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Stochastische Betriebsfestigkeit Gunther Wehr 1 , Fabrice Umbdenstock 1 1 ZF Friedrichshafen AG Zusammenfassung Die stetige Verkürzung von Entwicklungszeiten, die Erweiterung von Produktpa- letten und die zunehmende Gewichtsoptimierung von Komponenten zwingt zu "neuen" Beurteilungskriterien bei der Produktentwicklung. Durch Kopplung stochastischer Methoden mit numerischen Simulationstechniken lassen sich für die Konstruktion und Auslegung von Bauteilen und Bauteilgruppen wichtige Informationen, wie Struktursensitivitäten oder die Systemzuverlässigkeit ableiten. Diese Aussagen können bereits zu einem frühen Stadium der Produktentwicklung (vor Prototypenbau, Versuch) getroffen werden. Keywords: Zuverlässigkeit, Bauteile, Bauteilgruppen, Antriebsstrang

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Stochastische Betriebsfestigkeit

Gunther Wehr1, Fabrice Umbdenstock1

1 ZF Friedrichshafen AG

Zusammenfassung

Die stetige Verkürzung von Entwicklungszeiten, die Erweiterung von Produktpa-letten und die zunehmende Gewichtsoptimierung von Komponenten zwingt zu "neuen" Beurteilungskriterien bei der Produktentwicklung. Durch Kopplung stochastischer Methoden mit numerischen Simulationstechniken lassen sich für die Konstruktion und Auslegung von Bauteilen und Bauteilgruppen wichtige Informationen, wie Struktursensitivitäten oder die Systemzuverlässigkeit ableiten. Diese Aussagen können bereits zu einem frühen Stadium der Produktentwicklung (vor Prototypenbau, Versuch) getroffen werden. Keywords: Zuverlässigkeit, Bauteile, Bauteilgruppen, Antriebsstrang

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Weimarer Optimierungs- und Stochastiktage 1.0 – 2./3. Dezember 2004

1 Einleitung

ZF entwickelt und produziert Antriebs- und Lenksysteme sowie Fahrwerktechnik für die Automobilindustrie, Marine und Luftfahrt. Ein Schwerpunkt bei der Aus-legung bildet dabei die Beurteilung der Betriebsfestigkeit von System-komponenten. Der Nachweis von Bauteilen und Baugruppen hinsichtlich ihrer Funktionsfähig-keit und Lebensdauer erfolgt im Allgemeinen auf deterministischem Weg. Zahlreiche Einflussparameter unterliegen jedoch einer nicht zu vernachlässigen-den Streuung. Vor dem Hintergrund, dass Bauteile zunehmend formoptimiert und damit hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und Lebens-dauer ausgereizt werden, gewinnt die Frage nach einer zuverlässigen Auslegung von Komponenten des An-triebsstranges, von Lenk- oder Fahrwerkskomponenten an Bedeutung.

Abbildung 1: Applikationen von ZF Produkten Simulationsbasierte Zuverlässigkeitsanalysen werden durch Kopplung der FEM mit stochastischen Methoden ermöglicht. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Produktentwicklungsphase (vor dem ersten Prototyp) können Aussagen zur Ver-sagenswahrscheinlichkeit bzw. Robustheit des betrachteten Bauteils/ Baugruppe abgeleitet werden. Für derartige Untersuchungen sind keine Versuchs- oder Feld-daten erforderlich. Des Weiteren lassen sich Sensitivitäten der betrachteten Strukturen gegenüber den einzelnen Einflussparametern ableiten, so dass ein Ranking der Einflüsse bei-spielsweise im Hinblick auf die Lebensdauer möglich wird. Damit können der Konstruktion wertvolle Ansätze für effiziente Verbesserungsmaßnahmen gegeben werden. Für die stochastischen Analysen werden relevante Einflussparameter, wie zum Beispiel die Belastung, Geometrien oder Materialeigenschaften, nicht als determi-nistische, sondern als streuende Größen aufgefasst. Das setzt eine entsprechende Kenntnis der stochastischen Eigenschaften der Einflussparameter voraus, die beispielsweise anhand von Erfahrungswerten oder aus Datenbanken abgeleitet werden können. Es kann so ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Bau-teilauslegung, den zugehörigen Fertigungsverfahren und der Produktausfallwahr-scheinlichkeit hergestellt werden.

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2 Problembeschreibung und Diskussion relevanter Grenzzustände

Betrachtet man ein Fahrzeuggetriebe in seiner Gesamtheit, dann sind geometri-sche Schwankungen bei der Bauteilfertigung, Materialstreuungen, Montage-toleranzen, aber auch Toleranzen im Wärme- und Schmierstoffhaushalt, die Zu-verlässigkeit von Elektronikbauteilen und insbesondere Schwankungen hinsichtlich der Nutzeranforderungen für einen störungsfreien Betrieb relevant.

