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BERLIN-BRANDENBURGISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN Abschlußbericht über die Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft (1999 – 2003) Im Auftrag des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt von Dr. Karin Elisabeth Becker 2005

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BERLIN-BRANDENBURGISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Abschlußbericht

über die Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger

Wissenschaft (1999 – 2003)

Im Auftrag des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

vorgelegt von

Dr. Karin Elisabeth Becker

2005

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Kontakt und weitere Informationen:

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Dr. Karin Elisabeth Becker Referentin für Internationale Beziehungen und Wissenschaftspolitik – Präsidialbüro – Jägerstr. 22/ 23 D – 10117 Berlin Tel.: +49 (0)30 20370-583 Fax: +49 (0)30 20370-599 E-mail: [email protected] http://www.bbaw.de/initiativen/balkan/index.html

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Inhalt 1. Gründung und Gründungsintentionen der Balkan-Initiative der Berliner und

Brandenburger Wissenschaft: 25. Juni 1999………………………………….......

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2. Einrichtung der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative und Präsentationen der Balkan-Initiative …………………………...............................................................

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3. Tätigkeitsfelder der Balkan-Initiative und ihrer Geschäftsstelle………………..

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3.1. Einladung von Gastwissenschaftlern, Postdocs und Doktoranden/ Vermittlung und Vergabe von Stipendien……………………………………………………………..

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3.1.1. Berichtsjahr 1999…………………………………………………………………… 17 3.1.2. Berichtsjahr 2000…………………………………………………………………… 18 3.1.3. Berichtsjahr 2001…………………………………………………………………… 19 3.1.4. Berichtsjahr 2002…………………………………………………………………… 21

3.2. Durchführung von Konferenzen, Symposien und Sommerschulen in Berlin und Brandenburg sowie in der Balkan-Region…………………………………………..

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3.2.1. Berichtsjahr 1999…………………………………………………………………… 22 3.2.2. Berichtsjahr 2000…………………………………………………………………… 23 3.2.3. Berichtsjahr 2001…………………………………………………………………… 25 3.2.4. Berichtsjahr 2002…………………………………………………………………… 26

3.3. Organisation und Durchführung der „Balkan-Rundtische“………………………… 27

3.3.1. Berichtsjahr 2000…………………………………………………………………… 27 3.3.2. Berichtsjahr 2001…………………………………………………………………… 29 3.3.3. Berichtsjahr 2002/ 2003…………………………………………………………….. 33

3.4. Wissenschaftliche Kooperationen und andere wissenschaftliche Projekte………… 35

3.4.1. Berichtsjahr 1999…………………………………………………………………… 35 3.4.2. Berichtsjahr 2000…………………………………………………………………… 36 3.4.3. Berichtsjahr 2001…………………………………………………………………… 36 3.4.4. Berichtsjahr 2002…………………………………………………………………… 39

3.5. Spenden für die Balkan-Initiative.………………………………………………….. 44

4. Anlagen…………………………………………………………………………….. 47

Anlage 1: Bericht des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon: „Das Schweigen der Lämmer“ (Festveranstaltung am 25. Juni 1999)……………………………………………………………………

47 Anlage 2: Bericht „Zweiter ‚Balkan-Rundtisch’“………………………………….. 56 Anlage 3: Protokoll „Dritter ‚Balkan-Rundtisch’“…………………………………. 59 Anlage 4: Bericht „Vierter ‚Balkan-Rundtisch’“…………………………………… 79 Anlage 5: Beiträge und Veröffentlichungen über die Balkan-Initiative der Berliner

und Brandenburger Wissenschaft (Auswahl)……………………………………….

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1. Gründung und Gründungsintentionen der Balkan-Initiative der Berliner und Bran-denburger Wissenschaft

Terminologische Vorbemerkung: Für die Zwecke des vorliegenden Abschlußberichts sind unter den Termini „Balkan“, „Balkan-Region“ bzw. „Südosteuropa“ im engeren Sinne fol-gende Staaten und Gebiete zu verstehen: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, ehema-lige Bundesrepublik Jugoslawien (einschließlich Kosovo und Vojvodina – heute genannt Ser-bien und Montenegro), Kroatien, Mazedonien, Rumänien, Slowenien und Ungarn. Die Initia-toren hatten sich bewußt für den Begriff „Balkan“ entschieden, um sich im Hinblick auf die unterschiedlichen, mit der Balkan-Initiative verbundenen Hilfsmaßnahmen einen möglichst großen regionalen Entscheidungsspielraum zu bewahren.

Im Rahmen der Festversammlung der Akademie zum Leibniztag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hatte Akademiepräsident Professor Dr. Dr. h.c. mult. Dieter Simon am 25. Juni 1999 mit seiner programmatischen Rede über „Das Schweigen der Lämmer“ im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin im Namen der Mit-glieder der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), der Präsiden-ten und Rektoren der Berliner und Brandenburger Universitäten1, des Rektors des Wissen-schaftskollegs zu Berlin, des Präsidenten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialfor-schung (WZB) und des wissenschaftlichen Vorstandes des Max-Delbrück-Centrums für Mo-lekulare Medizin Berlin-Buch (MDC) zur Gründung der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft aufgerufen2 (siehe Anlage 1: Bericht des Präsidenten der Ber-lin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, „Das Schweigen der Lämmer“).

Das gemeinsame Anliegen der Initiatoren der Balkan-Initiative bestand dabei darin, eine un-mittelbare und unbürokratische Soforthilfe für die in der Krisenregion des Balkan lebenden und betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu organisieren und zu leisten („Hilfe von Wissenschaftlern für Wissenschaftler“), diesen wieder Mut zu machen und sie verstärkt und explizit in den wissenschaftlichen Diskurs einzubeziehen. Pragmatische Hilfen sollten darüber hinaus zum Wiederaufbau und zur Stärkung des Lehr- und Forschungsbetriebs in den südosteuropäischen Staaten beitragen.

Nach dem Ausbruch des sogenannten Kosovo-Krieges im Jahr 1999, der das politische, kultu-relle und gesellschaftliche Selbstbewußtsein Europas erschüttert hatte, galten die allgemein auf internationaler Ebene unternommenen Anstrengungen vor allem und primär dem Aufbau einer zivilen und demokratischen Gesellschaft, die maßgeblich zu einer langfristigen und dau-erhaften Stabilisierung Südosteuropas beitragen sollte.

In diesem Zusammenhang kam nicht nur dem Wiederaufbau und der Stärkung des Bildungs- und Hochschulwesens insbesondere im Kosovo eine zentrale Bedeutung zu, sondern es wurde

1 Im einzelnen handelt es sich um folgende Universitäten in Berlin und in Brandenburg: Freie Universität Berlin, Humboldt Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin, Brandenburgische Technische Universität Cott-bus, Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder und Universität Potsdam. 2 Zu den damaligen Akteuren gehörten die Professoren Dieter Simon, Peter Gaehtgens, Hans Meyer, Hans-Jürgen Ewers (†), Ernst Sigmund, Hans N. Weiler, Wolfgang Loschelder, Wolf Lepenies, Friedhelm Neidhardt und Detlev Ganten.

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eine intensive Förderung des Bereichs von Wissenschaft und Forschung in der gesamten Bal-kan-Region als erforderlich betrachtet. Diese sollte nicht nur den Aufbau einer zivilen und demokratischen Gesellschaft forcieren, sondern die Balkan-Staaten auch bei der angestrebten europäischen und transatlantischen Integration unterstützen, um somit zu einer dauerhaften Stabilisierung der Region beizutragen.

Mit der 1999 erfolgten Gründung der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wis-senschaft sollte in Reaktion auf den Kosovo-Krieg und der damit verbundenen NATO-Intervention gleichzeitig ein Beitrag dazu geleistet werden, die inhaltlichen und formalen Voraussetzungen für Lehre und Forschung in den südosteuropäischen Staaten zu stärken re-spektive – wo nötig – wiederherzustellen sowie die Ausbildung eines personellen und institu-tionellen Netzwerks zu befördern, das auch die regionale Kooperation der Forscher in Südost-europa erleichtern sollte. Darüber hinaus verbanden die Initiatoren mit dieser Initiative nicht zuletzt auch die Intention, einen Selbstorganisationsprozeß mit dem Ziel der Etablierung eines dauerhaften Dialogs der Vernunft unter den Intellektuellen dieser Region zu initiieren.

Als von zukunftsweisender Relevanz wurden dementsprechend folgende Aspekte und Ziel-setzungen betrachtet:

− die Verbesserung der Forschungsbedingungen in den südosteuropäischen Staaten (ein-schließlich der Verbesserung der technischen Ausstattung und der Bibliothekssituation),

− die Beförderung internationaler Kontakte und Kooperationen in Wissenschaft und For-schung,

− die Formulierung bzw. Reformierung von Curricula, − die Verbesserung der Lehrerausbildung.

Bedingt durch die Embargopolitik der westlichen Staatengemeinschaft war Serbien und Mon-tenegro über Jahre hinweg von internationalen wissenschaftlichen Neuentwicklungen und insbesondere von westlicher Fachliteratur weitgehend abgeschnitten. Aber auch angrenzende Staaten wurden durch verschiedenste Restriktionen struktureller und wirtschaftlicher Art in der Modernisierung und Weiterentwicklung ihrer jeweiligen Wissenschafts- und Bildungsbe-reiche behindert. Eines der Hauptanliegen der Initiatoren der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft lag aus diesem Grunde vor allem in dem Versuch, einer weiteren intellektuellen Auszehrung dieser Region und insbesondere dem sogenannten brain drain, d.h. der Abwanderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den betrof-fenen Staaten und Regionen nach Möglichkeit entgegenzuwirken. Die Balkan-Initiative ver-folgte während der Zeit ihres Bestehens insgesamt die folgenden vier Kernziele:

− Schaffung einer Soforthilfe für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Südosteuropa, − Initiierung von Maßnahmen der Hilfe zur Selbsthilfe, − Initiierung eines Selbstorganisationsprozesses für südosteuropäische Wissenschaftler (ins-

besondere auch durch die sogenannten „Balkan-Rundtische“), − Schaffung einer ‚Adresse’ für Wissenschaftler und Intellektuelle aus/ in der Balkan-

Region.

Seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen im vormaligen Jugoslawien existierten in der deutschen Wissenschaftslandschaft bereits eine Reihe von Initiativen, die sich eine Un-

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terstützung von Forschung und Lehre in Südosteuropa zum Ziel gesetzt hatten. Dabei handel-te es sich jedoch in der Regel häufig um Projekte einzelner Hochschullehrer bzw. um Hoch-schulpatenschaften. Die Balkan-Initiative konnte sich jedoch bereits anderthalb Jahre nach ihrer Gründung als bundesweit einzige Initiative zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung im Balkanraum etablieren, die auf regionalem Prinzip basierte.

Dementsprechend galt es, das in Berlin und Brandenburg vorhandene wissenschaftliche Po-tential nach Möglichkeit optimal zu nutzen, wobei sich durch das intendierte gemeinsame Handeln auch Synergieeffekte eingestellten. Die überwiegende Mehrzahl der in Berlin und Brandenburg ansässigen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen war seinerzeit dem gemeinsamen Aufruf der Initiatoren der Balkan-Initiative gefolgt und hatte sich seitdem mit den unterschiedlichsten Formen und Maßnahmen der Soforthilfe (u.a. Einladungen von Gast-wissenschaftlern, Postdocs und Doktoranden, Vergabe von Stipendien; Durchführung von Konferenzen, Symposien und Sommerschulen in Berlin und Brandenburg sowie in der Bal-kan-Region; wissenschaftliche Kooperationen; Bereitstellung von Sachspenden) an dem Pro-jekt beteiligt. Aufgrund dieser breiten Unterstützung hatte sich die Balkan-Initiative bereits innerhalb kurzer Zeit zu einer bis heute in der Bundesrepublik einzigartigen, regional ausge-richteten Hilfsaktion für den Balkan und Südosteuropa entwickeln und etablieren können. Außerdem hatte sich die Initiative seit ihrer Gründung als ein geeignetes Instrument zur sy-stematischen Erfassung der vorhandenen wissenschaftlichen Kontakte in die Balkan-Region erwiesen.

Angesichts dieser erfolgreich und mit positiver Resonanz durchgeführten einzelnen Maßnah-men und Veranstaltungen kann man heute feststellen, daß nicht nur die mit der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft ursprünglich intendierte Maßnahme der Soforthilfe und der Hilfe zur Selbsthilfe für bedürftige Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler gelungen ist, sondern darüber hinaus der von den Initiatoren intendierte und geför-derte Dialog der Intellektuellen auf dem Balkan initiiert und verfestigt werden konnte. Der angestrebte Selbstorganisationsprozeß war in den Jahren seit dem Bestehen der Balkan-Initiative weit genug vorangekommen, so daß der Zeitpunkt gekommen war, um diese von vornherein temporär befristete Initiative zum Jahresende 2002 – mit zwei weiteren, terminlich bedingten Folgeveranstaltungen im Jahr 2003 – nunmehr endgültig aus der Hand geben zu können.

Die im Zeitraum der Jahre 1999 bis 2003 im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft erfolgten Hilfsmaßnahmen und Aktivitäten werden mit dem vorliegenden Bericht in angemessener Form dokumentiert und somit auch durch die Publika-tion auf der Homepage der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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2. Einrichtung der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative und Präsentationen der Balkan-Initiative

Unmittelbar im Anschluß an die Festversammlung zum Leibniztag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am 25. Juni 1999, auf der die Akademie gemeinsam mit den anderen bereits genannten wissenschaftlichen Einrichtungen zur Grün-dung der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft aufgerufen hatte, wurde an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Geschäftsstelle zur Umsetzung und Implementierung der Initiative eingerichtet.

Die Einrichtung und die Aktivitäten der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative waren ein we-sentlicher und tragender Beitrag der BBAW als Institution zur Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft. Die personelle und inhaltliche Betreuung der Geschäftsstel-le wurde durch Dr. Ulrike Peter, seinerzeit Arbeitsstellenleiterin des an der BBAW angesie-delten Akademienvorhabens Griechisches Münzwerk, und Dr. Karin Elisabeth Becker, Refe-rentin für Internationale Beziehungen und Wissenschaftspolitik im Präsidialbüro der BBAW, wahrgenommen.3 Insbesondere Dr. Ulrike Peter, die federführend für die Geschäftsstelle tätig war, aber auch Dr. Karin Elisabeth Becker versahen ihre Tätigkeit für die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative zusätzlich zu ihren regulären wissenschaftlichen und administrativen Auf-gaben an der BBAW. Es sollte daher in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, daß die Tätigkeit und das Engagement für die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft einen beträchtlichen Teil der jeweiligen Arbeitszeit der bei-den Akademiemitarbeiterinnen in Anspruch genommen hatte. Da zum Abschluß des Akade-mienvorhabens Griechisches Münzwerk Ende 2002 noch möglichst viele der begonnenen Corpora bzw. Editionsprojekte des Akademienvorhabens fertiggestellt werden sollten, wurde dessen Arbeitsstellenleiterin Dr. Ulrike Peter im April 2002 von den Pflichten für die Ge-schäftsstelle der Balkan-Initiative entbunden. Seitdem wurde die Geschäftsstelle von Dr. Ka-rin Elisabeth Becker in eigener Verantwortung betreut, die auch den vorliegenden Abschluß-bericht über die Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissen-schaft im Auftrag des Präsidenten der BBAW zu verfassen und für die Publikation auf der Homepage der Akademie vorzubereiten hatte.

Aufgabe der Geschäftsstelle war es, die zahlreichen und heterogenen Einzelaktivitäten im Rahmen der Balkan-Initiative zu koordinieren und die gezielte Unterstützung von Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der betroffenen Region Südosteuropas zu befördern. Darüber hinaus sollten vor allem Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden, die einen Dialog der Wissenschaftler in Südosteuropa untereinander initiieren und fördern sollten, denn eine friedliche Zukunft der Region – so die einhellige Auffassung der Initiatoren der Balkan-Initiative – würde in entscheidendem Maße von der Bereitschaft zur Kommunikation der Staaten untereinander abhängen. Zu den weiteren und primären Zielen der Tätigkeit der Ge-schäftsstelle der Balkan-Initiative gehörte die möglichst vollständige Bestandsaufnahme des in den Ländern Berlin und Brandenburg für die Initiative nutzbar zu machenden wissenschaft-lichen Potentials, um auf diese Weise eine solide Informationsbasis für das zukünftige und 3 Unterstützt wurde die Geschäftsstelle Balkan-Initiative durch eine Studentische Hilfskraft, deren Finanzierung die Freie Universität Berlin (im Zeitraum 03/2000-02/2001) bzw. die Technische Universität Berlin (im Zeit-raum 09/-12/2001) dankenswerterweise übernommen hatten.

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zielgerichtete Handeln der Geschäftsstelle herzustellen. Des weiteren galt es, die vorliegenden Informationen und Publikationen in transparenter Form aufzubereiten mit dem Ziel, ein sich weitgehend selbst tragendes Informationssystem aufzubauen.

Die Geschäftsstelle hatte sich dementsprechend zunächst darauf konzentriert in systemati-scher Weise zu eruieren, welche der rd. 100 in Berlin und in Brandenburg lokalisierten wis-senschaftlichen Einrichtungen bereit sowie finanziell und personell in der Lage waren, die Balkan-Initiative mit einem Beitrag zu unterstützen. Das Echo war insgesamt sehr positiv und ermutigend ausgefallen, denn die Mehrheit der Institutionen war zu entsprechenden Hilfs-maßnahmen bereit. Bereits bis zum Ende des Gründungsjahres der Balkan-Initiative 1999 hatte sich ein Großteil der in den Bundesländern Berlin und Brandenburg ansässigen wissen-schaftlichen Einrichtungen der Initiative angeschlossen. Unabhängig von den einzelnen Pla-nungen der jeweiligen Hoch- und Fachhochschulen bzw. Forschungsinstitute, hatten auch einzelne Forscher, Hochschullehrer und Akademiemitglieder ihre Bereitschaft zur Unterstüt-zung der Balkan-Initiative artikuliert.

Nach Einrichtung der Geschäftsstelle Balkan-Initiative verfaßte diese ein Informationsblatt in deutscher und englischer Sprache mit den relevanten Angaben zur Begründung und den ein-zelnen Intentionen und Zielen der Balkan-Initiative, das an die Berliner und Brandenburger Wissenschaftseinrichtungen versandt und darüber hinaus auf der Homepage der BBAW ver-öffentlicht wurde. Mit Beginn des Wirkens der Balkan-Initiative stellte die Geschäftsstelle für ihre zukünftige Vermittlungstätigkeit – sowohl durch intensive eigene Recherchen als auch durch Zusendungen Dritter – Hinweise und Materialien zu den Aktivitäten und Programmen von Forschungsförderorganisationen, Stiftungen und anderen Institutionen, im besonderen mit dem Fokus auf Ost- und Südosteuropa, auf ihrer Homepage zusammen. Hierzu gehörten u.a. insbesondere folgende Institutionen und Programme (in alphabetischer Reihenfolge; in Klam-mern wird auf die damaligen Sonderprogramme mit Südosteuropa-Fokus hingewiesen): Alexander von Humboldt-Stiftung (Roman Herzog-Forschungsstipendien-Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern aus Mittel- und Osteuropa), Deutscher Akademischer Austauschdienst, DAAD (Sonder-Programm „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“), Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG („Programm zur Förderung ost- und mitteleuropäischer Wissenschaftler sowie Wissenschaftler der ehemaligen UdSSR zur Teilnahme an wissenschaftlichen Veranstaltungen, insbesondere Kongressen in der Bundesrepublik Deutschland“), Europäische Union (TEMPUS- und PHARE-Förderprogramme), Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Fritz-Thyssen-Stiftung („Fritz-Thyssen-Sonderprogramm für den wissenschaftlich-kulturellen Wiederaufbau in Südosteuropa“), Hochschulrektorenkonferenz HRK (Förderung von Projekten deutscher Hochschulen zur Stabilisierung und Erneuerung des Hochschulwesens insbesondere in Kosovo, Montenegro und Serbien und zur Verbesserung der Hochschulzusammenarbeit und Netzwerkbildung südosteuropäischer Hochschulen; Zusammenarbeit mit der Priština Working Group der CRE (Conférence des Recteurs Européens) – Europäische Rektorenunion und des Europarats im Hochschulbereich bei der Unterstützung der United Nations’ Mission in Kosovo UNMIK), Internationales Büro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF („Programm des Internationalen Büros des BMBF für die Reaktivierung der Forschung in Südosteuropa“), Konrad-Adenauer-Stiftung, Europäische Hochschulrektorenkonferenz CRE (Insbesondere Lehrerausbildung), Stifterverband für die

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Lehrerausbildung), Stifterverband für die deutsche Wissenschaft e.V., Südosteuropa-Gesellschaft e.V., Stiftungsinitiative Johann Gottfried Herder (getragen von der HRK und dem DAAD) sowie VolkswagenStiftung, (Programm „Einheit in der Vielfalt? Grundlagen und Voraussetzungen eines erweiterten Europas“; Förderung von „Symposien und Sommerschu-len“).

Parallel hierzu hatte sich die Geschäftsstelle einen Überblick über die in der Balkan-Region bestehenden Universitäten und weiteren Wissenschaftseinrichtungen, so auch die jeweiligen nationalen Akademien der Wissenschaften und Künste, verschafft, mit denen die BBAW zum Teil auch durch formalisierte Kooperationsabkommen – wie im Falle der Akademien der Wissenschaften in Kroatien, Slowenien und Ungarn – verbunden ist. Darüber hinaus wurden weiterführende Kontaktadressen gesammelt.

Im Rahmen eines Koordinierungsgesprächs der Initiatoren der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft, das am 26. Oktober 1999 im Akademiegebäude stattfand, wurden neben der nach Abschluß des Sondierungsprozesses der Geschäftsstelle Balkan-Initiative erreichten Bestandsaufnahme vor allem die zukünftig erforderlichen konzeptionel-len Schritte und die mittelfristige Zielsetzung beraten. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Problematik, wie die zu fördernden Einzelpersonen und die wissenschaftlichen Ein-richtungen zu identifizieren seien. Im Ergebnis verständigte man sich darauf, daß Aktivitäten ‚vor Ort’ in Südosteuropa im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe möglichst Priorität gebühren sollte. Unabhängig davon sollten die in der Region Berlin-Brandenburg bereits angelaufenen Hilfsprojekte, wie z.B. die Einladung von Gastwissenschaftlern an hiesige Wissenschaftsein-richtungen, weitergeführt werden. In mittelfristiger Perspektive schien es den Initiatoren zum damaligen Zeitpunkt sinnvoll, nach Möglichkeit einen institutionellen Kristallisationskern auf dem Balkan zu schaffen, an dem ggf. in Zukunft wissenschaftliche Veranstaltungen (wie z.B. Konferenzen, Workshops, Sommerschulen etc.) stattfinden könnten.

Bereits nach Gründung der Balkan-Initiative berichtete die Geschäftsstelle regelmäßig über die verschiedenen Aktivitäten der Initiative und den jeweils erreichten Sachstand der Hilfsak-tion insbesondere im „Circular“ (internes Mitteilungsblatt BBAW mit externer Verbreitung) und im „Jahrbuch“ der BBAW. Berichte über die Aktivitäten der Balkan-Initiative fanden auch Eingang in den jährlichen „Europa-Bericht“ des Senats von Berlin.

Im Rahmen nachfolgender Anhörungen, Meetings und Veranstaltungen stellte die Geschäfts-stelle die Intentionen und einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft vor:

27.-29.08.1999: Teilnahme der Geschäftsstelle an der „Conference Initiating a Balkan Aca-demic League“; Ort: Plovdiv, Bulgarien (Teilnahme K. E. Becker):

Die Einladung zu der vom Open Society Fund Sofia und der Bulgarisch-Amerikanischen Fulbright-Kommission organisierten Konferenz zur Initiierung einer „Balkan Academic League“ wurde der Geschäftsstelle Balkan-Initiative seitens des Wissenschaftskollegs zu Berlin zur Gewinnung von Kontakten und aktuellen Informa-tionen über die Balkan-Region vermittelt. Im Mittelpunkt der Konferenz zur zukünfti-gen Einrichtung einer „Balkan Academic League“ standen mehr oder minder ausführli-

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che Präsentationen und Situationsbeschreibungen einzelner Ländervertreter, wobei das Schwergewicht auf Bulgarien und dem damaligen Jugoslawien lag. Anwesend waren Vertreter aus Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland. Als vorrangige inhaltliche Ziele der Konferenz wurden der Austausch von Informatio-nen über die Situation in den einzelnen Staaten genannt sowie die Diskussion zur Grün-dung einer „Balkan Academic League“, d.h. eines Netzwerks zum Austausch von In-formationen. Die Teilnahme an dieser Konferenz konnte unter dem Gesichtspunkt aktu-eller Informationen über die Balkan-Region für die zukünftige Arbeit der Geschäftsstel-le der Balkan-Initiative als positiv bezeichnet werden. Von besonderem Interesse waren die ausführlichen Präsentationen der jugoslawischen Repräsentanten des Alternative Academic Educational Network (AAEN, Belgrad), aber auch die bulgarischen Projekte zur Gründung eines Centers of Excellence und der SEAL. In den jeweiligen Einzelge-sprächen der Vertreterin der Geschäftsstelle mit den verschiedenen Konferenzteilneh-mern zeigten sich insbesondere die Repräsentanten aus dem damaligen Jugoslawien, Bulgarien, und aus Bosnien-Herzegowina sehr interessiert an der Balkan-Initiative. Da-bei war das Augenmerk überwiegend auf konkrete Unterstützungsmaßnahmen, bei-spielsweise in Form von Finanzmitteln, Sach- und Bücherspenden, aber auch auf Einla-dungen von Gastwissenschaftlern ins westliche Ausland gerichtet.

Die Teilnahme an der internationalen Konferenz in Plovdiv hatte der Geschäftsstelle ein erstes Forum geboten, die Intentionen und Ziele der gerade ins Leben gerufenen Bal-kan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft in der betroffenen Region vorzustellen und die Bedürfnisse der Wissenschaftler in Südosteuropa näher kennenzu-lernen und zu eruieren.

10.09.1999: Teilnahme der Geschäftsstelle an dem „Koordinierungsgespräch der Wissen-schaftsorganisationen zu Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit deutscher Hochschu-len und Wissenschaftseinrichtungen in Südosteuropa“; Ort: Wissenschaftszentrum Bonn (Teilnahme U. Peter):

Hintergrund des Koordinierungsgesprächs waren die seinerzeitigen Überlegungen auf Regierungsebene, im Deutschen Bundestag sowie in den Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen, welchen Beitrag die Wissenschaft in Deutschland zur Stabilisierung Südosteuropas zu leisten vermochte. Das Gespräch, an dem ca. 80 Hochschul- und Wis-senschaftsvertreter teilnahmen, wurde durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) initiiert und durchgeführt; der Zusammenkunft in Bonn ging ein Gespräch mit unabhän-gigen jugoslawischen Wissenschaftlern voraus. Die Veranstaltung gab der Geschäfts-stelle eine erste Gelegenheit, einen größeren Kreis interessierter Multiplikatoren aus dem In- und Ausland mit den Zielsetzungen und geplanten Aktivitäten der Balkan-Initiative bekannt zu machen sowie entsprechende Kontakte zur Beförderung ihrer ei-genen Arbeit zu knüpfen. Dabei erwiesen sich für die Balkan-Initiative die zahlreichen Kontakte und bestehenden Netzwerke für die einzelnen Disziplinen, welche genutzt wurden, als wichtig und hilfreich, um geeignete Personen/ Ansprechpartner für die ein-zelnen Maßnahmen und Aktivitäten der Hilfsaktion zu identifizieren.

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15.02.2000: Teilnahme an der „Fortsetzung des Dialogs mit unabhängigen Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Jugoslawien“; Ort: Wissenschaftszentrum Bonn (Teilnahme U. Pe-ter):

Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde vor allem die damalige Lage an den serbischen Hochschulen beschrieben; besondere Aufmerksamkeit galt dabei dem serbischen Uni-versitätsgesetz von 1998 und seinen vielfältigen restriktiven Auswirkungen auf Wissen-schaft und Forschung in Serbien. Seitens des Alternative Academic Educational Net-work (AAEN, Belgrad) wurden die Hochschulsysteme von Bulgarien, Montenegro und Slowenien präsentiert. Insgesamt handelte es sich um eine Fortsetzung des Dialogs mit unabhängigen Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Jugoslawien, der im September 1999 auf Initiative der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begonnen hatte.

31.08.2000: Teilnahme der Geschäftsstelle an der „Sitzung der Landeskonferenz der Rekto-ren und Präsidenten der Berliner Hochschulen“; Ort: Technische Universität Berlin (Teil-nahme K. E. Becker):

Die Vertreterin der Geschäftsstelle berichtete im Rahmen der Sitzung der Landeskonfe-renz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen am 31. August 2000 in der Technischen Universität Berlin als Gast über die Gründungsintentionen der Balkan-Initiative, ihre Ziele und die wichtigsten Aktionsfelder. Der damalige Stellvertretende Vorsitzende der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschu-len, Professor Dr. Helmut Schmidt, würdigte dabei seinerseits die erreichte positive Bi-lanz der Balkan-Initiative. Der Dank der Geschäftsstelle galt in diesem Zusammenhang auch den anwesenden Hochschulvertretern für deren Engagement zugunsten der Initia-tive.

18.01.2001: Teilnahme an dem „Koordinierungsgespräch zur Hochschulzusammenarbeit“ mit dem ehemaligen Jugoslawien, insbesondere Serbien, Montenegro und Kosovo; Ort: Ge-schäftsstelle der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Bonn (Teilnahme K. E. Becker):

Es handelte sich dem Charakter nach um einen Erfahrungsaustausch über Möglichkei-ten der Hochschulzusammenarbeit mit den genannten Regionen. Das Gespräch, zu dem neben den Vertretern der Wissenschaftsorganisationen auch ein Vertreter des Stifterver-bandes für die Deutsche Wissenschaft eingeladen worden war, diente in erster Linie dem gegenseitigen Informations- und Erfahrungsaustausch über die jeweiligen unter-schiedlichen Aktivitäten in der Balkan-Region; darüber hinaus wurden potentielle Syn-ergie-Effekte erörtert.

Regelmäßig, insbesondere in den Anfangsjahren des Hilfsprojekts, berichtete die Geschäfts-stelle Balkan-Initiative auch an die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin über den jeweils aktuellen Stand der Aktivitäten im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft.

Durch den Kontakt mit den Initiatoren der Balkan-Initiative war die Geschäftsstelle im allge-meinen über deren laufende Aktivitäten gut informiert. Um das jeweilige Engagement der Initiatoren in angemessener und möglichst vollständiger Form darstellen zu können, wurden die Initiatoren insbesondere für die Beiträge zum „Jahrbuch der BBAW“ um entsprechende

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autorisierte Teilberichte gebeten. Diese Teilberichte haben auch Eingang in den vorliegenden Abschlußbericht über die Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft gefunden.

3. Tätigkeitsfelder der Balkan-Initiative und ihrer Geschäftsstelle

Die Unterstützung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Balkan-Region und in Südosteuropa seitens der Initiatoren der Balkan-Initiative und zahlreicher weiterer, in Berlin und Brandenburg lokalisierter wissenschaftlicher Einrichtungen, welche durch die an der BBAW ansässige Geschäftsstelle koordiniert und organisiert wurde, vollzog sich in den Jah-ren von 1999 bis zum definitiven Auslaufen der Initiative Ende 2003 vorrangig auf folgenden fünf Feldern:

1) Einladung von Gastwissenschaftlern, Postdocs und Doktoranden/ Vermittlung und Vergabe von Stipendien,

2) Durchführung von Konferenzen, Symposien und Sommerschulen in Berlin und Brandenburg sowie in der Balkan-Region,

3) Organisation und Durchführung der „Balkan-Rundtische“, 4) wissenschaftliche Kooperationsvorhaben und andere wissenschaftliche Projekte sowie 5) Spenden.

Im Bedarfsfalle zeigt die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative auch Hinweise auf potentielle Finanzierungsmöglichkeiten für Stipendien sowie für die Durchführung wissenschaftlicher Symposien, Workshops und Konferenzen im Rahmen der Hilfsaktion auf: Einer größeren Zahl zumeist junger Wissenschaftler konnte auf diesem Wege die Teilnahme an wissenschaft-lichen Veranstaltungen ermöglicht werden. Alljährlich beantwortete die Geschäftsstelle Bal-kan-Initiative auch eine Fülle individueller Informationsanfragen von Wissenschaftlern, Dok-toranden, Studierenden und Institutionen, die sich mit der Bitte um Nennung spezifischer För-derinstrumentarien und -möglichkeiten in der Bundesrepublik an die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle gewandt hatten.

Die organisatorische und administrative Hauptlast lag dabei bei der in der BBAW eingerichte-ten Geschäftsstelle der Balkan-Initiative und den mit deren Betreuung betrauten Mitarbeite-rinnen. Die Arbeit der Geschäftsstelle, die im wesentlichen als eine Art „Kopfstellenarbeit“ definiert war, umfaßte u.a. folgende Einzelaktivitäten im Kontext der oben beschriebenen Hauptaktionsfelder:

– Aufbau einer geschäftstelleninternen Datenbank zur Erfassung des in Berlin und Bran-denburg vorhandenen wissenschaftlichen Potentials, der Namen und Adressen der je-weiligen Kontaktpersonen sowie der entsprechenden Einrichtungen und Kontaktperso-nen in der Balkan-Region,

– Einrichtung einer Website der Balkan-Initiative auf der Homepage der BBAW mit In-formationen über die Hintergründe und Intentionen der Balkan-Initiative, die einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen sowie (Stipendien-)Formularen, welche die Geschäfts-stelle paßgenau für Bewerber aus dem Balkan-Raum konzipiert hatte,

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– Information und Vermittlung („Börsentätigkeit“) in der Region Berlin-Brandenburg: wo die wissenschaftlichen Einrichtungen und die dort tätigen Wissenschaftler über ei-gene Kontakte in Südosteuropa verfügten, wurden diese zuerst genutzt und in den Dienst der Balkan-Initiative gestellt bevor auf andere Netzwerke zurückgegriffen wur-de,

– Information und Vermittlung („Börsentätigkeit“) in der Balkan-Region und in Südost-europa,

– administrative und organisatorische Betreuung der „Balkan-Rundtische“.

3.1. Einladung von Gastwissenschaftlern, Postdocs und Doktoranden/ Vermittlung und Ver-gabe von Stipendien

Zur Implementierung der Balkan-Initiative hatte die Geschäftsstelle im Sommer 1999 eine interne Datenbank aufgebaut und zunächst mit der Erfassung der in Berlin und Brandenburg ansässigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen begonnen (siehe Kapitel 2, S. 6 ff.). Durch ein Rundschreiben wurden die Leiterinnen und Leiter der rd. 100 in der Region behei-mateten wissenschaftlichen Institutionen Anfang Juli 1999 über die Einrichtung der Balkan-Initiative informiert und um entsprechende Unterstützung der Hilfsaktion gebeten. Schwer-punkt der Geschäftsstellentätigkeit war zunächst die Sammlung und Systematisierung der zahlreichen und heterogenen Hilfsangebote in der Region Berlin-Brandenburg.

Im November 1999 hatte sich die Geschäftsstelle Balkan-Initiative – in enger Abstimmung mit dem Präsidenten der BBAW – mit einem ausführlichen Rundschreiben an alle wissen-schaftlichen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg gewandt, die sich zur Unterstützung der Balkan-Initiative bereit erklärt hatten. Darüber hinaus trat sie an Einrichtungen heran, die um weiterführende Informationen im Hinblick auf eine mögliche, zukünftige Beteiligung an der Balkan-Initiative gebeten hatten. Die Geschäftsstelle informierte die wissenschaftlichen Einrichtungen zum damaligen Zeitpunkt in einem ersten Überblick zugleich umfassend über den Sachstand und die geplante Umsetzung der Hilfsaktion.

Nach Abschluß der Ermittlung des vorhandenen wissenschaftlichen Potentials und der Son-dierung der konkreten Mitwirkungsbereitschaft der einzelnen Akteure konzentrierte die Ge-schäftsstelle ihre Bemühungen auf die Realisierung der seitens der Wissenschaftsinstitutionen in Aussicht gestellten Hilfsangebote. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, daß viele deutsche Einrichtungen, die zur Aufnahme südosteuropäischer Wissenschaftler bereit waren, zuvor jedoch keine Kontakte in diese Region besaßen. Sie traten daher an die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative mit der Bitte um Vermittlung entsprechend qualifizierter Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler heran. Zu diesem Zweck ermittelte und sammelte die Geschäfts-stelle kontinuierlich Kontakte und Adressen potentieller Vermittlungspartner: Leitendes Ziel war es dabei, adäquat ausgebildete Forscherinnen und Forscher aus dem Balkan-Raum und aus Südosteuropa für ein breites Spektrum von Disziplinen zu gewinnen, die sich gleichzeitig – soweit für die Geschäftsstelle überhaupt nachvollziehbar – durch persönliche und politische Integrität auszeichnen sollten.

