Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten · 2020-02-24 · Confession of a Buddhist Atheist bei...

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STEPHEN BATCHELOR Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten

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STEPHEN BATCHELOR

Bekenntnisseeines ungläubigenBuddhisten

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STEPHEN BATCHELOR

Bekenntnisseeines ungläubigenBuddhistenEine spirituelle Suche

Aus dem Englischen übersetztvon Renate Seifarth

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Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel

Confession of a Buddhist Atheist

bei Spiegel & Grau, an imprint of The Random House Publishing Group,a division of Random House, Inc., New York.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier EOSliefert Salzer Papier, St. Pölten, Austria.

Lektorat: Ursula Richard, Berlin

Copyright © 2010 by Stephen BatchelorCopyright © 2010 der deutschen Ausgabe by Ludwig Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHhttp://www.ludwig-verlag.deUmschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, MünchenUmschlagabbildung: Darrin Klimek / Photodisc/ Getty ImagesSatz: C. Schaber Datentechnik, MünchenDruck und Bindung: Pustet, RegensburgPrinted in Germany 2010

ISBN: 978-3-453-28006-9

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Es gibt nicht nur hundert oder fünfhundert, sondern noch viel mehr Laienanhänger, Männer wie Frauen, Schüler von mir, in Weiß gekleidet und sich an sinnlichen Freuden erfreuend, welche meinen Anweisungen folgen, auf meinen Rat hören, Zweifel hinter sich gelassen haben, von Verwirrung frei geworden sind, Furchtlosigkeit erlangt haben und in meiner Lehre unabhängig von anderen geworden sind.

Siddhattha Gotama, Majjhima-Nikaya

Geschichten sind unmöglich, doch ohne Geschichten können wir unmöglich leben. Da haben Sie den Salat.

Wim Wenders, Die Logik der Bilder

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

T E I L E I N S Der Mönch 1 Ein buddhistischer Versager (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2 Unterwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3 Der Seminarist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4 Sich winden wie ein Aal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5 In-der-Welt-Sein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

6 Der Große Zweifel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

T E I L Z W E I Der Laie 7 Ein buddhistischer Versager (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

8 Siddhattha Gotama. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

9 Die Nord-Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

10 Gegen den Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

11 Den Weg frei legen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

12 Das Leiden umarmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

13 Im Jeta-Hain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

14 Ein ironischer Atheist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

15 Vidudabhas Rache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

16 Götter und Dämonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

17 Den Pfad mit Sorgfalt gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

18 Ein weltlicher Buddhist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

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A N H A N G

I Der Pali-Kanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

II War Siddhattha Gotama in Taxila? . . . . . . . . . . . . . . . 309

III Das Rad der Lehre drehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

IV Karte: Die Welt des Buddha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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Vorwort

Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten erzählt die Geschichte einer siebenunddreißigjährigen Reise durch die buddhistische Tradition. Sie beginnt im Alter von neunzehn Jahren, als ich in Indien den Dalai Lama traf und in die Lehre des tibetischen Buddhismus eintauchte, und sie endet mit mei-nen Gedanken als sechsundfünfzigjähriger Buddhist, der kei-ner bestimmten buddhistischen Schule angehört und als Laie im ländlichen Frankreich ein weltliches Leben lebt. Da ich nicht als Buddhist aufgewachsen bin, handelt es sich um die Geschichte einer Konvertierung. Sie erzählt einerseits von der Faszination, die der Buddhismus auf mich ausübt, und ande-rerseits von meinen Auseinandersetzungen mit bestimmten, für mich nicht akzeptablen Lehren – wie etwa der Wiederge-burt – und den autoritären, religiösen Institutionen, die sich einer kritischen Auseinandersetzung und Erneuerung wider-setzen. Vielleicht spiegelt sich in meinem persönlichen Ringen auch ein umfassenderer kultureller Konflikt wider – zwischen der Weltauffassung traditioneller asiatischer Religionen und den Erkenntnissen der säkularen Moderne.

