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DAS BUCH

Leandra ist von ihren schweren Verletzungen genesen, die siewährend ihres Kampfes gegen die Bruderschaft von Yoor erlit-ten hat. Viele Monate sind vergangen und die Gefahren schei-nen überwunden. Doch dann erhält Leandra in ihrem Heimat-dorf Angadoor Besuch von einer Gruppe schwarzgewandeterMönche. Die dunkle Bruderschaft scheint alles andere als zer-schlagen und auch Leandras Erzfeind Chast muss überlebthaben. Und so macht sich Leandra auf, ihren Schwur zu erfül-len: Gemeinsam mit ihren Gefährtinnen will sie Alina retten,die junge Frau, die von Chast entführt wurde und in derenHänden das Schicksal Akranias liegt …

»Eine großartige Saga voller Magie und Abenteuer. DeutscheFantasy at its best!« Bernhard Hennen

DER AUTOR

Harald Evers, 1957 in München geboren, arbeitete erfolgreichan der Entwicklung von Computerspielen, bevor er sich mitseiner großangelegten und farbenprächtigen Höhlenwelt-Sagaals deutscher Fantasy-Autor einen Namen machte. Der Autorlebt und arbeitet im bayerischen Kirchdorf.

Mehr zu Autor und Werk unter:www.hoehlenwelt-saga.de und www.trivocum.de

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HARALD EVERS

Leandras Schwur

Zweiter Romander

HÖHLENWELT-Saga

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und

säurefreiem Papier gedruckt.

Taschenbuchausgabe 03/2006Redaktion: Angela Kuepper

Copyright © 2001 by Harald EversCopyright © 2001 und 2006 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHPrinted in Germany 2006

Umschlagbild: Hans-Werner Sahm/Galeria Andreas S.L., SpanienUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: C. Schaber Datentechnik, WelsDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN-10: 3-453-72119-5ISBN-13: 978-3-453-72119-7

www.heyne.de

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IN H A LT

1 ♦ Hellami . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 ♦ Der Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 ♦ Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 ♦ Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 ♦ Ulfa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 ♦ Morgengrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 897 ♦ Der Pakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1078 ♦ Die Schmiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1209 ♦ Abgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

10 ♦ Neue Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15511 ♦ Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18012 ♦ Valerian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19313 ♦ Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20914 ♦ Der Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22915 ♦ Stygische Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24216 ♦ Roya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25317 ♦ Bruderschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26218 ♦ Verschwörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27719 ♦ Heimkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29220 ♦ Die Basilika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30221 ♦ Entdeckungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31622 ♦ Wagnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33723 ♦ Quantar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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24 ♦ Tirao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36925 ♦ Die Falle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38626 ♦ Dunkel über der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39527 ♦ Jacaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41128 ♦ Drachenliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42329 ♦ Schlachtpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43430 ♦ Der Rote Ochs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44631 ♦ Jagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46532 ♦ Besuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47733 ♦ Schwertmagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49734 ♦ Untertauchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50935 ♦ Legende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52836 ♦ Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54437 ♦ Ramakorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56738 ♦ Verbündete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59039 ♦ Rohe Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62040 ♦ Ghouls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63841 ♦ Höllenwurm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65642 ♦ Erwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67543 ♦ Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68744 ♦ Maric . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70245 ♦ Der Palast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732

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1 ♦ Hellami

Mühsam unterdrückte Hellami ein Äch-zen, kauerte hinter einem Strauch und

starrte angespannt in die Dunkelheit.Da hörte sie es wieder: das Geräusch durchs Gras

eilender Füße und dazwischen manchmal, etwas weiterentfernt, das Klappern von Pferdehufen auf hartemGrund.

Verdammt! Die Kerle würden sie bald erwischthaben, und dann war es aus mit ihr. Wie sollte sie ihnenjetzt noch entkommen? Sie atmete so ruhig sie konnte,versuchte herauszuhören, in welche Richtung sich dieVerfolger bewegten. Vielleicht hatte sie ja Glück und sieeilten an ihr vorbei.

Dann aber hörte sie ein Flüstern ganz in ihrer Nähe.Sie packte ihren kleinen Dolch fester, wild entschlos-

sen, ihn jedem in den Bauch zu rammen, der es wagensollte, sie anzufassen. Schon vor Tagen hatte sie gehofft,es möge ihr gelingen, sich irgendwie zu verstecken, dieVerfolger abzuschütteln und sich wieder unbehelligtnach Norden durch den Wald zu schlagen. Aber ständigtauchten diese Kerle auf.

