Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus · Eine Karriere im Dritten Reich (Rolf...

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Beiträge zur Geschichte des NationalsozialismusBand 22

»Hitlers Kommissare«

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Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus

Band 22

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HitlersKommissare

Sondergewalten in dernationalsozialistischen Diktatur

Herausgegeben vonRüdiger Hachtmann und Winfried Süß

WALLSTEIN VERLAG

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HerausgeberInnen und Redaktion:Christoph Dieckmann, Wolf Gruner, Rüdiger Hachtmann, Anne Klein, BirtheKundrus, Beate Meyer, Armin Nolzen, Babette Quinkert, Sven Reichardt, ThomasSandkühler, Sybille Steinbacher und Winfried Süß

Herausgeber und verantwortliche Redakteure dieses Bandes:Rüdiger Hachtmann und Winfried Süß

Verantwortlich für den Rezensionsteil:Birthe Kundrus und Beate Meyer

Postanschrift der Redaktion:Jun.-Prof. Dr. Sven ReichardtUniversität KonstanzFachbereich Geschichte und SoziologieFach D 1Universitätsstraße 1078457 Konstanz

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© der Texte bei den AutorInnen© dieser Ausgabe Wallstein Verlag, Göttingen 2006www.wallstein-verlag.deVom Verlag gesetzt aus der Adobe GaramondUmschlaggestaltung: Basta Werbeagentur, Steffi RiemannUmschlagbild unter Verwendung einer Fotografie:Hitler und der Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen KarlBrandt im Gespräch vor einem Bunker des Führerhauptquartiers Wolfsschanze/Rastenburg (Ketrzyn), 15. Juli 1944© Bayerische Staatsbibliothek MünchenDruck: Hubert & Co, Göttingenisbn 13: 978-3-8353-0086-6isbn 10: 3-8353-0086-5

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Inhalt

Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß

Editorial:Kommissare im NS-Herrschaftssystem.Probleme und Perspektiven der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Bernhard GottoPolykratische Selbststabilisierung.Mittel- und Unterinstanzen in der NS-Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . 28

Christiane KullerHaushaltspolitik als Machtpolitik?Kommissare im Spannungsfeld zwischen traditioneller Finanzpolitikund politischer Sondergewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Daniel MühlenfeldVom Kommissariat zum Ministerium.Zur Gründungsgeschichte des Reichsministeriumsfür Volksaufklärung und Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

André SteinerDer Reichskommissar für die Preisbildung –»eine Art wirtschaftlicher Reichskanzler«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Christiane BotzetMinisteramt, Sondergewalten und Privatwirtschaft.Der Generalbevollmächtigte für die Regelung der Bauwirtschaft . . . . . . . 115

Bernhard StierNationalsozialistische Sonderinstanzen in der Energiewirtschaft.Der Generalinspektor für Wasser und Energie 1941-1945 . . . . . . . . . . . 138

Kim Christian PriemelDie Macht der Syndikate.Das Scheitern des Reichskohlenkommissars 1940/41und die deutsche Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Dietmar Süß

Steuerung durch Information?Joseph Goebbels als »Kommissar der Heimatfront«und die Reichsinspektion für den zivilen Luftschutz . . . . . . . . . . . . . 183

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Fundstück

Jan Erik SchulteLondon war informiert. KZ-Expansion und Judenverfolgung.Entschlüsselte KZ-Stärkemeldungen vom Januar 1942 bis zum Januar 1943in den britischen National Archives in Kew . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Rezensionen

Paula Diehl, Macht – Mythos – Utopie.Die Körperbilder der SS-Männer (Regina Mühlhäuser) . . . . . . . . . . . . 229

Helga Amesberger/Katrin Auer/Brigitte Halbmayr, Sexualisierte Gewalt.Weibliche Erfahrungen in Konzentrationslagern (Anna Hájková) . . . . . . . 230

Elizabeth Harvey, Women and the Nazi East.Agents and Witnesses of Germanization (Alexandra Przyrembel) . . . . . . . 232

Massimiliano Livi, Gertrud Scholtz-Klink.Die Reichsfrauenführerin (Christiane Streubel) . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Christian Härtel, Stromlinien. Wilfrid Bade –Eine Karriere im Dritten Reich (Rolf Düsterberg) . . . . . . . . . . . . . . . 235

Wigbert Benz, Paul Carell.Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945 (Daniel Uziel) . . 237

Christian Graf von Krockow, Eine Frage der Ehre.Stauffenberg und das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 . . . . . . . . . . . . 239Klaus Harpprecht, Harald Poelchau. Ein Leben im Widerstand . . . . . . . 240Peter Steinbach, Der 20. Juli 1944.Gesichter des Widerstands (Hans Mommsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Thymian Bussemer, Propaganda.Konzepte und Theorien (Babette Quinkert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Andreas Kunz, Wehrmacht und Niederlage.Die bewaffnete Macht in der Endphaseder nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis 1945 (Armin Nolzen) . . . . . . 245

Manfred Oldenburg, Ideologie und militärisches Kalkül.Die Besatzungspolitik der Wehrmachtin der Sowjetunion 1942 (Alexander Brakel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Bernhard R. Kroener, »Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet«.Generaloberst Friedrich Fromm (Alaric Searle) . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933-1945 (Christoph Rass) . . 250

Elke Scherstjanoi, Rotarmisten schreiben aus Deutschland (Babette Quinkert) 252

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Monika Glettler/Ljúbomír Lipták/Alena Mísková (Hg.),Geteilt, besetzt, beherrscht. Die Tschechoslowakei 1938-1945 (Jaromír Balcar) . 254

Stefan Klemp, »Nicht ermittelt«.Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz (Jürgen Matthäus) . . . . . . . . . 256

Bernd Lemke, Luftschutz in Großbritannienund Deutschland 1923 bis 1939 (Nicole Kramer) . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Alfred Gottwaldt/Diana Schulle, Die »Judendeportationen«aus dem Deutschen Reich 1941-1945 (Ina Lorenz) . . . . . . . . . . . . . . . 259

Barbara Schwindt, Das Konzentrations- undVernichtungslager Majdanek (Birthe Kundrus) . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Andreas Wagner, »Machtergreifung« in Sachsen (Clemens Vollnhals) . . . . . 262

Uwe Danker/Astrid Schwabe, Schleswig-Holstein undder Nationalsozialismus (Armin Nolzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Horst W. Heitzer, Zwangssterilisation in Passau (Wolfgang Ayaß) . . . . . . . 266

Ludolf Herbst/Thomas Weihe (Hg.), Die Commerzbank unddie Juden 1933-1945 (Hartwig Stein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Verena Pawlowsky/Edith Leisch-Prost/Christian Klösch, Vereine imNationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar . . . . 269Gretl Köfler, Auflösung und Restitution von Vereinen, Organisationenund Verbänden in Tirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269Shoshana Duizend-Jensen, Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungenund Fonds. »Arisierung« und Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269Eduard Kubu/Gudrun Exner, Tschechen und Tschechinnen.Vermögensentzug und Restitution (Armin Nolzen) . . . . . . . . . . . . . . 269

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

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Rüdiger Hachtmann /Winfried Süß

Editorial:Kommissare im NS-HerrschaftssystemProbleme und Perspektiven der Forschung*

Zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft hatten im Gefüge der deutschen Reichs-behörden buchstäblich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen: Die Dienst-gebäude vieler Reichsministerien in Berlin waren schwer beschädigt und ihre Akten,sofern nicht unter Trümmern begraben oder bei Kriegsende vernichtet, in alleHimmelsrichtungen verstreut.1 Aber auch im übertragenen Sinne stand am Ende derNS-Herrschaft kaum ein Stein mehr auf dem anderen. Der expandierende Bereichdes Autobahnbaus war auf Hitlers Weisung wenige Monate nach der nationalsozia-listischen Machteroberung aus dem Verkehrsministerium ausgegliedert worden.2 DasReichsfinanzministerium hatte einen beträchtlichen Teil seines Einflusses auf dieHaushalte der einzelnen Ressorts verloren, dem Reichsarbeitsministerium waren Zu-ständigkeiten in der Arbeitsmarkt-, Lohn- und Wohnungsbaupolitik entzogen worden,und das Reichswirtschaftsministerium hatte Schlüsselbereiche wie die Energiepolitikabtreten müssen. Besonders in den Kriegsjahren büßten nahezu alle Reichsministerienerhebliche Kompetenzen ein, und manchen war am Ende der NS-Herrschaft kaummehr als eine funktionell entkernte Fassade geblieben.

Von diesen Kräfteverlagerungen profitierte vor allem das rasch anwachsende Heervon Beauftragten, Generalinspektoren, Reichskommissaren und Sonderbevollmächtig-ten, die die innere Struktur des »Dritten Reiches« zunehmend prägten. Kommissarekoordinierten die Verteilung knapper Ressourcen und organisierten vordringliche(vor allem rüstungswirtschaftliche) Bau-3 und Produktionsvorhaben.4 Während des

* Die Verfasser danken Anne Zähringer und Johannes Dafinger für ihre Hilfe bei den Recher-chen und der Redaktion des Bandes.

1 Josef Henke, Das Schicksal deutscher zeitgeschichtlicher Quellen in Kriegs- und Nachkriegs-zeit, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 30 (1982), S. 557-620, hier: S. 560-567; Astrid M.Eckert, Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe deutschen Archivgutsnach dem Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2004, S. 57-104.

2 Zur Ernennung Fritz Todts zum Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen vgl. MartinBroszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, 11. Aufl.,München 1986, S. 328-332.

3 Zur Tätigkeit des 1937 berufenen Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt s. SusanneWillems, Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Haupt-stadtbau, Berlin 2002.