Meine Begegnung mit den traditionellen Formen des Bud-dhismus führte für mich mit wachsender Dringlichkeit zu der Frage: Wer war dieser Mann Siddhattha Gotama, der Buddha? In was für einer Welt lebte er? Was waren das Besondere und Ursprüngliche an seiner Lehre? Ich begann zu erkennen, dass es sich bei vielem, was mir in gutem Glauben als »Buddhis-mus« nahegebracht worden war, um Lehrmeinungen und Me-thoden handelt, die erst viele Jahrhunderte nach dem Tod des Buddha unter anderen Bedingungen als den seinen entstanden waren. In der ganzen buddhistischen Geschichte hat der Bud-dhismus die bemerkenswerte Fähigkeit gezeigt, sich an völlig

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neue Situationen anzupassen und sich in immer wieder ande-ren Formen zu erfinden, die auf die Bedürfnisse seiner neuen Anhänger zugeschnitten waren. Aber gerade diese Fähigkeit, sich in verschiedenen Gewändern zu präsentieren, hat auch dazu geführt, das Ursprüngliche der Tradition und die Figur ihres Gründers zu verdunkeln. In vielen der heute existieren-den Schulen des Buddhismus werden die Lehrreden von Sid-dhattha Gotama nur selten studiert und der Mann selbst wird oft in den Stand eines Gottes erhoben.

Meine Suche nach den Spuren des ursprünglichen Buddhis-mus brachte mich zum Studium des Pali-Kanons: den gesam-melten Lehrreden, die Siddhattha Gotama zugeschrieben wer-den und die in der alten Sprache des Pali verfasst sind. Es handelt sich bei diesen Texten zwar nicht um die wortwörtli-che Niederschrift seiner Worte, aber dennoch sind in ihnen die frühesten Elemente seiner Lehre enthalten, die einen Einblick in die angespannte soziale und politische Situation seiner Zeit zulassen. Meine Suche führte mich auch zurück nach Indien, wo ich die Orte aufsuchte, an denen der Buddha vor nahezu zweitausendfünfhundert Jahren gelebt und gelehrt hat, und die im Pali-Kanon erwähnt werden. Diese Studien- und For-schungsreisen in Verbindung mit dem wertvollen Dictionary of Pali Proper Names von G. P. Malalasekera ermöglichten es mir, ein Bild vom Leben des Buddha zu rekonstruieren, eingebettet in seine Beziehungen zu seinen Gönnern, seiner Familie und seinen Schülern und geformt von den zu seiner Zeit herrschen-den politischen und sozialen Spannungen.

Viele der Menschen, die in diesem Buch vorkommen, sind oder waren buddhistische Mönche. Doch der Begriff »Mönch« (oder »Nonne«) bedeutet im Buddhismus nicht ganz das Glei-che wie in einem christlichen Zusammenhang. Das Pali-Wort für »Mönch« ist Bhikkhu, was wortwörtlich »Bettler« bedeutet. (»Nonne« heißt Bhikkhuni und hat die gleiche Bedeutung.) Ein Bhikkhu oder eine Bhikkhuni ist jemand, der oder die aus der Gesellschaft ausgestiegen ist, um sich ganz der Übung der buddhistischen Lehre hinzugeben. Wenn Bhikkhus und

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Bhikkhunis sich ordinieren lassen, dann nehmen sie über zwei-hundert Gelübde auf sich (bei vielen handelt es sich um kleine Verhaltensregeln). Sie verpflichten sich zu einem Leben in Keuschheit und Armut und werden – zumindest traditionell – angehalten, umherzuwandern und von Almosen zu leben. Neben einem Leben in Einfachheit, Abgeschiedenheit und Be-sinnung wird ein Bhikkhu oder eine Bhikkhuni auch lehren, wenn er oder sie dazu aufgefordert wird, und denjenigen seel-sorgerisch und mit Rat beiseitestehen, die in Not sind. Der Buddhismus macht keinen Unterschied zwischen einem Mönch und einem Priester.