Es waren die Gleichen wie zuvor, das wusste sie in-zwischen. Anfangs hatte sie gedacht, sie wäre auspurem Zufall unterschiedlichen Suchtrupps über denWeg gelaufen. Aber dann wurde ihr klar, dass man sieverfolgte, sie immer wieder aufspürte – und dass es denMännern möglicherweise gar nicht darum ging, sie nureinzufangen. Sie schienen es ernst zu meinen. Vielleichtwollten sie sie gar töten!

Leise zog sie sich rückwärts ins Gebüsch zurück. Sie

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glaubte, in der Nähe irgendwo das schwache Rauschenvon Wasser vernommen zu haben. Wenn das die Mornewar, dann gab es vielleicht noch einen letzten Ausweg.

Sie eilte durch ein niedriges Wäldchen und setzte ihreFüße auf Inseln von weichem Gras, das hier und dazwischen den Bäumen wuchs. Raschelndes Laub würdesie verraten. Zum Glück konnte sie genug sehen; Mond-licht fiel durch ein Sonnenfenster in die Welt herab.Wäre sie nicht in einer so verflucht ernsten Lage ge-wesen, dann hätte sie diese warme, stille Nacht ge-radezu als romantisch bezeichnen können.

Sie duckte sich unter Zweigen hinweg, sprang leiseüber Wurzeln und Steine und nutzte den tiefen Schat-ten der Bäume und Büsche. Stellen, an denen dasMondlicht bis zum Boden durchbrach, mied sie. Füreinige Minuten verbot sie sich, auf die Verfolger zu lau-schen; nein, dazu hätte sie stehen bleiben müssen, undim Augenblick wollte sie so schnell, wie es nur ging,fort von den Männern. Sie wusste nicht, ob ein Waldläu-fer oder ein Krieger es ebenso wie sie gemacht hätte –woher auch? Sie war nur ein einfaches Mädchen auseiner schlechten Gegend von Savalgor. In den Gassender Stadt, ja, da hätte sie sich sicherer bewegt, dortkannte sie sich aus und wusste, wie man sich unauffäl-lig verhielt.

Dann aber erinnerte sie sich, was geschehen war, alssie zum letzten Mal durch die Gassen von Savalgor ge-laufen war – auf welche Weise man sie von dort ver-schleppt hatte. Nein, dachte sie, selbst in den vertrautenGassen lauerten inzwischen Gefahren auf einen, dieman nicht mehr ermessen konnte.

Sie hielt im Schatten eines großen Waldfarns an undkauerte sich nieder. Ihr Atem ging schwer, und sieblickte sich angstvoll um, ob etwas von ihren Verfolgernauszumachen war.

Beinahe hätte sie es übersehen.Dreißig oder vierzig Schritte hinter ihr waren die Um-

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risse einer Gestalt durch einen verirrten Strahl Mond-licht gehuscht. Hellami stieg ein Kloß heißer Angst indie Kehle. Kein Zweifel mehr, sie wurde regelrecht ge-jagt, mit klarer Absicht. Diese Männer wollten sie umjeden Preis erwischen und sie setzten erfahrene Leutedafür ein; solche, die sich in der Nacht lautlos zu bewe-gen und einem Opfer gnadenlos auf den Fersen zu blei-ben vermochten.

Sie kroch voller Angst tiefer unter den großen Farnund lauschte angestrengt. Das Rauschen des Wasserswar deutlicher geworden. Aber selbst wenn sie versu-chen wollte, durchs Wasser zu entkommen, standenihre Aussichten nicht gut. Sie war zwar eine recht guteSchwimmerin, aber in dem mondbeschienenen Flusswäre sie so leicht zu erkennen gewesen wie ein Apfel ineinem Badezuber.

Was war nur geschehen, dass man sie so hartnäckigverfolgte?

War es der Brief gewesen, den sie erhalten hatte?Möglicherweise hatte ihn jemand gelesen – der Wegvon Savalgor bis nach Minoor war lang und Briefewaren in Zeiten wie diesen wahrscheinlich eine Selten-heit. Es mochte gut sein, dass jetzt alle Briefe gelesenwurden – es war schlichtweg alles möglich. Sie wussteeinen Mann, der noch eine Rechnung mit ihr offenhatte. In dem Brief stand genug, um sie als eines dersechs Mädchen bestimmen zu können, die damals beidiesem Guldor in Gefangenschaft gesessen hatten. Daswürde so manches erklären. Sie tastete nach dem Brief,den sie der Tasche ihrer Jacke trug. Ja, er war noch da.

