Berliner Appell zu mehr Vermögensbildung in Mitarbeiterhand · 2020-05-30 · Berliner Appell zu...

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Sehr geehrte neue Bundesregierung, der Aufschwung geht in einer ganz wesentlichen Komponente an den Bürgern vorbei, denn die Beteiligung an Unternehmen fristet in Deutschland ein Schattendasein: Nur etwa jeder siebte Deutsche investiert laut dem Deutschen Aktieninstitut in Aktien, etwa 1,1 Millionen Mitarbeiter sind als Belegschafts- aktionäre an ihrem Unternehmen beteiligt. Der Bundesver- band Mitarbeiterbeteiligung – AGP schätzt, dass etwa ebenso viele Beschäftigte an nicht börsennotierten, überwiegend mittelständischen Unternehmen beteiligt sind. Damit sind die Deutschen nicht nur abgekoppelt vom wirtschaftlichen Erfolg, sondern lassen auch eine Form der Vermögensbildung und Altersvorsorge weitgehend ungenutzt, die nicht nur im der- zeitigen Niedrigzinsumfeld eine attraktive Rendite verspricht. Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems ist die Mitarbeiter- kapitalbeteiligung, also die finanzielle Beteiligung der Be- schäftigten am Kapital des Arbeit gebenden Unternehmens, welche zusätzlich zum Tariflohn ausgezahlt wird. Mitarbeiter partizipieren direkt am Erfolg des eigenen Unternehmens und erhalten damit die Möglichkeit zur Vermögensbildung. Die Kapitalbeteiligung wirkt umgekehrt aber auch ertragsstei- gernd, da sie Mitarbeiter enger an das Unternehmen bindet, dadurch die Personalfluktuation senkt und Engagement sowie Motivation der Mitarbeiter fördert. Zudem ist sie eine Möglichkeit, die Bürger an den Kapitalmarkt heranzuführen und mit den Chancen und Risiken, die mit Aktien und anderen Kapitalbeteiligungen verbunden sind, vertraut zu machen. Zwar gibt es verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung sowohl für große, börsennotierte Unternehmen (Aktienpro- gramme) als auch für kleinere, nicht börsengelistete Unter- nehmen (Genussrechte, stille Beteiligung). Allerdings bietet nur etwa die Hälfte der DAX-Unternehmen ihren Mitarbei- tern eine direkte Beteiligung an. Auch in kleinen und mittel- ständischen Unternehmen wird das Potenzial der Mitarbei- terkapitalbeteiligung mit derzeit etwa 3.500 Programmen nur ungenügend ausgeschöpft. Unzureichende Kenntnisse über die Möglichkeiten der Mitarbeiterkapitalbeteiligung auf Unternehmensseite und ungünstige Rahmenbedingungen sind die Gründe dafür. Deshalb müssen angemessene Anreize gesetzt und Hinder- nisse beseitigt werden: Der jährliche Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapital- beteiligung muss von derzeit 360 Euro auf ein inter- national übliches Niveau von mindestens 3.000 Euro angehoben werden. Dividenden und Zinserträge dürfen nicht besteuert werden, wenn sie zum langfristigen Vermögensaufbau reinvestiert werden. Langfristige Anleger müssen anders besteuert werden als kurzfristig denkende und handelnde Investoren, beispielsweise durch die Steuerfreiheit für Veräußerungs- gewinne bei einer Haltefrist von mindestens zehn Jahren. Die steuerlichen, regulatorischen und gesellschafts- rechtlichen Anforderungen müssen auf den Prüfstand, damit die Unternehmen eine Mitarbeiterkapitalbe- teiligung so einfach wie möglich anbieten können. Auch in Klein- und Kleinstunternehmen und gerade für Start-ups ist die Förderung einer Mitarbeiterkapitalbe- teiligung wichtig. Hier kann auf die Erfahrungen aus dem europäischen Ausland (z. B. Spanien), die derzeit im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegen- heiten des Europäischen Parlaments diskutiert werden, zurückgegriffen werden. Schließlich müssen die von der Europäischen Kommission im Rahmen des Mid-Term-Review zur Kapitalmarkt- union artikulierten Absichten, zumindest EU-weit regulatorische und steuerliche Hindernisse der grenz- überschreitenden Implementierung von Mitarbeiter- kapitalbeteiligungsprogrammen abzubauen, rasch und beherzt in die Tat umgesetzt werden. Die Unterzeichner des Berliner Appells fordern die neue Bundesregierung auf, aktiv zu werden und die genannten Punkte in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen. Parteiübergreifendes Ziel sollte es sein, in der nächsten Legislaturperiode mehr Arbeitnehmer direkt an den Erfolgen des eigenen Unternehmens zu beteiligen. Gleich- zeitig trägt dies der vermögenspolitischen Notwendigkeit Rechnung, die Aktien- und Beteiligungskultur in Deutsch- land zu stärken. Berliner Appell zu mehr Vermögensbildung in Mitarbeiterhand