Ich war zehn Jahre lang buddhistischer Mönch (erst Novize, dann Bhikkhu); seit ich die Robe abgelegt habe, bin ich verhei-ratet und lebe als Laie. Weil ich keiner bestimmten buddhisti-schen Institution oder Tradition angehöre, fehlt mir ein »Zu-hause« in der buddhistischen Welt. Ich bin ein unabhängiger, umherziehender Lehrer geworden und reise überall dorthin, wohin ich eingeladen werde, um das zu teilen, was ich gelernt habe.

Bekenntnisse eines ungläubigen Buddhisten wurde aus der Sicht eines engagierten Laien geschrieben, der versucht, ein Leben zu führen, das die buddhistischen Werte in einem sä-kularen und modernen Kontext zum Ausdruck bringt. Ich bin nicht daran interessiert, die Lehrsätze und Institutionen der traditionellen asiatischen Formen des Buddhismus zu erhalten, so als ob sie einen eigenständigen Wert besäßen un abhängig von den Bedingungen, aus denen heraus sie sich entwickelt haben. Für mich ist der Buddhismus ein lebendi-ger Organismus. Wenn er außerhalb der abgekapselten Ghet-tos seiner Gläubigen gedeihen soll, wird er sich der Heraus-forderung stellen müssen, ein Umfeld, das sich frappant von dem unterscheidet, aus welchem er heraus entstand, zu ver stehen, mit ihm zu kommunizieren und sich ihm anzu-passen.

Da sich dieses Buch an eine breite Leserschaft wendet, habe ich bei den Pali-Begriffen alle diakritischen Zeichen weggelas-

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sen. Diese sind aber in den Anmerkungen, Anhängen und im Glossar vermerkt.

Sehr herzlich möchte ich mich bei Renate Seifarth für ihre Übersetzung dieses Buches ins Deutsche bedanken.

Stephen BatchelorAquitaine, September 2009

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T E I L E I N S Der Mönch

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1 Ein buddhistischer Versager (I)

10. März 1973. Ich erinnere mich an das Datum, weil es sich um den vierzehnten Jahrestag des tibetischen Aufstan-des in Lhasa 1959 handelt, der zur Flucht des Dalai Lama ins Exil führte, wo er bis heute lebt. Ich studierte den Buddhismus in Dharamsala, einer ehemaligen Bergstation der Briten im Hi-malaya und dem heutigen Sitz der tibetischen Exilregierung. Der Himmel an diesem Morgen war dunkel und verhieß nichts Gutes. Kurz zuvor waren Hagelkörner von der Größe kleiner Minigolfbälle aus den Wolken herabgeprasselt; jetzt waren sie zu weißen Häufchen verschmolzen und säumten die Straße, die vom Dorf McLeod Ganj zur Library of Tibetan Works and Archives führte, wo die Feierlichkeiten zum Jahrestag stattfin-den sollten.

Vor der Bibliothek war eine weiße Zeltplane gespannt, die im Wind wild hin- und herflatterte. Unter ihr saß ein bunter Haufen Senior-Mönche in burgunderfarbenen Roben, Aristo-kraten in langen grauen Chubas und der indische Polizeipräsi-dent von Kotwali Bazaar. Ich gesellte mich zu einer Gruppe, die sich auf einer großen Terrasse unterhalb versammelt hatte und auf den Beginn der Feierlichkeiten wartete. Der Dalai Lama, ein agiler, kahlköpfiger Mann von achtunddreißig Jahren, schritt auf eine improvisierte Bühne. Die Zuhörer begannen auf dem schlammigen Boden spontan mit ihren Niederwerfungen. Seine Rede, die vom Wind fast verschluckt wurde, hielt er auf Tibe-tisch in einer Geschwindigkeit so schnell wie Maschinen-gewehrfeuer, eine Sprache, die ich noch nicht verstand und so schnell, wie ich sie nie beherrschen würde. Von Zeit zu Zeit fiel ein Regentropfen aus den tief hängenden Wolken.

