Berni Kelb - Betriebsfibel - Ratschläge für die Taktik am Arbeitplatz

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    Der Vorentwurf zu dieser Fibel wurde im Arbeitskreis Strategie (ehemals Re-publikanischer Club) in Hamburg diskutiert. Ich danke den Genossen an dieserStelle fr die Anregungen und Ergnzungen, die sich dadurch ergeben haben.[Bernie Kelb]

    Vorbemerkung zur NeuausgabeBernie Kelbs Betriebsfibel erschien zuerst als Rotbuch 31 im Verlag KlausWagenbach, Berlin/W 1971. Der Text wird unverndert wiedergegeben, offen-sichtliche Druckfehler wurden allerdings stillschweigend korrigiert. Die Sei-tenzahlen des Originals wurden [fett in eckigen Klammern] in den Text ein-gefgt. Das Inhaltsverzeichnis wurde an die aktuelle Seitenzhlung angepat.Erluternde Funoten stammen vom Bearbeiter.

    Wiederherausgegeben im April 2010 von

    www.syndikalismus.tk

    www.anarchosyndikalismus.de.vu

    syndikalismus.wordpress.comKontakt: [email protected]

    Diese Broschre ist zum Ausdruck geeignet

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    Inhalt

    Einleitung 41 Das Ziel revolutionrer Betriebsarbeit 42 Die zweckmigen Mittel des revolutionren Kampfes 63 Der geeignete Betrieb 7

    Der Einzelkmpfer im Betrieb 9

    1 Zwei Hauptaufgaben 92 Zwei stndige Gefahren 10

    a Die Sackgasse der Legalitt um jeden Preis 11b Der Polit-Clown 12

    3 Die Rckendeckung: Verbindung nach auen 13

    4 Die Vorarbeit: Sicherung und Ausbau der eigenen Position 145 Das Ende des Einzelkmpferdaseins 17

    Das selbsternannte Komitee 19

    1 Struktur und Arbeitsstil des Betriebskomitees 192 Rolle und Perspektive des Betriebskomitees 21

    Die Vorbereitung des Kampfes 22

    1 Bedeutung und Inhalt der Agitation 232 Die Form der Agitation 243 Die Wirkungsweise der Agitation 25

    Die Fhrung des Kampfes 26

    1 Die Bedeutung der zunchst niedrigen Forderung 272 Die Ausweitung des Kampfes 28

    Die Nachbereitung des Kampfes 29

    1 Organisation als Frucht des Kampfes 292 Alte und neue Organisation 303 Fr oder gegen bestehende Gewerkschaften 314 Der innere Feind 32

    AnhangJrg Huffschmid, Die Bilanzanalyse Instrument zur Aufdeckung der Ausbeutungund des Profits 34

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    Einleitung

    Es geschieht immer wieder, da Genossen wie du versuchen, in ihremBetrieb die Belegschaft zu agitieren. Und von dieser kriegen sie dann gesagt:Das ist ja alles ganz schn, was du uns da erzhlst. Aber mach man so weiter.

    Dann fliegst du bald raus! Auf deine - einer etwas kurzsichtigen Opferbereit-schaft entspringenden Erklrung: Das macht mir gar nichts aus! kommt danndie Antwort: Uns aber. Damit ist die Sache eigentlich erledigt. Du konntestdein Anliegen nicht vermitteln. Jetzt bist du als Revolutionr isoliert. Wahr-scheinlich bist du, wie die meisten von uns, Anfnger in der revolutionren Be-triebsarbeit. Wir dieses wirlt sich organisatorisch noch nicht genau bestim-men. Es umfat die Genossen, die sich als neue, revolutionre Linke verstehen.Das sind diejenigen, die sich in ihrem Selbstverstndnis ungefhr auf die im

    folgenden Abschnitt angedeutete Zielvorstellung einigen knnen.Vielleicht bistdu schon lnger in deinem Betrieb beschftigt. Du hast dich aber erst krzlichentschlossen, auch hier etwas fr die Revolution zu tun. Und nicht nur nach Fei-erabend in Versammlungen oder auf der Strae. Vielleicht hast du aber auch erst

    jetzt eine solche Arbeit angenommen. Aus der Erkenntnis heraus, da revoluti-onre Arbeit vor allem im Betrieb ntig und sinnvoll ist. Beim gegenwrtigenArbeitskrftemangel ist das kein Problem. So oder so, du bist Anfnger. Unddas ist keine Schande, wenn man etwas Gutes anfngt.

    Aber Anfnger sind unerfahren. Das ist zunchst nicht weiter schlimm.Auf der Gegenseite haben wir es mei [7] stens ebenfalls mit Anfngern zu tun.Mit Anfngern in der Abwehr revolutionrer Betriebsarbeit. Einfach deshalb,weil es seit geraumer Zeit in kaum einem Betrieb langfristig angelegte, zielstre-

    big und planmig betriebene revolutionre Arbeit gegeben hat. Dieser Um-stand darf dich jedoch nicht dazu verleiten, mit einer Art Krftegleichgewichtzufrieden zu sein. Es gengt nicht, da sich unsere plumpen Fehler mit denender Gegenseite ausgleichen. Die Gegenseite wird rasch lernen. Sie ist gut orga-nisiert. Und sie hat alle erdenklichen Hilfsmittel zur Verfgung. Das mssen wirdadurch aufwiegen, da wir unsere Erfahrungen austauschen und systematisie-ren. Denn wir knnen nur dann einen Vorsprung kriegen, wenn es uns gelingt,die massenhafte Wiederholung grober Anfangsfehler und die damit verbunde-nen Opfer zu vermeiden. Dazu soll diese Fibel beitragen.

