ÜBER DAS BUCH - Ernst-und-Sohn.de

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BESTELLEN +49 (0)30 470 31–236 [email protected] www.ernst-und-sohn.de/3321 * Der €-Preis gilt ausschließlich für Deutschland. Inkl. MwSt. Bundesingenieurkammer (Hrsg.) Ingenieurbaukunst 2021 Made in Germany die besten aktuellen Projekte von Ingenieuren aus Deutschland neue Entwicklungen im Bauwesen wie Klimaschutz und Ressourceneffizienz inspiriert vom Symposium IngD4C „Ingenieurbaukunst – Design for Construction“ Das Buch präsentiert die spektakulärsten aktuellen Ingenieurbauprojekte weltweit, an denen deutsche Ingenieure wesentlichen Anteil haben. Herausge- geben von der Bundesingenieurkammer, ist das Werk die zentrale Leistungsschau des deutschen Bauingenieurwesens. 11 / 2020 · 190 Seiten · 130 Abbildungen Softcover ISBN 978-3-433-03321-0 € 39,90* ÜBER DAS BUCH Die neue Ausgabe des Jahrbuchs „Ingenieurbaukunst“ präsentiert wieder eine Auswahl der spektakulärsten aktuellen Bauprojekte „Made in Germany“. Herausgege- ben von der Bundesingenieurkammer, ist das Werk die zentrale Leistungsschau des deutschen Bauingenieur- wesens. Die von einem wissenschaftlichen Beirat ausgewählten Bauwerke werden von den beteiligten Ingenieuren bes- chrieben, sodass die jeweils spezifischen Heraus- forderungen und die Lösungswege in Planung und Aus- führung aufgezeigt werden. Somit stellt das Jahrbuch erneut einerseits eine Galerie der Spitzenleistungen deutscher Bauingenieure dar und fungiert andererseits als Reflexionsfläche der aktuellen Debatten im Bauinge- nieurwesen. www.ernst-und-sohn.de/3321 Anzahl Preis ISBN / Titel BESTELLUNG 978-3-433-03321-0 Ingenieurbaukunst 2021 € 39,90* Irrtum und Änderungen vorbehalten. Stand: 11/2020 Firma Name, Vorname Straße, Nr. PLZ / Ort / Land E-Mail Telefon Fax UST-ID Nr. Datum / Unterschrift Geschäftlich Privat Bitte richten Sie Ihre Bestellung an: Tel. +49 (0)30 47031-236 Fax +49 (0)30 47031-240 [email protected]

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Der euro-Preis gilt ausschlieszliglich fuumlr Deutschland Inkl MwSt

Bundesingenieurkammer (Hrsg)

Ingenieurbaukunst 2021

Made in Germany

die besten aktuellen Projekte von

Ingenieuren aus Deutschlandneue Entwicklungen im Bauwesen

wie Klimaschutz und

Ressourceneffizienz inspiriert vom Symposium IngD4C

bdquoIngenieurbaukunst ndash Design for

Constructionldquo

Das Buch praumlsentiert die spektakulaumlrsten aktuellen

Ingenieurbauprojekte weltweit an denen deutsche

Ingenieure wesentlichen Anteil haben Herausge-

geben von der Bundesingenieurkammer ist das

Werk die zentrale Leistungsschau des deutschen

Bauingenieurwesens 11 2020 middot 190 Seiten middot 130 Abbildungen

Softcover

ISBN 978-3-433-03321-0 euro 3990

UumlBER DAS BUCH

Die neue Ausgabe des Jahrbuchs bdquoIngenieurbaukunstldquo

praumlsentiert wieder eine Auswahl der spektakulaumlrsten

aktuellen Bauprojekte bdquoMade in Germanyldquo Herausgege-

ben von der Bundesingenieurkammer ist das Werk die

zentrale Leistungsschau des deutschen Bauingenieur-

wesens

Die von einem wissenschaftlichen Beirat ausgewaumlhlten

Bauwerke werden von den beteiligten Ingenieuren bes-

chrieben sodass die jeweils spezifischen Heraus-

forderungen und die Loumlsungswege in Planung und Aus-

fuumlhrung aufgezeigt werden Somit stellt das Jahrbuch

erneut einerseits eine Galerie der Spitzenleistungen

deutscher Bauingenieure dar und fungiert andererseits

als Reflexionsflaumlche der aktuellen Debatten im Bauinge-

nieurwesen

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8 Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen

Projekte

12 Einfach komplex und komplex einfach ndash Das Tragwerk fuumlr den Axel-Springer-Neubau in Berlin

22 Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee

30 Der Himmel als Verkleidung ndash Hudson Yards Art Wall 38 Erster Fuumlnfgeschosser aus Massivholz in Sachsen ndash Das neue Wohn- und Geschaumlfts- haus Z8 in Leipzig

46 Eine neue Verkehrsdrehscheibe zwischen Asien und Europa ndash Der Internationale Seehafen Turkmenbashi

56 Zukunftsweisendes Forschungsgebaumlude in hybrider Holz-Beton-Verbundbauweise ndash Das ZELUBA in Braunschweig

64 Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 72 Holzbau repraumlsentiert Klebetechnologie ndash Das neue Innovationszentrum von Jowat in Detmold

80 Kulturbau in modifizierter Mauerwerksbauweise ndash Die Stadtbibliothek in Rottenburg am Neckar 88 Leichte Anmutung als identitaumltsstiftendes Merkmal ndash Das neue Stadion fuumlr die Tottenham Hotspurs

96 Ein traditioneller Baustoff neu interpretiert ndash Die Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt

104 Eine der weltgroumlszligten Hubbruumlcken ndash Die Neue Bahnbruumlcke Kattwyk in Hamburg

114 Eine Kuppelschale aus Holz fuumlr die Synagoge ndash Das neue Juumldische Gemeindezentrum in Regensburg

120 Unerschuumltterlich trotz geschlitzter Stuumltzen ndash Das neue Geo- und Umweltforschungszentrum der Uni Tuumlbingen

128 Ein Balanceakt auf Sandstein ndash Das neue Ludwig Erhard Zentrum in Fuumlrth

136 Massiv integral modern ndash Drei Holzbruumlcken im Remstal

142 Form Follows Sun ndash Die Holzkuppeln des Botanischen Gartens in Taiyuan

150 Klassische Form und neue Konzepte ndash Netzwerkbogen uumlber die A9 bei Nuumlrnberg

Geschichte Forschung Essay

158 Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

164 Alter Werkstoff mit hohem Potenzial ndash Bauen mit Holz

170 Because we can ndash Fluch und Segen der modernen Glasarchitektur

176 Robotisches Bauen fuumlr die Zukunft der Architektur ndash Die beiden Leichtbaupavillons auf der BUGA 2019 in Heilbronn

184 Immer wieder neu denken ndash Der Ingenieur und Hochschullehrer Stefan Poloacutenyi

190 Von Pythagoras bis zum Dortmunder Modell Bauwesen

Anhang

INHALT

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8 Ingenieurbaukunst 2021

INGENIEURBAUKUNSTFUumlR EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNGBAUWERKE DIE DEN WANDEL PRAumlGEN

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 9

Das Jahrbuch bdquoIngenieurbaukunst 2021ldquo praumlsentiert ein breites Spektrum an Beispielen wie die Beteilig-ten im Bauingenieurwesen Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammendenken

Rolle der Bauingenieurinnen und -ingenieure fuumlr die Nachhaltigkeit

Mit vergleichsweise wenigen Einwohnern (ca 82 Milli-onen) und kaum Rohstoffen ist Deutschland trotzdem eine der staumlrksten Wirtschaftsnationen der Welt ndash nicht zuletzt dank unserer Ingenieurinnen und Ingenieure Bezahlbare und saubere Energie intakte Infrastruktu-ren Klimaschutz nachhaltige Energiegewinnung und auch klimaangepasste Staumldte sind ohne Bauwesen und Anlagenbau undenkbar Bauen steht fuumlr ca 30 der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs ca 50 des Abfallaufkommens ca 90 der gesamten inlaumlndi-schen Entnahme mineralischer Rohstoffe Im Jahr 2019 generierte die Immobilienwirtschaft eine bdquoBruttowert-schoumlpfungldquo von ca 600 Milliarden Euro (Jahresbericht ZIA 2019) Kaum eine Branche ist mit so vielen Lebens-bereichen und Wirtschaftszweigen so stark verknuumlpft wie die Baubranche Auch zeigen gesellschaftliche Debatten dass Klimaschutz zusammen mit der Lebens-realitaumlt der Menschen vor Ort in der gebauten Umwelt gedacht werden muss Qualitaumltsvolle Bauten und Le-bensraumlume stiften zudem Identitaumlt Kurz Ohne Ingeni-eurwesen keine Zivilisation Ohne Architektur keine Baukultur Ohne Bauen und Stadtentwicklung keine er-folgreiche Nachhaltigkeitspolitik

bdquoLebe von den Ertraumlgen nicht vor der Substanzldquo ndash Ressourcenknappheit als Treiber von Innovationen

Vor fast 50 Jahren stellte der Club of Rome mit dem Buch bdquoDie Grenzen des Wachstumsldquo die Ressourcen- frage ins Zentrum der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Ernst-Ulrich von Weizsaumlcker ehemaliger Ko-Praumlsident mahnt auch heute dass wir vor allem ein Ressourcen-problem haben