Abbildung 2: Einflüsse auf Zuverlässigkeit im Betrieb am Beispiel eines

stufenlosen Automatgetriebes Ein solches System stellt sich für eine gesamtheitliche Zuverlässigkeitsanalyse derzeit als zu komplex dar. Sinnvoll ist es daher, einzelne zuverlässigkeits-relevante Komponente zu extrahieren und separat zu analysieren. Beispielhaft kann der Variator eines stufenlosen Automatge-triebes als eine solche Kompo-nente (vgl. Abb. 3) aufgefaßt werden. Der Variator besteht im Wesentlichen aus zwei kegel-förmigen Scheibensätzen, zwi-schen denen eine Kette läuft. Durch die Änderung der Schei-benstellung gelingt es, die Übersetzung des Motormomen-tes stufenlos zu variieren.

Abbildung 3: Variator eines stufenlosen Automatgetriebes

Einflüsse auf die Funktionalität und Lebensdauer des Gesamtsystems

Toleranzen im Wärme- und

Schmierstoffhaushalt

Zuverlässigkeit der Elektronikkomponenten

und Steuersoftware

Schwankung in den Nutzeranforderungen/

Belastungen

Geometr. Schwankungen bei der Fertigung von

Bauteilen

Streuung der Eigenschaften

eingesetzter Materialien

Montagetoleranzen bei Komplettierung zu Baugruppen und

Systemen

Primärvariator

Sekundärvariator

Q

Q

MB1

MB2

MT1

MT2

Z1

Z2

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Der Variator ist eine hoch beanspruchte Komponente. Auf die Variatorwellen wirken neben den Torsionsmomenten aufgrund der Umschlingung durch die Kette auch Querkräfte und Biegemomente. Die axiale Änderung der Scheibenposition erfolgt hydraulisch, so daß die Wellen zusätzlich durch axiale Abstützkräfte bela-stet werden. Für eine Aussage zur Zuverlässigkeit einer Baugruppe stellt sich die Frage nach relevanten Einflußgrößen. Neben der äußeren Belastung hat die Kerbgeometrie und damit die mit ihrer Herstellung verbundene Streuung Einfluß auf die Betriebsfestigkeit. Die geometrische Gestaltung von Einschnitten (vgl. Abb. 4) und Bohrungen bestimmt wesentlich den Spannungszustand des Bauteils. Für die Abbil-dung der streuenden Kerbgeometrie innerhalb der Zuverlässigkeitsana-lyse ist ein Shape-morphing der FE-Geo-metrie erforderlich. Abbildung 4: Scheibenauslauf der Variatorwelle Interessant im Hinblick auf die Betriebsfestigkeit ist die Frage nach relevanten Grenzzuständen. Betrachtet man die Wöhlerlinie eines metallischen Werkstoffes, erkennt man drei charakteristische Festigkeitseigenschaften, die Kurzzeit-, Dauer- und Zeitfestigkeit (vgl. Abb. 5).

Abbildung 5: Betriebsfestigkeitsrelevante Grenzzustände Anhand einer FE-Analyse lassen sich die Kurzzeitfestigkeit und die Dauerfestig-keit durch die berechneten Größen ε und σ direkt beschreiben. Wichtiger für die praktische Auslegung ist jedoch die Definition von Grenzschwingspielzahlen.

Schwingspielzahl N (log)

Sp

ann

un

gsam

plitu

de (lo

g) ND

SD

k

Dauerfestigkeit

Zeitfestigkeit

Kurzzeitfestigkeit Wöhlerlinie Versagensdefinitionen: - Grenzdehnung (Kurzzeitfestigkeit) εi > εultimate

- Grenzspannung (Dauerfestigkeit) σi > σD

- Grenzlastwechselzahl (Zeitfestigkeit) Ni > NLimit

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Diese setzt eine Kopplung von FE-Berechnung und Schädigungsanalyse voraus. Nachfolgende Grafik (Abb. 6) gibt einen Überblick über die Berechnungsaufgabe.

Abbildung 6: Allgemeiner Berechnungsablauf bei einer Zuverlässigkeitsanalyse Der physikalische Sachverhalt wird durch ein FE-Modell dargestellt. Neben den streuenden Eingangsgrößen werden relevante Grenzzustände definiert. Durch Anwendung geeigneter stochastischer Methoden lassen sich die Versagenswahr-scheinlichkeit sowie Systemsensitivitäten ableiten.

3 Zuverlässigkeitsanalyse am Bsp. einer Variatorwelle

In Abbildung 8 wird das Berechnungsbeispiel einer Variatorwelle vorgestellt. Relevante Einflußgrößen auf die Zuverlässigkeit (Basisvariable) sollen neben drei Belastungsgrößen die Kerbgeometrie des Scheibenauslaufes sein. Die Eingangs-größen werden als normalverteilt vorausgesetzt und durch Mittelwert und Streuung definiert. Die Eingangsgrößen wurden dabei so gewählt das ein Zuver-lässigkeitsniveau (Ausfallwahrscheinlichkeit) in der Größenordnung 10-4 erreicht wird. Im Vorfeld wurden bereits Untersuchungen zur Anwendbarkeit und Effizienz der in SLang zur Verfügung stehenden stochastischen Methoden durchgeführt. Eine Auswahl der untersuchten Methoden wird in Abbildung 7 dargestellt.