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Angesichts der damaligen, politisch angespannten und brisanten Lage auf dem Balkan erwie-sen sich die entsprechenden Empfehlungen seriöser Vermittler, der Rückgriff auf bereits eta-blierte wissenschaftliche Netzwerke und das Operieren auf den Arbeitsebenen als unabding-bare Voraussetzungen für das Agieren der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative. Diese Ver-mittlerinnen und Vermittler – zumeist selbst Wissenschaftler, Universitätsangehörige bzw. deutsche und südosteuropäische Mitarbeiter von Wissenschafts- und Forschungsförderungsin-stitutionen bzw. NGOs – konnten ihrerseits gewährleisten, daß die vielfältigen und heteroge-nen deutschen Ausschreibungen für Gastaufenthalte, Postdocs und Stipendien den gewünsch-ten wissenschaftlichen Institutionen und Personengruppen möglichst gezielt und rasch zu-gänglich gemacht werden konnten. Zu den von der Geschäftsstelle Balkan-Initiative bemüh-ten Vermittlern gehörten insbesondere das Funktionslektorat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Priština (namentlich Dr. Zuzanna Finger), der seinerzeitige Deputy Head of Eductation and Interim Administrator of the University of Prishtina; UN-MIK, Professor Michael Daxner4, die Geschäftsstelle der Hochschulrektorenkonferenz (HRK, namentlich Dr. Gerhard Duda, Internationale Abteilung), das Alternative Academic Educatio-nal Network (AAEN) Belgrad (namentlich Professor Dr. Srbijanka Turajli�, die spätere serbi-sche Vize-Bildungsministerin, und Dr. Vera Vasiljevi�), Professor Dr. Vesna Raki�-Vodineli� und Professor Dr. Vladimir Vodineli� (beide vormals Rechtswissenschaftler an der Universi-tät Belgrad), Professor Dr. Ljubomir Maksimovi� (Professor für Byzantinistik an der Univer-sität Belgrad), Professor Dr. Hans-Joachim Seitz (Institut für Biochemie und Molekularbiolo-gie III, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) sowie der damalige Kulturattaché an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Priština, Dr. Martin Frick.

Von besonderem Wert für die (Auswahl und) Vermittlung von Forschern waren darüber hin-aus die verschiedenen individuellen Kontakte und die Sachkompetenz der hiesigen Wissen-schaftler, die als Multiplikatoren zur Beförderung der Balkan-Initiative fungierten. Dabei war – insbesondere in den Anfängen der Vermittlungstätigkeit – das Funktionieren der Institutio-nen, vor allem der Universitäten und Behörden im Krisengebiet Balkan, keine zwingende und unabdingbare Voraussetzung für die diesbezügliche Arbeit der Geschäftsstelle: Als besonders nutzbringend erwies sich der Ansatz, zunächst auf die Qualifikation von Einzelpersonen und deren Einbindung in internationale Netzwerke abzuzielen (personenbezogene Netzwerkbil-dung). Durch die Vermittlung von Stipendien und Gastaufenthalten an Hochschulen und an-deren wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg sollten gut ausgebildete Wissenschaftler und Graduierte, vereinzelt auch Studenten eine Möglichkeit erhalten, sich weiterzuqualifizieren sowie ihre Projekte und Graduierungsarbeiten in Deutschland fortzuset-zen bzw. ggf. abzuschließen. Damit konnte die Balkan-Initiative im Rahmen der ihr zur Ver-fügung stehenden Möglichkeiten einen Beitrag zum Ausbau eines Potentials akademisch qua-lifizierter Fachkräfte für die Balkan-Region leisten.

Die Gesamtzahl der im Rahmen der Aktivitäten der Geschäftsstelle Balkan-Initiative vermit-telten Einladungen von Gastwissenschaftlern, Postdocs, Doktoranden (Vermittlung und Ver-gabe von Stipendien) betrug 88 – davon gingen 41 Einladungen an Frauen und 47 Einladun-gen an Männer.

4 M. Daxner leistete darüber hinaus koordinierende Arbeit für die Europäische Rektorenkonferenz CRE, deren Netzwerke somit auch von der Geschäftsstelle zu Vermittlungszwecken genutzt werden konnte.

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Aufgliederung der vermittelten Einladungen nach Staaten/ Regionen

Staat/ Region Anzahl der vermittelten Einladungen Albanien 5 Bosnien 3 Bulgarien 17 Estland 2 Kosovo (zu Serbien u. Montenegro gehörend)

3

Kroatien 8 Mazedonien 1 Polen 3 Rumänien 8 Serbien und Montenegro (bis 2003 Bundesrepublik Jugoslawien genannt)

32

Slowenien 3 Tschechien 1 Ungarn 2 Wie der Statistik zu entnehmen ist, bildeten Vermittlungen von Einladungen nach Serbien und Montenegro (32; vormalige Bundesrepublik Jugoslawien), Bulgarien (17) sowie Kroatien und Rumänien (jeweils 8) die quantitativ – und den Gründungsintentionen der Balkan-Initiative entsprechend – größten Gruppen.

Aufgliederung nach wissenschaftlichen Disziplinen und Fachgebieten Disziplin/ Fachgebiet Anzahl der vermittelten Einladungen Astronomie 1 Biomaterialentwicklung 4 Biophysik 1 Byzantinistik 1 Chemie 6 Geodäsie 1 Geschichte 5 Literatur-/ Kulturwissenschaften 2 Medienwissenschaften 1 Medizin 8 Medizin/ Psychiatrie 30 Mikrobiologie 1 Pädagogik 1 Pflanzenphysiologie 1 Philosophie 2 Physik 12 Psychologie 1 Reaktionstechnik 1 Reaktionstechnik 1 Rechtswissenschaften 1 Slawistik 1 Sozialwissenschaften 3 Sprachwissenschaften 2 Wirtschaftswissenschaften 1

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Zum weiteren Verfahren: Im Anschluß wurden die Bewerbungen aus den Balkan-Ländern jeweils an die einzelnen auslobenden Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und Brandenburg übermittelt.

Die folgenden 37 wissenschaftlichen Einrichtungen in den Ländern Berlin und Brandenburg hatten im Rahmen von Einladungen, die insbesondere durch die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative vermittelt worden waren, Gastwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, Postdocs und Doktoranden als Gastgeber für wissenschaftliche Aufenthalte aufgenommen (in alphabe-tischer Reihenfolge):

– Astrophysikalisches Institut, Potsdam – Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften – Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung, Berlin – Charité – Universitätsmedizin Berlin (damaliges Universitätsklinikum Benjamin

Franklin, Neurochirurgische Klinik; Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie; Universitätsklinikum Benjamin Frank-lin, Kinderklinik und Poliklinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neonatologie; Universi-tätsklinikum Benjamin Franklin, Klinik und Poliklinik für Radiologie und Nuklearme-dizin; Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Psychiatrische Klinik und Poliklinik; Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow Klinikum, Unfall- und Wiederherstel-lungschirurgie; Universitätsklinikum Charité, Institut für Immungenetik)

– Deutsches Elektronensynchroton (DESY), Zeuthen – Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Berlin-Adlershof – Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/ Oder – Fachhochschule Eberswalde – Forschungszentrum Europäische Aufklärung e.V., Potsdam – Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung, Teltow – Freie Universität Berlin (Osteuropa-Institut) – GeoForschungszentrum, Potsdam – GKSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH, Institut für Chemie, Teltow – Hahn-Meitner-Institut Berlin – Humboldt-Universität zu Berlin – Institut für Angewandte Chemie Berlin-Adlershof – Institut für Biochemie und Molekulare Physiologie – Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau, Großbeeren (IGZ) – Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Ber-

lin e.V. – Institut für Halbleiterphysik, Frankfurt/ Oder – Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB) – Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch (MDC) – Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), Golm – Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main – Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie, Golm – Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden – Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Berlin

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– Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin – Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Universitätsklinikum Bonn, Klinik und

Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie – Robert-Koch-Institut, Berlin – Sorbisches Institut, Bautzen – Technische Fachhochschule Berlin – Technische Universität Berlin (Institut für Sprache und Kommunikation/ Arbeitsstelle

für Semiotik) – Universität Potsdam – Verbund Klinische Pharmakologie Berlin/ Brandenburg, Berlin – Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin – Zentrum für Literaturforschung, Berlin

Die Gründe, aus denen einigen Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und Brandenburg keine bzw. nur teilweise/ in einigen Fällen Stipendiaten, Postdocs und Gastwissenschaftler vermit-telt werden konnten, lagen im wesentlichen in folgenden Sachverhalten begründet:

– fehlendes Interesse an einer Kooperation auf deutscher Seite, – Fehlen finanzieller Mittel auf Seiten der jeweiligen deutschen Wissenschaftseinrich-

tungen, – fehlende Unterstützungsmöglichkeiten aufgrund von Überlastung (z.B. durch beste-

hende Projekte) auf deutscher Seite, – fehlendes Interesse/ ausbleibende Reaktionen aus dem Balkan-Raum auf die jeweili-

gen deutschen Ausschreibungen, – Fehlen fachlich qualifizierter und in das Profil der deutschen Wissenschaftseinrichtun-

gen passender südosteuropäischer Bewerber, – Fehlen finanzieller Förderung/ Mittel für die südosteuropäischen Bewerber trotz inten-

siver Vermittlungsbemühungen seitens der Geschäftsstelle Balkan-Initiative, – Zurückziehen von Angeboten seitens der auslobenden deutschen Wissenschaftsein-

richtung, – Zurückziehen von Bewerbungen aus Südosteuropa, z.B. aus persönlichen Gründen.

Aktuelle Informationen über die verschiedenen laufenden Aktivitäten und Hilfsangebote der Balkan-Initiative sowie Hinweise zu einschlägigen Fördermöglichkeiten der Finanzierung von Projekten waren während des Bestehens der Initiative auf der von der Geschäftsstelle ange-legten und aktualisierten Homepage zu finden.

3.1.1. Berichtsjahr 1999

Mit Beginn der Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissen-schaft beabsichtigten die meisten der in Berlin und Brandenburg ansässigen wissenschaftli-chen Einrichtungen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Gastaufenthalten nach Ber-lin und Brandenburg einzuladen, Stipendien auszuloben bzw. vorrangig an Bewerber aus Südosteuropa zu vergeben – eine Reihe von Wissenschaftlern konnte diesen Einladungen be-reits in den ersten Monaten des Bestehens der Balkan-Initiative folgen. Diese Maßnahmen

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stellten eine sinnvolle Form der ersten Unterstützung dar, ermöglichten sie doch eine Intensi-vierung der Kontakte bzw. – in manchen Fällen – überhaupt erst eine Kontaktaufnahme der südosteuropäischen Partner mit Einrichtungen und Forschern in Deutschland.

„In Betroffenheit über die jüngsten Schicksalsschläge auf dem Balkan“ (so der diesbezügliche Ausschreibungstext) faßte die Europa-Universität Viadrina im Sommer 1999 den Beschluß, im Rahmen ihres Jahresstipendiums 1999/ 2000 einen jungen Kosovaren/ eine junge Kosova-rin kurzfristig zu fördern. Die Viadrina schrieb daher im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft ein entsprechendes Stipendium für einen einjähri-gen Studienaufenthalt in Frankfurt/ Oder aus; Studienbeginn war der Oktober des Jahres 1999. Ausgewählt wurde Aferdita Fazliu, Studentin an der Philosophischen Fakultät der Uni-versität Priština. Sie immatrikulierte sich an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Via-drina; ihr besonderes Interesse galt den Bereichen Sprachwissenschaften, Medien, Informati-ons- und Kommunikationswissenschaften. Sie besuchte u.a. mehrere Seminare und Vorlesun-gen im Bereich der Sprach- und Literaturwissenschaften sowie der Fremdsprachendidaktik.

Auch die BBAW selbst hatte im Herbst 1999 kurzfristig ihre Bereitschaft dazu erklärt, aus-ländische Wissenschaftler aus südosteuropäischen Staaten nach Berlin einzuladen. Diese Ein-ladungen richteten sich insbesondere an die einzelnen Akademienvorhaben der BBAW. So luden die Akademienvorhaben „Griechisches Münzwerk“, „Leibniz-Edition“ (Arbeitsstelle Potsdam) und „Prosopographia Imperii Romani“ jeweils eine(n) Wissenschaftler(in) aus Slo-wenien, Rumänien und Bulgarien für die Dauer einer Woche zu Forschungen und Vorträgen an die Akademie ein.

3.1.2. Berichtsjahr 2000

Die Rechtswissenschaftler Professor Dr. Vladimir Vodineli� und seine Frau, Professor Dr. Vesna Raki�-Vodineli�, waren infolge der an der Universität Belgrad in den 1990er Jahren durchgeführten Säuberungsaktionen bereits 1998 ihrer Ämter enthoben und damit arbeitslos geworden. Überdies waren sie als gefährdete Personen gezwungen, gemeinsam mit ihrem Sohn aus Serbien zu fliehen. Ein seitens der Freien Universität Berlin ausgelobtes Stipendium ermöglichte es Vladimir Vodineli� ab März 2000 für die Dauer eines Jahres, am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin weiter wissenschaftlich zu arbeiten: Hauptthema seines Forschungsaufenthaltes an der Freien Universität Berlin war die Frage der „Generellen Ver-schuldensvermutung im zukünftigen gemeineuropäischen Gesetzbuch“. Außerdem hielt V. Vodineli� wissenschaftliche Referate und Vorträge u.a. im Rahmen des „X. und XI. Osteuro-pa-Symposiums“, Berlin sowie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder.

Bis Ende 2000 konnten rd. 50 Wissenschaftler aus Albanien, Bulgarien, dem Kosovo, Kroati-en, Mazedonien, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie Slowenien einer von den Wissen-schaftseinrichtungen in Berlin und Brandenburg im Rahmen der Balkan-Initiative ausgespro-chenen Einladung zu einem Forschungs- bzw. Studienaufenthalt folgen; dabei wurden 15 die-ser Forscher ein- bzw. mehrjährige Stipendien gewährt. Mehr als 30 weitere Ausschreibungen wurden über die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative in die Balkan-Region weitergeleitet, um dort geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Damit wurden vor allem jenen Insti-

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tuten Kontakte vermittelt, die zuvor keine Beziehungen zu südosteuropäischen Partnern un-terhielten.

Für die Vergabe von Stipendien konnten darüber hinaus auch Drittmittel eingeworben wer-den: So hatte das Kuratorium der Schering-Forschungsgesellschaft mbH, Berlin, im Sommer 1999 beschlossen, die Balkan-Initiative finanziell zu unterstützen. Zu diesem Zweck lobte die Schering-Forschungsgesellschaft Kurzzeitstipendien für junge Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler aus den Bereichen Biologie, Medizin und Chemie aus, um diesen einen ca. drei-monatigen Aufenthalt an einem Forschungsinstitut bzw. einer Forschungseinrichtung in Ber-lin zu ermöglichen. Die ersten drei Forschungsstipendien wurden an Nachwuchswissenschaft-ler aus Bulgarien, Rumänien und der Wojwodina vergeben. Dabei handelte es sich um Radu Illiescu (Universität für Medizin und Pharmazie Gr. T. Popa, Physiologische Abteilung, Ia-si/ Rumänien), der sich von August bis Ende Oktober 2000 am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch aufhielt, und Dr. Ždjko Kojadinovi� (Universität Novi Sad, Clinic of Neurosurgery, Novi Sad/ Serbien und Montenegro), der von Mitte No-vember 2000 bis Mitte Februar 2001 an der Neurochirurgischen Klinik der Freien Universität Berlin5 weilte. Dr. Inna Temelkova (Medical University Varna, Department of Radiology, Varna/ Bulgarien) nutzte das ihr zuerkannte Stipendium von Oktober 2000 bis Ende Februar 2001 zu einem Forschungsaufenthalt an der Klinik und Poliklinik für Radiologie und Nu-klearmedizin der Freien Universität Berlin (Universitätsklinikum Benjamin Franklin).

Bei der Durchführung von Symposien und Konferenzen ist die Kommunikation von Wissen-schaftlern unterschiedlicher Nationalitäten per se gegeben: Um den Dialog südosteuropäi-scher Wissenschaftler zu fördern und ein Forum für Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, wurden die sich in Berlin und Brandenburg aufhaltenden Stipendiaten im Mai 2000 zu einem Treffen in das Akademiegebäude eingeladen und dort durch den damaligen Vizepräsidenten Helmut Schwarz begrüßt. Die Gäste hatten diese Einladung ihrerseits sehr begrüßt und nicht nur den Bedarf an materieller, sondern auch an moralischer Unterstützung hervorgehoben sowie ihr großes Interesse an gegenseitigen Kontakten bekundet.

Ende Mai 2000 wurde eine Gruppe von 25 albanischen Studenten der Forstwirtschaft zu ei-nem Informationsgespräch an die BBAW eingeladen. Die Studierenden hielten sich im Rah-men des DAAD-Programms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ für zwei Wochen an der Fachhochschule Eberswalde auf. Die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative konnte den albanischen Gästen außerdem einen Besuch des Instituts für Wirtschafts- und Sozialwis-senschaft des Landbaus an der Humboldt-Universität zu Berlin vermitteln, der auf lebhaftes Interesse stieß.

3.1.3. Berichtsjahr 2001

Im Berichtsjahr 2001 konnten 26 Wissenschaftler aus Albanien, Bulgarien, dem Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie Slowenien – einer von den Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und Brandenburg im Rahmen der Balkan-Initiative aus-

5 Heute Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin genannt.

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gesprochenen Einladung zu einem Forschungs- bzw. Studienaufenthalt folgen. 17 von ihnen konnten sogar ein- bzw. mehrjährige Stipendien gewährt werden.

Ende 2000 hatte die Schering-Forschungsgesellschaft ihre Unterstützung dahingehend erwei-tert, daß sie drei weitere Stipendien auslobte, die wiederum jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Disziplinen Medizin, Biologie und Chemie zugute kamen: So nutzte Dr. Larisa Kova�evi� (Universitäts-Kinderklinik Belgrad/ Serbien und Montenegro) das Sti-pendium von Januar bis Ende März 2001 zu Forschungen am Institut für Klinische Pharmako-logie und Toxikologie (Abteilung Klinische Pharmakologie) der Freien Universität Berlin (Universitätsklinikum Benjamin Franklin). Dr. Nadja Mari� (University Clinical Center of Serbia/ Institute for Psychiatry, Belgrad/ Serbien und Montenegro) weilte von Mitte Dezem-ber 2001 bis Mitte März 2002 zu Forschungszwecken an der Klinik und Poliklinik für Psych-iatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. Dr. Alkesandra Mati� (Pädiatri-sche Universitätsklinik Novi Sad/ Serbien und Montenegro) hielt sich von Dezember 2001 bis Ende Februar 2002 an der Kinderklinik und Poliklinik (Abteilung für Kinderheilkunde) der Freien Universität Berlin (Universitätsklinikum Benjamin Franklin) auf.

Bis einschließlich Februar 2001 förderte die Freie Universität Berlin den Forschungsaufent-halt von Professor Vladimir Vodineli� an ihrem Osteuropa-Institut mit einem Stipendium. Des weiteren lud die Freie Universität Berlin im Berichtsjahr 2001 drei Gastdozenten aus Serbien und Montenegro sowie einen Gastdozenten aus Bosnien-Herzegowina zu For-schungsaufenthalten ein. Im Sommersemester 2001 waren an der Freien Universität Berlin darüber hinaus sieben Studierende aus Albanien, 33 aus Bosnien-Herzegowina, 110 aus Kroa-tien, sieben aus Mazedonien sowie 142 Studierende aus Serbien und Montenegro immatriku-liert.

Im Februar 2001 hielt sich ein Gastwissenschaftler aus Novi Sad am Lehrstuhl von Professor Dr. Klaus Bothe, Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin auf; an dem zwi-schen dem Institut für Slawistik der Humboldt-Universität und der Universität Zagreb beste-henden Austauschprogramm beteiligte sich im Wintersemester 2001/ 02 ein Student. Zur Vorbereitung eines Valenzwörterbuchprojekts sowie zu Absprachen über eine Monographie weilte Professor Dr. Barbara Kunzmann-Müller (Lehrstuhlinhaberin am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität) im Berichtsjahr für drei Wochen in Kroatien. Für das gleiche Insti-tut konnte die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative auch Professor Dr. K. Nemec Möglichkei-ten der Finanzierung einer Gastprofessur über die Stiftung Preußische Seehandlung aufzeigen.

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch (MDC) hatte sich bereits seit deren Gründung mit mehreren Aktivitäten an der Balkan-Initiative beteiligt und u.a. je-weils für einen Zeitraum von drei Monaten drei Fellowships für junge Wissenschaftler aus Serbien und Montenegro, Rumänien und Moldawien ausgelobt. Zweien dieser Nachwuchs-wissenschaftler konnte in Folge ein mehrmonatiger Aufenthalt für gemeinsame Projekte am MDC ermöglicht werden. Alle in diesem Zusammenhang entstandenen Kontakte wurden wei-tergeführt.

Auch das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte 2001 nach Bewer-bungs- und Auswahlverfahren wieder gezielte Einladungen für jüngere (graduierte bzw. pro-movierte) Sozialwissenschaftler zu zwei- bis dreimonatiger Mitarbeit in Forschungseinheiten

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des WZB aussprechen können. So hielt sich Professor Dr. Mladen Lazi�, Inhaber des Lehr-stuhls für Soziologie an der Universität Belgrad, als Gastwissenschaftler beim Präsidenten des WZB auf. Als Doktorandin der Central European University (Budapest) mit ihrem in War-schau am dortigen Partnerinstitut des WZB angesiedelten sozialwissenschaftlichen Fachbe-reich arbeitete Edita Petronijevi� seit Dezember 2000 für zunächst drei Monate am WZB, und zwar in Verbindung mit dem Projektbereich Protestbewegungen der Arbeitsgruppe „Politi-sche Öffentlichkeit und Mobilisierung“. Dies entsprach auch einer zuvor mit dem Center for Social Studies der Central European University getroffenen Vereinbarung, wonach das WZB jüngeren Wissenschaftlern aus Ost- und Südosteuropa die Möglichkeit zur Gewinnung beson-derer Forschungserfahrungen eröffnete, wenn sich deren Dissertationsthemen auf For-schungsgegenstände des WZB bezogen. Die Kooperationen mit M. Lazi� und E. Petronijevi� waren Teil der im Rahmen der Balkan-Initiative verstärkten Verbindungen des WZB zu süd-osteuropäischen Ländern.

3.1.4. Berichtsjahr 2002

Auf Vermittlung der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative hielt sich Krešimir Mi�anovi� (In-stitut für Kroatistik der Universität Zagreb) von April bis Juni 2002 zu einem von der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. unterstützten Studienaufenthalt am Institut für Slawistik der Hum-boldt-Universität zu Berlin auf, welcher der Förderung seines Promotionsprojekts zur kroati-schen Standardsprache diente. Auf der Basis der zwischen der Humboldt-Universität zu Ber-lin und den Universitäten in Zagreb und Belgrad bestehenden Hochschulpartnerschaften fin-det ein regelmäßiger paritätischer Austausch von zwei Studierenden pro akademischem Jahr statt. Fernerhin besteht im Rahmen des „SOKRATES“-Programms der Europäischen Union ein Austausch von Studierenden mit den Universitäten in Pleven, Plovdiv und Sofia (Bulgari-en) sowie mit den Universitäten in Cluj-Napoca, Bukarest und Iasi (Rumänien). Im Rahmen ihres Betreuungsprogramms führte die Humboldt-Universität am 28. November 2002 einen ersten internationalen Balkanabend mit einem umfangreichen landeskundlichen, literarischen und kulinarischen Programm durch, der von einer serbischen Studentin, die auch als Tutorin am Institut für Slawistik arbeitet, gemeinsam mit dem Amt für Internationale Angelegenhei-ten der Universität durchgeführt wurde. An dieser Veranstaltung nahmen über 50 ausländi-sche Studierende und Gäste teil.

Im Rahmen ihrer Balkan-Aktivitäten förderte die Freie Universität Berlin im Berichtsjahr 2002 vier Gastdozenten von albanischen, rumänischen, serbischen und slowenischen Univer-sitäten. Von insgesamt vier im Kontext des Sonderprogramms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) stehenden Projek-ten der Freien Universität Berlin konnten im Jahr 2002 zwei erfolgreich abgeschlossen wer-den; zwei weitere Projekte wurden bis 2003 fortgeführt. An der Freien Universität Berlin wa-ren im Sommersemester 2002 insgesamt 628 Studierende aus südosteuropäischen Staaten immatrikuliert (Albanien: 9, Bosnien-Herzegowina: 36, Bulgarien: 257, Kroatien: 113, Maze-donien: 13, Rumänien: 59, Serbien und Montenegro: 126, Slowenien: 15). Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Studierenden aus dieser Region um elf Prozent.

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Vermittelt durch die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative konnte Dilyana Boteva, Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung aus Sofia, im Zeitraum von August 2002 bis Juli 2003 einen einjährigen Forschungsaufenthalt bei Professor Dr. Roland Posner an der Arbeitsstelle für Semiotik des Instituts für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Ber-lin wahrnehmen.

Die Universität Potsdam mißt der Ausbildungskomponenten eine große Bedeutung bei: So bekräftigte die Hochschule auch im Berichtsjahr 2002 ihre Bereitschaft zur Aufnahme und Ausbildung geeigneter Studierender und Promovenden. In diesem Zusammenhang wurden mit rumänischen Universitäten bereits einige „SOKRATES“-Verträge geschlossen.

Die Aktivitäten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) richteten sich seit Beginn der Balkan-Initiative darauf, die bestehenden – teilweise langjährigen und vielfäl-tigen – Kontakte und Projektkooperationen mit Personen und Einrichtungen der sozialwissen-schaftlichen Forschung in Südosteuropa zu verdichten und durch zusätzliche Impulse für Aus-tausch und Zusammenarbeit zu ergänzen. Dabei ging es zum einen um Angebote für Gastauf-enthalte, insbesondere für jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sowie Einla-dungen zu wissenschaftlichen Konferenzen, die der Erörterung von Problemlagen und der Identifizierung von – potentiell gemeinsamen – Forschungsinteressen dienten. Zum andern sollte – möglichst ‚am Ort’ in der Region selbst – Unterstützung für Sozialwissenschaftler in Südosteuropa geboten werden, die unter den dort beschränkten Umständen von Infrastruktur, Mobilität und internationalem Austausch Anstrengungen unternahmen, um ein wissenschaft-lich anspruchvolles akademisches Programm an oder neben den bestehenden Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu entwickeln, dafür geeignete Organisationsformen einzurich-ten und die infrastrukturellen Voraussetzungen für wissenschaftliche Forschung und Gradu-iertenausbildung zu verbessern. Das Engagement des WZB hatte sich dabei zunächst auf so-zial- und wirtschaftswissenschaftliche Netzwerke gerichtet, die einen Bezug zu den Arbeits-schwerpunkten des WZB aufwiesen und in ihrer Zusammensetzung oder ihrer vergleichenden Orientierung international angelegt waren. Im Jahr 2002 ergaben sich daraus bereits einzelne Projektkooperationen und die (gemeinsame) Beteiligung von Forschungsverbünden im Rah-men von Arbeitsprogrammen der Europäischen Union.

3.2. Durchführung von Konferenzen, Symposien und Sommerschulen in Berlin und Branden-burg sowie in der Balkan-Region

3.2.1. Berichtsjahr 1999

Im Rahmen der Balkan-Initiative hatte der Verbund Klinische Pharmakologie Ber-lin/ Brandenburg, der ein Modellprojekt in der Fördermaßnahme „Förderinitiative zur Inten-sivierung der klinisch-pharmakologischen Forschung an Hochschulen“ des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung (BMBF) darstellte, 20 junge Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler aus Mazedonien, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie Moldawien vom 17. bis 24. September 1999 zu einem wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch nach Berlin einge-laden. Auf einem ersten, im Rahmen der Balkan-Initiative am 18. September 1999 im Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch durchgeführten Symposi-

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um wurden klinisch-pharmakologische Forschungsprojekte auf den Gebieten der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Infektionskrankheiten und der Immunologie vorgestellt sowie Möglichkeiten einer Zusammenarbeit erörtert. Professor Dr. Randolf Menzel, seinerzeit Mit-glied des Vorstands der BBAW, vertrat die Balkan-Initiative im Rahmen dieses Symposiums mit einem Grußwort und stellte die Hilfsaktion und ihre Intentionen vor. Während ihres Auf-enthalts hatten die südosteuropäischen Wissenschaftler auch die Charité, das Universitätskli-nikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin, das Deutsche Herzzentrum Berlin und das Max-Delbrück Centrum für Molekulare Medizin mit der Franz-Volhard- und der Ro-bert-Rössle-Klinik besucht. Dabei sollten durch persönliche Kontakte gemeinsame wissen-schaftliche Aufgaben und Forschungsprogramme definiert und vorbereitet werden, um somit auch die gezielte Unterstützung von Wissenschaftlern aus der betroffenen Region zu beför-dern. Für fünf qualifizierte Wissenschaftler wurde im Rahmen der Stipendienvergabe des For-schungsverbundes Klinische Pharmakologie Berlin/ Brandenburg für jeweils drei Monate ein wissenschaftlicher Aufenthalt an den Einrichtungen des Verbundes ermöglicht, damit diese nach Rückkehr in die Einrichtungen ihrer Heimatländer die notwendigen klinischen Techno-logien bzw. wissenschaftlichen Forschungsprogramme aus eigener Kraft aufbauen konnten.

3.2.2. Berichtsjahr 2000

Vom 4. bis 5. Februar 2000 wurde am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin (Ar-beitsgemeinschaft Südosteuropa) ein Symposion zum Thema „Unverständlicher Balkan. Erb-schaften, Erblasten und Perspektiven einer europäischen Krisenregion“ durchgeführt.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte sich im Sommer 2000 an der Planung und Durchführung von zwei jeweils vierwöchigen „Sommerschulen“ beteiligt, die im August 2000 in Montenegro mit Teilnehmern aus zehn Ländern der Region stattfanden und Entwicklungsprobleme post-sozialistischer Länder aus soziologischer sowie aus ökono-mischer Perspektive zum Gegenstand hatten.

Bei den von Professor Dr. Hanfried Helmchen, emeritierter Direktor der Psychiatrischen Kli-nik und Poliklinik der Freien Universität Berlin und Mitglied der BBAW, und Professor Dr. Dr. Norman Sartorius, Département de Psychiatrie, Université de Genève und seinerzeit Prä-sident der World Psychiatric Association (WPA), in den Jahren 2000 bis 2002 im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft initiierten Berliner Sommer-schulen „Psychiatry as a Science“ handelte es sich um ein Programm zur Förderung des wis-senschaftlichen Nachwuchses in der Psychiatrie. Diese drei sogenannten Berlin Summer Schools „Psychiatry as a Science“ wurden im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2002 durch die VolkswagenStiftung finanziell gefördert; Veranstaltungsort war die BBAW, die zugleich als Gastgeberin fungierte. Vorbild für diese Veranstaltungsreihe war das von Professor N. Sarto-rius entwickelte „WPA Educational Programme on ‚The Professional Development of Young Psychiatrists’“, das sich nach Auffassung der Initiatoren vorzüglich in den Rahmen der Bal-kan-Initiative integrieren ließ.

Hauptziel der Sommerschulen war und ist es, die besten wissenschaftlich interessierten, jün-geren Nachwuchspsychiater aus dem mittleren und südöstlichen Europa mit aktuellen wissen-

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schaftlichen Entwicklungen ihrer Disziplin in Westeuropa am Beispiel ausgewählter Themen psychiatrischer Forschung (Alterspsychiatrie, Abhängigkeitserkrankungen, Psychiatrie in der allgemeinärztlichen Praxis, Psychiatrische Diagnostik) bekannt zu machen. Darüber hinaus sollten Kenntnisse zur Methodik (von der Hypothesenbildung und -prüfung bis hin zum pu-blikationsreifen Manuskript), zur Organisation (‚vertikale’ Verknüpfung von Grundlagen- und klinischer Forschung, ‚horizontale’ Interdisziplinarität) und zu den Rahmenbedingungen psychiatrischer Forschung (Ethik, Recht, Finanzierung) vermittelt werden. Insgesamt betrach-tet sollten die Nachwuchspsychiater dazu angeregt werden, Kenntnisse und Fertigkeiten für die Initiierung und Durchführung eigener Forschungsprojekte in der Psychiatrie zu erwerben und anzuwenden. Gleichzeitig sollten sie auch die Möglichkeit haben, eigene Forschungs-ideen oder -projekte vorzustellen und zu diskutieren. Techniken des wissenschaftlichen Ar-beitens wurden in Seminarform vermittelt; nachgeordnete Nebenziele waren die mit der Form einer Klausurtagung verbundenen Möglichkeiten, sich einander über den Kontext der jeweili-gen Arbeit (Forschungsmöglichkeiten, Struktur und Gegebenheiten ihrer Weiterbildung) und die individuellen Ziele und Absichten eingehend zu informieren sowie ein Netzwerk für zu-künftige Zusammenarbeit zu bilden.

Zur „Berlin Summer School: Psychiatry as a Science“ wurde durch Anzeigen in den jeweils nationalen psychiatrischen Zeitschriften, im Internet, auf Tagungen und über Netzwerke ein-geladen. Neben Selbstbewerbungen wurden Nominierungen von der EFPT, von den Leitern der psychiatrischen Universitätskliniken sowie von den Präsidenten der wissenschaftlichen Fachgesellschaften erbeten. Die jeweils pro Land ein bis zwei besten Kandidaten sollten in erster Linie aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, dem Kosovo, Mazedonien, Serbi-en und Montenegro, Slowenien, aber auch aus Bulgarien, Moldawien, Polen, Rumänien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn kommen.

Die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative war bei der Durchführung der drei Sommerschulen „Psychiatry as a Science“ in administrativer und organisatorischer Hinsicht unterstützend tätig (Bereitstellung eines Konferenzsekretariats, das durch die Studentischen Hilfskräfte der Ge-schäftsstelle betreut wurde; Reservierung von Tagungsräumen; Hotelbuchungen etc.).

Die erste Berliner Sommerschule Psychiatrie fand vom 26. August bis 1. September 2000 im Akademiegebäude statt. Insgesamt wurde diese erste Sommerschule, die unter der Leitung von Professor H. Helmchen und Professor N. Sartorius stand, von den 15 aus Süd- und Osteu-ropa eingeladenen jungen Psychiaterinnen und Psychiater sehr positiv beurteilt – mehrere Teilnehmer – besonders aus Serbien und Montenegro – machten deutlich, daß diese Tagung ihnen wieder Hoffnung gemacht habe. Im einzelnen kamen die Nachwuchswissenschaftler aus folgenden Ländern: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Estland, Kroatien, Rumänien, Ser-bien und Montenegro, Tschechien und Ungarn.

Darüber hinaus fand am 29. August 2000 im Rahmen der ersten Sommerschule „Psychiatry as a Science“ auch ein Rundtischgespräch zum Thema „Problems and Perspectives of the Deve-lopment of Science in Europe“ unter Beteiligung des damaligen Präsidenten der Freien Uni-versität Berlin, Professor Dr. Peter Gaehtgens, des Initiators des European College of Liberal Arts, Stefan Gutzeit M.A., des seinerzeitigen Präsidenten der „Europäischen Psychiater in

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Ausbildung“, Dr. Kai Treichel, der Geschäftsführerin der Schering Forschungsgesellschaft mbH, Dr. Monika Lessl, sowie der Moderatoren der Sommerschule statt.

Das im November 1999 in Tirana zum Thema „Rekonstruktion ziviler Gesellschaft und Ge-meinwesenplanung auf dem Balkan“ veranstaltete Symposion, an der das Institut für Regio-nalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner (in Verbindung mit der Brandenburgi-schen Technischen Universität Cottbus), das Institut für Genossenschaftswesen der Hum-boldt-Universität zu Berlin und das Frankfurter Institut für Transformationsforschung an der Europa-Universität Viadrina beteiligt waren, fand im September 2000 eine erste Fortsetzung in Ohrid (Mazedonien). Es nahmen Wissenschaftler aus verschiedenen westeuropäischen Ländern und allen Balkan-Staaten teil; das Projekt beinhaltete auch die Vergabe von Stipen-dien für Studienaufenthalte in Deutschland.

3.2.3. Berichtsjahr 2001

Am 1. und 2. Juni 2001 veranstaltete das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in Budapest einen Workshop zur Erörterung gemeinsamer Arbeitsinteressen mit dem Ziel von Projektkooperationen und der Vorbereitung von Förderanträgen zwischen den in Sofia und Belgrad/ Budapest gebildeten Netzwerken jüngerer Wissenschaftler sowie der Ab-teilung „Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung“ des WZB. Darüber hinaus fand eine Semi-narreihe zu Transformationsproblemen postsozialistischer Länder mit internationaler Beteili-gung und disziplinenübergreifenden Bezügen als Teil des Postgraduierten-Ausbildungsprogramms des Belgrader „Alternative Academic Educational Network (AAEN)“ (geleitet von Professor Dr. Mladen Lazi�) in Ergänzung der Hochschullehre an der Universität Belgrad statt. Das WZB beteiligte sich fernerhin an der Förderung und Durchfüh-rung einer Konferenz über die Problemlagen und Entwicklungsperspektiven der (Sozial-) Wissenschaften in Südosteuropa (Ende Mai 2001) und animierte sozialwissenschaftliche For-schungskooperationen im Rahmen der bestehenden Förderprogramme der Europäischen Uni-on. Darüber hinaus inaugurierte das WZB eine Kolloquienreihe zur gesellschaftlichen, wirt-schaftlichen und politischen Lage sowie zu sozialwissenschaftlichen Problemstellungen in Südosteuropa. Fernerhin führte das WZB eine Konferenz zur Situation der Politikwissen-schaft in Südosteuropa (Danica Fink-Hafner, Ljubljana; Hans-Dieter Klingemann, Berlin) durch.

