Hrsg.): Kulturwissenschaften und Geschichtsdidaktik. München 2011, S. 15–51.

38 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Fachübergreifendes Lernen. Artefakt oder Notwendigkeit? (URL:http://www.sowi-onlinejournal.de/2001-1/pandel.htm, aufgerufen am 4. 9. 2015); ManfredHettling: Gibt es noch eine Einheit der Geschichtswissenschaft? In: GWU 60 (2009),S. 140–147; Winfried Schulze: Geschichte in der »permanenten Erweiterung« und die»Einheit des Fachs Geschichte«. In: Ebd., S. 159–165.

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 35

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

nach Grenzüberschreitungen historischen Lehrens und Lernens im Unterricht,so findet dies im fachübergreifenden oder fächerverbindenden Lernen undLehren oder in Fächerverbünden statt – Tobias Arand hat hier zuletzt wichtigebegriffliche Klärungen vorgenommen.39 Er konstatiert keine breit angelegteDiskussion über fächerverbindenden Geschichtsunterricht innerhalb der Ge-schichtsdidaktik. In einem interdisziplinären Zugriff hat die neue ZeitschriftDidaktik der Gesellschaftswissenschaften zum Thema Fächerintegration, die inder bundesdeutschen sozialwissenschaftlichen Fächerlandschaft von hoherHeterogenität und Diffusität geprägt ist,40 im Jahr 2014 ein Themenheft vorge-legt. In Rekurs auf Hans-Jürgen Pandel, der zurecht Unterrichtsfächer alsDenkweisen charakterisiert hat, liegt auch für Wolfgang Sander der didaktischeReiz der Fächerintegration nicht in der Vereinfachung, sondern in der sichdaraus ergebenden Perspektivenvielfalt. Auch konstatiert Sander zu Recht, dassin die Debatte um ein gesellschaftswissenschaftliches Aufgabenfeld wieder Be-wegung gekommen sei.41 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass historischesLernen auf der normativen Ebene von Lehrplänen und Richtlinien zwar in derTat zunehmend in größeren Kontexten d. h. in Fächerverbünden situiert wird,was allerdings auch mit einer Verkürzung der Lernzeit v. a. in nicht-gymnasialenSchulformen einhergeht.42 Diese Entwicklung steht nicht nur im krassen Wi-derspruch zum Paradigmenwechsel einer fachspezifischen Kompetenzmodel-lierung im Gefolge von PISA, sondern erfährt überdies bislang auch keinerleikonzeptionelle Verankerung in der Lehrerbildung. So steht derzeit eine neueGeneration an Curricula, in denen Geschichte – zumeist im Gymnasium –(noch) als eigenständiges Fach und in fachspezifischer Kompetenzmodellierungunterrichtet wird, neben Richtlinien und Lehrplänen für Fächerverbünde un-terschiedlichsten Zuschnitts ohne fachspezifische Kompetenzmodellierung.Was den bilingualen Sachfachunterrichts als Spezialform fächerübergreifenden

39 Tobias Arand: Fächerverbindender Geschichtsunterricht. In: Barricelli/Lücke (Anm. 26),Bd. 2, S. 308–324; vgl. auch Franziska Conrad: Fachübergreifernder und fächerverbinden-der Unterricht. Ein Weg zur Förderung von historischem Denken? In: GWU 11 (2006),S. 650–664; Tobias Arand u. a. (Hrsg.): Geschichtsunterricht im Dialog. FächerübergreifendeZusammenarbeit. Münster 2006.

40 Vgl. Birgit Weber : Fächerintegration – zur Einführung in das Schwerpunktthema. In: zdg 1(2014), S. 7–20, hier S. 12; vgl. auch Thomas Brühne: Bestandsaufnahme gesellschaftswis-senschaftliche Fächerbünde in Deutschland und Überlegungen zu einer stärker integrativausgerichteten Organisationsform. In: Ebd., S. 100–115.

41 Vgl. Wolfgang Sander : Fächerübergreifende politische Bildung – Ansätze und Perspektiven.In: Carl Deichmann/Christian K. Tischner (Hrsg.): Handbuch fächerübergreifender Un-terricht in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2014, S. 15–26, hier S. 26.

42 Waldemar Grosch: Geschichte im Fächerverbund. In: Hilke Günther-Arndt (Hrsg.): Ge-schichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. 6. überarb. Aufl. Berlin2013, S. 67–73, hier S. 68f. ; vgl. auch Susanne Popp: Zum Stand der Disziplin. In: Dies. u. a.(Hrsg.): Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung. Göttingen 2010, S. 9–24, hier S. 21f.