    1. Das Ziel revolutionrer Betriebsarbeit

    Unsere Arbeit gilt der revolutionren Umgestaltung der Gesellschaft.Sie hat das Ziel, jede Form der Herrschaft von Menschen ber Menschen unddie darauf beruhende Ausbeutung zu brechen. Auch die heute berwiegend ver-

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    breitete indirekte Herrschaft. Diese sieht durch eine sdieinbare sachliche Ver-mittlung so aus, als ob sie keine Herrschaft von Menschen ber Menschen sei:Es herrschen Menschen ber Sachen (Produktionsmittel) und diese Sachenherrschen ber andere Menschen. Ob die Produktionsmittel privates oder staat-liches Eigentum sind, spielt dabei fr die Beherrschten kaum eine Rolle. Es

    kann an dieser Stelle keine ausfhrliche kritische Analyse des herkmmlichenKlassenbegriffs geleistet werden. Auf das Problem mu trotzdem kurz einge-[8] gangen werden. Es ist zu klren, wo die Front im revolutionren Kampfverluft.

    Der Feind blicherweise etwas unkritisch als Klassenfeind personi-fiziert ist nicht eine klar abgrenzbare Personengruppe (Klasse). Der Kampfrichtet sich viel mehr gegen das ganze herrschende System von Unterdrckung

    und Herrschaft, von Ausbeutung und Privilegierung. Jeder Einzelne ist unab-hngig von seiner sozialen Stellung vom Wohlwollen seiner Oberen abhngig.Und er ist gegenber denen, die unter ihm stehen, privilegiert. Dieses Prinzipist nur zu durchbrechen, wenn die Vereinzelung aufgehoben wird. Also durchSolidaritt. Da ist die Barrikade: Ist einer bereit, sich mit Seinesgleichen undUntergebenen zu solidarisieren oder ist er bestrebt, sich nach oben anzupas-sen? Jenachdem ist er in seinem Verhalten revolutionr oder nicht. Der Feindsteht immer oben. Der konkrete Feind ist jeweils der nchsthhere Vorgesetzte,

    der sich nicht mit seinen Untergebenen solidarisiert. Fr einen Arbeiter ist dieUnterdrckung durch einen despotischen Vorarbeiter viel anschaulicher, als diedurch einen jovialen Direktor.

    Auf der anderen Seite der Barrikade steht grundstzlich jede Autoritt,die nicht bereit ist, sich von unten in Frage stellen zu lassen. Dabei ist es gleich,ob es sich um Einzelpersonen oder um Institutionen handelt. Das gilt fr denMeister ebenso wie fr den Professor, den Oberkreisdirektor, Lehrer oder Gene-

    raldirektor. Es gilt gleichermaen fr Kirchen wie fr Gewerkschaftsapparate,Aktiengesellschaften, Rote Zellen, Behrden oder zur Macht gekommene sichkommunistisch nennende Parteien. Das revolutionre Ziel ist ein einfacher So-zialismus. So einfach, da ihn jeder versteht und ihn haben will. Nicht nur einArbeiter, sondern selbst ein aufgeweckter[9] Intellektueller. Das Ziel kann et-was vereinfachtauf die kurze Formel gebracht werden: Niemand darf anderenMenschen einen Vorgesetzten vor die Nase setzen, den diese nicht gewhlt ha-

    ben. Dieses Prinzip in allen Bereichen der Gesellschaft konsequent durchge-

    fhrt schliet die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln ebenso ein, wiedie Entmachtung von Brokratie. Es beinhaltet gleichermaen den Sturz desKapitalismus und ein menschlicheres System in den nichtkapitalistischen Staa-

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    ten [1]. Es bedeutet eine durch Druck von unten erzwungene stndige Auswei-tung der Demokratie. Sie fngt am Arbeitsplatz an. Jede erreichte Stufe bietet

    bessere Voraussetzungen fr die weiteren Schritte. Sie ermglicht eine Verbrei-terung, Intensivierung und Beschleunigung des Kampfes. Bis dieser schlielichin eine die ganze Gesellschaft erfassende siegreiche Revolution mndet. Dieses

    Prinzip bedeutet hingegen niemals eine Einschrnkung der Demokratie. Ganzgleich, wie sie begrndet wird (vorbergehend, durch die objektiven ... Be-dingungen erzwungen usw.). Auch nicht im Namen der Revolution. Mit einerEinschrnkung der Freiheit im Namen der Revolution beginnt die innere Kon-terrevolution.

    [1] geschrieben 1971! Gemeint sind die realsozialistischen Staaten, die ehemaligeUdSSR und ihre Trabanten sowie Albanien, das ehemaligige Jugoslawien sowie dieVR China und Nord-Korea.

    2. Die zweckmigen Mittel des revolutionren Kampfes

    Das oben angedeutete Ziel ist nur im selbstndigen, gemeinsamenKampf der Mehrheit der Unterdrckten zu erreichen. Niemand kann stellvertre-tend (Interessenvertretung) etwas Entscheidendes fr sie tun. Nicht die besteOrganisation und nicht der geschickteste Fhrer. Auch wir nicht. Wir knnennur Hilfestellung geben. [10] Fr den Kampf kann nur eine Form in Frage kom-men, in der die Unterdrckten den Herrschenden berlegen sind. Sie knnennicht eine Armee aufstellen oder bei freundlichen Nachbarn ausborgen, diestrker ist, als die vorhandene. Schon deshalb ist ein bewaffneter Putsch nicht

    diskutabel. Nicht Gewalt ist die Angriffswaffe der Unterdrckten, sondern derUngehorsam. Der zuerst beispielhafte und dann massenhafte synchronisierteUngehorsam steigert sich bis zum politischen Massenstreik und zum General-streik. Er unterluft die Gewalt der Herrschenden und macht sie wirkungslos.Gegen ihn ist kein Kraut gewachsen. Der politische Massenstreik kann nichtim richtigen Moment von einer Fhrung beschlossen und angeordnet wer-den. Das ist nur in dem Ausnahmefall denkbar, wo er als Abwehrmanahme ge-gen einen Putsch von rechts gerichtet ist. Der offensive politische Massenstreik

    hingegen hat stets spontanen Charakter. Er setzt die freiwillige und begeisterteTeilnahme der berwiegenden Mehrheit der Unterdrckten voraus. Das dafrntige revolutionre Bewutsein zu entwickeln ist nicht durch abstrakte Dis-kussion, Aufklrung oder Schulung mglich. Es entsteht vielmehr durch dasErfolgserlebnis selbsterfahrener und siegreich ausgetragener Autorittskonflik-te. Im Ansatz gibt es solche Konflikte tglich irgendwo. Damit sie sich aber aus-weiten, steigern und zu einer Lawine werden, die im politischen Massenstreikmndet, bedarf es zweier Voraussetzungen:

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    a. Sie mssen erfolgreich sein. Eine Niederlage entmutigt nicht nur die Kmp-

    fenden, sondern auch diejenigen, fr die der Kampf ein Beispiel sein sollte,

    b. Sie mssen bekannt werden. Es mu gelingen, die gegnerische Informations-

    sperre zu durchbrechen. Nur dann kann ein erfolgreiches Beispiel an anderen

    Stellen aufgegriffen und umgesetzt werden. Erst dadurch [11] entstehen dannneue, grere Beispiele, die sich ihrerseits wie die Kaninchen vermehren.

    Wenn auch die Gewalt nicht das A und O im revolutionren Kampf ist,so ist es die Gewaltlosigkeit noch viel weniger. Gewaltlosigkeit um jeden Preis,einseitige Gewaltlosigkeit, ist nichts weiter als Wehrlosigkeit. Als Verteidi-gungswaffe ist Gewalt fr Revolutionre unentbehrlich. Ein Herrschaftssystemkann nmlich auf Ungehorsam nur eine Antwort geben: Es wird ein Exempelstatuiert. Dabei werden an einer Stelle bewaffnete Krfte zusammengezogen.Sie sollen durch Androhung oder Anwendung von Gewalt die Ordnung wiederherstellen. Das heit, sie sollen durch ein abschreckendes Beispiel Gehorsamerzwingen.

    Die herrschende Gewalt geht gewhnlich in solchen Fllen unbe-schreiblich grausam vor. Der Begriff weier Terror hat in der Geschichte derArbeiterbewegung eine schreckliche Tradition. Stalinistischer Terror hat bri-gens auch diesen weien Charakter. Weier Terror richtet sich normalerwei-

    se gegen Wehrlose. Wehren diese sich unvorhergesehenerweise, so ist das einbewaffneter Aufstand. Das ist eine Art von Gewalt, die wir nur vorbehaltlos

    bejahen knnen. Revolutionre Gewalt hat jedoch einen vollkommen anderenCharakter als die herrschende Gewalt. Sie darf auch keine abenteuerliche Spie-lerei sein. Herrschende Gewalt bedient sich eines Werkzeugs. Das ist die Armeeoder die Polizei, die auf Befehl gewaltttig wird. Ohne eigenen Willen. Ohnezu fragen, wofr. Revolutionre Gewalt hingegen wird unmittelbar ausgebtvon denjenigen, die sie brauchen. Sie bedarf keines solchen Werkzeugs, kennt

    keine Befehle und ist defensiv. Das schliet nicht aus, da Angriff manchmaldie beste Verteidigung sein kann. [12]

    3. Der geeignete Betrieb

    Revolutionre Arbeit soll nicht auf der Idiotenwiese stattfinden. DieIdiotenwiese ist der Freiraum, den das herrschende System fr politische T-tigkeit nach Feierabend zur Verfgung stellt: Parteiversammlungen, Wahlzirkus

    und notfalls auch mal die Strae fr Demonstrationen. Revolutionre Arbeit sollvielmehr gerade in dem Bereich stattfinden, der fr die freiepolitische Bet-tigung tabu ist: am Arbeitsplatz, im Betrieb. Dabei darf der Begriff Betrieb

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    nicht zu eng gefat werden. Es kann sich um eine Behrde, eine Fabrik, eineKlinik, ein Warenhaus oder um eine Uni, eine Zeitungsredaktion, eine Bank und(fr Lehrer und fr Schler) eine Schule handeln.

    Nun ist nicht jeder Betrieb gleichermaen dafr geeignet. Du solltest

    dir einen suchen, der gnstige Voraussetzungen bietet. Dabei ist zu bercksich-tigen, da das Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes nur beschrnktgltig ist. Niemand kann ohne weiteres aus der sozialen Schicht heraus, in derer sich durch die ueren Umstnde befindet. Du kannst deshalb nur in einemziemlich kleinen Bereich whlen. Der Versuch, fr deine revolutionre Ttig-keit einen Arbeitsplatz auerhalb deines eigenen sozialen Bereichs zu whlen,ist unzweckmig. Versuchst du es weiter oben, so brauchst du deine gan-ze Kraft, um Fu zu fassen und dich zu behaupten. Du solltest es auch nicht

    weiter unten versuchen. In allen Bereichen der Gesellschaft mu revolutionrgearbeitet werden. Deshalb solltst du keine Arbeit unter deiner beruflichen Qua-lifikation annehmen. Fr romantische Volkstmelei ist keine Zeit.

    Ebensowenig wie die soziale Schicht kann die Branche (bzw. Sparteoder Fakultt) fr deine Wahl ausschlaggebend sein. Die Tatsache, da es ir-gendwo etwas kri- [13] selt oder da anderswo gerade ein Streik stattgefundenhat, bedeutet nicht, da es sich um grundstzlich gnstige Voraussetzungen fr

    revolutionre Arbeit handeln mu. Ein brauchbarer Mastab fr dich sind diefolgenden zwei Bedingungen:

    a. Es sollen mglichst viele Menschen beisammen sein.b. Diese sollen durch ihre Arbeit veranlat sein, mglichst hufig miteinander

    in Verbindung zu treten.