Jeder Bundesbuumlrger bdquotraumlgtldquo rund 360 Tonnen Materiali-en ndash aus bdquoseinenldquo Anteilen an Infrastrukturen aus pri-vaten und oumlffentlichen Raumlumen stammend Die Weltbe-voumllkerung waumlchst jede Sekunde um 26 Menschen Allein China hat zwischen 2011 und 2013 mehr Zement als die USA im gesamten 20 Jahrhundert verbraucht Wenn langfristig alle Menschen aumlhnliche Ressourcen-mengen verbrauchen muumlsste man fast 1000 Tonnen Materialien pro Sekunde verbrauchen Die Folge waumlren Schaumlden fuumlr die Umwelt und damit fuumlr unsere natuumlrli-chen Lebensgrundlagen Wer aber Wachstum und Kon-

sum pauschal verurteilt ignoriert Laumlnder die wachsen wollen und muumlssen Menschen streben uumlberall nach Wohlstand Die Aufgabe lautet daher einerseits Res-sourceneffizienz zu etablieren und andererseits Wachs- tum und Konsum von negativen Umwelteffekten ab- zukoppeln Dazu brauchen wir keine Verbote sondern Innovationen Erfindungsgeist Technik Kooperation und baukulturell ansprechende Loumlsungen

Lebenszyklus im Blick ndash fuumlr eine konsequente Kreislauf(bau)wirtschaft

Die Bauwirtschaft muss in eine Kreislaufwirtschaft uumlberfuumlhrt werden die Ressourcen nicht nur sehr effizi-ent nutzt sondern im Kreislauf haumllt als ein (Bau)Wirt-schaften das bdquoWeniger ist mehrldquo und bdquoimmer wiederldquo als Tugend versteht Dazu gehoumlren Life Cycle Engineer- ing recyclingfaumlhige Materialien modulares wie klima- und ressourcenneutrales Bauen weniger irreversible Verbindungen usw

Fokussieren wir nur die Energieeffizienz im Betrieb ist oft Uumlbertechnisierung die Folge also mehr Material und Technik und somit mehr graue Energie und CO2-Emissionen Damit Ressourcenverbrauch und Umwelt-effekte nicht nur verschoben sondern insgesamt redu-ziert werden ist eine Betrachtung im gesamten Lebenszyklus erforderlich Auch Gebaumlude lassen sich lange (um)nutzen wenn bei der Planung der Lebens- zyklus mitgedacht wird und etwa flexible Grundrisse und nachruumlstbare Technik zum Einsatz kommen

Ressourceneffizienz fruumlher denken

Waumlhrend Energieeffizienz durch sekundaumlre Konstruktio-nen wie Daumlmmung uumlblich ist stehen Maszlignahmen der Ressourceneffizienz der primaumlren Konstruktion ndash wie

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10 Ingenieurbaukunst 2021

Tragwerk ndash nicht im Fokus Tragwerke ermoumlglichen die Architektur indem sie eine raumumschlieszligende Flaumlche statisch gestalten und leisten so einen wichtigen Bei-trag zur aumlsthetischen Erscheinung Doch es geht um mehr Parametrische Planungsmethoden oder von Bio-nik inspirierte Bauweisen konzentrieren die Materialien dort wo sie fuumlr die Lastabtragung noumltig sind und tra-gen so zur Ressourceneffizienz bei ndash nur ein Beispiel wie Nachhaltigkeit und Aumlsthetik zusammengehen koumln-nen Davon brauchen wir mehr Was fehlt Das Nor-mungswesen zur Bemessung von Bauteilen muss der Ressourcenknappheit und damit diesen Methoden Rechnung tragen Klug eingesetzt koumlnnen Reformen solche Innovationen unterstuumltzen

Integrierte Technik als gestalterisches Element

Fuumlr einen bdquoklimaneutralenldquo Gebaumludebestand ist eine Waumlrmewende ebenso wichtig wie Energiegewinnung am Gebaumlude Die Baubranche sollte eigene Konzepte fuumlr baukulturell ansprechende und integrierte Technik zur Energiegewinnung entwickeln bdquoIntegriertldquo bedeutet hier nicht nur bdquoabgestimmt oder Teil eines Gesamtkon-zeptesldquo sondern gestalterisch mitgedacht Idealerweise sollte man den Produkten die Funktion bdquoEnergiegewin-nungldquo erst gar nicht ansehen Dachsteine die Strom gewinnen solarthermisch aktive Dachpaneele fuumlr Warmwasser die dabei auch ihre Funktion bdquoGebaumlude-abschlussldquo erfuumlllen Schlieszliglich sieht man einer Daumlm-

mung auch nicht an wie sie Waumlrmedurchgaumlnge redu-ziert oder Schallenergie absorbiert Wir muumlssen uns von rein additiven hin zu multi-funktionalen und inte- grierten Bauprodukten bewegen und Energietechnik im Bau als gestalterisches Element verstehen

Infrastrukturbauten als identitaumltsstiftende Landmarken

In der Leipzig Charta dem Leitbild der europaumlischen Stadt wird die Verzahnung zwischen Quartier Gesamt-stadt und dem stadtregionalen Raum adressiert und mit Nachhaltigkeitsfragen verknuumlpft Was aber kann der Beitrag von Ingenieurbaukunst hierbei sein Meine Antwort Funktionale Infrastrukturbauten zu guten Visi-tenkarken zu Landmarken zu erheben

2050 werden mehr als 66 der Weltbevoumllkerung in Metropolen leben Der Urbanisierungstrend trifft auch Europa Die Verstaumldterung generiert nicht nur Gewin-ner sondern auch Verlierer Die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum waumlchst mit enormen Folgen fuumlr die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt Ist das umkehrbar Laumlndliche Raumlume wieder attraktiv zu ma-chen ist sicher Aufgabe von Politik und Raumplanung Was waumlre der Beitrag von Ingenieurbaukunst Ich bin der Uumlberzeugung dass jeder Infrastrukturbau ndash egal ob ein Bahnhof oder eine kleine Bushaltestelle ndash der Ausgangspunkt vieler Gedanken uumlber den Ort seine

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1 Materiallager Gebaumlude und Infrastrukturen ndash Verbautes Material pro Einwohner in Deutschland (2010 11 2016)

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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24 Ingenieurbaukunst 2021

mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

1

Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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8 Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen

Projekte

12 Einfach komplex und komplex einfach ndash Das Tragwerk fuumlr den Axel-Springer-Neubau in Berlin

22 Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee

30 Der Himmel als Verkleidung ndash Hudson Yards Art Wall 38 Erster Fuumlnfgeschosser aus Massivholz in Sachsen ndash Das neue Wohn- und Geschaumlfts- haus Z8 in Leipzig

46 Eine neue Verkehrsdrehscheibe zwischen Asien und Europa ndash Der Internationale Seehafen Turkmenbashi

56 Zukunftsweisendes Forschungsgebaumlude in hybrider Holz-Beton-Verbundbauweise ndash Das ZELUBA in Braunschweig

64 Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 72 Holzbau repraumlsentiert Klebetechnologie ndash Das neue Innovationszentrum von Jowat in Detmold

80 Kulturbau in modifizierter Mauerwerksbauweise ndash Die Stadtbibliothek in Rottenburg am Neckar 88 Leichte Anmutung als identitaumltsstiftendes Merkmal ndash Das neue Stadion fuumlr die Tottenham Hotspurs

96 Ein traditioneller Baustoff neu interpretiert ndash Die Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt

104 Eine der weltgroumlszligten Hubbruumlcken ndash Die Neue Bahnbruumlcke Kattwyk in Hamburg

114 Eine Kuppelschale aus Holz fuumlr die Synagoge ndash Das neue Juumldische Gemeindezentrum in Regensburg

120 Unerschuumltterlich trotz geschlitzter Stuumltzen ndash Das neue Geo- und Umweltforschungszentrum der Uni Tuumlbingen

128 Ein Balanceakt auf Sandstein ndash Das neue Ludwig Erhard Zentrum in Fuumlrth

136 Massiv integral modern ndash Drei Holzbruumlcken im Remstal

142 Form Follows Sun ndash Die Holzkuppeln des Botanischen Gartens in Taiyuan

150 Klassische Form und neue Konzepte ndash Netzwerkbogen uumlber die A9 bei Nuumlrnberg

Geschichte Forschung Essay

158 Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

164 Alter Werkstoff mit hohem Potenzial ndash Bauen mit Holz

170 Because we can ndash Fluch und Segen der modernen Glasarchitektur

176 Robotisches Bauen fuumlr die Zukunft der Architektur ndash Die beiden Leichtbaupavillons auf der BUGA 2019 in Heilbronn

184 Immer wieder neu denken ndash Der Ingenieur und Hochschullehrer Stefan Poloacutenyi

190 Von Pythagoras bis zum Dortmunder Modell Bauwesen

Anhang

INHALT

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8 Ingenieurbaukunst 2021

INGENIEURBAUKUNSTFUumlR EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNGBAUWERKE DIE DEN WANDEL PRAumlGEN

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 9

Das Jahrbuch bdquoIngenieurbaukunst 2021ldquo praumlsentiert ein breites Spektrum an Beispielen wie die Beteilig-ten im Bauingenieurwesen Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammendenken

Rolle der Bauingenieurinnen und -ingenieure fuumlr die Nachhaltigkeit

Mit vergleichsweise wenigen Einwohnern (ca 82 Milli-onen) und kaum Rohstoffen ist Deutschland trotzdem eine der staumlrksten Wirtschaftsnationen der Welt ndash nicht zuletzt dank unserer Ingenieurinnen und Ingenieure Bezahlbare und saubere Energie intakte Infrastruktu-ren Klimaschutz nachhaltige Energiegewinnung und auch klimaangepasste Staumldte sind ohne Bauwesen und Anlagenbau undenkbar Bauen steht fuumlr ca 30 der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs ca 50 des Abfallaufkommens ca 90 der gesamten inlaumlndi-schen Entnahme mineralischer Rohstoffe Im Jahr 2019 generierte die Immobilienwirtschaft eine bdquoBruttowert-schoumlpfungldquo von ca 600 Milliarden Euro (Jahresbericht ZIA 2019) Kaum eine Branche ist mit so vielen Lebens-bereichen und Wirtschaftszweigen so stark verknuumlpft wie die Baubranche Auch zeigen gesellschaftliche Debatten dass Klimaschutz zusammen mit der Lebens-realitaumlt der Menschen vor Ort in der gebauten Umwelt gedacht werden muss Qualitaumltsvolle Bauten und Le-bensraumlume stiften zudem Identitaumlt Kurz Ohne Ingeni-eurwesen keine Zivilisation Ohne Architektur keine Baukultur Ohne Bauen und Stadtentwicklung keine er-folgreiche Nachhaltigkeitspolitik

bdquoLebe von den Ertraumlgen nicht vor der Substanzldquo ndash Ressourcenknappheit als Treiber von Innovationen

Vor fast 50 Jahren stellte der Club of Rome mit dem Buch bdquoDie Grenzen des Wachstumsldquo die Ressourcen- frage ins Zentrum der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Ernst-Ulrich von Weizsaumlcker ehemaliger Ko-Praumlsident mahnt auch heute dass wir vor allem ein Ressourcen-problem haben

Jeder Bundesbuumlrger bdquotraumlgtldquo rund 360 Tonnen Materiali-en ndash aus bdquoseinenldquo Anteilen an Infrastrukturen aus pri-vaten und oumlffentlichen Raumlumen stammend Die Weltbe-voumllkerung waumlchst jede Sekunde um 26 Menschen Allein China hat zwischen 2011 und 2013 mehr Zement als die USA im gesamten 20 Jahrhundert verbraucht Wenn langfristig alle Menschen aumlhnliche Ressourcen-mengen verbrauchen muumlsste man fast 1000 Tonnen Materialien pro Sekunde verbrauchen Die Folge waumlren Schaumlden fuumlr die Umwelt und damit fuumlr unsere natuumlrli-chen Lebensgrundlagen Wer aber Wachstum und Kon-

sum pauschal verurteilt ignoriert Laumlnder die wachsen wollen und muumlssen Menschen streben uumlberall nach Wohlstand Die Aufgabe lautet daher einerseits Res-sourceneffizienz zu etablieren und andererseits Wachs- tum und Konsum von negativen Umwelteffekten ab- zukoppeln Dazu brauchen wir keine Verbote sondern Innovationen Erfindungsgeist Technik Kooperation und baukulturell ansprechende Loumlsungen

Lebenszyklus im Blick ndash fuumlr eine konsequente Kreislauf(bau)wirtschaft

Die Bauwirtschaft muss in eine Kreislaufwirtschaft uumlberfuumlhrt werden die Ressourcen nicht nur sehr effizi-ent nutzt sondern im Kreislauf haumllt als ein (Bau)Wirt-schaften das bdquoWeniger ist mehrldquo und bdquoimmer wiederldquo als Tugend versteht Dazu gehoumlren Life Cycle Engineer- ing recyclingfaumlhige Materialien modulares wie klima- und ressourcenneutrales Bauen weniger irreversible Verbindungen usw

Fokussieren wir nur die Energieeffizienz im Betrieb ist oft Uumlbertechnisierung die Folge also mehr Material und Technik und somit mehr graue Energie und CO2-Emissionen Damit Ressourcenverbrauch und Umwelt-effekte nicht nur verschoben sondern insgesamt redu-ziert werden ist eine Betrachtung im gesamten Lebenszyklus erforderlich Auch Gebaumlude lassen sich lange (um)nutzen wenn bei der Planung der Lebens- zyklus mitgedacht wird und etwa flexible Grundrisse und nachruumlstbare Technik zum Einsatz kommen

Ressourceneffizienz fruumlher denken

Waumlhrend Energieeffizienz durch sekundaumlre Konstruktio-nen wie Daumlmmung uumlblich ist stehen Maszlignahmen der Ressourceneffizienz der primaumlren Konstruktion ndash wie

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10 Ingenieurbaukunst 2021

Tragwerk ndash nicht im Fokus Tragwerke ermoumlglichen die Architektur indem sie eine raumumschlieszligende Flaumlche statisch gestalten und leisten so einen wichtigen Bei-trag zur aumlsthetischen Erscheinung Doch es geht um mehr Parametrische Planungsmethoden oder von Bio-nik inspirierte Bauweisen konzentrieren die Materialien dort wo sie fuumlr die Lastabtragung noumltig sind und tra-gen so zur Ressourceneffizienz bei ndash nur ein Beispiel wie Nachhaltigkeit und Aumlsthetik zusammengehen koumln-nen Davon brauchen wir mehr Was fehlt Das Nor-mungswesen zur Bemessung von Bauteilen muss der Ressourcenknappheit und damit diesen Methoden Rechnung tragen Klug eingesetzt koumlnnen Reformen solche Innovationen unterstuumltzen

Integrierte Technik als gestalterisches Element

Fuumlr einen bdquoklimaneutralenldquo Gebaumludebestand ist eine Waumlrmewende ebenso wichtig wie Energiegewinnung am Gebaumlude Die Baubranche sollte eigene Konzepte fuumlr baukulturell ansprechende und integrierte Technik zur Energiegewinnung entwickeln bdquoIntegriertldquo bedeutet hier nicht nur bdquoabgestimmt oder Teil eines Gesamtkon-zeptesldquo sondern gestalterisch mitgedacht Idealerweise sollte man den Produkten die Funktion bdquoEnergiegewin-nungldquo erst gar nicht ansehen Dachsteine die Strom gewinnen solarthermisch aktive Dachpaneele fuumlr Warmwasser die dabei auch ihre Funktion bdquoGebaumlude-abschlussldquo erfuumlllen Schlieszliglich sieht man einer Daumlm-

mung auch nicht an wie sie Waumlrmedurchgaumlnge redu-ziert oder Schallenergie absorbiert Wir muumlssen uns von rein additiven hin zu multi-funktionalen und inte- grierten Bauprodukten bewegen und Energietechnik im Bau als gestalterisches Element verstehen

Infrastrukturbauten als identitaumltsstiftende Landmarken

In der Leipzig Charta dem Leitbild der europaumlischen Stadt wird die Verzahnung zwischen Quartier Gesamt-stadt und dem stadtregionalen Raum adressiert und mit Nachhaltigkeitsfragen verknuumlpft Was aber kann der Beitrag von Ingenieurbaukunst hierbei sein Meine Antwort Funktionale Infrastrukturbauten zu guten Visi-tenkarken zu Landmarken zu erheben

2050 werden mehr als 66 der Weltbevoumllkerung in Metropolen leben Der Urbanisierungstrend trifft auch Europa Die Verstaumldterung generiert nicht nur Gewin-ner sondern auch Verlierer Die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum waumlchst mit enormen Folgen fuumlr die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt Ist das umkehrbar Laumlndliche Raumlume wieder attraktiv zu ma-chen ist sicher Aufgabe von Politik und Raumplanung Was waumlre der Beitrag von Ingenieurbaukunst Ich bin der Uumlberzeugung dass jeder Infrastrukturbau ndash egal ob ein Bahnhof oder eine kleine Bushaltestelle ndash der Ausgangspunkt vieler Gedanken uumlber den Ort seine

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1 Materiallager Gebaumlude und Infrastrukturen ndash Verbautes Material pro Einwohner in Deutschland (2010 11 2016)

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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8 Ingenieurbaukunst 2021

INGENIEURBAUKUNSTFUumlR EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNGBAUWERKE DIE DEN WANDEL PRAumlGEN

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 9

Das Jahrbuch bdquoIngenieurbaukunst 2021ldquo praumlsentiert ein breites Spektrum an Beispielen wie die Beteilig-ten im Bauingenieurwesen Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammendenken

Rolle der Bauingenieurinnen und -ingenieure fuumlr die Nachhaltigkeit

Mit vergleichsweise wenigen Einwohnern (ca 82 Milli-onen) und kaum Rohstoffen ist Deutschland trotzdem eine der staumlrksten Wirtschaftsnationen der Welt ndash nicht zuletzt dank unserer Ingenieurinnen und Ingenieure Bezahlbare und saubere Energie intakte Infrastruktu-ren Klimaschutz nachhaltige Energiegewinnung und auch klimaangepasste Staumldte sind ohne Bauwesen und Anlagenbau undenkbar Bauen steht fuumlr ca 30 der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs ca 50 des Abfallaufkommens ca 90 der gesamten inlaumlndi-schen Entnahme mineralischer Rohstoffe Im Jahr 2019 generierte die Immobilienwirtschaft eine bdquoBruttowert-schoumlpfungldquo von ca 600 Milliarden Euro (Jahresbericht ZIA 2019) Kaum eine Branche ist mit so vielen Lebens-bereichen und Wirtschaftszweigen so stark verknuumlpft wie die Baubranche Auch zeigen gesellschaftliche Debatten dass Klimaschutz zusammen mit der Lebens-realitaumlt der Menschen vor Ort in der gebauten Umwelt gedacht werden muss Qualitaumltsvolle Bauten und Le-bensraumlume stiften zudem Identitaumlt Kurz Ohne Ingeni-eurwesen keine Zivilisation Ohne Architektur keine Baukultur Ohne Bauen und Stadtentwicklung keine er-folgreiche Nachhaltigkeitspolitik

bdquoLebe von den Ertraumlgen nicht vor der Substanzldquo ndash Ressourcenknappheit als Treiber von Innovationen