In der Nähe war plötzlich ein leises Rascheln zuhören.

Sie fuhr hoch, blickte sich um und schalt sich im sel-ben Augenblick, dass sie so viel Zeit damit verplemperthatte, irgendwelche Überlegungen anzustellen, die ihrjetzt auch nicht weiterhalfen.

Immerhin – hier, wo sie saß, war es stockfinster, und

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der Kerl, wenn da einer war, hätte zu ihr unter den Farnkriechen müssen, um sie zu entdecken.

Und genau das tat er jetzt.Hellami hätte beinahe aufgeschrien – und das wäre

das Aus gewesen. In ihrem Schreck tat sie das Einzige,was wirklich half – und dass es half, war auch nur einZufall. Sie warf sich mit vorschnellendem Dolch nachvorn und stach blindlings zu.

Sie traf den Kerl. Sie wusste nicht, wo, aber er stießein Gurgeln aus, und da war sie schon unter dem Farnhervorgestürzt, taumelte zu Boden, rappelte sich wie-der hoch und rannte los. Irgendwo stieß jemand einenFluch aus, verhaltene Rufe waren zu hören, und dannsirrte irgendwas durch die Luft und klatschte, nichtweit von ihr, gegen einen Baumstamm.

Hellami quietschte auf und rannte, so schnell ihreFüße sie nur tragen konnten.

Ein weiteres Sirren erklang, und irgendetwas, mögli-cherweise ein Armbrustbolzen, pfiff erschreckend nahan ihrem rechten Oberschenkel vorbei. Sie meinte fastden Schmerz und den Schock spüren zu können – ge-rade so als hätte der Bolzen sie getroffen. Eine schreck-liche Sekunde lang sah sie sich röchelnd zu Boden sin-ken – tödlich verletzt und ihre letzten, verzweifeltenAtemzüge in die Stille des Waldes hinaushechelnd.Alles umsonst. Ihr kurzes Leben verspielt – außer eini-gen wenigen Höhepunkten. Die Vorstellung raubte ihrfast den Verstand. Während sie weiterhastete, fing sieverzweifelt an zu schluchzen. In wenigen Augen-blicken konnte sie verloren sein. Dann würden sie sietöten.

Die Angst verlieh ihr Flügel, und sie schaffte es, ineine Gruppe von jungen Bäumen hineinzuhasten, ohnevon etwas getroffen zu werden, und damit erst einmalaußer Sichtweite zu gelangen. Doch im nächsten Au-genblick zischte ein halbes Dutzend Pfeile in die Bäumehinein. Sie ließ sich mit einem Aufschrei zu Boden fallen

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und kugelte sich wie ein Igel zusammen, den Kopfunter den Armen versteckt.

Gleich darauf hörte sie einen trockenen Schlag undspürte einen Schmerz in der Fußsohle. Für den Augen-blick jedoch wagte sie nicht, sich zu rühren. WeiterePfeile pfiffen in die Bäume, aber wie durch ein Wundertraf sie keiner.

»Habt ihr das Miststück?«, rief es von irgendwo-her.

»Ich glaube schon!« Die Stimme hatte erleichtert ge-klungen, so als wäre der Rufer sicher, sie nun endlicherledigt zu haben.

Das brachte sie in Wut, in rasende Wut. Was für einDreckskerl war das, der ein wehrloses Mädchen nachtsdurch den Wald jagte und sich dann auch noch brüstete,sie getötet oder verwundet zu haben – ohne ihr auchnur einmal im Leben ins Gesicht geblickt zu haben? Siebekam Lust, hier auf ihn zu warten und in dem Mo-ment, da er sich über sie beugte, aufzuspringen undihm die Augen auszukratzen.

Aber die Vorstellung war dumm – immerhin er-kannte sie das noch. Es ging um ihr Leben. Das Rau-schen des Wassers war jetzt ganz deutlich zu verneh-men, und plötzlich sah sie durch einige Zweige direktvor ihr das Wasser des Flusses heraufschimmern. Siewar nur noch ein paar Schritte entfernt – ja, dort ging esüber eine felsige Kante direkt in die Morne hinab, nurwenige Armlängen von ihr entfernt.