Charlotte Bühl-Gramer36

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Unterrichts betrifft, nehmen in der Geschichtsdidaktik Skepsis bzw. Ablehnungeher zu als ab.43 Ob schließlich die zunehmende Enthistorisierung der Nach-barfächer – dem Fremdsprachen-, Deutsch-, Musik-, Kunst-, oder Religions-unterricht – weiter in Zunahme begriffen ist und damit fachübergreifender undfächerverbindender Unterricht weitgehend marginalisiert ist, wird die Sektionzur historischen Dimension in den Didaktiken der kulturwissenschaftlichenFächer in den Blick nehmen.

5. Nationale Grenzüberschreitungen der Geschichtsdidaktik alsinterdisziplinäre Diskurse?

Grenzen im Sinne territorialer, staatlicher Markierungen in der geschichtsdi-daktischen Forschung zu überschreiten, ist eine unbestrittene Herausforderungund Notwendigkeit. Bodo von Borries hat hier mit seiner grenzüberschreitendenStudie »Youth and History« Pionierarbeit geleistet,44 ebenfalls im europäischenBezugsrahmen sind Alois Eckers Erhebungen zur Geschichtslehrerbildung inEuropa45 zu nennen. Arbeit an der Überwindung der nationalen Begrenzung derGeschichtsdidaktik46 hin zu einem internationalen geschichtsdidaktischenDiskurs leistet seit langem die Internationale Gesellschaft für Geschichtsdi-daktik, seit seiner Ausweitung auf eine internationalen Autorenschaft auch dasBlogjournal Public History Weekly. Eine dynamische und systematisch er-

43 Vgl. Wolfgang Hasberg: Bilingualer Geschichtsunterricht und historisches Lernen. Mög-lichkeiten und Grenzen. In: Internationale Schulbuchforschung 2004, H. 2, S. 119–139; ders.:Historisches Lernen im bilingualen Geschichtsunterricht. In: Andreas Bonnet/StephanBreidbach (Hrsg.): Didaktiken im Dialog. Konzepte des Lehrens und Wege des Lernens imbilingualen Sachfachunterricht. Frankfurt 2004 (Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht,Bd. 2), S. 221–236; Markus Bernhardt: »Bilingualer Geschichtsunterricht – Nein Danke!« In:Public History Weekly 3 (2015) 22. (DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-4268, aufgerufen am30. 06. 2015); ders.: Bilingualität und historisches Lernen. Förderung von historischenKompetenzen oder soziales Differenzkriterium? In: Jan Hodel/B8atrice Ziegler (Hrsg.):Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 09. Beiträge zur Tagung »geschichtsdidaktik em-pirisch 09«. Bern 2001, S. 214–223. Zu einer anderen Einschätzung vgl. dagegen BärbelKuhn: Bilingualer Geschichtsunterricht. In: Barricelli/Lücke (Anm. 26), S. 325–339. Vgl.auch den Beitrag aus der Perspektive der englischen Fachdidaktik von Laurenz Volkmann indiesem Band.

44 Magne Angvik/Bodo von Borries (Hrsg.): Youth and History, the Comparative EuropeanSurvey on Historical and Political Attitudes among Adolescents. Hamburg 1997.

45 Alois Ecker : Well educated professionals to teach the next generation of European citizens?First results of the CHE-Study on civic and history teachers’ education in Europe. Strasbourg2014.

46 Vgl. Markus Bernhardt: Geschichtsdidaktik nach PISA – Bilanzen und Perspektiven. Einebibliometrische Analyse. In: Michael Sauer u. a. (Anm. 30), S. 349–363, hier S. 363.

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 37

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

schlossene internationale Bibliographie wurde im September 2015 freigeschal-tet.47

