Bericht "Kollege Berater" aus PROFITS 5/2012

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Es muss nicht immer gleich ein teurer Berater her. Für Mittelständler lohnt sich oft ein anderer Weg: Kollegen coachen sich untereinander. Was dies in der Praxis bedeutet beleuchtet dieser Artikel im Magazin PROFITS.

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Am Anfang herrschte Skepsis. Kollegen-Coaching? Offenes

Feedback von Führungskraft zu Führungskraft? Mohamed Gomaa schüttelte den Kopf. Als sein Chef beim Telekommunikationsanbie-ter Telefónica die sieben Vizeprä-sidenten der Firma zum wechsel-seitigen Austausch zusammenrief, war der Leiter Kundenservice erst kritisch. Wer wäre bereit, sich vor anderen Kollegen eine vermeint-liche Blöße zu geben? Und was würde das bringen?

Sein Chef aber wusste, wie er seine Mannen dazu bewegen konnte. Zum Auftakt zog er mit den Kollegen in die Berge, gemein-sam bestiegen sie den Piz Buin. Die Führungskräfte standen gemein-sam Extremsitua tionen durch, so wuchs das Team zusammen. Gomaa: �„Damit war die solide Basis für ein vertrauensvolles

Miteinander gelegt, das man zum Kollegen-Coaching braucht.�“

Dann verankerte die Gruppe das Kollegen-Feedback organisa-torisch. Vor die wöchentlichen Meetings schaltete die Führungs-Crew einen viertelstündigen Aus-tausch über die Stimmungslage. Wie geht es den Einzelnen, was nervt, wie ist die Atmosphäre in der Abteilung? Einmal im Monat trafen sich die Bosse zur offenen Feedback-Runde, die den Regeln entsprechend konstruktiv, wert-schätzend und mit Beispielen unterlegt war. Gomaa: �„Am Anfang war ich aufgeregt wie ein Pennä-ler, dann einfach dankbar.�“ Der

45-Jährige arbeitet seit April als Personalvorstand des Vertriebs-spezialisten Sellgate. Sein Ent-schluss steht fest. �„Kollegen-Coa-ching werde ich auch bei Sellgate einführen�“, erklärt er.

Kostengünstige Alternative

Für Coaching muss nicht immer gleich ein teurer Berater beschäf-tigt werden. Für Mittelständler ist es oft sinnvoll, wenn sich die Kolle-gen untereinander coachen. Peer Mentoring oder schlicht Kollegen- Coaching nennen das Experten. Dabei geht es um mehr, als neue Mitarbeiter einzuarbeiten oder

Kollege BeraterErfahrung. Es muss nicht immer gleich ein teurer Berater her. Für Mittelständler lohnt sich oft ein anderer Weg: Kollegen coachen sich untereinander.

[ Situation darlegen ]Kollege A schildert in etwa 15 Minuten seine Arbeit, die Situ-ation in der Abteilung, aktuelle Probleme. Die anderen hören zu, ohne zu unterbrechen.

So funktioniert gutes Feedback

Vera Schley, Geschäftsführerin der Beratung IOS Prof. Schley &

Partner in Hamburg, hat das kolle-giale Team-Coaching (KTC) entwi-ckelt: Fünf, sechs Führungskräfte

treffen sich regelmäßig, ein exter-ner Berater begleitet den Prozess.

[ Feedback geben ]Die Kollegen artikulieren spon-tan, wie sie die Schilderungen des Kollegen wahrgenommen haben und wie sie die Situation emp nden. Kollege A hört zu.

Kollegen-Coaching. Offene Gespräche zeigen neue Wege auf.

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den Nachwuchs zu betreuen. Beim kollegi alen Coaching werden die Kollegen zu Beratern, die den Mit-streitern Anregungen geben, All-tagsprobleme selbst zu lösen, Umstrukturierungen zu bewälti-gen oder sich weiterzuentwickeln.

