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Bernd Ridwan Bauknecht: Salafismus – Ideologie der Moderne. In: Info aktuell. Informationen zur politischen Bildung, Heft Nr. 29/2015 Klaus Gebauer: Drei Papiere für die Veranstaltung: - Islam in Deutschland (in Europa) – was ist zu tun? - Religiosität als anthropologische Konstante – und ihr Missbrauch - „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Biographisches: Bernd Ridwan Bauknecht ist nach einem Studium der Islamwissenschaft und Empirischen Kulturwissenschaft (M.A.) seit fünfzehn Jahren an mehreren Schulen in Bonn als Lehrer für islamischen Religionsunterricht tätig. Er war Mitglied der 2. Deutschen-Islam-Konferenz (beim Bundesinnenministerium in Berlin), außerdem arbeitet er als Sachverständiger für das dialogforum-nrw. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Religionspädagogik und der religiös begründete Extremismus. Er promoviert an der Universität Bonn zum Thema Korandidaktik und hat neben einer Monographie zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften, Lexika und Schulbüchern verfasst. Künstlerisches Arbeiten und Musik mit selbst geschriebenen und selbst vertonten Texten sind fester Bestandteil seines Unterrichts. Er ist Muslim. Klaus Gebauer ist seit 48 Jahren Mitglied der SPD und z.Z. im Vorstand des Ortsvereins Beuel, Er ist promovierter Sozialwissenschaftler und Historiker mit erstem und zweitem Staatsexamen für das Gymnasium und durch über dreißigjährige Berufspraxis an der Pädagogischen Hochschule und am Landesinstitut für Schule NRW Pädagoge, insbesondere Geschichts- und Religionspädagoge. Er war 26 Jahre für die Entwicklung von Lehrplänen für die sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer sowie aller Religionsunterrichte in allen Schulformen und allen Schulstufen des Landes NRW mitverantwortlich. Unter seiner Federführung entstanden zwischen 1980 und 2009 u. a. insgesamt fünf Lehrpläne für das Fach Islamkunde und zwei für das Fach Alevitischer Religionsunterricht. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist z.Z. Hass und Gewalt in den monotheistischen Religionen. Er gehört keiner Religion an.

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Bernd Ridwan Bauknecht: Salafismus – Ideologie der Moderne. In: Info aktuell. Informationen zur politischen Bildung, Heft Nr. 29/2015 Klaus Gebauer: Drei Papiere für die Veranstaltung: - Islam in Deutschland (in Europa) – was ist zu tun? - Religiosität als anthropologische Konstante – und ihr

Missbrauch - „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“

Biographisches: Bernd Ridwan Bauknecht ist nach einem Studium der Islamwissenschaft und Empirischen Kulturwissenschaft (M.A.) seit fünfzehn Jahren an mehreren Schulen in Bonn als Lehrer für islamischen Religionsunterricht tätig. Er war Mitglied der 2. Deutschen-Islam-Konferenz (beim Bundesinnenministerium in Berlin), außerdem arbeitet er als Sachverständiger für das dialogforum-nrw. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Religionspädagogik und der religiös begründete Extremismus. Er promoviert an der Universität Bonn zum Thema Korandidaktik und hat neben einer Monographie zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften, Lexika und Schulbüchern verfasst. Künstlerisches Arbeiten und Musik mit selbst geschriebenen und selbst vertonten Texten sind fester Bestandteil seines Unterrichts. Er ist Muslim. Klaus Gebauer ist seit 48 Jahren Mitglied der SPD und z.Z. im Vorstand des Ortsvereins Beuel, Er ist promovierter Sozialwissenschaftler und Historiker mit erstem und zweitem Staatsexamen für das Gymnasium und durch über dreißigjährige Berufspraxis an der Pädagogischen Hochschule und am Landesinstitut für Schule NRW Pädagoge, insbesondere Geschichts- und Religionspädagoge. Er war 26 Jahre für die Entwicklung von Lehrplänen für die sozial- und geisteswissenschaftliche Fächer sowie aller Religionsunterrichte in allen Schulformen und allen Schulstufen des Landes NRW mitverantwortlich. Unter seiner Federführung entstanden zwischen 1980 und 2009 u. a. insgesamt fünf Lehrpläne für das Fach Islamkunde und zwei für das Fach Alevitischer Religionsunterricht. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist z.Z. Hass und Gewalt in den monotheistischen Religionen. Er gehört keiner Religion an.