Sie sah ihren Ausweg. Einer Eingebung folgend, fingsie an zu stöhnen und zu wimmern und kroch vor-wärts.

»Hier!«, rief jemand. »Hier muss sie sein! Ich hab siegehört! Los, her mit euch!«

Hellami erreichte schon im nächsten Moment das fel-sige Ufer des Flusses und sah ins Wasser hinab, zehnoder zwölf Schritte unter ihr. Sie hatte einen Pfeil in derrechten Stiefelsohle stecken, aber Zeit, den herauszuzie-

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hen, war jetzt keine mehr. Es war auch keine Zeit, über-haupt über irgendetwas nachzudenken. Das Wasser dortunten mochte flach sein oder es konnten sich Felsenoder Äste unter der Wasseroberfläche befinden. EinSturz aus dieser Höhe würde leicht reichen, ihr denSchädel oder das Rückgrat zu brechen. Aber es war ihreeinzige Möglichkeit.

Sie ließ sich einfach fallen und hoffte, dass sie Glückhatte. Es wurde auch langsam Zeit, dass ihr das Glückendlich einmal weiterhalf.

*

Cathryn weinte wieder.Die verfluchten Soldaten wurden in letzter Zeit

immer brutaler. Wenn ein Kind eine Minute, nachdemdie Glocke erklungen war, noch draußen spielte oderauch nur seine Spielsachen zusammensuchte, triebensie es mit Tritten von der Straße weg und scheuchten esfluchend nach Hause.

Leandra nahm ihre kleine Schwester tröstend in dieArme und warf den beiden Kerlen einen hasserfülltenBlick zu. Sie hatten Cathryn diesmal zwar nicht geschla-gen, aber das Gebrüll allein genügte, um das sieben-jährige Mädchen zu Tode zu erschrecken.

»Wenn auch nur einer von euch sie jemals wieder an-rührt«, rief sie voller Zorn, »dann bringe ich ihn um!«

Höhnisches Gelächter schallte ihr entgegen. »Womitdenn, blöde Ziege? Mit ‘nem Kochlöffel vielleicht?«

Der dumme Witz verstärkte das Gelächter noch undunter Flüchen und hässlichen Gesten zogen die Solda-ten weiter.

»Ist schon gut, Trinchen, weine nicht«, sagte Leandrasanft und schloss ihre kleine Schwester noch fester indie Arme. Sie knieten im Garten des kleinen Steinhau-ses, das ihre Eltern vorletztes Jahr fertig gebaut hatten,und versuchte die Kleine zu trösten. Cathryn vergossbittere Tränen, aber es waren vornehmlich Tränen der

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hilflosen Wut. In ihr schlummerte eine ebenso große Re-bellin wie in Leandra.

Andererseits war Cathryn ein so liebes und hübschesKind, dass Leandra einfach nicht verstehen konnte, wiejemand es übers Herz brachte, die Kleine roh und ge-mein zu behandeln.

Aber es hatte sich alles geändert. Vor einem Jahr nochwar die Welt eine andere gewesen. Leandra seufzteschwer. Damals, als sie in dieses unglaubliche Aben-teuer mit Munuel, Victor und den anderen hineingera-ten war und es schließlich durchgestanden hatte, warsie in der Gewissheit in ihr Heimatdorf Angadoorzurückgekehrt, dass von nun an die Sonne wieder ineinem helleren Licht in die Welt herabscheinen würde;dass sich die Menschen wieder offener begegnen konn-ten und all die dunkle Bedrohung aus Akrania und denWestreichen gewichen war. Und für eine kurze Zeithatte es tatsächlich auch so ausgesehen.

Dann aber waren die Soldaten gekommen.Reisebeschränkungen und nächtliche Ausgangssper-

ren waren verhängt worden und nicht zuletzt musstenalle Kinder um Schlag sechs am Abend wieder in denHäusern sein. Schlag sechs – unvorstellbar! Jetzt, imspäten Frühling, würde es noch mindestens für dreiStunden hell draußen sein. Den ganzen kalten Winterüber hatten die Angadoorer Kinder gejammert und ge-klagt – und nun, da es wieder die Zeit war, draußen he-rumzutoben, durften sie es nicht. Es war schier unmög-lich, den Kindern diese Freiheit zu nehmen. Im Jahrzuvor hatten sie um die gleiche Tageszeit noch ausge-lassen am Fluss gespielt. Man hatte sie nur mit Hilfevon Drohungen zum Abendessen bewegen können,und das auch nur, damit sie gleich hernach wieder hi-nauseilen und noch für Stunden herumtollen konnten.