    Jede dieser beiden Bedingungen fr sich allein wrde nicht ausrei-chen. Es kann vorkommen, da zwei Leute den ganzen Tag miteinander reden

    mssen, aber sonst mit niemandem reden knnen. Das kommt vor, wenn zweiMann auf einer Auenstelle sitzen. Es ist vom revolutionren Standpunkt ausgesehen nutzlos. hnlich nutzlos ist es, wenn tausende beisammen sind, aber

    jeder isoliert ist und nicht mit seinen Nachbarn reden kann. Das kommt in Flie-band-Betrieben hufig vor. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen liegtdie gnstigste Lsung. Dabei kann mal der eine, mal der andere Faktor etwasberwiegen. Das macht nichts. Ideale Voraussetzungen gibt es nicht. Du kannst

    jetzt also whlen: Bist du Facharbeiter, dann solltest du nicht bei einem Meister

    anfangen, der einen Gesellen und drei Lehrlinge hat. Versuch es in einem In-dustriebetrieb. Je grer, desto besser. Bist du Verkuferin, dann stell dich nicht

    beim Krmer an der Ecke hinter den Tresen. Fange lieber in einem groen Wa-

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    renhaus an. Bist du Mediziner, dann baue dir nicht eine teure und eintrglichePraxis auf, sondern fange in einer Klinik an. Bist du Kaufmann, so solltest duversuchen, in einem Grobetrieb als Angestellter zu arbeiten, statt Vertreter zuwerden. [14]

    Einige Berufe machen scheinbar eine Ausnahme erforderlich. Auf sietrifft das eben Gesagte vordergrndig gesehen nicht zu. Das sind diejenigenBerufe, in denen man in einem normalen Betrieb von vornherein auf der ande-ren Seite der Barrikade steht: Bist du z. B. Jurist, so kannst du als Genosse un-mglich Syndikus in einem Unternehmen werden. Auch in einem renommiertenAnwaltsbro anzufangen oder selbst ein Bro zu erffnen, ist nicht sehr ratsam.Besser ist der Justizdienst. Oder, wenn du schon Anwalt bist, ein sozialistischesAnwaltskollektiv.

    Die gnstigsten Voraussetzungen fr revolutionre Arbeit sind erfah-rungsgem neben der Universitt in groen Industriebetrieben gegeben. Des-halb sind Einzelheiten in dieser Fibel an einigen Stellen darauf zugeschnitten.Mglich ist revolutionre Arbeit jedoch an jedem Arbeitsplatz. Und in jederArt von Betrieb. Deshalb sind die grundstzlichen Aussagen der Fibel in leichtabgewandelter Form berall anwendbar. [15]

    Der Einzelkmpfer im Betrieb

    Einzelkmpfer zu sein ist ein bergangsstadium. Ein Zustand, den duberwinden mut. So schnell es irgend geht. Es ist eine Not, aus der du kei-ne Tugend machen darfst. Alleine kannst du nicht viel ausrichten. Andrerseitskannst du nicht unttig warten, bis du Genossen findest. Beginne deshalb so-fort, die knftige Arbeit vorzubereiten. Fr deine langfristige Arbeit brauchst dueine sichere Grundlage. Neben grndlicher Vorbereitung gehrt dazu eine klare

    Vorstellung, worum es geht und wie. Nur dann kannst du dir einen brauchbarenPlan fr die Einzelheiten machen.

    1. Zwei Hauptaufgaben

    Deine wichtigste Aufgabe ist es, im Betrieb schwelende Konflikte auf-zugreifen. Sie mssen der Belegschaft bewut werden, damit sie nicht verschlei-ert und unterdrckt, sondern ausgetragen werden knnen. Es hat einen vertret-

    baren Grund, da wir bemht sind, Konflikte aufzubereiten. Der stndige

    Konflikt zwischen den Unterdrckten und dem herrschenden System wird nichtvon uns vielleicht aus Streitsucht gemacht oder aufgebauscht. Er ist objektivvorhanden. Wir wollen lediglich das ungeschriebene Gesetz brechen, da er

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    scheinbar entschrft, wirklich aber einseitig ausgetragen wird. Auf Kosten derUnterdrckten. Die resignierte freiwillige Unterordnung ist eine Scheinl-sung. Stattdessen wollen wir eine echte Lsung herbeifhren helfen: Die Un-terdrckten erzwingen eine demokratische Lsung, indem [16] sie den Konfliktoffen austragen. Der Schwchere mu nachgeben. Gemeinsam handelnd sind

    die Unterdrckten nicht mehr schwach. Das soll deine Arbeit bewerkstelligen.Vereitelt werden mu hingegen jeder Versuch, Teile der Belegschaft zu einerSolidarisierung gegen Unterprivilegierte zu veranlassen. Typische Anstze dazusind: Feindseligkeiten gegen auslndische Kollegen. Gleichgltigkeit gegen-ber den Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen und Hilfskrften.Das Schikanieren von Lehrlingen. Die Abgrenzung von Gymnasiasten gegen-ber Haupt- und Realschlern. Oder von Angestellten gegenber Arbeitern.Jede noch so kleine Aktion in dieser Richtung dient direkt der Gegenseite. Der

    Feind steht immer oben!

    Neben der ersten Aufgabe steht eine weitere, auf die du gut vorbereitetsein mut. Sie kann jeden Tag berraschend auf dich zukommen. Es ist dasAufgreifen von anderswo ausgebrochenen Konflikten. Das ist der wesentlicheInhalt des Wortes Solidaritt. Mach dir gleich zu Beginn deiner Arbeit einenPlan, was zu tun ist, wenn dieser Fall eintritt. Lege ihn in die Schubladeund berprfe ihn stndig entsprechend den sich ndernden Mglichkeiten. Je

    nach dem Stand deiner eigenen Arbeit wirst du verschieden reagieren knnen.Morgen kannst du vielleicht erreichen, da deine Kollegen ein Grutelegrammschicken, wenn in einem anderen Betrieb gestreikt wird. Nchstes Jahr knn-test du gar eine Geldsammlung veranlassen. Wenn du gut arbeitest, wird es inabsehbarer Zeit mglich sein, da dein Betrieb sich so einem Streik anschliet.Auch ein in deinem Betrieb ausgebrochener Konflikt kann sich zu einer gro-en Bewegung ausweiten. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.Doch jeder grere Konflikt ob selbstgemacht oder nur mitgemacht braucht

    Vorbereitung. Er kann nur dann er- [17] folgreich durchgestanden werden, wennvorher in eigenen kleinen Aktionen das revolutionre Bewutsein (das Selbst-vertrauen, die Erkenntnis, da es geht) deiner Kollegen sich entsprechend ge-festigt hat. Also: Jeden Konflikt sorgfltig behandeln. Und stets gewrtig sein,da gerade er der berhmte Funke ist.