4 Allein im Bereich des Vierjahresplans wurden zwischen 1936 und 1942 fünfzehn solcher Pro-duktions- und Koordinationskommissare ernannt: Der Reichskommissar für Preisbildung(Gauleiter Josef Wagner, ab 1942 Hans Fischböck), der Generalbevollmächtigte für die Eisen-und Stahlbewirtschaftung (Oberst Hermann von Hanneken), der Reichsbeauftragte für Alt-

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Krieges betrieben eigens ernannte Bevollmächtigte Hitlers den Massenmord an denInsassen der Heil- und Pflegeanstalten,5 andere übernahmen Aufgaben im Zivilschutzund bei der Bekämpfung von Luftkriegsfolgen.6 Auch weniger wichtige Politikfelderwurden zunehmend von Sonderbeauftragten beherrscht: Ein Reichsdramaturg solltedie einheitliche Ausrichtung der Bühnenspielpläne im deutschen Machtbereich sicher-stellen,7 dem mitten im Krieg ernannten Reichsbeauftragten für die Mode war an-gesichts der Zeitumstände allerdings keine lange Amtszeit beschieden.8 Selbst dieHistoriker hatten ihre Sonderbevollmächtigten: Im Mai 1942 ernannte Hitler denLeiter der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Oberkommandos der Wehrmacht,Oberst Walter Scherff, zu seinem persönlichen Beauftragten für die militärische Ge-schichtsschreibung, um eine Darstellung des Krieges »nach einheitlichen Gesichts-punkten« sicherzustellen.9 Und bei Kriegsende ließ sich Ernst Zipfel, der General-

materialverwertung (Walter Ziegler, später Hans Heck und Winfried Thomsen), der Bevoll-mächtigte für die Erdölgewinnung (Alfred Bentz), der Bevollmächtigte für Sonderfragen derchemischen Erzeugung (Carl Krauch), der Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen(Adolf von Schell, ab 1942 Friedrich Kühn), der Bevollmächtigte für die Maschinenproduk-tion (Karl Lange), der Generalbevollmächtigte für die Regelung der Bauwirtschaft (Fritz Todt,seit 1942 Albert Speer), der Generalbevollmächtigte für die deutsche Energiewirtschaft ( JustDillgardt), der Beauftragte für Leistungssteigerung im Kohlenbergbau/Reichskohlenkom-missar (Paul Walter), der Sonderbeauftragte für technische Nachrichtenmittel (GeneralmajorErich Fellgiebel), der Generalinspektor für Sonderaufgaben (Fritz Todt), der Beauftragte fürden motorisierten Transport (NSKK-Führer Adolf Hühnlein), der Sonderbeauftragte für denTransport von Kohle (Wilhelm Meinberg) und der Generalbevollmächtigte für Rüstungsauf-gaben (Albert Speer). Abschriften der Ernennungsschreiben Görings befinden sich im Mos-kauer Sonderarchiv (RGWA) unter der Signatur 700-1-6/30, Bl. 277-309. Die Verfasser dankenBernhard Gotto für den Hinweis und die Überlassung von Kopien.

5 Jeremy Noakes, Philipp Bouhler und die Kanzlei des Führers der NSDAP, in: Dieter Reben-tisch/Karl Teppe (Hg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zumpolitisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 208-236, hier: 224-230; Henry Friedlan-der, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997, S. 117-151.

6 Zur Tätigkeit Edmund Geilenbergs und Philipp Keßlers als Generalkommissar für Sofortmaß-nahmen bzw. Sonderbeauftragter für die Produktion von Kugellagern s. Rolf-Dieter Müller,Albert Speer und die Rüstungspolitik im totalen Krieg, in: Bernhard R. Kroener/Rolf-DieterMüller/Hans Umbreit, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5/2: Organisationund Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelleRessourcen 1942-1944/45, Stuttgart 1999, S. 275-773, hier: S. 364 f.

7 Boris von Haken, Der Reichsdramaturg Rainer Schlösser und die Politik des Musiktheaters imNS-Staat, Diss. phil. FU Berlin 2005.

8 Irene Guenter, Nazi Chic? Fashioning Women in the Third Reich, Oxford/New York 2004,S. 224.

9 »Führererlaß« über die Berufung eines Beauftragten für die militärische Geschichtsschreibungv. 17.5.1942, Martin Moll (Hg.), »Führer-Erlasse« 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter,nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schrift-lich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik undMilitärverwaltung, Stuttgart 1997, Dok. 161, S. 251 f.

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direktor der Preußischen Archivverwaltung, zum Reichskommissar für den Archiv-schutz ernennen, um die Auslagerung wertvoller Bestände zu organisieren.10

Bereits Zeitgenossen haben diese Veränderungen registriert und Konsequenzenangesprochen, die sich aus dieser Entwicklung für die Steuerungsfähigkeit des NS-Staates ergaben. Angesichts von mehr als vierzig Hitler direkt unterstellten Reichs-stellen, so Ernst Rudolf Hubers verhaltene Kritik aus dem Jahre 1941, seien Regierungund zentrale Verwaltung gegenwärtig »ein vielgliedriger Organismus«. Der autoritär-konservative Staatsrechtler befürchtete einen Verlust staatlicher Handlungsfähigkeitund unterstrich daher die Notwendigkeit, »eine wirkliche Einheit der Regierung, d.h.der planvollen Lenkung und Leitung, wiederherzustellen«.11 Ziemlich unverblümtumriß auch die Frankfurter Zeitung das Problem Ende 1942: Zwar traue man denSonderkommissaren mehr Beweglichkeit und Stoßkraft zu als den traditionellen Mi-nisterialverwaltungen; die Übertragung von Vollmachten an immer neue »Spezial-kommissare« berge jedoch auch das Risiko, daß »eine allzu starke Aufsplitterung […]die Zusammenarbeit erschweren, die Reibungsflächen vergrößern und die Möglich-keiten vermehren könnte, daß die Entscheidungen nicht aufeinander abgestimmtwären oder sich gar widersprächen«.12

Die Forschung hat diese zeitgenössische Perspektive weitgehend übernommen.Indem Sonderbeauftragte die »Regierungseinheit und das Regierungsmonopol desReichskabinetts in Frage stellten«, so Dieter Rebentisch, hätten sie den »Prozeß derfortschreitenden Staatsauflösung« entscheidend gefördert.13 Weit eindeutiger nochkonstatiert Hans Mommsen einen »ungeheuren und chronisch gewordenen Kräfte-verschleiß« und »fortschreitenden Effizienzverlust des Regimes«, »rückläufige Steue-rung«, »fehlende Korrekturen«, »fehlende Koordination«, »parasitäre Zersetzung«,»Systemverfall«, mithin nur Defizite und Auflösung vormals funktionsfähiger, büro-kratisch organisierter staatlicher Strukturen.14 Sonderkommissare ausschließlich als

10 Eckert, Kampf (wie Anm. 1), S. 58.11 Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, in: Zeitschrift für die ge-

samte Staatswissenschaft 101 (1941), S. 530-579, hier: S. 561. Zu Hubers Staatsrechtslehrekritisch: Ralf Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zuErnst Rudolf Huber, Berlin 1997.

12 Minister und Kommissare, in: Frankfurter Zeitung v. 15.11.1942. Die Frankfurter Zeitung gabhier Überlegungen des Staatssekretärs im Reichsinnenministerium, Wilhelm Stuckart, wie-der.

13 Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwick-lung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 362.

14 Hans Mommsen, Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung, in: Walter H. Pehle(Hg.), Der historische Ort des Nationalsozialismus. Annäherungen, Frankfurt am Main1990, S. 31-46, hier: S. 32 f., 40, 44 f. Das überspitzt gezeichnete Bild einer »progressiven Auf-splitterung des Regimes in atomisierte, verselbständigte Aktionszentren«, in dem die »Poly-kratie der Sonderstäbe« die »zentralisierte Staatsmacht« aufgelöst habe, hält sich auch inneueren Gesamtdarstellungen hartnäckig, die Zitate bei Hans-Ulrich Wehler, DeutscheGesellschaftsgeschichte 1914-1949, München 2003, S. 905. Eine eindeutige Zurückweisungdieses Paradigmas findet sich dagegen bei Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt.

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Triebkräfte der fortschreitenden Staatsauflösung zu analysieren, verstellt jedoch denBlick auf wesentliche Probleme: So wird die in dieser Sichtweise implizit enthalteneTrennung zwischen »alten« – d.h. staatlichen, der Tradition des rational-bürokrati-schen Anstaltsstaats verpflichteten – und »neuen« – d.h. besonders stark politisiertenund stärker außernormativ agierenden – Bürokratien der Verwaltungswirklichkeitdes »Dritten Reiches« kaum gerecht. Diese rigide Zweiteilung entstammt der älterenSichtweise eines Dualismus zwischen Partei und Staat, den die neuere Forschunggründlich in Frage gestellt hat.15 Sie läßt zudem wenig Raum für die typologischeEinordnung institutioneller Hybridformen zwischen traditioneller Ministerialverwal-tung, Kommissarsvollmachten und Formen der public-private-partnership, wie sie sichetwa im Umfeld des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft und des Reichs-ministeriums für Bewaffnung und Munition unter Albert Speer entwickelten.16 Vorallem aber wird eine auf Staatsauflösung, Koordinationsdefizite und Steuerungs-probleme verengte Perspektive der irritierenden Tatsache nicht gerecht, daß das NS-Regime gerade in Kriegszeiten ein erstaunliches Mobilisierungspotential entwickelnkonnte. Hierbei spielten »Hitlers Kommissare« eine wichtige Rolle. Sie waren keines-wegs nur Zerstörer traditioneller Verwaltungsstrukturen, sondern ebenso ein wesent-liches Element ihrer Dynamik. Nicht zuletzt die Einsetzung von Generalbevollmäch-tigten und -inspektoren, von Reichskommissaren und Sonderbeauftragten befähigtedas Regime, in einem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Umfeld, dassich zunehmend schneller veränderte, immer wieder neu gesellschaftliche Energienund ökonomische Ressourcen zu mobilisieren.