Vom 26. August bis 1. September 2001 fand die Second Berlin Summer School „Psychiatry, as a Science“ in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt. Die – wie bereits im Vorjahr – von Professor H. Helmchen sowie von Professor N. Sar-torius initiierte einwöchige Sommerschule wurde erneut durch die VolkswagenStiftung finan-ziert. Sie stand wieder unter der Leitung von H. Helmchen und N. Sartorius sowie von Profes-sor Dr. Andreas Heinz, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit an der Universitätsklinik Mannheim. Als Dozenten wirkten außerdem Professor Dr. John Cooper (Nottingham), Pro-fessor Dr. Sir David Goldberg (London) sowie Professor Dr. Michael Linden und PD Dr. Friedel M. Reischies aus Berlin mit. Aus rund 40 Bewerbungen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Polen, Rumänien, Serbien und Montenegro, Ungarn sowie Weißrußland konnten 13 Nachwuchspsychiater aus-

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gewählt werden. Die Teilnehmer wurden mit aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen der Psychiatrie in Westeuropa bekannt gemacht. Am Beispiel ausgewählter Themen gegenwärti-ger psychiatrischer Forschung wurden Kenntnisse zu Methodik und Organisation sowie zu den Rahmenbedingungen psychiatrischer Forschung vermittelt. Auch durch diese zweite Sommerschule konnte das forschungsorientierte Netzwerk der jungen, wissenschaftlich inter-essierten Psychiater in Südosteuropa und der westeuropäischen Psychiatrie weiter ausgebaut werden. Der Stoff wurde fast ausschließlich interaktiv in vielfältigen Übungen praxisnah vermittelt. Gemäß den Intentionen der Veranstalter und Referenten sollten die Ergebnisse der Diskussionen und das erweiterte Wissen durch die beteiligten Nachwuchswissenschaftler wiederum als befruchtende Impulse in die psychiatrische Arbeit der jeweiligen Heimatländer und -institutionen getragen werden.

Das Institut für Informatik der Humbolt-Universität zu Berlin organisierte im September 2001 unter Beteiligung der Universitäten Novi Sad, Skopje, Plovdiv, Belgrad, Niš und Kragujevac in Novi Sad (Serbien und Montenegro; autonome Provinz Wojwodina) einen Workshop mit dem Thema „Software Engineering Education and Reverse Engineering“.

3.2.4. Berichtsjahr 2002

Im Anschluß an den Erfolg der ersten beiden Berlin Summer Schools „Psychiatry as a Scien-ce“, die in den beiden Vorjahren im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Branden-burger Wissenschaft beantragt und jeweils von der VolkswagenStiftung gefördert worden waren, konnte in der Zeit vom 13. bis 17. November 2002 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine “Third Berlin Summerschool ‘Psychiatry as a Science’“ durchgeführt werden, die wiederum mit Mitteln der VolkswagenStiftung realisiert wurde. Die von Professor H. Helmchen und Professor N. Sartorius mit dem Ziel der Vertiefung ihrer Er-fahrungen in Forschung und Praxis initiierte dritte Sommerschule wurde als advanced course für die 15 besten Teilnehmer der ersten beiden Sommerschulen durchgeführt und stand wie-der unter der Leitung von H. Helmchen und N. Sartorius sowie von Professor Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Teilnehmer dieser dritten Sommerschule kamen aus acht Staaten Südost- und Mitteleuropas, nämlich aus Albanien, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Polen, Rumänien, Serbien und Montenegro sowie aus Tschechien. Es wurden die fünf folgen-den Schwerpunkte gebildet: „Posttraumatic stress disorders/ Quality of life; Evaluation of psychiatric care; Addiction; Neuroimaging sowie Competence of psychiatric patients to give informed consent“. Wie bereits in den beiden Vorjahren, so fand auch die „Third Berlin Summerschool ‘Psychiatry as a Science’“ bei den Teilnehmern eine überaus positive Reso-nanz: Darüber hinaus entstand aus der Gruppe selbst heraus die Initiative, ein Netzwerk mit dem Namen E-EPSI (= Eastern European Psychiatric Scientific Initiative) zu bilden, das sich mit einem ersten, an zehn verschiedenen Orten durchgeführten gemeinsamen Forschungspro-jekt konstituiert hat. Die Teilnehmer betonten übereinstimmend, daß diese Sommerschule für ihre wissenschaftlich-berufliche Entwicklung von kaum zu unterschätzender Bedeutung war und daß auch weitere junge Psychiater aus Osteuropa die Chance erhalten sollten, westeuro-päische wissenschaftliche Standards kennenzulernen. Aus diesem Grunde wurde eine Weiter-

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führung der „Berlin Summer School Psychiatry as a Science“ in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angestrebt.

Im Berichtsjahr 2002 fanden mit Unterstützung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozial-forschung (WZB) in Südosteuropa folgende beiden Sommerschulen statt: Vom 20. bis 30. Juni 2002 organisierte Professor Dr. Nikolai Genov in Sofia eine von der UNESCO getragene Summer School über Konzeptionen und Modelle vergleichender Forschung in den Sozialwis-senschaften, an der auch Wissenschaftler aus Übersee teilnahmen. Im Rahmen eines Gradu-ierten-Programms des Belgrader Alternative Academic Educational Network (AAEN) leitete Professor Mladen Lazi� (Belgrad/ Podgorica) vom 25. August bis 5. September 2002 eine Summer School in der Wojwodina über „Post-socialist transformation in countries of South-Eastern-Europe“. An der Veranstaltung nahmen Universitätsprofessoren und Studenten aus Serbien und Montenegro, Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina teil.

3.3. Organisation und Durchführung der „Balkan-Rundtische“

3.3.1. Berichtsjahr 2000

Vor dem Hintergrund der seit Oktober 2000 mit dem Sieg der demokratischen Opposition veränderten politisch-gesellschaftlichen Situation in Serbien (der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien) hatten die Präsidenten der Akademie der Künste und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dr. György Konrád und Professor Dr. Dieter Simon, ein „Balkan-Rundtischgespräch“ vorbereitet, zu dem sie vom 10. bis 12. De-zember 2000 einen rd. 30 Personen umfassenden Kreis von Künstlern und Wissenschaftlern aus dem Balkanraum und angrenzenden Staaten nach Berlin eingeladen hatten.

Teilnehmer des Gesprächs waren: Mihail Arandarenko (Soziologe, Belgrad/ Budapest), Egon Bahr (Berlin), Hans Christoph Buch (Schriftsteller, Berlin), Mircea Cartarescu (Schriftsteller, Bukarest/ Budapest), Jovan �irilov (Theaterregisseur, Belgrad), Bora �osi� (Schriftsteller, Belgrad/ Berlin), Branko Despot (Zagreb), Ji�i Dienstbier (Außenminister a.D., Prag), Yehuda Elkana (Wissenschaftsphilosoph, Rektor der Central European University CEU, Budapest), Nikolai Genov (Soziologe, Sofia), Sinan Gudževi� (Publizist/ Übersetzer, Zagreb), Alexander Ivkovac (Medienwissenschaftler, Novi Sad/ Frankfurt/ Oder), Dušan Janjic (Rechtswissen-schaftler, Belgrad), Mladen Lazi� (Soziologe, Belgrad), Ljubomir Maksimovi� (Byzaninist, Belgrad), Dunja Mel�i� (Philosophin/ Publizistin, Frankfurt am Main), Stefan Meßmann (Pro-rektor der Central European University, Budapest), Amanda Michalopoulou (Schriftstellerin, Athen), Slobodan Prosperov Novak (Literaturwissenschaftler, Zagreb), Laszlo Rajk (Archi-tekt, Budapest), Vesna Raki�-Vodineli� (Rechtswissenschaftlerin, Belgrad/ Berlin), Bosiljka Schedlich (Publizistin, Kroatien/ Berlin), Peter Schneider (Publizist, Washington), Svetlana Slapšak (Historikerin, Belgrad/ Ljubljana), Srbijanka Turajli� (Ingenieurwissenschaftlerin, Belgrad), Vera Vasiljevi� (Ägyptologin, Belgrad) und Laszlo Vegel (Schriftsteller/ Publizist, Novi Sad).

Von dieser Gemeinschaftsveranstaltung, welche die BBAW ihrerseits auch als einen eigen-ständigen Beitrag zur Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft durch-

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führte, erhofften sich beide Berliner Akademien eine hohe Symbolwirkung für Kultur und Wissenschaft in den Staaten der Balkanregion und Südosteuropas. Sie sollte den Teilnehmern nach dem Ende des Miloševi�-Regimes die Möglichkeit eröffnen, sich über die Herausforde-rungen, Chancen und Aufgaben Intellektueller im Prozeß der Demokratisierung der Gesell-schaft zu verständigen. Ziel war es, die Situation auf dem Balkan in einer gesamteuropäischen Perspektive zu erörtern: Die Kultur des Gesprächs unter Intellektuellen verschiedener Länder, Religionen und Weltanschauungen sollte beispielhaft für den Umgang miteinander sein; zu-dem sollten sowohl bestehende Gegensätze mit aller Offenheit thematisiert als auch Anstöße für neue Wege gegeben werden. Der Intention der Veranstalter gemäß wurde versucht, dem bisherigen Gegeneinander der Politiker durch das Miteinander der intellektuellen Eliten des heutigen Serbiens und Montenegros und der Nachbarländer ein Korrektiv entgegenzusetzen: Was ist der Balkan, und wie wird dort die Zukunft aussehen? Inwieweit ist für das jetzige Selbstverständnis und in Anbetracht der Verantwortung für zukünftige Generationen eine Aufarbeitung der Geschichte notwendig? Worin besteht die Rolle der Intellektuellen? Wel-chen Platz haben sie in der Gesellschaft, und welche Verantwortung tragen sie?

Nach Auffassung der Gesprächsteilnehmer sind die jungen Demokratien auf dem Balkan in dieser von Minderheiten geprägten Region mit ganz besonderen Problemen konfrontiert: Ent-sprechend wurde immer wieder als zentrale Frage aufgeworfen, wie ein Zusammenleben der verschiedenen religiösen, ethnischen und nationalen Gruppen erreicht werden kann. Die Inte-gration auch der südosteuropäischen Staaten in die Europäische Union wurde sowohl von den eingeladenen Teilnehmern als auch von den Gästen im Publikum für notwendig erachtet; es werde aber noch ein langer Prozeß sein, dessen Ende gegenwärtig nicht abzusehen ist. Des-halb regte Matthias Rüb (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Büro Budapest) in seiner Funktion als Moderator der Diskussionen am zweiten Tag an darüber nachzudenken, ob es Möglichkei-ten gebe, in der Region eine Art von Konföderation zu bilden, einen Dialog bzw. eine intel-lektuelle Kooperation vor dem Eintritt in die Europäische Union zu initiieren. In diesem Zu-sammenhang sprach sich die Mehrheit der Teilnehmer für eine Aufarbeitung der Vergangen-heit aus – man sei dies zukünftigen Generationen schuldig. Die Vergangenheitsbewältigung müsse zunächst bei jedem einzelnen selbst beginnen. Auch mit Blick auf die deutsche Erfah-rung forderte Akademiepräsident Dieter Simon, Lehren aus der Geschichte zu akzeptieren statt eine Schlußstrich-Ideologie zu vertreten. Unabhängig davon gebe es aber ganz aktuelle und unaufschiebbare Tagesaufgaben. So sei keine Zeit zu verlieren, um die Bildungs- und Ausbildungssituation zu verbessern. Das beinhalte auch entscheidende Veränderungen in der materiellen Ausstattung der Hochschulen. Schließlich gelte es, neue Eliten für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens heranzubilden, für die den Intellektuellen eine besondere Ver-antwortung zukäme. Als beispielhaft für alternative Ausbildungsmodelle wurde das Alternati-ve Academic Educational Network (AAEN) in Belgrad genannt. Zudem wurde auch davon gesprochen, daß sich die Menschen in Serbien in einer tiefen Identitätskrise befänden. Für einen Teilnehmer des Gesprächs hieß die neue Heimat schon jetzt ‚Balkan’. György Konrád rief zu einer Toleranzkultur auf und forderte die Achtung der an erster Stelle stehenden indi-viduellen Menschenrechte. Die Diskussion weitete sich auch auf verschiedene politische Mo-delle (wie z.B. auf eine Balkanförderation nach dem Schweizer Vorbild der „Kantonisie-rung“) aus und berührte ebenso ökonomische Fragen (wie die Schaffung einer Freihandelszo-ne für den Balkan). Von den Veranstaltern bzw. von deutscher und westeuropäischer Seite

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erwarteten die Teilnehmer aus Südosteuropa pragmatische Vorschläge zur Überwindung der Schwierigkeiten in ihren Ländern.

Als Ergebnis der zweitägigen, offen und kontrovers geführten Diskussion werteten die Teil-nehmer nicht allein die Möglichkeit des Dialogs, sondern sie forderten überdies einmütig konkrete Projekte für die Zukunft:

Der „Balkan-Rundtisch“ sollte verstetigt werden und an wechselnden Orten tagen. Diesbe-zügliche positive Signale gab es zum Zeitpunkt der ersten Veranstaltung aus den Hauptstädten Budapest, Bukarest und Ljubljana. Als potentieller Ort wurde darüber hinaus auch ein Regio-nalzentrum wie beispielsweise Novi Sad genannt; der Durchführung einer Tagung in Priština wurde fernerhin eine hohe Symbolwirkung beigemessen.

Der Rundtisch sollte einen gewissen Grad an Institutionalisierung gewinnen, ohne den Cha-rakter einer Expertenkommission anzunehmen. Seine Aufgabe als eine Art think tank sollte es sein, eine Auswahl von Themen vorzunehmen und deren Bearbeitung mit Kritik und Phanta-sie zu begleiten. Das besondere Potential der Intellektuellen lag nach Auffassung der beteilig-ten Gesprächspartner darin, sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzumischen und pragma-tische Vorschläge zu unterbreiten.

Es bestand Konsens unter den Teilnehmern darüber, daß folgende Themen für eine Fort-führung des Rundtisches lohnenswert sein könnten: Bildungsmodelle, Verfassungsgestaltung, Vergangenheitsaufarbeitung, Wirtschaftsfragen und -modelle sowie Beziehungen zwischen Raum- und Gemeinwesenentwicklung.

Nach Auffassung aller an dem ersten „Balkan-Rundtisch“ beteiligten Akteure wurde die Notwendigkeit raschen Handelns diagnostiziert, um eine Verbesserung der Bildungsmöglich-keiten zu erreichen sowie dem brain drain in der Balkanregion entgegenzuwirken. Die Aus-bildung der jungen Generation habe höchste Priorität beim Aufbau einer neuen, politisch-gesellschaftlichen Elite.

Dieser erste „Balkan-Rundtisch“ fand darüber hinaus ein erfreuliches Presseecho, das sich u.a. in entsprechenden Berichten im Berliner Tagesspiegel (Moritz Schuller, „Balkan heute. Wie weit öffnet Europa seine Tore? Eine Diskussion in der Berliner Akademie der Künste“, 15.12.2000), in der Frankfurter Rundschau (Martina Meister, „Freihandelszone des Denkens. In Berlin wollten Intellektuelle den Balkan dekontaminieren“; 15.12.2000) und der Berliner Zeitung (Volker Müller, „’Antipolitik’ vor dem EU-Wartezimmer. Der erste Balkan-Rundtisch der beiden berlin-brandenburgischen Akademien“; 14.12.2000) niederschlug.

3.3.2. Berichtsjahr 2001

Als Ergebnis der erstrebten Verstetigung des ersten Berliner „Balkan-Rundtisches“ fanden in den Jahren 2001 bis 2003 insgesamt sechs weitere Treffen („Balkan-Rundtische“) in Buda-pest, Novi Sad, Sofia, Bukarest, Belgrad und Berlin statt.

Der zweite „Balkan-Rundtisch“ tagte am 26. und 27. April 2001 in Budapest (Ungarn) zum Thema „Intellektuelle im Kontext der Balkan-Region“ und wurde in Zusammenarbeit mit der

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Central European University CEU, der European Cultural Foundation und dem Hungarian National Committee organisiert und von Professor Dr. Yehuda Elkana, Präsident und Rektor der Central European University, geleitet. Drei Themen standen im Mittelpunkt der Diskus-sionen: 1. „Before I make international contacts, I have to make order in my own house.”/ “Before I can make order in my own house, I have to make international contacts.” Which is the right approach?; 2. „Divided market – Common market and possibilities of intra-Balkan economic cooperation”; 3. „Between ivory tower and mere activism: Where is the intellect of SEE located?”. Als alarmierendes Zeichen werteten die Teilnehmer im Verlauf ihrer Gespräche u.a., daß der früheren Aufbruchstimmung in Südosteuropa eine Phase der Erschöpfung vieler engagierter Intellektueller gefolgt sei, die den brain drain ausgewiesener Wissenschaftler ebenso wie das Erstarken des Nationalismus beförderten. Dementsprechend seien Kommunikation und Partnerschaft nötig, denn erst, wenn man gelernt habe, sich gegen-seitig in allen Unterschieden zu akzeptieren, sei wirkliches Verständnis füreinander möglich.

Teilnehmer des „Balkan-Rundtisches“ waren: Sorin Antohi (Central European University), Halil Berktay, (Historiker, Istanbul), Filip David (Schriftsteller, Belgrad), Hans Christoph Buch (Publizist und Schriftsteller, Berlin), Terry Carlbom (International Secretary Internatio-nal PEN, Stockholm), Panayote Elias Dimitras (Sprecher Greek Helsinki Monitor), Yehuda Elkana (Rektor Central European University, Budapest), Vladimir Gligorov (Skopje), Zdrav-ko Grebo (Sarajevo), Christoph Hein (Deutscher P.E.N.), Huri Islamagda (Historiker, Istan-bul), Aleksandar Ivkovac (Medienwissenschaftler), Miljenko Jergovic (Schriftsteller, Za-greb/ Sarajevo), Alexander Kiossev (Kulturwissenschaftler, Sofia), György Konrád (Schrift-steller, Budapest/ seinerzeit Präsident der Akademie der Künste Berlin), Ivan Krastev (Polito-loge, Sofia), Fatos Lubonja (Schriftsteller, Tirana), Skhelzen Maliqi (Schriftsteller, Priština), Stephan Messman (Prorektor Central European University), Vintila Mihailescu (Anthropolo-ge, Bukarest), Dušan Necak (Historiker, Ljubljana/ Berlin), Albina Necak-Luek (Soziolingui-stin, Ljubljana/ Berlin), H. R. Patapievici (Schriftsteller, Bukarest), Nenad Popovic (Schrift-steller, Zagreb), Milorad Popovi� (Schriftsteller, Podgorica), Laszlo Rajk (Architekt, Buda-pest), Slobodan Snajder (Schriftsteller, Zagreb), Vesna Raki�-Vodineli� (Rechtswissenschaft-lerin, Belgrad), Matthias Rüb (Journalist, Deutschland), Hartmut Topf (Journalist, Berlin), Laszlo Vegel (Schriftsteller, Novi Sad), Dragan Velikic (Schriftsteller, Belgrad) und Arpad Vicko (Journalist, Novi Sad) (siehe Anlage 2: Bericht über den zweiten „Balkan-Rundtisch“).

Diesen Punkt griff auch der dritte „Balkan-Rundtisch“ zur Problematik der „Border Cultures“ auf, der vom 4. bis 6. Mai 2001 in Novi Sad stattfand. Das Gespräch wurde zusammen mit dem Multicultural Center und dem Open Society Institute veranstaltet und von Laszlo Vegel und Alpar Losoncz moderiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen von Schriftstellern, Literatur-kritikern, Essayisten, Universitätsprofessoren, Akademikern und Vertretern von Verlagen aus Ungarn, Deutschland, der Slowakei, Rumänien sowie aus Serbien und Montenegro standen die Probleme der Grenzidentität und die Phänomenologie der lokalen, kleinen Kulturen.

Teilnehmer des „Balkan-Rundtisches“ waren: Carl Bethke (Freie Universität Berlin), Michal Harpan (Universität Novi Sad), Eva Karádi, (Universität Budapest), Alpar Losoncz (Universi-tät Novi Sad, Universität Szeged/ Ungarn), Gabor Nemeth (Schriftsteller), Attila Pato (Uni-versität Szeged/ Ungarn), Szilard Podmaniczky (Schriftsteller), Viktoria Radics (Universität Belgrad), Laszlo Vegel (Schriftsteller), Pal Zavada (Schriftsteller) und Wilhelm Droste (Uni-

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versität Budapest). Fernerhin nahmen Studenten und Lehrer der „Special Alternative Studies” Novi Sad, des Invisible College, Cluj, sowie des Regional Center der Universität Szeged teil.

Folgende Zeitschriften und Magazine waren auf der Veranstaltung vertreten: Kalligram (Bra-tislava/ Slowakei; Laszlo Szigeti), Os (Bratislava; Peter Zajac), Domino (Bratislava; Stefan Chrib), A Treia Europa (Temesvar; Dorian Branea, Dan Nicolaescu), LKKT (Cluj; Andrea Gal, Andrea Virginas), Neue Literatur (Bukarest/ Frankfurt am Main; Gerhardt Csejka), Ex-Symposion (Palic-Veszprem; Viktoria Radics), Jelenkor Publisher (Gabor Csordas, Gabriella Koszta), Ex-Pompeji (Szeged; Attila Pato), Del-Magyarorszag (Szeged; Szilard Podmanicz-ky, Gabriella Bodo), Harom Hollo (Budapest; Wilhelm Droste), Lettre (Budapest; Eva Kara-di), Magyar Narancs (Budapest; Gabor Nemeth), Holmi (Budapest; Pal Zavada), Videopontes (Cluj; Marius Tabacu, Farkas Filip, Eva Koos), Habitus (Novi Sad; Alpar Losoncz) sowie Radio Novi Sad (Arpad Viczko) (siehe Anlage 3: Protokoll des dritten „Balkan-Rundtisches“).

Der vierte „Balkan-Rundtisch“ befaßte sich mit den „Problemen und Perspektiven der Sozi-alwissenschaften in Südosteuropa“. Er fand am 24. und 25. Mai 2001 in Sofia statt und wurde von der Union der Wissenschaftler in Bulgarien in Zusammenarbeit mit der Nationalen Kommission Bulgariens bei der UNESCO, dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Sofia, der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, dem Rat der Rektoren in Bulgarien, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) sowie dem Informationszentrum für Sozialwissenschaften veranstaltet und von Professor Dr. Nikolai Genov geleitet.

Der Rundtisch fand am Rande der Konferenz zu „Problemen und Perspektiven der Wissen-schaft in Südosteuropa“ (22. bis 27. Mai 2001, Sofia) statt, die von der UNESCO unterstützt wurde und als ein regionales follow-up der Weltkonferenz zu Problemen der Wissenschaft (Budapest, Juni 1999) zu verstehen war. Die BBAW wurde durch ihr Mitglied Professor Dr. Beate Kohler-Koch vertreten, die den Konferenzteilnehmern zugleich auch die Aktivitäten der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft vorstellte. Dieser Rundtisch diente ebenfalls der Verfestigung eines bereits bestehenden Netzwerks von Soziologen in Südosteuropa.

Teilnehmer dieses „Balkan-Rundtisches“ waren: Meltem Ahiska (Bogazici University, De-partment of Sociology, Istanbul/ Türkei), Simeon Angelov (UNESCO, Paris), Nina Bakarije-va (Sofia), Ulrike Becker (GESIS, Berlin), Zlatozar Boev (National Museum of Natural Hi-story, Sofia), Hinnerk Bruhns (Directeur de Recherche au CNRS/ Maison des Sciences de l’Homme, Paris), Pavel Buncak (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Institut für So-ziologie, Bratislava), Rositsa Chobanova (Union of Scientists in Bulgaria), Constantine Chri-stomanos (Universität Thessaloniki/ Griechenland), Damyan Damyanov (Präsident der Union of Scientists in Bulgaria), Nikolai Genov (Bulgarische Akademie der Wissenschaften, So-fia/ Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin), Paul de Guchteneire (UNESCO, Paris), Ioannis Kinnas (Athen), Beate Kohler-Koch (Universität Mannheim, Mitglied der BBAW), Volkmar Kreißig (Adviser, Ministry of Labour and Social Policy, Sofia), Anna Mantarova (Bulgarische Akademie der Wissenschaften, Sofia), Snejina Marinova (National Centre of Infectious and Parasitic Diseases, Sofia), Danilo Markovic (Universität Belgrad/ Serbien und

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Montenegro), Maxim Molhov (Bulgarische Akademie der Wissenschaften, Sofia), Igor Ne-delkovski (Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst, Bitola/ Mazedonien), Zhivko Nedev (Bulgarische Akademie der Wissenschaften, Sofia), Lidija Petkovska-Hristova (Institute of Sociological, Political and Legal Studies, Skopje/ Mazedonien), Ivan Popivanov (Bulgarische Akademie der Wissenschaften, Sofia), Ljubinko Pusic (Universität Novi Sad/ Serbien und Montenegro), Stoyan Ralev (Generalsekretär des Bulgarischen UNESCO-Nationalkomitees), Borut Roncevic (Universität Ljubljana, Slowenien), Natalija Schleinstein (IZ-Sozialwissenschaften, Berlin), Poliana Stefanescu (Universität Bukarest/ Rumänien), Svetla Stoeva (Institut für Soziologie, Sofia), Zdravko Stoynov (Bulgarische Akademie der Wissen-schaften, Sofia), Pal Tamas (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest), Valentina Teosa (Labor Institute of CSRM, Chishinau/ Moldawien), Georg Thurn (Wissenschaftszen-trum Berlin für Sozialforschung, WZB), Vladimitr Toromanov (Bulgarska Armia daily, So-fia), Borislav Toshev (Stellvertretender bulgarischer Wissenschaftsminister, Sofia), Kamen Velev (Sofia) und Nataliya Zadorozhnyuk (Ukrainische Botschaft, Sofia) (siehe Anlage 4: Bericht über den vierten „Balkan-Rundtisch“).

Auf Einladung des Rektors des New Europe College, Bukarest, Professor Dr. Andrei Ple�u, wurde der fünfte „Balkan-Rundtisch“ vom 13. bis 16. Dezember 2001 in der rumänischen Hauptstadt in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin zum Thema „Unsere merkwürdigen Städte“ durchgeführt. In dem diesbezüglichen Einladungsschreiben von An-drei Ple�u hieß es dazu: „Die multikulturelle Öffnung, das einmalig Pittoreske, die eigenartige Mischung von Ost und West, ein äußerst spezifischer Gemeinschaftsgeist, welcher archaische Traditionen und eigentümliche Varianten der Modernität verwertet – all dies definiert eine gleichzeitig homogene und diverse Landschaft, voll lehrreicher Substanz für die gegenwärtige europäische Problematik. Der Balkan ist das Ergebnis einer konfliktgeladenen Geschichte, die sich – paradoxerweise – auf dem Hintergrund einer tiefgehenden stilistischen, anthropologi-schen und – im weiten Sinne – kulturellen Gemeinschaft abspielte.“ Der Einladung nach Bu-karest waren Sozialwissenschaftler, Politologen und Künstler aus Südost- und Westeuropa gefolgt. In den Vorträgen und den sich anschließenden Diskussionen, die auch von Fellows des New Europe College sowie von Studenten, Schülern und Lehrern aus Bukarest besucht wurden, ging es sowohl um die Gemeinsamkeiten einer urbanen Kultur in Südosteuropa als auch um architektonische, soziale, demographische, wirtschaftliche sowie politische Entwick-lungen und Fragen in Städten der Balkan-Region, die in ihrer geschichtlichen und philosophi-schen Dimension wie auch in ihren pragmatischen Aspekten erörtert wurden. In diesem Zu-sammenhang wurde u.a. auch die Problematik der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ im Alltagsleben südosteuropäischer Städte thematisiert, die zu politischen, sozialen und ethni-schen Spannungen führe. Mehrere Referenten und Teilnehmer des Rundtischgesprächs beton-ten, daß Europa – indem es die alte Einheit des „Westens“ preisgebe und der „Osten“ sich zugleich neu orientiere – vor allem über die Beziehungen zwischen seinen Städten zu einer neuen Einheit finden müsse. Zudem würden zivilgesellschaftliche Merkmale wie Privatisie-rung, Individualisierung und Differenzierung für das Leben in den südosteuropäischen Städ-ten immer stärker prägend.

Teilnehmer des fünften „Balkan-Rundtisches“ waren: Bernd Borchardt (Deutsche Botschaft Bukarest), Silvano Custoza (Polytechnische Universität Mailand), Rozita Dimova (Stanford

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University, Stanford, CA, USA), Mihály Dobrovits (ELTE University, Budapest), Dogu Er-gil, Center for the Research of Societal Problems, Universität Ankara/ Türkei), Cigdem Berdi Gökhan (Cankaya University, Ankara), Sabine Habersack (Leiterin der Außenstelle Bukarest der Konrad-Adenauer-Stiftung), Augustin Ioan (University of Architecture and Urban Plan-ning/ Bukarest), Eva Karadi (Lettre Internationale, Budapest), Michael Kluth, (Filmregisseur, Metrovision Film, Bonn), György Konrád (seinerzeit Präsident der Akademie der Künste, Berlin/ Budapest), Péter Krastev (Central European University, Budapest), Manfred Mayer (Akademie der Künste, Berlin), Marion Neumann (Akademie der Künste, Berlin), Horia R. Patapievici (Schriftsteller, Bukarest), Radu Paun (Institute for South-East European Studies, Bukarest), Andrei Ple�u (Rektor des New Europe College, Bukarest), Armin Pongs (Dilemma Verlag, München), Laslo Rajk (Budapest Academy of Film), Karl Schlögel (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/ Oder), Vladimír Šlapeta (Tschechische Technische Universi-tät Prag) und Ana-Maria Zahariade („Ion Mincu“ University of Architecture and Urban Plan-ning, Bukarest).

Die Rundtische des Jahres 2001 konnten vor allem dank der finanziellen Unterstützung durch die Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz HRK (Bonn) durchgeführt wer-den, die Mittel im Rahmen ihrer Förderung hochschulpolitischer Projekte in Südosteuropa bereitgestellt hatte. Der Bukarester Rundtisch wurde darüber hinaus durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (Bukarest), LUXTEN Lighting Co. und den Stifterverband für die Deut-sche Wissenschaft (Essen) unterstützt.

3.3.3. Berichtsjahr 2002/ 2003

Ein ursprünglich als fünfter „Balkan-Rundtisch“ geplantes Treffen von Bürgermeistern aus 16 südosteuropäischen und sechs mittel- und osteuropäischen Städten, zu dem der Oberbürger-meister von Budapest, Dr. Gabor Demszky, einzuladen beabsichtigte, konnte aufgrund von Terminschwierigkeiten nicht stattfinden.

Innerhalb des Veranstaltungszyklus der „Balkan-Rundtische“ fanden im Frühjahr 2003 noch zwei Folgeveranstaltungen der Balkan-Initiative statt, die eigentlich für das Vorjahr geplant waren, aber aus Termingründen nicht mehr realisiert werden konnten: Im Rahmen der von der Akademie der Künste und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften initi-ierten „Balkan-Rundtische“ versammelten sich vom 11. bis 14. April 2003 Intellektuelle, Wissenschaftler und Künstler am Belgrader Center for Cultural Decontamination zu einer internationalen Konferenz über das Thema „New Patriotism: Left, Right, East, West“. Dabei ging es u.a. um Definitionen von Formen des sogenannten „neuen Patriotismus“ in den Bal-kanländern, um Probleme und Erwartungen im Kontext politischer und gesellschaftlich-kultureller Systemveränderungen sowie um „Lehren“ aus der deutschen Wiedervereinigung. Die Konferenz wurde gemeinsam von der Akademie der Künste, dem Goethe-Institut Inter Nationes, dem Swedish PEN-Center und der BBAW unterstützt, die ihrerseits in Belgrad durch ihr Mitglied Professor Dr. Susan Neiman vertreten wurde. Nach Angaben der Organisa-toren wurde in den Medien Serbiens und Montenegros – vor allem im Fernsehen und im Ra-dio – ausführlich über diese Veranstaltung berichtet.

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Teilnehmer des fünften „Balkan-Rundtisches“ waren: Lena Andersson (Schriftstellerin, Mit-glied des schwedischen PEN, Schweden), Vladimir Arsenijevic (Schriftsteller, Bel-grad/ Serbien und Montenegro), Srdjan Bogosavljevic (Direktor, Strategic Marketing, Bel-grad), Ivan Colovic (Ethnologe, Belgrad), Filip David (Schriftsteller, Belgrad), Adem Demaqi (Vorsitzender des Council for Defense of Human Rights and Freedom, Priština/ Kosovo), Ljiljana Dufgran (Präsidentin des schwedischen PEN Center, Schweden), Drinka Gojkovic (Direktor, Documentation Center 1991-1999 Wars, Belgrad), Christian Hellbach (Deutsche Botschaft, Belgrad), György Konrád, (damaliger Präsident der Akademie der Künste, Berlin), Radomir Konstantinovic (Philosoph, Belgrad), Ivan Krastev (Direktor, Center for Liberal Strategies, Sofia/ Bulgarien), Fatos Lubonja (Schriftsteller und Herausgeber, Tira-na/ Albanien), Nebojsa Medojevic (Direktor, Center for Transition, Podgorica/ Serbien und Montenegro), Vintila Mihailesku, Rastko Mocnik (Soziologe, Ljubljana/ Slowenien), Adolf Muschg (heutiger Präsident der Akademie der Künste, Berlin), Gerald Nagler (Vorsitzender des Swedish Helsinki Committee for Human Rights, Stockholm), Monica Nagler (vormalige Präsidentin des schwedischen PEN Center), Susan Neiman (Direktorin des Einstein Forums, Potsdam; Mitglied der BBAW), Nebojsa Popov (Herausgeber des „Republika“-Magazins, Belgrad), Nenad Popovic (Übersetzer und Verleger, Durieux Zagreb/ Kroatien), Arne Ruth (Publizist und Board Member des Swedish Helsinki Committee for Human Rights, Stock-holm), Milko Stimac (G-17 Institut, Belgrad), Gellert Tamas (Schriftsteller und Journalist, Schweden), Hans-Georg Thönges, (Goethe-Institut, München), Laszlo Vegel (Schriftsteller, Novi Sad), Ivan Vejvoda (Außenpolitischer Berater, Büro des Premierministers, Belgrad) und Jacek Zakowski (Publizist, Polen).

Den Abschluß der „Balkan-Rundtische“ innerhalb der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft bildete ein Podiumsgespräch zum Thema „Was bewegt den Balkan? Südosteuropas Erfahrungen und Perspektiven“, das von der Alfred Herrhausen Ge-sellschaft für Internationalen Dialog und der Akademie der Künste in deren Reihe „Europa in der Welt – Die Welt in Europa“ gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorbereitet wurde.

Teilnehmer des Gesprächs, das am 2. Juni 2003 im Leibniz-Saal der BBAW stattfand, waren Dr. Erhard Busek, Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa (Brüssel), Pro-fessor Dr. Michael Daxner, ehemaliger UNMIK-Verantwortlicher für Bildung und Wissen-schaft im Kosovo (Oldenburg/ Wien), Predrag Matvejevi�, Schriftsteller und Literaturwissen-schaftler (Paris/ Rom) sowie Vida Ognjenovi�, Dramatikerin und Regisseurin, Botschafterin Serbiens und Montenegros in Norwegen (Belgrad/ Oslo).

Das Podiumsgespräch wurde von Akademiepräsident Dieter Simon moderiert; Dr. György Konrád, Ehrenpräsident der Akademie der Künste, führte in die Thematik des Abends ein. Kernpunkt des Gesprächs war eine gemeinsame Erörterung der seinerzeit von Andrei Ple�u formulierten Frage „Wollen wir den Balkan ‚retten’, nur weil wir Ruhe im europäischen Ge-höft haben wollen, oder weil es etwas auf dem Balkan gibt, das zu retten wert ist?“. Was kön-nen seine Nachbarn von dem jahrhundertealten, nie spannungsfreien Zusammenleben ver-schiedener Gruppen lernen? Lassen sich gegenwärtige Entwicklungen hin zu ethnischer Ent-mischung und homogenen Nationalstaaten aufhalten? Haben die balkanischen Städte und Re-gionen trotz dieser Entwicklungen gegenüber ihren westlichen Nachbarn einen Vorsprung in

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der Gestaltung multikultureller Gesellschaften? Sind ihre zivilisatorischen Leistungen für das Zusammenfinden verschiedener Gruppen, im Bildungswesen und in der Kultur- und Wissen-schaftspolitik, bei der Förderung des Ideenaustauschs mitunter nicht schon beispielgebend für den Westen? Was bewirkt die finanzielle Unerstützung der Europäischen Union im Rahmen des Stabilitätspaktes? Gerät der südöstliche Rand Europas angesichts neuerer Konflikte in der Welt in Vergessenheit?

Diese komplexen Fragestellungen ermöglichten einen ausgewogenen Dialog über eine Reihe für die Balkan-Region wichtiger Aspekte: Zum Beispiel über verbreitete und historisch ge-wordene ‚Balkanklischees’ und -metaphern, die Ursachen und politisch-gesellschaftlichen Auswirkungen der (jüngsten) Balkankriege, die Beiträge der Balkanregion zum europäischen Kulturerbe und die europäische Verantwortung für den Balkan, die wirtschaftliche und soziale Situation der dort lebenden Menschen sowie die Zukunftshoffnungen und -perspektiven für diese Region Europas. Im Radio gab es mehrere und ausführliche Berichte über das gut be-suchte Podiumsgespräch, dessen Gegenstände damit auch einer größeren Öffentlichkeit zu-gänglich werden konnten.

Die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative war an allen „Balkan-Rundtischen“ aktiv beteiligt: Dies betraf hauptsächlich die anfallenden, vielfältigen Aufgaben der Koordination und Orga-nisation, die im Vorfeld und im Kontext der Nachbereitung der einzelnen Rundtische erfor-derlich wurden, sowie die verantwortliche Mitteleinwerbung und Mittelbewirtschaftung.