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Page 1: Berliner Appell zu mehr Vermögensbildung in Mitarbeiterhand · 2020-05-30 · Berliner Appell zu mehr Vermögensbildung in Mitarbeiterhand. Die Unterzeichner des Berliner Appells

Sehr geehrte neue Bundesregierung,

der Aufschwung geht in einer ganz wesentlichen Komponente an den Bürgern vorbei, denn die Beteiligung an Unternehmen fristet in Deutschland ein Schattendasein: Nur etwa jeder siebte Deutsche investiert laut dem Deutschen Aktieninstitut in Aktien, etwa 1,1 Millionen Mitarbeiter sind als Belegschafts-aktionäre an ihrem Unternehmen beteiligt. Der Bundesver-band Mitarbeiterbeteiligung – AGP schätzt, dass etwa ebenso viele Beschäftigte an nicht börsennotierten, überwiegend mittelständischen Unternehmen beteiligt sind. Damit sind die Deutschen nicht nur abgekoppelt vom wirtschaftlichen Erfolg, sondern lassen auch eine Form der Vermögensbildung und Altersvorsorge weitgehend ungenutzt, die nicht nur im der- zeitigen Niedrigzinsumfeld eine attraktive Rendite verspricht.

Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems ist die Mitarbeiter-kapitalbeteiligung, also die � nanzielle Beteiligung der Be-schäftigten am Kapital des Arbeit gebenden Unternehmens, welche zusätzlich zum Tari� ohn ausgezahlt wird. Mitarbeiter partizipieren direkt am Erfolg des eigenen Unternehmens und erhalten damit die Möglichkeit zur Vermögensbildung.

Die Kapitalbeteiligung wirkt umgekehrt aber auch ertragsstei-gernd, da sie Mitarbeiter enger an das Unternehmen bindet, dadurch die Personal� uktuation senkt und Engagement sowie Motivation der Mitarbeiter fördert. Zudem ist sie eine Möglichkeit, die Bürger an den Kapitalmarkt heranzuführen und mit den Chancen und Risiken, die mit Aktien und anderen Kapitalbeteiligungen verbunden sind, vertraut zu machen.

Zwar gibt es verschiedene Möglichkeiten der Beteiligung sowohl für große, börsennotierte Unternehmen (Aktienpro-gramme) als auch für kleinere, nicht börsengelistete Unter-nehmen (Genussrechte, stille Beteiligung). Allerdings bietet nur etwa die Hälfte der DAX-Unternehmen ihren Mitarbei-tern eine direkte Beteiligung an. Auch in kleinen und mittel-ständischen Unternehmen wird das Potenzial der Mitarbei-terkapitalbeteiligung mit derzeit etwa 3.500 Programmen nur ungenügend ausgeschöpft. Unzureichende Kenntnisse über die Möglichkeiten der Mitarbeiterkapitalbeteiligung auf Unternehmensseite und ungünstige Rahmenbedingungen sind die Gründe dafür.