Abbildung 7: Ausgewählte Stochastische Methoden

X1

X2

X1

X2

Mittelwert g(X1, X2)

MC Simulation

X1

X2

X1

X2

Ursprünglicher Mittelwert

g(X1, X2)

AS Mittelwert erster Adaptation

X1

X2

X2

X1 Mittelwert

g(X1, X2) Directional Sampling X1

X

X1

X

Mittelwert

RS Polynom

Beschreibung des physikalischen Sachverhaltes

(FE-Modell eines Bauteiles einer Bauteilgruppe)

Definition probabilistischer Eingangsgrößen

(Belastung, Kerbgeometrien, zyklische Werkstoffkennwerte, … )

Definition eines oder mehrerer Versagenszustände

a) Grenzspannung (Dauerfestigkeit) b) Grenzdehnung (statische Festigkeit) c) min. Anzahl an Lastwechsel (Örtliches Konzept)

Stochastische Methoden MCS-basiert Optimierungsbasiert

MCSimulation

X1

X2

Adaptive Sampling

X1

X2

Importance Sampling

DP

X1

X2

Ableitung der Versagenswahrscheinlichkeit Pf

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Abbildung 8: Zuverlässigkeitsanalyse am Prinzipbeispiel Variatorwelle Ausgehend von den so gesammelten Erfahrungen kommen drei Verfahren, das Adaptiv Sampling, das Directional Sampling und die Response Surface Methode zur Anwendung. Im Ergebnis der Zuverlässigkeitsanalyse konnte die Ausfallwahrscheinlichkeit basierend auf den einzelnen Analysemethoden mit einem Fehler kleiner 5% ermit-telt werden. Im Diagramm der Abbildung 9 wird der relative Fehler über die Anzahl an durchgeführten numerischen Simulationen (FE-Berechnungen) darge-stellt. In nebenstehender Tabelle (Abb. 9) wird die Anzahl an erforderlichen Simulationen für eine tolerierbare Ergebnisgenauigkeit (Fehler kleiner 5%) ange-geben.

Abbildung 9: Effizienz der untersuchten stochastischen Methoden Danach stellt die Response Surface Methode innerhalb des untersuchten Problems das effizienteste Verfahren dar. Das Adaptive Sampling und Directional Sampling führen ebenfalls zum Ziel, sind jedoch erheblich aufwendiger. Letztgenanntere Verfahren erfordern in etwa die gleiche Anzahl an FE-Simulationen.

Festlager

LOS-

Loslager

FEST-

Basisvariable_1: Kerbgeometrie

Basisvariable_4: Torsionsmoment

MT

Basisvariable_2: Zugkraft

Z

Basisvariable_3: Kettenspreizkräfte

nSim (Fehler<5%)Pf = 4,0 E-2

MC -AS 3000

ISUDP -DS 3000RS 200

Anzahl an erforderlichen Simulationen

Effizienz

0

2,5

5

7,5

10

12,5

15

17,5

20

1,0E+02 1,0E+03 1,0E+04 1,0E+05

Anzahl an Simulationen

Rel

ativ

er F

ehle

r (%

)

ASDSRSFehlertoleranz

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4 Zusammenfassung

Die stetige Verkürzung von Entwicklungszeiten, die Erweiterung von Produktpa-letten und die zunehmende Gewichtsoptimierung von Komponenten zwingt zu "neuen" Beurteilungskriterien bei der Produktentwicklung. Durch Kopplung stochastischer Methoden mit numerischen Simulationstechniken lassen sich für die Konstruktion und Auslegung von Bauteilen und Bauteilgruppen wichtige Informationen ableiten: - Sensitivitäten (Wichtung von Einflüssen) - Zuverlässigkeit (Ausfallrate als Qualitätskriterium) Diese Aussagen können bereits zu einem frühen Stadium der Produktentwicklung (vor Prototypenbau, Versuch) getroffen werden.

5 Ausblick

Für die Beurteilung der Zeitfestigkeit ist die Kopplung von stochastischer FEA und Schädigungsanalyse notwendig. Dann sind Aussagen über Zusammenhänge zwischen Fertigungsaufwand und der Produktzuverlässigkeit ableitbar. Entspre-chende Aktivitäten werden derzeit von ZF in Zusammenarbeit mit Dynardo angestellt. Die Optimierung von Strukturen könnte/sollte perspektivisch mit stochastischen Analysen gekoppelt werden, um ein robustes Design zu erreichen.

6 Referenzen

Die Zuverlässigkeitsanalysen wurden mit SLang durchgeführt.