Christoph Stieg, geschäftsfüh-render Gesellschafter bei Per-fact Training Personalentwick-lung, weiß: �„Kollegen-Coaching ist immer dann sinnvoll, wenn sich ein Unternehmen fachlich, kom-munikativ oder im Umgang mit-einander verbessern will.�“ Dabei reicht es nicht, sich gegenseitig Tipps geben. �„Kollegen-Coaching ist nur wirksam mit einer offenen Lernkultur im Unternehmen und einer klaren Systematik�“, so Stieg.

Wenn Christoph Stieg Unter-nehmen berät, zeigt er Führungs-kräften, wie sich eine solche Feedback-Kultur im Betrieb eta-blieren und systematisieren lässt. Indem etwa die Kollegen verein-baren, dass sie Rückmeldung geben, wenn sie dem anderen bei

Gesprächen zuhören �– das spon-tane Feedback. Oder indem sie festlegen, dass in der Wochenbe-sprechung 30 Minuten zum Kolle-gen-Coaching genutzt werden, in denen über fokussierte Themen diskutiert wird. Dort geht es um Fragen wie �„Wie können wir bes-sere Margen verhandeln?�“, �„Wie machst du das?�“ oder �„Was kön-nen wir voneinander lernen?�“.

Indem sie einander gezielt begleiten, lernt jeder von jedem. Einer berät, der Kollegen-Coach beobachtet und gibt später Feed-back. Wichtig sei dabei, so Stieg, ein Ziel festzulegen, also vorher zu besprechen, worauf man ach-ten solle �– auf die Körperspra-che etwa oder die Gesprächsfüh-rung. Zudem: nur kurzes Feedback geben, dabei zwischen objektiver Beobachtung und subjektivem Eindruck unterscheiden sowie selbst Lösungsvorschläge machen.

Für diese Coaching-Form gibt es verschiedene Herangehenswei-sen. Die Hamburger Expertin Vera Schley hat modellhaft ein eintä-giges kollegiales Team-Coaching für fünf bis sechs Führungskräfte

entwickelt, bei dem jeder einzelne Teilnehmer genau eine Stunde Zeit erhält (siehe �„So funktioniert gutes Feedback�“). Schley konsta-tiert: �„Wenn fünf Kollegen auf die Situation des sechsten schauen, werden eingefahrene Sehge-wohnheiten aufgebrochen.�“ Und der Weg sei im Anschluss frei für neue Lösungen.

Externen Begleiter befragen

Christopher Rauen, Erster Vorsit-zender des Deutschen Bundes-verbands Coaching, emp ehlt, die Beratung um eine zweite Kompo-nente zu erweitern, und sagt: �„Die kollegiale Supervision kann sinn-voll sein, doch da alle Beteiligten Teil desselben Betriebs sind, fehlt langfristig der unparteiische Blick�“

�– und den Teammitgliedern das professionelle Know-how eines externen Coach. Daher rät er, in regelmäßigen Abständen einen externen Begleiter hinzuzuzie-hen. Auch Berater Stieg besucht deshalb seine Kundenunterneh-men zwei- oder dreimal im Jahr.

Mohamed Gomaa möchte das Kollegen-Coaching nicht mehr missen. Den CEO seines neuen Unternehmens hat er bereits über-zeugt. Zunächst soll die Methode auf Vorstandsebene eingeführt werden. Gomaa: �„Ich warte nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, dann geht es los.�“ Anja Dilk

[ Rosinen herauspicken ]Kollege A äußert sich zu den Ideen. Jene, die ihm beson-ders vielversprechend erschei-nen, greift er heraus, um sie im Arbeitsalltag auszuprobieren.

[ Lösungen entwickeln ]Die Kollegen überlegen gemein-sam: Was könnte man tun, um die Situation von A zu verbes-sern oder ein konkretes Problem zu lösen? Kollege A hört zu.

[ Nachfrage vereinbaren ]Die nächste KTC-Runde wird besprechen, was Kollege A umgesetzt und erreicht hat. Das sichert die ernsthafte Auseinan-dersetzung mit neuen Wegen.

Feedback. Gegenseitige Unterstützung steigert die Lernkurve im Unternehmen.

�„Ich möchte das Kollegen-Coaching nicht mehr missen�“Mohamed Gomaa, Personalvorstand Sellgate

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