Der abendliche Hausarrest hingegen hatte unter denAngadoorer Kindern inzwischen eine regelrechte Ver-bitterung ausgelöst. Sie waren mürrisch, unzufrieden

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und launisch geworden. Selbst Cathryn, Leandras klei-ner Sonnenschein, den sie über alles liebte, hatte oftTage, an denen sie biestig und schlecht gelaunt war.Sollte das über Jahre so weitergehen, dann würde dieGeneration dieser Kinder zu einem Haufen verbitterter,missliebiger Personen heranwachsen.

Leandra erhob sich und führte Cathryn zur Haustür.»Komm, kleine Prinzessin«, sagte sie freundlich. »Wirspielen noch miteinander, ja?«

»Nein!«, schrie Cathryn weinend und riss sich los.»Ich will nicht!«

Sie stürmte die zwei Treppenstufen hinauf, stieß mitihren Kinderkräften die Tür auf, war gleich darauf imHaus und bemühte sich, die Tür möglichst lautstarkwieder zuzuknallen.

Leandra seufzte auf und eilte ihr hinterher. Als siedrinnen war, hörte sie nur noch die Tür von CathrynsZimmer zudonnern. Sie ließ abermals einen Seufzerhören und wusste nicht, wie viele davon sie inzwischenTag für Tag ausstieß.

Aber es hatte keinen Zweck, ihre Schwester jetzt zuetwas zwingen zu wollen. Sie musste erst ihre Wut ab-kühlen – dann würde sie schon von selbst wieder kom-men.

Leandra änderte die Richtung und ging in die Küche.Mutter saß am Tisch und stickte an einem Kleidchen fürCathryn. »Ist sie wütend?«, fragte sie leise und blicktekurz auf.

Leandra ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Diese Mist-soldaten haben sie schon wieder davongejagt.«

Mutter nickte nur trübsinnig. Sie hatte sich in denletzten Monaten ein dickes Fell zugelegt. Zulegen müs-sen. Niemand in Angadoor war mehr richtig froh undjeder Einzelne hatte unter seinen Mitmenschen zu lei-den.

»So kann das nicht weitergehen!«, stellte Leandrafest.

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»Ich weiß, mein Herz«, sagte Mutter. »Das wissen wiralle. Nur – was können wir schon tun?«

Leandra fuhr herum und rief: »Wenn Munuel jetzthier wäre, dann …«

Sie verstummte und sackte wieder auf ihrem Stuhlzusammen.

Munuel. Ja, Munuel, wenn der jetzt hier wäre! Siehatte sich in all den Monaten noch immer nicht an denGedanken gewöhnen können, dass er tot war. Munuel,der Dorfmagier von Angadoor – er war ein Fels in derBrandung gewesen, ein Mann von unerhörter Aus-strahlung und auch von einer Macht, von der hier niejemand auch nur etwas geahnt hatte. Er hätte dieseKerle da draußen binnen kürzester Zeit davongejagt.

Nein – korrigierte sich Leandra. Inzwischen war jadie freie Ausübung von Magie in Akrania verboten. Dasdurften nur Männer, die dieser erschreckenden Duumaangehörten! Selbst wenn Munuel noch lebte, so wäre ernicht in der Lage, Eiwar, dem Korporal der AngadoorerGarnison, Respekt beizubringen. Nicht, wenn er nichtwillens wäre, einen Krieg zu beginnen.

»Wann kommt Vater?«, fragte Leandra. »Hatte derGemeinderat heute Nachmittag nicht ein Treffen – mitdem Kommandanten der Garnison?«

Mutter sah auf. »Vater war schon hier.«Sie sprach in mutlosem Tonfall, der darauf schließen

ließ, dass wieder nichts erreicht worden war.Leandras Miene verfinstere sich. »Und?«, fragte sie.Mutter schüttelte den Kopf. »Nichts. Eiwar lässt sich

auf nichts ein. Er sagt, er wäre dem Kommandanten desNordbezirkes unterstellt und der würde sich auf keineLockerung der Vorschriften einlassen.«

Leandra wandte den Kopf und starrte an die Wand.»Verdammter Feigling!«, sagte sie – nicht eben leise.