Ein grelles Kreischen, wie von einer Trompete, schreckte mich aus meinen Gedanken über das schwere Schicksal Tibets.

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Auf einem kleinen Absatz am steilen Hang neben der Library stand ein bebrillter Lama mit gespreizten Beinen neben einem rauchenden Feuer, blies in einen Hüftknochen und bimmelte mit einer Glocke. Sein unordentliches Haar war auf dem Schei-tel zu einem Knoten gebunden und ein Ende seiner weißen, an den Rändern mit roten Borten verzierten Robe hatte er achtlos über seine linke Schulter geworfen.Wenn er nicht in sein Horn blies, dann murmelte er gegen die grollenden Wol-ken etwas, das nach Verwünschungen klang. Dabei streckte er seine rechte Hand in der Geste eines drohenden Mudras aus, einer rituellen Geste, die Gefahr abwenden soll. Von Zeit zu Zeit legte er seinen Hüftknochen beiseite und warf in hohem Bogen eine Handvoll Senfsamen gegen die bedrohli-chen Wolken.

Dann gab es plötzlich einen mordsmäßigen Krach. Der Regen hämmerte auf die Wellblechdächer der Wohnhäuser auf der anderen Seite der Library und übertönte die Worte des Dalai Lama. Der Lärm hielt mehrere Minuten an. Der Lama am Berghang stampfte mit seinen Füßen, blies in seinen Hüft-knochen und bimmelte immer heftiger mit seiner Glocke. Die schweren Regentropfen, die auf die Würdenträger und die Menschenmenge herabfielen, hörten abrupt auf.

Nachdem der Dalai Lama gegangen war und die Menge sich zerstreut hatte, gesellte ich mich zu einer kleinen Gruppe Mitinjis. In ehrfürchtigem Ton diskutierten wir darüber, wie der Lama namens Yeshe Dorje den Sturm daran gehindert hatte, uns alle zu durchnässen. Ich hörte mich sagen: »Und man konnte den Regen rings um uns herum weiter hören: drü-ben bei der Library und auch dahinter bei den Regierungsge-bäuden.« Die anderen nickten und lächelten in ehrfürchtigem Einverständnis.

Schon während ich sprach, wusste ich, dass ich nicht die Wahrheit sagte. Ich hatte keinen Regen auf den Dächern hinter mir gehört. Nicht einen Tropfen. Doch um überzeugt zu sein, dass der Lama den Regen mit seinen Ritualen und Sprüchen verhindert hatte, musste ich glauben, dass er einen magischen

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Schirm errichtet hatte, um die Menschenmenge vor dem Sturm zu schützen. Sonst wäre das, was geschehen war, nicht so außergewöhnlich gewesen. Wer hat noch nicht erlebt, wie in kurzer Distanz Regen fällt, während man selbst auf trockenem Boden steht? Vielleicht hatte sich nur ein lokaler Regenguss auf den nahen Berghang entladen. Aber niemand von uns hätte es gewagt, eine solche Möglichkeit anzudeuten. Denn das hätte uns gefährlich nah daran gebracht, die Macht des Lama in Frage zu stellen und damit gewissermaßen das ganze ausgeklü-gelte Glaubenssystem des tibetischen Buddhismus.

Noch mehrere Jahre lang ging ich mit dieser Lüge hausieren. Es war mein Lieblingsbeispiel (das einzige) für die übernatür-lichen Kräfte der tibetischen Lamas, das ich selbst miterlebt hatte. Aber wann immer ich es erzählte, fühlte es sich seltsa-merweise nicht wie eine Lüge an. Ich hatte die buddhistischen Regeln für Laien angenommen und sollte bald die Mönchsge-lübde ablegen. Ich nahm das moralische Gebot, nicht zu lügen, sehr ernst. In anderen Situationen vermied ich peinlichst, schon fast neurotisch, die kleinste Unwahrheit zu sagen. Doch irgendwie zählte das hier nicht. Manchmal versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass es vielleicht doch wahr gewesen war: es hatte hinter mir geregnet, aber ich hatte es nicht be-merkt. Die anderen – wenngleich auf meine Initiative hin – hatten meine Worte bestätigt. Aber solche geistigen Klimm-züge konnten mich nicht lange überzeugen.