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Klaus Gebauer Januar 2016

Islam in Deutschland (in Europa) – was ist zu tun?

Die Überschrift bringt zum Ausdruck, dass es in Deutschland (Europa) Islam gibt und dass damit Probleme verbunden sind. Das sind Fakten.

Wenn sich eine politische Partei mit dieser Thematik befasst, geht es um die Frage: Was an diesen Fakten betrifft den politischen Diskurs und das politische Handeln? Zu den Fakten: In Deutschland leben zwischen 3 und 4 Millionen Muslime in der EU zwischen 13 und 15 Millionen. – Weit über 90 % dieser Muslime entstammen Migranten-Familien, die heute oft bereits in vierter Generation – mit Pass – Bürger und Bürgerinnen europäischer Staaten sind.

Weltweit – schätzt man – gibt es mehr als 1 Milliarde Muslime. 80 % aller Muslime leben seit der Entstehungszeit des Islams (zwischen 600 und 800 u.Z.) in klimatischen Regionen, in denen das Leben der Menschen mehrheitlich ein „Über“-leben ist. Diese geographischen Räume haben nie über Kapazitäten verfügt, Lebenswohlstand für die große Mehrheit ihrer Bewohner zu schaffen.

Weltweit befindet sich die muslimische Kultur in einer Krise, die – nach der Vernichtung des abbasidischen Herrschaftssystems (750 bis 1258 n.Z.) – wahrscheinlich die bisher größte ist, die historisch stattgefunden hat. Mit der Turkisierung (Beginn um 1050) (von 1512 an Osmanisierung) fast des gesamten arabisch-sprachlichen Raums entstand ein – im Vergleich zum arabisch-iranischen Gründungs-Islam – deutlich unterscheidbarer neuer Islam (ästhetisch hochstehend, politisch gemäßigt und pragmatisch tolerant aber geistesgeschichtlich weitgehend im Stillstand).

Unsere Krise heute beginnt bzw. begann spätestens mit der Beseitigung des osmanischen Kalifats 1924 durch Kemal Atatürk, den Be-Gründer der modernen Türkei. (Begründer deshalb, weil er die Gründung des Staates Türkei mit einer westlich orientierten strikt laizistischen (religionsfreien) Staats- und Rechtsordnung ideologisch begründete – bis heute: der Kemalismus: Partei CHP Cumhuriet Halk Partesi [Gemeinschaft der Freiheit des Volks], Republikanische Volkspartei, seit langem in der Opposition – Zeitung: Cumhuriet, „die FAZ der Türkei“).

Die kemalistische Revolution (1924 bis etwa 1936, vom Militär getragen) verbannte die Religion in die Privatsphäre der Individuen und Familien; alle großen Moscheen wurden in Museen umgewandelt, das Erziehungswesen unterstand vollständig strenger Aufsicht des laizistischen Staats.

Das hatte Bestand bis in die Mitte der 50er Jahre. Von da an erzielten religiös orientierte, an der Restauration islamischer Herrschaft arbeitende Parteien (Demokratische Partei, Heilspartei, Gerechtigkeitspartei, etc.) immer wieder Mehrheiten im Parlament. Ihre Restaurationsversuche wurden in 10-Jahresabständen (Beginn 60er Jahre, Beginn 70er, Beginn 80er) durch Militärputsche verhindert. Seit den späten 80er Jahren konnten sich – auch unter dem Druck der EU, das türkische (NATO-)Militär innenpolitisch zu entmachten –, die restaurativen Kräfte immer stärker durchsetzen. Endstadium: Erdogan.

Parallel zur türkischen Entwicklung spielte sich in der arabischen Halbinsel eine welthistorische Umwälzung ab. Nach 450 Jahren fast vollständiger politischer und zivilisatorischer Bedeutungslosigkeit der arabischsprachigen Regionen (osmanisches Kolonialreich 1512-1918; französische und britische Kolonialherrschaft bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts) wurden dort während des Zweiten Weltkriegs unermessliche Vorkommen an Erdöl entdeckt.