Deshalb müssen angemessene Anreize gesetzt und Hinder-nisse beseitigt werden:

� Der jährliche Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapital-beteiligung muss von derzeit 360 Euro auf ein inter-national übliches Niveau von mindestens 3.000 Euro angehoben werden.

� Dividenden und Zinserträge dürfen nicht besteuert werden, wenn sie zum langfristigen Vermögensaufbau reinvestiert werden.

� Langfristige Anleger müssen anders besteuert werden als kurzfristig denkende und handelnde Investoren, beispielsweise durch die Steuerfreiheit für Veräußerungs-gewinne bei einer Haltefrist von mindestens zehn Jahren.

� Die steuerlichen, regulatorischen und gesellschafts-rechtlichen Anforderungen müssen auf den Prüfstand, damit die Unternehmen eine Mitarbeiterkapitalbe-teiligung so einfach wie möglich anbieten können.

� Auch in Klein- und Kleinstunternehmen und gerade für Start-ups ist die Förderung einer Mitarbeiterkapitalbe-teiligung wichtig. Hier kann auf die Erfahrungen aus dem europäischen Ausland (z. B. Spanien), die derzeit im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegen-heiten des Europäischen Parlaments diskutiert werden, zurückgegri� en werden.

� Schließlich müssen die von der Europäischen Kommissionim Rahmen des Mid-Term-Review zur Kapitalmarkt-union artikulierten Absichten, zumindest EU-weit regulatorische und steuerliche Hindernisse der grenz-überschreitenden Implementierung von Mitarbeiter-kapitalbeteiligungsprogrammen abzubauen, rasch und beherzt in die Tat umgesetzt werden.

Die Unterzeichner des Berliner Appells fordern die neue Bundesregierung auf, aktiv zu werden und die genannten Punkte in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen. Parteiübergreifendes Ziel sollte es sein, in der nächsten Legislaturperiode mehr Arbeitnehmer direkt an den Erfolgen des eigenen Unternehmens zu beteiligen. Gleich-zeitig trägt dies der vermögenspolitischen Notwendigkeit Rechnung, die Aktien- und Beteiligungskultur in Deutsch-land zu stärken.

Berliner Appell zu mehr Vermögensbildung in Mitarbeiterhand

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Die Unterzeichner des Berliner Appells

Olaf Klinger Vorstand Finanzen,Symrise AG

Dr. Olaf HolzkämperVorstand für Finanzen,Unternehmensentwicklung und CEWE SOFORT SERVICE,CEWE Stiftung & CO. KGaA

Dr. Michael FallerGeschäftsführender Gesellschafter, August Faller GmbH & Co. KG

Dr. Peter GöthGeschäftsführer,CMG CLAAS Mitarbeiter-beteiligungs-Gesellschaft mbH

Wolfgang Grüb Geschäftsführer,Lorch Schweißtechnik GmbH

Gerd GalonskaSprecher der Geschäftsführung, PEAG Holding GmbH

Claus HoltmannGeschäftsführender Gesellschafter,  HOLTMANN GmbH & Co. KG

Prof. Dr. Olaf KornProfessur für Finanzwirtschaft,Georg-August-Universität Göttingen

Guido Kerkho� Vorstand Finanzen,thyssenkrupp AG

Prof. Dr. Lutz KolbeProfessur für Informations-management,Georg-August-Universität Göttingen

Sven HuschkeMitglied des Vorstands,Cortado Holding AG

Dr. Margarete HaaseMitglied des Vorstands,DEUTZ AG

Michael KramarschGründer und Managing Partner, hkp/// group AG

Joe KaeserVorsitzender des Vorstands,Siemens AG

Clemens KellerGeschäftsführender Gesellschafter, Seeberger GmbH

Tobias C. ProssHead of EMEA,Allianz Global Investors GmbH

Markus MedekGeschäftsführer,Winkler GmbH

Dr. Philip LettmannGeschäftsführer,WALA Heilmittel GmbH

Harm OhlmeyerFinanzvorstand,ADIDAS AG

Prof. Dr. jur. Jens LowitzschInhaber der Kelso-Stiftungsprofessur, Europa-Universität ViadrinaFrankfurt (Oder)