Ich vermute, dass meine Lüge sich nicht wie eine Lüge an-fühlte, weil sie dazu diente, eine größere Wahrheit zu bestäti-gen, an die ich glaubte. Meine Worte kamen spontan aus mei-nem Herzen aufgrund der leidenschaftlichen Überzeugungen, die wir miteinander teilten. Auf sonderbare Art fühlte es sich nicht so an, als hätte »ich« sie ausgesprochen. Es war, als ob etwas viel Größeres, etwas, das uns alle überragte, durch mich sprach. Außerdem wurde uns die größere Wahrheit, in deren Dienst meine Lüge stand, von Männern mit einem absolut un-tadeligen moralischen und intellektuellen Charakter vermit-telt. Diese freundlichen, gebildeten und erleuchteten Mönche

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würden uns nicht belügen. Wiederholt sagten sie zu uns, dass wir ihre Lehre nicht akzeptieren sollten, ohne sie so sorgfältig geprüft zu haben, wie ein Goldschmied ein Stück Gold unter-suchen würde. Da sie selbst diese Lehren im Laufe ihrer jahre-langen Studien und Meditation einer solch rigorosen Untersu-chung unterzogen haben mussten, würden sie sicher nicht aus blinder Überzeugung sprechen, sondern aufgrund ihrer direk-ten Erkenntnis und Erfahrung. Ergo: Yeshe Dorje stoppte den Regen mit seinem Hüftknochen, seiner Glocke, seinen Senf-samen und Beschwörungen.

Am nächsten Morgen bat jemand den Lehrer an der Library, Geshe Dhargyey, etwas über die Übungen zu erzählen, die der Kontrolle des Wetters dienen. Geshe-la (wie wir ihn nannten) gehörte zu der akademischen Gelug-Schule, in der auch der Dalai Lama ausgebildet worden war. Er besaß nicht nur ein en-zyklopädisches Wissen über die orthodoxe Lehre der Gelug, sondern auch ein heiteres Wesen, das in seinem fröhlichen La-chen immer wieder aus ihm heraussprudelte. Die Frage schien ihn zu irritieren. Er bekam einen düsteren Blick und sagte dann in einem missbilligenden Tonfall: »Das war nicht gut. Kein Mitgefühl. Es verletzt die Devas.« Die Devas, um die es hier ging, gehörten zu einer kleineren Gruppe von Göttern, die das Wetter bestimmen. Ihnen mit Mantras, Mudras und Senf-samen so massiv entgegenzutreten, war ein Akt der Gewalt. Als ein Verfechter allumfassenden Mitgefühls war Geshe-la nicht bereit, so etwas gutzuheißen. Seine Bereitschaft, Yeshe Dorje, einen Lama der Nyingma (Alten) Schule des tibetischen Bud-dhismus, zu kritisieren, überraschte mich. Und warum, fragte ich mich, hatte der Dalai Lama – die lebendige Verkörperung von Mitgefühl – die Ausübung eines Rituals toleriert, wenn es die Devas verletzte?

