Benjamin Horkheimer 6Dec1937sm

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Max Horkheimer M ax Horkheirner

Gesammelte Schriften

Band 16:

BriefwechseI1937-1940

Gesammelte Schriften

Herausgegeben von Alfred Schmidt und

Cunzelin Schmid Noerr

Herausgegeben von

Gunzelin Schmid Noerr

. '"J

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Inhal t

Herausgeber und Verlag haben sich redlich bemiiht, alle Verfasser

der hier veroffenrlichten Briefe an Max Horkheimer bzw, deren

Rechtenachfolger ausfindig zu machen. Die Bemiihung war leider

niche immer erfolgreich. Der Verlag verpflichtet sich, nachtraglich

geltend gemachte rechrmafsige Anspruche nach den ublichen Hono-

rarsatzen zu vergiiten.

1937

1938

1939

1940

9

350

531

690

Verzeichnis der Abkurzungen und Zeichen 789

Das Gesamrverzeichnis der Copyrightinhaber der Briefe an Max

Horkheimer, die in den Banden 15-18 der Gesammelten Schriften

abgedruckt sind, erscheint in Band 18. Das Nachwon des Herausgebers zu den Banden 15, 16, 17 und 18

(Briefwechsel), ein Namen- und Werkverzeichnis zu den Briefensowie eine Erlaurerung der editorischen Prinzipien finden sich im

Anhang zu Band 18.Die englisch- und Iranzosischsprachigen Briefe wurden ubersetzt

von Hans Gunter HolL

© 199')S.Fischer Verlag GmbH, Frankfun amMain

Allc Rechte vorbehalten

Urnschlaggestalrung: Manfred Walch, Lorsbach

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leek

Printed in Germany 1995

ISBN 3-10-031826-9

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31 0 Bride 1937

ammeisten zu, besonders die Thesen auf Seite 2752die sehr g

f.' esund

an euernd und der Befolgung wen SInd. Ich freue rnich aufi '

dentlich, daBSie sich so positiv zu den akriv poliuschen Konse ero-,

d 11 h Itli h Th ' .. n qUen·zen er gese sc a rc en eone auisern, zu dem, was Si c konkr

gesehiehiliehe Aktivitat nennen. -Die Avanrgarde bedarf der Kl ete~eit im politischen Kampf, niche ~er akademischen Belehrung i i ~ : ~ihren sogenannten Standort.e' Diesen Satz mochte ich besoncl

" hdl ersunsern emignerren Kat. e er euten ubers Bert gehangr sehen, dam'ie ied M bei Itre je en orgen elm Erwachen erinnert werden, wozu sie eigem.

lich da sind.

lch personlich glaube dieser Aufmunterung nachgelebt zu haben

solange ich lehre, forsche und schreibe. Aber solche Tatigkeit, da

wissen Sie, ist nicht dauernd moglich, wenn sie als Antrieb nichr nur

die Einsicht sondern auch die rnaterielle Not hat. Die materieUe

Not, die mich von Tag zu Tag beftiger artackiert, muB schlie{!]icb

aueh die Einsicht und ihre Aktivierung bedrohen. Das ist mein Zu-

stand irn Augenblick. Die Sebule, an der ich lehre ', liefert mir zwar

rnehr Schuler als ieh wiinsche, aber sie zahlt nicht, Ich konnt Ihnen

eine ganze Serie ahnlicher Negativen aufzahlen, unveroffendichte

Bucher, unrealisierte wissenschaftliche Plane, rniserabel bczahlre

oder garnicht bezahlte schriltsrellerische Arbeiten und dergleiehen

mehr.

Konnren Sie, lieber Herr Horkheimer, rnir niche dazu verhelfen,

meine Theorien ununterbrochener und ungelahmter zu aktivieren

als ich jetzt im Stande bin? lch will nunmehr mein Wirtschaftsarchiv

verkaufen, Ferner suche ieh mit verdoppelten Augen und wahrhaf-

rig im Krampf eine Fellowship, darnir ich wenigsrens auf einer nochso sehmalen Grundlage srehe. Wer kautt mein Archivmaterial, wer

hilft mir? Konnren Sie mir einen brauehbaren Rat geben oder selbst

eingreifen? Dariiber bitte ieh Sie sehr herzlich, mir Mitteilung zu

rnachen.

Mit besren Wfinsehen und GruBen Ihr,

Alfons Goldschmidt

Ts. / beantw. durch verof f. B . vom 9.12.1937 IMHA: 1 8.315.