3.4. Wissenschaftliche Kooperationen und andere wissenschaftliche Projekte

3.4.1. Berichtsjahr 1999

Unter dem Titel „Tirana – Rekonstruktionsstrategien ziviler Gesellschaft auf dem Balkan (Reisebericht & Perspektiven der Kooperation)“ hatte vom 29. November bis 3. Dezember 1999 im Rahmen der Balkan-Initiative, der CSDnet-Initiative des Instituts für Regionalent-wicklung und Strukturplanung (IRS) Erkner, und dem Europäischen Netzwerk für Woh-nungsforschung (ENHR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eine Reise nach Tirana (Albanien) stattgefunden, die drei Ziele hatte: 1) Mitarbeit bei einer wissenschaftlichen Tagung über die gemeinwesenorientierte planerische Bearbei-tung des schnellen und chaotischen Wachstums der Stadtregion von Tirana und die zivilge-sellschaftliche Entwicklung im Transformationsprozeß der albanischen Gesellschaft, welche von der Partnerorganisation des IRS, CoPLAN – einer albanischen intermediären Agentur für community-planning und regionale Entwicklungsforschung –, in Zusammenarbeit mit ver-schiedenen Wissenschafts- und Verwaltungsorganisationen ausgerichtet wurde, 2) Erkundung von Perspektiven der projektorientierten Zusammenarbeit zwischen Berliner und Branden-burger sowie albanischen Wissenschaftseinrichtungen auf Feldern der zivilgesellschaftlichen Entwicklung in gemeinsamen Forschungsvorhaben, in der Lehre und durch Personalaus-tausch, 3) eine Verstetigung des raumwissenschaftlichen Diskurses auf dem Balkan durch die weitere Vorbereitung der Tagung „Zivilgesellschaftliche Entwicklung und Selbsthil-fe/ Selbstorganisation bei der Lösung von Wohnungsproblemen“ für das Jahr 2000 mit Teil-nehmern aus allen Balkanstaaten.

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Mit Thomas Knorr-Siedow (IRS), Henning Nuissl (seinerzeit Mitarbeiter eines Forschungs-vorhabens am Frankfurter Institut für Transformationsforschung (FIT) der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder) und Raimund Reintjes (seinerzeit Institut für Genossenschaftswe-sen der Humboldt-Universität zu Berlin) hatten drei Regionalwissenschaftler aus Berlin und Brandenburg im Rahmen der Initiativen des BMBF („Stabilitätspakt für Südosteuropa“) die Gelegenheit, anläßlich der o.g. Tagung über die zivilgesellschaftliche Entwicklung und Ge-meinwesenplanung mögliche Perspektiven einer Wiederbelebung bzw. Vertiefung der wis-senschaftlichen Kooperation mit Institutionen in Albanien und anderen Ländern des Balkans zu eruieren. Die Veranstaltung machte dabei sowohl die Schwierigkeiten der sozialen und räumlichen Entwicklung deutlich als auch die endogenen Potentiale, welche durch wissen-schaftlich gestützte Gemeinwesenansätze aktivierbar sind.

Für die Unterstützung der Vorbereitung der Reise und auch der Umsetzung der Ergebnisse galt der besondere Dank der Veranstalter der Geschäftsstelle Balkan-Initiative.

3.4.2. Berichtsjahr 2000

Im Berichtsjahr 2000 wurden seitens der wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg keiner anderweitigen wissenschaftlichen Kooperationsvorhaben und Projekte im Kontext der Balkan-Initiative betrieben.

3.4.3. Berichtsjahr 2001

Das Wissenschaftskolleg zu Berlin leistete auch im Berichtsjahr 2001 weitere substantielle Unterstützungs- und Vermittlungsarbeit für die Balkanländer, wie insbesondere für das Blue Bird-Projekt des bulgarischen Politologen Dr. Ivan Krastev. Für das von der VolkswagenStif-tung finanzierte dreijährige Gruppenprojekt (2000 – 2003) „Sofia Academic Nexus“, in dem sich Forscherinnen und Forscher aus der Region mit Fragen der regionalen Identität befaßten, hatte das Wissenschaftskolleg zu Berlin seinerseits die Patenschaft übernommen. In diesem Gruppenprojekt wurden hervorragende Nachwuchswissenschaftler gefördert; zudem wurde auf eine multi-nationale Zusammensetzung der Gruppe besonderer Wert gelegt. Des weiteren konnten auch im Jahr 2001 die seit langem andauernden Kooperationen mit dem ungarischen und rumänischen „Institute for Advanced Study“, dem Collegium Budapest und dem New Europe College, Bukarest, fortgeführt werden. Bei der Gründung und Entwicklung eines bul-garischen „Institute for Advanced Study“ in Sofia konnte seitens des Wissenschaftskollegs zu Berlin administrative Hilfestellung gegeben werden.

Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder hat ihrerseits die Initiative zum Aufbau eines Südosteuropäischen Medienzentrums (Southeast-European Media Center) in Sofia er-griffen. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame akademische Weiterbildungseinrichtung der Europa-Universität Viadrina und der St. Kliment Ohridski-Universität Sofia (Bulgarien). Beide Partner bieten dort den postgradualen Studiengang „Medien und interkulturelle Kom-munikation“ für Postgraduierte aus allen Ländern Südosteuropas und der Europäischen Union an, die im Arbeitsbereich Medien in Südosteuropa tätig sind oder zukünftig aktiv sein wollen. Die primäre Zielgruppe sind Journalisten und sonstige Multiplikatoren im Medienumfeld aller

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südosteuropäischen Länder, die an einer kompakten akademischen Weiterbildung im Schnitt-feld Medien, Konfliktbearbeitung, interkulturelle Kommunikation und Südosteuropakunde interessiert sind. Das Projekt wird aus deutschen Beiträgen zum internationalen Stabilitätspakt für Südosteuropa gefördert. In ergänzendem Zusammenhang mit diesem Projekt stand für die Europa-Universität Viadrina auch die Durchführung des internationalen Graduiertenkollegs „Medientransformationsprozesse, Gesellschaftlicher Wandel und Demokratisierung in Süd-osteuropa“ des Center for Advanced Central European Studies an der Viadrina mit acht Post-graduierten aus verschiedenen Ländern Südosteuropas.

Eine weitere Abrundung des Engagements der Europa-Universität Viadrina in Südosteuropa stellte die Beantragung und Einrichtung des „Elias-Canetti-Lehrstuhls für interkulturelle Süd-osteuropa-Studien“ an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität dar. Dieser Gast-lehrstuhl wird im Rahmen des DAAD-Gastdozentenprogramms (Förderung ausländischer Gastdozenten zu Lehrtätigkeiten an deutschen Hochschulen) für die Dauer von vier Jahren gefördert und soll an der Viadrina ein Angebot im Bereich der interkulturellen Südosteuropa-Studien aufbauen. Der Name „Elias-Canetti-Lehrstuhl“ soll dabei die zugrunde liegende Pro-grammatik und das Profil zum Ausdruck bringen, da der an der bulgarisch-rumänischen Grenze geborene Literatur-Nobelpreisträger E. Canetti heute mit seinem Namen für multikul-turelle Vielfalt steht. Über seine jeweiligen Inhaberinnen und Inhaber, die Inhalte der Lehre und die Formen der Veranstaltungen soll durch den Lehrstuhl Interkulturalität auf einem ho-hen Niveau garantiert werden.

Historiker des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin erarbeiteten im Berichtsjahr 2001 mit Kollegen aus Südosteuropa im Rahmen des Projektes „Geschichte Südosteuropas als europäische Geschichte“ ein Seminarkonzept und ein „problemorientiertes Lesebuch“ für das Geschichtsstudium an südosteuropäischen Hochschulen. Das Projekt wurde im September 2001 mit dem ersten von insgesamt sechs Intensivkursen zu dem Problem des kritischen und selbstreflexiven Umgangs mit der Vergangenheit in den südosteuropäischen Gesellschaften eröffnet (Titel: „Umgang mit der Vergangenheit – Geschichte und Vergangenheitspolitik in Südosteuropa“). An dem Kurs nahmen 21 Historiker aus Bulgarien, Deutschland, Mazedoni-en, Rumänien, dem Kosovo und Serbien teil.

Das Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin (Professor Dr. Klaus Bothe) beteiligte sich im Rahmen des DAAD-Sonderprogramms „Akademischer Neuaufbau Südost-europa“/ Stabilitätspakt 2001 am Aufbau eines multinationalen Projekts unter Beteiligung der Universitäten Novi Sad, Skopje, Plovdiv, Belgrad, Niš und Kragujevac. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehörte in diesem Zusammenhang die Organisation eines Workshops zum The-ma „Software Engineering Education and Reverse Engineering“, der im September 2001 un-ter Beteiligung der oben genannten Universitäten in Novi Sad stattfand. Zur Anbahnung wis-senschaftlicher Kontakte nahm das Institut für Informatik darüber hinaus im März 2001 an einer deutsch-französischen Delegationsreise der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) nach Serbien teil, der die Teilnehmer an die Universitäten Novi Sad, Niš und Kragujevac führte. Im November 2001 fand eine Delegationsreise der HRK nach Mazedonien (Skopje und Bitula) statt, die ebenfalls der Anknüpfung wissenschaftlicher Beziehungen diente.

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Das Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin (Professor Dr. Barbara Kunz-mann-Müller) unterhält Beziehungen zur Universität Zagreb, die ihrerseits über einen beste-henden Universitätsvertrag geregelt sind. Der Austausch von Wissenschaftlern zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Belgrad wurde in den vergangenen Jah-ren vorwiegend aufgrund privater Beziehungen zu serbischen Wissenschaftlern, aber auch im Rahmen des seit 1996 bestehenden interuniversitären Partnerschaftsvertrages realisiert. Auf der zuerst genannten Grundlage fanden seit Jahren wiederholt – so auch im Dezember 2001 – Vorträge von in Deutschland weilenden serbischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern statt. Die ursprünglich für 2001 geplante Einladung eines serbischen Wissenschaftlers zu einem Gastaufenthalt im Rahmen des Partnerschaftsvertrages konnte aufgrund von Termin-problemen nicht realisiert werden. Professor B. Kunzmann-Müller hatte sich darüber hinaus im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft dazu bereit erklärt, Diplom-, Magister- und Promotionsarbeiten serbischer, kroatischer, bosnischer sowie montenegrinischer Studierender bzw. Nachwuchswissenschaftler beratend und gutachterlich zu betreuen sowie die sich Qualifizierenden anläßlich von Gastaufenthalten an ihrem Lehr-stuhl zu empfangen und nach Maßgabe der Möglichkeiten zu unterstützen. Ebenso hatte sie sich weiterhin bereit erklärt, die anläßlich ihres Aufenthalts in Belgrad 2000 gegenüber dem Dekan der dortigen Philologischen Fakultät gegebene Zusicherung einzulösen, bei der Novel-lierung bzw. der Erarbeitung neuer Curricula in den fremdsprachlichen Philologien beratend mitzuwirken.

Im Rahmen des DAAD-Sonderprogramms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ betei-ligte sich die Freie Universität Berlin im Berichtsjahr 2001 mit insgesamt vier Projekten. Die Freie Universität Berlin und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) engagierten sich auch als Mitglieder des Inter-University Centre Dubrovnik (Kroatien).

An der Universität Potsdam wurden die wissenschaftlichen Aktivitäten in der Balkan-Region im Berichtsjahr insbesondere durch das Institut für Geographie getragen. Im Rahmen des DAAD-Programms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ koordinierte Professor Dr. Asche ein Projekt mit den Universitäten Tirana und Priština, das vorerst bis zum Jahr 2003 befristet war. Ziel dieses Projektes war es, die Qualität der Geographieausbildung an der Uni-versität Tirana durch die Neugestaltung des gesamten geographischen Curriculums und den Aufbau eines Lehr- und Forschungsbereichs Geoinformatik zu verbessern. Daneben wurde ein digitaler bevölkerungsgeographischer Atlas erstellt. Dabei hatte es sich erwiesen, daß die-ses Projekt auch in den Grunddatenbestand des Landes eingeht und darüber hinaus für die Ebene der politischen Entscheidungsträger in Albanien von Bedeutung ist. Zudem richteten die Potsdamer Projektpartner in Tirana ein Labor zur Nutzung von Geo-Informationssystemen (GIS) ein – die Universität könnte sich damit zukünftig als das albanische Kompetenzzentrum für Geoinformationsverarbeitung in Forschung und Praxis etablieren. Diese Maßnahmen wur-den überdies durch Workshops sowie durch Intensivkurse zur methodischen Anwendung von GIS-Systemen unterstützt. In der Zwischenzeit wurde an eine Ausdehnung der Aktivitäten auf Rumänien ebenso gedacht wie an die Erstellung eines Folgeatlasses mit modifiziertem inhalt-lichem Schwerpunkt. Professor Dr. Schübel, der sich in der Reformierung des albanischen Bildungswesens engagierte, eröffnete den albanischen Projektpartnern seinerseits die notwen-digen Kontakte in den Landesministerien. Auch die Ausbildungskomponente spielt an der

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Universität Potsdam eine nach wie vor große Rolle: Die Universität ist weiterhin bereit, ge-eignete Studierende und Promovenden auszubilden; in diesem Zusammenhang wurden bereits einige SOKRATES-Verträge geschlossen.

Im Verlauf der Verdichtung von Kontakten und Kooperationen konnte das Wissenschaftszen-trum Berlin für Sozialforschung (WZB) insbesondere von der Verknüpfung mit Budapest profitieren. Durch ihre geographische und politische Lage stellt diese Stadt sowohl einen von allen Balkan-Ländern aus zugänglichen Tagungsort und als auch einen für die diplomatischen Notwendigkeiten praktischen Umsteigeplatz für west-östliche Austauschbeziehungen dar. Ziel des ‘Balkan-Programms’ des WZB-Präsidenten ist die verstärkte Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftlern aus den Ländern Südosteuropas, die unter den dort beschränkten Um-ständen von Infrastruktur, Mobilität und internationalem Austausch Anstrengungen unter-nehmen, um ein wissenschaftlich anspruchsvolles akademisches Programm an bestehenden Hochschulen und Forschungseinrichtungen bzw. auch außerhalb der gegebenen institutionel-len Strukturen aufzubauen. Das Engagement des WZB erstreckte sich dabei vor allem auf sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Netzwerke, die einen Bezug zu den Arbeitsschwer-punkten des WZB aufweisen und in ihrer Zusammensetzung oder ihrer vergleichenden Orien-tierung international angelegt sind. Durch die langjährigen, gut entwickelten Beziehungen zum Institut für Soziologie der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia ließ sich eine direkte Verbindung zu dem UNESCO-Projekt „Management of Social Transformation (MOST)“ herstellen, in dessen Rahmen Vorhaben zu den ‘Transformationsrisiken’ insbeson-dere für Arbeitsmarkt und Beschäftigung koordiniert wurden. Im Sinne der Balkan-Initiative zur Stärkung wissenschaftlicher Verbindungen mit südosteuropäischen Ländern und zum Ausbau der dortigen Infrastrukturen in Forschung und Lehre hatte das WZB im Berichtsjahr 2001 die Koordinierung zweier Netzwerke jüngerer Wissenschaftler und Wissenschaftlerin-nen aus verschiedenen Ländern der Region (von Sofia – Professor Dr. Nikolai Genov – und Belgrad/ Budapest – Dr. Michail Arandarenko) zu Fragen der Arbeitsmarktentwicklung sowie zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik betrieben bzw. unterstützt. Darüber hinaus engagierte sich das WZB bei der Zusammenführung, Auswertung und Publikation von Arbeiten des For-schungsnetzwerks zur Arbeits- und Beschäftigungspolitik in Südosteuropa in Kooperation mit der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung“ des WZB (M. Arandarenko, N. Ge-nov, K. Schömann). Des weiteren wurde im Jahr 2001 ein Konferenz- und Publikationspro-jekt zu Fragen von „Corporate Governance“ auf Länder Südosteuropas (Michal Federowicz, Warschau; Bob Hancké, Sigurt Vitols) ausgeweitet sowie ein Programm zur Einbeziehung südosteuropäischer Sozialwissenschaftler in ein von der Europäischen Kommission geförder-tes Netzwerk europäischer Sozialforschungsinstitute (Hinnerk Bruhns, Paris, u.a.) fortentwik-kelt.

3.4.4. Berichtsjahr 2002

Im Mai 2002 besuchte eine parlamentarische Delegation des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft der Republik Mazedonien die Freie Universität Berlin: Gegenstand der Gesprä-che war ein Erfahrungsaustausch über hochschulpolitische Fragen.

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Wie bereits im Vorjahr, engagierte sich die Freie Universität Berlin weiterhin als Mitglied des Inter-University Centre Dubrovnik (Kroatien). Im Rahmen des „ERASMUS-/ SOKRATES“-Programms kooperierte die Berliner Hochschule im Berichtsjahr 2002 mit fünf Universitäten in Rumänien sowie mit einer slowenischen Hochschule.

Im Rahmen des DAAD-Sonderprogramms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ koordi-nierte Professor Dr. Klaus Bothe vom Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin ein Netzwerk mit acht Fakultäten von sechs Universitäten in Serbien und Montenegro, Mazedonien und Bulgarien: Im Kontext des Projekts „Software-Sanierung und verteilte ko-operative Software-Entwicklung“ wurden neue Computerlabore eingerichtet und Software in allen drei Ländern angeschafft. Darüber hinaus wurde eine Verlängerung dieses Kooperati-onsprojekts beantragt.

Das Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin setzte auch im Jahr 2002 seine vielfältigen Kooperationen mit Universitäten in Südosteuropa fort: Die Zusammenarbeit mit der Universität Sofia bezog sich – neben einer Vortragsreise von Frau Nicolova – auf bilatera-le Absprachen zu dem Projekt „Übersetzung fachsprachlicher Texte/ praktische und überset-zungswissenschaftliche Aspekte“.

Professor Dr. B. Kunzmann-Müller weilte im Frühjahr 2002 an der Universität Zagreb, wo sie – gemeinsam mit kroatischen Wissenschaftlern – die Zusammenarbeit an den beiden wissen-schaftlichen Projekten „Studien zur Argumentstruktur des kroatischen Verbs (Valenzwörter-buch)“ und „Grammatische Strukturbildung – kontrastiv und typologisch“ fortsetzte. Die Ko-operation der Humboldt-Universität zu Berlin mit der Universität Belgrad umfaßte im Be-richtsjahr 2002 Lesungen und Vorträge von A. Tišma und M. Panti� sowie die Teilnahme mit Vorträgen von Sabine Kirfel und Vesna Cidilko am Skup slavista in der serbischen Haupt-stadt. Fernerhin hielt sich V. Matovi� zu einem durch den Deutschen Akademischen Aus-tauschdienst (DAAD) geförderten Studienaufenthalt an der Universität Belgrad auf. Die Zu-sammenarbeit mit Novi Sad und Sarajevo wurde durch Lesungen von N. Gruji�i� und St. Tonti� mit Leben erfüllt. Š. Vintar hatte im Sommersemester 2002 einen Lehrauftrag „Sprachtechnologien für Philologen, Übersetzer und Dolmetscher“ (unter Beteiligung der Institute für Slawistik, Romanistik, Anglistik/ Amerikanistik). Im Rahmen der „ERASMUS“- und „SOKRATES“-Programme wurde darüber hinaus für das Jahr 2003 ein Zusammenwir-ken zwischen dem Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Übersetzen und Dolmetschen sowie der Philosophischen Universität der Universität Ljub-ljana (Slowenien) angebahnt.

Die Humboldt-Universität zu Berlin war zum damaligen Zeitpunkt in drei „TEMPUS“-Programme der Europäischen Union involviert: Dabei handelt es sich um die Projekte „Buil-ding Cooperative Academic Library Network in Serbia“ [Partnereinrichtungen der Humboldt-Universität: Alternative Academic Educational Network (AAEN), Belgrad, Universität der Künste Belgrad, Universität Kragujevac, Universität Niš (Serbien und Montenegro), Middle-sex University London, Universität Wien)], „Curriculaentwicklung in der Fachrichtung Tier-produktion“, das von Professor Dr. Ehrengard Kaiser (Institut für Nutztierwissenschaft der Humboldt-Universität) koordiniert wird [Partnereinrichtungen: Agricultural University of Tirana, Fishery Research Institute Durres, Ministry of Agriculture and Food Industry Tirana,

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Research Institute of Animal Production (alle Tirana, Albanien), Università degli Studi della Basilicata, Potenza (Italien)] sowie „Réseau Balkanique SAA (Sciences Agronomiques, Agroalimentaires)“, das von Boris Angelikov (Fakultät für Biotechnologische Wissenschaften der St. Kliment Ohrid-Universität, Bitola) koordiniert wird [Partnereinrichtungen: Humboldt-Universität zu Berlin, Fachhochschule Anhalt, Bernburg sowie zahlreiche weitere Universitä-ten in Albanien, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Mazedonien, den Niederlanden, Polen, Schweden und Spanien].

Die Balkan-Aktivitäten der Technischen Universität Berlin bezogen sich im Jahr 2002 auf zwei Kooperationsprojekte des Instituts für Mathematik der Technischen Universität mit der Universität Belgrad (Projektverantwortliche: Professor Dr. Udo Simon; Professor Dr. Bernd Wegner, „Development of Electronic Information Infrastructure and Multimedia Courseware for Mathematics“). Beide Vorhaben sahen auch wechselseitige Besuche von Wissenschaftlern der beteiligten Hochschulen vor. Darüber hinaus weilte der Rektor der Technischen Universi-tät Varna im Juli 2002 zu einem Besuch beim Ersten Vizepräsidenten der Technischen Uni-versität Berlin, welcher insbesondere der Präsentation dieser bulgarischen Hochschule diente.

An der Universität Potsdam wurden die wissenschaftlichen Aktivitäten in der Balkanregion weiterhin insbesondere durch das Institut für Geographie getragen. Im Rahmen des DAAD-Sonderprogramms „Akademischer Neuaufbau Südosteuropa“ koordinierte Professor Dr. H. Asche ein Projekt mit den Universitäten Tirana und Priština, das vorerst bis 2003 befristet war und aus Mitteln des Stabilitätspaktes für Südosteuropa finanziert wurde. Ziel dieses Projektes war es, die Qualität der Geographieausbildung an der Universität Tirana durch die Neugestal-tung des gesamten geographischen Curriculums sowie durch den Aufbau eines Lehr- und For-schungsbereichs Geoinformatik zu verbessern. Zur Verbesserung des Anwendungsbezugs der Lehre wurde ein digitaler bevölkerungsgeographischer Atlas erstellt. Wie sich erwiesen hat, geht dieses Projekt in den Grunddatenbestand des Landes ein und ist auch für die Ebene der politischen Entscheidungsträger in Albanien von Bedeutung. Zudem richteten die Potsdamer Projektpartner in Tirana ein Labor zur Nutzung von Geo-Informationssystemen (GIS) ein: Damit könnte sich die Universität als das albanische Kompetenzzentrum für Geoinformati-onsverarbeitung in Forschung und Praxis etablieren. Unterstützt wurden diese Maßnahmen durch Workshops (2003 in Tirana und Bukarest) sowie durch Intensivkurse zur methodischen Anwendung von GIS-Systemen. In der Zwischenzeit erfolgte eine Ausdehnung der Aktivitä-ten auf Rumänien; die Einbeziehung von Mazedonien und Bulgarien wurde für das Frühjahr 2003 erwartet. Verabredet wurden fernerhin gemeinsame Folgeprojekte – darunter ein wirt-schaftsgeographischer Atlas.

Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder engagierte sich – wie bereits im Vorjahr – in der Balkan-Region mit dem bereits im April 2001 gegründeten Südosteuropäischen Medi-enzentrum (Southeast-European Media Centre, SOEMZ). Hierbei handelt es sich um eine akademische Weiterbildungseinrichtung, welche die Europa-Universität Viadrina in Koopera-tion mit der St. Kliment Ohridski-Universität in Sofia (Bulgarien) gegründet hat: Finanziert wurde dieses Projekt aus deutschen Mitteln des internationalen Stabilitätspaktes für Südosteu-ropa, die von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und dem Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellt wurden. Beide Partner bieten am SOEMZ den post-gradualen Studiengang „Medien und interkulturelle Kommunikation“ für Weiterbildungsin-

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teressenten aus allen Ländern Südosteuropas und der Europäischen Union an, die im Arbeits-feld ‚Medien’ in Südosteuropa tätig sind oder tätig werden wollen: Journalisten und andere gesellschaftliche Multiplikatoren aus Südosteuropa sind damit die primäre Zielgruppe des Projekts. Sie finden in diesem Studienangebot eine kompakte akademische Weiterbildung im Schnittfeld von Medien, Konfliktbearbeitung, interkultureller Kommunikation und soziolo-gisch-politologischer Südosteuropakunde. Im Sommersemester 2003 nahm das Projekt den dritten Studiengang auf. Seit 2001 bestand am Südosteuropäischen Medienzentrum das Subprojekt „The Media in Southeast Europe“, dessen Ziel in der Erstellung einer virtuellen, nach Möglichkeit auch gedruckten Veröffentlichung einer Schriftenreihe mit Analysen zu den wichtigsten Entwicklungen und Trends der Medien Südosteuropas besteht, an der auch Stu-dierende des SOEMZ mitwirken können. Der erste Band zum Thema „The New Media in Southeast Europe“ war im Berichtsjahr 2002 bereits erschienen. In ergänzendem Zusammen-hang zum Südosteuropäischen Medienzentrum behandelten an der Europa-Universität Viadri-na bereits zum zweiten Mal junge Forscher im Rahmen des internationalen Graduiertenkol-legs CACES (= Center for Advanced Central European Studies) Themen zur Medientrans-formation in Südosteuropa.

Eine weitere Abrundung des Engagements der Viadrina in Südosteuropa stellte die Beantra-gung und Einrichtung des „Elias-Canetti-Lehrstuhls für interkulturelle Südosteuropa-Studien“ an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät dar. Dieser Gastlehrstuhl wurde im Rahmen des DAAD-Gastdozentenprogramms (Förderung ausländischer Gastdozenten zu Lehrtätigkeiten an deutschen Hochschulen) für die Dauer von vier Jahren gefördert und sollte an der Viadrina ein Angebot im Bereich der interkulturellen Südosteuropa-Studien aufbauen. Interkulturelle Theorie und Praxis sollten durch den Lehrstuhl über seine jeweiligen Inhaber – je zwei bulga-rische und zwei rumänische Wissenschaftler – garantiert werden.

Gemeinsam mit anderen deutschen Hochschulen sowie der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) engagierte sich die Viadrina in Rousse (Bulgarien), der Geburtsstadt Elias Canettis, und der auf der anderen Seite der Donau gelegenen rumänischen Partnerstadt Giurgiu für das neugegründete Bulgarisch-Rumänische Interuniversitäre Europazentrum. Es handelte sich hierbei um eine Kooperation der Universität Rousse und der Wirtschaftsakademie Bukarest im Bereich Europastudien und Wirtschaftsinformatik. Vorbild dieser bulgarisch-rumänischen Initiative ist die Zusammenarbeit der Europa-Universität mit der Adam-Mickiewicz-Universität Pozna� am Collegium Polonicum in Słubice (Polen).

Die jüngsten Aktivitäten der Europa-Universität Viadrina in Südosteuropa führten darüber hinaus zum Abschluß eines Kooperationsvertrages mit der Universität in Novi Sad, der den Austausch von Wissenschaftlern und Studierenden vorsieht.

Ein in den Vorjahren vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) mitbe-triebenes Netzwerk zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsforschung in der Balkan-Region war im Jahr 2001 teilweise in ein vom WZB initiiertes und von der Europäischen Kommissi-on gefördertes Forschungsnetzwerk zu Problemstellungen von „Übergangsarbeitsmärkten“ einbezogen. Der Leiter des südosteuropäischen Verbundes von Nachwuchswissenschaftlern aus sechs Ländern und langjähriger Kooperationspartner des WZB, Professor Dr. Nikolai Ge-nov aus Sofia, ist seit Sommer 2002 als Lehrstuhlinhaber für Soziologie am Osteuropa-

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Institut der Freien Universität Berlin tätig und betreibt von hier aus die Kooperationsbezie-hungen weiter. In einem anderen, ebenfalls aus dem 5. Forschungsrahmenprogramm der Eu-ropäischen Union geförderten und von WZB-Präsident Jürgen Kocka koordinierten sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungsverbund von 15 Einrichtungen aus zehn Ländern über Probleme und Perspektiven der Zivilgesellschaft in Europa nahm auch eine Forscher-gruppe aus Serbien und Montenegro teil, die sich aus Politikwissenschaftlern, Juristen und Soziologen aus verschiedenen Fakultäten der Universität Belgrad zusammensetzte. Diese in einem „Center for Democratic Transition“ (CDT) zusammengeführten Forscher waren als anerkannte Mitglieder in das von der Europäischen Union geförderte Projektkonsortium ein-bezogen. Da Serbien und Montenegro jedoch noch nicht zu den Mitglieds-, Beitritts- oder assoziierten Ländern zählte, konnten die dortigen Forschungsbeiträge nicht aus dem EU-Programm finanziert werden; hier sprang das WZB ein und sicherte die Möglichkeit der Ver-bundkooperation (Erarbeitung von Forschungsberichten, Konferenzteilnahme) für die serbi-schen Kollegen. Mit dem Netzwerk verbunden waren auch Institute und Forschungsvorhaben aus Bulgarien, der Türkei und aus Griechenland.

In einem ebenfalls von der Europäischen Union geförderten Netzwerk sozialwissenschaftli-cher „Infrastruktur“-Einrichtungen arbeitete das WZB ferner mit west- und osteuropäischen „Institutes for Advanced Study“ zusammen, u.a. in Bukarest. Mitgefördert und teilweise or-ganisiert vom WZB nahmen hier jüngere Wissenschaftler aus sämtlichen Balkanländern an Workshops zu sozialwissenschaftlichen Grenzgebieten – wie etwa Recht und Wirtschaft –, zur europäischen Staatsbürgerschaft und zur Entwicklung von Zivilgesellschaften teil und nutzten die sich bietenden Austauschmöglichkeiten. So arbeitete Constantin Iordachi drei Monate am WZB, führte seine Studien über Staatsbürgerschaft und Zivilgesellschaft in Ru-mänien und im südosteuropäischen Vergleich fort und setzte sie mit hiesigen Forschungen in Verbindung. Forscher aus Slowenien, Kroatien, Serbien und Montenegro, Mazedonien, Bul-garien sowie aus Albanien wurden in größere Forschungsvorhaben des WZB zu den Grün-dungswahlen postsozialistischer Gesellschaften sowie zu Transformationsprozessen in osteu-ropäischen Ländern einbezogen und wirkten auch in einem entsprechenden Konferenz- und Arbeitsprogramm mit, welches das WZB gemeinsam mit seinem polnischen Partnerinstitut, dem Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften, betreibt.

Im Rückblick auf die Entwicklung der letzten drei Jahre ließ sich einerseits feststellen, daß Unterstützungsleistungen für die Entwicklung sozialwissenschaftlicher Infrastrukturfunk-tionen nach wie vor dringlich und willkommen waren; weiterhin – und mit Konzentration auf Teilgebiete und einzelne Forschungsfelder eher in verstärktem Maße – nachgefragt wurden neue Formen der Graduiertenausbildung und Chancen auf Gewinnung von Forschungser-fahrungen durch Austausch und zeitweise Einbeziehung in einen verdichteten Forschungs-zusammenhang. Andererseits wurde eine Entwicklung deutlich, die über Kooperationen und Vernetzungen zunehmend auch Anschlüsse an international vergleichende Projekte und über-greifende Forschungsprogramme, nicht zuletzt der Europäischen Union, herstellte.

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3.5. Spenden für die Balkan-Initiative

Da im Hochschul- und Wissenschaftsbereich auf dem Balkan insbesondere im Zeitraum des Bestehens der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft ein großer Be-darf an technischer Ausrüstung und Fachliteratur bestand, stellten die im Rahmen der Balkan-Initiative angebotenen und vermittelten Sachspenden ebenfalls eine wichtige Form der Unter-stützung seitens der beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen aus Berlin und Brandenburg dar: Bücher, Ausrüstungen und Geräte wurden in der Balkan-Region dringend benötigt, um bessere Voraussetzungen für die Forschung vor Ort zu schaffen bzw. diese überhaupt erst wieder zu ermöglichen.

Im März 2000 konnte eine Spende von 20 Rechnern, drei Schreibmaschinen und germanisti-scher Fachliteratur an das Pädagogische Institut Tirana gegeben werden. Der besondere Dank für die großzügige Unterstützung gilt in diesem Zusammenhang der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner sowie dem Institut für Genossenschaftswesen der Humboldt-Universität zu Berlin.

Das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Golm, konnte im Rahmen von Kooperationsbeziehungen im April 2000 zwei Mehrprozessorserver als Leihgabe an das Institut für Biophysik der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften geben.

Dem im Sommer 2000 gestarteten Aufruf der Geschäftsstelle der Balkan-Initiative, wissen-schaftliche Hilfsgüter für die Universität Priština zu spenden, waren zahlreiche wissenschaft-liche Einrichtungen in Berlin und Brandenburg gefolgt. Sie hatten daraufhin ihr Inventar sorg-fältig und zum Teil mit erheblichem zeitlichen und personellen Aufwand geprüft. Ende No-vember 2000 konnten wissenschaftliche Spendengüter mit einem Volumen von 15 Tonnen bzw. einem Umfang von rd. 65 m³ von einer humanitären Hilfsorganisation in den Kosovo gebracht werden. 401 Kartons mit wissenschaftlicher Literatur gingen in diesem Zusammen-hang an die Universitätsbibliothek von Priština („The National and University Library of Ko-sova – Prishtina“); 54 Kartons mit Laborgeräten und Labormaterial waren auf Bitten der Me-dizinischen Fakultäten der dortigen Universität („Medical Center – University of Prishtina“) zusammengetragen worden. Umfangreiche EDV-Technik und Zubehör sowie Sprachlehrma-terial (84 Kartons) kamen darüber hinaus dem ebenfalls in Priština ansässigen Philologischen Gymnasium „Eqrem Cabej“ („Gjimmazi i filologjise Eqrem Cabej“) zugute.

Insgesamt konnte dieser Transport dank einer Reihe privater Spendengelder sowie mit Mit-teln, welche die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur Verfügung gestellt hatte, finanziert und durchgeführt werden.

Darüber hinaus spendete das Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2001 Bücher für die Universitäten in Novi Sad und Skopje. Unter der Projektleitung von Professor Dr. Klaus Bothe konnten an den Universitäten Niš, Kragujevac und Novi Sad drei Computerlabore in einer Größenordnung von jeweils 30.000 DM (= 15.338,75 Euro) realisiert werden. Dabei wurde der Aufbau der lokalen Computer-Netze durch die Nutzung von Son-dermitteln möglich, welche die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und das Bundesministe-rium für Bildung und Forschung (BMBF) ihrerseits zur Verfügung gestellt hatten. Es war

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beabsichtigt, die Ausstattung der Computerlabore an der Universität Skopje mit lizensierter Software im Umfang von ca. 30.000 DM (= 15.338,75 Euro) fortzuführen (Projektleitung: Professor K. Bothe).

Fernerhin konnte die Geschäftsstelle der Balkan-Initiative Ende 2001 unterstützend bei zwei weiteren Hilfstransporten vermitteln: So sandte das Berliner Fraunhofer-Institut für Produkti-onsanlagen und Konstruktionstechnik zwei Industrieroboter, Computer sowie verschiedene Laborgeräte zu den Fakultäten für Elektrotechnik und Maschinenbau der Universität Niš (Serbien und Montenegro) – dort konnten zwei neue Labore mit diesen Geräten ausgestattet werden. Die Technische Universität Bergakademie Freiberg konnte ihrerseits einen für Prišti-na bestimmten größeren Hilfsgüter-Transport durchführen.

Insgesamt gebührt in diesem Zusammenhang folgenden Einrichtungen Dank für die teils sehr umfangreichen und großzügigen Sachspenden im Kontext der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft:

– Astrophysikalisches Institut Potsdam (Fachliteratur) – Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Fachliteratur, EDV) – Charité – Universitätsmedizin Berlin (Fachliteratur und Laborgeräte) – Deutsches Institut für Urbanistik Berlin (Fachliteratur) – Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Fachliteratur und EDV) – Fachhochschule für Wirtschaft Berlin (EDV) – Fachhochschule Potsdam (Fachliteratur) – Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum e.V. (Fachliteratur) – Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik Berlin (Labor-

geräte) – Freie Universität Berlin (EDV, Fachliteratur und Laborgeräte) – Humboldt Universität zu Berlin (Computerlaborausstattung, Fachliteratur) – IHP GmbH – Innovations for High Performance Microelectronics Frankfurt/ Oder

(Fachliteratur) – Institut für Angewandte Chemie Berlin-Adlershof (EDV) – Institut für Gemüse und Zierpflanzenbau Großbeeren/ Erfurt (Fachliteratur und

Laborgeräte) – Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Ber-

lin e.V. (Fachliteratur) – Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner – Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin (Fachliteratur) – Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main (Fachliteratur) – Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin (Fachliteratur) – Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin (Fachliteratur und EDV) – Technische Universität Bergakademie Freiberg – Technische Universität Berlin (EDV, Fachliteratur und Laborgeräte) – Universität Potsdam (Fachliteratur und EDV) – Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (Fachliteratur).

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Darüber hinaus konnte die Balkan-Initiative bereits von Anfang an – auch durch private Per-sonen – mit Spendengeldern über ein an der BBAW eingerichtetes Konto unterstützt werden. Diese Gelder kamen sowohl einzelnen Veranstaltungen und Maßnahmen im Kontext der Bal-kan-Initiative als auch der Unterstützung der administrativen und organisatorischen Arbeit der Geschäftsstelle zugute.