In Arabien hatte sich schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine monarchische Herrschaft installiert. Das gelang schon zu diesem Zeitpunkt, weil sich die Familie Saud mit einer islamisch-fundamentalistischen Priesterschaft, den Wahhabiten, verbündet hatte. Die Wahhabiten (Gründer Muhammad ibn Wahhab 1703-1791) wollten ein reine vor allem auf dem Koran beruhende Lehre in Staat und Gesellschaft durchsetzen und den alten Traum

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einer islamischen Weltherrschaft verwirklichen. Der Koran ist als Zugeständnis an die Wahhabiten die Verfassung von Saudi-Arabien.

Seit den Erdölfunden sind Saudis und Wahhabiten überzeugt, dass ihr Traum Wirklichkeit werden kann (das hat u.a. die Analyse der Schulbücher der Fahd-Akademie in Bad Godesberg erbracht). Unter politischer Führung der USA und der britisch-europäischen Ölkonzerne entwickelte sich der Nahe Osten zu einer Weltgoldgrube und zu einem Zentrum höchsten politischen Interesses.

Ohne einen Finger zu krümmen (ohne eine gesellschaftliche Reform durchführen zu müssen), konnten arabische und iranische Eliten ein Leben in Saus und Braus mit Weltpolitik verbinden. Für Saudi-Arabien (auch für die Emirate) war das eine Politik in Richtung islamische Weltherrschaft: Zehntausende von Moscheen und Gehältern für Vorbeter finanziert der saudische Staat bis heute, in der Türkei (mindestens 3000), in Bosnien, in Pakistan, Afghanistan etc., der Schwerpunkt liegt zur Zeit in Indonesien. Aktien-Pakete wurden eingekauft (Mercedes, VW, ...), Terrorgruppen wurden aufgebaut und reichhaltig finanziert. Die (evangelikalen) USA wurden überzeugt, dass die (heidnischen) Sowjets aus Afghanistan nur mit Hilfe islamischer Terroristen (Taliban = Schüler das Glaubens) vertrieben werden könnten. Auch der Weltsport wird nach und nach gekauft.

In der muslimischen Welt gibt es neben vielen kleinen Sekten zwei ungleich große Konfessionen: Sunniten (85%) und Schiiten (11%). Die Schiiten leben heute fast ausschließlich im Iran, im südlichen Irak und im östlichen Saudi-Arabien. Die Euphorie der Saudis in den 70er Jahren wich in den 80ern und danach einer Ernüchterung: Seit 1979 herrschte im Iran ein islamisch-religiöses Regime schiitischer Version (Chomeini und Nachfolger). Obgleich ebenso totalitär wie das wahhabitische Regime, unterscheiden sich die beiden Konfessionen sehr stark. Für Wahhabiten sind Schiiten keine Muslime. Deshalb unterstützten die Saudis auch Saddam Hussein in seinem Krieg gegen den Iran (1. Golfkrieg 1980-1988 – 250 000 Tote Iraker, 750 000 tote Iraner – ohne Zivilbevölkerung). Inzwischen toben im gesamten Nahen Osten, z.T. in Nordafrika sunnitisch und schiitisch fanatisierte Männergruppen mit mörderischen Ergebnissen gegeneinander. Eine islamische Moral ist weder im Kriegsgeschehen noch im Hinblick auf die Kriegsfolgen (Flüchtlingsfrage) zu erkennen.

Der Zusammenbruch der nachkolonialen Staatsstrukturen und das Fehlen einer historisch entwickelten islamischen Staatskultur (nach 450 Jahren kulturellen Stillstands) führt zur Zeit dazu, dass (bislang mit Ausnahme der Öl-Staaten) fast alle Staaten mit überwiegend arabisch-muslimischer Bevölkerung staatsgesellschaftlich zusammenbrechen. Das kann man, muss man beklagen – es ist ein Faktum (lateinisch: facere = machen), etwas in der Geschichte von Menschen Gemachtes. Die Muslime in Deutschland (anfangs fast ausschließlich aus der Türkei) hatten zunächst, d.h. Ende der 70er und in den 80er Jahren kein oder wenig Interesse, sich zu integrieren. Man wollte am Ende des Arbeitslebens in die „Heimat“ zurück. Es bildeten sich islamische Vereine mit Hinterhausmoschee, die der Heimatpflege dienten. Korankurse sollten die Kinder davon abhalten, in der nichtmuslimischen Umwelt ihren Glauben und ihre traditionelle Sittendisziplin zu verlieren. Aus diesen zahlreichen Vereinen – vor allem in den größeren und mittleren Städten – gingen Dachverbände hervor, die sich nach außen als Interessenverbände im deutschen Staatssystem darstellten, nach innen aber als religiös-ideologische Reglementierungsautoritäten wirkten. Es zeigte sich bald, dass sich in den verschiedenen Dachverbänden unterschiedliche Ideologien zusammenfanden.