Die These vom Staatsverfall und von der gleichsam »räuberischen« Aneignung vonKompetenzen durch Sonderkommissare zu Lasten der traditionellen Verwaltungensuggeriert zudem eine Art machtpolitisches Nullsummenspiel: Denn sie geht implizitvon der Vorstellung aus, ein konstantes Quantum an Kompetenzen und Machtres-sourcen sei lediglich von alten auf neue Instanzen umverteilt worden.17 Tatsächlichverkennt eine solche Prämisse, die nicht selten auf der apologetischen Nachkriegslite-

Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart,3. durchgesehene Aufl., München 2002, S. 458-479, hier: S. 459 f.

15 Vgl. z.B. die Beiträge in: Wolf Gruner/Armin Nolzen (Hg.), Bürokratien. Initiative und Effi-zienz (= Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 17), Berlin 2001, sowie die Beiträgevon Christiane Kuller und Bernhard Gotto in diesem Band.

16 Zum Reichsministerium für Bewaffnung und Munition s. Walter Naasner, Neue Macht-zentren in der deutschen Kriegswirtschaft 1942-1945. Die Wirtschaftsorganisation der SS, dasAmt des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und das Reichsministerium für Be-waffnung und Munition/Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion im national-sozialistischen Herrschaftssystem, Boppard am Rhein 1994, S. 163-225.

17 Zur Kritik der These einer »Machtsummenkonstanz« vgl. Niklas Luhmann, Legitimationdurch Verfahren, 2. Aufl., Darmstadt/Neuwied 1975, S. 176 f., sowie ders., Funktionen undFolgen formaler Organisation, 3. Aufl., Berlin 1976, S. 384 f. Zur Entwicklung der Macht-theorie in der Soziologie vgl. Steven Lukes, Macht und Herrschaft bei Weber, Marx, Fou-cault, in: Joachim Matthes (Hg.), Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deut-schen Soziologentages in Bamberg, Frankfurt am Main/New York 1983, S. 106-119.

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ratur ehemaliger Akteure beruht, daß durch die Verdichtung der NS-Herrschaft undderen Expansion zahlreiche neue Herrschaftsfelder entstanden. Bei den Sonderge-walten angesiedelte Befugnisse mußten daher in der Bilanz nicht automatisch zumMachtverlust älterer Institutionen führen. Zudem reagierte ein erheblicher Teil derneu eingesetzten Sondergewalten – z.B. im Bereich der Rüstungs- und Kriegswirt-schaft – auf Probleme, für die im Rahmen der traditionellen Reichsverwaltung nursehr eingeschränkte Bearbeitungskapazitäten zur Verfügung standen.

Um das Wirken der Sonderbeauftragten im Herrschaftsgefüge der NS-Diktatur zuanalysieren, können folgende Fragen hilfreich sein: In institutionengeschichtlicher Per-spektive: In welche hierarchischen Zusammenhänge wurden die Sonderkommissareeingebettet? Wo bestanden organisatorische und verfassungsrechtliche Anknüpfungs-punkte? Wer definierte ihren Aufgabenbereich, und mit welchen Vollmachten undMachtmitteln wurden sie dabei ausgestattet? Was qualifizierte sie für ihre Aufgabe?Nach welchen Kriterien rekrutierten sie das Personal ihrer Arbeitsstäbe? Im Hinblickauf die Interaktionen mit anderen Dienststellen: Wie begegneten die übrigen Akteuredes politischen Feldes der Ernennung von Kommissaren? Lassen sich Bedingungenfür den Erfolg oder den Mißerfolg von Sonderbeauftragten feststellen? In bezug aufdie Funktion der Kommissare im NS-Herrschaftssystem: In welchen Politikfeldernwaren Sonderbeauftragte tätig? Welche Konstellationen führten zu ihrer Ernennung?Von wem ging die Initiative dazu aus? Welche Mobilisierungseffekte und Wechsel-wirkungen mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen lassen sich nachweisen?

Über die meisten Sonderbevollmächtigten des NS-Staates ist nur wenig bekannt,daher harren die hier angeschnittenen Fragen noch einer genaueren Analyse. Aufeinige Fragen versuchen die Autoren dieses Bandes Antworten zu geben, indem sieStudien zu Sondergewalten in zentralen Politikfeldern vorlegen: Zum Reichskom-missar für die Preisbildung (André Steiner), zum Generalbevollmächtigten für dieRegelung der Bauwirtschaft (Christiane Botzet), zum Generalinspektor für Wasserund Energie (Bernhard Stier) und zum Reichskohlenkommissar (Kim Christian Prie-mel). Zweimal steht Joseph Goebbels im Mittelpunkt: als Reichspropagandaminister(Daniel Mühlenfeld) und als »Kommissar der Heimatfront« 1943/44 (Dietmar Süß).Christiane Kuller untersucht den komplexen Aspekt der Finanzierung der Sonder-bevollmächtigten, Bernhard Gotto die Verzahnung der Reichskommissare mit regio-nalen und lokalen Behörden.

1. Varianten der Institutionenbildung

Kommissare waren keine Besonderheit der NS-Diktatur. Werden sie als exzeptionellerTypus der NS-Herrschaftsorganisation profiliert, geraten leicht Kontinuitätsliniender preußisch-deutschen Staatsrechtstradition aus dem Blick, die in der NS-Zeit wei-terwirkten und Anknüpfungspunkte für Formen außerordentlicher Herrschaftsorga-nisation boten.18 Die Vorgeschichte von »Hitlers Kommissaren« reicht bis in die Zeit

18 Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung für die allgemeine Verwaltungsge-schichte [E. A. 1910], in: ders., Beamtentum und Bürokratie, hg. und eingeleitet von Kersten

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des Absolutismus. Auf das monarchische Verordnungsrecht gestützt und mit zeitlichbefristeten Aufträgen versehen, traten Kommissare überall dort auf, »wo neue undaußerordentliche Aufgaben« für die Staatsverwaltung entstanden, »zu deren Bewäl-tigung die alten ordentlichen Beamten nicht geeignet oder zugänglich« waren.19 In-sofern hatten sie als »Mittel der monarchischen Disziplin« und »Instrumente derZentralisation« entscheidenden Anteil am Aufbau des absolutistischen Militär-staats.20 Mehrere Ernennungen der NS-Zeit, z.B. die Einsetzung Todts als Generalin-spektor für das deutsche Straßenwesen, stehen in dieser Traditionslinie derVerwaltungsdisziplinierung. Auch dort, wo die Einsetzung eines Sonderbevollmäch-tigen scheinbar auf eine spontane Entscheidung Hitlers zurückging, konnte diese anseit langem geführte Zentralisierungsdiskussionen anknüpfen, wie Bernhard StiersBeitrag zum Generalinspektor für Wasser und Energie zeigt. Am Beispiel des Reichs-kohlenkommissars thematisiert Kim Priemel einen Traditionsstrang, der in die Zeitdes Ersten Weltkriegs zurückreicht, als mehrere Sonderbevollmächtigte zur Vertei-lung knapper Rohstoffe berufen wurden. Abgesehen davon war die Weimarer Demo-kratie nicht eben arm an außerordentlichen Situationen, die zur Berufung von Kom-missaren führten, etwa, um die Interessen der Bevölkerung in den besetzten west-deutschen Gebiete gegenüber den alliierten Besatzungsbehörden zu vertreten, dieReichsgewalt in Fällen von inneren Unruhen durchzusetzen oder den aus dem Lotgeratenen Reichshaushalt zu sanieren.21

Die hier nur angedeutete Tradition, außerhalb der regulären Behördenorganisati-on Kommissare mit Sondervollmachten zu ernennen, setzte das NS-Regime fort –und machte daraus eine geradezu inflationäre Praxis. Allerdings war es keineswegszwingend, daß die Ausdifferenzierung neuer politischer Handlungsfelder durch dieEinsetzung eines Kommissars erfolgte. Gerade in den Anfangsjahren des »DrittenReiches« dominierte das Vorbild der herkömmlichen staatlichen Zentralbehörde dieInstitutionenbildung. Die Einrichtung eines Kommissariats war oft nur eine vorläu-fige Lösung zweiter Wahl, die man – wie im Falle des Reichsluftfahrtministeriums –aus außenpolitischen Erwägungen wählte und baldmöglichst korrigierte. Vieles wurdesituativ und taktisch entschieden, ohne daß sich generalisieren ließe, warum oderunter welchen Umständen ein bestimmter Organisationstyp bevorzugt wurde. Die

Krüger, Göttingen 1981, S. 78-112. Zum europäischen Kontext vgl. Lutz Raphael, Recht undOrdnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000, S. 90 f.

19 Hintze, Commissarius (wie Anm. 18), S. 104.20 Ebd., S. 102 f., 105.21 Im Juli 1919 ernannte die Reichsregierung den Kölner Regierungspräsidenten Karl von Starck

zum Reichs- und Staatskommissar für die besetzten Gebiete. Im April 1919 bestellte sie densozialdemokratischen Politiker Carl Severing zum Reichs- und Staatskommissar für das Ge-biet des Wehrkreiskommandos Münster, ähnliche Kommissare wurden 1920 für Thüringenund 1923 für Sachsen bestellt. Im November 1922 wurde der ehemalige preußische Finanzmi-nister und Präsident des Reichsrechnungshofs Friedrich Saemisch zum Reichssparkommissarernannt und mit der Prüfung von Verwaltungsvereinfachungen in den Reichsbehörden be-auftragt. Saemisch blieb bis 1934 in diesem einflußreichen Amt.

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organisationspolitische Flexibilität des NS-Regimes läßt sich exemplarisch an derGründungsgeschichte des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propagandastudieren, die Daniel Mühlenfeld untersucht. Es wurde mit Rücksicht auf die konser-vativen Bündnispartner der NSDAP zunächst als Kommissariat geplant, dann aberals Ministerium institutionalisiert, als die Kräfteverhältnisse dies erlaubten. Späterscheinen sich Sonderbevollmächtigte zunehmend vom Vorbild der traditionellenReichsverwaltung gelöst zu haben. Allerdings ist auch dieser Trend nicht eindeutig,denn mit Todt und Speer verfügten die Hauptverantwortlichen des für das NS-Re-gime besonders wichtigen Rüstungssektors sowohl über Minister- als auch Kommis-sarsvollmachten.