1 Gedruckter Briefkopf,

2 In: HGS 4, S. 196f.

3 Ebd., S.197.

Briefe 1937 31 1

Walter Benjamin an Max Horkbeimer, New York

BouJogne s/ Seine, I Rue de Chatea u

6. Dezember 1937

Lieber Herr Horkheimer,

Fur Ihre freundliehen Zeilen vom 5.November danke ich Ihnen

vielmals. ..[)en heutigen Berieht mochre ieh mit der Frage des Aufsatzes fur

, .Mass und Wert« Ibeginnen. .

Auf meinen an Oprecht gerieh~eten Br!ef ~am vor eJ~er Woche Ant-

wort von dern Redakreur Ferdinand Lion". Er schreibt: .

lOL.H. B. - Das Einverstandnis der Redaktion? -L'Etar c'est MOI~ .

Also de tout cceur et avec Jeplus grand plais ir, Ich rnochre den Arti-

kel in Heft 4, spates tens Heft 5 veroffenrlichen. Nur ein Punkt: ~r

darf nicbt kommunistiseh sein, - Und zweiter Punkr: Er gehort In

unseren Kricikreil, nicht wahr? lmmerhin, wie Sie wohl schon gese-

hen haben, fehIt es auch da nicht an Platz und Entfaltungsmoglieh-

keit, rc h mochte gern wissen, wieviel Seiten Sie beanspruchen?

Oberhaupt - alter Redakteurfehler schon in der Bibel - ware ieh

neugierig zu wissen, worum es sieh handelt - nur ein paar Winke

und Wone genugen mir,«

Lions Grundbedingung stimmt mich im Verein mit der Tatsache,

daB er vorn Charakter dec Zeitschrift wohl keine rechte Vorsrellung

hat, erwas triibe. Was unter einer derart formu]ierten Einschran-

kung zu verstehen ist, hangt unter anderm vorn Bildungsgrad des sie

Formulierenden abo Lions [etzte Publikarion »Geschiclne biolo-

giseh gesehen- lafh mich diesen mit vieler Zuruckhalrung einschat-

zen, beweist auBerdem, daB er mit dem Herzen bei der Sache ist,

wenn er seinen Punkt eins Iormuliert.

Was Punkt zwei betrifft, so handelt es sich bei dem »Kritischen

Teil- um die zweispaltig gedruckten Glossen, die am ScbJuB des

Hefres erscheinen. Ich nehrne nicht an, daB der Aufsatz sich so pra-

sentieren 5011. Der langste Beitrag, den ich an dieser Stelle fand, um-

faBt vier Seiten; ich mU£te mich also dort in so engen Grenzen

bewegen, dag der Zweck des Aufsatzes nur schwer zu erreiehen

ware.

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31 2 Briefe 1937

nichr unabhangig von der ersren Bedingung der Redaktion. Willman Lions Zensur nichr allzu leichtes Spiel geben, so miissen die