Mutter sah zu den Fenstern, als habe sie Angst, je-mand habe sie von draußen belauschen können. »Le-andra!«, zischte sie. »Du solltest vorsichtiger sein!«

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Leandra warf eine Hand in die Luft. »Es ist miregal!«, rief sie wütend. »Sollen die Kerle doch kom-men!«

Mutter ließ ihr Stickwerk auf den Tisch sinken, stießden Stuhl zurück und kniete sich vor Leandras Stuhlhin. Sie fasste ihre älteste Tochter an beiden Händenund blickte zu ihr auf. Tränen standen in ihren Augen.»Leandra!«, sagte sie verzweifelt. »Ich habe Angst umdich! Es war schlimm genug … als du damals wieder-kamst! Wir dachten alle, du würdest sterben! Bitte – soetwas darf nie wieder geschehen!«

Leandra blickte in das angsterfüllte Gesicht ihrerMutter. Sie war immer stolz darauf gewesen, eine Mut-ter zu haben, die trotz ihrer fünfundvierzig Jahre nochimmer so hübsch und anziehend aussah wie um zehnJahre jüngere Frauen. Aber auch Mutters Aussehenhatte sich geändert. Ihre Züge waren verhärmt vorSorge um ihre Familie, und der Schock, den sie damalserlitten hatte, als ihre eigene Tochter auf einem Karrenliegend und fast völlig bewegungsunfähig nach An-gadoor zurückgebracht worden war, hatte sie beinaheihre Gesundheit gekostet.

Leandra beugte sich herab und umarmte sie. Mutterbrach in bittere Tränen aus.

»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, schluchztesie. »Vater wird von Tag zu Tag wütender, und ichfürchte, sie werden bald einen Aufstand machen. Siewerden die Soldaten angreifen – und nur die Kräfte wis-sen, was dann mit unserer Familie und unserem Dorfgeschehen wird!«

Leandra schloss die Augen. Etwas, das Munuel ein-mal gesagt hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Er hattemit leidenschaftlicher Anteilnahme das Recht ange-zweifelt, gegen jede Unterdrückung bedenkenlos an-kämpfen zu dürfen – wenn das unausweichliche Ergeb-nis nur aus noch größerem Elend und aus Tod bestand.Er hatte gesagt, dass dann nur noch das Nichts übrig

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bleibe. Ein Leben in Unterdrückung jedoch beinhaltewenigstens immer noch die Hoffnung. Und die sei alle-mal besser als der Tod. Leandra war sich inzwischennicht mehr sicher, ob er wirklich Recht gehabt hatte.Welche Hoffnung hatte Munuel gemeint? Die Hoff-nung, dass sich alles von selbst wieder bessern würde?

Das Leben in Großakrania, wie das Land jetzt wiederhieß, war fast unerträglich geworden. Der Hass der Be-völkerung auf die Unterdrückung durch den Hierokra-tischen Rat schwoll immer weiter an, und vielleicht wares dennoch eine edle Tat, diese Tyrannei zu bekämpfen,auch wenn es viele Leben kosten sollte. Was von einemVolk übrig blieb, das sich der Unterdrückung ergab, daskonnte man an den Kindern ermessen. Kaum vorstell-bar, dass ihre kleine Cathryn eines Tages zu einer verbit-terten und freudlosen Person aufwachsen sollte. Nein,das durfte nicht sein. Leandra sehnte sich danach,Cathryn wieder einmal so lachen zu sehen wie früher.Ausgelassen, voller Wärme und Herzlichkeit. Aber sieverzichtete darauf, ihrer Mutter eine entsprechendeAntwort zu geben.

Jetzt, da sie wieder so gut wie völlig genesen war,wurde es Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Es warnicht ihre Art, sich bei drohenden Gefahren angstvollzu Hause zu verkriechen – in dem Fall wäre sie damalsnicht mit Munuel nach Unifar gegangen. Nein, siespürte, dass sie über kurz oder lang einfach etwas un-ternehmen musste.

»Mach dir keine Sorgen, Mutter«, sagte sie. »Es wirdalles schon wieder besser werden.«

Mutter blickte auf und musterte Leandras Gesicht.Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne dich, mein Kind«,sagte sie. »Du bist eine Kämpferin. Irgendwann wirstdu wieder fortgehen und dann …«

Ja. Leandra nickte sich innerlich zu. Wer sich in Ge-fahr begibt, kommt darin um, sagte ein altes Sprich-wort. Aber es schreckte sie nicht. Das, was ihr an Ge-

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fahren schon begegnet war, konnte nur schwerlichübertroffen werden. Und dass alte Sprichwörter nichtimmer zutreffen mussten, dafür war sie selbst ein leben-der Beweis.