Die derzeit innerhalb der deutschen Geschichtsdidaktik zunehmend beklagtelasche Praxis des Umgangs mit Begriffen und die zuletzt vermehrt geäußertenBefürchtungen, ein starker, funktionsfähiger, konzeptioneller Konsens von Ge-schichtsdidaktik könnte innerdisziplinär in der deutschen Geschichtsdidaktikderzeit zumindest tendenziell entgleiten,48 verweist indirekt auf noch viel höhereHürden hin zu einem gemeinsamen Begriffsrepertoire und Selbstkonzept imtransnationalen Diskurs. In diesem Zusammenhang sind Elisabeth Erdmannsund Wolfgang Hasbergs Studien anzuführen, die zeigen, dass unterschiedlicheGeschichtskulturen, nationalkulturelle Prägungen des Geschichtsunterrichtssowie die große Diversität hinsichtlich der Selbstkonzepte und der fachlichenEinbettungen dazu führen, dass in der universitären Ausbildung von Ge-schichtslehrkräften ganz unterschiedliche Professionsprofile zu beobachtensind.49 Auch der von Manuel Köster und Holger Thünemann 2014 herausgege-bene Band leistet einen Beitrag zur Kartierung und Vernetzung geschichtsdi-daktischer Forschung in internationaler Perspektive und macht auch hier – mitdem Fokus auf empirische Unterrichtsforschung – heterogene akademischeTraditionen, unterschiedliche Kooperationsformen und Forschungskulturengeschichtsdidaktischer Forschung deutlich.50

Die Verständigung über Ländergrenzen ist also schwierig bzw. vorausset-

47 Vgl. etwa Elisabeth Erdmann/Robert Maier/Susanne Popp (Hrsg.): Geschichtsunterrichtinternational. Hannover 2006; Susanne Popp (Hrsg.): Jahrbuch der Internationalen Gesell-schaft für Geschichtsdidaktik/Yearbook of the International Society of History Didactics;Public History Weekly (URL: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/, aufge-rufen am 10. 12. 2015); Index Didacticorum. Research Collaborative Bibliography of HistoryEducation Research (URL: http://www.historicum.net/id, aufgerufen am 10. 01. 2016).

48 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Geschichtstheoretische Kenntnisse: Mangelhaft. In: Public Hi-story Weekly 3 (2015) 24. (DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-4422, aufgerufen am 12. 1.2016).

49 Vgl. Hasberg (Anm. 20), S. 30; vgl. auch Elisabeth Erdmann/Wolfgang Hasberg: Facing,Mapping, Bridging Diversity. Foundation of a European Discourse on History Education. 2Bde. Schwalbach/Ts. 2011, Bd. 2, S. 345–379; Elisabeth Erdmann/Wolfgang Hasberg: Pro-ceedings in History Teacher education? Results of a global study of the impacts of theBologna Reform. In: jahrbuch – yearbook – annales 36 (2015), S. 205–214.

50 Manuel Köster/Holger Thünemann/Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Researching HistoryEducation. International Perspectives and Disciplinary Traditions. Schwalbach/Ts. 2014(Geschichtsunterricht erforschen, Bd. 4). Die in Deutschland seit rund 20 Jahren starknachrangige Rolle der quantitativen Forschung führen Michael Sauer und Michele Barricelliu. a. auch darauf zurück, dass in Deutschland weitaus weniger Psychologen in die empirischeLern-Lehrforschung zum Geschichtsunterricht involviert und damit die komplexen Me-thoden quantitativer Forschung selten verfügbar sind. Vgl. Michael Sauer/Michele Barricelli :Empirische Lehr-Lernforschung im Fach Geschichte. In: Georg Weißeno/Carla Schelle(Hrsg.): Empirische Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken. Wies-baden 2015, S. 185–200, hier S. 194.

Charlotte Bühl-Gramer38

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

zungsreich,51 so dass diese wichtigen grenzüberschreitenden geschichtsdidak-tischen Diskurse durchaus auch Züge eines interdisziplinären Diskurses tragen.

6. Räume und Grenzen – Gegenstandsbereiche historischenLehrens und Lernens und geschichtsdidaktische Konzepte

Mit dem Thema Raumbezüge und Grenzen im historischen Lehren und Lernenals Verfahren oder Gegenstandsbereiche historischer Bildung und geschichts-didaktischer Konzepte muss sich diese Einführung abschließend selbst auf ei-nige Stichworte begrenzen.