Vor fast 50 Jahren stellte der Club of Rome mit dem Buch bdquoDie Grenzen des Wachstumsldquo die Ressourcen- frage ins Zentrum der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Ernst-Ulrich von Weizsaumlcker ehemaliger Ko-Praumlsident mahnt auch heute dass wir vor allem ein Ressourcen-problem haben

Jeder Bundesbuumlrger bdquotraumlgtldquo rund 360 Tonnen Materiali-en ndash aus bdquoseinenldquo Anteilen an Infrastrukturen aus pri-vaten und oumlffentlichen Raumlumen stammend Die Weltbe-voumllkerung waumlchst jede Sekunde um 26 Menschen Allein China hat zwischen 2011 und 2013 mehr Zement als die USA im gesamten 20 Jahrhundert verbraucht Wenn langfristig alle Menschen aumlhnliche Ressourcen-mengen verbrauchen muumlsste man fast 1000 Tonnen Materialien pro Sekunde verbrauchen Die Folge waumlren Schaumlden fuumlr die Umwelt und damit fuumlr unsere natuumlrli-chen Lebensgrundlagen Wer aber Wachstum und Kon-

sum pauschal verurteilt ignoriert Laumlnder die wachsen wollen und muumlssen Menschen streben uumlberall nach Wohlstand Die Aufgabe lautet daher einerseits Res-sourceneffizienz zu etablieren und andererseits Wachs- tum und Konsum von negativen Umwelteffekten ab- zukoppeln Dazu brauchen wir keine Verbote sondern Innovationen Erfindungsgeist Technik Kooperation und baukulturell ansprechende Loumlsungen

Lebenszyklus im Blick ndash fuumlr eine konsequente Kreislauf(bau)wirtschaft

Die Bauwirtschaft muss in eine Kreislaufwirtschaft uumlberfuumlhrt werden die Ressourcen nicht nur sehr effizi-ent nutzt sondern im Kreislauf haumllt als ein (Bau)Wirt-schaften das bdquoWeniger ist mehrldquo und bdquoimmer wiederldquo als Tugend versteht Dazu gehoumlren Life Cycle Engineer- ing recyclingfaumlhige Materialien modulares wie klima- und ressourcenneutrales Bauen weniger irreversible Verbindungen usw

Fokussieren wir nur die Energieeffizienz im Betrieb ist oft Uumlbertechnisierung die Folge also mehr Material und Technik und somit mehr graue Energie und CO2-Emissionen Damit Ressourcenverbrauch und Umwelt-effekte nicht nur verschoben sondern insgesamt redu-ziert werden ist eine Betrachtung im gesamten Lebenszyklus erforderlich Auch Gebaumlude lassen sich lange (um)nutzen wenn bei der Planung der Lebens- zyklus mitgedacht wird und etwa flexible Grundrisse und nachruumlstbare Technik zum Einsatz kommen

Ressourceneffizienz fruumlher denken

Waumlhrend Energieeffizienz durch sekundaumlre Konstruktio-nen wie Daumlmmung uumlblich ist stehen Maszlignahmen der Ressourceneffizienz der primaumlren Konstruktion ndash wie

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10 Ingenieurbaukunst 2021

Tragwerk ndash nicht im Fokus Tragwerke ermoumlglichen die Architektur indem sie eine raumumschlieszligende Flaumlche statisch gestalten und leisten so einen wichtigen Bei-trag zur aumlsthetischen Erscheinung Doch es geht um mehr Parametrische Planungsmethoden oder von Bio-nik inspirierte Bauweisen konzentrieren die Materialien dort wo sie fuumlr die Lastabtragung noumltig sind und tra-gen so zur Ressourceneffizienz bei ndash nur ein Beispiel wie Nachhaltigkeit und Aumlsthetik zusammengehen koumln-nen Davon brauchen wir mehr Was fehlt Das Nor-mungswesen zur Bemessung von Bauteilen muss der Ressourcenknappheit und damit diesen Methoden Rechnung tragen Klug eingesetzt koumlnnen Reformen solche Innovationen unterstuumltzen

Integrierte Technik als gestalterisches Element

Fuumlr einen bdquoklimaneutralenldquo Gebaumludebestand ist eine Waumlrmewende ebenso wichtig wie Energiegewinnung am Gebaumlude Die Baubranche sollte eigene Konzepte fuumlr baukulturell ansprechende und integrierte Technik zur Energiegewinnung entwickeln bdquoIntegriertldquo bedeutet hier nicht nur bdquoabgestimmt oder Teil eines Gesamtkon-zeptesldquo sondern gestalterisch mitgedacht Idealerweise sollte man den Produkten die Funktion bdquoEnergiegewin-nungldquo erst gar nicht ansehen Dachsteine die Strom gewinnen solarthermisch aktive Dachpaneele fuumlr Warmwasser die dabei auch ihre Funktion bdquoGebaumlude-abschlussldquo erfuumlllen Schlieszliglich sieht man einer Daumlm-

mung auch nicht an wie sie Waumlrmedurchgaumlnge redu-ziert oder Schallenergie absorbiert Wir muumlssen uns von rein additiven hin zu multi-funktionalen und inte- grierten Bauprodukten bewegen und Energietechnik im Bau als gestalterisches Element verstehen

Infrastrukturbauten als identitaumltsstiftende Landmarken

In der Leipzig Charta dem Leitbild der europaumlischen Stadt wird die Verzahnung zwischen Quartier Gesamt-stadt und dem stadtregionalen Raum adressiert und mit Nachhaltigkeitsfragen verknuumlpft Was aber kann der Beitrag von Ingenieurbaukunst hierbei sein Meine Antwort Funktionale Infrastrukturbauten zu guten Visi-tenkarken zu Landmarken zu erheben

2050 werden mehr als 66 der Weltbevoumllkerung in Metropolen leben Der Urbanisierungstrend trifft auch Europa Die Verstaumldterung generiert nicht nur Gewin-ner sondern auch Verlierer Die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum waumlchst mit enormen Folgen fuumlr die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt Ist das umkehrbar Laumlndliche Raumlume wieder attraktiv zu ma-chen ist sicher Aufgabe von Politik und Raumplanung Was waumlre der Beitrag von Ingenieurbaukunst Ich bin der Uumlberzeugung dass jeder Infrastrukturbau ndash egal ob ein Bahnhof oder eine kleine Bushaltestelle ndash der Ausgangspunkt vieler Gedanken uumlber den Ort seine

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1 Materiallager Gebaumlude und Infrastrukturen ndash Verbautes Material pro Einwohner in Deutschland (2010 11 2016)

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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24 Ingenieurbaukunst 2021

mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 9

Das Jahrbuch bdquoIngenieurbaukunst 2021ldquo praumlsentiert ein breites Spektrum an Beispielen wie die Beteilig-ten im Bauingenieurwesen Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammendenken

Rolle der Bauingenieurinnen und -ingenieure fuumlr die Nachhaltigkeit

Mit vergleichsweise wenigen Einwohnern (ca 82 Milli-onen) und kaum Rohstoffen ist Deutschland trotzdem eine der staumlrksten Wirtschaftsnationen der Welt ndash nicht zuletzt dank unserer Ingenieurinnen und Ingenieure Bezahlbare und saubere Energie intakte Infrastruktu-ren Klimaschutz nachhaltige Energiegewinnung und auch klimaangepasste Staumldte sind ohne Bauwesen und Anlagenbau undenkbar Bauen steht fuumlr ca 30 der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs ca 50 des Abfallaufkommens ca 90 der gesamten inlaumlndi-schen Entnahme mineralischer Rohstoffe Im Jahr 2019 generierte die Immobilienwirtschaft eine bdquoBruttowert-schoumlpfungldquo von ca 600 Milliarden Euro (Jahresbericht ZIA 2019) Kaum eine Branche ist mit so vielen Lebens-bereichen und Wirtschaftszweigen so stark verknuumlpft wie die Baubranche Auch zeigen gesellschaftliche Debatten dass Klimaschutz zusammen mit der Lebens-realitaumlt der Menschen vor Ort in der gebauten Umwelt gedacht werden muss Qualitaumltsvolle Bauten und Le-bensraumlume stiften zudem Identitaumlt Kurz Ohne Ingeni-eurwesen keine Zivilisation Ohne Architektur keine Baukultur Ohne Bauen und Stadtentwicklung keine er-folgreiche Nachhaltigkeitspolitik

bdquoLebe von den Ertraumlgen nicht vor der Substanzldquo ndash Ressourcenknappheit als Treiber von Innovationen

Vor fast 50 Jahren stellte der Club of Rome mit dem Buch bdquoDie Grenzen des Wachstumsldquo die Ressourcen- frage ins Zentrum der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Ernst-Ulrich von Weizsaumlcker ehemaliger Ko-Praumlsident mahnt auch heute dass wir vor allem ein Ressourcen-problem haben

Jeder Bundesbuumlrger bdquotraumlgtldquo rund 360 Tonnen Materiali-en ndash aus bdquoseinenldquo Anteilen an Infrastrukturen aus pri-vaten und oumlffentlichen Raumlumen stammend Die Weltbe-voumllkerung waumlchst jede Sekunde um 26 Menschen Allein China hat zwischen 2011 und 2013 mehr Zement als die USA im gesamten 20 Jahrhundert verbraucht Wenn langfristig alle Menschen aumlhnliche Ressourcen-mengen verbrauchen muumlsste man fast 1000 Tonnen Materialien pro Sekunde verbrauchen Die Folge waumlren Schaumlden fuumlr die Umwelt und damit fuumlr unsere natuumlrli-chen Lebensgrundlagen Wer aber Wachstum und Kon-

sum pauschal verurteilt ignoriert Laumlnder die wachsen wollen und muumlssen Menschen streben uumlberall nach Wohlstand Die Aufgabe lautet daher einerseits Res-sourceneffizienz zu etablieren und andererseits Wachs- tum und Konsum von negativen Umwelteffekten ab- zukoppeln Dazu brauchen wir keine Verbote sondern Innovationen Erfindungsgeist Technik Kooperation und baukulturell ansprechende Loumlsungen

