Beratung/Therapie mit Tätern - Michaela Huber

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Folie 1 Beratung/Therapie mit Tätern: Wie können sie sich der Tat stellen und ihre Verantwortung nehmen? Michaela Huber www.michaela-huber.com 16.07.2010 Copyright: Michaela Huber 1 Folie 2 Erst einmal: Danke! Dass Sie sich Gedanken um Menschen machen, die anderen tiefes Leid zugefügt haben. Dass Sie diesen schlecht bezahlten, wenig Karriere- fördernden und auch noch umstrittenen Job machen, Täter zu beraten, ihnen eine sichere Bindung anzubieten, sie resozialisieren zu helfen, ihnen beizustehen, Psychotherapie anzubieten etc. „No cure but control“ genügt nicht! Dass es Sie gibt mit Ihrem Mitgefühl und Ihrer Achtsamkeit. Danke auch im Namen der KollegInnen, die sich vorwiegend um die Opfer kümmern. Wir brauchen Sie! 16.07.2010 Copyright: Michaela Huber 2

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Beratung/Therapie mit Tätern:

Wie können sie sich der Tat stellen und ihre Verantwortung nehmen?

Michaela Huber

www.michaela-huber.com

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Erst einmal: Danke!

• Dass Sie sich Gedanken um Menschen machen, die anderen tiefes Leid zugefügt haben.

• Dass Sie diesen schlecht bezahlten, wenig Karriere-fördernden und auch noch umstrittenen Job machen, Täter zu beraten, ihnen eine sichere Bindung anzubieten, sie resozialisieren zu helfen, ihnen beizustehen, Psychotherapie anzubieten etc. „No cure but control“ genügt nicht!

• Dass es Sie gibt mit Ihrem Mitgefühl und Ihrer Achtsamkeit. Danke auch im Namen der KollegInnen, die sich vorwiegend um die Opfer kümmern. Wir brauchen Sie!

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Sexualstraftaten• Sind bei Kindern und Jugendlichen zahlenmäßig dabei zu steigen,

ansonsten Berichte zwischen rückläufig (z.B. NRW) und vermehrt (Berlin). Sehr hohe Dunkelziffern.

• Täter 65-90% männlich; Opfer zu 50-80% weiblich.

• Medien warnen vor dem „Sadistischen Monster da draußen“. Politiker: „Wegsperren!“

• In Wirklichkeit sind es meist Beziehungstaten in Partnerschaft und Familie/Bekannten/unter KollegInnen.

• Unter 10% sind echte Sadisten.

• Es sind also Bindungs-Gewalttaten.

• Und zwar nicht aufgrund von „Triebstau/sexueller Not“, wie früher angenommen (Notzucht…).

• Sondern es spielen Gelegenheit, Rache und Fixierung eine große Rolle.

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Gelegenheit, Rache, FixierungEin Großteil der Sexualtäter

a) nutzt die Gelegenheit, sich zu nehmen, was er will („Ich wollte durchs Haus und das Auto aus der Garage klauen; und da war diese Frau im Schlafzimmer…“); weitere Bsp.: Kirchentäter, (Stief-)Väter, Lehrer…; manche sind einfach multi-kriminell (psychopathy: 50% der straffälligen ♂, 10% der ♀).

b) beteiligt sich (Gruppen, Täterringe; Gefängnis-Gangs etc.)

c) will sich rächen für Demütigungen bzw. Entwertungen, Minderwertigkeitsgefühle

d) hat im Laufe einer Täterkarriere herausgefunden, was den meisten Thrill bringt (Pornofotos/-videos, dann eine Frau vergewaltigen, dann eine Frau schlagen, ein junges Mädchen überfallen, ein Kind…) oder ganz früh eine Fixierung (z.B. auf kleine Jungs oder kleine Mädchen); sog. Pädophile

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Wer einen Menschen bessern will,

muss ihn erst einmal respektieren.Romano Guardini

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Täter und Opfer kommen oft aus „sozial schwachen“ Familien

Bindungsmuster in Misshandlungs-“Familien“:

• Unberechenbarer Wechsel zwischen Despotismus und Laissez-faire

• Erpressung und Nötigung, Geiselnahme

• Verrat

• Opferung

• Schuld- und Scham-Abwehr und -Übertragung

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Psychotrauma – häufiger als man denkt

• 50-90% der Bevölkerung macht im Laufe des Lebens mindestens eine traumatische Erfahrung, gekennzeichnet durch eine seelische und/oder körperliche Todesnähe-Erfahrung bzw. Bindungs-trauma. Am schlimmsten wirken sich „man made“-Traumatisierungen aus, meist Gewalt.