Bei aller Unterschiedlichkeit waren sich diese Verbände aber einig, dass das laizistische System in der Türkei durch einen islamischen Staat zu ersetzen sei. Die Mehrzahl der Verbände korrespondierte finanziell und ideologisch mit je entsprechenden Parteien und Organisationen der Restauration in der Türkei. Dies rief den laizistischen Staat in Ankara auf den Plan, und es kam schon Ende der 70er Jahre zu einem Ausbau der türkisch-staatlichen Kontrolle der muslimischen Szene in Deutschland. Die deutsche Politik ließ

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Ankara nicht nur gewähren, sondern unterstützte den NATO-Partner bei seinen Eingriffen in die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.

Inzwischen hat sich die entsprechende staatliche Organisation der türkischen Regierung, DITIB (Türkisch-islamische Union), aufgrund der staatlichen Wahhabitisierung (s.o.) des Islams in der Türkei selbst zu einer religiösen Autorität mit weitgehend wahhabitischen Islamvorstellungen entwickelt. DITB organisiert fast 2 Drittel der organisierten Muslime in Deutschland. Insgesamt sind etwa 1 Drittel der Muslime in Moscheen bzw. Vereinen organisiert. Fazit: Der saudische Wahhabismus hat – wenn auch abgeschwächt – im organisierten Islam Deutschlands Fuß gefasst. Die Salafisten (Eigenbezeichnung: Salafiten) sind Abgänger, Schüler (Taliban = Schüler, s.o.) dieses bundesdeutsch organisierten Islams. Sie wünschen sich einen Islam nach der Lebensweise Mohammeds, wie sie sich diese vorstellen. Sie predigen Hass gegen die moderne Lebensart der westlichen Zivilisation und berufen sich dabei auf Verse des Korans, die eine legitimierende Interpretation nahe legen. Sie sind in ihren Gruppierungen in Deutschland die Vorschule der Dschihadisten.

Beteiligt sind manche der relativ wenigen arabisch-islamischen Vereine und Moscheen, die ansonsten mit Ausnahme der Moscheen in Aachen, Hamburg oder Berlin ein zurückgezogene Existenz fristen.

Festzuhalten ist, dass zwei Drittel der Muslime in Deutschland kein Interesse am organisierten Islam haben – und dass nur 20-30 % aller Muslime in Deutschland den Gebetsvorschriften folgen, dagegen 70-80% im Fastenmonat Ramadan fasten. Ziel der islamischen Verbände ist es, durch staatlichen Religionsunterricht unter ihrer Kontrolle möglichst alle muslimischen Kinder und Jugendlichen zu erreichen.

Schule in NRW Seit dem 11. Dezember 1979 (dem Jahr der Machtergreifung des Chomeini im Iran) arbeitet das Land NRW (Regierung Rau/Girgensohn) an der Entwicklung von islamischem Religionsunterricht. Dieser Unterricht sollte die Kinder zwar rückkehrfähig halten, aber zugleich von den Korankursen der islamischen Verbände fernhalten.

1985 konnte ein erstes Konzept in die Grundschulen gehen. 1991 bis 1996 gab es Unterricht bis Klasse 10, 1999 – 2007 entstand eine staatliche Islamkunde für die Klassen 1 bis 10, die darauf abzielte, die muslimischen Schülerinnen und Schüler an einem Islam zu orientieren, der mit dem Grundgesetz harmoniert. Am 21. Dezember 2011 ließ die Regierung Kraft/Löhrmann mit allen Stimmen der Grünen, den meisten der SPD und Teilen der CDU und gegen die Stimmen der Linken diesen Unterricht gesetzlich in die inhaltliche Führung durch die islamischen Verbände in NRW übergehen. Auf alle Textstellen, die in den bisherigen Lehrplänen auf das Grundgesetz verwiesen, wurde in den neuen Lehrplänen verzichtet. Nahmen im Jahr 2005 von den insgesamt 100 000 (Grundschule und Kl. 5-10) möglichen Schülerinnen und Schülern 10 000 an der Islamkunde im Aufbau teil, so sind es im Jahr 2015/16 laut Ministerium „bereits“ 10 100 Schülerinnen und Schüler, die am neuen Islamischen Religionsunterricht teilnehmen. Es ist also seit nunmehr 10 Jahren auf der Ebene der Schulen nichts geschehen. Lediglich die Machtfrage wurde (neu) entschieden.