    2. Zwei stndige Gefahren

    Ein alter Grundsatz der Unfallverhtung lautet: Gefahr erkannt Ge-fahr gebannt. Neben vielen kleinen Gefahren gibt es zwei groe, auf die du

    besonders achten mut. Es sind Fehler, deren Folgen kaum rckgngig zu ma-chen sind. Erfahrungsgem haben fast alle Genossen, die bei revolutionrer

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    Betriebsarbeit gescheitert sind, einen dieser beiden Fehler gemacht.

    a. Die Sackgasse der Legalitt um jeden Preis

    Die erste Gefahr ist, da du Angst davor hast, mit Gesetzen oder geset-zeshnlichen Normen (Tarifvertrgen) in Konflikt zu geraten. Mach dir nichtsdraus: Das mu so sein. Die einschlgigen Gesetze sind mit der Absicht ge-macht, dir Knppel zwischen die Beine zu werfen. Selbstverstndlich kannstund sollst du die aus den bestehenden Gesetzen und ihren Lcken sich ergeben-den Mglichkeiten weitestgehend nutzen. Es hat jedoch wenig Sinn, sich aus-schlielich daran zu orientieren. In dem Augenblick nmlich, da unsere Arbeitwirksam wird, gibt es flugs eine andere gesetzliche Regelung. Und was bislangrechtens war, ist dann verboten. Es leuchtet ein, da wir uns nicht auf einenWettlauf mit der Gesetzgebungsmaschine des herrschenden Systems einlassenknnen. Wir halten diesen Standpunkt fr legitim. Nicht nur unter dem Ge-sichtspunkt revolu- [18] tionrer Zweckmigkeit. Auch unter dem hheren ju-ristischen Gesichtspunkt des selbstverstndlichen Grundsatzes Gleiches Rechtfr alle, denn:

    1. Alle Gesetze, welche die politische Arbeit im Betrieb einschrnken, richtensich einseitig ausschlielich gegen die Unterdrckten. Auf der Gegenseite wer-den im Betrieb durchaus politische Belange behandelt und durchgesetzt. Zum

    Beispiel auf Konferenzen und Tagungen in den Direktionszimmern der groenKonzerne. Und zwar mit Mitteln des Betriebes. Und wenn es sein mu, wirdseine gesamte wirtschaftliche Macht in die Waagschale geworfen.2. Die Gegenseite setzt sich stndig ber Gesetze hinweg. Hufig werden zum

    Beispiel Sicherheits- und andere Gesetze und -Vorschriften miachtet, weil siedem Profitstreben im Wege stehen. Von diesen Fllen wird nur ein kleiner Teil

    bekannt. Darber hinaus gibt es immer wieder Flle, da unbequeme Leute un-ter einem fadenscheinigen Vorwand gefeuert werden. Oftmals sind das unsere

    Genossen. Wenn sie Glck haben, bekommen sie beim Arbeitsgericht Rechtund der Betrieb mu ihnen eine hohe Abfindung zahlen. Aber eine Wiederein-stellung wird in jedem Fall als fr den Betrieb unzumutbar abgelehnt. Fr dieGegenseite, die die Gesetze gemacht hat, ist es unzumutbar, sie einzuhalten! Fruns schon lange!! Wenn das Gesetz uns nicht schtzen will und kann, mssenwir das selbst tun. Das heit konkret fr dich und deine Arbeit: Namen vonRevolutionren im Betrieb gehen niemanden etwas an. Auch deiner nicht. Wir

    brauchen keine kaltgestellten Helden. Sprich ber vertrauliche Dinge wie Na-

    men auch nicht mit dem, der es wissen darf, sondern nur mit dem, der es wissenmu. Wir sind gezwungen, teilweise gedeckt zu arbeiten. Die Organe deranderen Seite (Kripo, Verfassungsschutz, Werkschutz) tun das auch. [19]

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    Das gilt als legal, wenn sie es tun. Gut, es sind ihre Gesetze. Wir wissen: Revo-lutionre Betriebsarbeit hat immer bestenfalls halblegalen Charakter. Nicht weilwir etwas Bses vorhaben, sondern weil wir uns nicht mit bsen Mitteln daranhindern lassen werden, das Richtige zu tun.

    b. Der Polit-Clown

    Die zweite Gefahr ist, da du dich im Betrieb in die Rolle einesPolit-Clowns drngen lt. Das geschieht fast zwangslufig, wenn du bei jedersich bietenden Gelegenheit auftrittst und linke Phrasen drischst. Oder wenn dustndig allen Leuten Diskussionen aufzwingst. Weitsichtige Betriebsleitungendulden das sogar in einem bestimmten Rahmen. Es hilft ihnen, eine bersichtber die revolutionren Krfte im Betrieb zu behalten. Und es dient gleichzeitig

    als Aushngeschild fr liberale Haltung und ein gutes Betriebsklima. Du kannstin dieser Rolle erleben, da die ganze Belegschaft schon bei deiner Wortmel-dung lacht und Beifall gibt. Einfach weil dein Beitrag Abwechslung in die Ver-sammlung zu bringen verspricht. Du kannst sogar in den Betriebsrat (BR) unddort zum Vorsitzenden gewhlt werden, wenn du dich als Interessenvertreterausgibst. Tu das nicht. Der normale Gang der Dinge ist, da aus einem Inter-essenvertreter ein Interessenverrter wird. Er kann nicht anders. Andernfalls,wenn du ehrlich bleibst, preschst du irgendwann zu weit vor und wirst abge-

    schossen. Dann stellst du enttuscht fest, da kaum jemand, dessen Interessendu vertreten hast, hinter dir steht.