polirischen Perspektiven so weir wie moglich im Schanen blei-

ben. Was der Aufsatz so an Prsgnanz der Perspektive verliert,

muB er an Genauigkeit im einzelnen einbringen. Das wurde mit

Punkt zwei kollidieren. lch nehme auf Punkr zwei im folgen-

den keine Riicksicht , sondern gehe von der Annahme aus, daB rn a

erwa zehn Seiten zur Verffigung srehen - wenn nicht mehr. Dar-

unter zu bleiben, scheint mir schwer moglich, ohne - bei Beach-

tung der politischcn Richtlinien Lions - den Eindruck zu erwek-

ken, es handle sich einfaeh urn eine neue Sparte im akademischen

Betrieb,

Wichcig erscheint mir auf alle Fiille, dasjenige herauszuheben, was

das gebildere Biirgertum zurn Aufhorchen bringen kann. Dazu ist

alles geeignet, was an Freud anschlicllt. Ich denke also, daB ein brei-

terer Raum den Arbeiten von Fromm vorzubehalten ist , auf die wir

ohnehin einen gewissen Akzent legen wollten. Geeignetes Material

scheinen mir einerseits die beiden Aufsatze tiber das Mutterrecht

und Briffaulr:', andrerseits seine -Einleitung, zu »Auroriuir und Fa-

mi li ee " abzugeben. Von diesen Arbeiten aus lassen sich die unum-

ganglichen Fluchrlinien ins Politische wahl am unscheinbarsten

markieren,

Der Konvergenzpunkt clieser Fluchtlinien wiirde durch lhren Essay

»Egoismus und Freiheitsbewegung« 5 gebilder werden, Der Bour-

geois, wie Sie ihn dort konstruieren, wiirde als patrizenrrischer Typ

dem matrizentrischen sich enrgegenstellen. Solche Anordnung der

Materien wiirde es moglich machen, die Kritik, die die Arbeiten des

lnstituts an dern heute herrschenden Menschen iiben, mehr oder

weniger aus der Sphare der Aktualitat herauszurucken, Die auBer-

ste Annaherung an sie ware in asthetischer Verkleidung, das heiBt

an Hand von Lowenthals Untersuchungen tiber die Rezeption

von Dostojewski" und die Dichtung von C. F . Meyer? vorzuneh-

men.

Mit Ihrer polirischen Anthropologie ware sodann die rnetaphy-

sische von Scheler ' und Jaspers zu konfroruieren, Dabei konnte

man die Kritik am neuakademischen Lakaientum, die den Arbei-

ten cler Zeitschrift gerneinsarn ist, mit Vorsicht zur Geltung brin-

gen. GewiB wurde die Abgrenzung gegen dieses besonders deut-

Briefe 1937 31 3

lich durch die Kritik illusiriert werden, die die "Wissenssozio-

logie« in der Zeitschrift gefunden hat. Aber bier haben wir im

Auge zu behalten, daB das ersre Heft von "Mass und Wen« einen

umfangreiehen Beitrag von Mannheirn veroffentlicht hat ." Man

wird nicht leicht erwas auf den Autor kommen lassen. 1mubrigen

durfte Mannheim genau die intellekruelle Merkwelt von Lion ab-

srecken,

Wie man in einen AbriB pour leDauphin 10 eine Arbeit wie ,.Tradi-

rionelle und krirische Theorie 11, aus der ieh eine Anzahl von wichti-

gen Zitaten bereitgestellr haue, oder eine Arbeit wie die tiber den

Jazz 12 einbeziehen kann, ist mir noeh nieht ersichrlicb. Ich brauche

Ihnen nicht zu sagen, d;ill die Kriti]; des Systernbegriffs, wie sie

zurnal Ihren [etztgenannten Essay bestimrnt, meiner Ansichr nach

zu den Grundpfeilern unserer Arbeit gehorr. Es ist nur leider der

dialektische Witz der Sache, daB bei den »reinen« Methodenfragen

die polirischen Zwecke, fur die diese Methoden wirken, nicht weni-

ger »rein« zuro Vorschein kommen. Erwas giinstiger steht es mit

den kunsrkritischen Methoden. Ich hoffe, daB ieh Wiesengrunds

Arbeiten wenigsrens naeh dieser Seite hin werde kennzeichnen kon-

nen,

Darf ich Ihnen, im Vorbeigehen, gesrehen, daB ich bei den Vorberei-

tungen zu dem Aufsatz den allgemeinen Teil des Autorirarswerkes 13

zum ersten Mal eingehend gelesen habe? Ihre Analyse der Thesen,

die die »Phanomenologie des Geistes« fiber die Familie aufsrellt, hat

mich tief beeindruckt. Sie ist ein Gegensriick zu den Bemerkungen

tiber den kantischen Schernarismus" im letzren Heft . Ich hoffe, im

Anschluf an sie und an Marcuses Hegelartikel im gleiehen Band 15

zeigen zu konnen, wieviel ernsthafter die Interessen der Geschichre

der Philosophic im Zusammenhang der politischen Anthropologie

gewahrt werden als in den Arbeiten der Metaphysiker.

Die erste Sorge wird allerdings sein, uns zu vergewissern, ob die

raurnlichen und sachlichen Grenzen, die von der Redakrion gesteckt

werden, nichr so ineinander spielen, daB dazwischen kein Raum

mehr bleibt. lch sehe es al s selbstverstandlich an, die Arbeit , im

schlimmsten FaUe, vergeblich zu schreiben, Auf der andern Seite

sollre man es Lion nicht al lzu leicht machen, die absolurisr ischen

Machrvollkomrnenheiten, zu denen er sich bekennt, zu unserm

Schaden zu iiben,

 