• Zwischen 15 und 50% (sex. Gewalt und Folter: mehr) entwickeln eine Traumafolge-Störung. Michaela Huber 2007Michaela Huber 2007

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Früh entscheidet sich, ob das Kind eine kohärente

Persönlichkeit entwickeln kann

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Bindung und Trauma

• Der Zusammenhalt diverser Verhaltens-Zustände wird auch durch sichere Bindung gefördert, die körperlich und seelisch regulierend wirkt (George & Solomon, 1996; Hofer, 1995; Siegel, 2002).

• Wiederholte Traumatisierung des Kindes zerstört diesen psychobiologischen Entwicklungsprozess und erzwingt einen Mangel an Integration der Zustände (Fonagy, 1997; Liotti, 1999).

• Ein Mangel an Integration der Verhaltens-Zustände ist ein Vorläufer für die Entwicklung von dissoziativen Persönlichkeits-Anteilen. (van der Hart et al, 2004)

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PTBS? Stressverarbeitungs-Störung!

• Viele TäterInnen haben eine Posttraumatische Belastungsstörung, aber keineswegs alle.

• Etwa ein Drittel aller Sexualtäter ist selbst Opfer von Sexualdelikten; die anderen „finden“ ihre Rolle durch Affektdurchbrüche, Täter-Karrieren, Fixierung.

• Doch typisch für Sexualtäter ist eine strukturelle Dissoziation der Persönlichkeit mit einer chronischen Stressverarbeitungs-Störung.

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Beispiel: Reaktion des Autonomen Nervensystems auf toxischen Stress

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Die Rolle von Dissoziation

• Dissoziation ist ein Mangel an Integration von wichtigen Lebenserfahrungen.

• D. ist dazu da, Erkenntnis zu verhindern, die während traumatischer Ereignisse und danach unaushaltbar (gewesen) wäre.

• D. schafft Nicht-Ich-Gefühl und Phobie gegenüber Trauma.

• Alltags-Ich (ANP) trennt sich von• EPs (Emotionalen, traumanahen,

Persönlichkeitsanteilen) als Wiedererleben, aber auch als einzig fühlbare Lebendigkeit.

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Etwas nicht zu bekommen, was du so sehnlich wünschst,

kann ein wunderbarerGlückstreffer sein.

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Täter-Therapie

• Scheitert oft schon daran, dass man a) nicht genügend Täter erwischt und b) nicht genügend TherapeutInnen gefunden werden. (Viele Th. wollen nicht mit Tätern…)

• Sollte so früh wie möglich beginnen!• Durchaus auch als Zwangs-Therapie!• Muss Respekt und Sorgfalt im Umgang beinhalten trotz

möglicher Täuschung/Lügen. Aber auch keine Kumpanei!• Muss Verhaltenskontrolle betonen/beinhalten.• Muss die Überprüfung und mögliche Sanktionierung des

Rückfalls enthalten.• Kann sich an der Traumatherapie orientieren, weil sehr viele

Täter traumatisiert sind und/oder auch Hilfen brauchen, sich überhaupt mit der Tat auseinanderzusetzen.

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Wozu einem Täter die Freiheit nehmen…

• … wenn nicht, um ihn zu einer Zeit der Umorientierung zu zwingen?

• Diese Umorientierung kommt nie von selbst, sie muss eingeleitet, begleitet und überprüft werden.

• Ergo: Beziehung anbieten, immer wieder, und wenn der Täter eine Bindung zum BeraterIn/TherapeutIn eingegangen ist, diese möglichst erhalten.

• BeraterIn/TherapeutIn muss kontinuierlich gute Supervision erhalten, damit ihre Übertragungs- und Gegenübertragungsmuster (z.B. zum netten Alltags-Ich des Täters) untersucht und ggf. verändert werden.

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Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere,

die man außer Acht lässt.