    Selbstverstndlich darfst du ffentlich auftreten im Betrieb. Das sollstdu sogar. Aber nicht als Interessenvertreter, sondern als Sprecher der Beleg-schaft. Diese Rolle setzt viererlei voraus: [20]1. Dein Wort mu bereits Gewicht haben. Das bedingt einige Vorarbeiten. Auf

    die wird weiter unten noch eingegangen.

    2. Du mut die Stimmung der Belegschaft kennen und ihre Gedanken mg-lichst treffend ausdrcken knnen. Sie soll sich mit dem was du sagst verstan-den, nicht belehrt fhlen.

    3. Du mut dich selbst dazu ernennen. Das heit, du mut den Mut haben, eseinfach zu sein. Ein Sprecher wird im Normalfall nicht gewhlt. Es gibt ihn,oder es gibt ihn nicht. Wird er doch gewhlt, dann nur, weil er es de facto schonist. Weil er bewiesen hat, da er das kann.4. Du mut den Schwindel mit der sogenannten Interessenvertretung entlarven.

    Niemand kann stellvertretend fr die Belegschaft deren Interessen durchsetzen.Das kann sie mit Erfolg nur selbst tun. Das wird sie aber nicht versuchen, so-lange sie glaubt, da jemand anders es fr sie tut. Interessenvertretung wirkt

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    lhmend. (Man wartet erstmal ab, was der fr einen erreicht. Wenn er nichtserreicht, dann war auch nichts zu machen. Der kennt sich da schlielich aus.)

    3. Die Rckendeckung: Verbindung nach auen

    Mit dem bisher Gesagten ist ungefhr der Rahmen fr deine Arbeit ab-gesteckt. Deine Aufgabe erfordert Mut und Geschick. Bilde dir nichts daraufein. Erfahrungsgem sind dabei nicht allein Charakter und Intelligenzquoti-ent ausschlaggebend. In der revolutionren Betriebsarbeit haben bisher fast niediejenigen mit den besten persnlichen Voraussetzungen beispielhaft gewirkt.Es waren vielmehr jene, die organisiert waren. Sie hatten eine meist kleine Gruppe im Betrieb gebildet. Sie warfen ihre Fhigkeiten und ihren Einfalls- [21]reichtum in einen gemeinsamen Topf und vervielfachten sie dadurch. Und siehatten Mut, weil eine Organisation ihnen das Rckgrat strkte. Das sagt nichtsber die Qualitt der Organisation. Aber die Gewiheit, da andere Genossenanderswo das gleiche tun, wirkt Wunder.

    Versuche nicht, im Alleingang ein groer Arbeiterfhrer zu werden.Sicher kannst du unter gnstigen Umstnden mit Flei und Geschick einigeserreichen. Aber eine nachhaltige Breitenwirkung ist so nicht zu erzielen. Da-fr mut du gewrtig sein, da andere kommen und absahnen. Irgendein strafforganisierter Organisationsapparat wird dich vor seinen Karren spannen. Ohne

    da du es willst und ohne da du es zunchst bemerkst. Allein kannst du dichnicht lange dagegen wehren. Und es ist so beruhigend, wenn man sich irgendwoanlehnen kann. Versuche auch nicht, um jeden Preis eine eigene kleine Organi-sation auf zuziehen und grozumachen. Wenn du deinerseits versuchst, andereGenossen einzufangen und vor deinen Wagen zu spannen, kannst du sicher sein,da du auf lauter Leute triffst, die das gleiche mit dir vorhaben. Was heraus-kommt, sind endlose Streitereien um einen Fhrungsanspruch. Wobei es meistgar nichts zu fhren gibt. Wenn du was wahrscheinlich ist bereits einer

    Organisation oder einem Kreis von Genossen angehrst, nutze das aus. Lassedich nicht bevormunden und anleiten, sondern verlange Hilfe. Dazu ist dieOrganisation da. La dir Kontakte zu Genossen in anderen Betrieben vermit-teln. Die Zusammenarbeit mit ihnen erleichtert es nebenbei auch, sich gegenBevormundung zu wehren. Arbeite auch mit Genossen aus deinem oder ausanderen Betrieben zusammen, die einer anderen Organisation angehren. Daseinzige, was einer Zusammenarbeit im Wege steht, ist ihre Angst, durch dich[22] von deiner Organisation bevormundet zu werden. Den gleichen Vorbehalt

    hast du ja auch ihnen gegenber. Wenn ihr gemeinsam feststellt, da ihr euchweder von der einen, noch von der anderen Organisation bevormunden lassenwollt, werdet ihr in eurer Zusammenarbeit nahezu unberwindlich.

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    Du kommst nicht ganz ohne eine Organisation aus. Die schlechteste ist besserals gar keine. Aber arbeite mit einer Organisation, nicht fr sie. Bewahre ge-genber jedweder Organisation folgenden Vorbehalt:Die Organisation ist nureine Abstraktion. In Wirklichkeit, konkret, gibt es sie nicht. Was gemeinhin Or-ganisation genannt wird, ist nichts weiter, als eine bestimmte Art und Weise,

    wie Menschen zusammenarbeiten. Deshalb kannst du nicht wirklich etwas freine Organisation tun. Nur scheinbar. In Wirklichkeit kommt es irgendwelchenMenschen zugute. Und wenn die Organisation nicht wirklich demokratisch ist,den Fhrern. Die machen sich die Undurchsichtigkeit dieses Zusammenhangeszunutze. Hufig ohne bse Absicht. Was du eigentlich brauchst, ist eine Orga-nisation, die es nicht darauf anlegt, viel herzuzeigen. Deine Sicherheit und einununterbrochener Fortgang der Arbeit fr die Revolution ist wichtiger, als dasPrestige einer Organisation. Es mu eine Organisation sein, die nach dem Eis-