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314 Briere 1937

Was soll ich ihm schreiben? Ich warte fUr rneine Anrwort an ihn Ihre

Direkriven abo Triffl sein Bescheid sodann ein, so kann der Artike]

binnen vierzehn Tagen zu seiner VerfUgung srehen,

Ich danke Ihnen besonders fur die Frage nach rneinen person-

lichen Umstanden, die Ihr letzter Brief enthalt. Er hat sich mil

dem meinen gekreuzr, dem ich einige Worte dariiber am SchluB

beigefugt harte. Erfreulicherweise kann ich Ihnen heute melden,

daB ich, nach manchen Miihen, eine Wohnung gefunden habe,

die ich am funfzehnren Januar werde beziehen konnen, Sie hat

ein Zimmer: es isr nicht allzu groB; es wird mir nicht ermoglichen,

den gereneren Teil meiner Bibliothek ganz aufzustellen. Es

weist aber den fUr den Pariser Sommer hochsr schatzenswerten

Vorteil auf, im [erzten Stockwerk eines siebenstockigen Hauses

zu liegen und auf eine kleine Terrasse hinauszufiihren. Es wird

mir die so sehr erwunschre Moglichkeir geben, von Zeit zu Zeit

einige [ranzosische Freunde bei mir zu sehen; davon alIein

schon verspreche ich rnir einen Zuwaehs an Lebens- und Arbeirs-

freude.

Die Nachricht von Wiesengrunds bevorstehender Ubersiedlung

hat einen Schatten auf diese Tage geworfen. Wie schwankende Ge-

stalten mich hier umgeben - von so liebenswiirdigen wie Klos-

sowski, so seltenen wie Adrienne Monnier abgesehen - haben Sic

selbst erfahren. Diese Gestalten machen es einem leichr, seinen

Oberzeugungen rreu zu bleiben; sie erschweren nur ihre Formulie-

rung. Groethuysen - Sie werden die Assoziarion verstehen -

sprach mit mir und mit ATOnvon neuem uber den Verlag lhrer Es-

says. Ein Vorschlag Groethuysens, der Aron und mir rasonabel

erscheinr, ist Boivin. Bei Boivin erscheinen unter anderem die

von Koyre herausgegebenen -Recherches Philosophiques«, - Im

ubrigen gehr man vielleicht zu weir, wenn man bei Groerhuysen

von Sabotage spricht. Es liegt, glaube ich, einfacher, Ersrens fehlr

ihm Konzenrration, Zweitens isr er durchaus nicht im Stande, ir-

gend etwas ernst zu nehmen, Er macht aus der Not eine Tugencl,

wenn er sich urn so ruckhaltloser den Iirerarischen Moden anheirn-

gibt. Mehr als eine literarische Mode ist ibm auch Heidegger nicht.

Ihm freilich zurn Bewulitsein zu bringen, daB diese Mode mirzu-

machen - denn Groerhuysen inauguriert nichts - einern Marxisten

nicht zusteht - das halte ich fur unrnoglich. Das Element die-

Bride 1937 315

ses Mannes ist die triibe Tiefe; man braucht nur seine Einleitung

zur Ubersetzung von Kafkas »Prozef . ..16 zu lesen, urn sich dessen

zu iiberhihren. In diesem stagnierenden Wasser seines Unbewuli-

ten isr Raum fur vieles: sein Bewulhsein sirzr am Ufer und an-

gelt.