Leandra erhob sich. »Ich werde noch ein wenig lesenund dann gehe ich ins Bett«, sagte sie. »Ich bin müde.Ich hab heute, glaube ich, mindestens tausend Bett-tücher gewaschen.«

Mutter nickte, ließ sie los und stand auf. Ihr Tränen-fluss war versiegt und sie sah ihre Tochter hoffnungs-voll an. Für einen Augenblick blitzte ihr schönes, offe-nes Gesicht wieder durch, und Leandra dachte, dass esalles auf der Welt wert wäre, dieses Gesicht endlich wie-der einmal richtig lächeln zu sehen.

*

Einige Zeit, nachdem das Licht der Sonnenfenster überder Welt erloschen war, blies Leandra ihre Kerze aus.

Sie hatte noch lange gelesen, sich in Sachen Magieweiterzubilden versucht. Irgendwann war Cathryn he-reingekommen, hatte sich entschuldigt und sie hattenfür ein Weilchen miteinander geschmust. Dann warCathryn wieder gegangen.

Später dachte sie an Victor und dass er jetzt schon solange fort war. Sie fragte sich, wie es ihm wohl ergehenmochte. Oft wünschte sie sich, sie hätte ihn damalsdoch ein wenig näher an sich herangelassen. Seit ihrerBegegnung in Bor Akramoria hatte Leandra keine in-time Beziehung mehr gehabt und allein schon das fehlteihr mehr und mehr. Jetzt, da sie nicht aus Angadoor he-raus konnte, wäre seine Nähe schön und tröstlich gewe-sen. Außerdem – und bei diesem Gedanken lächelte siegrimmig – hätten sie beide mit Sicherheit etwas ange-zettelt. Sabotage vielleicht, um diesem brutalen Solda-tenpack das Leben schwer zu machen.

Wo mochte Victor wohl sein? Im Lande herumzuzie-

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hen war inzwischen schlechterdings unmöglich – es seidenn, er hielt sich sehr weit im Norden auf, im Grenz-land zum Ramakorum vielleicht, wo die Hierokratiekeine besondere Macht besaß. Sie hatte schon mehrmalsüberlegt, ob sie sich nicht auf die Suche nach ihm bege-ben sollte. Hätte sie nur den Hauch einer Vorstellunggehabt, wo sie beginnen könnte, dann wäre sie viel-leicht schon fortgegangen. Aber ganz abgesehen vonden Ausgangs- und Reisesperren war es heutzutage ja nicht einmal mehr möglich, irgendeine beliebige Per-son nach dem Weg zu fragen. Man musste fürchten, so-fort gemeldet zu werden.

Mit einer seltsamen Gefühlsmischung aus Wut undSehnsucht schlummerte sie ein.

Sie träumte wirre Dinge, aber die meisten hattendamit zu tun, dass sie gegen irgendetwas ankämpfte.Sie erblickte die Gesichter vergangener Feinde wie auchdie alter Freunde, und ständig hatte sie das Gefühl, dassdiese ganze Sache immer noch nicht vorbei war. Dannschälte sich immer mehr ein bekanntes Gesicht aus demHintergrund, ein Gesicht, das zu einer Person gehörte,für die sie eine überwältigende Liebe empfand. Aberdas Gesicht war so unerreichbar fern, dass sie im Traumweinte. Aus irgendeinem Grund kam plötzlich ein selt-samer Hoffnungsschimmer auf, ein Gefühl, als wäre die Trennung doch nicht so schrecklich unaufhebbar.Dann verblasste das Gesicht langsam wieder und ver-schwand in der dunklen Ferne ihres Traums.

Leandra erwachte.Sie schlug die Augen auf und starrte gegen die

dunkle Decke. Dafür, dass sie eben noch so tief ge-träumt hatte, war sie seltsam wach. Sie konnte sichsogar noch an Einzelheiten des Traumes erinnern – wasihr nur selten gelang. Sie setzte sich im Bett auf.

Als plötzlich ein leises Klopfen erklang, erschrak sie.Es war nicht an der Tür gewesen – nein, am Fenster.

Sie sprang mit pochendem Herzen aus dem Bett und

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