Die tibetischen Lamas hatten ein Weltbild, das dem, mit dem ich aufgewachsen war, zutiefst widersprach. Da sie ihre Ausbildung in den Klöstern des alten Tibets erhalten hatten, wussten sie nichts von den Erkenntnissen der Naturwissen-schaften. Sie wussten nichts von den modernen Wissensgebie-

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ten wie Kosmologie, Physik oder Biologie. Noch wussten sie irgendetwas über die Literatur, Philosophie oder religiösen Traditionen anderer Länder jenseits ihrer Heimat. Ihrer Mei-nung nach brauchte man nur das zu wissen, was vom Buddha und seinen Nachfolgern Jahrhunderte zuvor ausgetüftelt und im Kangyur und Tengyur (dem tibetisch-buddhistischen Kanon) überliefert worden war. Dort lernte man, dass die Erde ein dreieckiger Kontinent ist, der inmitten eines weiten Ozeans liegt und vom gewaltigen Berg Sumeru beherrscht wird und um den sich Sonne, Mond und die Planeten drehen. Getrie-ben von den Kräften der guten und schlechten Taten in ihren unzähligen vorherigen Leben, werden die Wesen immer wieder als Götter, Titanen, Menschen, Tiere, Geister oder in der Hölle geboren, bis sie das Glück haben, den buddhistischen Lehren zu begegnen und sie zu praktizieren, wodurch sie die Möglich-keit erhalten, sich aus dem Kreislauf der Wiedergeburt endgül-tig zu befreien. Darüber hinaus geloben tibetische Buddhisten als Anhänger des Mahayana (Großes Fahrzeug), dass sie aus Mitgefühl heraus wiedergeboren werden, bis auch das letzte Wesen befreit worden ist. Sie glauben, dass von den Weltreli-gionen allein der Buddhismus das Leiden beenden kann. Und von den verschiedenen Arten des Buddhismus wurde die effek-tivste, schnellste und vollständigste Form der Religion in Tibet bewahrt.

Ich glaubte all das. Oder genauer: Ich wollte all das glauben. Nie zuvor war ich mit etwas in Berührung gekommen, für das ich zu lügen bereit war. Aber heute kann ich sehen, dass ich nicht aus Überzeugung log, sondern weil mir die Überzeugung fehlte. Meine Sehnsucht, daran zu glauben, verleitete mich dazu. Anders als manche meiner Wegbegleiter, die ich darum beneidete, entwickelte ich nie einen unerschütterlichen Glau-ben an die traditionelle buddhistische Weltanschauung. Noch gelang es mir, mein eigenes Urteilsvermögen unkritisch der Autorität eines »Wurzellamas« zu unterwerfen, was die Vor-aussetzung für die Praxis der höchsten Tantras war, dem ein-zigen Weg, wie behauptet wurde, um vollständige Erleuchtung

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in diesem Leben zu erlangen. Ganz gleich, wie sehr ich mich darum bemühte, dies zu ignorieren oder wegzurationalisieren, meine Unaufrichtigkeit quälte mich in einem dunklen ver-schlossenen Winkel meines Geistes. Aus der Sicht meiner tibe-tischen Lehrer war ich ein buddhistischer Versager.

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2 Unterwegs

Von der vor vielen Jahrhunderten in den Sandstein ge-hauenen Mönchszelle aus, in der ich untätig meine Tage ver-brachte und dabei eine potente Mischung aus Marihuana, Haschisch und Tabak rauchte, führte ein enger Gang zu einer dunklen Treppe, die ich mit Streichhölzern erleuchtete.1 Die steilen Steinstufen führten zu einer Öffnung, die mich nach draußen und über ein schmales Felsband auf den glatten Scheitel eines riesigen Buddhakopfes führte, an dessen Seiten sich ein sechzig Meter tiefer, schwindelerregender Abgrund auf-tat. An der Decke einer kleinen Nische waren die verblassten Abbildungen von Buddhas und Bodhisattvas zu sehen. Aus Angst, meine Balance zu verlieren, zu stolpern und nach unten zu fallen, wagte ich nicht, zu lange zu ihnen nach oben zu schauen. Als sich meine Augen an das grelle Sonnenlicht ge-wöhnt hatten, schaute ich über das fruchtbare Tal von Bami-yan, das sich als bunter Felderteppich vor mir erstreckte, der von niedrigen Farmhäusern mit flachen Dächern durchwirkt war. Das war im Sommer 1972. Es war meine erste Begegnung mit den Überresten einer buddhistischen Zivilisation, die mit der Eroberung Afghanistans durch Mahmud von Ghazni im elften Jahrhundert geendet hatte.