    bergprinzip arbeitet. Sie mu nach den Erfordernissen deiner Arbeit strukturiertsein. Sie hat dir Kontakte zu Genossen in anderen Betrieben, sachkundigen Ratund technische Hilfe zu vermitteln. Sie hat umgekehrt auch dafr zu sorgen,da deine Hilfe anderen Genossen zuteil wird. Keine der bisher bestehendenOrganisationen wird diesen Anforderungen gerecht. Bei allen steht mehr oderweniger Eigennutz der Organisation zum Wohle der[23] Fhrung an ersterStelle. Die Organisation, die du brauchst, mu erst geschaffen werden. Mit dei-ner Hilfe. Wenn du mit anderen Genossen zusammenarbeitest, gleichberechtigt

    und ohne Bevormundung, dann beginnt sie zu existieren.

    Wenn aber einer kommt und dich anleiten will, dann jage ihn zum Teu-fel. Vielleicht kommen auch Leute und erzhlen dir, du sollst eine Betriebszei-tung machen. Vielleicht bieten sie dir auch Hilfe an. Sie wollen die Zeitung frdich machen. Du brauchst ihnen nur Informationen aus dem Betrieb zu geben.ber Konflikte und so. Dann lasse sie abblitzen! Frage sie, wo sie arbeiten.Und warum sie dort keine Zeitung herausbringen. Revolutionre Arbeit kann

    und soll jeder an seinem Platz machen. Die Frage wird ihnen peinlich sein. Siewollen nmlich nicht arbeiten, sondern Arbeiterfhrer sein. Mitraue allen, die

    bei dir und auf deine Kosten irgendeine fhrende Rolle verwirklichen wollen.Jeder Person, Partei und Organisation.

    4. Die Vorarbeit: Sicherung und Ausbau der eigenen Position

    Auch wenn du noch so groe Fhigkeiten hast: Solange du allein bist,kannst du nicht die Belegschaft berzeugen. Weder davon, da der Sozialismusrichtig, noch davon, da die Revolution notwendig und mglich ist. Versuchees lieber gar nicht erst. Zgle deinen Heroismus vorerst ein wenig. Denk daran,da deine eigentliche Aufgabe in dieser Situation ist, eine Gruppe von Genos-

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    sen aufzubauen. Sie wird deine Kraft vervielfachen. Und sie ist in der Lage,zur Not die Arbeit ohne dich weiterzufhren. Erst dann kannst du dir eventuellHusarenstcke leisten, bei denen du einen Hinauswurf riskierst. Du darfst indieser ersten Phase uerlich sichtbar [24] nichts weiter machen, als einen gu-ten Eindruck. Beachte dabei besonders zwei Gesichtspunkte:

    1. Versuche, deine Arbeit so gut zu machen, da du von Kollegen und Vor-gesetzten fachlich ernstgenommen wirst. So kannst du an deinem Arbeitsplatzziemlich unentbehrlich werden.

    2. Bemhe dich, menschlich ernstgenommen zu werden. Besserwisser undKlugscheier haben nichts zu bestellen. Einem Neuen stehen Zurckhaltungund etwas (zur Not gespielte) Schchternheit gut an. Es wird dir eher nachgese-hen, wenn du ber Sport nicht mitreden kannst, als wenn du ein Gesprch berPolitik erzwingen willst.

    Gut ist es, wenn es dir gelingt, in deiner Haltung Selbstbewutsein ge-genber Vorgesetzten, Verstndnis gegenber Kollegen, sowie Humor und dieBereitschaft zur Selbstironie auszudrcken. So wird dein Wort bald an Gewichtgewinnen.Hast du deine Probezeit heil hinter dich gebracht, dann bemhe dich,das Leben im Betrieb in seiner ganzen Vielfalt zu erfassen. Gehe dabei raschund systematisch vor. Aber nicht berstrzt und aufdringlich. Das wrde auffal-len. Zunchst kommt es nur darauf an, mglichst berall dabei zu sein, ohne da-

    bei die Rolle als Neuer zu vergessen: Groe Ohren kleiner Mund! Betriebs-sport und alle Arten von gesellschaftlichen und geselligen Veranstaltungen sindein guter Ansatzpunkt. Du erhltst dabei in einem Monat durch Betriebsklatschmehr Informationen als am Arbeitsplatz in einem Jahr. Mach ruhig irgendwoaktiv mit. Aber nimm mglichst keine Funktionen an. Meistens steckt doch argeVereinsmeierei dahinter. Du hast besseres zu tun, als das ernst zu nehmen. DasMitmachen aber ist wertvoll. Du lernst Kollegen aus allen Ecken des Betriebeskennen.

    Es gibt in jedem Betrieb eine Reihe von Leuten, die eine meist un-terbezahlte Sonderstellung einnehmen. Sie [25] haben einen Arbeitsplatz, derfr den Informationsaustausch wie geschaffen ist. Entweder kommen sie durchihre Arbeit im ganzen Betrieb herum, oder fast alle im Betrieb Beschftigtenkommen aus irgendeinem Grund zu ihnen. Das sind u a.: Kalfaktoren, Boten,Ausfeger, Pfrtner, Kchinnen und Sanitter. Unter ihnen gibt es manchen, andem ein Philosoph verlorengegangen ist. Ohne da er spinnt. Es macht einfachSpa, mit ihm zu sprechen. Und es ist ntzlich. Von den meisten Kollegen wirder herablassend behandelt und nicht ernstgenommen. Wenn du auf solch einenTyp triffst, halte ihn dir warm. Versuche nicht, ihn zu bekehren, sondern erwer-