So sehr sich »Hitlers Kommissare« durch ihr Arbeitsfeld, die institutionelle Aus-gestaltung ihrer Dienststellen und die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittelunterschieden, waren den meisten von ihnen doch drei Dinge gemeinsam: die Institu-tionalisierung ihrer Tätigkeit jenseits bestehender Kompetenzverteilungen, die Tren-nung ihrer Planungs- und Organisationsaufträge von den dazugehörigen Verwal-tungsaufträgen und die persönliche Ermächtigung, oft durch einen »Führerauftrag«.Daher spricht vieles dafür, in der Ausgliederung zentraler Verantwortungsbereicheaus der Spitzenebene der Ministerialverwaltung und in der zunehmenden Persona-lisierung der Entscheidungsstrukturen zwei Grundmodi nationalsozialistischer Insti-tutionenbildung zu sehen. Allerdings blieb der »führerunmittelbare« Kommissar inseiner Reinform eine vergleichsweise seltene Erscheinung. Nur wenige Sonderbeauf-tragte waren dem Diktator direkt unterstellt und verfügten als Oberste Reichsbehör-de über einen eigenen Etat und die Befugnis zur bereichsspezifischen Rechtsetzung.22

Der weit größere Teil wurde entweder – wie der Reichskommissar für den freiwilligenArbeitsdienst Konstantin Hierl und der nur kurze Zeit amtierende Reichskommissarfür das Siedlungswesen Gottfried Feder – einem Ministerium angegliedert oder vonHermann Göring als Generalbevollmächtigtem für den Vierjahresplan berufen.23

2. Zur Funktion der Sonderbeauftragten im NS-Machtgefüge

Das NS-Regime bediente sich der Kommissare vor allem dort, wo ältere Institutionenaus seiner Sicht keine befriedigenden Lösungen für neu auftretende Probleme anbotenoder aber Problemlagen sich so verändert hatten, daß die etablierten Bearbeitungs-weisen unzureichend erschienen. Wählt man Aufgabenprofil und Auftragsreichweiteals Differenzierungskriterien, lassen sich fünf Typen von Sonderbeauftragten unter-scheiden.24

22 »Führerunmittelbare« Kommissare wurden, sofern sie nicht über Haushalts- und Personal-hoheit verfügten, zumeist im Etat der Reichskanzlei geführt.

23 Zu Hierl s. Kiran Klaus Patel, »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und denUSA 1933-1945, Göttingen 2003, S. 75-103; zu den von Göring ernannten KommissarenAnm. 4.

24 Für eine Typologie nach finanzierungspolitischen Kriterien vgl. den Beitrag von ChristianeKuller, S. 69 f.

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– Kommissare im engeren Sinn, die eingesetzt wurden, um einen politisch hoch priori-sierten Auftrag durchzusetzen, und die dazu Führungsstäbe außerhalb der beste-henden Verwaltung errichteten. Ihre Mobilisierungsfunktion bezog sich vor allemauf die großen Bauvorhaben und rüstungswirtschaftlichen Produktionsprogrammedes Regimes. Hier ging es darum, vorrangige Politikziele durch die Konzentrationvon Handlungsvollmachten und Ressourcen voranzutreiben.25 Während des Kriegeswurden mehrfach Kommissare explizit mit dem Ziel ernannt, aus den vorhande-nen begrenzten Mitteln möglichst viele Hilfsquellen für die Kriegsführung verfüg-bar zu machen.26 Abstrakt gesprochen ging es also darum, die Leistungsfähigkeiteinzelner gesellschaftlicher Teilsysteme zu Lasten der übrigen zu steigern und sobereichsspezifischen Rationalitätskriterien zur Durchsetzung zu verhelfen.

Dies stand in Spannung zur zweiten Hauptaufgabe der Kommissare:– ihrer Koordinierungsfunktion. Sie bezog sich insbesondere auf die Koordination

unterschiedlicher Politikfelder, die Vereinheitlichung der Güterproduktion unddie Verteilung knapper Güter.27 In diesem Sinne waren die Kommissare integralerBestandteil einer Politik, die ihre materiellen und personellen Ressourcen struktu-rell überdehnte. Mit der Einsetzung von Koordinationskommissaren reagierte dasNS-Regime auf Steuerungsprobleme an den Schnittstellen gesellschaftlicher Teil-bereiche, die sich teilweise aus Besonderheiten der nationalsozialistischen Herr-

25 In diesem Sinne beschrieb Göring Todts Aufgabenfeld bei dessen Ernennung zum General-beauftragten für die Regelung der Bauwirtschaft. Seine Aufgabe sei es, »zunächst dafür zusorgen, daß die reichswichtigen Bauvorhaben in jeder Weise gefördert, und daß zu diesemZwecke die weniger dringlichen Aufgaben rücksichtslos zurückgestellt werden.« SchreibenGörings an Todt v. 9.12.1938, RGWA Moskau, 700-1-6/30, Bl. 306; unvollständig abgedrucktin: Timothy W. Mason, Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialienzur deutschen Arbeiterpolitik 1936-1939, Opladen 1975, Dok. 83, S. 557.

26 So bestand der einzige Auftrag des Bevollmächtigten für die Kraftfahrzeugerfassung darin,möglichst viele Transportfahrzeuge für das Ostheer zu mobilisieren. Goebbels sollte als Reichs-bevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz »das Höchstmaß von Kräften für Wehrmachtund Rüstung« freimachen. »Führererlaß« über den Bevollmächtigten für Kraftfahrzeug-Ein-satz und Erfassung v. 16.1.1943, Moll, »Führer-Erlasse« (wie Anm. 9), Dok. 223, S. 314 f.; Erlaßdes »Führers« über den totalen Kriegseinsatz v. 25.7.1944, Reichsgesetzblatt (RGBl.) I, S. 161 f.

27 Drei Aufgabenbeschreibungen seien hier exemplarisch genannt: Der Generalbevollmächtigtefür das Kraftfahrwesen sollte »durch Typenbeschränkung, durch weitgehendste Normungund durch ähnliche Maßnahmen die Erzeugung schlagkräftiger« machen. Die EinsetzungTodts als Generalinspektor für Wasser und Energie wurde explizit mit der »Notwendigkeiteinheitlicher Planung« aufgrund der »besonderen Erfordernisse des Krieges« begründet. Ganzähnlich umfaßte der Arbeitsauftrag des Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstaltendie »planmäßige Bewirtschaftung des gesamten vorhandenen Anstaltsraums für das ganzeReichsgebiet«, da eine »Entscheidung nach rein örtlichen Gesichtspunkten […] zu Mißstän-den führen« müsse. Ernennungsschreiben Görings an von Schell v. 15.11.1938, RGWA Moskau,700-1-6/30, Bl. 305; Erlaß des »Führers« und Reichskanzlers über den Generalinspektor fürWasser und Energie v. 29.7.1941, RGBl. I, S. 467 f.; Verordnung über die Bestellung einesReichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten v. 23.10.1941, RGBl. I, S. 653.

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schaftsordnung ergaben, zum Teil aber auch aus den durch Aufrüstung und Kriegsignifikant veränderten Rahmenbedingungen.

– Klein- und Kleinstkommissare mit eng begrenzten Aufträgen, die in die Verwaltungeines Reichsministeriums eingebunden blieben und diesem disziplinär unterstan-den.

– die Revolutionskommissare der Jahre 1933/34. Sie stammten zumeist aus der SA undden nationalsozialistischen Berufsorganisationen und waren ein Instrument derMachtdurchsetzung gegenüber der inneren Verwaltung und den Berufsverbän-den.28

– Territorialkommissare, die in den eingegliederten, angegliederten, annektiertenund besetzten Gebieten herrschten und deren Auftrag primär räumlich, nichtfunktional definiert war.29

Längst nicht alle Sonderbeauftragten waren »Hitlers Kommissare« in dem Sinne, daßsie ihre Ernennung einer Initiative des Diktators verdankten und diesem unmittelbarverantwortlich waren. Tatsächlich gab Hitlers Absicht, eine seiner Ansicht nach zuschwerfällige Bürokratie zu umgehen, nur in wenigen Fällen den Ausschlag, etwa beider Einsetzung Fritz Todts als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen. Be-kannt ist, daß mancher Kommissar seine Ernennung weniger tatsächlichem Hand-lungsbedarf verdankte als seinem unbändigen Ehrgeiz, der ihn die »krisenhafte«Situation, für deren Bewältigung es eines Sonderauftrags bedurfte, erst herbeiredenließ. Dies gilt etwa für Robert Ley, der dem Reichsarbeitsministerium mitten imKrieg eine ungenügende Tätigkeitsbilanz unterstellte, um die Zuständigkeit für densozialen Wohnungsbau aus dessen Geschäftsbereich herauszulösen.30 Häufiger je-doch drängten die Repräsentanten einzelner Politikfelder vor dem Hintergrund einesakut gesteigerten Problemdrucks auf die Einsetzung eines Sonderbevollmächtigtenund verbanden damit hohe Erwartungen: Ein Kommissar, so hoffte man, würde deneigenen Sektor gegen den Zugriff konkurrierender Bedarfsträger stärken. Diese Über-legung veranlaßte beispielsweise das Reichswirtschaftsministerium, bei Göring aufdie Ernennung eines Bevollmächtigten für den Maschinenbau im Vierjahresplan zudrängen.31 Zweitens versprach man sich von der Einsetzung eines Sonderbeauftrag-

28 Dazu s. Andreas Wagner, »Machtergreifung« in Sachsen. NSDAP und staatliche Verwaltung1930-1935, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 161-193.