Die Vorgange in Ru£land vermindern die Chancen einer Klarstel-

lung, hier wie in andern Fallen. Es erfullte mich kurzlich mit Stau-

nen, einen offenkundig nicht parteigebundenen Inrellekruellen sich

in positivem Sinne auf sie beziehen zu horen. Das war Kojevni-

koff 17 in einem Vortrag iiber die Hegelschen Gedanken zur Sozio-

logie. Ich vermute, daB Ihnen der Mann naher oder Ierner bekannr

ist. Hat er in der Tat, wie Herr Brill meinte, im Besprechungsteil

der Zeitschrift publiziert s!" Er liesr an der Sorbonne; sein Seminar

uber die »Phanomenologie«, von der er eine Oberserzung ins Fran-

zosische vorbereitet, ist der Ort gewesen, an dem sich einige Sur-

realisten ihre Inlormationen uber Dialektik geholr haben. Seine

Vortragsweise ist klar, sprachrechnisch hervorragend. Soweit man

Hegelkenner sein kann, ohne die materialistische Dialektik sich

zugeeignet zu haben, ist Kojevnikoff das. Demungeachtet scheinen

mir seine Konzepeionen der Dialektik selbst im idealistischen

Sinne sehr angreifbar, Sie hinderten ibn jedenfalls nicht, in seinem

Vortrag - irn Kreise von -Acephale- 19! - die These zu enrwickeln,

daB der Mensch nur seiner nanirlichen Seite nach, beziehungsweise

in den Manifestationen seiner bisherigen Geschichre, welcheals

abge1aufene die Fixiertheit seines nanirlichen Wesens teile, Gegen-

stand wissenschaftlicher Erkenntnis sein konne. »Gernacht« werde

Soziologie heute in Moskau; geschrieben werden konne sic erst,

wenn man dort entschieden babe. - Es war recht traurig, wenn

man auch nicht aus dem Auge verlieren darf, daH vieles vielleicht

aus Bosheir gegen die Veranstalter seines Vortrags von ihm gesagt

wurde.

Bei Gide - das ist weniger uberraschend - hat sich eine affektbetonte

Opposition nicht nur gegen den Stalinisrnus sondern auch gegen

den dialektischen Marerialismus herausgebildet. Er orienrierr sich

gegenwartig am Fronrisrne von Gaswn Bergery.20 KJossowski hat

Ahnliehes vor kurzeru von Gide selbst zu horen bekommen und es

darum niche auf sich genommen, ihm das Manuskript von »Egois-

mus und Freiheitsbewegung« in franzosischer Uberserzung zur

 

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316 Briefe 1937

Leknire zu geben. Wir hatten das vorgehabt. lch gebe den Gedan-

ken daran nicht auI, werde vielmehr mit Etiemble, der inzwischen in

Ihren Aufsatz rief eingedrungen scheint und mir daruber schrieb,

clavon sprechen,

Was Klossowski berrifft , so hat er einen kleinen Essay tiber Cham-

fon21 geschrieben12, das besre, was ihm bisher gegliickt ist, durch-

zogen von Einflusterungen des Damons, der ihn in die Theologic

gebannt halt. Neuerdings hat er die "Soirees de Saint-Peters-

bourg" 23 zu seinem livre de ehevet gemaeht. leh gehe den Unterhal-

rungen tiber da s Buch, da s jaauf Baudelaire stark gewirkt hat, n i ch i

aus dem Wege. Urn so besser, wenn sie zu Klossowskis Aufklarung

b eit ra ge n. I ch bin m IT n ic h t s ic h er ,

An einem langeren Gesprach mit jouve, dessen Frau 14 eine der

bekannresten Analytikerinnen in Frankreich ist und die Produk-

lion ihres Mannes enrscheidend beeinfluiir, habe ich neulich hand-

greif lich erfahren, wie die Psychoanalyse jemanden dem Obsku-

rantismus in die Arme zu himen vermag. - DaB die Existenz-

philosophie weiterhin im Reigen nichr fehlt, ersehen Sie aus den]

beiliegenden Expose (nichr beil iegend sondern als Drucksache

nachfolgend) 2S von Wahl. Der kuru Vortrag fiigte dem nichts

hinzu, sondern verwischte eher die durfrigen Prazisionen, die esenrhalr,

Zu den »Ruckschrirren der Poesie«, Die Bedeutung VOn joch-

manns Essay scheint mir von seinen Entstehungsbedingungen nur

schwer abzulosen. In ihm finder das biirgerliche Freiheitsbewulit-

sein d ec Deutschen den Weg, in seiner Schattenexistenz einern

Traurne nachzuhangen, dec unterm Mittagshimmel der franzosi-

schen Revolution nicht harte getraumt werden konnen, Die

Authenrizitat dieses Textes durfte von seiner proleptischen Natur

n i che zu trennen sein, Die Uberlegung iiber die geschiehcliehen

Greuzen, die die Hurnanitar der Kunst setzen konnte, taucht hier

wohl zum ersten Male auf. Die Form, in der das geschieht, ist dieeines Monologs, de r keine Unterbreehung zu gewiirtigen und kein

Echo zu hoffen hat.

Diese Urnsrande lassen es mir gewagt erscheinen, gegenwiirtige be-

ziehungsweise eigene Problemstellungen an diesen Text anzu-

knupfen, Ich will von der schriftstelierischen Aufgabe, diesen erra-

tisch en Block in ein Gedankengebaude einzufiigen, nicht sprechen.