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Klaus Gebauer Januar 2016 Religiosität als anthropologische Konstante – und ihr Missbrauch

[Zum Begriff der „anthropologischen Konstante“: Das Atmen ist eine biologische Konstante bei allen Lebewesen, ohne Atmen gäbe es kein Leben. „Konstante“ (lateinisch) bedeutet unveränderliche Beständigkeit. „Anthropologisch“ (griechisch: allein zum Menschen gehörig) ist eine Konstante, wenn sie notwendig zur Existenz des Menschen gehört.]

Anthropologie, Geschichte, Soziologie und Psychologie sind sich seit es diese Wissenschaften gibt, einig, dass Religiosität eine menschliche Grundveranlagung ist. Religiosität (lateinisch: Rückbindung, Anlehnung, Versicherung), ist psychischer Bestandteil jedes einzelnen Individuums.

Religiosität sucht

• im Wissen der Endlichkeit menschlichen Lebens nach materiellem Schutz gegen vorzeitigen Tod durch Krankheit oder soziale Konflikte (Materialität).

• durch Erfahrung der Schwäche des einzelnen Menschen nach schützender mitmenschlicher Bindung in gemeinschaftlichem Zusammenleben (Emotionalität).

• durch Erfahrung der Zerbrechlichkeit von menschlichen Gemeinschaften nach Generationen übergreifender Stabilität von gemeinsamem Leben (geschichtliche Versicherung der Stabilität der Gemeinschaft - Intellektualität).

• durch Erfahrung der Unerklärlichkeit und Unvorhersehbarkeit von physischen und sozialen Katastrophen nach einer Zeit und Raum überschreitenden Sinn tragenden Kraft, die bedient werden kann, um dem menschlichen Leben einen Generationen übergreifenden Sinn zu geben (Transzendenz = Überschreitung der mit den Sinnen direkt oder indirekt erfahrbaren Wirklichkeit).

Es ist leicht erkennbar, dass Religiosität in dieser Beschreibung selbst eine hoch sensible Eigenschaft des Menschen ist. Sie kann ein gutes Leben fördern. Sie kann aber auch zu einer Quelle und Falle für Missbrauch von Menschen durch Menschen werden.

Missbrauch von Religiosität Geschichtlich beginnt der Missbrauch auf der Ebene der Emotionalität (s.o.). Für den westorientalisch-europäischen Raum heute kann historisch festgestellt werden, dass sich seit der Mitte des ersten Jahrtausends v.Chr. in Schüben intellektuell begabte Männergruppen zusammengetan haben (Judentum, Christentum, Islam), um das religiöse Bedürfnis ihrer Umgebung mit transzendentalen Zusagen und Drohungen zur eigenen Machtentfaltung nutzbar zu machen. Diese Männer bauten soziale und geistige Organisationen auf, von denen sie behaupteten, dass diese im Dialog mit Gott entstanden seien und der Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Menschen dienten. Erst von dieser Entwicklungsphase an kann man von „Religion“ sprechen. Religion ist organisierte Religiosität.

Es entstanden Kulte und dazugehörig eine gesellschaftliche Schicht von Kultbeamten – auf intellektuell höherer Ebene von Theologen und Religionsgelehrten und auf höchster Ebene von prophetischen Persönlichkeiten, die vor allem als Warner, Mahner, Droher und Versprecher tätig wurden.

Die heute geltenden religiösen Haupttexte von Judentum, Christentum und Islam arbeiten stilistisch in gleicher Weise mit massivem psychischem Druck auf die Menschen, an denen sie interessiert sind: Es gibt einen allmächtigen und allwissenden Gott, der die Menschen kontrolliert und dessen Belohnungs- und Bestrafungssystem vom Menschen nicht verstanden werden kann („Theodize“ = Gottes Gerechtigkeit; Gnade, Barmherzigkeit).