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Durch die temporär befristete Tätigkeit der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft und ihrer an der BBAW ansässigen Geschäftsstelle wurde es möglich, die in Berlin und Brandenburg ansässigen Wissenschaftler und Institutionen in einem besonderen Maße für die Lage und die Probleme von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie von Wissenschaft und Forschung im Balkanraum und in Südosteuropa zu sensibilisieren und für entsprechende, vielfältige Formen der Unterstützung zu gewinnen.

Die im Rahmen der Balkan-Initiative erfolgten Maßnahmen, Veranstaltungen und Einzelin-itiativen stellten nach einhelliger Meinung aller Beteiligten und Befragten für die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Balkan und aus Südosteuropa nicht nur eine Ermutigung, sondern vor allem eine gezielte Form der aktiven Unterstützung ihrer Arbeit dar – die Einladung zu Gastaufenthalten sowie die Teilnahme an Symposien und Sommer-schulden sowie anderen Veranstaltungen und Projekten gab ihnen insbesondere in der dama-ligen Krisensituation das Gefühl, nicht vergessen zu sein. Auch die Sachspenden bildeten einen weiteren Baustein zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung sowie der betei-ligten Personen in der Balkan-Region.

Das Engagement vieler der hiesigen Wissenschaftseinrichtungen und der einzelnen Wissen-schaftler im Rahmen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft war dabei keineswegs als selbstverständlich zu betrachten. An dieser Stelle sei deshalb noch ein-mal allen wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg sowie allen Einzelper-sonen, welche die Balkan-Initiative in tatkräftiger Weise unterstützt und somit mit Leben er-füllt haben, ausdrücklich gedankt.

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4. Anlagen

Anlage 1

Bericht des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon Das Schweigen der Lämmer (Festveranstaltung am 25. Juni 1999)6

I.

„Der Krieg geht tiefer, und je angestrengter wir so tun, als ginge er uns nichts an, desto mehr dringt er in uns ein“ schrieb Slavenka Drakuli�, die auch in Deutschland gut bekannte kroatische Schriftstellerin 7 Wochen nach dem Beginn des Luftkriegs gegen die Serben.

Inzwischen, nach weiteren 4 Wochen, hat der Krieg ein Ende genommen. Die Anstrengung, so zu tun, als gehe uns das Geschehen auf dem Balkan nichts an, darf aufgegeben werden. Wir können gelassen prüfen, ob der Krieg in uns eingedrungen ist und uns verändert hat oder ob alles wieder ist wie früher. So wie es uns unsere Börse vorgemacht hat, von der am zweiten Tag nach der Einstellung der Angriffe die herzerfrischende Meldung zu hören war: „Die Börse hat den Kosovo abgehakt“. Also sozusagen: „Ende gut, alles gut“? – nur daß wir nicht getanzt und in die Luft geschossen haben, wie die Serben, als das Bombardement endete, was aber nichts besagt, denn wir haben auch am Anfang und zwischen-durch nicht getanzt. Alles wie früher oder sogar besser? Die Demokratie hat donnernd gesiegt? Die Europäer freuen sich und zahlen den angerichteten Schaden – mit Ausnahme der Kollateralschäden, denn die sind schon bezahlt.

Ob wir geblieben sind, was wir waren, oder ob wir tatsächlich verändert wurden, wird sich zuerst an unserem Reden über die Ereignisse zeigen. Vermutlich werden die Wissenschaftler jetzt doch ihr Schweigen brechen – im Zweifel schon deshalb, weil der Kommentar, also die Bewertung post festum, eine ihrer liebsten Äußerungsformen ist. Warum haben sie eigentlich die ganze Zeit, von einigen we-nigen und unauffälligen Ausnahmen abgesehen, so beharrlich geschwiegen? Andere taten dies doch auch nicht. Schriftsteller und Künstler, Kulturkritiker, Philosophen und Theologen haben sich ausführ-lich zu Wort gemeldet. Unsere bedeutendste überregionale Tageszeitung hat einen fulminanten und erregenden Diskurs über den Krieg angezettelt. Die Wissenschaft dagegen war seltsam abwesend. Die Studenten: reglos. Die Assistenten: unsichtbar. Die Professoren: stumm. Emsige Stille auch in den vielen außeruniversitären Werkstätten der Wissenschaft.

Nichtbefassungspolitik? Oder ist den Wissenschaftlern nur nichts eingefallen? Oder litten sie heftig an ihrer bekannten deutschen Krankheit, dem Mangel an Zivilcourage? Wollten sie voller Bescheidenheit ihre persönliche Meinung nicht als Expertise verkaufen? Oder waren sie schlicht – ein Wort, dem man in den Journalen der letzten Monate am häufigsten begegnete – „hilflos“?

Eine spannende, eine schon fast wissenschaftliche Frage, eine Frage auch und gerade für einen Rück-blick. Weshalb sich der Rechenschaftsbericht des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akade-mie der Wissenschaften für diesmal nicht nur in der schon fast traditionellen Wohlgelauntheit präsen-tiert.

Es soll nicht einmal so scheinen, als verfolge die Wissenschaft unbeschwert ihre Erkenntnisziele und gebe sich blauäugig dem Wahn hin, nur friedvollen Zwecken nachzugehen, so daß Krieg als Resultat

6 Abgedruckt in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 1999, Berlin (Akademie Verlag) 2000, S. 112-124 und in: Glanzlichter der Wissenschaft: Ein Almanach, hg. vom Deutschen Hochschul-verband, Stuttgart (Lucius & Lucius) 1999, S. 139-149.

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politischer Entscheidungen nichts sei, womit Akademiker sich angelegentlich zu befassen hätten. Auch die dem Goethejahr eigentlich gemäße geruhsame Heiterkeit, die reimt, daß „an Sonn- und Fei-ertagen“ „wenn hinten weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“ nichts Besseres zu finden sei, „als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei“ – sie verbietet sich. Nicht nur sind die Zeiten des idyllisch distanzierten Bürgergeplauders global irreversibel vergangen, sondern wir sind auch – wenn-gleich überwiegend überrascht und verstört – unversehens selbst unter die Draufschläger geraten.

Und das, obwohl wir uns im Artikel 26 unserer an Pfingsten dieses Jahres üppig gefeierten, bravourö-sen Verfassung feierlich vorgeschrieben haben, daß von deutschem Boden nie wieder ein Angriffs-krieg ausgehen dürfe. Unbeschadet der Interpretationskünste der Verfassungsjuristen und Weltbürger-kundler sowie des beruhigenden Umstandes, daß gegen niemanden nach § 80 StGB wegen Vorberei-tung einer Aggression ermittelt wird, kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, daß das Un-heil irgendwie doch auch vom wiedervereinigten Boden seinen Ausgang genommen habe, weshalb aus dem kollektiven Gedächtnis längst obsolet geglaubte Denkfiguren und Ideologiefragmente wie der „Tyrannenmord“ oder der „gerechte Krieg“ unerwartet emporstiegen und von den Intellektuellen be-klommen hin und her gewendet wurden.

Jedenfalls hier – in Berlin und in dieser Akademie – haben wir Anlaß, uns nach dem Umgang mit dem Krieg und dem Schweigen der Lämmer zu befragen, uns, die wir uns lauthals als jene bekennen, die nicht nur das Erbe der Vergangenheit verwalten, sondern die nationale Gegenwart zur Artikulation und zur Verantwortung bewegen wollen. Das muß auch gelten, wenn diese Gegenwart für Euterpe, die Muse der Wissenschaft, gerade nicht zu sprechen ist, weil sie einem Mars ohne Kollateralschäden huldigt.

Selbstbefragung gewährt außerdem einen Vorsprung. Denn die Fremdbefragung wird nicht ausblei-ben. Unsere Zukunft arbeitet bereits an der empirischen Erhebung, wo Fragebögen ausgefüllt werden müssen, Kästchen anzukreuzen sind und Skalen sorgsam gestufter Antworten von „sehr wichtig“ bis „weiß nicht“ ein ausgewogenes Urteil erheischen. Im Vorfeld, solange wir gleichsam nur proben, dür-fen wir es uns noch einfach machen. Einfach, das heißt: fünf Fragen nach dem Akademiker im Kriege – gestellt nach dem Kriege, in gestellter Szene, wenn die Rechnungen bezahlt werden – im übrigen aber das Wetter wieder schön, die Angst historisch und die Verantwortung symbolisch geworden sind. Die Antworten sind unverbindlich – heute haftet nur der, der spricht.

II.

Frage eines Bürgers: Was machen die Wissenschaftler eigentlich im Kriege? Machen sie sich auch, vielleicht besondere, Gedanken, und wenn ja, welche?

Antwort eines Akademikers: Was sollen die Wissenschaftler schon machen? Sie gehen ihrer Wissen-schaft nach. Ihr Hauptgeschäft ist schließlich die Wissenschaft. Und soweit diese nicht selbst dem Krieg hilft, weil sie zum Beispiel – was nur sie kann – an der Entwicklung von intelligenten kriegs-chirurgischen Eliminiergeräten, Aufspürapparaten, Giftzerstäubern und anderen Vernichtungsmitteln mit Hochschulabschluß werkelt, hat sie mit Krieg und Frieden nicht eigentlich etwas zu schaffen. Wie überall, wo man nichts merkt, triumphiert der Alltag.

Was das heißt? Das heißt für die Akademie: Wir wählen neue Mitglieder (115 sind wir jetzt) und ent-pflichten alte. Wir stellen neue Mitarbeiter ein (262 – darunter 124 Wissenschaftler – haben wir zur Zeit) und versuchen uns (meist erfolglos) von anderen zu trennen.

Wir planen unverdrossen unser 300-jähriges Jubiläum, das ohne jede Rücksicht auf äußere Ereignisse im nächsten Jahr in Erscheinung treten wird. Wir führen regelmäßig unsere ordentlichen und außeror-dentlichen Akademievorlesungen durch. Wir verleihen unsere Preise und sind deren Stiftern dankbar. Wir schicken unser Circular in Umlauf, arbeiten für den „Disput über Wissen“ an unserer Zeitschrift „Gegenworte“, die sich prächtig entwickelt und es zu schaffen scheint, auf Altes einen neuen Blick zu werfen und Neues nicht erst zu entdecken, wenn es schon alt geworden ist. Wir treffen uns mit den

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Staatssekretären aus den für uns zuständigen Wissenschaftsministerien zum Gedankenaustausch am Stammtisch. Wir vergeben unsere kleinen Stipendien, präsentieren den gütigen Förderern eine an-spruchsvolle wissenschaftliche Causerie und planen und beantragen neue Akademienvorhaben und tagen mit und in ihren zahlreichen Betreuungskommissionen. Wir vergessen den 250. Geburtstag des Olympiers aus Frankfurt nicht, der, wenn auch nicht leidenschaftlich, doch unser Mitglied gewesen ist. Eine Ausstellung läuft schon, eine zweite wird rechtzeitig zum Geburtstag fertig werden. Wir bereiten Tagungen vor: New Cultures mit dem Einsteinforum ist die nächste, „Das Europa der Diktaturen“ zusammen mit dem Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung, dem Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Studien und dem Max- Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte folgt auf dem Fuße, das dritte Kolloquium zur Akademiegeschichte sowie die „Qualitätsbewertung in der Wissen-schaft“ und „Der Ursprung der Sprache“ schließen sich chronologisch in rascher Sequenz an.

Wir kümmern uns um unser Haus, das fortdauernd die spekulativen Gelüste verschiedenster Wohl-Täter anlockt, die ihre Wohltaten allerdings nicht für uns, sondern für sich planen. Nachdem uns aber der hochgesinnte Hauptstadtregent persönlich eine neue Fassade in Aussicht gestellt hat, mag die Hoffnung berechtigt sein, daß nach mehr als 50 Jahren die damaligen Kriegsschäden auch im Inneren beseitigt werden können. Bomben wirken lange nach – auch wenn die äußeren Spuren längst getilgt sind. Ein Architektenwettbewerb hat erfolgreich stattgefunden. Ermutigendes Kopfnicken bei potenti-ellen Sponsoren wurde gesichtet. Es scheint nicht mehr ausgeschlossen, daß wir mit dem einstweilen nur durch ein großes Portal mit uns verbundenen Wissenschaftsforum alsbald nicht nur gemeinsame Sache, sondern auch gemeinsame Sachen machen können.

Zu dem, was nur mit anderen zu bewerkstelligen ist, gehören auch die wissenschaftlichen Tagungen, die wissenschaftspolitischen Planungen, die Beratungssitzungen, Workshops und Hirnübungen, kurz, all das, wozu wir uns eine Tagungsstätte außerhalb der Groß- und Hauptstadt gewünscht haben, weil nur dort Muße und Konzentration, die Mütter jedes innovativen Schaffens, zu garantieren sind. Wir haben die Stätte, Schloß und Park Blankensee, am 17.10.98 bekommen – leer freilich, ohne Stuhl, Tisch und Bett, aber kundig renoviert, idyllisch gelegen und nachgefragt. Nach einigen Beschwerlich-keiten, Friktionen, selbst leichten Verstimmungen über Bewirtschaftungskonzept, Betriebsorganisati-on, Tagungsstättenleitung und manches andere, was zur Eröffnung eines solchen Hauses dazugehört, scheint jetzt das angestrengt kooperative, manchmal auch agonale Zusammenwirken von Brandenburg und Berlin zum Nutzen der Akademie doch zum Erfolg zu führen. Am 1. Juli soll der Tagungsbetrieb aufgenommen werden. Am 10. Juli werden wir prüfen, ob sich der schöne Ort auch für Sommerfeste eignet. Sie sind jetzt schon eingeladen, weil es jedenfalls lustig werden wird.

Aber es wird natürlich nicht nur verwaltet, administriert und organisiert in der Akademie, sondern auch geforscht und gedacht. Wir haben drei neue interdisziplinäre Arbeitsgruppen eingerichtet. Eine zum Thema „Gemeinwohl und Gemeinsinn“, eine weitere unter dem Titel „Gesundheitsstandards“, eine dritte möchte die „Sprache des Rechts“ unter den Stichworten „Vermitteln, Verstehen, Verwech-seln“ untersuchen. Da die Arbeitsgruppe RULE ihre Arbeit unter Vorlage eines besonders schönen Abschlußbandes beendet hat, arbeiten im Referat Interdisziplinäre Arbeitsgruppen zur Zeit 6 Gruppen und 8 fachübergreifende Initiativen. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Umgangssprache hat es geschafft, den Vorsitzenden seines Kuratoriums zum Bundespräsidenten wählen zu lassen und kann nicht nur deshalb, sondern auch wegen des vielversprechenden Engagements Österreichs und der Schweiz auf rasche Fortschritte hoffen.

Das Referat Akademienvorhaben mit gegenwärtig 29 Arbeitsstellen ist nachhaltig in Bewegung gera-ten. Alle Vorhaben haben sich inzwischen mehr oder minder deutlich auf drei vorgegebene Ziele ein-gelassen:

− Umstrukturierung von der reinen Wissenserschließung zur auch wegweisend arbeitenden For-schungsstelle,

− umfassende digitale Modernisierung,

− nachdrückliche Vermittlung aller Resultate an die Öffentlichkeit.

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Ein geglücktes Beispiel für das letztere ist die weltweite, positive Resonanz auf den ersten mehrteili-gen Band der renovierten Marx-Engels-Gesamtausgabe. Für die Umstrukturierung durch Einbau inno-vativer Forschung können die praktisch gewordenen Versuche, ein Alexander von Humboldt-Forschungszentrum zu schaffen, zitiert werden. Die digitale Modernisierung schließlich läßt sich am eindrucksvollsten an jenem unserer Forschungsbereiche studieren, der – heute eher irreführend – „Wörterbuch der ägyptischen Sprache“ heißt.

In den Stammreihen der Vorhaben wurden im letzten Jahr 27 Bände publiziert, 91 Aufsätze in Sam-melbänden und Zeitschriften kommen hinzu.

Für die Details der Arbeitsergebnisse darf und muß der Interessierte auf das in Kürze erscheinende Jahrbuch der Akademie verwiesen werden.

Aber auch ohne aufgegliederte Aufzählung sieht man: Wissenschaftler haben keine Zeit, an den Krieg zu denken, und folgerichtig noch weniger, um darüber öffentlich zu reden.

III.

Frage eines Akademiemitglieds: Aber hätten wir Wissenschaftler nicht wenigstens eine Erklärung zum Krieg abgeben sollen?

Antwort eines anderen Akademikers: Wenn Wissenschaftler Erklärungen zur Politik abgeben, begeben sie sich in doppelte Gefahr. Äußern sie sich moralisch und allgemein, stehen sie anschließend eventu-ell blamiert da – wie jene letztlich bedauernswerten 93 deutschen Professoren, die sich wegen ihrer Erklärung „An die Kulturwelt“ vom Jahre 1914 später als bellizistische Kriegernaturen apostrophieren lassen mußten. Der Belgrader Akademie der Wissenschaften wird es allen Anzeichen nach mit ihrem „Memorandum zur Lage des serbischen Volkes“ von 1986 vermutlich ähnlich ergehen. Äußern sich die Wissenschaftler aber politisch und konkret, scheinen sie, da sie gemeinhin als Experten anerkannt sind, besondere Sachkunde in Anspruch zu nehmen, die sie tatsächlich aber nicht besitzen. Das wird ihnen dann sofort vorgehalten. Den Herren fehle doch wohl die außen- und militärpolitische Kompe-tenz, ließen Strauß und Adenauer 1957 verbreiten, als die Göttinger Erklärung der Kernphysiker zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erschien. Zur Abwehr solcher Argumente sehen sich die Erklä-renden zu der Feststellung genötigt, daß sie sich nicht als Experten, sondern nur „als Staatsbürger“, „als Lehrer der Jugend“ oder einfach „als Menschen“ äußern. Das schwächt ihre öffentliche deklama-torisch-pädagogische Position und rückt sie unvermeidlich in die Nähe des Stammtisches. Stamm-tischparolen von Wissenschaftlern wird nicht nur die übliche Verachtung zuteil, sondern sie schädigen auch den Ruf der Experten als Experten.

Hätten wir aber ungeachtet dieser wenig verlockenden Konstellation gleichwohl eine Erklärung ab-zugeben uns bemüht – wir hätten sie nicht zustande gebracht. Da das Wissenschaftssystem sich der Wahrheit als oberstem Wert verpflichtet fühlt, ist Konsens schlechterdings undenkbar in einer Situati-on, in der die Fototafeln eines erschütterten Kriegsministers, die Kitschphrase vom „humanitären Krieg“, der militante Neologismus „Souveränitätsfanatiker“, die Placebo-Losung „Weltinnenpolitik“ und die giftige Schmähung der „Kriegstreiber“ in einer wüsten Gemengelage auftauchen. Selten hat man in einer ansonsten doch eher homogenen Gruppe soviel Uneinigkeit, Meinungsverschiedenheit und Zwist gehört und gespürt wie in diesem Fall.

Einig war man sich vermutlich nur darin, daß unsere Politiker im Krieg standen, bevor sie es noch richtig begriffen hatten. Auch wenn die Anekdote nicht stimmen sollte, daß der plötzlich zum Kriegs-minister mutierte Verteidigungsminister nur 15 Minuten Zeit hatte, um den NATO-Plänen zuzustim-men – sehr viel gründlicher kann der Ablauf kaum bedacht worden sein. Anlaß zur Schadenfreude bestand gleichwohl nicht. Denn offenkundig haben bei uns Land und Bürger großes Glück gehabt. Weniger wegen des relativ glimpflichen Ausgangs des teuren Abenteuers als wegen des Umstandes, daß der Krieg von Parteien getragen wurde, die unbestritten auf eine explizit unkriegerische, partiell pazifistische Tradition zurückblicken. Diese Tradition hätte sich im umgekehrten Falle, also einer

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Regentschaft durch die heutige Opposition, zweifellos bis zu Aufruhr und innerer Unruhe verselbstän-digt. So aber nahm man an der Regierung je nach eigener Färbung entweder einen leichten melancho-lischen Hauch wahr, wie er zum Handeln tragischer Figuren gehört, oder ein ironisches Timbre, weil jemand anders klingt als er gestimmt ist – beides kein geeigneter Gegenstand für eine dramatische Erklärung durch die Wissenschaft.

Im übrigen konnte man eine eher geringe Solidarität der Wissenschaftler mit ihrer Regierung beobach-ten. Am stärksten ist sie sicher noch bei jenen ausgeprägt, die wie schon ihre Vorgänger und Vorvor-gänger zum Beispiel in technischen Distrikten mittelbar oder unmittelbar für den Krieg arbeiten. Nie-mand legt sich leichthin mit seinem Brotherrn an. Am wenigsten identifiziert sind dagegen jene, die im Dienste der Wirtschaft stehen. Sie verspüren in der Regel keine über die allgemeine Loyalitäts-pflicht des Staatsbürgers hinausgehende Neigung zur Eintracht mit dem Regenten. Wieder anders ist es bei den im Staatsdienst beamteten Wissenschaftlern. Sie wissen, was sie den Regierenden schuldig sind. Schließlich sind mit ihrer Finanzierung herkömmlich bestimmte Verpflichtungen verbunden. „Bringschuld“ pflegt man neuerdings in naßforschem Mißbrauch eines Fachworts der Juristen das zu nennen, was zu jenen Zeiten, als die Akademie noch die Preußische Akademie der Wissenschaften hieß, einfach als „Pflicht“ bezeichnet wurde. Zur Staatsdienerpflicht aber gehört es, zu Zeiten den Mund zu halten. Was natürlich nicht völlig unkritisch geschehen muß. Einzelnen wird das Recht auf Widerspruch zugebilligt. Theologen zuvörderst. Dann den Philosophen, den Militärexperten, auch den Juristen, etwas entfernt schon den Historikern oder Ethnologen. Der ordinäre Naturwissenschaftler, die Mediziner, Mathematiker oder Philologen sollten dagegen von vorlauter Zungensucht Abstand neh-men.

Wo von Innen und Außen so wenig Ermutigung einzuwerben ist, da herrscht ein schlechtes Klima für gemeinsame Erklärungen. Da geht die Neigung dahin, den Standpunkt der Standpunktlosigkeit einzu-nehmen. Der ist moralisch durchaus vertretbar, nämlich dann, wenn alle Standpunkte entweder im Recht oder im Unrecht sind. Und beides schien im vorliegenden Fall häufig gut begründbar.

Also werden Wissenschaftler wohlberaten sein, wenn sie, falls überhaupt, nur zu Fragen der Wissen-schaft oder der Wissenschaftspolitik Erklärungen abgeben. Was schließlich nicht bedeutet, daß sie in allen anderen Dingen zum Schweigen verurteilt wären. Die Medien sind in der Regel gern bereit, pro-fessorale Bekundungen aller Art zu veröffentlichen, so daß sie ihre politischen Ansichten unge-schminkt zum besten geben können. Unter den Bedingungen der Unfreiheit ist das bekanntlich anders. Es wäre sicher aussichtslos gewesen, 1933 den Versuch zu machen, die Medien gegen die Entlassung jüdischer Kollegen zu mobilisieren. Entsprechende Versuche sind allerdings auch nicht bekannt ge-worden.

IV.

Frage eines Journalisten: Wenn man keine Erklärung zum Krieg abgeben kann, kann man aber viel-leicht den Krieg wissenschaftlich erklären?

Antwort eines Akademikers: Akademiker wären keine Wissenschaftler, versuchten sie nicht, das Un-verständliche zu verstehen und es den anderen zu erklären. „Es hat also der Mensch seine innere und äußere Umwelt selbst zu ordnen. Dafür zur Verfügung stehen ihm äußere Erfahrungen und inneres Rückerinnern“, hat Gottfried Benn unter der Losung „Erkenne die Lage!“ seinen Zeitgenossen und allen Späteren ins Stammbuch geschrieben. Wie also ist die Lage?

Manche glauben, daß es sich bei dem Krieg um eine gerechte Sache gehandelt habe oder jedenfalls jetzt handele, da der Erfolg irgendwie Recht zu geben scheint. Die Rechtsfrage hat Konjunktur, wobei allenfalls auffällt, daß Nichtjuristen besonders prominent an den juridischen Träumen beteiligt sind. Das Ergebnis ist noch unklar, aber jedenfalls wird der 24. März 1999 ein welthistorisches Datum wer-den. Denn wir sind die Zeugen einer Revolution, die noch nicht weiß, ob der Tag als Markstein ruch-

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losen Übergangs vom Völkerrecht zum Faustrecht oder als kühner Schlußstrich unter das alte, im Souveränitätsmodell befangene Denken im Gedächtnis bewahrt werden wird.

Manche träumen davon, der scheußliche Abschluß dieses vom Ethnonationalismus entstellten Jahr-hunderts möge einen tieferen Sinn gehabt haben. Man montiert sich ein gutes Gewissen durch die Beschwörung höherer Werte. „Humanitärer Krieg“ nennt sich diese, nicht bloß sprachliche Verirrung. Der höhere Wert sind die Menschenrechte der Vertriebenen, zu deren Schutz wir aufgebrochen sind, ohne sie mit den eingesetzten Mitteln schützen zu können. Zwar muß dann wohl die bewährte Formel des Immanuel Kant aufgegeben werden, wonach „kein Staat … sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewaltsam einmischen [soll]“. Aber das läßt sich rechtfertigen. Nicht bloß mit Bildern, die uns anschreien, oder mit der rhetorischen Frage, ob denn Souveränität wirklich grenzenlos sein dürfe. Man kann darauf verzichten, jemanden als „Souveränitätsfanatiker“ zu beschimpfen oder Pazifismus mit Zynismus gleichzusetzen, wenn es gelingt, die faktische, bald Gewohnheit werdende Weiterentwicklung des Völkerrechts wissenschaftlich darzulegen oder – noch besser – wenn man Kant mit der „humanitären Intervention“ überholt, indem man die kosmopolitische Weltgesellschaft, den Weltverfassungsstaat ohne Nationen und Ländergrenzen für angebrochen erklärt.

Jedenfalls virtuell, denn realiter sagen uns Benns „äußere Erfahrungen“, daß es zur Zeit eigentlich überall nach Zunahme und nicht nach Abnahme des Nationalismus aussieht. Aber kosmopolitische Virtualität genügt schon für den logischen Schluß, daß keine Grenzen verletzt werden konnten, so daß Kant doch noch gilt, und sei es auch nur im Verhältnis zu den Extraterrestrischen.

Zu den rechtlichen Erklärungen gesellen sich die moralischen Urteile. Zum Beispiel, daß wir es unse-rer Geschichte schuldig wären, das brutalste und gewalttätigste Regime Europas zu beseitigen. Was freilich nicht geglückt ist. Oder, daß die Menschenrechte vor Frieden gehen müssen, wenn der Boden für Demokratie, Marktwirtschaft und andere Werte bereitet werden soll. Was aber gewinnt verbrannte Erde durch westliche Werte, bei deren „innerem Rückerinnern“ zudem regelmäßig der Wert unserer Waffenlieferungen auf den Balkan vergessen wird. Andererseits behauptet sich auch die Vorstellung, die NATO sei mittels Bomben auf der Suche nach einen neuen Identität, die Waffenproduzenten hät-ten einen Intelligenztest ihrer Superwerkzeuge benötigt oder die Amerikaner wollten sich in typischer Mischung aus Imperialismus und Altruismus als Weltpolizisten inszenieren … und was dergleichen halbplausiblen Traumgesichte mehr sind.

Was also erkennt der nüchterne Wissenschaftler angesichts dieser Lage?

Die Lage ist unkenntlich und deswegen sind der Lehren viele. Historische und machtpolitische, philo-sophische, theologische, juristische und ethnologische An- und Einsichten häufen sich und versperren einander die Sicht.

Es bleibt: Der Balkan ist der Balkan. Und: der Wissenschaftler gehört tatsächlich zu den Hilflosen. Seine bittere Lehre formuliert ihm Thomas Bernhard: „Was mit den Menschen zusammenhängt, ist immer grotesk, und der Krieg und seine Umstände und Zustände sind die groteskesten“. Aber die Hauptlehre: „Nie wieder Krieg!“ ist genauso anfällig für die Zeitläufte wie Heraklits Weisheit, daß der Krieg „der Vater aller Dinge“ sei – anfällig wie wir selbst.

Als Forschungsprojekt wird aufzunehmen sein, was die Vertriebenen künftig mit den Menschenrech-ten, die wir ihnen gerettet haben, anfangen werden.

Der NATO-General hatte Recht, wenn er am 26. Mai, als die Zweifel an den Bombengründen sich allmählich nachhaltig meldeten, durch das Radio funkte: „Unsere Gründe sind noch genau so gut wie am Anfang“. Ganz richtig. Es war von Anfang an klar und der in diesen Tagen zu beobachtende Ab-zug einer nahezu intakten serbischen Armee hat es nochmals gezeigt: Die Kriegsziele – auch die ge-gen die ursprünglichen später eingetauschten – waren niemals zu erreichen. Dieser Krieg ist wissen-schaftlich nicht zu erklären.

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Die Welt aber sieht auch ohne Wissenschaft: Die fehlende europäische Sicherheitsordnung kann nicht durch Bomben herbeigedonnert werden. Der Wissenschaftler kann jetzt nur noch versuchen, mitzu-schreiben und dadurch mit zu entscheiden, wie später einmal von diesem Krieg erzählt werden wird.

V.

Frage eines Staatssekretärs: Wenn ich recht verstehe, ist es den Wissenschaftlern weder möglich, eine politische Erklärung zum Kriege abzugeben, noch eine wissenschaftliche Erklärung der Kriegspolitik zu finden. Hoffentlich steht es bei der Wissenschaftspolitik besser?

Antwort eines Akademikers: Auf diese Frage sind viele Antworten möglich: Unseriös wäre die Fest-stellung, daß die Akademie viel zuwenig Mittel hat, um eine Wissenschaftspolitik, die sich lohnt, ins Auge fassen zu können. Schließlich sind wir – wie alle heutzutage – dankbar, wenn unsere Finanzie-rungsträger „Überrollen“ in Aussicht stellen und unsere Bemühungen um die Flexibilisierung des Budgets unterstützen. Korrekter wäre: wir waren erfolgreich, was angesichts unserer finanziellen Grundlagen mehr als erstaunlich ist. Und völlig präzise: Ohne als Unterstützung verkleidete Behinde-rungen wären wir vielleicht sogar weiter.

Ein Beispiel für das Letztere: Es ist willkommen und erfreulich, wenn uns das Parlament zur Mittel-umschichtung aus abgestandenen Akademienvorhaben in aktuelle und gesellschaftlich relevante Un-ternehmungen ermuntert. Aber die energische verwaltungsmäßige Einforderung solcher Taten wirft uns zurück, solange der wohlmeinende Souverän nicht auch die Möglichkeit hat, sicherzustellen, daß auf dem Verschiebeweg die Mittel nicht vollständig verloren gehen. Brave sozialpolitische Absichten hat schließlich sogar das Arbeitsrecht. Aber solange öffentlich bedienstete Wissenschaftler mit den Schutznormen für Industriearbeiter umhegt werden, wird jede akademische Qualitätsbesinnung zur hilflosen Geste.

Ein Beispiel für den Erfolg: Die bevorstehende Gründung der Jungen Akademie. Höchstens 50 junge Wissenschaftler im jüngeren Erwachsenenalter (zwischen Promotion und Habilitation) – also in einer Zeitspanne, die für die Ausbildung wissenschaftlicher Eliten besonders bedeutsam ist, wo aber die staatlichen Programme bisher ausgesprochen lückenhaft sind oder überhaupt fehlen – werden in die Lage versetzt, sich in größter Freiheit transdisziplinären Aufgaben zu widmen. Die Vorbereitungen für diese Neugründung sind abgeschlossen. Die Ausschreibung ist angelaufen. Das Experiment kann im nächsten Jahr zum 300-jährigen Geburtstag der Akademie an den Start gehen. Es ist ein Experiment, das gleichzeitig ein zweites, viel wichtigeres, unterstützen und auf den Weg bringen soll. Wir gründen nämlich „Die Junge Akademie“ gemeinsam mit der Leopoldina, der Gesellschaft der Naturforscher in Halle. Dem gemeinsamen Geschöpf ist außer der Nachwuchsförderung die Aufgabe zugedacht, eine mehr als projektmäßig unverbindliche Zusammenarbeit zwischen BBAW und Leopoldina einzuläuten. Es handelt sich um den Testfall für den Bau eines großen Vereinigungsreaktors.

Ich füge einige Beispiele für wissenschaftspolitische Essayistik an, die in der Regel für ein Geringes möglich ist: ein Strategiepapier über die Wissenschaftsentwicklung Brandenburgs, das vor einigen Tagen im Kabinett in Potsdam diskutiert wurde; ein Papier über die Schwerpunktbildung Molekulare Medizin in Berlin, das in der vorigen Woche Senator Radunski übergeben werden konnte; ein Gen-technologiebericht, den wir als Periodicum über Stand und Zustand der gentechnischen Forschung vorbereiten; ein Anlauf zu einer im Jahre 2001 zusammen mit der Leopoldina einerseits, mehreren Wissenschaftsorganisationen andererseits durchzuführende Wissenschaftsmesse, die uns endlich das public understanding, das öffentliche Verständnis für die Wissenschaften und ihre Anliegen verschaf-fen soll.

Abschließend noch einige betrübliche Beispiele für Investitionen, die unsere Wissenschaftspolitik wesentlich effizienter machen würden, wenn wir die Möglichkeit hätten, sie zu bezahlen : es fehlen uns immer noch die Experten, die die Digitalisierung der Akademiearbeit endgültig auf den Weg brin-gen können; es fehlt uns dringend der Arbeitsplatz für den Ausbau der internationalen Beziehungen,

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an deren Installation der Vizepräsident ebenso unverdrossen wie einsam werkelt; es fehlen uns die Arbeitsplätze für ein professionelles, nicht laienhaft und unbeholfen durch den Präsidenten und seine Generalsekretärin betriebenes Fundraising; und – last not least – die Betreuung der Publikationen, Broschüren, Prospekte und Plakate der Akademie lebt von der Hand in den Mund.

Also mit einem Wort: Die Wissenschaftspolitik läuft gut und macht Spaß. Allenfalls: Die Kosten ver-salzen das Vergnügen.

VI.

Frage eines Kindes: Wird es auch eine Wissenschaftspolitik für die Jugoslawen geben oder nur für uns?

Antwort eines Akademikers: Wissenschaftspolitik für Jugoslawien – und seine Nachbarn – kann ge-genwärtig nur in der Gewährung von Hilfe bestehen. Diese Hilfe kann sich sicher nicht darin erschöp-fen, daß die Wissenschaftler sich darauf berufen, sie würden bereits als Staatsbürger mit ihren Steuern dazu beitragen wieder aufzubauen, was nicht sie, aber andere mit ihrer Billigung zerstört haben. Es wird auch nicht genügen, daß die Wissenschaft ihre Berücksichtigung in einem Marshall-Plan für den Balkan fordert – ein Plan, der kommen muß, weil er angesichts der zerstörten zivilen Infrastruktur des Landes unvermeidbar ist. Es ist schließlich überhaupt nicht angebracht, andere aufzurufen, etwas zu unternehmen. Denn es entspricht rechtshistorisch gut bezeugtem Menschengedenken, daß die Täter selbst etwas tun müssen – und leider befinden wir uns in diesem Fall unter ihnen. Außerdem sollten wir zeigen, daß uns unser Krieg verändert hat im vorhin zitierten Sinne von Slavenka Drakuli�.

Wissenschaftler können allerdings nur mit den bescheidenen Mitteln der Wissenschaft helfen. Und was sie damit zu bewerkstelligen in der Lage sind, ist das, was in Forschung und Lehre ohnehin ihr tägliches Geschäft ist: Ergebnisse formulieren und sich an Kollegen und andere Wissenschaftler wen-den, um sie auszutauschen und zu diskutieren, Studenten unterrichten und im In- und Ausland als Wissenschaftsbotschafter auftreten. Daraus Hilfe abzuleiten bedeutet wenig und viel zugleich. Wenig, da nur ein winziger Teil der Notleidenden betroffen ist. Viel, weil es stets von größtem Gewinn ist, wenn dem friedvollen Miteinander via Wissenschaft irgendwo zum Durchbruch verholfen wird. Au-ßerdem sind Wissenschaftler Multiplikatoren der Rationalität. Friede und Vernunft: wieviel Wissen-schaft dazu beitragen kann, hat man nicht zuletzt in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg erfahren.

Deshalb startet in diesen Tagen eine „Balkan-Initiative“ der Berliner und der Brandenburgischen Wis-senschaft. Was „Balkan“ geographisch heißt, ist, wie nach anderen Slavoj Žižek kürzlich wieder ge-zeigt hat, eine Frage der Perspektive. Für die einen beginnt er hinter Wien, für die anderen hinter Bel-grad, für die dritten hinter Paris. Bei unserem Vorhaben meinen wir das heutige Jugoslawien und seine unmittelbaren Nachbarn. Die Initiative gilt den Wissenschaftlern dieser Region.

Initiatoren sind die Präsidenten der drei Berliner Universitäten, Jürgen Ewers, Peter Gaehtgens und Hans Meyer, die Präsidenten der drei Universitäten Brandenburgs, Wolfgang Loschelder, Ernst Sig-mund und Hans Weiler, der Rektor des Wissenschaftskollegs, Wolf Lepenies, der Präsident des Wis-senschaftszentrums Berlin, Friedhelm Neidhardt, der wissenschaftliche Vorstand des Max-Delbrück-Zentrums für Molekulare Medizin Berlin-Buch, Detlev Ganten und die Gesamtheit der Mitglieder der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Ferner haben aus dem Raum Berlin und Brandenburg zahlreiche Direktoren und Institutsleiter der Herrmann von Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz ihre Mitwir-kung an und ihre Unterstützung der Initiative in Aussicht gestellt.