Die dimensionale Gliederung von Räumen, von Mikroräumen zu Makro-räumen, vom historischen Ort, der Region über Europa zur Welt- bzw. Global-geschichte sind schon lange Gegenstand geschichtsdidaktischer Reflexion.52 Ineinem engeren thematischen Sinne ist hier auf Grenzregionen und Grenzen alsLebensräume mehrdimensionaler Identität,53 als Kontaktarena, interkulturelleBrücke und/oder Ausweis kultureller Identitäten bzw. im biographisch-perso-nengeschichtlichen Zugriff auf Grenzgänger und ihre Lebensläufe zu verweisen,die sich ohne nationales Referenzsystem bewegen und in denen die Über-schreitung kultureller Grenzen zum leitenden Prinzip wurde.54 Mit seinem

51 Vgl. Barricelli (Anm. 30), S. 377f.52 Vgl. etwa die XI. KGD-Tagung 1995: Regionale Identität und historisches Lernen. Bernd

Mütter/Uwe Uffelmann (Hrsg.): Regionale Identität im vereinten Deutschland. Chance undGefahr. Weinheim 1996; Bernd Schönemann: Lernpotentiale der Regionalgeschichte. In:Geschichte für heute 3 (2010), S. 5–16; Helmut Beilner : Die Bedeutung von Lokal- undRegionalgeschichte für das historische Lernen. In: Ders. (Hrsg.): Geschichtsdidaktische undfachliche Perspektiven in der Diskussion. Neuried 2001, S. 11–33; Dietmar Schiersner : AlterZopf oder neue Chance? Regionalgeschichte in Historiographie und Geschichtsunterricht.In: GWU 62 (2011), S. 50–60; XVI. KGD-Tagung 2005: Europa in historisch-didaktischenPerspektive. Bernd Schönemann (Hrsg.): Europa in historisch-didaktischen Perspektiven.Idstein 2007; Jürgen Osterhammel: Weltgeschichte. Von der Universität in den Unterricht.In: Geschichte für heute. Zeitschrift für historisch-politische Bildung 2 (2009), H. 3, S. 5–13;Hilke Günther-Arndt/Urte Kocka/Judith Martin: Geschichtsunterricht zur Orientierung inder Welt. In: Ebd., S. 25–30; Susanne Popp: Globales Lernen im Geschichtsunterricht –weltgeschichtliche Perspektiven. In: Wolfgang Sander/Annette Scheunpflug (Hrsg.): Politi-sche Bildung in der Weltgesellschaft. Herausforderungen, Positionen, Kontroversen.Bonn. 2011, S. 350–36; Dies./Johanna Forster (Hrsg.): Curriculum Weltgeschichte. GlobaleZugänge für den Geschichtsunterricht. 2. Aufl. Schwalbach/Ts. 2008.

53 Vgl. Bärbel Kuhn: Grenzerfahrungen. Die deutsch-französische Grenze im Saarraum im19. Jahrhundert. In: Bernd Schönemann/Hartmut Voit (Hrsg.): Europa in historisch-di-daktischen Perspektiven. Idstein 2007, S. 80–93, hier S. 91–93.

54 Patrick Ostermann/Claudia Müller/Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.) Der Grenzraum als Er-innerungsort. Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa.Bielefeld 2012; Osterhammel (wie Anm. 52), S. 10; vgl. auch Christine Strobl: Brücke oderSchranke? Dimensionen interdisziplinärer Beschäftigung mit Grenzen. In: Markus Bies-

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 39

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

systematischen Aufriss von Raumbezügen im Geschichtsunterricht und derBedeutung des »spatial turn« für die Geschichtsdidaktik hat Vadim Oswalt –nach Georg Kirchhoffs fachdidaktischer Sektion »Raum als geschichtsdidakti-sche Kategorie« auf dem Trierer Historikertag 198655 – vor sechs Jahren einengrundlegenden Beitrag vorgelegt.56 Die geschichtsdidaktische Forschung hatsich mit dem Raum, der als »konzeptioneller Grenzgänger zwischen Physis(Materialität) und Idee (Mentalität)«57 charakterisiert werden kann, wie auchmit raumbezogenen Medien historischen Lernens oder Grenzen als Erinne-rungsraum seither wieder intensiver befasst.58 Für die historische Raumfor-schung hat Susanne Rau dargelegt, dass es ganz unterschiedliche Fassungen deskomplexen Begriffspaars Ort und Raum gibt und für eigene Untersuchungen aufdie Notwendigkeit verwiesen, die Inspirationsquelle für die verwendeten Ort/Raum-Unterschiede anzugeben.59 Auch in der Geschichtsdidaktik ist derzeiteine schwer überschaubare Vielfalt der Begrifflichkeiten zu konstatieren –Lernort, historischer Ort, außerschulischer Lernort, historische Stätte, Lern-raum, Landschaft, Schauplatz, Erinnerungsort, Gedächtnis- bzw. Erinnerungs-raum – deren Verwendung noch stärker ausgeschärft werden muss.60

Die Entgrenzung von Denk-, Lern- und Kommunikationsräumen im breitenThemenspektrum historischen Lernens im digitalen Wandel wird derzeit in der

wanger u. a. (Hrsg.): Abgrenzen oder Entgrenzen: Zur Produktivität von Grenzen. Frankfurta.M. 2003.