29 Vgl. dazu Rebentisch, Führerstaat (wie Anm. 13), S. 293-331.30 Marie-Luise Recker, Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau. Zu Aufbau, Stel-

lung und Arbeitsweise einer führerunmittelbaren Sonderbehörde, in: Rebentisch/Teppe, Ver-waltung (wie Anm. 5), S. 333-350, hier: S. 334; Rebentisch, Führerstaat (wie Anm. 13), S. 332.

31 Man habe sich zu dieser Beauftragung entschlossen, »weil die außerordentlich angespannteLage auf dem Gebiete des Maschinenbaus eine sofortige Regelung erforderlich macht und derfür die Regelung in Aussicht genommene Direktor Lange ohne amtliche Beauftragung nichtin der Lage wäre, sich gegen die verschiedenen Kontingentsträger durchzusetzen.« SchreibenBrinkmanns (Reichswirtschaftsministerium) an Göring v. 3.11.1938, RGWA Moskau, 700-1-6/30, Bl. 304.

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ten, daß dieser lähmende Zuständigkeitskonflikte entscheiden könne, die entstanden,weil das NS-Regime außer dem »Führerentscheid« nur wenige allgemein akzeptierteVerfahren der Konfliktaustragung kannte.32 Diese Überlegung bildete ein wichtigesMotiv mehrerer Vorstöße der Deutschen Arbeitsfront und des Oberkommandos derWehrmacht, die schließlich zur Ernennung des thüringischen Gauleiters Fritz Sauk-kel zum Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz führten.33 Es wäre daher falsch,in Sonderbeauftragten ausschließlich ein Instrument diktatorialer Herrschaftstechniknach dem Prinzip »divide et impera« zu sehen. Sie waren auch ein Versuch der institu-tionalisierten Konfliktlösung und der Erhöhung der Steuerungskapazität unter denBedingungen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems.

3. Kommissare und ihre Stäbe

Die Qualifikationen, die Kommissare für ihr Amt mitbrachten, variierten stark; einigefür die Berufung förderliche Kriterien lassen sich jedoch benennen: Bei der Besetzungbereichsübergreifender Positionen spielten Organisationstalent und die vom zukünf-tigen Amtsinhaber erwartete Durchsetzungsfähigkeit innerhalb des nationalsozialisti-schen Herrschaftsgefüges eine entscheidende Rolle. Zentral für dessen Chancen, dieihm zunächst nur formal übertragenen Kompetenzen gegenüber Rivalen auch tatsäch-lich durchzusetzen, waren die Machtressourcen, über die er bereits vor seiner Ernen-nung verfügte. Dazu zählten eine institutionelle und personelle Hausmacht und derdirekte Zugang zu Hitler. Es ist deshalb kein Zufall, daß mit Josef Wagner und Jo-seph Goebbels einflußreiche Kommissare aus den Reihen der altgedienten NSDAP-Gauleiter ausgewählt wurden, weil deren Mobilisierungsfähigkeit besonders hocheingeschätzt wurde.

Andere Kommissare standen großen NS-Organisationen vor, etwa Heinrich Himm-ler und Robert Ley. Himmler kontrollierte bereits große Teile des Sicherheitsapparatseinschließlich der Konzentrationslager, als Hitler ihm im Oktober 1939 entscheiden-de Kompetenzen auf dem Gebiet der Bevölkerungs- und Rassenpolitik übertrug, ausdenen der formal dem Reichsinnenministerium unterstellte Reichsführer SS den An-spruch auf die Stellung einer Obersten Reichsbehörde und den in Hitlers Erlaß nicht

32 Armin Nolzen, Charismatic Legitimation and Bureaucratic Rule. The NSDAP in the ThirdReich, 1933-1945, in: German History 23 (2005), S. 494-518, hier: S. 506, argumentiert, daßdie Dienststelle des Stellvertreters des Führers/Parteikanzlei in vielen Bereichen als instutio-nalisierte Arena der Konfliktaustragung fungierte.

33 Naasner, Machtzentren (wie Anm. 16), S. 32 f.; Dietrich Eichholtz, Die Vorgeschichte des »Ge-neralbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz«, in: Jahrbuch für Geschichte 9 (1973), S. 339-383,hier: S. 366 ff. Auch bei der Ernennung Brandts zum Generalkommissar für das Sanitäts- undGesundheitswesen ging es ursprünglich darum, eine Entscheidungsinstanz für Verteilungs-konflikte zwischen militärischen Bedarfsträgern einzusetzen. Winfried Süß, Der »Volkskör-per« im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im national-sozialistischen Deutschland 1939-1945, München 2003, S. 83.

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vorgesehenen Titel eines Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volks-tums ableitete.34 Der NSDAP-Reichsorganisationsleiter und Führer der DeutschenArbeitsfront Robert Ley konnte seinem sozialpolitischen Imperium im November1940 den Titel eines Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau und zweiknappe Jahre später dann den des Reichswohnungskommissars hinzufügen. Ebenfallsin diese Kategorie ist wohl Fritz Todt einzuordnen, der als Generalinspektor für dasStraßenwesen (seit Juli 1933), Leiter der Organisation Todt (seit Mai 1938), Generalbe-vollmächtigter für die Bauwirtschaft (seit Dezember 1938), Generalinspektor für Son-deraufgaben im Vierjahresplan (seit Februar 1940), Reichsminister für Bewaffnungund Munition (seit März 1940) sowie als Generalinspektor für Wasser und Energie(seit Juli 1941) eine Zentralstellung in der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaftinnehatte.35

Ein dritter, vornehmlich während des Krieges berufener Typus des »führerun-mittelbaren« Sonderbeauftragten wird durch Todts Nachfolger Albert Speer und denReichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt repräsen-tiert.36 Durch ihre enge persönliche Bindung an den nationalsozialistischen Diktatorverkörpern sie am stärksten den Typus des »charismatischen Jüngers«.37 Als Angehö-rige der Geburtsjahrgänge 1905 und 1904 waren beide deutlich jünger als die meistenihrer Machtkonkurrenten aus dem Führungskorps der NSDAP. Beide waren erstkurz vor dem Fall der Weimarer Demokratie zur NSDAP gestoßen. Sie verfügtendaher nicht über »Verdienste« aus deren »Kampfzeit«, sondern verdankten ihre Stel-lung einer Kombination aus fachlichem Sachverstand, Organisationstalent und derpersönlichen Wertschätzung Hitlers. Charakteristisch für die primär auf das Vertrau-en des Diktators gestützten Kommissare war ihr dauerhaft gespanntes Verhältnis zum

34 Rebentisch, Führerstaat (wie Anm. 13), S. 332.35 Zur Biographie Todts s. Franz W. Seidler, Fritz Todt. Vom Autobahnbauer zum Reichsminister,

in: Ronald Smelser/Rainer Zitelmann (Hg.), Die Braune Elite. 22 Biographische Skizzen,2. Aufl., Darmstadt 1990, S. 299-312.

36 Zu Brandt, der zuvor schon als einer von zwei Beauftragten Hitlers für den Krankenmordfungiert hatte, s. Süß, Volkskörper (wie Anm. 33), S. 76-94, 160-168.

37 Max Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätzezur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winkelmann, Tübingen 1985, S. 475-488, besondersS. 481 ff. Zur aktuellen Diskussion des Konzepts der »charismatischer Herrschaft« und seinerAnwendbarkeit auf das NS-Herrschaftssystem vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte (wieAnm. 14), Bd. 4, S. 624 ff.; zur Kritik der hitleristisch verengten Rezeption Webers dort s.Rüdiger Hachtmann, Bürgertum, Revolution, Diktatur – zum vierten Band von Hans-UlrichWehlers »Gesellschaftsgeschichte«, in: Sozial.Geschichte 19 (2004), Heft 3, S. 60-87, hier:S. 71-77. Zu dem für Weber zentralen, von der NS-Forschung bisher jedoch wenig thema-tisierten Aspekt der charismatischen Verwaltungsstäbe vgl. Rüdiger Hachtmann, Chaos undIneffizienz in der deutschen Arbeitsfront. Ein Evaluierungsbericht aus dem Jahre 1936, in:Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), S. 41-78, hier: S. 67-76; ders., Einleitung zu:ders. (Hg.), Ein Koloß auf tönernen Füßen. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers Karl Eickeüber die Deutsche Arbeitsfront vom 31. Juli 1936, München 2006, S. 9-94, hier: S. 75-92.

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Parteiapparat der NSDAP, dessen Leiter keine Weisungen von Emporkömmlingenohne politische Meriten akzeptieren wollten.38

In der zweiten Reihe der Sonderbeauftragten – ohne unmittelbaren Zugang zumnationalsozialistischen Diktator und daher zumeist weniger einflußreich – stand einegrößere Zahl fachgeschulter Experten aus Wirtschaft, Militär und Verwaltung, diebereits vor ihrer Berufung in ähnlichen Verwendungen tätig gewesen waren. IhreErnennung bedeutete daher nicht immer eine grundlegende Veränderung im Ak-teursfeld, sondern stattete oft nur im Sinne der nationalsozialistischen Machthaberbewährte Funktionsträger mit neuen Kompetenzen aus. So bearbeitete der Reichsbe-auftragte für die Heil- und Pflegeanstalten, Ministerialdirigent Dr. Heinrich Lindenbereits vor seiner Ernennung im Oktober 1941 Angelegenheiten der geschlossenenpsychiatrischen Fürsorge in der Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriumsund fungierte als deren Verbindungsmann zur Euthanasie-Organisation.39

Für die Ernennung zum Sonderbevollmächtigten war politische Loyalität eineGrundvoraussetzung, nicht hingegen politischer Aktivismus. MinisterialdirektorFriedrich Ernst wurde Anfang 1940 zum Reichskommissar für die Behandlung feind-lichen Vermögens ernannt, ohne Mitglied der NSDAP zu sein. Zuvor hatte er ver-schiedene Dienstposten im Preußischen und im Reichswirtschaftsministerium inne-gehabt sowie seit 1931 das Amt des Reichskommissar für das Bankgewerbe (seit 1935für das Kreditwesen) bekleidet, aus dem er nach Differenzen mit dem Reichswirt-schaftsminister Funk ausgeschieden war.40 Auch Prof. Alfred Theodor Bentz, der dasInstitut für Erdölgeologie an der Preußischen Landesanstalt für Geologie leitete, als erim Juli 1938 zum Bevollmächtigten für die Erdölgewinnung ernannt wurde, gehörtenicht der NSDAP an.41 In vieler Hinsicht verkörpert der SS-Gruppenführer HansKammler ein Gegenmodell zu diesen Experten aus der Ministerialbürokratie bzw.einschlägigen Forschungseinrichtungen.42 Den 1901 geborenen und im Mai 1933 indie SS eingetretenen Ingenieur, über den Speer schrieb, er sei »seinem Werdegangsowie seiner Arbeitsweise nach in manchem mein Spiegelbild«,43 beförderte eine

38 Bezeichnend für diese Haltung ist der bittere Kommentar Martin Bormanns nach der Ent-machtung des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti durch Brandt: Der erste SA-Arzt imroten Berlin habe es nicht verdient, von einem Emporkömmling wie Brandt und seinen Bun-desgenossen aus den Jahren 1933 und 1937 ausgebootet zu werden. Brief Bormanns an seineFrau v. 14.8.1944, Hugh Trevor-Roper, The Bormann letters. The private correspondence be-tween Martin Bormann and his wife from January 1943 to April 1945, London 1954, S. 78 ff.