Es geht nicht darum, ein Programm der Umerziehung zu entwerfen, um westeuropäische Wertestan-dards zu vermitteln; eine politisch und sozial destabilisierte Region geistig zu kolonisieren oder die arrogante geschichtsvergessene westeuropäische Einmischungspolitik mit wissenschaftlichen Mitteln fortzusetzen.

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Es geht darum, Hilfe von Wissenschaftlern für Wissenschaftler zu organisieren, in der Hoffnung, die ihnen gemeinsamen Grundhaltungen so zu stärken, daß sie in das Fundament einer gemeinsamen eu-ropäischen Zukunft eingehen werden. Es geht darum, die Wissenschaftler auf dem Balkan untereinan-der und mit uns wieder in das normale wissenschaftliche Gespräch zurückzuführen, wobei jenen wis-senschaftlichen Einrichtungen, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Kriegsregion arbeiten, eine führende Rolle zufallen soll. Und es geht um wissenschaftliche Hilfe bei der gigantischen Aufbauan-strengung, die jetzt nötig ist, wobei einige Einsichten aus unserer jüngsten Geschichte von allgemei-nem Nutzen sein könnten.

Für die Initiatoren bedeutet dies, daß sie – an der BBAW – eine Kopfstelle bilden und daß zunächst jeder in seinen schmalen Ressourcen kramt, um Stipendien, Gastprofessuren, Austauschprogramme, Sommerkurse, Aufbauworkshops und was immer es in diesem Bereich an Möglichkeiten gibt, aufzu-spüren und als erste Hilfe zur Verfügung zu stellen. Aber wir werden uns auch um öffentliche und private Unterstützung und Mittel bemühen.

Wenn Sie helfen wollen, können Sie noch heute beginnen. Vielleicht hat der Krieg ja auch Sie verän-dert.

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Anlage 2 Bericht Zweiter „Balkan-Rundtisch“ Thema: „Intellektuelle im Kontext der Balkan-Region“ Veranstaltungsort: Central European University, Budapest (Ungarn) 26./ 27. April 2001 Autorin: Dr. Marion Neumann, Akademie der Künste, Berlin 26. April 2001 Begrüßung

Yehuda Elkana bewertet die Tatsache des Gesprächs zwischen Intellektuellen der Balkan-Staaten als Erfolg. Der Rundtisch in Budapest schließe inhaltlich an den Berliner Rundtisch an und solle in der Region fortgeführt werden – in wechselnder oder mitunter auch in bleibender Besetzung, mit anderen Themen, in verschiedenen Städten. Anders als in Berlin solle der Balkan-Rundtisch in Budapest durch thematische Schwerpunkte strukturiert werden, die Ergebnisse der Berliner Diskussion seien.

György Konrád erinnert an den Beginn der Rundtisches in Berlin, der auf eine Initiative von Dieter Simon, dem Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, und von ihm selbst zurückgehe. Er begrüßt die in der Zwischenzeit entstandene gute Zusammenarbeit der beiden Berliner Akademien, der Central European University in Budapest, der Goethe-Institute sowie des Internationalen P.E.N.-Zentrums und dankt den Organisatoren dieser Einrichtungen. Die nächsten Treffen fänden in Novi Sad und in Bukarest statt. 27. April 2001 Einführung

György Konrád spricht sich für eine intensivere und systematischere Kommunikation zwischen den Intellektuellen Südosteuropas aus. Die Voraussetzungen dafür seien im Moment günstig: Nach dem Ende der sozialistischen Ära, nach den Kriegen der 90er Jahre in der Region und dem Zusammen-bruch autoritärer Systeme ließen sich individuelle und gesellschaftliche Perspektiven klarer bestim-men. Frieden und Sicherheit auf dem Balkan ohne die militärische Präsenz anderer Staaten sei eine historische Zäsur. Die Zugehörigkeit zur Europäischen Union sei nicht nur für die Länder des Balkans eine Chance, sie müsse auch von Westeuropa als Gewinn verstanden werden. Ein praktisches Resultat des Balkan-Rundtisches könne eine mehrsprachige Website im Internet sein, in der u.a. Schriftsteller ihre Texte publizieren. György Konrád schlägt vor, diese Website mit Studenten der Central European University in Zusammenarbeit mit den beiden Berliner Akademien, dem Internationalen P.E.N. und den Goethe-Instituten zu entwickeln.

1. Sitzung: "Before I make international contacts, I have to make order in my own house." / "Before I can make order in my own house, I have to make international contacts." Which is the right ap-proach? (Moderator: Sorin Antohi, Central European University)

In der Diskussion geht es zunächst um eine Bestimmung des „eigenen Hauses“. Handelt es sich dabei um ein regionales, ein nationales oder ein internationales Haus? Läßt sich dieses Haus auf ein Staaten-gebilde reduzieren, oder ist es nicht vielmehr eine Art geistig-kultureller Besitz? Sorin Antohi erläutert das ambivalente Verhältnis vieler Rumänen zum Balkan lakonisch mit: „Von Plato zur Nato“. Mit ihren kulturellen Interessen fühlten sie sich stärker Westeuropa als ihren Nachbarn verbunden. Der

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brain drain sei in Rumänien und in anderen Ländern der Region erschreckend. Alexander Kiossev berichtet, daß junge gut ausgebildete Bulgaren nicht die Absicht hätten, ihr „eigenes Haus in Ordnung zu bringen“. Ein Anreiz zum Bleiben müsse über konkrete und attraktive Projekte geschaffen werden.

Mehrere Teilnehmer fragen, warum die internationalen Kontakte häufig nur auf Beziehungen nach Westeuropa reduziert würden. Oftmals bedeuteten die Kontakte zum Westen den „Sprung“ aus der Region, die Distanzierung von den Nachbarländern und auch die Vertiefung von Feindbildern. Vor-aussetzung für bessere Beziehungen nach Westeuropa sei zuallererst der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den Balkan-Ländern (Zdravko Grebo, Fatos Lubonja). Halil Berktay befürchtet, daß die Konzentration auf die „Ordnung im eigenen Haus“ dem Nationalismus die Türen öffnet. Wissen-schaftliche Projekte seien auf den Austausch unterschiedlicher Positionen aus dem In- und Ausland angewiesen. Nenad Popovic berichtet von der Gründung der Gruppe 99, der Autoren aus dem ehema-ligen Jugoslawien sowie auch Freimut Duve und Peter Weidhas angehören. Ziel dieser Vereinigung sei die Überwindung des Nationalismus in seiner kulturellen Ausprägung.

Um nationalistische Tendenzen zu bekämpfen, dürften bei international geförderten Programmen eth-nische Minderheiten nicht mehr ausgeschlossen werden, meint Nenad Dimitrijevic. Als Präsidentin des Kroatischen P.E.N. hat Sibila Petlevski mehrmals erfahren, wie uninformiert und desinteressiert westliche Journalisten an den Problemen in Kroatien sind. Ihr Eintreten für den freien Ideen-Austausch mit Kollegen anderer Länder habe ihr zu Hause den Vorwurf eingebracht, die Interessen ihres Volkes zu verraten.

2. Sitzung: "Divided Market – Common Market and Possibilities of intra-Balkan Economic Coopera-tion" (Moderator: Stefan Messmann, Prorektor der Central European University, Budapest)

Stefan Messmann zieht eine Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region. In Serbien und in Bosnien sei die Produktion fast völlig zum Erliegen gekommen, bewährte Märkte existierten nicht mehr. Die ökonomische Zusammenarbeit zwischen den Ländern müsse erst wieder entwickelt werden: Über Freihandelszonen und über die Beseitigung von Investitionshemmnissen, um auch ausländisches Kapital in die Region zu holen. Die politischen und ökonomischen Bedingungen in den Ländern seien so zu gestalten, daß gemeinsame Märkte Normalität würden.

Huri Islamoglu sieht die Gefahr einer doppelten Krise für den Balkan durch die Schwierigkeiten der eigenen und der internationalen Wirtschaft. Die Einbindung in globale Entwicklungen erfordere starke Regulierungsmechanismen. Korruption, organisiertes Verbrechen, Armut, Abwanderung der Eliten, Strukturprobleme und fehlende Steuereinnahmen würden in vielen südosteuropäischen Ländern den Alltag prägen und die Entwicklung eines Arbeitsmarktes hemmen, betonen Vesna Raki�-Vodineli� und Fatos Lubonja. Aleksandar Ivkovac berichtet, daß das Thema ‚Freihandelszonen’ weder im Fern-sehen noch in der Presse der Balkan-Länder während der letzten Monate eine Rolle gespielt habe. Von westlichen Standards geprägte Konsumwünsche seien weit verbreitet und verzerrten die wirklichen Erfordernisse. Nenad Popovic und Nenad Dimitrijevic fragen nach der Vergabe von Mitteln und der Effizienz der Arbeit des Balkan-Stabilitätspaktes: An Informationen über die Aktivitäten des Stabili-tätspaktes fehle es nicht – das eigentliche Problem sei jedoch, ob die geförderten Projekte wirklich sinnvoll seien. Marion Neumann weist darauf hin, daß diese Rundtisch-Gespräche auch durch Gelder des Stabilitätspaktes für Südosteuropa gefördert würden.

3. Sitzung: "Between ivory tower and mere activism: where is the intellect of SEE located?" (Modera-tor: Matthias Rüb, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Matthias Rüb erinnert an die Aufgaben des Balkan-Rundtisches, auf die sich die Teilnehmer des Ber-liner Treffens geeinigt hätten: Sowohl ein think tank zu sein als auch konkrete Projekte für die Region anzuregen, zum Beispiel im Bereich der Bildung und Ausbildung junger Menschen. Bei den anstehen-

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den kulturellen, ökonomischen und auch politischen Transformationsprozessen seien die Intellektuel-len in besonderem Maße gefordert.

Filip David ist im Moment pessimistischer als in der Zeit des Miloševi�-Regimes. Wirkliche Alterna-tiven seien nicht erkennbar. Nie habe er sich so erschöpft gefühlt wie jetzt. Ein Vergleich mit dem Ende der Weimarer Republik dränge sich auf: Die desolate ökonomische Situation, Enttäuschungen durch soziale Not, zunehmender Nationalismus und das Verlangen nach einem „Führer“, der Lösun-gen für die ökonomischen und sozialen Probleme zeigen könne. Nur noch wenige der einstigen oppo-sitionellen Gruppen seien arbeitsfähig. Wichtig sei es, zwischen den Ländern bessere Kontakte zu knüpfen; für die Schriftsteller würde das bedeuten, ihre Texte über Ländergrenzen hinweg zu publizie-ren. Um so bedauerlicher sei es, daß überregionale Verlags- und Zeitschriftenprojekte bei der Vertei-lung europäischer Gelder kaum Berücksichtigung fänden.

Slobodan Snajder sieht die ursprüngliche Gemeinsamkeit der südosteuropäischen Völker zerstört, sie müsse sowohl ökonomisch als auch kulturell wieder entwickelt werden. Nur durch die Akzeptanz von Unterschieden könne sich wirklicher Respekt füreinander entwickeln. Beispielsweise sollten Reisen und Begegnungen von Jugendlichen auch finanziell gefördert werden. Halil Berktay beschreibt die spezifische Situation der türkischen Intelligenz zwischen De-Intellektualiserung in der Politik und Ansätzen modernen Denkens beim Militär und in der Geschäftswelt, die auf eine demokratischere Türkei hoffen ließen. Terry Carlbom berichtet von den Möglichkeiten des P.E.N., Schriftsteller auch in der Balkan-Region zu unterstützen. Seit einiger Zeit schon fördere der Internationale P.E.N. den Jugend-Balkan-P.E.N., ein Projekt für junge Menschen unter 30 Jahren. Sie sollen die Gelegenheit haben, sich künstlerisch zu artikulieren.

Matthias Rüb sieht in der Erschöpfung, die nun der früheren Aufbruchstimmung vieler engagierter Intellektuellen folge, ein alarmierendes Zeichen, das den brain drain, Stagnation und das Erstarken des Nationalismus befördere. Demgegenüber seien Kommunikation und Partnerschaft nötig. Erst wenn man gelernt habe, sich gegenseitig in allen Unterschieden zu akzeptieren, sei wirkliches Ver-ständnis füreinander möglich.

György Konrád stellt resümierend fest, daß die Diskussion mehr und mehr durch unemotionale und authentische Beiträge geprägt sei. Der Einfluß von Intellektuellen auf gesellschaftliche Vorgänge sei im Positiven wie im Negativen unbestreitbar.

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Anlage 3 Protokoll Dritter „Balkan-Rundtisch“ Thema: „Border Cultures“ Veranstaltungsort: Multicultural Center Novi Sad, in Zusammenarbeit mit dem Open So-ciety Institute 04. - 06. Mai 2001 Autorin: Dr. Eva Karadi (Eötvös Loránd Universität Budapest/ „Lettre“)7 5. Mai 2001 Alpar Losonc, Novi Sad, grüßt alle Teilnehmer im Abgeordnetenhaus der Stadt Novi Sad in der Hoffnung auf eine sinnvolle und ergebnisreiche Diskussion im Namen des Zentrums für Multikultura-lität, Novi Sad, der Akademie der Künste (Berlin), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wis-senschaften und der Europäischen Kulturstiftung. Das Symposium ist in Folge der Initiative und Zu-sammenarbeit dieser Institutionen zustande gekommen. Das Thema der Symposiums ist einerseits die Phänomenologie der kleinen Kulturen, andererseits das komplexe Problem der Grenzidentität. Diese Problemkreise stehen im Zentrum der gegenwärtigen Diskussionen; das Treffen soll Anlaß zur Artiku-lierung von fruchtbaren Gedankengängen und einem erfolgreichen Ideenaustausch geben. Laszlo Ve-gel, Schriftsteller und ein langjähriger Akteur in dieser Diskussionsszene, wird gebeten, die Ergebnis-se der ersten beiden Balkan-Rundtische in Berlin und in Budapest zusammenzufassen und einige ein-leitende Gedanken zu entwickeln.

Laszlo Vegel, Novi Sad, berichtet über die Rundtische in Berlin und Budapest und über die Möglich-keiten eines Neubeginns der Kommunikation auf kulturellem Gebiet in Ex-Jugoslawien. In der neuen Ära muß man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Auf dem Budapester Treffen wurde klar, daß es nicht nur um die Probleme von Ex-Jugoslawien geht, da alle Fragen, mit denen man in Ex-Jugoslawien konfrontiert wurde, für die ganze Region aufgegeben sind. Ein besonderes Problem, für dessen Diskussion Novi Sad besonders geeignet ist, ist das Problem der Randkulturen.

Das Symposion in Novi Sad steht im größeren Zusammenhang einer Konsultationsreihe, auf der in Berlin und Budapest die Probleme von Ex-Jugoslawien diskutiert wurden in dem Sinne, wie man die Kommunikation von Intellektuellen wieder erwecken und sinnvoll machen und die Vergangenheit bewältigen könnte. Das Treffen in Novi Sad ist im Rahmen dieses Diskussionszyklus organisiert mit einem besonderen Thema, nämlich der Problematik der kleinen Kulturen, der Randkulturen. Das Pro-blem von Ex-Jugoslawien ist nicht nur dessen eigenes Problem, es betrifft vielmehr die ganze Region, und wie diese Region zu Selbstbewußtsein erweckt wird, sich ihre Probleme bewußt macht, so werde sie auch fähig, den Staaten des ehemaligen Jugoslawien zu helfen. Ich stelle mir eine Art von Famili-entherapie, von gemeinsamer Genesung vor. Ich bin davon überzeugt, daß die sog. Randkulturen in diesem Prozeß eine viel größere Rolle spielen können, als man zu glauben bereit ist, da diese Über-gangsgebiete über die besten Genesungsmittel verfügen. Darüber muß später noch ausführlicher ge-sprochen werden.

Alpar Losonc, Novi Sad, stellt als Moderator der ersten Sitzung die Frage nach den Grundbegriffen dieses Rundtisches. Was heißt überhaupt kleine Kulturen? Im Sinne der bisherigen Traditionen hatte der Begriff „kleine Kulturen“ etwas Pejoratives in sich, etwa wie „Kleinstädterei“ und trug die Bedeu-tung der Provinzialitätät, der Fragmentiertheit in der Gegenüberstellung des Balkans mit Mitteleuropa. Später kam die Umwertung dazu: „Small is beautiful“. Kulturen können nicht im quantitativen Aspekt beurteilt werden, klein würde in diesem Sinne etwas Ungenügendes bedeuten. Was könnte die qualita-

7 Da die Autorin des Protokolls ungarische Muttersprachlerin ist, wurde eine redaktionelle Überarbeitung und Korrektur des Textes erforderlich.

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tive Bedeutung des Begriffes „kleine Kultur“ im Sinne der Quellen, der zur Verfügung stehenden Res-sourcen und der Identitätsbildung sein?

Die Situation der kleinen Kulturen hat sich in den dynamischen Konstellationen der 90er Jahre grund-sätzlich verändert. Die Globalisierungsphänomene, die Kommunikationstechniken, die ökonomischen Grundlagen machen es möglich, daß wir die Probleme der kleinen Kulturen unter den veränderten Rahmenbedingungen der 90er Jahre thematisieren. Wie positionieren sich die kleinen Kulturen in den kolloquialen journalistischen und akademischen Diskursen in der Perspektive der Globalisierung usw.?

Ein dritter Aspekt dieses Fragenkomplexes ist der in den 90er Jahren zum Vorschein gekommene Ethnonationalismus, der Ethnozentrismus, der seine tragischen, blutigen Konsequenzen demonstriert hatte. Es ergibt sich in diesem Kontext die Widersprüchlichkeit zwischen ethnischer Eingeengtheit und kosmopolitischen Tendenzen der Globalisierung. Wie können sich die kleinen Kulturen in diesen Dimensionen bewegen – zwischen der Anerkennung der eigenen Identität und der Überwindung der lokalen Identität? Es ergibt sich in diesem Fragenkomplex angesichts neuer Kommunikationstechni-ken die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation zwischen den kleinen Kulturen. Welche Be-dingungen würden diese Kommunikation ermöglichen, welche sie verstärken?

Der Moderator bittet die Teilnehmer des Panels, sich zu diesen Fragen zu äußern.

Gabor Csordas, Pecs, beginnt mit einer provokativen These: Man sollte eine scharfe Unterscheidung zwischen dem Begriff der kleinen Kultur und dem Begriff der Grenzidentität machen. Die beiden können nur unter einem solchen Gesichtspunkt identisch oder gleichbedeutend erscheinen, wenn wir voraussetzen (was eine sehr verbreitete Hoffnung ist), daß die Verstärkung des Einflusses der Grenz-identitäten fähig sei, in den Zentren der nationalen Kulturen eine multikulturelle Einsicht zu generie-ren. Nehmen wir ein Beispiel aus Rumänien: E steht zu vermuten, daß in Siebenbürgen mehr und mehr Menschen zu finden sind, die sowohl in der ungarischen wie auch in der rumänischen Kultur zu Hause sind, und dem zufolge sowohl in Budapest als auch in Bukarest eine multikulturelle Einsicht sich herausbildet – in Budapest entwickelt sich eine spürbare Neigung zur Anerkennung der Andersar-tigkeit, der besonderen Werte und Mehrwerte der rumänischen Kultur und umgekehrt. Diese Hoffnung ist nicht auf europäische, sondern auf amerikanische Erfahrungen gegründet. In den Vereinigten Staa-ten hat die Nationalkultur eine in sprachlich-ethnischer Hinsicht neutrale, rechtlich-konstitutionelle Basis. Deswegen infiltrieren die verschiedenen nationalen Identitäten diese Nationalkultur leicht. Die verschiedenen lokalen Identitäten oder Gender-Identitäten, also alle kulturellen Variationen, gelangen leicht ins Zentrum der nationalen Kultur und beeinflussen es leicht.

Meine 30jährige Erfahrung als Übersetzer und Kulturvermittler zeigt dagegen, daß dieses Verhältnis in Europa gerade umgekehrt ist. Die Grenzidentitäten haben auch verschiedene Formen, verschiedene Modelle. Es würde sich lohnen, auch darüber zu sprechen. Es gibt grob drei Grundmodelle: Die Koi-né, die Hybridisation, die Bikulturalität und der Kosmopolitismus. Diese sind alle Grenzidentitäten, sie strukturieren sich aber sehr verschieden.

Was ich gesehen habe, war, daß diese Grenzidentitäten die kulturellen Zentren nicht wesentlich beein-flussen konnten. Sofern eine multikulturelle Einsicht in den europäischen Kulturzentren entstanden ist – weil sie zustande gekommen ist, das ist unleugbar –, ist sie nicht durch die Grenzidentitäten zustande gekommen. Ich glaube, daß die Grenzidentitäten von den Zentren der nationalen Kulturen gesehen ebenso unverständlich und fremd bleiben, bis im Zentrum keine Einsicht aus anderen Quellen entsteht.

Demgegenüber vollzog sich der Mechanismus der Herausbildung der kleinen Kulturen oder der loka-len Kulturen in der Form der Suche und der Herausbildung einer eigenen Identität, einer neuen Iden-tität, einer kleineren homogenen Identitätszone. Das kann man gerade im ehemaligen Jugoslawien sehr gut beobachten, wo sich bei den kleinen Kulturen eine neue, homogene Identität gebildet hat. Und man kann sehen, daß die Erweiterung der kleinen Kulturen um den Preis der Auslöschung der Grenz-identitäten vor sich ging. Je mehr eigene Identität, desto weniger Verständnis für die andere. Nach meiner Beobachtung ist das die Erfahrung der letzten 30 Jahre überall in Europa. Wir können uns

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selbst nicht besser verstehen, wenn wir die anderen weniger verstehen. Der Mechanismus der kleinen Kulturen ist gerade der Gegensatz davon. Wir wollen uns selbst womöglich immer vollkommener verstehen. Von kultureller Sicht aus ist das ein hoffnungsloses Unternehmen.

Gerhardt Csejka, Frankfurt am Main: Das Beste ist vielleicht, wenn ich kurz erzähle, wie ich hierher gekommen bin. Hier steht zwar Gerhardt Csejka, Frankfurt, aber eigentlich stamme ich aus der Ge-gend von Timisoara, aus dem Banat, gehöre ich zu der dortigen sogenannten „deutschen Minderheit“. Es gab immer eine deutsche Kultur, die sich nicht als Minderheitenkultur verstand, die eine regionale Identität hatte. Ich bin mit einigen Kollegen, die Sie sicher kennen – Herta Müller, Richard Wagner –bekannt geworden; wir haben in den 60er und 70er Jahren versucht, den Ausbruch aus der kleinen Provinz Banat zu schaffen, und zwar in Richtung Europa. Also nicht in der Umgehung der rumäni-schen Mehrheitskultur, aber jedenfalls auch nicht mit dem Ziel rumänischer Kultur. Es ist auch bis heute so, daß die rumänische Literaturschreibung die Literatur der Minderheiten als Subsysteme be-handelt, aber sie erscheinen nicht im Zusammenhang der rumänischen Literaturentwicklung. Das ist deshalb wichtig, weil es historisch auch so gelaufen ist. Die Minderheitenliteraturen haben sich als Subsysteme autonom entwickelt. Es gab kaum Kommunikation untereinander und auch nicht mit der Mehrheitskultur.

Aber schön der Reihe nach: Ich habe also begonnen, in Bukarest eine Zeitschrift zu machen, die hieß "neue literatur". Ich war Hauptredakteur von 1970 bis 1983, das war die Zeitschrift des Schriftsteller-verbandes für die deutsche Minderheit. Es gab also eine Zeitschrift, extra, speziell für die deutschspra-chige Literatur in Rumänien. Natürlich erschienen in diesen Zeitschriften auch Übersetzungen aus dem Rumänischen und umgekehrt wurden auch einige deutsche Bücher ins Rumänische übersetzt. Aber bis in die 80er Jahre hinein gab es kein mögliches, authentisches gemeinsames Interesse der Lite-raten. Man saß zusammen bei Kaffee, bei Wein oder bei Wodka, aber man hatte sonst keine gemein-samen ästhetischen, literarischen Probleme. Das hat sich in den 80er Jahren geändert, als eine junge Generation auftrat in den genannten Namen, die programmatisch und bewußt versucht hat, diesen ethnozentrischen Standpunkt zu überwinden und schlicht und einfach die beste Literatur zu machen, die man dort in deutscher Sprache machen konnte. Wir sind dann später nach Deutschland ausgewan-dert. Das heißt, die meisten leben zur Zeit in Deutschland und fühlen sich in Deutschland fremd, denn sie sind in Rumänien als Minderheitsautoren groß geworden und schaffen es nicht, in Deutschland zu Mehrheitsautoren zu werden. Das ist eine ganz eigenartige Geschichte.

Mit 1989 ist die „neue literatur“ untergegangen, es gab keine Staatssubvention mehr. Ich war schon vier bis fünf Jahre in Deutschland und hatte gehofft, daß man in Deutschland nach 1989 Interesse für die osteuropäische Literatur hat. So begann ich dann in Frankfurt die „neue literatur“ als europäische Zeitschrift weiterzumachen, mit dem Untertitel „Querverbindungen“. Die Grundidee war die, das vielleicht über die deutsche Sprache eine Möglichkeit besteht, zwischen slowakischen, rumänischen, bulgarischen, polnischen, ungarischen, russischen und ukrainischen Autoren eine Verbindung herzu-stellen. So stellte ich mir das vor, ich muß zugeben, das war vielleicht ein utopischer Entwurf, daß ich hier in deutscher Übersetzung die interessantesten Dinge aus all diesen Ländern drucke, die Hefte dann zurückschicke nach Osteuropa auf Deutsch. Fünf Jahre lang ging es einigermaßen gut – es gibt ein Heft über Ex-Jugoslawien, ein rumänisches Heft zur Leipziger Buchmesse, ein bulgarisches Heft gibt es auch, ein rein slowakisches Doppelheft. Jetzt macht auch die Leipziger Buchmesse keine Län-derschwerpunkte mehr, damit sind meine Finanzquellen erst mal versiegt, aber die Hoffnung besteht, daß ich dieses Jahr eine neue Möglichkeit für die „neue literatur“ finde. Es muß eine internationale Zeitschrift werden, es gibt ja schon einiges, es gibt Lettre, es gibt auch im Osten eine Menge Versu-che, grenzüberschreitend die Kommunikation zu pflegen.

Die wichtigste Erkenntnis aus meiner Erfahrung ist, daß die Literatur- und Kulturzeitschriften in Ost-europa und in den ehemaligen kommunistischen Ländern eine völlig andere Funktion, einen anderen Stellenwert haben als im Westen, als in Deutschland. Daher ist es problematisch, wenn die neueste Initiative namens KAFKA, in 4 bis 5 Sprachen gleichzeitig erscheint, Deutsch ist. Ich bin sehr ge-

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spannt, welche Erfahrungen die Verleger in Berlin machen werden. Ich fürchte, es wird deshalb nicht gut gehen, weil man eine solche Zeitschrift nicht nach deutschem Konzept machen kann, und umge-kehrt, nach osteuropäischen Normen funktioniert es in Deutschland nicht – als deutsches Konzept kann sie in Osteuropa nicht funktionieren. Aber das sind schon spezielle Fragen, darauf möchte ich nicht weiter eingehen.

Wir haben versucht, in Frankfurt die andere Richtung einzuschlagen, und zwar Richtung Internet mit Übersetzungen. Ich glaube nämlich, und soviel möchte ich theoretisch zu dem ganzen Komplex sagen, daß wir unterscheiden müssen zwischen der Literatur auf der Produktionsseite, daß die Autoren in ihrem subjektiven Verhältnis zur Wirklichkeit in einer anderen Situation sind, als der Verleger mit den fertigen Büchern dem Käufer gegenüber. Da muß man die Literatur einerseits und die Literaturgesell-schaft in ihren institutionellen Gegebenheiten andererseits unterscheiden. Und generell müßten wir, glaube ich, darin geübt sein, auf unterschiedlichen Ebenen zu denken und die Möglichkeiten nicht eindimensional zu sehen. Es gibt auch in der Kommunikation eine Menge Subsysteme, im akademi-schen Bereich gibt es viele Leute, die sich schon lange gut kennen, gut verstehen, über osteuropäische Problematik in einer Weise sprechen, wie es dem übrigen Publikum unbekannt ist, also eine relativ isolierte Geschichte. Herr Bethke wird zur deutschen Situation berichten können.

Dann die Medien, auch ein weniger abgeschlossenes Subsystem, ich sprach schon eben von den Zeit-schriften, von ihrer unterschiedlichen Rolle in Ost und West. Dann gibt es das Subsystem der Preis-Verleihungen vom Nobel-Preis bis zu ganz kleinen regionalen Preisen. Es ist wichtig, um die Literaten bekannt zu machen, die Kommunikation zu erweitern. In diesem Bereich gibt es also eine Menge Möglichkeiten, glaube ich, und wenn wir darüber sprechen, was man tun kann, dann darf man nichts auslassen. Mit dem Internet kann man jedenfalls die aktuelle Kommunikation verbessern.

Vielleicht noch mal kurz zurück zu meiner Minderheitensituation. Als Redakteur der Zeitschrift „neue literatur“ konnte ich viele Texte übersetzen, und ich merkte sehr bald, daß unsere Autoren, die rumä-nien-deutschen Autoren eine ganz bestimmte Einstellung der deutschen Literatur gegenüber haben. Es handelt sich um eine Position zwischen den Kulturen – die Randkulturen oder die Minderheitskulturen stehen immer zwischen zwei großen Kulturen. Zu der mit der Muttersprachen verbundenen Kultur haben sie ein ganz spezielles Verhältnis, und auch deshalb, weil sie von unten nach oben schauen. Deshalb sind sie klein, denn sie haben immer große Vorbilder in den sog. großen Kulturen. Das ist aber nicht nur ein Minderheitenproblem. Die rumänische Mehrheitsliteratur hat beispielsweise genau das Gleiche. Ich bin sicher, daß das bei den anderen Randkulturen ähnlich ist. Man guckt immer nach den großen Vorbildern, entweder die, die gerade in Mode sind, oder schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten verifiziert, groß und gut sind, die man nachahmen kann, und vergißt darüber ein bißchen seine Eigentümlichkeiten. Und was die großen Kulturen gemacht haben, daß ist die Geschichte der Welt der Völker, darüber kann man nicht verfügen, daß läßt sich kaum beeinflussen, und ich glaube auch, daß in den praktischen Fragen, die wir zu beantworten versuchen, nämlich, wie die Randkultu-ren mit den Mehrheitskulturen zu einem normaleren Verhältnis kommen könnten, wie mehr Aufmerk-samkeit auch für den Rand erzeugt werden könnte, das läßt sich, glaube ich, nicht von uns aus steuern. Dafür müßte eine Menge Dinge passieren, die wir nicht beeinflussen können, auch wirtschaftlicher Natur, da muß Aufmerksamkeit entstehen für eine bestimmte Zone. Das hat sich gezeigt, ein Krieg hat z.B. die Aufmerksamkeit für die jugoslawische Literatur erzeugt ... Wir sind Brücken, die Brücke taucht oft auf, alle versuchen wir, Brücken zu bauen. Die Frage ist, wie bringen wir die Leute dazu, über diese Brücken zu gehen.

Alpar Losonc hebt den Gedankengang über die Selbstisolierung, Selbstabgrenzung der kleinen Kultu-ren hervor, die das gegenseitige Verständnis erschwert, und bittet Marius Tabacu aus Cluj, seine Er-fahrungen von diesem Problemkreis den Anwesenden mitzuteilen.

Marius Tabacu, Cluj, erklärt, daß obzwar es so scheinen kann, daß er auf diesem Treffen die Rumänen vertritt, er dennoch keine bestimmte Gruppe vertreten möchte. Er ist überzeugt, daß wirkli-che Beziehungen nur entstehen können, wenn jedermann sich selbst vertritt, doch findet er seine Posi-

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tion symptomatisch, und daß er hier in Novi Sad auf Ungarisch über seine rumänischen Erfahrungen sprechen wird, bedeute trotzdem etwas. Er wird keine Theorien entwickeln, sondern seine Erfahrun-gen erzählen. Er ist ein Dokumentarfilmmacher.

Wir zwingen uns selbst in eine mehr oder weniger schizoide Situation damit, daß wir einen Ausdruck annehmen, dem ich einen anderen Inhalt geben möchte, und das ist die Multikulturalität. Wir schwär-men von Plurikulturalität, aber Multikulturalität heißt einfach, daß wir nebeneinander leben, ohne auf-einander irgendeinen Einfluß zu haben. Unlängst haben wir einen Dokumentarfilm über das Institut der Künste beendet, das zwischen 1949 und 1952 in Cluj existierte. Die Personen, mit denen wir In-terviews gemacht haben, erinnerten sich alle mit Nostalgie, mit Tränen in den Augen an jene schönen, alten Zeiten. Niemals haben sie seitdem dasselbe kulturelle Medium erlebt, wo Rumänen, Ungarn und Deutsche sich in allem verstehen konnten. Wenn ernste Menschen diese Jahre (wenn Stalin noch leb-te!) zurücksehnen können, dann stimmt etwas nicht. Jedenfalls haben sie zugegeben, daß sie derzeit ihre Jugendjahre gelebt haben.

Ich meinerseits erlebte meine Jugendjahre in Timisoara, als Halbstarker war mein bester Freund ein gewisser Gerhardt Nagy, ein halbungarischer, halbdeutscher Junge. Als das zu Hause für meine Eltern klar wurde, hatten sie nichts dagegen, das ist die Ordnung in der Welt, Gerhardt sei ein sehr anständiger Kerl, nur muß ich mich vor den ungarischen Mädchen hüten. Als ich es Gerhardt erzählt habe, habe ich erfahren, daß ihm die Eltern dasselbe über die rumänischen Mädchen gesagt haben. Wir waren beide enttäuscht, als es sich herausstellte, das es nicht stimmt. Ich glaube, so ist es bis heute: wir haben gewisse Vorstellungen von den Anderen, als Erwachsene können wir dann erfahren, daß diese nicht wahr sind. Der Andere ist ein modischer Begriff, so daß man mit ihm sich beschäftigen sollte. Das Problem ist nur, daß wir hier in Mittel- und Osteuropa diesen Begriff des Anderen dazu benützen, uns zu freuen, daß wir nicht „die Anderen“ sind.

Es hat sich herausgestellt, jedenfalls in Rumänien, jedenfalls in Transsilvanien, nach der Revolution in 1989, daß es eine Unmenge von „Andersartigkeit“ gibt. Es hat sich herausgestellt, daß wir nur glaub-ten, die Sprache des Anderen zu verstehen, daß wir keine Ahnung haben, was sie sagen. Und wir hö-ren auch nicht, was sie sagen, weil wir alle das Unsere so laut sagen, daß wir es gar nicht hören könn-ten. Ich erkläre einen Fall, der in der ersten Hälfte des März, 1990 in Tirgu Mures abgespielt hat. Die Atmosphäre in der Stadt war völlig gespannt. Die Ungarn verlangten ihre Schulen, die Rumänen ha-ben nicht verstanden, warum. Es fehlte nämlich die Kleinigkeit, daß die Ungarn den Rumänen erklär-ten, weil zu der Zeit sich die Stadt klar in zwei Lager gespalten hat, warum sie verlangen, was sie ver-langen. Sie sagten nur, daß sie ein Recht dazu haben. Ich will in die Diskussion der Ereignisse nicht hineingehen, und niemand sollte denken, daß ich hier sagen möchte, daß die Ungarn dafür verantwort-lich seien. Das war eine Manipulation. Die wesentliche Frage ist, warum man in Tirgu Mures die Leu-te manipulieren konnte, anderswo aber nicht. Ich möchte nur ein Moment aus dieser Geschichte her-vorheben.

Die Ungarn, der Bund der Ungarn in Rumänien (RMDSZ), haben eine Demonstration organisiert ir-gendwann vor dem 15. März. Das war eine stumme Demonstration, als die Ungarn in Timisoara ihre Schulen zurückverlangten mit einem Buch in der einen Hand und mit einer brennenden Kerze in der anderen. Niemand hat sich die Mühe gemacht, den auf beiden Seiten der Straße stehenden Menge mitzuteilen, welche Menge aus Rumänen bestand. Das war ja eine stumme Demonstration. Damit haben sie die Grundregeln des Szenarios der Demonstrationen verletzt. Und dadurch hat sich in weni-gen Minuten die Stimmung gewandelt, so daß die Ungarn gegen die Rumänen demonstrieren. Das war ja eigentlich dem Wesen nach nicht wahr, der Situation nach doch.

Die Symbolik, die dort vertreten wurde: Das Buch hat die kulturelle Überlegenheit ausgestrahlt ge-genüber den Leuten, die auf beiden Seiten der Straße standen, und denen es nicht eingefallen ist, ein Buch mitzubringen. Noch schlimmer war es mit der brennenden Kerze. Das erste, was jeder anständige orthodoxe Rumäne, wenn er in die Kirche geht, macht, ist, dem Andenken der Toten eine Kerze anzuzünden. Die Rumänen, die auf beiden Seiten der Straße standen, haben den Tod, die To-

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desentschlossenheit und die kulturelle Überlegenheit von dieser Demonstration für sich rezipiert. Dar-an gemessen brauchten die Ereignisse in Tirgu Mures gar nicht so viel mehr Manipulation.