Lebenszyklus im Blick ndash fuumlr eine konsequente Kreislauf(bau)wirtschaft

Die Bauwirtschaft muss in eine Kreislaufwirtschaft uumlberfuumlhrt werden die Ressourcen nicht nur sehr effizi-ent nutzt sondern im Kreislauf haumllt als ein (Bau)Wirt-schaften das bdquoWeniger ist mehrldquo und bdquoimmer wiederldquo als Tugend versteht Dazu gehoumlren Life Cycle Engineer- ing recyclingfaumlhige Materialien modulares wie klima- und ressourcenneutrales Bauen weniger irreversible Verbindungen usw

Fokussieren wir nur die Energieeffizienz im Betrieb ist oft Uumlbertechnisierung die Folge also mehr Material und Technik und somit mehr graue Energie und CO2-Emissionen Damit Ressourcenverbrauch und Umwelt-effekte nicht nur verschoben sondern insgesamt redu-ziert werden ist eine Betrachtung im gesamten Lebenszyklus erforderlich Auch Gebaumlude lassen sich lange (um)nutzen wenn bei der Planung der Lebens- zyklus mitgedacht wird und etwa flexible Grundrisse und nachruumlstbare Technik zum Einsatz kommen

Ressourceneffizienz fruumlher denken

Waumlhrend Energieeffizienz durch sekundaumlre Konstruktio-nen wie Daumlmmung uumlblich ist stehen Maszlignahmen der Ressourceneffizienz der primaumlren Konstruktion ndash wie

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10 Ingenieurbaukunst 2021

Tragwerk ndash nicht im Fokus Tragwerke ermoumlglichen die Architektur indem sie eine raumumschlieszligende Flaumlche statisch gestalten und leisten so einen wichtigen Bei-trag zur aumlsthetischen Erscheinung Doch es geht um mehr Parametrische Planungsmethoden oder von Bio-nik inspirierte Bauweisen konzentrieren die Materialien dort wo sie fuumlr die Lastabtragung noumltig sind und tra-gen so zur Ressourceneffizienz bei ndash nur ein Beispiel wie Nachhaltigkeit und Aumlsthetik zusammengehen koumln-nen Davon brauchen wir mehr Was fehlt Das Nor-mungswesen zur Bemessung von Bauteilen muss der Ressourcenknappheit und damit diesen Methoden Rechnung tragen Klug eingesetzt koumlnnen Reformen solche Innovationen unterstuumltzen

Integrierte Technik als gestalterisches Element

Fuumlr einen bdquoklimaneutralenldquo Gebaumludebestand ist eine Waumlrmewende ebenso wichtig wie Energiegewinnung am Gebaumlude Die Baubranche sollte eigene Konzepte fuumlr baukulturell ansprechende und integrierte Technik zur Energiegewinnung entwickeln bdquoIntegriertldquo bedeutet hier nicht nur bdquoabgestimmt oder Teil eines Gesamtkon-zeptesldquo sondern gestalterisch mitgedacht Idealerweise sollte man den Produkten die Funktion bdquoEnergiegewin-nungldquo erst gar nicht ansehen Dachsteine die Strom gewinnen solarthermisch aktive Dachpaneele fuumlr Warmwasser die dabei auch ihre Funktion bdquoGebaumlude-abschlussldquo erfuumlllen Schlieszliglich sieht man einer Daumlm-

mung auch nicht an wie sie Waumlrmedurchgaumlnge redu-ziert oder Schallenergie absorbiert Wir muumlssen uns von rein additiven hin zu multi-funktionalen und inte- grierten Bauprodukten bewegen und Energietechnik im Bau als gestalterisches Element verstehen

Infrastrukturbauten als identitaumltsstiftende Landmarken

In der Leipzig Charta dem Leitbild der europaumlischen Stadt wird die Verzahnung zwischen Quartier Gesamt-stadt und dem stadtregionalen Raum adressiert und mit Nachhaltigkeitsfragen verknuumlpft Was aber kann der Beitrag von Ingenieurbaukunst hierbei sein Meine Antwort Funktionale Infrastrukturbauten zu guten Visi-tenkarken zu Landmarken zu erheben

2050 werden mehr als 66 der Weltbevoumllkerung in Metropolen leben Der Urbanisierungstrend trifft auch Europa Die Verstaumldterung generiert nicht nur Gewin-ner sondern auch Verlierer Die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum waumlchst mit enormen Folgen fuumlr die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt Ist das umkehrbar Laumlndliche Raumlume wieder attraktiv zu ma-chen ist sicher Aufgabe von Politik und Raumplanung Was waumlre der Beitrag von Ingenieurbaukunst Ich bin der Uumlberzeugung dass jeder Infrastrukturbau ndash egal ob ein Bahnhof oder eine kleine Bushaltestelle ndash der Ausgangspunkt vieler Gedanken uumlber den Ort seine

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1 Materiallager Gebaumlude und Infrastrukturen ndash Verbautes Material pro Einwohner in Deutschland (2010 11 2016)

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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24 Ingenieurbaukunst 2021

mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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10 Ingenieurbaukunst 2021

Tragwerk ndash nicht im Fokus Tragwerke ermoumlglichen die Architektur indem sie eine raumumschlieszligende Flaumlche statisch gestalten und leisten so einen wichtigen Bei-trag zur aumlsthetischen Erscheinung Doch es geht um mehr Parametrische Planungsmethoden oder von Bio-nik inspirierte Bauweisen konzentrieren die Materialien dort wo sie fuumlr die Lastabtragung noumltig sind und tra-gen so zur Ressourceneffizienz bei ndash nur ein Beispiel wie Nachhaltigkeit und Aumlsthetik zusammengehen koumln-nen Davon brauchen wir mehr Was fehlt Das Nor-mungswesen zur Bemessung von Bauteilen muss der Ressourcenknappheit und damit diesen Methoden Rechnung tragen Klug eingesetzt koumlnnen Reformen solche Innovationen unterstuumltzen

Integrierte Technik als gestalterisches Element

Fuumlr einen bdquoklimaneutralenldquo Gebaumludebestand ist eine Waumlrmewende ebenso wichtig wie Energiegewinnung am Gebaumlude Die Baubranche sollte eigene Konzepte fuumlr baukulturell ansprechende und integrierte Technik zur Energiegewinnung entwickeln bdquoIntegriertldquo bedeutet hier nicht nur bdquoabgestimmt oder Teil eines Gesamtkon-zeptesldquo sondern gestalterisch mitgedacht Idealerweise sollte man den Produkten die Funktion bdquoEnergiegewin-nungldquo erst gar nicht ansehen Dachsteine die Strom gewinnen solarthermisch aktive Dachpaneele fuumlr Warmwasser die dabei auch ihre Funktion bdquoGebaumlude-abschlussldquo erfuumlllen Schlieszliglich sieht man einer Daumlm-

mung auch nicht an wie sie Waumlrmedurchgaumlnge redu-ziert oder Schallenergie absorbiert Wir muumlssen uns von rein additiven hin zu multi-funktionalen und inte- grierten Bauprodukten bewegen und Energietechnik im Bau als gestalterisches Element verstehen

Infrastrukturbauten als identitaumltsstiftende Landmarken

In der Leipzig Charta dem Leitbild der europaumlischen Stadt wird die Verzahnung zwischen Quartier Gesamt-stadt und dem stadtregionalen Raum adressiert und mit Nachhaltigkeitsfragen verknuumlpft Was aber kann der Beitrag von Ingenieurbaukunst hierbei sein Meine Antwort Funktionale Infrastrukturbauten zu guten Visi-tenkarken zu Landmarken zu erheben

2050 werden mehr als 66 der Weltbevoumllkerung in Metropolen leben Der Urbanisierungstrend trifft auch Europa Die Verstaumldterung generiert nicht nur Gewin-ner sondern auch Verlierer Die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum waumlchst mit enormen Folgen fuumlr die Umwelt und den sozialen Zusammenhalt Ist das umkehrbar Laumlndliche Raumlume wieder attraktiv zu ma-chen ist sicher Aufgabe von Politik und Raumplanung Was waumlre der Beitrag von Ingenieurbaukunst Ich bin der Uumlberzeugung dass jeder Infrastrukturbau ndash egal ob ein Bahnhof oder eine kleine Bushaltestelle ndash der Ausgangspunkt vieler Gedanken uumlber den Ort seine

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1 Materiallager Gebaumlude und Infrastrukturen ndash Verbautes Material pro Einwohner in Deutschland (2010 11 2016)

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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Ingenieurbaukunst fuumlr eine nachhaltige Entwicklung Bauwerke die den Wandel praumlgen 11

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Menschen die Perspektiven usw sein kann Es sind Visitenkarten die die Wahrnehmung eines Ortes maszlig-geblich bestimmen seine Attraktivitaumlt erhoumlhen und positive Entwicklungen mit anschieben koumlnnen Infra-struktur- und Verkehrsbauten die nicht nur funktional sondern architektonisch und baukulturell einladend sind sind ein Gewinn fuumlr die Baukultur und ein Mittel gegen die Kluft zwischen Stadt und laumlndlichem Raum