Wie andere auf der Hippieroute nach Indien betrachtete ich mich als Reisender und nicht als bloßer Tourist, also als je-mand, der auf einer Suche mit unbestimmtem Ende ist, und nicht jemand, der sich auf einem Trip mit vorbestimmtem An-fang und Ende befindet. Ich bezweifele, dass ich etwas Ver-nünftiges hätte sagen können, wenn man mich gefragt hätte, wonach ich suchte. Ich verfolgte weder ein geografisches noch ein spirituelles Ziel. Ich war einfach »unterwegs«, in dem anar-chistischen und ekstatischen Sinne, wie er von Jack Kerouac,

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Allen Ginsberg und anderen Vorbildern, die ich zu jener Zeit verehrte, gepriesen wurde.

Nichts machte mir mehr Freude, als einfach auf dem Weg woandershin zu sein. Ich war zufrieden damit, stundenlang in klapprigen Bussen voller Hühner zu sitzen und aus den schmutzigen, fettverschmierten Fenstern zu blicken und dabei die Bauern zu beobachten, wie sie sich bei der Arbeit über ihre Felder beugten, wie die Frauen ihre Babys auf ihren Rücken trugen, wie die barfüßigen Kinder im Staub spielten, wie die alten Männer im Schatten ihre Wasserpfeife rauchten, und all die schäbigen kleinen Städte und Dörfer zu sehen, in denen wir anhielten, um eine Tasse süßen Tee zu trinken und ein Stück ungesäuertes Brot zu essen. Doch sobald wir die ersten verräterischen Anzeichen der anvisierten Stadt erreichten, zog sich mein Magen zusammen und ich fühlte mich erneut un-wohl und rastlos. Ich wollte nicht anhalten. Mein Verlangen danach, weiterzuziehen, glich einer Sucht.

In meiner frühesten Erinnerung sitze ich auf dem Schoß mei-ner Mutter, in ihren Pelzmantel gehüllt, und schaue durch das Fenster eines Flugzeugs auf die winzigen Häuser und Autos von Toronto. Ich war drei Jahre alt. Meine Eltern waren 1957 von Schottland nach Kanada ausgewandert, um ihre Ehe zu retten. Sie trennten sich ein Jahr später, und ich kehrte zusam-men mit meiner Mutter und meinem jüngeren Bruder David zurück nach Watford, einer trostlosen Vorstadt am äußeren Rand von London. Meine Mutter blieb allein und zog mich und meinen Bruder auf. Ich hatte keinen weiteren Kontakt mit meinem Vater.

Am Anfang wurden wir von Alfred Craske, dem Vater mei-ner Mutter, unterstützt, einem Geschäftsmann, der eine Foto-gravurfirma in Covent Garden besaß. Alfred hatte die gottes-fürchtige Atmosphäre seiner Kindheit abgelegt, während seine Frau Mabel – meine Großmutter – eine sittsame Tochter des hiesigen wesleyanischen Pfarrers war. Was Religion betraf, übernahm meine Mutter die Ansichten ihres Vaters und sah

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sich selbst als Humanistin. Emotional blieb sie eng verbunden mit ihrer Mutter und deren Schwester Sophie, die als Kranken-schwester in den Dardanellen und in Flandern gedient hatte, nie heiratete und gewissenhaft die Kirche besuchte. Im Hinter-grund war der rätselhafte Schatten von Alfreds jüngerem Bru-der Leonard, der eine vielversprechende Karriere als Mediziner aufgegeben und seine junge Frau verlassen hatte, um in den Vereinigten Staaten seiner Leidenschaft für das Theater und die Bildhauerei zu folgen. Die Craskes hatten nie wieder Kon-takt mit ihm. Die verwitterte Bronzestatue einer tanzenden Nymphe namens »Freude« in unserem Garten hinter dem Haus war der einzige Hinweis auf Leonards Existenz.