„Missbrauch von Religion“ Immer wieder wird heute davon gesprochen, dass Extremisten, Fundamentalisten, Terroristen, etc. eine Religion missbrauchen. Diese Behauptung übersieht, dass die

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„Religion“ als Organisation bereits selbst Ur-Missbrauch von Menschen ist. In allen drei Religionen, hat sich der Mensch zu unterwerfen (Islam = Unterwerfung unter Gottes Willen). Ein Menschsein in Verantwortung gibt es nur Gott gegenüber, was mitmenschliche Verantwortung ist, bestimmt die Organisation, entsprechend bestraft sie, belohnt, erlaubt, verbietet, verflucht sie und erbarmt sich.

Missbrauch liegt vor, wenn die natürliche Schwäche von Menschen, ihre Ängste und ihre Not manipulativ zur Machtbefriedigung einer religiösen Elite ausgenutzt wird. Soziale Leistungen können das nicht kompensieren.

Notwendige Grundveränderungen in Judentum, Christentum und Islam zur Beendigung des Missbrauchs natürlicher

Religiosität und Konversion zu den Menschen hin:

• Absage an den absoluten Wahrheitsanspruch,

• Verzicht auf die Offenbarungsbehauptung als Gottes Wort,

• Selbstverpflichtung ohne Hintertüren auf die bisher erkannten und noch zu erkennenden Menschenrechte,

• Verzicht auf religiös begründete Strafkompetenz in jeder Hinsicht,

• Verzicht aus Exklusion (Selbstausgrenzung und Ausgrenzung von Nichtmitgliedern),

• Praktische Gleichbeteiligung von Männern und Frauen beim Religionspersonal,

• Konzentration auf soziale Friedensarbeit in Lehre und Praxis,

• Verzicht auf markt-ökonomische Ausnutzung der Religiosität.

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Klaus Gebauer Januar 2016 „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“

Dieser Satz findet sich zur Zeit – durchaus – in der Mehrzahl der Kommentare, die sich mit Themen zu Salafisten, Dschihadisten, Islamisten, Terroristen befassen. Insbesondere sind es politisch links orientierte Autorinnen und Autoren, aber auch kirchliche Kreise. Insbesondere evangelische, warnen davor, islamistischen Terror von der Religion her zu erklären.

Das hat bei den „Linken“ einen anderen Hintergrund als bei denen von religiöser Seite her Argumentierenden.

Bei Linksorientierten – und damit ist auch die Mehrheit der Sozialdemokraten gemeint – geht die Argumentation auf ein materialistisches Uraltmuster zurück, wonach Religion – wie Karl Marx herausgearbeitet hat – gesellschaftlicher Überbau sei. Die eigentlichen Ursachen für die islamistische Gewalt seien aber „Basis“-Probleme wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Mittellosigkeit, etc. Die Lösung sei somit ökonomischer Art.

Und in diesem Zusammenhang sei die Schuld an den Probleme der islamischen Welt bei Kolonialismus und Postkolonialismus bis heute zu suchen. Die Erwartung ist offenbar, dass der Islamismus verschwinden werde, wenn die Welt ökonomisch gerechter werde.

Dieser Argumentation kann die religiöse Seite weitgehend zustimmen, jedoch aus einem ganz anderen Grund als die Materialisten. Hier spielt die Solidarität der in Deutschland unter Rechtfertigungsdruck geratenen monotheistischen Religionen eine Rolle. Der politische Kampf der muslimischen Religionsvertreter in Deutschland um rechtliche Gleichstellung mit den christlichen Kirchen und mit der jüdischen Kultusgemeinde wird von diesen zwar mit Bauchschmerzen gesehen, jedoch strategisch als eine Chance angesehen für eine Rückkehr der eigenen Religion im öffentlichen Raum. Und in diesem Zusammenhang ist es ihnen wichtig, Verantwortung für Schlechtes, als der Religion Widersprechendes, strikt abzulehnen, zugleich das Gute zum direkten Ausfluss der eigenen Religion zu erklären.