Wie kreativ bleiben wir

bdquoKunst hat keine Regelnldquo (Immanuel Kant) Baukunst eine Menge davon Bauwerke erfuumlllen verschiedene Funktionen und Anforderungen Und inmitten unzaumlhli-ger Normen Richtlinien und gesetzlicher Bestimmun-gen gelingt immer wieder etwas ganz Besonderes Ingenieurbaukunst Die eigene ingenieurtechnische komplexe Leistung in kunstvoller Weise sichtbar und lesbar zu machen sie zum entscheidenden Faktor fuumlr bdquodas Kunstvolle am Bauldquo zu erheben Technik und Aumls-thetik als Einheit zu gestalten Filigranitaumlt Leichtigkeit sichtbare Kraftfluumlsse und vieles mehr gehoumlren dazu

Manches erkennt man auf den ersten manches erst auf den zweiten Blick Einige arbeiten ndash woumlrtlich genom-men ndash im Untergrund Leistungen etwa der Geotechnik sind schwieriger darzustellen Ihr Beitrag ist deshalb nicht geringer nur verborgener

Ingenieurbaukunst 2021 praumlsentiert ein breites Spek- trum an Beispielen wie Bauingenieurinnen und -inge-nieure Nachhaltigkeit Technik und Kunst zusammen-denken Das Buch wuumlrdigt auch Persoumlnlichkeiten der Baubranche Ihr Beitrag Offenheit gegenuumlber Archi- tektur gepaart mit Mut bei der Suche nach technischen Loumlsungen Ohne sie waumlre die Baukultur aumlrmer und vie-le Diskurse nicht moumlglich Die Kreativitaumlt vieler Ingeni-eurbuumlros ist aber kein Zufall Die deutsche Planungs-landschaft ist klein- bis mittelstaumlndisch gepraumlgt Buumlros sind oft eigentuumlmergefuumlhrt Diese Strukturen unter- stuumltzen Kreativitaumlt Moumlge diese Staumlrke erhalten ndash und auch die Jahrbuumlcher fuumlr Ingenieurbaukunst gut gefuumlllt ndash bleiben

Lamia Messari-Becker

2 Kreislaufwirtschaft Bauen

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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24 Ingenieurbaukunst 2021

mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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22 Ingenieurbaukunst 2021

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 23

EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

3

2

2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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EIN HOLZDACHALS bdquoRECIPROCAL FRAMEldquo ndashDIE ERWEITERUNG DESFRANS MASEREEL CENTRUMSIN KASTERLEE

Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums im belgischen Kasterlee bot die Gelegenheit mit den Moumlglichkeiten und Grenzen neuer digitaler Techno-logien bei der Entwicklung einer jahrhundertealten Strukturtypologie zu experimentieren Seine Dach-konstruktion basiert auf dem sogenannten bdquorecipro-cal frameldquo Dabei erstrecken sich Elemente von be-grenzter Laumlnge uumlber groszlige Entfernungen und durch ihre Verbindung entsteht eine flaumlchig wirkende Trag-struktur

Das von dem belgischen Architekten Lou Jansen ge-plante Atelier fuumlr Tief- Relief- und Siebdruck sowie Lithografie entstand Anfang der 1970er Jahre im flaumlmi-schen Kasterlee Umgeben von offenen Feldern und Kieferwaumlldern gruppieren sich dreizehn kleine Wohn-haumluser in A-Rahmen-Bauweise um ein Haupthaus ei-nen Rundbau mit Kuppeldach Zwei weitere eifoumlrmige Nebengebaumlude ergaumlnzen das Ensemble

Die offenstehende Druckwerkstatt bietet seit ihrer Gruumln-dung nationalen und internationalen Kuumlnstlern For-schern und Grafikern in einem mehrwoumlchigen Rhyth-mus einen Ort an dem sie miteinander leben und arbeiten koumlnnen Seit 1972 ist das Zentrum dem im gleichen Jahr verstorbenen Kuumlnstler Frans Masereel gewidmet Der belgische Grafiker Zeichner und Maler war insbesondere fuumlr seine Holzschnitte weit uumlber die Grenzen Belgiens hinaus bekannt Der bekennende

Humanist zeichnete sich durch seine offene Denk- und Arbeitsweise in besonderem Maszlige aus und qualifizier-te sich damit nach seinem Tod als angemessener Pate fuumlr das Arbeitszentrum fuumlr Kuumlnstlerinnen und Kuumlnstler Eine Dauerausstellung seiner Werke unterstreicht seine Bedeutung fuumlr diesen Ort

Entwurf und Gestaltung

2014 wurde zur Erweiterung dieses Zentrums ein Wett-bewerb fuumlr den Entwurf eines gemeinschaftlichen Aus-stellungs- und Ateliergebaumludes ausgelobt den das Pa-riser Architekturbuumlro LIST in Zusammenarbeit mit dem japanischen Architekten Hideyuki Nakayama gewann Das neue Gebaumlude bietet zusaumltzlichen Raum fuumlr die Sammlung von Frans Masereel auszligerdem ein digitales Studio und einen Projektraum Ido Avissar (LIST) und Hideyuki Nakayama entwarfen eine raumlumlich angemes-sene Erweiterung die die Gestaltungselemente und Volumina der Bestandsgebaumlude aufnimmt und gleich-zeitig den mit dem Centrum verbundenen Gedanken der Interaktion von Kunst Architektur und Oumlffentlichkeit weitertraumlgt Ohne klare Grenzen zwischen Ausstellungs- und Arbeitsflaumlchen koumlnnen die Besucherinnen und Be-sucher die Kunstschaffenden direkt bei der Arbeit beob-achten

Geometrisch hat sich das neue Gebaumlude aus einem Kreis heraus entwickelt aus dem ein gerader Zylinder

Seite 22Blick in den Innenraum

1 Skizzenhafte Darstellung der geometrischen Entwick- lung (links) perspektivischer Schnitt durch das bestehende Haupthaus und die Erweite- rung (rechts)

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mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

1

Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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24 Ingenieurbaukunst 2021

mit einem schiefen kegelfoumlrmigen Dach entstanden ist Aus dieser Zylinder- bzw Kegelanordnung wurden wie bei einer Torte Stuumlcke herausgeschnitten deren Aus-schnitte Gaumlrten schaffen die sich nahtlos in die umge-bende Landschaft einfuumlgen Gleichzeitig wirken die scharf eingeschnittenen Innenraumlume mit unterschiedli-chen Groumlszligen und Qualitaumlten wie zufaumlllig in einer nicht-hierarchischen Beziehung angeordnet Die Anschnitte folgen tatsaumlchlich keinem strengen Protokoll entstan-den sind vielmehr verschiedene Volumina mit unter-schiedlich langen gekruumlmmten Waumlnden deren Achsen versetzt zueinander liegen So findet im Zentrum des Pavillons Begegnung an der Peripherie das individuel-le Erleben statt Jeder sieht das Zentrum aber kaum daruumlber hinaus Den Nutzern bzw Besuchern bietet sich so eine Vielzahl an Moumlglichkeiten sich das einzig-artige Raumerlebnis auf eigene Faust zu erschlieszligen

Konzeption der Dachstruktur

Die Idee einer kuppelfoumlrmigen Dachkonstruktion be-gann bereits waumlhrend der Wettbewerbsphase konkrete Formen anzunehmen Das Dach sollte eine einheitliche gleichmaumlszligige Oberflaumlche oder Gitter abbilden und nicht durch Stuumltzen bzw die Anordnung der Waumlnde darunter gestoumlrt werden Angesichts der freien nicht-hierarchi-schen Geometrie des Baukoumlrpers lag es nahe auch die Konstruktion ohne klare Hierarchisierung und Ausrich-tung zu entwickeln Die Idee einer Betonkuppel wurde

aus Kostengruumlnden fruumlhzeitig aufgegeben Eine klassi-sche Sparren-Pfetten-Holzkonstruktion haumltte in Hinblick auf die unterschiedlichen Baukoumlrper eine jeweils eigene Dachgeometrie erfordert was wiederum der ur-spruumlnglichen Entwurfsidee der Kreisform zuwiderge-laufen waumlre Eine weitere Herausforderung der Ar- chitekten war auszligerdem die Dachstruktur von unten sichtbar werden zu lassen

Schlussendlich fiel die Wahl auf ein Stabnetztragwerk das auf der jahrhundertealten Typologie des bdquoreciprocal frameldquo basiert Ein reziprokes System verwendet rela-tiv kurze Einzelelemente um mit der Gesamtstruktur eine Spannweite zu uumlberbruumlcken die einem Vielfachen der Laumlnge der Einzelelemente entspricht Hierbei stuumlt-zen die Traumlger sich gegenseitig untereinander ab So entsteht eine nicht-hierarchische flaumlchige Tragstruktur Der Einsatz dieser Typologie mit relativ kurzen Massiv-holzbalken mit kleinen Querschnitten stellte sich auszliger-dem als eine materialsparende Option heraus die die Verwendung von verleimten Holzbindern uumlberfluumlssig macht Zusaumltzlich konnte durch die lokale Verarbeitung des heimischen Holzes der oumlkologische Fuszligabdruck ge-ring gehalten werden

Im Falle des Frans Masereel Centrums besteht die Geo-metrie des Dachtragwerks aus einem Modul von je-weils vier Traumlgern die in radialen und ortho-radialen Linien auf dem Kegel organisiert sind Angesichts der