Briefe 1937 31 7

In rneiner Arbeit tiber "Das Kunsrwerk im Zeitalter seiner tech-

nischen Reproduzierbarkeite+" sehe ich gewiB ein Moriv, das

eine Umformulierung von Jochmanns Essay vermirreln konnre, Es

ist das Motiv vom Verfall der Aura. leh habe mich in der letzten

Zeit gerade hieriiber urn neue Aufschliisse berniiht, und ieh hoffe

nicht ohne Erfolg. Aber sie setzen mich nichr in Stand, die sakulare

Perspektive Joehmanns, die von den homerischen Epen bis zu

Goethe reicht , zu umspannen. Ich Iurchre, daB eben diese Spann-

weite die unvcrgleichliche Originalitst Jochmanns ausmacht, mit

dern man hierin nicht in unminelbaren Wenbewerb treten dart,

ohne dem Leser allzu deudieh zu rnachen, wie wenig es uns, unter

unserm helleren, dazu noch frosrigen Himmel zu rraurnen gestattet

ist.

Es ist manchmal angezeigt, den Leser ohne Umstande mit den

Schwierigkeiten bekannt zu machen, die sich dem Verfasser in den

Weg stellen, Das fuhrt rnich zu der Frage: sollre ich nicht versuchen,

die obigen Oberlegungen in einern kurzen Abschnitt der Ihnen vor-

liegenden E in le ir un g e in z uf le c ht en ? Er harte den Leser tiber die

force majeure aufzuklaren, kraft deren gerade da s ungebrochene

philosophische Interesse angesichts dieser Abhandlung auf den hi -

stonschen Kommentar verwiesen wird. Auf solchem Umwegewiirde ieh in der Tat ihre Beziehung zur Reprodukrionsarbeir her-

srellen und dami r den Schein der bloBen hisroriscben Denkwiirdig-

keit von ihr Iernhal ren.

lnliegend finden Sie die Anzeige von Brunets »Histoire de lalangue

francaise« IX,2.27 Ich wurde mich freuen, wenn es sieh limen recht-

fertigt, daB ih r Umfang den ublichen erwas uberschreiter,

Fraulein Herzberger kornrnt, soviel ich weiH, in den allernachsten

Tagen zuriick. Das bedeutet, daR ich mutrnafilich noch vor dem

fiinIzehmen des Monats rnein Quarrier wechsle. Da eine korrekte

Naehsendung der Bride in Paris weder durch die Post noch durch

den Concierge zu erreichen isr , so werde ich Ihnen gegebenenfallsmeine neue Adresse kabeln und wiirde Sie urn die Freundlich-

keir bitten, diese auch der Ncwyorker Bank mitzureilen. - Vom

fiinfzehnten Januar an isr rneine Adresse Paris XV t o Rue Dorn-

basle.

Zum SchluB rnochte ich Ihnen mineilen, daB ein neues Konvolut

von Photokopien meiner Materialien zu den »Pariser Passagen",28

 

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318 Br ide 1937

vorliegt, Sie bewahren soviel ic h weiB das erste Konvolut in New

York auf. SoUich Ihnen das neue ebenfalls senden?

Meiner herzlichen GruBe bine ich Sie sich diesmal mit Ihrer Frau

und Herrn Pollock urn die Weihnachtszeit erinnern zu wollen,

Ihr

Walter Benjamin

Ts. I Anew. auf venlff. B. vom 5.11. 1937 I beantw. durch vcroff, B. VOm

17.12.19371 MHA: VI 5_300.

I VgI. B. vom 3.12.1937, Anm. 15.

2 Ferdinand Lion (1883-1%5), Literaturkritiker und Essayist, mit Thomas

Mann befreundet und als dessen Biograph hervorgetreten, redigiene 1937 -39

die von Mann rnitherausgegebene Zwcimonatszeitschrift MM. und Wert in Zu -

rich. Seine im folgenden erwahnre Abhandlung Geschicbte biologisch geseben

war 1935 inZurich erschienen,

3 VgL B. vom \9.2.1935, Anm.2.

4 V gl. B. vorn 10.2 . 1936, Anm. 10.

5 Vgl. B. vom 26.5. 1936, Anrn. 5.

6 VgL B. vom 25.2.1935, Anrn. 4.

7 Lowenthal , .Conrad Ferdinand Meyers heroi sche Geschicht sauffassung-

in: ljS I I, 1933, S.34 ff.; in: LS2, S.397 ff.