Hinzu kommt – insbesondere von evangelischer Seite her – ein seit dem 19. Jahrhundert (Schleiermacher) gepflegter Metaphorismus (Metapher = bildliche Übertragung). Platt gesagt, wird dargelegt, dass die Texte der heiligen Schriften nicht das ausdrücken, was in ihnen geschrieben steht. Selbst die größten Bestialitäten (z.B. 2. Mose, 32,27) werden zu Bildern von etwas Gutem umgedeutet. Grundaussage dieser Textauslegungsauffassung ist: Ohne hochspezialisierte Textwissenschaftler kann weder die Bibel noch der Koran angemessen gelesen werden.

Die primitivste Form des Satzes „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ war dieser Tage vom Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Masiek, zu hören. Bei Frau Maischberger sagte er zu den Vorfällen am Kölner Bahnhof in der Silvesternacht: Dass das Verhalten der Nordafrikaner in dieser Nacht nichts mit dem Islam zu tun habe, ergebe sich schon daraus, dass der Islam Alkohol verbiete.

In eine qualifiziertere Richtung wies dann sein Nachsatz: Man könne sich durchaus fragen, was für eine Sozialisation diese Männer hinter sich haben. (Sozialisation = Erziehung in Familie und Schule und Einflüsse durch Altersgenossen und Lebenswelt). Genau darum geht es tatsächlich. Und die zentrale Frage für einen Muslim muss doch lauten: Welchen Anteil hat die Religion an dieser Sozialisation. Diese Männer sind in muslimischen Familien groß geworden, haben islamisch geprägte Schulen durchlaufen, haben rund um in einer islamischen Kultur gelebt, d.h. mit viel Religion im Alltag. Wie kann sich ein für seine Religion mitverantwortlicher Funktionär mit Hinweis auf die geschriebenen Normen seiner Religion aus der Affäre ziehen wollen, wo doch das Ergebnis zeigt, dass diese Normen keine Wirkung zeigen – oder doch? Es gibt da neben dem Alkoholverbot noch andere Normen, z.B. im Hinblick auf den männlichen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Hier wäre der gesamte islamische Normenbestand auf den Prüfstand zu stellen und mit dem Grundgesetz abzugleichen. Das ist bislang nicht geschehen.

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Religiöse Normen sitzen tiefer als geschriebenes Recht in Gesetzen, weil sie aus der Tiefe der Geschichte der Gesellschaften kommen. Bild: Sie sind wie die Urstromtäler in Norddeutschland, in denen sich die lange zurückliegende Eiszeit in Erinnerung hält. Religionen sind wie diese Urstromtäler beim Hochwasser von 2005, als das Wasser plötzlich quer zur Oder und zur Elbe strömte und weite Flächen überflutete. In gesellschaftlichen Stresssituationen sind Religionen uralte Betten, in denen sich die Emotionen (Ängste, Ablehnung, Misstrauen aber auch Ansprüche etc.) nach alten Fließverläufen, oft quer zu den modernen regulierten gesellschaftlichen Normen und Gesetzen ihre eigenen Bahnen nach alten Normen, Gewohnheiten und Gewissheiten suchen.

Insbesondere Gewaltstress führt dazu, Gegenwehr in religiösen Betten zu fahren. Dazu bieten Bibel und Koran überschießend viele Texte, die Gewalt legitimieren können. Die Regierung Bush führte nach Selbstverständnis einen „Heiligen“ Krieg gegen den Irak und in Afghanistan. Die Palästinenser führen einen „Heiligen“ Krieg gegen Israel und israelische Siedler okkupieren palästinensisches Land unter Berufung auf die Bibel. Der „Islamische Staat“ und Saudi-Arabien beziehen sich auf die historischen Bürgerkriege zwischen Sunniten und Schiiten im Mittelalter.

Die Religionen Islam, Christentum und Judentum und ihre Bücher Koran und Bibel sind politisch faktisch heute Ur-Rechtfertigungen für Gewalt. Es kommt dabei nicht darauf an, dass die Texte in einem historischen Zusammenhang entstanden sind oder metaphorisch interpretiert werden können. Entscheidend ist, dass heute, in einer Zeit, in der fast alle Menschen des Lesens mächtig sind, diese Texte in ihrer Wortwörtlichkeit wahrgenommen werden und zur Blaupause für Handeln geraten. Im Zeitalter des Internets haben die kleinen Eliten von Exegeten und Schriftgelehrten keine Möglichkeit mehr, auf die gesellschaftliche Massen-Wirkung dieser Texte Einfluss zu nehmen.

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Das bpb-Poster in Einzelteilen:

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