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2 Entwicklung des reziproken Prinzips der Dachstruktur3 Diagramm des geneti- schen Algorithmus auf zwei Ebenen angewandt (Prinzip- darstellung)

Seite 25 4 Variantenstudie zur Kegel- houmlhe und moumlgliche Position der Kegelspitze

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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Ein Holzdach als bdquoreciprocal frameldquo ndash Die Erweiterung des Frans Masereel Centrums in Kasterlee 25

Eine alte Konstruktionsweise mit heutigen Mitteln neu zu interpre-tieren ist eine spannende Sache Klaas De Rycke gibt Einblicke wie das bei einer unregelmaumlszligigen Dachschale mit einer Konstrukti-on wechselseitiger Rahmen aus einfachen Holzbalken mithilfe pa-rametrischer Planung gelungen ist

Der Reciprocal Frame oder wechselseitige Rahmen ist ein simples Strukturprinzip Wie funktioniert dasDas ist ein raumlumliches System aus mindestens drei Balken die sich ohne zusaumltzliches Auflager wechselseitig stuumltzen Oder wie ein Tipi bei dem sich die Staumlbe in der Mitte gegenseitig halten Nur liegen bei uns die Balken in einer Ebene und es sind viel mehr Staumlbe Wo ist der Vorteil des Reciprocal Frame bei der Ressourcen- effizienz gegenuumlber HolzleimbindernWichtig war mir dass keine verleimten Holzbinder verwendet werden sondern nur Massivholz Die aufzuwendende Quantitaumlt ist aumlhnlich aber die kleinen Balken sind prinzipiell viel einfacher zu fertigen und zu montieren Das hat etwas von einfachem Bauen Die Strukturentwicklung wird von statischen Randbedingungen und Algorithmen gepraumlgt Wo koumlnnen die Ingenieure ein- greifen Wo ist die Handschrift des Architekten ablesbarDie grundsaumltzliche Dachform kommt von den Architekten Die Rand-bedingungen haben wir dann gemeinsam festgelegt Bei der eigentlichen Struktur haben wir uns stark eingebracht Unsere Ideen waren Holz als leichtes Material einfach zu handhabende Elemente sowie das Prinzip des Reciprocal Frame als kontinuier-liches Raster ohne Hierarchien Wir haben etliche strukturelle Parameter mit einer Sensibilitaumltsanalyse untersucht moumlgliche

Klaas De Rycke ist Geschaumlftsfuumlhrer von Bollinger+Grohmann in Paris und Bruumlssel sowie Professor an der Eacutecole Nationale Supeacuterieure drsquoArchitecture de Versailles und Senior Lecturer an der UCL London

Alte Konstruktionsweise zeitgenoumlssisch

Loumlsungen herausgearbeitet und diese mit den Architekten abge-stimmt Der parametrische Ansatz mit genetischen Algorithmen entspricht diesem Vorgehen mit Testen und Finden von teilweise unerwarteten Loumlsungen Wie erfolgt in einem solchen Fall der Dialog mit der Bau- ausfuumlhrungEs beginnt mit der Suche nach einer Baufirma die Ungewoumlhnli-ches mitmacht Es gibt in Belgien nicht viele Firmen die komple-xen Holzbau koumlnnen oder sich so weit engagieren wollen Am Ende hatten wir Gluumlck und wir haben einen Partner gefunden mit dem wir schon in fruumlheren Projekten vertrauensvoll zusammen-gearbeitet haben Nur so funktioniert der Dialog im Rahmen der gewuumlnschten Aumlsthetik und technischen Finesse Ein bisschen ist das ein Widerspruch Das Strukturprinzip mit den kurzen Balken ist simpel die Anforderung an die Praumlzision der geometrisch variablen doppelten Schnittfuumlhrung hingegen nicht

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Position im Mittelpunkt Position Architekt Position exzentrisch

Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1793 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1796 m Laumlnge der Holzstaumlbe gesamt 1808 mMaximales Moment 5707 kNm Maximales Moment 6178 kNm Maximales Moment 6105 kNmMaximale Verformung 121 m Maximale Verformung 145 m Maximale Verformung 175 m

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

1

Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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64 Ingenieurbaukunst 2021

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 65

VERSTAumlRKUNG MIT LEICHTIGKEIT ndashDIE ERTUumlCHTIGUNGDER RHEINBRUumlCKE MAXAU

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

1

Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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66 Ingenieurbaukunst 2021

Die Rheinbruumlcke Maxau ist die einzige Rheinquerung in einem Radius von 25 Kilometern um Karlsruhe und deshalb von elementarer Bedeutung fuumlr den Karlsruher Raum und die Suumldpfalz Wie alle Stahl-bruumlcken mit orthotroper Fahrbahn ist sie stark er-muumldungsgefaumlhrdet Mit einer erstmalig in Deutsch-land angewandten Ertuumlchtigungsmethode konnte die Bruumlcke fuumlr die kommenden Belastungen effizient verstaumlrkt werden

Das Bauwerk

Die Rheinbruumlcke Maxau bei Karlsruhe wurde 1963 ndash 1966 erbaut Als eine der ersten groszligen Schraumlgseilbruumlcken aus Stahl in Deutschland fanden die schlanke Konstruk- tion und die besondere Bauweise groszlige Beachtung

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Das Bauwerk uumlberfuumlhrt die Bundesstraszlige B10 mit einer Bruumlckenlaumlnge von 292 Metern uumlber den Rhein Es uumlber-spannt dabei zwei Felder mit Stuumltzweiten von 1752 und 1168 Meter Sechs Tragkabel unterteilen die gro-szligen Felder in Stuumltzweiten von 37 bis 58 Meter Der Querschnitt der Bruumlcke ist ein Hohlkasten mit einer Houmlhe von circa 30 Metern und einer Breite von 12 Me-tern Zu beiden Seiten schlieszligen weit ausladende Krag-arme von jeweils 1165 Meter an Die Kragarme werden durch Randlaumlngstraumlger und Streben zum Kasten hin ge-stuumltzt

Die staumlhlerne Fahrbahn besteht aus dem Deckblech mit einer Dicke von 12 Millimetern aus darunter ange-brachten Flachstahlsteifen in Laumlngsrichtung und quer dazu den Quertraumlgern mit einem Abstand untereinan-

Laumlngsschnitt

Querschnitt mit Bestand (im Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

Seiten 64 65Freigemachtes Deckblech in Vorbereitung fuumlr das Aufbringen des hochfesten Betons

1 Ansicht der Bruumlcke 2 Querschnitt der Bruumlcke ndash oben vor Umbau im Bereich der Druckstreben unten nach Umbau im Bereich der normalen Quertraumlger

Querschnitt Neu (auszligerhalb Bereich Druckstreben)Guumlltig fuumlr die gesamte Bruumlcke

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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_158-163_Blandini_korr3_BP-KORRindd 160 051120 1536

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Verstaumlrkung mit Leichtigkeit ndash Die Ertuumlchtigung der Rheinbruumlcke Maxau 67

der von circa 2 Metern Der Fachbegriff dafuumlr ist bdquoortho-trope Fahrbahnldquo da eine ungleiche Steifigkeitsver- teilung in Laumlngs- und Querrichtung vorliegt Auf der Fahrbahn war ein herkoumlmmlicher Gussasphaltbelag mit Abdichtung aufgebracht

An den Widerlagern Baden und Pfalz ist die Bruumlcke mit staumlhlernen Druck-Zug-Pendellagern verankert Der Py-lon ist am Flusspfeiler auf einem Topflager gelagert Dieses weist einen Durchmesser von 18 Metern auf und ist mit einer maximalen Auflagerkraft von 68 Me-ganewton beansprucht Die Stahlbeton-Widerlager sind auf je circa 90 Stahlbetonpfaumlhlen gegruumlndet Der Fluss-pfeiler ist auf einem Senkkasten circa 10 Meter unter der Flussbettsohle gegruumlndet Die gesamte Stahlkon- struktion hat ein Gewicht von 4050 Tonnen

Das Bauwerk wurde mit zwei Fahrstreifen pro Richtung fuumlr die Bruumlckenklasse 60 ausgelegt Wegen des veraumln-derten Verkehrsaufkommens wurde je Seite ein Fahr-streifen hinzugefuumlgt auszligerdem konnte die Konstrukti-on durch Nachrechnung auf die Bruumlckenklasse 6030 angehoben werden

Alle Montagequerstoumlszlige und die Laumlngsstoumlszlige des Bo-denblechs wurden mit insgesamt 62000 Nieten genie-tet die Laumlngsnaumlhte der Deckbleche wurden als Baustel-lennaht geschweiszligt alle anderen Stoszligverbindungen wurden mit hochfesten Schrauben (HV) ausgefuumlhrt

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4

5

3 Ansicht der Bruumlcke vom Widerlager Pfalz Seite Woumlrth4 Quertraumlger Fahrbahnsteifen und Ort der Risse

5 Luftbild Bruumlcke mit Schutz- zelt und (4+0)-Verkehr

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158 Ingenieurbaukunst 2021

KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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KLIMASCHUTZ UNDRESSOURCENEFFIZIENZ IN ZEITENDER DIGITALISIERUNG

Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis

Kelchstuumltze bei Stuttgart 21 betoniert

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Klimaschutz und Ressourceneffizienz in Zeiten der Digitalisierung ndash Ein Gespraumlch zu den Aufgaben in Lehre Forschung und Praxis 159