39 Friedlander, Weg (wie Anm. 5), S. 121; Süß, Volkskörper (wie Anm. 33), S. 471.40 Zu Ernst s. Stephan H. Lindner, Das Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen

Vermögens im Zweiten Weltkrieg. Eine Studie zur Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsge-schichte des nationalsozialistischen Deutschlands, Stuttgart 1991, S. 48 f.

41 Dazu ausführlich Titus Kockel, Deutsche Ölpolitik 1928-1938, Berlin 2005, besonders S. 12,330 ff., 347 ff.

42 Zur Biographie Kammlers s. Rainer Fröbe, Hans Kammler. Technokrat der Vernichtung, in:Robert Smelser/Enrico Syring (Hg.), Die SS. Elite unterm Totenkopf. 30 Lebensläufe, Pader-born 2000, S. 305-319.

43 Albert Speer, Erinnerungen, Berlin 1969, S. 383.

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kometenhaft anmutende Karriere aus der staatlichen Bauverwaltung über Verwen-dungen in der Groß-Berliner Gauleitung, im Reichsluftfahrtministerium und im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt an die Spitze zentraler Rüstungsprogrammedes »Dritten Reiches«. Kammler war unter anderem verantwortlich für die Fertigungvon Strahlflugzeugen und die Produktion der A4-Rakete, die er unter rücksichtsloserAusbeutung der Sklavenarbeit von Konzentrationslagerhäftlingen vorantrieb.44

In einigen Fällen ernannte Hermann Göring höhere Stabsoffiziere zu Rohstoff-und Produktionsbevollmächtigen im Rahmen des von ihm verantworteten Vierjah-resplans.45 Zumeist jedoch berief er wirtschaftsnahe Experten. So hatte Carl Krauch,der als Bevollmächtigter für Sonderfragen der Chemischen Erzeugung mit Zu-ständigkeiten in der Ersatzstoff-, Munitions-, und Sprengstoffproduktion eineSchlüsselposition in der deutschen Rüstungspolitik einnahm, zuvor die AbteilungHochdruck-Chemie sowie das wehrwirtschaftliche Verbindungsbüro der I.G.-Farbengeleitet. Karl Lange – 1938 von Göring zum Beauftragten für die Maschinenproduk-tion ernannt – war seit 1924 Hauptgeschäftsführer, wenig später Präsidiumsmitglieddes Vereins Deutscher Maschinenbauanstalten, seit 1934 dann der entsprechendenWirtschaftsgruppe. Ernennungen ohne fachlichen Hintergrund, wie die des »berg-fremden« DAF-Funktionärs Paul Walter zum Reichskohlenkommissar blieben da-gegen eine Ausnahme.

Die Bedeutung fachgeschulter Experten für die Tätigkeit der Kommissare trittnoch deutlicher hervor, wenn man den Blick auf deren Stellvertreter richtet. Zwarwaren Sondervollmachten in der Regel an die Person des Kommissars gebunden undeine Vertretung explizit ausgeschlossen.46 In der Praxis erledigten jedoch gerade bei deneinflußreichen Kommissaren, die mehrere Führungspositionen innehatten, derenStellvertreter die Amtsgeschäfte. So leitete Günther Schulze-Fielitz, ein Ingenieur, der1933 aus der preußischen Provinzialbauverwaltung in die Behörde des Generalinspek-tors für das Deutsche Straßenwesen übergetreten war, de facto die Dienstgeschäftedes Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft und seit 1943 außerdem des Ge-neralinspektors für Wasser und Energie. Auch der durch zwei Gauleiterposten aus-gelastete Josef Wagner überließ viele Entscheidungen seinem Vertreter Erich Flott-mann, einem ehemaligen Landrat, den er aus dem Schlesischen Oberpräsidium in dieDienststelle des Reichspreiskommissars mitgebracht hatte.47

44 Jens-Christian Wagner, Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001.45 Der im Juli 1937 zum Generalbevollmächtigten für die Eisen- und Stahlbewirtschaftung er-

nannte Hermann von Hanneken war zuvor Stabschef im Heereswaffenamt. Seit Februar 1938

leitete er, zum Generalmajor befördert, die Hauptabteilung II (Bergbau, Eisen-, Energiewirt-schaft) im neu strukturierten Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium. GeneralmajorErich Fellgiebel diente als Stabschef der Nachrichtentruppen, als er zum Sonderbeauftragtenfür technische Nachrichtenmittel ernannt wurde.

46 So das Ernennungsschreiben Görings an Krauch v. 22.8.1938, RGWA Moskau, 700-1-6/30,Bl. 302.

47 Zu Schulze-Fielitz s. Stephan Strauß, Eckhard Schulze-Fielitz und die Raumstadt. Struktura-listische Konzepte der Nachkriegszeit, Diss. Ing. Dortmund 2005; zu Flottmann s. HansDichgans, Zur Geschichte des Reichskommissars für die Preisbildung, Düsseldorf 1977, S. 13.

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Das Drängen vieler Sonderbevollmächtigter auf die personelle und materielle Ex-pansion ihrer Dienststellen erzeugte eine Dauerspannung im Institutionengefüge des»Dritten Reiches«. Die hierdurch ausgelösten Personalveränderungen auf der opera-tiven Ebene blieben jedoch vergleichsweise gering. Drei Faktoren wirkten hier be-grenzend: Hitler stellte die Planungs- und Organisationsaufträge seiner Kommissareklar in den Vordergrund und verweigerte aufgeblähten Personalansätzen zumeistseine Zustimmung.48 Zudem widersprach die von vielen Sonderbevollmächtigten an-gestrebte Zuweisung regulärer Beamtenstellen der Auffassung des Reichsfinanzmini-steriums, daß die Aufgaben der Kommissare vorübergehender Natur seien und ausdiesem Grund eine dauerhafte Etatisierung nicht notwendig sei. Daher wurden Stel-len für die Arbeitsstäbe der Kommissare zumeist entweder durch Abordnungen ausanderen Teilen der Reichsverwaltung zur Verfügung gestellt oder einzelne Referateund ganze Abteilungen aus den ursprünglich zuständigen Reichsministerien überge-leitet.49 Sauckel konnte sich z.B. nach seiner Ernennung zum Generalbevollmächtig-ten für den Arbeitseinsatz auf die entsprechende Geschäftsgruppe in der Vierjahres-planbehörde und Abteilungen des Reichsarbeitsministeriums stützen. Als Schaltstelleder Arbeitseinsatzpolitik fungierte ein persönlicher Stab, dem mehrere höhere Beam-te des Reichsarbeitsministeriums angehörten.50 Auch dort, wo Stellen neu geschaffenwurden, wie in der rasch expandierenden Dienststelle des Reichspreiskommissars,stand »die fachliche Eignung bei der Rekrutierung des Personals im Vordergrund«.51

Drittens schließlich war die Zahl der geeigneten Fachleute begrenzt und zudemdurch Einberufungen zum Militär und Dienst in den Besatzungsverwaltungen weiterrückläufig. Daher behalf man sich häufig mit Personalunionen, die Mitarbeiter derKommissare mit benachbarten Dienststellen vernetzten.52 Diese Praxis der personel-len Verschmelzung funktionsähnlicher, aber institutionell getrennter Arbeitsfeldersollte dem Sonderbeauftragten nicht nur die rare Expertise kompetenter Fachleutesichern, sondern auch eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit aller beteiligtenDienststellen gewährleisten. Besonders häufig sind solche Personalunionen in denMittel- und Unterinstanzen, also den Gauen der NSDAP sowie den Kreisen bzw.Städten zu finden.53 Dies führte Kompetenzen zusammen, die auf der Reichsebene

48 Exemplarisch dokumentiert dies Recker, Reichskommissar (wie Anm. 30), S. 347 f.49 So bildeten Beamte aus den Straßenbaureferaten des Reichsverkehrsministeriums den perso-

nellen Grundstock der Dienststelle des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen.Broszat, Staat (wie Anm. 2), S. 329.

50 Naasner, Machtzentren (wie Anm. 16), S. 35, 38 f., 50.51 S. den Beitrag von André Steiner, Zitat S. 101.52 So bearbeitete eine Reihe der Referenten des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft

die gleichen Sachgebiete auch in den Dienststellen des Generalinspektors für das deutscheStraßenwesen, der Organisation Todt, des Rüstungsministeriums und des Generalbevoll-mächtigten für den Arbeitseinsatz.