8 Max Scheler (1874-1928), Philosoph und Soziologe, 1919 Prof. in Koln,

1928in Frankfur t am Main.

9 Mannheim, -Zur Diagnose unserer Zeit" in: Mass und Wert, I.Jg., Heft I,

Sept ./Okt. 1937, s . r o o r r ,10 Fur den Unterrichr des Dauphins (Thronfolgers), d. h. »a d usurn Delphini-,

l i e G Ludwig xrv. e ine Ausgabe am.iker Klas siker unter Weglassung der anst56i-

gen Stellen besorgen.

u Vgl. B. vom 16.8.1937, Anrn. 2 .

12 Adorno, -Uber Jazz" vgl. B. vom 31. I.1936, Anrn. I.

13 Neben dem Autsatz Fromms (vgl. hier Anm. 4) der von M. H. (vgl, B_ vorn

31. 1 .1936, Anm. 8) l ind von Marcuse (vgl. B. vom 10.2 . 1936, Anm. lJ).

14 M. H., ,T r aditionelle und krirische Theorie-, in: ljS VI, 1937, S. 257 ff. ; i n:

HG S 4, S. 175ff.

15 Gemeim ist wohl nicht der im gleichen Band der ljS enthahene Arrikel

,Ober den affirmativen Charakter der Kultur- (vgl. B. vom 22.2.1937, Anru.s),

sondem der im vorangehenden Band V erschieneJ'e Artikel -Zum Begriff des

Wesens< (vgl. B. Yom 6. 12.1935, Anm. 7).

16 Die Iranzosische Ubersetzung von Kafkas Prozef] (Le Prod'S) war 1933 in

Paris erschienen,

17 Alexandr Kojevnikow (1902-1968), russisch-franzosischer Philosoph,

nannte sich im Laufe seiner endgult igen Niederlassung in Frankreich Alexandre

Kojeve, Er wurde beruhmt durch seine Pariser Hegel-Vorlesungen 19B-39,

Briefe 1937 319

durch die er die Generation der spareren Exist enrialisten enescheidend mi t beein-

flU£te.

18 Von ih m erschien don eine kurze Rezension iiber Henri Gouhier, La Vie

d'AugU'l CQtnte, Paris 1931, in: l;S 1, 1932, S. 151£.

19 VgI. B. vorn 25.1.1937, Anm. 6.

20 Gaston Bergery (geb. 1892), jurist lind Poliuker, 1935 Grunder der Zeit-

schrift La Fleche, Mitbegriinder der .Front commun-e bzw. der »Fronr popu-

[aire •.

21 Nicolas Sebastien Roch, gen. de Chamfon (1741-1794), franz6sischer

S c h r i fr s t e H e r.

22 Tite l und VerOffentl ichung nicht ermirrelt,

23 Von Joseph Marie de Maist re (1753 -1821).

24 Nicht erminel t.

251m MHA nicht erhalten,

26 VgI. B. vorn 16.10.1935, Anm. 2.

27 Die Rezension Beniarnins iiber Ferdinand Brunet, His toire de fa langue

[ranca i s e des origines a 1900, Bd. IX, Paris 1937, erschien in: ZjS VIII , 1939,

S.290ff.; in: BG S 1II, S.561ff.

2S Vgl. B. vorn ou INov. 1934, Anm. 3.

361. Otto Ncurath an Max Horleheimer, New York

International Institute for the Unity of Science

2670brechtstraat

The Hague, Holland I

8.Dezember 1937

Lieber Herr Horkheimer!

Anbei folgt der Text der Erwiderung ', wie ich sie mit Ihnen und

Pollock besprochen habe. leh habe Ihren Arrikel ' inzwischen

mehrmals gelesen und mit Freunden besprochen, Ich kann Ihnen

nur wiederholen, ieh glaube esist eine betriibliche Sache, daB Sie ibn

geschrieben haben. Aber man muBdie Feste feiem wie sie fallen und

die Polerniken hinnehmen, wie sie herabregnen.

Sie wiirden mieh sehr verbinden, wenn Sie rnir noch 2 Exemplare

Ihres Artikels senden wollten. Gern hatte ich iiberhaupt Ihre Arti-

kel fur unsere Bibliothek, da wir ja niche nUT die Separata unserer

Freunde, sondern aueh unserer Gegner sarnmeln.