Als Kind ging ich nicht in die Kirche. Ich war von den »Reli-gionsstunden« unserer Schule befreit, so dass ich nichts von den Grundzügen des Christentums erfuhr, wie sie im Rahmen des britischen Erziehungssystems vermittelt wurden. Ich erin-nere mich, wie ich im Alter von acht oder neun Jahren eine Ra-diosendung des BBC hörte, in der von buddhistischen Mön-chen die Rede war, die nicht durchs Gras liefen, damit sie keine Insekten verletzten. Ich habe mich oft gefragt, ob dieser erste positive Eindruck, den die buddhistischen Mönche auf mich machten, eine Rolle dabei gespielt hat, dass ich später den Bud-dhismus adoptierte, oder ob ich mich einfach deswegen daran erinnere, weil es mir im Nachhinein half, rational zu verstehen, warum ich die unkonventionelle Entscheidung traf, buddhis-tischer Mönch zu werden.

Schon in jungen Jahren war ich nur sehr selten wirklich zu-frieden. Ständig war ich mit quälenden, sorgenvollen Gedan-ken konfrontiert, die mir manchmal mehr, manchmal weni-ger bewusst waren. Ich erinnere mich, wie ich nachts wach lag und versuchte, die unaufhörlich einströmenden angstvollen Gedanken zu stoppen. Zu meinem Erstaunen versäumten un-sere Lehrer das Wichtigste von allem überhaupt anzusprechen: die verwirrende und beängstigende Unsicherheit, überhaupt lebendig zu sein. Die Standardfächer wie Geschichte, Geo-grafie, Mathematik und Englisch schienen auf perverse Art so

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Stephen Batchelor

Bekenntnisse eines ungläubigen BuddhistenEine spirituelle Suche

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 368 Seiten, 12,5 x 20,0 cmISBN: 978-3-453-28006-9

Ludwig

Erscheinungstermin: Juni 2010

Die alte Weisheit Buddhas für die Welt von heute An den Buddhismus muss man nicht »glauben« – und schon gar nicht an Wiedergeburt undNirwana: Der international bekannte Buddhist und Bestsellerautor Stephen Batchelor befreitdie fernöstliche Weisheitslehre vom religiösen Überbau und beweist eindringlich, dass sie vorallem eine praktische Anleitung für ein authentisches Leben im Hier und Jetzt ist. Sein neuesBuch ist die spannende Geschichte einer lebenslangen Sinnsuche. Sie wird nicht nur Buddhistenfaszinieren, sondern alle »Ungläubigen« auf der Suche nach Orientierung. Als Jugendlicher landet Stephen Batchelor Anfang der 70er Jahre eher zufällig in Indien undentdeckt den Buddhismus. Mit 21 wird er Mönch und beschäftigt sich intensiv mit verschiedenenFormen des tibetischen und des Zen-Buddhismus. Doch bald kommen ihm Zweifel, denn die imBuddhismus so zentrale Vorstellung der Wiedergeburt ist seinem westlich geprägten Denkennicht zugänglich. Batchelors tiefe Glaubenskrise und seine Auseinandersetzung mit dem historischen Buddhabringen ihn zu der Überzeugung, dass man für die zeitlose Weisheit des Buddhismus Worteund Ausdrucksformen finden muss, die auch im Westen verstanden werden. Für ihn ist er keineReligion, sondern der Weg zu einem achtsamen, mitfühlenden Denken und Handeln in einerleiderfüllten Welt – ein Weg, der uns auch heute noch bereichern und erfüllen kann. StephenBatchelors Geschichte inspiriert alle, für die stetiges Zweifeln und die Auseinandersetzung mitreligiösen Dogmen untrennbar mit Erkenntnis und mit Spiritualität verbunden sind. Die packende Geschichte einer Sinnsuche – nicht nur für Buddhisten.