Drei Jahre später bin ich in Hadrev, in einem Dorf zwischen Tirgu Mures und Cluj, auf der Reise zu einem Drehort in eine sehr traurige Situation geraten: Im Dorf waren mehrere Häuser kaputt geschla-gen, über manche war noch der Rauch zu spüren. Die Nacht davor gab es ein Pogrom gegen die Zi-geuner. Die Sache begann mit einem Kneipenkonflikt, die Situation war aber in diesem Dorf so ge-spannt, daß es so weit gegangen ist, daß die ungarischen und rumänischen Einwohner des Dorfes ge-meinsam sich gegen die Zigeuner wendeten, ihre Häuser zerstörten, sie aus dem Dorf heraus gejagt haben. Eine ungarische Frau sagte uns, die wir gleich einen Film über die Geschehnisse angefangen haben, sich mit dem Rücken zur Kamera stehend, weil sie immer noch Angst von den weggejagten Zigeuner hatte, „Gott gebe, daß wir immer so gut miteinander seien, Rumänen und Ungarn ...“. Damit Sie sehen können, wie gut die Dinge stehen in Transsylvanien, erzähle ich noch etwas. Vor einer Wo-che ist der Vater einer meiner Freunde gestorben. Er ist in Hasongard begraben worden, in einer schon vollkommen multikulturell gewordenen Grabstätte, wo Rumänen und Ungarn begraben sind. Nach dem Begräbnis haben sie noch zwei Liter Benzin gebracht. Ich fragte mich, warum das um Gottes Willen noch nötig sei. Man hat mir gesagt, daß alle wissen, daß nach dem Ende des Begräbnisses die Zigeuner kommen, um die Blumen zu stehlen. Darum müsse man die Kränze und Blumen mit Benzin begießen, damit sie sie nicht wieder verkaufen können. Und darin sind Rumänen und Ungarn wieder-um vollkommen einig. In diesem Sinne ist die Lage in Transsylvanien völlig gelöst.

Alpar Losonc dankt für die markante Beschreibung der Verhältnisse zwischen Mehrheiten und Min-derheiten in Rumänien, für die geschilderten Fälle, die in ihrer Konkretheit sehr typisch und sympto-matisch sind. Er wendet sich an den nächsten Panelisten, der in seinem Land auch zur sprachlichen und kulturellen Mehrheit gehört und Abgeordneter ist.

Peter Zajac, Bratislava, kommt aus der Slowakei mit seinen Kollegen Laszlo Szigeti, Direktor des Verlages Kalligram, ein ungarischer Verlag in Bratislava, der aber auch slowakische Bücher heraus-gibt, und Stefan Hrib, Redakteur der Wochenzeitung "Domino". Sie seien vielleicht geeigneter für dieses Thema, weil sie sich mit vielen praktischen Fragen beschäftigen, die heute schon besprochen worden sind, aber sie kommen sicher noch zu Wort.

Ich möchte ganz kurz ein paar Probleme skizzieren: Das erste Problem ist, daß, wenn wir auf die letz-ten 15 Jahre zurückblicken, wir bemerken können, daß es gewisse geistige Moden gibt. Am Anfang hieß die Mode Transformation oder Transition der osteuropäischen oder ost-mitteleuropäischen Natio-nen, des ehemaligen Ostblocks überhaupt. Das dauerte bis in die erste Hälfte der 90er Jahre. Als es diese Mode gab, wurde diese Mode auch institutionalisiert. Es gab auch ein wenig Geld für diese Mode. Jetzt gibt es diese Mode schon seit mehr als sechs bis sieben Jahren nicht mehr. Es gibt andere Moden wie der Feminismus, dann das Recht der Minderheiten, wie bei uns die Roma. Immer, wenn es eine jeweilige Mode gibt, es dauert zwei, drei, vier Jahre, dann gibt es ein bißchen Geld für diese Mo-den, dann ist kein Geld mehr dafür da – das Problem aber bleibt. Die Frage ist, was macht man in der Situation, wenn das Problem der Multikulturalität oder der kleinen Kulturen aus der Mode kommt, aber das Problem noch weiter besteht? Wie verhält man sich in so einer Situation? Wenn wir von klei-nen Kulturen sprechen, würde ich eher von ärmeren und reicheren Kulturen sprechen. Es verbirgt sich hinter den Wörtern klein oder groß eigentlich arm und reich. Das ist auch die Frage, was macht man in einer Kultur, die nicht reich genug ist. Das ist vielleicht die zweite Frage.

Ich würde auch noch von einem dritten Moment sprechen, und das bezieht sich auf drei verschiedene Ebenen des Problembereichs bezieht: Die erste Ebene ist das Problem der kleinen Kultur selbst. Will man z.B. über die slowakische Kultur sprechen, über die slowakische Literatur im besonderen, da müßten wir sagen, daß es in den 90er Jahren einen politischen, aber keinen kulturellen Bruch gab, sondern nur verschiedene Verschiebungen. In den 90er Jahren entstand die slowakische Kultur, Litera-tur – (ich könnte das gleiche auch an der tschechischen Literatur aufzeigen). Es gab eine supremati-sche Wende wie in Politik und Gesellschaft. Es entstanden neue Konstellationen, neue Situationen, vor

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allem die Literatur des Dissenses und die Literatur des Exils wurden in die öffentliche Literatur inte-griert. Es gab aber auch neue Desintegrationen, es kam zu neuen Spaltungen, zu einer Bipolarisierung: Nationalisierung vs. kollektive Identität als Klassenidentität, kommunistische Identität vs. neue kollek-tive Identität/ nationale Identität/ Nationalisierung der Kultur. Andererseits stand der Autor als der Einzelne für sich selbst mehr als für eine kollektive Identität. Das ist so in der slowakischen Kultur bis zum heutigen Tag.

Als zweites Problem möchte ich von der Multikulturalität sprechen. Es gibt ernsthafte Versuche zu vermitteln. Der Verlag Kalligram bemüht sich nicht nur, aus der slowakischen Literatur, sondern auch aus dem Bulgarischen etc. zu vermitteln. Multikulturalität ist also eigentlich ein Faktum, aber heute vielmehr ein problematisches Faktum als vor 16 Jahren. Er ist kein Wert an sich, die Frage ist viel-mehr, wie man sich dazu verhält, wie man vermittelt, welche Kommunikationskanäle es überhaupt gibt. Man muß dafür viel übersetzen. Es gibt viele Sprachen. Jeder wollte in den 90er Jahren seine eigene Identität haben. Jetzt ist man in der Situation, daß man so viel aus der einen kleinen Kultur in die andere übersetzen muß, daß es fast nicht mehr wirkt. Aus dieser Sicht sollte man das Problem der slowakischen Literatur betrachten.

Das zweite Problem ist, wie man unter den einzelnen kleinen Kulturen vermittelt – vor allem, weil es heute mehr Verbindungen gibt als Förderung. Vor 1989, als die Kultur vom Staat finanziert wurde, hat man viel mehr übersetzt: Von der russischen, polnischen, ungarischen, rumänischen Literatur – un-glaublich viele Bücher, natürlich viele schlechte Bücher. Jetzt sind wir in einer anderen Lage, wir ha-ben fast keine Ahnung mehr, was sich in der russischen Literatur abspielt, weil wir fast nichts mehr übersetzen. Dasselbe trifft auch für die anderen Kulturen zu. Merkwürdigerweise hat sich die Welt geöffnet, die Kulturen haben sich aber viel mehr abgeschlossen, als vorher. Das finde ich paradox. Und die Frage ist, was man in solch einer Situation macht. Ob es überhaupt Interesse gibt, ob man es wecken kann, was man dafür machen kann, wie man das institutionalisieren kann. Denn ohne solche kulturellen Institutionen, ohne eine Institutionalisierung der Vermittlung gibt es nur einzelne Versu-che, einzelne Projekte, die dann verschwinden. Die Frage ist, ob es hier Regionen gibt, die im Rahmen der europäischen Strukturen eine gemeinsame kulturelle Region bilden, diese Gemeinsamkeit auch schätzen, oder ob so was überhaupt nicht gibt.

Drittens ist das Problem das Brücken bauen zwischen diesen Ebenen, zwischen den regionalen kleinen Kulturen im europäischen Sinne des Wortes, und zwischen den sogenannten großen Kulturen. Ich habe vor zwei Wochen an einer öffentlichen Kundgebung in Potsdam teilgenommen, weil man an der Potsdamer Universität nach acht Jahren die kleinen Lehrstühle für slawische Philologie schließen will. Dasselbe geschieht jetzt von Rostock bis vielleicht nach Frankfurt am Main. Anfang der 90er Jahre entstand eine gewisse Hoffnung, man hat in diesen neuen Ländern die Universitäten aufgebaut, was wichtig für die kulturelle Vermittlung ist, man hat investiert, und nach ein paar Jahren stellt sich her-aus, daß das Interesse nahezu erloschen ist, und daß diese Disziplinen jetzt geschlossen werden. Man verlangt eine gewisse Effizienz, eine gewisse Zahl an Studenten.

Wenn es sie nicht gibt, schafft man es ab. Dasselbe betrifft auch die Hungarologie, die in den neuen deutschen Universitäten auch Bestand der Slawistik ist – merkwürdigerweise. Heute gibt es fast keine Südslawistik mehr an den deutschen Universitäten, sehr wenig Bohemistik, vielleicht noch Polonistik und Russistik. Aber das wird abgeschafft. Das ist meine erste Erfahrung. Aber wie kann man vermit-teln, wenn es kein Interesse mehr gibt?

Eine zweite Erfahrung: Ich sollte nach Zürich fahren für einen Vorlesungszyklus über die heutige Slowakei an einer Volkshochschule. Dann hat man es abgesagt, weil sich dafür zu wenig Leute ange-meldet haben. Zu wenig, das waren 22 Leute, das Mindestzahl hätte 50 sein müssen, damit es sich für diese Hochschule noch lohnt. Ich hielt 22 noch für eine ganz schöne Zahl. Es ist aber wieder mal die Effizienzfrage. 50 Leute hätte man vielleicht noch für Polen finden können, aber für Ungarn nicht mehr, für Slowenien nicht mehr, Kroatien nicht mehr, für Rumänien, für Bulgarien nicht mehr usw. Das heißt aber, daß dann die Probleme dieser sog. kleinen mitteleuropäischen Völker verschwinden.

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Es ist das dritte Problem, daß Europa nach zwölf Jahren für diese Regionen keine Interesse hat. Viel-leicht würde sie noch China interessieren. Also, auf diesen der Ebenen sehe ich ein wirklich großes Problem und das hängt wiederum mit der Frage der Institutionalisierung zusammen. Wenn man keine Institutionen findet, die sich für diese Probleme interessieren, dann bleibt das Problem.

Das führt zum vierten Problem, der Demokratie. Man sagt: In einer Übergangszeit werden wir euch helfen. Es gibt Stiftungen, amerikanische und europäische Stiftungen, aber nur für eine Übergangszeit. Wenn sie demokratische Verhältnisse wollen, müssen sie alleine für sich sorgen. Dadurch kommt es zu einer paradoxen Situation, man baut gewisse Institutionen wie Verlage usw. etwas aus, und in dem Moment, als es schon teilweise ausgebaut, aber noch nicht befestigt ist – weil in diesen Ländern die Gesetze noch nicht und die Unternehmerkultur so weit sind und vom Staat kein oder zu wenig Geld für Kultur zur Verfügung steht – entsteht die Situation, daß etwas ausgebaut wird und im gleichen Moment kaputt geht. So ist es mindestens in der Slowakei, Institutionen, die man in zehn Jahren müh-sam ausgebaut hat, sind unfähig, aus sich selbst ohne weitere Hilfe zu überleben. Das bedeutet für die Demokratie, es ist besser, ewig in einer Übergangssituation zu leben, als in einer Demokratie.

Alpar Losonc faßt die aufgeworfenen Fragen der Institutionalisierung der Kultur, der Vermittlung zwischen den Kulturen, den Minderheits- und Mehrheitskulturen, Nachbar- und anderen Kulturen zusammen, wie man das Interesse dafür erwecken bzw. lebendig halten könne, teilweise auf der publi-zistischen Ebene, die Risiken der sich spontan entwickelnden kulturellen Initiativen, die Ungesichert-heit der dazu nötigen finanziellen Ressourcen. Er fragt die Anwesenden, wer dazu weiteres hinzufügen möchte.

Peter Zajac möchte an einem Beispiel zeigen, was er unter Institutionalisierung versteht: Da gibt es Gerhardt Csejka, der seine Vermittlung zwischen unseren Kulturen seit mehreren Jahren, fast Jahr-zehnten macht und keine finanzielle Unterstützung dazu findet, und plötzlich entsteht die Zeitschrift KAFKA auf der grünen Wiese. Es ist natürlich sehr erfreulich, daß es diese Zeitschrift überhaupt gibt, es ist doch symptomatisch, einerseits die Leute, andererseits die Institutionen. Entweder gibt es kein Geld, oder es gibt Geld, aber die natürliche Dynamik gibt es anderswo. Das hält er für das Problem der Institutionalisierung.

Gabor Csordas, Pecs, möchte anhand der Frage der Institutionen zu etwas anderem zurückkehren. Einer der Podiumsteilnehmer (Marius Tabacu) hat darauf hingewiesen, daß wir unter Multikulturalis-mus Verschiedenes verstehen. Er hatte Recht, wenn er sagte, unter Multikulturalismus verstehen wir auch, wenn verschiedene Kulturen einfach nebeneinander leben, und sich gegenseitig gar nicht zu Kenntnis nehmen. Man kann tatsächlich eine deskriptive, beschreibende Bedeutung des Wortes Multi-kulturalismus finden, also die Behauptung davon, daß innerhalb eines Rahmens mehrere Kulturen nebeneinander leben. Und einen anderen, normativen Sinn, der die Einsicht bedeutet, die Einsicht, daß kurz gesagt, andere anders selig werden. Das Interessante und Traurige darin ist, daß in Mitteleuropa, in Ost- und Mitteleuropa, dort wo wir leben, sogar der deskriptive Sinn des Multikulturalismus norma-tiv gebraucht wird. Das bedeutet, daß die monokulturellen, über eine Nationalkultur verfügenden Staa-ten einsehen müssen, daß sie eigentlich multikulturelle Länder sind, daß sie ihr Institutionssysteme von einem monokulturellen auf ein multikulturelles umbauen sollten. Dagegen gibt es einen unglaub-lichen Widerstand. Es gibt kein einziges Land in Mitteleuropa, wo die Frage der Schulen, der Schulen der Nationalitäten, der Minoritäten kein Problem wäre.

Peter Zajac: Wie sich die Leute in der Kultur der anderen auskennen, ob sie sich überhaupt darin auskennen. Ob sie über diese Kulturen, über die anderen Kulturen überhaupt wissen. Ob sie eine Ah-nung davon haben. Was wissen sie überhaupt, was interessiert sie, was verstehen sie überhaupt. Wenn ich diese Standards ansehe, muß ich sagen, es ist viel weniger, als wir selbst glauben würden. Einer-seits haben wir eine große Globalisierung, andererseits haben wir eine unglaublich große Unkenntnis.

Eva Karadi: Es gibt ein größeres Interesse für das Exotische, und weniger Interesse für die Nachbarn.

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6. Mai 2001

Über die Grenzkulturen, eingeleitet und moderiert von Laszlo Vegel Laszlo Vegel, Novi Sad, eröffnet die zweite Sitzung, über das Thema, welches bei der ersten Sitzung in polemischem Kontext schon berührt wurde, nämlich der Rand- und Grenzkultur. Darüber wird man auch diskutieren können. Denn wo es Grenzen, wo es Ränder gibt, dort gibt es auch das Zentrum.

Um diese Diskussion zu beginnen, möchte ich eine Geschichte über das Verhältnis des Randes und des Zentrums erzählen. Es geschah 1941. Die Strasse, in der meine Eltern mit mir lebten, war eine lange kleinstädtische Straße, da gab es einen Handwerker, Meister in allen Fächern, mit dem Namen Peter Gunyhosi. Er war sehr geschickt, im königlichen Jugoslawien hat er ein hübsches Eigentum gesammelt, und der Gipfel seiner Sehnsüchte war, daß seine Tochter einmal Postbeamtin, Postfräulein werde. Er hat all sein Geld dafür geopfert. Es ist ihm gelungen, ihr eine Schulausbildung zu sichern. Nur konnte sie keine Postbeamtin werden, weil sie eine Ungarin war, und die Macht hat es damals zu beurteilen, daß die Postbeamtin eine Vertrauensperson sein sollte. So konnte das Ersehnte nicht erfüllt werden. Dann, 1941 sind die Ungarn gekommen. Die ungarische Armee. Peter Gunyhosi dachte, daß der Traum seines Lebens sich jetzt verwirklichen läßt. Er erwartete die Soldaten mit einer Zigeunerka-pelle, mit der ungarischen Trikolore. Doch ist wieder nicht seine Tochter, sondern ein Fräulein aus Budapest Postbeamtin geworden. Das hat Herrn Gunyhosi sehr geärgert, so daß er heimlich angefan-gen hat, Rundfunk London zu hören. So ist er zum Widerstand gelangt, und seine serbischen Nachbarn einbeziehend in der Nacht mit ihnen gemeinsam Radio London gehört. Die ungarische Gendarmerie hat ihn geschnappt und zusammengeschlagen. So hat er danach alles überlebt, auch das Kommen der Partisanen. Obzwar unschuldige Ungarn zum Opfer gefallen und in Massengräbern geendet sind – er nicht. Ihn hat man in die Kommunistische Partei aufgenommen. Das hat in ihm wieder die Hoffnung erweckt, daß endlich unter den Kommunisten seine Tochter Postbeamtin werden kann. Er besuchte die Parteiversammlungen, doch es ist nicht gelungen. So hat er sich von allem zurückgezogen, hat weder Radio London noch Radio Budapest noch Radio Belgrad gehört, er ist gestorben, ohne daß seine Träume in Erfüllung gehen konnten. So ist das Los der Menschen der Randgebiete.

Ich möchte aber auch das Beispiel von zwei anderen Menschen aus Randgebieten erwähnen, die wir alle hochschätzen, denen gegenüber es im Zentrum doch sehr viel Bedenken gibt. Der eine ist Danilo Kis, der andere ist Sandor Marai. Zwei große Schriftsteller vom Rande unserer Region. Danilo Kis stand immer außerhalb des serbischen literarischen Kanons. Nicht nur, weil er wanderte, weil eine Hybridität in ihm lebte, sondern auch, weil er weder zu den Modernen, noch zu den Anti-Modernen gehörte, er war immer ein Drittes. Sandor Marai schrieb, daß er endgültig ein Schriftsteller der Provin-zen sein möchte, nichts anderes. Er fühlte gegenüber Budapest ebenso eine Art Fremdheit, wie Danilo Kis gegenüber Belgrad. Eine Ausnahme war nur in seinem Roman „Befreiung“, als Budapest bombar-diert wurde, konnte er die Stadt von innen her erleben. Er hatte immer einen besonderen Blick in die Richtung des Zentrums.

Da sind wir also beim Zentrum. Der hier anwesende Gabor Csordas schrieb einmal über das Zentrum: Die Mittel des Ankommens, des Erfolges sind natürlich in Budapest zu finden, mit einem schönen wissenschaftlichen Ausdruck ist das Beziehungskapital in der Hauptstadt akkumuliert. Das Zentrum ist immer stark, besonders in diesem Teil Europas, wo die nationalstaatlichen Emotionen immer noch stark sind, und das Zentrum alles kontrollieren möchte, sogar die Gegensätze, wie die sogenannten urban-populistischen Gegensätze. Dasselbe ist in der serbischen Literatur der Vojvodina zu finden. Gewissen Kanons muß man Genüge tun, auch wenn sich jemand nicht für staatlichen Dichter oder Schriftsteller hält, ordnet er sich diesem Zentrum unter oder ist ein Nutznießer dieses Zentrums. So ist es in Mitteleuropa und im Balkan, besonders wo die staatlichen Traditionen stark sind. Da muß es immer so ein Zentrum geben, welches den Rand, wenn auch durch große Transmissionen, aber beein-flussen, irgendwie sich aneignen möchte.

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Das Zentrum geht immer in zweierlei Weise vor: Entweder möchte es die zentralen Modelle am Ran-de nachgeahmt wissen, oder sucht nach etwas Exotischem am Rande. Ohne zu beurteilen, ob Sütö ein guter Schriftsteller sei oder nicht, hat das ungarische kulturelle Zentrum überall seine Sütös gesucht, es war ein großes Problem, daß es unter den ungarischen Schriftstellern in der Slowakei keinen finden konnte. In der Vojvodina hat das Zentrum sich bemüht, einen Ähnlichen zu finden, etwas Exotisches zu kreieren. Dasselbe sieht man in der serbischen Kultur: Aus der bosnischen serbischen Republik wird das Exotische nach Belgrad geliefert, das ist für sie auch vom Rande, es wird gepriesen, man versucht, vom Zentrum aus diesem Exotischen einen großen Akzent zu geben.

Neuerlich versucht das Zentrum innerhalb seiner selbst, also in der Hauptstadt, ein Skanzen der Mino-rität zustande zu bringen. Jetzt muß man gar nicht nach Backa oder nach Transsylvanien reisen, um das erwünschte Exotische zu finden. Aber der Rand versucht, dem auch entgegenzustehen. Ich gehörte auch zu der Résistance, in der Zeitschrift Új Symposion versuchten wir, eine andere Wertordnung ge-genüber dem Zentrum zu schaffen. Wir haben diesen Kampf verloren, aber ich sehe es mit Genug-tuung, das Kalligram in Bratislava diesen Versuch fortsetzt. Ich sehe, daß solche Versuche am Rande sich von Zeit zu Zeit wieder melden, wie der Jelenkor in Pecs, und auch andere.

Ich bitte die Kollegen im Panel, die die Arbeit fortsetzen, die wir seinerzeit hier in Novi Sad angefan-gen haben, über ihre Erfahrungen in diesem Gebiet, über die Lage und Möglichkeiten der Randkultu-ren ihrerseits zu erzählen.

Laszlo Szigeti, Bratislava: Die meisten Anwesenden kennen die Tätigkeit von Kalligram in Bratisla-va. Ich muß gestehen, daß mich manchmal eine tiefe Skepsis befällt, wenn ich nachdenken muß, ob es einen Sinn hat, Literatur und Sozialwissenschaften zwischen den Minderheits- und Mehrheitskulturen, zwischen den kleinen Kulturen dieser Region zu vermitteln. Ich bin schon elf Jahre Leiter eines Min-derheitenverlags, des Kalligram-Verlags in Bratislava und versuche, Literatur- und Sozialwissenschaf-ten zwischen Nachbarländern zu vermitteln. Wie Gabor Csordas hervorgehoben hat, kann Multikultu-ralität als Nebeneinander von kleinen Kulturen verstanden werden, daß die kleinen Kulturen aneinan-der vorbeireden, nicht miteinander sprechen. Der andere Aspekt wäre, wie diese kleinen Kulturen, wenn sie in irgendeiner Form intensiv kooperieren, zusammenarbeiten, wie sie die nationalen Zentren beeinflussen können, ob sie auf die Zentren eine Wirkung ausüben können. Nach zehn Jahren muß ich behaupten, daß die Lage der Literatur und der Intelligenz nicht ist, wie sie in Mitteleuropa vor zehn Jahren war, und wie es sich manche im Westen vorstellen. Diese Position ist schwankend geworden. Das kann vielleicht auch positiv beurteilt werden, ich als Verleger finde es gar nicht gut.

Bratislava, diese vormals dreisprachige Stadt, ist einsprachig geworden, die Hauptstadt der Slowakei. Den multinationalen Charakter des Landes bei der slowakischen Mehrheit durchzusetzen, annehmbar zu machen, ist fast unmöglich. Der multikulturelle Charakter des Landes erscheint weder im Verlags-wesen noch in den Medien. Darin ist Kalligram tatsächlich alleinstehend.

Kalligram begann seine Tätigkeit 1991 mit ungarischen Büchern, das erste slowakische Buch hat der Verlag 1995 herausgebracht. Im letzten Jahr haben wir 40 ungarische Bücher veröffentlicht, fast soviel slowakische, drei englische, ein tschechisches Buch. Was unsere Vermittlerrolle anbelangt, bringen wir sozialwissenschaftliche theoretische Arbeiten und politische Publizistik von slowakischen Auto-ren, letzteres in der „Domino“ Buchreihe, bisher mit mehr als 20 slowakischen Autoren. Wir haben eine Reihe von Kleinmonographien über zeitgenössische ungarische und slowakische Schriftsteller. Von den bisher publizierten 120 slowakischen Büchern sind etwa 20 % zeitgenössische ungarische Autoren in slowakischer Sprache, der größte Erfolg des letzten Jahres war der Roman von Pal Zavada, der hier in unserem Kreise sitzt, über eine Familiengeschichte der slowakischen Minderheit in Ungarn: „Jadvigi vankusik“. Wir bringen auch Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien. Wir bringen zwei Monatsschriften heraus, eine slowakische, OS, herausgegeben von Rudolf Chmel, und eine ungarische literarische Zeitschrift, Kalligram, ein Forum der ungarischen Minderheitsautoren in der Slowakei. Wir haben eine Auswahl zeitgenössischer slowakischer Essays (von Peter Zajac, Juraj Spitzer, Martin Butora u.a.) in englischer Übersetzung veröffentlicht, um den slowakischen Habitus, ihre Probleme

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und Dilemmas vorzustellen, die Störungen der nationalen Identität für die zeitgenössischen slowaki-schen Intellektuellen.

Trotz unserer Tätigkeit fürchte ich, daß wir aneinander vorbeireden. Das Wichtigste wäre, mit der Reform des Schulsystems anzufangen. Bei einer Konferenz, die wir 1990 in Bratislava auf eu-ropäischer Ebene organisiert haben, betonte Kardinal König, daß wir damit anfangen sollten, daß aus unseren Schulbüchern, Geschichtsbüchern in den Nachbarländern der Chauvinismus verbannt wird. Ich weiß nicht, ob in zehn Jahren auf diesem Gebiet viel geschehen ist.

Jedenfalls tun wir, was wir können, als Minderheitsautoren und Denker würden wir uns sehr isoliert fühlen, würden wir diese Vermittlerrolle nicht ausübten, würden wir auf das slowakische, polnische, ungarische literarische und geistige, sozialwissenschaftliche Leben nicht achten, und uns als Teile der regionalen Kommunikation auffassen können.

Laszlo Vegel, wenn ich es gut verstanden habe, versucht, Laszlo Szigeti mit Kalligram eine Brücken-rolle zu spielen. Auf diesen Brücken wird in beiden Richtungen verkehrt. Ich möchte Dorian Branea aus Timisoara bitten, über die Tätigkeit und Erfahrungen der Stiftung und des Instituts Das dritte Eu-ropa zu sprechen, uns zu erklären, welche Möglichkeiten sich für die Vermittlung zwischen mehreren Kulturen aus ihrer Grenzsituation ergeben.

Dorian Branea, Timisoara: I represent the 3rd Europe Foundation, Timisoara, I am executive director of this NGO focused on developing multiculturalism, intercultural relations. It was founded in 1999 after three years of developing research projects on Central European cultures and literatures. In 1997, a group of seven young researchers from the University of Timisoara led by Professor Adriana Babeti and professor Cornel Ungureanu founded a research group on comparative literature on the first place. In 1998 and 1999, a group of researchers in history, anthropology, oral history and political science joined the 3rd Europe research group. The Soros Foundation but also the Pro Helvetia Foundation, America's Development Foundation, the European Commission etc. have supported us in the last few years. In less then three years a small research group has developed into a real NGO focused on the research of Central Europe in many respects: comparative literature, political science, history, anthro-pology, oral history etc. We have two major editorial projects: one with the most prominent publishing house in Rumania specialised in translation from European, foreign literature mainly, the Universe Publishing House. We translated and published several novels from Central European literature from Danilo Kis to Hrabal, from Skvorecky to Nadas. On the other hand we had another editorial project with the Polirom Publishing House, specialised on more theoretical approaches on Central Europe, where we published a series of books concerning the concept and the discussions about the idea of Central Europe. Beside this, we have developed an education unit called Timisoara Open College fo-cused on multicultural education.

In less then three years our institutions developed like this. We have here a Comparative Centre for Central and South-East European Studies chaired by Professor Vladimir Tismaneanu from University of Maryland. In its scientific board it has professors like Sorin Antohi, Timothy Garton Ash, Daniel Shiro, Slavenka Drakulic, Miklos Haraszti, Pierre Hassner, Tony Judt etc. all experts on Central Europe. Under this structure we have the Timisoara Open College which has eighty students per year. In five dimensions: for major in Cultural Studies, in Anthropology, History, Political Studies and Gender Studies. The best students of the College are chosen in the research groups of the Institute 3rd Europe. We also have another structure, which is called the House of Central and Eastern Europe. I am the executive director of this structure, which consists in the Library, the Resource Centre, the Obser-vatory for Regional and Euro-Regional Policies and the Travers Seminar and the Event Unit. Also we have a cultural and literary magazine called The 3rd Europe .

These are the structures which try in common to promote our ideas which are based on the multicul-tural theory, on the multicultural approach on the realities of the region we are living in. Our research-ers work now on a Dictionary of the Central European Novel in the 20th Century. Others work on a Small Encyclopaedia on Central European Culture and on different translation projects from Central

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European literatures: Hungarian, Polish, Slovakian, Czech, Northern Italian literatures etc. we are very much concerned on the memory of the Jewish population that used to live in that parts, and we have a project on Memory, concerning the Jews in Timisoara. In four years we have issued more then thirty books by different authors and on different themes, but all concerned with the idea of Central Europe, discovering this amazing cultural space. Started with the idea that Central European literatures have not interacted very well during the years, and that there are many excellent books that need to be trans-lated, we have organised the Travers event, a gathering of translators from Central Europe in Timi-soara, an event that some of you have also attended (like Mr Csordas and Mr Csejka). It was the first event of this kind bringing together translators from all kind of languages in a one week event.

These are some facts, but I also would like to elaborate a little bit the background of the project, the ideas that stand behind our endeavour. The Banat region stands clearly apart in the landscape of Cen-tral and South-Eastern Europe as a multiethnic, multicultural, multireligious space. The ethnic map of the region reveals that in the Banat region live more then twenty-seven ethnic groups. Among these groups a permanent dialogue has been established throughout the centuries. It is important to stress the fact that from this dialogue the cultural result was on our opinion superior to a one-dimensional na-tional culture. It is not about politics, it is about culture, that stands for itself, and the achievements this culture had during years. The features of this culture made us understand that a greater space of Cen-tral Europe, and an even greater like an unified Europe is possible and can be created. To give a quota-tion from one of my favourite authors Konrád György: "To arrive in Europe you have to pass through Central Europe". From all this aspects we try to arrive to Europe from the Banat region through Cen-tral Europe.

Laszlo Vegel: Vielen Dank. Wir hörten verschiedene Konzeptionen, mögliche Strategien für Randkul-turen: Eine Möglichkeit ist, als Brücke zwischen Nachbarkulturen, Minderheits- und Mehrheitskultu-ren zu wirken, eine andere wurde uns durch das Beispiel aus Timisoara dargestellt, nämlich als multi-kulturelles Korrektivum der monokulturellen Nationalkultur zu wirken. Jetzt sollten wir etwas von Attila Pato, einem jungen Mitarbeiter des Regionalen Zentrums in Szeged hören.

Attila Pato, Szeged, ich arbeite seit mehreren Jahren im Regionalen Zentrum an der Universität Sze-ged in der Sozialtheoretischen Sammlung von Quellen und Dokumenten der oppositionellen Bewe-gungen des regionalen Dreiecks zwischen Rumänien, Jugoslawien und Ungarn in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Seit 1990 funktioniert es als Forschungszentrum und Bibliothek in einem. In Szeged erschien zehn Jahre auch die kulturelle Zeitschrift Pompei, die das geistige Leben dieser wirkungsrei-chen Randgebiete vertritt.

Wir sind am Anfang einer neuen Initiative mit dem Hintergrund des Regionalen Zentrums. Unser Ziel ist der herrschenden Mentalität in Szeged entgegengesetzt. Szeged ist auch ein Kulturzentrum am Rande zweier Grenzen, die die aus ihrer Grenzlage sich ergebenden Möglichkeiten nicht ausnützt – die Lage nicht ausnützt, daß diese Stadt nicht einfach an der Grenze liegt, sondern an der Grenze einer sehr spannenden Welt, sie ist einer der bestimmenden Grundfesten einer sehr spannenden, besonderen Region. Die Rede ist hier von der Banat-Region bzw. vom Dreieck Timisoara-Novi Sad-Szeged. Und dafür, daß Szeged die eigenen Möglichkeiten in dieser Region entdeckt, ist eine Art konzeptionelle Wende nötig, eine Veränderung in der Anschauungsweise. Das könnte ich in drei Punkten zusammen-fassen:

1. man muß vom Etatismus, von der zentristischen Denkweise loskommen, 2. von der Fixiertheit auf die Hauptstadt, 3. und vom Ethnozentrismus.

Der Etatismus heißt, das man zu sehr in Staatlichkeit denkt, die Lösung, die Hilfe, die Ressourcen zu sehr vom Staat erwartet. Die Hauptstadt-Zentriertheit ist charakteristisch für Szeged, wir sitzen immer im Zug, um ständig in Budapest sein zu können, wo die Dinge geschehen, und von wo wir die Lösun-gen erwarten. Der Ethnozentrismus beruft sich nur auf die sonst begründeten Probleme und sonst eh-renvolle Geschichte der Ungarn.

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Vor diesem prinzipiellen Hintergrund und kritischen Attitüde versuchen wir, diesen Fixierungen den Rücken zu kehren, diese etwas zu durchbrechen, durchlässiger zu machen, die Möglichkeiten entdek-ken, die sich aus verschiedenen Kooperationsformen zwischen Timisoara, Novi Sad und Szeged erge-ben können. Wir versuchen, ein Interregionales Zentrum aufzubauen, das sich mehreren Richtungen und Linien öffnen würde. Wir planen auch eine sozialtheoretische Zeitschrift mit bestimmten Themen, über die wir mehrere Jahre lang forschen würden – z.B. Probleme der Identität, Diskurs des Krieges, Konflikt-Theorien, der Fluß als Biosphäre – da würden wir die Theiß kulturanthropologisch-ökologisch verfolgen –, das Kind: Probleme der Erziehung, Ausbildung von Kindern der Minderhei-ten, der diskriminierten Kinder usw. Wir planen eine Website, die gerade die Randgebiete zusammenfügen sollte, die jungen Forscher mit Informationen helfen, verschiedene Werkstätten, Verleger über die Tätigkeit von Zeitschriften, wissenschaftliche Werkstätten und NGOs mit Informationen versorgen würde. Wir möchten auch eine praktische Tätigkeit ausüben neben der akademischen Tätigkeit von Übersetzerseminaren durch Vorlesungen, auch Forschungsfinanzierung in kultureller Anthropologie, Multikulturalität, auch ergänzende Programme, Dokumentarfilme machen, Sommerschulen, Lager für Kinder und junge Leute aus der Region organisieren. Wir haben verschiedene Pläne, wir sind gerade dabei, die erforderlichen institutionellen, legalen Strukturen auszubauen. Wir möchten dieses Institut unter die Ägide der Istvan Bibo Stiftung bringen.

Laszlo Vegel findet die Idee dieses Interregionalen Zentrums sehr nützlich, es gibt zwar verschiedene Initiativen, kleine Kreise, es fehlt jedoch die Koordination unter ihnen. Wenn wir schon bei den Insti-tutionen sind, möchte er Andrea Virginas vom Invisible College, Cluj, bitten, über ihre Institution zu sprechen.

Andrea Virginas, Cluj, Invisible College ist eine Hintergrundinstitution für eine ausgewählte Gruppe von Studenten der ungarischen Minderheit an der Baies-Bolyai Universität in Cluj, es ist in den 90er Jahren nach der Konzeption von Professor Eva Gyimesi Cs. mit Unterstützung der Soros Stiftung im Rahmen der Stiftung Transsylvanicum gegründet worden. Ihre Aufgabe ist eine Art von Elitenbildung von Studenten und eine Ergänzung der Universitätsbildung. Wir haben ein Büro, eine Bibliothek, wir funktionieren in einem tutorialen System. Wir haben seit einem Jahr auch ein eigenes Forum „Lkkt“, wo wir uns vor allem an die theoretischen wissenschaftlichen Diskurse anschließen möchten und ver-suchen, unsere Randsituation zu überwinden.

Laszlo Vegel wendet sich an Viktoria Radics, die aus der Vojvodina stammt, in Novi Sad studierte, zur Gruppe der Zeitschrift Uj Symposium und ihrer Nachfolgerin, dem teilweise in Emigration heraus-gegebenen Ex-Symposion unter der Redaktion von Otto Tolnai gehörte, als Übersetzerin viel zur Ver-mittlung zwischen der jugoslawischen und der ungarischen Kultur beigetragen hat, und z.Zt. an der Universität Belgrad als ungarische Lektorin tätig ist.

Viktoria Radics, Belgrad: Ich habe kein Missionsbewußtsein, ich fühle mich so, als ob ich nur ein Symptom dessen wäre, was für mich heute am lehrreichsten von Gabor Csordas formuliert wurde, also dieser gewissen Grenzidentität. Ich finde diese Distinktion zwischen der Grenzidentität und dem Ein-gebettetsein in eine kleine Kultur sehr wichtig. Ich verstehe es so, daß wenn jemand eine Grenziden-tität hat, handelt es sich um eine fragmentierte, zerbrochene, nicht nach einer endgültigen Bestimmung strebenden Seins- oder Lebensform. Dazu gehört immer eine doppelte und mehrfache Kultur, mit et-was Kosmopolitismus gefärbte Mehrsprachigkeit. Zum Eingebettetsein in eine kleine Kultur gehört meiner Meinung nach auch eine kompaktere, homogenere Identität, ein Streben nach Autochthonität und eine Anpassung an den Kanon.