53 Der Generalbeauftragte für den Arbeitseinsatz und der Reichskommissar für den sozialen Woh-nungsbau ernannten Gauleiter zu Gebietsbeauftragten, um deren regionale Autorität zu nutzten;Naasner, Machtzentren (wie Anm. 16), S. 37; Recker, Reichskommissar (wie Anm. 31), S. 338 f.

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umstritten oder zumindest nur unklar abgegrenzt waren, so daß ein Teil der eigent-lich von den Kommissaren der Zentralebene zu leistenden Koordinierungsaufgabengleichsam an die nachgeordneten Dienststellen »durchgereicht« wurde.54 Personal-unionen fingen viele der allenthalben auftretenden Machtrivalitäten bereits im Vor-feld ab oder milderten sie durch die Verflechtung von Loyalitätsbeziehungen. DieKommissare sicherten sich auf diese Weise die Sachkompetenz und die oftmals deut-lich besseren Informationsmöglichkeiten benachbarter und nachgeordneter Instan-zenzüge. Im Gegenzug räumten sie den so in ihren Herrschaftsbereich integriertenInstanzen Mitwirkungschancen und damit auch Möglichkeiten zur Verfolgung eige-ner Interessen auf den jeweils höheren Ebenen ein.

Ganz ähnliche Effekte hatte die enge personelle Vernetzung der Sonderbeauf-tragten mit der Wirtschaft und ihren kriegswirtschaftlichen Selbststeuerungsorganen.So beschäftigte der Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen nebenehemaligen Angehörigen des Militärsanitätsdienstes mehrere Experten für Material-bewirtschaftung, die zuvor vergleichbare Aufgabenfelder in der WirtschaftsgruppeFeinmechanik und der Reichsstelle Chemie bearbeitet hatten.55 Am engsten warensolche Verflechtungen bei den Produktionsbevollmächtigten des Vierjahresplans. CarlKrauch stützte sich bei der Organisation der chemischen Produktion weitgehend aufAngestellte der I.G.-Farben. Nicht nur seine Berater für die einzelnen Produktions-programme kamen aus diesem Kreis. 1944 stellten ehemalige Betriebsangehörige desChemiekonzerns nahezu ein Drittel aller akademisch qualifizierten Mitarbeiter inKrauchs Dienststelle; sie blieben zumeist ihrem alten Unternehmen eng verbunden,zumal die I.G. ihnen nicht selten die Gehälter weiterzahlte.56 Deutlich wird hier, wieverkürzt es wäre, in den Sondergewalten lediglich Faktoren einer dysfunktionaleninstitutionellen Zersplitterung und der Desintegration von Herrschaft zu sehen. Ge-rade durch ihre auf institutionelle Verflechtung angelegte Personalpolitik waren sieeinerseits ein Faktor der Herrschaftsverdichtung, andererseits aber auch ein wichti-ges, von Wirtschaft, Wehrmacht und Verwaltung akzeptiertes Element der Herr-schaftsintegration.

4. Überlegungen zur Wirkungsbilanz

Die Frage nach Erfolg oder Mißerfolg einzelner Kommissare läßt sich nur selten soeinfach beantworten wie im Falle des Reichskohlenkommissars Walter, der bereits eingutes Jahr nach seiner Ernennung wieder abberufen wurde, weil sein eigenmächtigesVorgehen den Widerstand nahezu aller montanwirtschaftlichen Akteure hervorge-rufen hatte und so im Blick auf seinen Auftrag, die Kohlenproduktion zu steigern,

54 Zur Bedeutung der Mittel- und Unterinstanzen für die polykratische Selbststabilisierung desNS-Regimes s. den Beitrag von Bernhard Gotto, Zitat S. 38.

55 Süß, Volkskörper (wie Anm. 33), S. 88.56 Dieter Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der Nationalsozialistische Vierjahresplan,

Stuttgart 1968, S. 123.

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57 So läßt sich die rasche Bereitstellung von mehr als 100.000 Lazarettbetten nach dem Zusam-menbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 in der Perspektive des Regimes durchausals »Erfolg« des Reichskommissars für das Sanitäts- und Gesundheitswesen verbuchen. Erwurde freilich durch den terroristischen Zugriff auf die Heil- und Pflegeanstalten, eine erneuteVerschlechterung der Lebensbedingungen der Psychiatriepatienten und die Intensivierungder Patientenmorde erkauft.

58 Vgl. Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Die Entfesselung derGewalt: Rassismus und Krieg, Frankfurt am Main 1996, S. 15-22.

zweckwidrig war. Auch wenn man – was durchaus problematisierbar ist57 – die Wert-bezüge des NS-Regimes zum Maßstab nimmt und nach der Bedeutung der Sonder-gewalten für die Verwirklichung nationalsozialistischer Politikziele fragt, fällt das Er-gebnis selten eindeutig aus. Das hat mehrere Gründe: Erstens änderten sich – vorallem während des Krieges – die Bedingungen der Aufgabenerfüllung permanent, sodaß ein Vergleich mit Vorgänger- oder Nachfolgeinstitutionen kaum möglich ist.Zweitens waren Kommissare häufig an den Schnittstellen verschiedener gesellschaft-licher Teilsysteme tätig. Vermeintliche Erfolge bei der Ressourcenmobilisierung ineinem Handlungsfeld konnten Negativeffekte in anderen Sektoren zur Folge haben,die ex post nur schwer zu bestimmen sind. Drittens, dies zeigt die Tätigkeit Todtsund Speers als Generalinspektoren für Wasser und Energie, kann die Antwort je nachder gewählten Perspektive unterschiedlich ausfallen. Legt man als Bewertungskriteri-um das langfristige Ziel an, die zersplitterte Energiewirtschaft des Deutschen Reichesdurch Zentralisierung zu rationalisieren, blieb ihre Politik unter dem Strich erfolglos,da die Neuordnung des Energiesektors auf die Zeit nach Kriegsende verschoben wer-den mußte. Dagegen gelang es beiden, die Energieerzeugung kurzfristig zu steigernund trotz zunehmender Kriegszerstörungen bis in den Winter 1944/45 aufrechtzu-erhalten. Viertens ist zu berücksichtigen, daß Kommissare nicht nur nach sektoralenRationalitätskriterien agierten, sondern ebenso nach politischen Zielvorgaben, vondenen manchen der Mißerfolg bereits eingeschrieben war. Der Reichspreiskommissarscheiterte nicht nur aufgrund fehlender Machtmittel, sondern auch, weil das Zielstabiler Preise für Konsumgüter zunehmend in Spannung zu den rüstungswirtschaft-lichen Prioritätensetzungen des »Dritten Reiches« stand. Dies berührt einen fünftenPunkt, der eine Wirkungsbilanz der Sonderbeauftragten ebenfalls erschwert. In ge-wisser Weise waren Kommissare die NS-spezifische Lösung für Probleme, die dasNS-Regime erst selbst geschaffen hatte. Indem es die selbständigen Regelkreise gesell-schaftlicher Teilsysteme (z.B. der marktwirtschaftlichen Preisbildung) störte, Arenender Konfliktvermittlung zerschlug und mehr Ressourcen verbrauchte, als die deut-sche Gesellschaft bereitstellen konnte, erzeugte es einen rapide wachsenden Bedarf anRegulation, Intervention und Information.58 Auf den zunehmenden Entscheidungs-streß reagierte das NS-Regime unter anderem mit der Einsetzung von Sonderbeauf-tragten. Insofern wäre es falsch, in Hitlers Kommissaren nur »Bypass-Strukturen« zusehen, die den Willen des Diktators an bestehenden bürokratischen Institutionenvorbei zur Geltung brachten, und die in »ihrer punktuellen Ausrichtung auf kritische

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Systembereiche den komplexen Rückkopplungsgeflechten nicht gerecht« werdenkonnten.59 Sonderbeauftragte bewirkten mehr als kurzfristige und segmentäre Mo-bilisierungseffekte, die im vorliegenden Band am Beispiel eines kommunalen Son-derbeauftragten für den Vierjahresplan, des Energiesektors und der Bewältigung derLuftkriegsfolgen beschrieben werden. Gerade an den Überlappungsflächen mehrererTeilsysteme übernahmen sie wichtige Koordinationsaufgaben und sorgten für einemöglichst optimale Verteilung knapper Ressourcen, wie Christiane Botzets Beitragzum Generalbeauftragten für die Bauwirtschaft zeigt.60 Vielfach bewirkte die Einset-zung eines Kommissars auch schon deshalb einen Effektivierungsschub, weil damiterstmals eine von allen beteiligten Akteuren akzeptierte Instanz entstand, die allge-mein verbindliche Verteilungsentscheidungen treffen konnte.61

Der Beitrag von Dietmar Süß zur Reichsinspektion für den zivilen Luftschutz ver-weist auf die zunehmende Bedeutung der Steuerungsressource Information. Ent-scheidendes Gewicht kam ihr nicht nur als Machtmittel im polykratischen Konfliktzu, etwa durch die Möglichkeit, sie Rivalen vorzuenthalten und Bündnispartnerexklusiv mit Wissen zu versorgen, um sie damit an sich zu binden.62 Eine Zentral-funktion der Sonderbeauftragten bestand vor allem darin, die stetig wachsenden In-formationsströme einer kriegführenden Industriegesellschaft zu filtern und in daspolitische Entscheidungssystem einzuspeisen. Sonderbeauftragte wirkten gewisser-maßen als informatorische Puffer, die das größer werdende Wissensgefälle zwischenReichsverwaltung und Führerhauptquartier überwanden und die Komplexität poli-tischer Entscheidungssituationen durch Personalisierung reduzierten, ohne dabei dieletztinstanzliche Entscheidungsgewalt Hitlers in Frage zu stellen. So trugen sie dazubei, den Absolutheitsanspruch der »Führer«-Diktatur mit dem stetig wachsenden Be-darf an politischer Steuerung zu vermitteln. Daß damit erhebliche Machtpotentialeverbunden waren, liegt auf der Hand.