55 Georg Kirchhoff (Hrsg.): Raum als geschichtsdidaktische Kategorie. Bochum 1987.56 Vadim Oswalt: Das Wo zum Was und Wann. Der »Spatial turn« und seine Bedeutung für die

Geschichtsdidaktik. In: GWU 61 (2010), S. 220–233; vgl. auch ders.: Raum und historischesLernen. Elaborierte Konzepte zu einer basalen Dimension historischen Denkens? In: Kotte(wie Anm. 37), S. 199–218.

57 Judith Miggelbrink: Die (Un)Ordnung des Raumes. Bemerkungen zum Wandel geogra-phischer Raumkonzepte im ausgehenden 20. Jahrhundert. In: Geppert/Jensen/Weinhold:Ortsgespräche, S. 80, zit. bei Matthias Renz: Kartierte Kolonialgeschichte. Der Kolonialis-mus in raumbezogenen Medien historischen Lernens – ein Vergleich aktueller europäischerGeschichtsatlanten. Göttingen 2014, S. 23.

58 Raumkonzeptionen in der Historischen Bildung, ZfGD 10 (2011); Vadim Oswalt: Raum undhistorisches Lernen. Elaborierte Konzepte zu einer basalen Dimension historischen Den-kens? In: Kotte (wie Anm. 37), S. 199–218; Saskia Handro/Bernd Schönemann: Raum undSinn. Die räumliche Dimension der Geschichtskultur. Münster 2014; Sebastian Bode: DieKartierung der Extreme. Die Darstellung der Zeit der Weltkriege (1914–1945) in aktuelleneuropäischen Geschichtsatlanten. Göttingen 2015.

59 Susanne Rau: Räume. Frankfurt/New York 2013, S. 195.60 Vgl. Saskia Handro (Hrsg.): Orte historischen Lernens. Münster 2008; Christian Kuchler :

Historische Orte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2012; Saskia Handro (Hrsg.):Raum und Sinn: Die räumliche Dimension der Geschichtskultur. Berlin 2014; Dietmar vonReeken/Malte Thießen: Regionale oder lokale Geschichtskulturen? Reichweite und Grenzenvon Erinnerungsräumen. In: Janin Fuge/Rainer Hering/Harald Schmid (Hrsg.): Gedächt-nisräume. Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen in Norddeutschland. Göttingen 2014,S. 71–96.

Charlotte Bühl-Gramer40

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Geschichtsdidaktik intensiv beforscht.61 Eine Facette ist in diesem Tagungsbandmit dem Thema des geolokalisierten Storytellings über Mobile App und Aug-mented Reality als Möglichkeit historischen Lernens vor Ort vertreten. Ver-schwundene Orte aus der Vergangenheit am realen historischen, aber verän-derten Ort virtuell wieder sichtbar machen – konzipiert als Couch-Tour wie alsVorort-Tour62 : Damit verschmelzen auch die Grenzen zwischen innen undaußen und urbane Räume werden zu unsichtbaren Museen, indem der physisch-materielle Ort der Gegenwart als Schauplatz die Vergangenheit mithilfe einerraumwirksamen Technologie authentifiziert.63

Nicht zuletzt haben sich im digitalen Wandel auch die Diskursformen und-grenzen verschoben. Dagegen ist die Zweijahrestagung der Konferenz für Ge-schichtsdidaktik ein traditionelles Format wissenschaftlicher Kommunikation:Vor Ort. Analog. Face to face und im direkten Austausch.

61 Vgl. Demantowsky/Pallaske (wie Anm. 25).62 (URL: https://zeitfenster.uni-leipzig.de/, aufgerufen am 15. 3. 2016).63 Vgl. Eva-Ulrike Pirker (Hrsg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Ge-

schichtskulturen. Bielefeld 2010; Martin Sabrow/Achim Saupe (Hrsg.): Historische Au-thentizität. Göttingen 2016.

Geschichte im interdisziplinären Diskurs 41

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

© 2016, V&R unipress GmbH, GöttingenISBN Print: 9783847106357 – ISBN E-Book: 9783847006350

Sektion 1:Historische Dimensionen in den Didaktikenkulturwissenschaftlicher Fächer