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

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Drei Ingenieure und kuumlrzlich berufene Hochschul- lehrer ndash Lucio Blandini der das Institut fuumlr Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) an der Universi-taumlt Stuttgart leitet Christian Hartz Professor fuumlr Tragkonstruktionen an der Fakultaumlt fuumlr Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund sowie Julian Lienhard Professor fuumlr Tragwerksentwurf an der Universitaumlt Kassel ndash bilden die kommenden Ge-nerationen von IngenieurInnen und ArchitektInnen aus Mit ihnen hat Bernhard Hauke gesprochen was heute und morgen wichtig und vielleicht auch an-ders ist in Lehre Forschung und Praxis

Die Zukunftsverantwortung von IngenieurInnen und ArchitektInnen

Ressourceneffizienz ist eines der momentan praumlgen-den Diskussionsthemen beim Planen und Bauen Es geht ja nicht nur darum viel Bauwerk mit wenig Mate-rial zu bauen Wie kann das den Studierenden richtig vermittelt werden als eigenstaumlndiges Thema oder inte-griert in die jeweiligen konstruktiven und planerischen DisziplinenLucio Blandini (LB) Ressourceneffizienz ist eine abso- lute Notwendigkeit Ohne sie wird im Bauwesen in den kommenden Jahren kaum noch etwas moumlglich sein Aber wie integriert man ein solches zentrales Anliegen am besten in die Lehre Es geht ja nicht nur darum die bestehenden Faumlcher neu auszurichten Wir muumlssen auch neue Module etablieren ohne den Lehrplan zu uumlberfrachten Am ILEK wird seit Neuestem das inter- disziplinaumlre Modul Entwurfskonzepte fuumlr Nachhaltiges Bauen angeboten Neben den erforderlichen Informati-onen muumlssen wir aber auch die richtigen Werkzeuge vermitteln um neue Ansaumltze wie das Bauen mit Re- zyklaten effektiv umzusetzen Christian Hartz (CH) Dies als eigenstaumlndiges Thema zu unterrichten reicht nicht Das Thema der Ressourcenef-fizienz muss tief integriert in die gesamte Lehre mit auf-genommen werden Im Bauingenieurwesen hat sich Effizienz zumeist uumlber die reine Optimierung des Trag-werkes definiert ohne dabei eine Diskussion der ver-wendeten Materialien anzustoszligen die Dauerhaftigkeit der Konstruktion mit einzubinden oder beispielsweise

das Thema der Redundanz zu betrachten Um den Blick hier zu schaumlrfen wurde an der TU Dortmund eine Junior-Professur Ressourceneffizientes Bauen geschaf-fen Der neue Lehrstuhl ist stark in der Lehre einge- bunden und essenziell fuumlr die Ausrichtung der weiteren Forschungsthemen an der TU DortmundJulian Lienhard (JL) Das nachhaltige Bauen ist sowohl in darauf spezialisierten Fachgebieten als auch in der allgemeinen Entwurfs- und Konstruktionslehre zu ver-ankern Konkret in Kassel bedeutet das dass wir im Master eine eigene Vertiefungsrichtung Umweltbewuss- tes Planen und Bauen anbieten und ein neues Fach- gebiet fuumlr nachhaltiges Bauen geschaffen wurde um das Thema in Lehre und Forschung zu fokussieren In der Tragwerkslehre lassen sich Nachhaltigkeitskriterien sehr gut veranschaulichen wenn beispielsweise ge-zeigt wird wie die Veraumlnderung des statischen Systems

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1 2 Exkursion des ILEK zum Kompetenzzentrum Kreislaufwirtschaft der Firma Feess in Kirchheim Teck

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oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

3 Tragkonstruktionen I ndash Konstruktion von Tragwerken ndashWindtest der Studierenden- arbeiten

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160 Ingenieurbaukunst 2021

oder der Querschnittsform einen direkten Einfluss auf den Materialverbrauch hat Wird die moumlgliche Material- ersparnis durch eine direkte Hinzunahme von Daten-banken wie der Oumlkobaudat uumlber ihre Nachhaltigkeits-parameter visualisiert so lassen sich heute sehr einfach ganzheitliche Betrachtungen als neue Selbst-verstaumlndlichkeit in die Lehrbeispiele integrieren

Und wie ist das mit den Praktikern wie kann moder-nes Ressourcendenken dort vermittelt werdenJL Im Buumlro handhaben wir es aumlhnlich wie in der Lehre Wir probieren die Bewertung der Nachhaltigkeitskrite-rien immer mehr als Selbstverstaumlndlichkeit in die fruuml-hen Entwurfsphasen zu integrieren Das was sich durch einen im Sinne des Materialaufwandes sinnvol-len Tragwerksentwurf in fruumlhen Leistungsphasen an CO2-Aumlquivalenten einsparen laumlsst kann in spaumlteren Optimierungen kaum noch erreicht werden Interessan-terweise hilft die Nachhaltigkeitsbetrachtung den Trag-werksplanerinnen und -planern sehr dabei ihren Vor- schlaumlgen Gehoumlr zu verschaffen LB Bei Werner Sobek zielen wir auf eine moumlglichst wirksame Reduzierung der CO2-Emissionen durch einen entsprechenden Tragwerksentwurf Daruumlber hinaus ana- lysieren wir standardmaumlszligig Material- und Fertigungs-ansaumltze aus Sicht der Ressourceneffizienz Im besten Fall gelingt es uns in Abstimmung mit dem Bauherrn bestimmte Fertigungsdetails vorzuschreiben wie bei-spielsweise eine Zementherstellung auf Basis von nicht-fossilen Energietraumlgern

Wo liegen die weiteren Forschungsschwerpunkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgenLB Wir muumlssen erst verstehen was genau geaumlndert werden muss ndash und wie dies am effektivsten erfolgen kann Die Baubranche steht vor sehr groszligen Herausfor-derungen Wir brauchen mehr Innovationskraft und we-niger Fragmentierung Branchen wie der Maschinen- und der Flugzeugbau haben bereits mithilfe von digitalen Werkzeugen und Methoden in Planung Um-setzung und Ruumlckbau sehr effektive Prozesse etabliert Hiervon koumlnnen wir viel lernen Die Forschungsschwer-punkte fuumlr das nachhaltige Bauen von morgen liegen deshalb zum einen bei den Prozessen und Methoden zum anderen bei den Moumlglichkeiten der modernen Fer-tigungs- Steuerungs- und ModellierungstechnologieJL Das ist im Grunde richtig doch allein mit den klassi-schen Forschungsansaumltzen des Optimierens von hoch-spezifischen Fragestellungen und dem Versuch uumlber die Digitalisierung Produktivitaumlt zu steigern und eventu-ell auch Ressourcenverbrauch zu senken werden wir das notwendige Bauvolumen fuumlr eine Erdbevoumllkerung jenseits der 8 Milliarden bei gleichzeitiger Einhaltung

der Klimaziele nicht schaffen koumlnnen Auf der notwen-digen Suche nach neuen Bauweisen und Werkstoffen kann ein unvoreingenommener experimenteller An-satz wie wir ihn heute an vielen Architekturschulen in der forschenden Lehre sehen ein wichtiger Einstieg sein um tatsaumlchliche Quantenspruumlnge aufzudecken auf die unsere Branche zu warten scheint

Welche neuen Impulse fuumlr eine kreative Weiterentwick-lung der Strukturprinzipien sehen SieCH Das fuumlr mich wichtige Wort in der Frage ist das der Kreativitaumlt Wie bereiten wir die Studierenden auf einen kreativen Arbeitsprozess vor ndash schoumlpferisch kuumlnstlerisch expressiv innovativ zu arbeiten Meiner Meinung nach muumlssen wir dazu die absoluten Grund- lagen vermitteln also Prinzipien und nicht die von den Normen vorgegebenen Kochrezepte um eine wissens-basierte Kreativitaumlt zu ermoumlglichenLB Die Kreativitaumlt der Planenden ndash insbesondere im Fall von IngenieurInnen ndash soll durch das Arbeiten an disziplinuumlbergreifenden und materialunabhaumlngigen Entwuumlrfen gefoumlrdert werdenJL Hier vielleicht noch ein konkretes Beispiel In der Tragwerkslehre des Grundstudiums habe ich bereits sehr fruumlh neben den analogen Berechnungsansaumltzen und den experimentellen Modellen auch rechnerge-stuumltzte Methoden eingefuumlhrt Letztere helfen den Stu-dierenden eigene Tragwerksentwuumlrfe zu verifizieren und direkt den Einfluss auf den Lastabtrag zu erkennen Dies fuumlhrt zu einem sehr kreativen und gleichzeitig fundierten Umgang mit den klassischen Tragwerks- typologien

Was sind die Schluumlsselkompetenzen die Bauingenieu-rInnen und ArchitektInnen heute und morgen haben muumlssen um fit fuumlr den Arbeitsmarkt zu seinJL Die neue Komplexitaumlt im Planen steht in direktem Zusammenhang mit der Digitalisierung und neuen hyb-riden Tragwerksformen Das fordert spezialisiertes Koumln-nen Gleichzeitig erfordert die Arbeit an gemeinsamen Informationsmodellen aber auch immer mehr interdis-ziplinaumlre Kommunikationsfaumlhigkeit BauingenieurInnen mit Schluumlsselkompetenzen sind heutzutage wohl so etwas wie kommunikationsfaumlhige SpezialistInnenLB Wir brauchen mehr integrales Denken und mehr Teamfaumlhigkeit Nur mit diesen Kernkompetenzen koumln-nen Planungsteams in Zukunft gemeinsam die immer groumlszliger werdende Komplexitaumlt des Planens und Bauens beherrschen Konsequente Digitalisierung ist ein Zei-chen der Zeit

Das bringt uns zum Thema Digitalisierung Wie schaf-fen wir es in der Baubranche eine durchgaumlngige digi-

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