Das Scheitern des Reichskohlenkommissars Paul Walter, der seine eigenen Macht-ressourcen ebenso überschätzt wie er die Fähigkeit der Vertreter des Stein- undBraunkohlenbergbaus zur gegen ihn gerichteten Bündnisbildung unterschätzt hatte,

59 Ebd., S. 22.60 Dies läßt sich in ähnlicher Weise für den Gesundheitssektor darstellen. Vgl. Winfried Süß,

Der beinahe unaufhaltsame Aufstieg des Karl Brandt. Zur Stellung des Reichskommissars fürdas Sanitäts- und Gesundheitswesen im Machtgefüge der nationalsozialistischen Diktatur, in:Wolfgang Woelk/Jörg Vögele (Hg.), Gesundheitspolitik in Deutschland von der WeimarerRepublik bis in die Frühgeschichte der Bundesrepublik, Berlin 2002, S. 197-223, hier: S. 213 f.

61 Vgl. Süß, Volkskörper (wie Anm. 33), S. 82 f.62 Wie sehr der Zugang zur Ressource Information und die darauf basierende informelle Ver-

netzung dem Ausbau von Machtpositionen diente, zeigt exemplarisch die Biographie AlbertVöglers. Er war nicht nur Lenker der Vereinigten Stahlwerke, sondern als Präsident der Kai-ser-Wilhelm-Gesellschaft von 1941 bis 1945 ohne förmliches Partei- oder Staatsamt einer dereinflußreichsten deutschen Wissenschaftspolitiker der Kriegsjahre. Zur Politik Vöglers s. Rü-diger Hachtmann, Wissenschaftsmanagement im »Dritten Reich«. Die Generalverwaltungder Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Göttingen 2006, bes. Kapitel 8.1, 10.2, 10.4 und 11.3.

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verweist implizit auf einen bislang wenig beachteten Faktor, der über den Erfolg oderMißerfolg eines Sonderbevollmächtigten entscheiden konnte: Die Durchsetzungs-fähigkeit eines Kommissars hing in starkem Maße von seiner Fähigkeit ab, koopera-tive Beziehungen mit anderen Verwaltungen in benachbarten Tätigkeitsbereichensowie – bei wirtschaftspolitischen Sonderaufträgen – mit den Vertretern der einschlä-gigen Wirtschaftsorganisationen und Unternehmen zu entwickeln. Hier ging es auchdarum, bisher nur locker verbundene oder gänzlich unverbundene Institutionen,Verbände, Unternehmen etc. auf der horizontalen Ebene kooperativ zu vernetzen.Gefordert waren daher nicht nur Durchsetzungsvermögen, sondern auch bündnispo-litisches Geschick, die Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, die eigenen Kompeten-zen nicht zu überdehnen und gegebenenfalls vorübergehend zurückzustecken.63

Die Wirkungskraft eines Reichskommissars erhöhte sich, wenn er auf einschlägige,ihm loyale Massenorganisationen zurückgreifen konnte. Dies galt nicht nur fürHimmler und die SS, sondern auch z.B. für Todt, der mit der OT eine Massenorga-nisation aufbaute, die viele der von ihm verantworteten Bauprogramme durchführte.Entscheidend war daneben nicht zuletzt die unmittelbare Legitimation durch Hitler– und zwar weniger, weil damit die im Krieg zunehmend seltener werdende direkteZugangsmöglichkeit zum Diktator verbunden war, sondern wegen des damit verbun-denen Drohpotentials, im Fall einer Nichteinigung in Konflikten einen »Führer-entscheid« in eigener Sache herbeiführen zu können. Ministerialdirektor WernerMansfeld, seit Ende 1936 Leiter der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz beim Beauftrag-ten für den Vierjahresplan, scheiterte als Generalbevollmächtigter für den Arbeitsein-satz trotz weitreichender Vollmachten durch Göring bereits im Vorfeld, weil er nichtunmittelbar durch Hitler berufen worden war. Dies hatte ihm sein Nachfolger Sauk-kel voraus, der zudem durch seinen Gauleiterposten über eine starke Stellung in derHierarchie der NSDAP verfügte, die es ihm ermöglichte, gegenüber Opponenten ausden Reihen der nationalsozialistischen Gaufürsten robuster aufzutreten, als dies einBeamter des Reichsarbeitsministeriums konnte.

In der sich ständig verändernden Institutionenordnung des »Dritten Reiches« wardie Schlüsselrolle des »Zugangs zum Machthaber« für die Positionierung der politi-schen Akteure eine der wenigen Konstanten.64 Demgegenüber veränderte sich dasGewicht der Steuerungsmedien stark. Während die klassischen SteuerungsmedienRecht und Geld signifikant an Bedeutung verloren, wurden seit dem Beginn derforcierten Aufrüstung andere Faktoren wie die Verfügung über knappe Ressourcenimmer wichtiger. Damit wuchs der Einfluß derjenigen Sondergewalten, die die Ver-teilung solcher Ressourcen kontrollierten.

63 So unterstellten sich Todt und Speer als Generalbevollmächtigte für Rüstungsaufgaben imRahmen der Vierjahresplanorganisation formal der Oberhoheit Görings, agierten de factoaber selbständig als kriegswirtschaftliche Zentralinstanzen.

64 Die klassische Formulierung bei Carl Schmitt, Der Zugang zum Machthaber, ein zentralesverfassungsrechtliches Problem, in: ders.: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1954, S. 430-439.

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In der Gesamttendenz legen es die Beiträge dieses Bandes nahe, das vorherrschen-de Bild von »Hitlers Kommissaren« zu modifizieren und sie weniger als zentrifugale,sondern deutlich stärker als integrierende Faktoren der NS-Herrschaft zu begreifen.Allerdings haben viele der hier vorgestellten Ergebnisse noch vorläufigen Charakter.Die Interaktionszusammenhänge der Sondergewalten mit anderen Dienststellen desNS-Regimes jenseits der gut dokumentierten und daher leicht faßbaren machtpoliti-schen Konflikte sind bisher wenig erforscht. Dies gilt ebenso für die Willensbildungin den Dienststellen der Sonderbeauftragten. Auch im Hinblick auf die Wirkungs-bilanz von Hitlers Kommissaren geben die Forschungsbefunde mehr Anlaß zu wei-teren Fragen, als daß sie ein abschließendes Bild ermöglichen. Die offenen Fragenverweisen nachdrücklich darauf, daß die Erforschung von Hitlers Kommissaren engverknüpft ist mit der Analyse des nationalsozialistischen Herrschaftsgefüges. So ver-binden wir mit diesem Band auch die Absicht, die Diskussion um dessen Strukturund Bewegungsmechanismen neu zu beleben.

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Bernhard Gotto

Polykratische SelbststabilisierungMittel- und Unterinstanzen in der NS-Diktatur

Zu den immer noch grassierenden Gemeinplätzen der NS-Forschung gehört dieBeschreibung der nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen als »polykratisch«.Gemeint ist damit, daß in zahlreichen Bereichen keine klare, etwa durch verfassungs-rechtliche Normen geregelte Aufgabenteilung vorherrschte, sondern die Zuständig-keiten für ein Sachgebiet beständig umgemodelt wurden und in der Regel auf meh-rere Personen oder Instanzen zugleich entfielen. Daraus entstanden stets aufs NeueMachtkämpfe zwischen den einzelnen Akteuren, die das Regierungshandeln lähm-ten, verläßliche Entscheidungsstrukturen zerstörten und einen zuvor nach rationalenKriterien durchorganisierten Staatsaufbau heillos zerrütteten.1 Obwohl der organi-satorische Wildwuchs im Staatsaufbau bereits während der Zeit der nationalsoziali-stischen Herrschaft lebhafte Kritik hervorrief, sorgte er im Endeffekt trotz der inne-ren Spannungen für eine verheerende Dynamik bei überraschend hoher Stabilität.2

Dies hat die Forschung zwar oft konstatiert, aber kaum plausibel erklärt. Mittlerweileist der Terminus der Polykratie zur Chiffre für die Unübersichtlichkeit und Verwor-renheit der NS-Staatsorganisation geronnen. Konsequent ist es in dieser Perspektive,den Begriff des Systems ganz abzulehnen, wie es Dieter Rebentisch in seiner Mono-graphie über den nationalsozialistischen Verwaltungsaufbau und die Herrschaftsor-ganisation tut.3 Übrig bleibt dann nur mehr die Vorstellung eines »mehr oder minderheterogenen Machtkonglomerat[s]«.4

Anknüpfend an Überlegungen, die Franz L. Neumann bereits 1944 in seinem »Be-hemoth« entwickelt hat,5 betont die NS-Forschung seit einiger Zeit die Potentiale

1 Vgl. die Definition bei Peter Hüttenberger, Nationalsozialistische Polykratie, in: Geschichte undGesellschaft 2 (1976), S. 417-442, hier: S. 420-423; einen Forschungsüberblick bietet Hans-Ulrich Thamer, Monokratie – Polykratie. Historiographischer Überblick über eine kontro-verse Debatte, in: Johannes Houwink ten Cate/Gerhard Otto (Hg.), Das organisierte Chaos.»Ämterdarwinismus« und »Gesinnungsethik«: Determinanten nationalsozialistischer Besatz-ungsherrschaft, Berlin 1999, S. 21-34.

2 Michael Ruck, Zentralismus und Regionalgewalten im Herrschaftsgefüge des NS-Staates, in:Horst Möller/Andreas Wirsching/Walter Ziegler (Hg.), Nationalsozialismus in der Region.Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München1996, S. 99-122, hier: S. 102.

3 Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwick-lung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S. 14.

4 Michael Ruck, Die deutsche Verwaltung im totalitären Führerstaat, in: Jahrbuch für öffent-liche Verwaltung 10 (1998), S. 1-48, hier: S. 8.

5 Franz L. Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frank-furt am Main 1998, S. 541-543, 556. Vgl. dazu die Erläuterungen von Jürgen Blast, Totalitärer