Es gibt noch einen Begriff, der für mich wichtig ist, den habe ich von Laszlo Vegel gelernt, den Be-griff der Heimatlosigkeit. Das ist kein neuer Begriff, aber er hat sich in seiner Interpretation erneuert. Ich habe nachgedacht, was ist eigentlich Heimatlosigkeit? Teil davon ist ein gewisses Hin- und Her-geworfensein, sicherlich ein Gefühl der Verlorenheit und ein Leidenskapital. Man besitzt nicht nur ein Beziehungskapital infolge dieser Grenzidentität, der Zugehörigkeit zur Randkulturen, sondern auch ein Leidenskapital, glaube ich. Wir sollten über die Träume nicht vergessen, was für die Einwohner

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der Randgegenden charakteristisch ist: Selbstmord, Tod, Verrücktwerden, Alkoholismus u.ä. Die Su-che nach dem Eingebettetwerden in kleine Kulturen, die Suche nach der Autochthonität ergibt sich vielleicht gerade hieraus, vom Versprechen der Lösung dieser unlösbaren Probleme, Träume, es gibt vielleicht etwas Sicherheitsgefühl. Darum hat die couleur locale so eine große Kraft.

Ich finde es auch wichtig, daß die Multikulturalität mindestens zwei Arten hat. Die eine ist die puzzle-artige, wenn man aus den verschiedenen lokalen Farben eine Gestalt herauslegen kann. In diesen Fällen geschieht das, worüber Laszlo Szigeti sprach, daß man aneinander vorbei spricht, glaub ich, und in diesen Fällen gibt es die leeren, protokollarischen kulturellen Zeremonien. Demgegenüber steht vielleicht gerade das Phänomen der Grenzidentität, die überhaupt nicht angenehm ist, sehr oft von einem gebrochenen, beladenen Zustand begleitet wird. Ich habe doch mehr Vertrauen in letzteren, bin auch mehr angezogen von dieser problematischen Betrachtung, dieser Lebensweise und diesem See-lenzustand. Neben der Grenzidentität fand ich noch den Begriff der Querbeziehungen wichtig. Das ist ein wenig so wie das Querfeuer, die Grenzidentität kann auch darum nicht vollkommen sein, weil sie immer im Querfeuer steht.

Carl Bethke, Berlin: Ich bin wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin, Lehrstuhl für die Geschichte Südosteuropas. Diese sprachliche Konstruktion „Süd-Osteuropa“ verbindet man in der deutschen Wissenschaftstradition mit dem Balkan, mit dem südöstlichen Teil Mitteleuropas. Der Lehrstuhl ist angesiedelt am Osteuropa-Institut. Dieser Institut wurde in den 50er Jahren an der Freien Universität, im nicht-kommunistischen West-Berlin gegründet, im Zeichen des Kalten Krieges natür-lich, wo man sich aus dem Blickwinkel verschiedener Perspektiven mit Geschichte, Politik, Wirtschaft und Soziologie der Länder Ost- und Südosteuropas beschäftigt. Es war heute morgen schon davon die Rede gewesen, daß in Deutschland ein bißchen die Tendenz besteht, in diesem Bereich die Mittel zu kürzen und abzubauen. In der Tat haben wir es mit zwei gegenläufigen Tendenzen zu tun. Auf der einen Seite hat man das Gefühl, daß ein Zeitalter zu Ende geht. Der Kalte Krieg ist zu Ende, die DDR ist zu Ende, so gibt es einerseits der Wunsch, Beschäftigung mit dem Raum Osteuropa, Ost-Mitteleuropa etwas zurückzufahren. Auf der anderen Seite sieht man gerade im internationalen Ver-gleich, daß es eben sehr viele neue Forschungsinstitute für Süd-Osteuropa, für den Balkan-Raum au-ßerhalb von Deutschland gibt. Und ich glaube, daß ist ein spezifisch deutsches Problem, denn interna-tional ist dieser Trend, daß man die Beschäftigung mit Süd-Osteuropa, dem Balkan-Raum zurückfährt, eigentlich überhaupt nicht so ausgeprägt. Es gibt sehr viele neue Aktivitäten etwa im angel-sächsischen Raum.

Wie kommt jemand wie ich dazu, sich mit diesem Raum zu beschäftigen? Ich glaube, daß es einem nicht in die Wiege gelegt ist. Ich habe Geschichte angefangen zu studieren in den 80er Jahren bis zu, Fall der Mauer. Das hat dann mein Interesse für Osteuropa geweckt. Dann war ich, glaube ich, wie viele junge Deutsche meiner Generation sehr erschüttert über die Vorgänge während des Krieges in Kroatien, Bosnien und Herzegovina. Damals entstand, glaube ich, eine ganz neue Generation junger Leute, die sich für den Balkan-Raum und für Süd-Osteuropa interessiert haben. Während es früher, in den 70er Jahren in Deutschland oft Leute waren, die vielleicht bestimmte Sympathien für das politi-sche System in Jugoslawien hegten. Es gab eine Generation von Leuten, die sehr stark eben er-schrocken war über das, was sich in den 90er Jahren in Südosteuropa ereignete: Einerseits die Kriege und die Verbrechen, und andererseits sieht man besonders im Hinblick auf Jugoslawien, daß da diese befreiende und für Deutschland und Berlin sehr positive Erfahrung der Wende offensichtlich ausge-blieben ist.

Ich habe dann mit Flüchtlingen gearbeitet in Hamburg, ich habe die Sprache gelernt, habe dann meine Magisterarbeit über die Nationale Frage in Bosnien und Herzegovina nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben. Dann war ich Lektor in Osiek in Ost-Kroatien, und habe Ende der 90er Jahre am Aufbau des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm mitgearbeitet, das sich mit der Geschichte der deut-schen, der schwäbischen Minderheiten in Südosteuropa beschäftigt. Dabei ging es natürlich darum,

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eine eigentlich auch in Deutschland vergessene Tradition wieder zu entdecken, aber gleichzeitig dies in einer Weise tun, die Brücken nach Süd-Osteuropa baut.

Meine Doktorarbeit, die ich bald abschließen werde, behandelt die Deutschen und die Magyaren als Minderheiten in Jugoslawien, also in der Vojvodina und Ost-Kroatien. Mir ging es in dieser Studie nicht so sehr um die Schilderung der rein faktografischen Ereignisse, sondern mein Thema war dabei ganz besonders, wie haben Menschen aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte unseres Jahr-hunderts verarbeitet. Da gibt es die deutsche Perspektive, es gibt die serbische, die ungarische, die kroatische usw. Perspektive. Das Material, mit dem ich besonders gearbeitet habe, waren weniger Regierungsakten – das wäre gar nicht so schwierig gewesen –, sondern ich habe mit Erinnerungslite-ratur, Interviews, Zeitungsmaterial, aber auch mit öffentlichen Manifestationen von Erinnerungsstruk-tur gearbeitet: Filme, Denkmäler usw. Ich habe versucht daraus eine Synthese zu schreiben, die ver-sucht, über die Perspektivität, die Geschichte dieses Raumes Vojvodina und Ost-Kroatien zu berich-ten. Das ist mein Projekt. Ich bin gerne nach Novi Sad gekommen, weil ich mich immer freue, mich mit Leuten auszutauschen, von denen ich neue Informationen bekommen kann. Von mir sind jetzt drei Veröffentlichungen im Druck: Die eine beschäftigt sich mit den Partisanen, die nach 1945 in der Voj-vodina angesiedelt wurden, mitten in einem spezifischen kulturellen Milieu. Die zweite beschäftigt sich mit den ungarischen Parteien in der Vojvodina nach 1990, und die dritte handelt von der Darstel-lung der Geschichte in der Vojvodina in den jugoslawischen und zum Teil ungarischen Schulbüchern.

Ich kann sagen, daß mich mein Weg von Bosnien in die Vojvodina geführt hat. Das hat einen inhaltli-chen Hintergrund, weil ich durchaus denke, daß sich in der Vojvodina Ende des zweiten Weltkriegs ein Muster etabliert hat, das in der jugoslawischen Gesellschaft nicht bearbeitet worden ist. Es gab hier diese schlimmen Vertreibungen und auch Verbrechen. Die hat es während des Jahrhunderts überall gegeben, aber in Jugoslawien sind diese Verbrechen nie als etwas Negatives bewertet worden, man hat sie akzeptiert. Ich glaube, daß das schon eine Voraussetzung auch war für eine Vertreibungsmoral, die Anfang der 90er Jahre sehr eruptiv zu Tage getreten ist.

Ich glaube, daß die Beschäftigung mit Ostmitteleuropa sehr wichtig ist, und ich glaube, daß sie gerade die Mitteleuropäer besonders fordern. Denn in der Tat ist es so, daß die Lösung, die wir hier brauchen, nicht allein in den westlichen Traditionen gefunden werden können. Wir wissen etwa über den westli-chen Nationenbegriff französischer Prägung, wir alle wissen, daß eine Übertragung des französischen Modells auf Rumänien wahrscheinlich zu Krieg führen würde. Wir brauchen daher Kreativität beim Finden von Lösungen, die der besonderen Situation Süd-Osteuropas gerecht werden. Wir werden diese Lösung nicht in Washington finden, weil wir dort andere historische Voraussetzungen haben.

Ich finde diese Initiative der Schriftsteller sehr positiv, die ich in meinem nächsten Seminar in Berlin behandele, einem Kurs über die Verarbeitung der Geschichte der Vojvodina im historischen Roman: Also einerseits das, was man kollektive Erinnerung nennt, die durch Romane vermittelt wird, und dann natürlich auch die Rolle von Schriftstellern als Ideologieproduzenten. Wir wissen auch, daß Schriftsteller immer wieder als Akteure und Protagonisten einer nationalistischen Ideologie aufgetre-ten sind. So viel zu meiner Konzeption.

Laszlo Vegel versucht kurz zusammenfassen: Wir haben verschiedene Überlegungen gehört, ver-schiedene Vorstellungen sind ausgedrückt worden, wir könnten sie weiter diskutieren. Es wäre auch wichtig darüber nachzudenken, wie ein Netzwerk für die zukünftige Kooperation weitergebaut werden könnte. Es gibt gewisse Meinungs- und Akzentdifferenzen zwischen den Teilnehmern des zweiten Panels, die auch zur Grundlage für die weitere Diskussion dienen können. Jedenfalls möchte ich be-merken, wenn jemand mit zwanzig Jahren nicht so denkt, wie Andrea aus Cluj, daraus wird später kein so aktiver Skeptiker, so ein skeptischer Aktivist wie Laszlo Szigeti aus Bratislava.

Laszlo Szigeti, Bratislava: Ich sprach von unserer Tätigkeit im Kalligram, was Laszlo Vegel Vermitt-lung zwischen den nationalen Literaturen genannt hat. Das machen wir natürlich auch, aber die drei Kategorien, die Viktoria Radics für uns so schön dargestellt hat, alle drei Lebenssituationen sind von uns miterlebt. Die Grenzidentität, da wir auf zwei und mehr Kulturen achten, das Leben in einer klei-

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nen Kultur ist auch für uns auch charakteristisch, da wir die ungarische Minderheitsliteratur vermitteln wollen in Richtung der ungarischen Mehrheit auf der anderen Seite der Grenze, in Richtung des breite-ren, ungarischen geistigen Lebens. Innerhalb dessen nehmen wir noch eine Rolle auf uns, die uns 1992-93 sehr wichtig schien: Ungeachtet der politischen Grenzen haben wir auch ungarische Autoren der ungarischen Mehrheitskultur aus Ungarn verlegt und setzten es fort. Das würde ich immer noch zur möglichen Verhaltensweise einer Minderheitskultur zählen. Der dritte, was Viktoria Heimatlosig-keitsgefühl nannte, steht eigentlich hinter meiner Skepsis gegenüber den Aussichten unserer Vermitt-lungstätigkeit.

Wir machen in Bratislava in vieler Hinsicht etwas ähnliches wie das Institut „Drittes Europa“ in Timi-soara – wir vermitteln unseren Lesern in slowakischer Sprache auch die Essays von Kornai, Kola-kowski, Debeljak, Zizek, Habermas, Akos Szilagyi, Peter Nadas, Irena Grudzinska Gross, Zygmunt Bauman, Balcerowicz, Mirko Kovac u.a. Es steht sicherlich mit der Grenzlage und unserer Grenziden-tität im Zusammenhang, daß unser Interesse und unsere Tätigkeit sich in gewissem Sinne verändert haben, und die Möglichkeiten aus unserer Minderheitssituation nicht nur in Richtung der ungarischen sprachlichen und kulturellen Mehrheit jenseits der politischen Grenze geht, sondern auch innerhalb der Slowakei in Richtung der slowakischen Mehrheit des Landes. Seit Mitte der 90er Jahre sehen wir eine Herausforderung darin, was wir dem slowakischen Publikum vermitteln können, wie wir dazu beitra-gen können, daß die slowakische Mehrheit innerhalb der Gesellschaft sich bewußt macht, daß sie in einem multikulturellen Land lebt. Dazu war es nötig, daß wir unsere slowakischen Kollegen und Freunde, von welchen zwei hier anwesend sind, als Autoren und Mitarbeiter gewinnen. In der Domi-no-Reihe zeitgenössischer Essays in slowakischer Sprache, wo schon mehr als zwanzig Bände er-schienen sind, ist auch der Aspekt wichtig, daß diese für die heutige slowakische Demokratie so grundlegenden Bücher bei einem Verlag der ungarischen Minderheit erscheinen, daß diese Minderheit sich nicht als Outsider in dieser Gesellschaft betrachtet, sondern sich verantwortlich für die Gegenwart und Zukunft des Landes fühlt.

Stefan Hrib ist Herausgeber des in fast 20.000 Exemplaren erscheinenden Wochenblatt, Domino-Forum, einer Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, die in der Slowakei am stärksten für die Problemen der Minderheit, der Multikulturalität und der Anderen sensibel ist. In dieser Hinsicht ist sie fast alleinstehend in der Slowakei, ist ein Forum für sehr lebendige Debatten zu diesen Themen. Skeptisch bin ich, weil solche Leute auch innerhalb der Mehrheit eine Minderheit bilden, und weil der Westen offenbar nach zehn Jahren nichts von unseren Erfahrungen (mit Faschismus und Kommunis-mus) wissen will, dafür immer weniger Interesse zeigt. Obwohl diese Erfahrungen die Richtung der Lösung der Problemen der Multikulturalität, des Verhältnisses zwischen Mehrheiten und Minderheiten stark beeinflussen könnte. Die Wende in Ostmitteleuropa ist noch lange nicht abgeschlossen. Ich bin überhaupt nicht sicher, ob die westeuropäischen Spielregeln nach Mitteleuropa tatsächlich übertragen, übernommen, übersetzt werden. Konstitutionell vielleicht, aber was die alltäglichen Spielregeln be-trifft, nicht. Westeuropa möchte sich damit nicht beschäftigen – obzwar sie nicht nur im Kapital, son-dern auch im geistigen Kapital – und auch institutionell viel reicher sind –, weil sie sich um die eige-nen Probleme kümmern.

Die Grenzidentität ist für mich die gleichzeitige Anwesenheit in mehreren Kulturen und die Suche nach besseren Lösungen. Ich lebe als Ungar in der Slowakei, doch ist es in den letzten Jahren für mich wichtiger geworden, slowakische Bücher herauszubringen, weil es nicht gleich ist, ob wir das Denken der slowakischen Mehrheit auch über uns selbst beeinflussen können. Das Verhältnis zur ungarischen Mehrheit außerhalb der Grenzen und ihr Verhältnis zu den eigenen Minderheiten ist auch nicht indif-ferent, es gefällt uns nicht, wenn man aus dem Zentrum unsere Identität zu formen, zu diktieren ver-sucht.

An den Hoffnungen gemessen, gibt es eine allgemeine Enttäuschung, die wir zu Wendezeiten hatten. Nach dem Urteil der Vertreter dieser Wende, wie der hier anwesende Peter Zajac in der Slowakei, ebenso wie nach Meinung der ähnlich denkenden Intellektuellen wie Geremek und Michnik, Pithart

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und Havel, Göncz und Konrad u.a. geht in unserer Region alles viel langsamer als es gehen sollte, und manchmal sogar in eine gefährliche Richtung hinsichtlich der Aneignung demokratischer Spielregeln und der multikulturellen Einstellung.

Gabor Csordas, Pecs: Ich fand es sehr interessant, was Andrea vom Invisible College, Cluj sagte, vielleicht hab ich es mißverstanden, vielleicht interpretiere ich es falsch. Auf die Frage, welche For-men die Zusammenarbeit, das Zusammenleben von zwei Ethnien an der Universität Cluj hat, hat sie, wenn ich es gut verstanden habe, geantwortet, daß sie im Invisible College versuchen, einen wissen-schaftlichen Diskurs zu verwirklichen, der diese Probleme ausklammert. Ich betrachte das als eine problematische Illusion. Ich finde es problematisch, daß Sie diese Probleme nicht als wissenschaftli-chen Fragestellungen betrachten, daß Sie glauben, es genüge, auf angemessenem wissenschaftlichen Niveau zu denken, um diese Probleme als Unwissenheit auszuschlöießen. Ganz im Gegenteil bin ich davon überzeugt, daß unser größtes Problem gerade das ist, daß wir diesen Fragen gegenüber im be-sten Falle nur gutwillige Phrasen hören, und wir freuen uns schon darüber, daß wir nicht nur die bös-willigen Phrasen hören müssen. Es kommt nicht zur wissenschaftlichen Behandlung dieses Problems in dem Sinne, daß wir es ernst nehmen, und mit dem möglichst höchster Unbefangenheit und mög-lichst höchster logischer Konsequenz zu Ende denken würden.

Es gibt eine sehr interessante Frage, die ich kurz als Hypothese vortrage: Es gefällt mir sehr, wie Lasz-lo Vegel in einer Reihe hervorragender Essays sehr geistreich und mit bitterem Spott darstellt, wie das Zentrum für sich vom Rande das Exotische importiert. Es ist eine sehr interessante Frage, warum das geschieht und worum es hier geht. Wozu dient dieses erwähnte Sütö-Phänomen? Die Entdeckung des Randgebietes als Exotikum gehört zur späten Romantik (Victor Hugo, Walter Scott, Szienkiewicz mit der Mythisierung ihrer Randgebiete). In der Weltliteratur verschwindet das langsam mit der Ende der Romantik, in Mitteleuropa bleibt das ein ewig und immer wieder wiederholter Vorgang. Eigentlich auch in der Politik. Das politisch Exotische wird auch importiert. Ich vermute, bei näherer Untersu-chung finden wir zwei charakteristischen Züge, die ich hier hervorheben möchte: Ein charakteristi-scher Zug, der hier betont wird, ist, daß diese Lebensweise am Rande irgendwie naturhafter und natur-artiger sei. Der andere Zug ist die Kehrseite desselben, daß sie eine niedrigere Zivilisationsniveau vertrete. Wenn wir genau nachdenken, sehen wir hier ein kulturelles Modell vor uns, das dem Ein-wohnerbild der kolonialen Kultur entspricht. Dem würde ich noch hinzufügen, daß in Mittel- und Ost-europa das Randgebiet in sich nicht bloß die Peripherie ist, sondern immer auch ein entweder relativ neu erworbenes oder relativ neu verlorenes Gebiet. Immer so ein Gebiet, welches wenn im politischen Sinne auch nicht, aber in emotionaler Hinsicht, seinem emotionalen Wert nach immer als ambivalent oder unsicher betrachtet werden kann. Also eine Kolonie ist. Ich vermute, daß hier unbewußt die Strukturen der kolonialen Kultur funktionieren, obwohl wir keine koloniale Mächte sind, wir sind davon völlig frei. Doch können wir praktisch beobachten, daß in dieser mitteleuropäischen Region die Strukturen der kolonialen Kultur unberührt weiterleben. Darum geht es. Das war aber nur ein Beispiel dafür, daß es hinter den Problemen, die wir mit frommen Wünschen und gutwilligen Phrasen erledi-gen, sehr harte kulturelle Strukturen und Kräfte funktionieren.

Laszlo Vegel ist sehr dankbar dafür, daß Gabor Csordas diese Frage weitergeführt hat, weil er auch davon überzeugt sei, daß der koloniale Diskurs, besonders in seiner verspäteten romantischen Version, sehr lebendig sei, wenn es um die Randkulturen bzw. um die kleinen Kulturen geht. Das ist zwar ein Kulturmodell, aber wenn es zur Politik wird, kann es unglaublich großen Schaden anrichten. Wir sind zu sensiblen und wichtigen Fragen gelangt, wir können die Diskussion darüber fortsetzen.

Andrea Virginas, Cluj, wir glauben nicht daß diese Fragen nicht relevant wären. Was den kolonial-postkolonialen Diskurs anbelangt, glaube ich, daß wir auch Teil dieses Diskurses sind, Teil des Sche-mas Zentrum und Peripherie, zum niedrigeren, kulturell unterdrückten Randgebiet gehörend. Mit der Strategie, daß wir in der Peripherie einen wissenschaftlichen Diskurs auf hohes Niveau zu bringen versuchen, kehren wir diese Art von Binarschema um, daß am Rande nur eine Kultur von niedrigem

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Niveau entstehen kann. Es ist natürlich möglich, daß wir diese Denkweise nicht beeinflussen, nicht verändern können.

Attila Pató, Szeged, möchte auch einiges zum Problem des Kolonialismus und der Identitätsfrage hinfügen. Er fragt an Laszlo Szigetis Bemerkungen anknüpfend nach den möglichen Zusammenhän-gen zwischen unseren Totalitarismus-Erfahrungen vor 1989 und 1945 und der heutigen Krise der Na-tionalstaaten, der ethnischen Konflikte, der Multikulturalitätsprobleme in unserer Region.

Er weist auf den Begriff der Sichtbarkeit hin. Ein wesentlicher Zug der totalitären Praxis ist, das sie die Unterschiede auslöscht, die Differenzen zwischen den verschiedenen Subjekten. Er liquidiert den Begriff des Menschen mit der pluralen Bestimmung der Menschen – ein nicht existierendes monolites Subjekt wird zur Grundlage des monoliten Systems. Der Unterschied, die Sichtbarkeit des Anderen wird ausgetilgt. Zur neuen europäischen Identität wäre wahrscheinlich eine Neubestimmung der Plura-lität nötig. Wie kann und darf der Andere erscheinen, sichtbar werden, diese Frage hat sich am schärfsten hier in Jugoslawien gestellt, aber in Rumänien auch, wie wir es von Marius Tabacu gehört haben. Das Sichtbarwerden des Anderen kann zu einer Quelle der Angst werden. Das gehört auch zur Phänomenologie der kleinen Kulturen und der Randkulturen mit Mehrheiten und Minderheiten.

Laszlo Szigeti, Bratislava, weist auf die Diskussionen über eine mögliche europäische Konstitution hin, auf eine Charta der Menschenrechte als deren Grundlage. Das kann aber nur die individuellen Rechte garantieren und nicht diese andere Dimension, worüber wir hier diskutiert haben, die Multidi-mensionalität, Pluralität, Multikulturalität Europas und unserer Regionen mit den vielen sprachlichen und kulturellen Minderheiten. Wie kann eine Charta der Minderheiten und ihrer Sprachen darin einge-baut werden? Das wäre vielleicht gut für Mitteleuropa, für die Minderheiten, ist aber gegen die natio-nalstaatlichen Vorstellungen und Institutionen, Organisationen, die sich in Mitteleuropa verstärkt ha-ben. Das Schlimmste wäre, wenn dieses Problem beiseite geschoben wäre, das Problem einer eu-ropäischen Konstitution. Das würde heißen, daß wir unfähig zu einer großen Herausforderung sind. Weil wir mit vielem, was geschehen ist nicht konfrontiert werden wollen.

Kornelia Farago, Novi Sad: Wie das Zentrum das Exotische in und für sich produziert. Das Andere sollte in adäquater Form erscheinen, sichtbar gemacht werden und angemessen vertreten. Es kommt oft vor, daß die Vermittlung denen überlassen wird, die gerade am Ort sind. Wenn die ungarische Mehrheitskultur z.B. die serbische Kultur erkennen möchte, geht nicht sehr weit. Benützt die Leute, die vielleicht schon seit zehn Jahren übersiedelt sind. Das ist natürlich auch eine Dimension, aber ich meine, man sollte sich doch dem tatsächlichen Medium zuwenden. Nicht nur anläßlich einer globalen Kulturvermittlung, sondern auch bei der direkten Nachrichtenrepräsentation.

Carl Bethke, Berlin: Ich glaube, daß die Unterscheidung von Mehrheits- und Minderheitenrechten erforderlich und wichtig ist. Ich glaube auch, daß wir das im Dialog mit den Gesellschaften des We-stens unterstreichen und deutlich machen müssen. Menschenrechte sind essentiell, aber es gibt in der Tat Gesellschaften, die die Menschenrechte einigermaßen berücksichtigen, aber keine Minderheiten-rechte gewähren. Es gab andere Staaten, z.B. das kommunistische Jugoslawien, die Minderheitenrech-te schon respektieren, aber eigentlich nicht richtig die Menschenrechte. Und ich glaube, der eu-ropäische Bürger hat in der Tat Anspruch auf beides, auf Menschen- und auch auf Minderheitenrechte. In diesem Zusammenhang möchte ich noch gern auf die Terminologie zurückkommen. Dieser Begriff der Minderheit, der eigentlich erst in den 90er Jahren richtig populär geworden ist, auch das war ein Import aus dem Westen. Man hat in der sozialistischen Terminologie auch andere Begriffe benützt. Und ich glaube, als jemand, der im Westen aufgewachsen ist, daß diese Begriffe eigentlich besser waren. Narodnost, Nationalität mag ein bißchen komisch klingen, aber eigentlich ist dieser Begriff besser als Minderheit. Der Begriff Minderheit ist zwar sehr modisch, aber er impliziert von vornher-ein, wer hat dazu etwas zu sagen, und wer nicht. Ich glaube, wir könnten im Dialog mit den westlichen Gesellschaften auch durchaus auf solche Defizite der westlichen Terminologie hinweisen.

Eva Karadi, Budapest, fragt Viktoria Radics zu ihren Erfahrungen mit den Studenten an der Belgra-der Universität, wo sie als Lektorin der ungarischen Sprache und Literatur tätig ist.

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Viktoria Radics, Belgrad, berichtet über ein allgemeines Gefühl der Lethargie. Der Begriff Multikul-turalität erweckt, wie wir das von Marius Tabacu hören konnten, mehr Angst, Frustration und Scham-gefühl. Sie bezweifelt, ob die Aneignung eines westlichen Super-Ego helfen konnte. Sie berichtet da-von, wie sie den gegenwärtigen ungarischen Slang ihrer Studenten unterrichtend sich dem Ausdruck „balkanisch“ Ungarischen gegenüberfand, der zugrunde gegangen, unordentlich, chaotisch bedeutet – und überlegen mußte, ob sie das ihren serbischen Studenten mitteilen sollte. Es gibt ein Unbehagen, ein Schamgefühl, eine Sensitivität und allgemeine Lethargie unter den Durchschnittsstudenten. Viel-leicht könnte die Herausbildung eines Regionalbewußtseins, von dem hier die Rede war, etwas helfen, die Vorstellung der Anderen mit ihrer Kultur, mit Übersetzungen, Büchern, wie die Kollegen aus Bra-tislava und Timisoara es tun, kann diese Apathie vielleicht etwas lösen, einen Anstoß zur Veränderung geben.

Eva Karadi, Budapest, weist darauf hin, daß es wohl bekannt ist, wie man in Deutschland die Pro-bleme der Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt hat, im ehemaligen Jugoslawien wird es viel schwieriger sein, wie wir es heute auch gehört haben. Die Frage „Wer ist schuldig?“ ist schwer zu beantworten, die Berufung auf die Vergangenheit, auf die Geschichte ist selbst eine Büchse der Pandora in dieser Region, besonders in den Grenzgebieten, voll mit dichten und unverarbeiteten historischen Träumen der verschiedenen Mehrheiten und Minderheiten. Es ist wahr-scheinlich sogar gefährlicher, die hiesigen Probleme der Gegenwart von der Vergangenheit her anzu-gehen und zu lösen versuchen. Sie möchte zum Schluß die Gastgeber dieses Rundtisches, die Mitar-beiter des Zentrums für Multikulturalität in Novi Sad fragen, wie sie die Krise, die Lethargie überwin-den, wie sie sich mit diesen Problemen in ihrer Tätigkeit auseinanderzusetzen versuchen.

Alpar Losonc, Novi Sad, auf diese Frage sollte man nicht mit Worten, sondern mit Taten antworten. Ich glaube, was wir hier finden, auch unter den Studenten, ist keine Krise, sondern vielmehr Ausdruck einer langfristigen Tendenz. Im Falle von Jugoslawien muß man nämlich die Tatsache in Betracht ziehen, daß man hier nicht mit einer deskriptiven oder normativen, sondern mit einer ideologischen Art von Multikulturalität zu tun hatte. Die Mehr-Kulturalität, ihre ideologische Begleitung in Form von politischen Dokumenten, sogar in konstitutioneller Form enthielt vieles in sich, was wir heute unter dem Etikett des Multikulturalismus behandeln.

Wenn wir über Multikulturalismus sprechen, muß man klar sagen, was Multikulturalismus nicht ist. Es ist z.B. keine „Brüderlichkeit-Einheit“, wie zu Titos Zeiten, als es hieß, daß man gemeinsam unter einen Dach sein müsse, verpflichtet war, sich für den Anderen zu interessieren, verpflichtet war, daß es auch die Anderen gibt, und dieses Andere beeinflußte auch die Schulbücher. Das Ganze hat also einen ideologischen, residualen Aspekt. Für die, die die Tito-Periode nicht erlebt haben, die 20- bis 30jährigen, die aber den Krieg und seine Mißstände erlebt haben, für die waren die letzten zehn Jahre dazu gut, die haben den Leuten gezeigt, daß die Multikulturalität nicht einfach unmöglich, sondern eigentlich auch sehr gefährlich sei. Am besten ist, isoliert sich, benimmt sich wie eine fensterlose Mo-nade, wenn man sich nicht den Gefahren aussetzt, die von der Andersartigkeit ausgehen.

Über die Frage des Anderssein kann man unterschiedlich sprechen. Es gibt auch eine Art Idealisierung der Andersartigkeit, hauptsächlich im Westen. Diese Idealisierung hängt oft mit einer Ideologisierung zusammen, mit einem kranken Bewußtsein der westlichen Intellektuellen, jedenfalls mit einem schlechten Bewußtsein, welches in dieser Form projiziert wird. Wenn man die Probleme der eigenen Identität in Form der Idealisierung der Andersartigkeit projiziert. Ich sehe darin ebenso ein Hindernis des Dialogs wie im Falle der Unterdrückung der Andersartigkeit. Für den Dialog sind verschiedene Partner nötig, und diese Verschiedenheit kann ethnisch, dem Geschlecht nach oder auch im lokalen, territorialen Sinne verstanden werden. Es ist aber gerade die Verschiedenheit, die das Gespräch über-haupt möglich macht. Es muß offen sein, auch für etwas Unerwartetes bereit. Die erwähnte Idealisie-rung des Anderen ist auch nicht offen. Das Problem ist nicht nur, wie die Andersartigkeit erscheint. Das ist auch ein Problem, wie Attila Pato sagt, die Sichtbarkeit der Andersartigkeit, in der Institutiona-lisiertheit, in ihrer Sprache, in der Öffentlichkeit. Aber manchmal ist es auch eine Frage ob es die An-

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dersartigkeit überhaupt gibt. Es gab ein offensichtliches Beispiel dafür in Jugoslawien, mit der ge-meinsamen Sprache, die man jetzt mehr und mehr trennen möchte. Darum ist es, daß die Serben viele Fremdwörter in ihre Sprache übernehmen, die Kroaten keine. Was wir hier finden, ist der Narzißmus der kleinen Unterschiede. Der Unterschied zwischen den beiden Identitäten ist viel zu klein, was in Mittel- und Osteuropa ebenso gefährlich werden und aufflammen kann, wie die Differenz, die An-dersartigkeit.

Laszlo Vegel, Novi Sad, behauptet, daß es unmöglich wäre, vom Reichtum dieser Diskussion eine Zusammenfassung geben zu wollen. Vor ein paar Jahren habe er gesagt, daß das größtmögliche Para-dox wäre, über eine zentralistische Postmoderne zu sprechen. Diese beiden Begriffe schließen sich gegenseitig aus. Wir befinden uns leider in einem so eigenartigen Übergang, daß die beiden sich nicht ausschließen. Ich habe mich in einem Essay als heimatlosen Lokalpatrioten bezeichnet. Ein mittelal-terlicher Denker sagte einmal, es sei ein schwacher Mensch, der sich an einem Ort zu Hause fühlt, es sei ein kühner Mensch, der sich überall zu Hause fühlt, der vollkommene Mensch fühle sich aber überall fremd. Das ist vielleicht für die kleinen Randkulturen charakteristisch, über welche wir heute diskutiert haben. Es würde mich sehr freuen, wenn diese Rundtischgespräche mit diesen und auch mit weiteren Teilnehmern und in weiteren Orten unserer Region fortgesetzt würden.

Ich wünsche unseren Gästen einen angenehme Aufenthalt in unserer Stadt, die seinerzeit den Namen Nova Planta bekommen hat mit der Bemerkung, daß alle ihre Einwohner sie in der eigenen Sprache benennen – so ist sie Novi Sad, Neusatz, Ujvidek geworden.

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Anlage 4 Bericht Vierter „Balkan-Rundtisch“ Thema: „Problems and Prospects of Science in Southeastern Europe – International Con-ference“ Veranstaltungsort: Hotel “Rodina”, Sofia (Bulgarien) 22.-27. Mai 2001 Autor: Professor Dr. Dr. sc. Nikolai Genov (Osteuropa-Institut der Freien Universität Ber-lin/ Bulgarische Akademie der Wissenschaften)

The Conference took place in Sofia, Hotel “Rodina”, from May 22-27, 2001. It was organized by the Union of Scientists in Bulgaria with the support of UNESCO, the Ministry of Education and Science, Sofia, the Bulgarian National Commission for UNESCO, the Bulgarian Academy of Sci-ences, the Council of Rectors in Bulgaria, the Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Hu-manities, Berlin, the Science Center for Social Research (WZB), Berlin and the Information Center for Social Sciences (IZ), Bonn/ Berlin.

Representatives of the following countries took part in the Conference: Bulgaria, France, Germany, Greece, Hungary, Macedonia, Moldova, Romania, Slovakia, Slovenia, Turkey, Ukraine and Yugo-slavia. P. de Guchteneire represented UNESCO. Representatives of Albania, Bosnia and Herzego-vina and Croatia confirmed their participation in the Conference but later cancelled it because of personal reasons. Besides the Bulgarian colleagues there were about 35 more Bulgarian scientists who attended various sessions of the Conference.

The International Conference was intended to be a follow-up of the World Conference on Science held in Budapest in June, 1999. Continuing the debates at the World Conference, the Sofia Conference focused on the following major topics (See the attached program of the International Conference):

1. Thematic orientations of research in Southeastern Europe:

- Its determination by the problems of the national society;

- Its determination by preferences in the international scientific community.

2. Legislation and organization of science in Southeastern Europe:

- The extent to which the local legal framework of research and development corresponds to the standards in the advanced countries;

- The organizational setting of research institutions in the countries from the region.

3. Funding of research and development in Southeastern Europe:

- Major sources and schemes of funding of R&D in the countries from the region;

- Other potential sources and schemes for funding of the local R&D.

In the framework of the International Conference a Round Table was organized on SOCIAL SCI-ENCES AS A FACTOR OF THE DEMOCRATIC DIALOGUE IN SOUTHEASTERN EUROPE. The aim of the Round Table was to bring together social scientists from the Southeast European re-gion and guests from other countries in order to discuss the following topics:

- The extent to which the state administration makes use of the expertise of social sciences in the respective country;

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- The potential for cooperation between social sciences and civil society in the respective country;

- The specific means of social sciences and social scientists for fostering the democratic dialogue between Southeast European societies.

A special point in the discussion concerned the experience and the prospects for carrying out inter-national comparative research in the Southeastern Europe. The organizers covered the local expenses of the participants in the Conference (transfer from and to the airport, hotel, meals, cocktail party, excursion to Plovdiv on May 26). The international guests were invited to the celebration of the National Day of Literacy and Culture on May 24, in Sofia Uni-versity and to the Reception of the President of Bulgaria in the Boyana State Residence on the same day.

All presentations will be published in the Conference Proceedings in English by the Union of Scien-tists of Bulgaria.

The Conference was very well covered by the local media.

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Anlage 5 Beiträge und Veröffentlichungen über die Balkan-Initiative der Berliner und Branden-burger Wissenschaft (Auswahl)

– „Den Dialog anstoßen“ – Interview mit Akademiepräsident Dieter Simon über die In-tentionen der Balkan-Initiative der Berliner und Brandenburger Wissenschaft, erschie-nen in: DUZ – Deutsche Universitätszeitung 18/1999

– „Berliner Forscher helfen Kollegen auf dem Balkan“, erschienen in: Berliner Zeitung vom 30.06.1999

– „Balkanfreunde: Aufbauhilfe aus Kultur und Wissenschaft“, erschienen in: Frankfur-ter Allgemeine Zeitung vom 08.07.1999

– Beteiligung mit relevanten Informationen am Rundbrief Osteuropa, der zweimal im Monat seitens des „Berlin-Brandenburger Forum Osteuropa“ – GESIS als Newsletter elektronisch vertrieben wird

– 1/2000: Bericht über die Balkan-Initiative im „Akademie-Journal“, herausgegeben von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Mainz

– Mai 2000: Kurzbericht über die Balkan-Initiative in der Zeitschrift „Osteuropa“ (Kon-takt: Erika Schwefel); „Ost-West-Netzwerk“

– Beitrag von Claus-Dieter Steyer für das Magazin „Deutschland“, erschienen im Juli 2000