Albert Schweitzer

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Trauma- und Trauerarbeit

• Teile-Arbeit

• Stabilisieren

• Distanzieren

• Prozessieren

• Integrieren

• Leugnen

• Wut

• Verhandeln

• Depression

• Einverständnis

• Hoffnung

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Therapeutische Tools

• Nonverbales! Malen, Sport, Theater, Tanzen, Körperarbeit• Gruppen: Stabilisierungstechniken, Verhaltenstrainings• Achtung Machtstrukturen! Jede/r darf/soll mal „oben“,

„unten“ und „in der Mitte“ sein.• Einzel: Beziehungsarbeit, Erinnerungsarbeit, Screen-Technik,

EMDR• Immer: Opfer- und Täter-Erfahrung miteinander in

Verbindung bringen (anti-dissoziativ, Achtsamkeits-fördernd), denn „Dissoziation verhindert die Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen den eigenen Taten und den eigenen Misshandlungserfahrungen als Kind“; Moskovitz, 2004)

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Wenn man nicht trauern kann• .. Ist man gezwungen, (in einem Teil der Persönlichkeit)

depressiv zu werden (depremere: lat: unterdrücken)

• … und/oder aggressiv zu werden (man kämpft um sein Leben)

• … oder ständig auf der Flucht zu sein…

• … oder eine Sucht zu bekommen (Alkohol, Drogen, Medikamente…)

• … oder sich in die Arbeit zu stürzen (man redet, schuftet, hat Zwangsgedanken und -handlungen… um sein Leben)

Aber man kann laufen, so weit die Füße tragen, es holt einen immer wieder ein.

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Gemeinsamkeiten zwischen Trauma- und Trauerarbeit

• Erkennen: Was ist, wie ist es, wie fühlt es sich an, wie reagiert der Körper. Was hilft: Genaues Hinschauen und Hinspüren, dabei Lernfenster offen!…

• Anerkennen: Ja, so ist es, so schlimm ist es, so war es, auch wenn ich es anders haben will –erst einmal ist es so (Lernfenster beachten!)…

• Verändern: Kleine Schritte machen, rückmelden, nächste Schritte machen… Dabei dosierte Risiken eingehen.

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Überprüfen!

• Ob es wirklich gut ist, Angehörige (Eltern, Geschwister) und PartnerIn zum/zur TäterIn zu lassen. (Schlecht war es, wenn T. danach „durch den Wind“, „außer sich“ etc. ist; wenn Symptome zunehmen.)

• Ob der/die TäterIn auch wirklich Fortschritte macht, zeigt sich am konkreten Verhalten plus Symptomverbesserung.

• Aber Achtung: Täuschung, soziale Erwünschtheit, Sadismus, Machtkonstellationen unter den Gefangenen etc.

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Man kann es nicht wieder gut machen

Aber man könnte kompensatorische Arbeit tun, z.B.:

• Geld spenden

• LKW im Hilfskonvoi fahren

• In einem Verein die Türen abbeizen und neu streichen; Brötchen schmieren; andere ehrenamtliche Arbeiten verrichten

• Hunde und Katzen im Tierheim versorgen….

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Integration – im Gegensatz zu Dissoziation

• hat etwas mit dem Überwinden der Phobie vor dem Trauma und der Phobie vor „Echtheit“, Eindeutigkeit, Wahrheit zu tun;

• bedeutet, aus einem „Haufen verschiedener Zustände“ ein koordiniertes Selbst zu bilden;

• ermöglicht, den Teil in sich zu trösten, der bislang untröstlich war.

• der Preis dafür: Trauma/Tat ist Wirklichkeit gewesen – das muss anerkannt werden.

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Übung: Das Ressourcen-Team• Was müsstest du für eine Fähigkeit haben, um dich der Tat doch noch

stellen zu können?• Wann konntest du das schon einmal ansatzweise? Diese Gestalt bekommt

einen Platz irgendwo um dich herum.• Welche Person außerhalb deiner Familie konnte das?• Welche Romanfigur/Person des öffentlichen Lebens hat diese Fähigkeit?• Welches Tier verkörpert diese Fähigkeit?• Du selbst als weiser alter Mensch, wenn du das längst konntest.• Alle können dir einen bestärkenden Satz sagen.• Stell dir vor, dein Ressourcen-Team begleitet dich zu einer Sitzung beim

Therapeuten, bei der Du Dir die Tat mit Hilfe der Bildschirmtechnik ganz von weitem anschaust, wie es wirklich war. Wer vom Ressourcen-Team geht voraus, wer folgt nach…

• Zum Schluss ein schönes Abschluss-Foto von Dir, umgeben vom Ressourcen-Team machen.

• Wo kommt das Foto hin?

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