Prof. Dr. Hagen LindstädtInstitut für Unternehmensführung, Karlsruher Institut für Technologie

Matthias KriegerGeschäftsführender Gesellschafter, Krieger + Schramm GmbH & Co. KG Bauunternehmung

Peter LeyendeckerGeschäftsführer,C. Th. Leyendecker-Heil GmbH

Tilman Lö� elholzVorsitzender des Vorstands,MEISSNER AG

Dr. Markus KrebberFinanzvorstand,RWE AG

Dr. Klaus PatzakFinanzvorstand,Bil� nger SE

Rubin RitterCo-CEO,Zalando SE

Thomas Richter Hauptgeschäftsführer,BVI

Prof. Dr. Christian Rödl Geschäftsführender Partner und Vorsitzender der Geschäftsleitung, Rödl & Partner Dr. Marc Zoellner

CEO,Accumulatorenwerke HOPPECKE Carl Zoellner & Sohn GmbH

Prof. Dr. Michael Wol� Professur für Managementund Controlling,Georg-August-Universität Göttingen

Michael Zahn Vorsitzender des Vorstands,Deutsche Wohnen SE

Susanne Zeidler Mitglied des Vorstands,Deutsche Beteiligungs AG

Dr. Matthias Zieschang Vorstand Controlling und Finanzen,Fraport AG

Roland WolfrumGeschäftsführer,H. Steinhardt GmbH

Markus WasserleGeschäftsführender Gesellschafter, Wasserle GmbH

Marc TünglerHauptgeschäftsführer,DSW – Deutsche Schutzvereinigungfür Wertpapierbesitz e. V.

Prof. Dr. Ingo WellerLeiter Institute for Human CapitalManagement,Ludwig-Maximilians-Universität München

Patrick Thomas Vorstandsvorsitzender,Covestro AG

Dr. Nikolas StihlVorsitzender des Beirats,STIHL Holding AG & Co. KG

Prof. Dr. Thomas StegerLehrstuhl Führung und Organisation, Universität Regensburg

Hauke StarsMitglied des Vorstands,Deutsche Börse AG

Stefan SchellhaseMitglied des Vorstands,OctaVIA AG

Christine SegerGeschäftsführende Gesellschafterin, Seger Transporte GmbH & Co. KG

Nico BaaderVorstandsvorsitzender,Baader Bank AG

Maximilian BoltersdorfGeschäftsführer, Brohl Wellpappe GmbH & Co. KG

Dr. Heinrich BeyerGeschäftsführer,Bundesverband Mitarbeiter-beteiligung – AGP

Karl Braun Mitglied des Vorstands,KPMG AG Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft

Dr. Christine BortenlängerGeschäftsführender Vorstand,Deutsches Aktieninstitut e. V.

Kay BommerGeschäftsführer,DIRK – Deutscher InvestorRelations Verband

Thorsten BoeckersFinanzvorstand,K+S Aktiengesellschaft

Jens BraeukerVorstand,IT Südwestfalen AG

Dr. Elke EllerMitglied des Vorstands für das Ressort Personal und Arbeitsdirektorin,TUI Group

Olivier Elamine CEO,alstria o� ce REIT-AG

Dr. Hans-Ulrich Engel Finanzvorstand,BASF SE

Thomas BruchGeschäftsführender Gesellschafter,Globus SB-Warenhaus Holding GmbH & Co. KG

Thomas DannenfeldtVorstand Finanzen,DEUTSCHE TELEKOM AG

Stefan DrägerVorsitzender des Vorstands,Drägerwerk AG & Co. KGaA

Daniel BauerVorstandsvorsitzender,SdK – Schutzgemeinschaftder Kapitalanleger e. V.

Hubert BarthVorsitzender der Geschäftsführung,Ernst & Young GmbHWirtschaftsprüfungsgesellschaft