    be sein Vertrauen dadurch, da du ihm zuhrst. Wenn er als Mensch ernstge-

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    nommen wird, ist er meist dankbar und ein beraus guter Verbndeter. Bemhedich gleichzeitig, Anschlu an das Gewerkschaftsleben im Betrieb zu finden.Das ist leicht, wenn du die Kunst beherrscht, schchternes Interesse zu zeigen.Diskutiere nicht mit dem BR-Vorsitzenden ber Reformismus und Revisionis-mus, sondern fange lieber ganz unten an. Falls du noch unorganisiert bist, la

    dich zunchst aufnehmen. Nicht im Gewerkschaftsbro am Ort. Mglichst auchnicht im BR-Bro. Am besten von einem Kollegen, von dem du weit, da ergewerkschaftlicher Vertrauensmann oder BR-Mitglied ist. Er wird dich dannweiterhin betreuen. Fr dich heit das, da du einen festen Kontakt hast. Pflegeihn vorsichtig, d. h. intensiv, aber nicht aufdringlich. Diskutiere mit deinem Be-treuer gelegentlich mal positiv-gewerkschaftlich (gegen den Unternehmer; ge-meinsames Interesse; Organisation macht stark). Vermeide in diesem Stadiumauf jeden Fall offensive und aggressive Diskussion (Rolle der Gewerkschafts-

    brokratie; Sozialismus; Revolution; Geschichte der Arbeiterbewegung). [26]Merke: Es ist zweifellos wichtig, da du eine flammende Rede halten kannst.Da du eine qualifizierte Meinung hast und in der Lage bist, sie mit treffendenWorten zu sagen. Aber gegen tief verwurzelte Vorurteile sind Argumente einestumpfe Waffe. In dieser Situation ist es noch wichtiger, den Mund halten zuknnen. Das ist die wichtigste Fhigkeit, die deine Arbeit in diesem Stadiumvon dir verlangt: Die Kunst, abzuschtzen, wann es angebracht ist, deine Mei-nung fr dich zu behalten.

    Der nchste Schritt ist, da du deinen Betreuer mal nach einer Gewerk-schaftszeitung fragst. Wenn er sie dir ohnehin regelmig gibt, frage ihn nachder Quelle [2], der Welt der Arbeit [3] oder nach irgendwelchem Werbe-material fr die Gewerkschaft. Sei sicher: In kurzer Zeit bist du in. Interes-sierte junge Leute sind dort rar. Mit groer Wahrscheinlichkeit wirst du schon

    beim nchsten mal, wenn wieder eine Wahl ist, selbst gewhlt. In eine untereFunktion als gewerkschaftlicher Vertrauensmann oder BR-Mitglied. Dabei wird

    von deinem Betreuer und seinen Freunden etwas nachgeholfen, manipuliert .Das bedeutet: Du wirst von Kollegen aufgestellt und durchgebracht, die untereGewerkschafts- oder SPD-Funktionre sind oder beides. Sie wrden dich da-vonjagen, wenn sie wten, wer du bist. Ihre Hilfe kannst du ruhigen Gewissensannehmen. Sie ist ntzlich und du bist zuerst ein bichen darauf angewiesen. Dumut bei dieser Methode jedoch streng darauf achten, da du deine Kollegenniemals belgst. Du kannst hchstens die Wahrheit ihrem Verstndnis entspre-chend dosieren. Du darfst aber nie eine uerung tun, von der dir irgendwann

    das Gegenteil bewiesen werden kann. Du mut um jeden Preis glaubwrdig[2] Die Quelle, Funktionrzeitschrift des DGB; erschien von 1950 bis 1997.[3] Welt der Arbeit, Wochenzeitung des DGB; erschien von 1950 bis 1988.

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    bleiben. Wenn du gewhlt bist: Glaube nicht, da du etwas Wichtiges erreichenkannst. Dein direkter Einflu ver- [27] grert sich nicht sehr. Zhlen tut derindirekte Gewinn: Du bist nicht mehr isoliert und an deinen Arbeitsplatz ge-

    bunden. Du kannst Informationen einholen und Kontakte knpfen, ohne da esauffllt.

    5. Das Ende des Einzelkmpferdaseins

    Whrend du wie gesagt nach auen hin nichts weiter gemacht hastals einen guten Eindruck, hast du Informationen gesammelt. Du hast vorn erstenTage an begonnen, alle erreichbaren Daten zu erfassen und zu ordnen. Die-ses Rohmaterial wird zu einer Betriebsanalyse verarbeitet, auf die weiter untennoch ausfhrlicher eingegangen wird.

    Der nchste Schritt ist, da du ein paar Genossen als Grundstock frdie geplante Gruppe einsammelst. Voraussetzung ist, da du zu dem Zeitpunktschon mglichst viele Leute im ganzen Betrieb kennst. Nur dann kannst du diewenigen, die vorerst in Frage kommen, herausfinden. Bedenke, wie gering diestatistische Wahrscheinlichkeit ist, da sich die potentiellen Kader ausgerechnetunter der kleinen Zahl von Kollegen befindet, mit denen du am Arbeitsplatz zutun hast. Andererseits geht es nicht an, im ganzen Betrieb wahllos und auf gut

    Glck Leute anzusprechen. Der in Frage kommende Personenkreis mu einge-grenzt werden. Konzentriere dich zunchst auf zwei Personengruppen:

    a. Unter den jngeren Kollegen sind hufig welche, die auerhalb des Betrie-bes schon Kontakt zur sogenannten ApO [4] hatten oder haben. Du findest sienamentlich unter den Lehrlingen, gnstigenfalls auch unter den Jugendspre-chern. Sie stehen in der Regel einer systematischen Arbeit im Betrieb sehr auf-geschlossen gegenber, wenn du ihnen vernnftige Vorschlge machen kannst.

    Auerhalb der Arbeitszeit befinden sie sich meistens auf [28] der in der Ein-leitung beschriebenen Idiotenwiese. Es ist fr sie ein aha-Erlebnis, wenndu ihnen zeigst, da sich die Freizeit auch anders nutzen lt: Um die Arbeitim Betrieb theoretisch und praktisch grndlicher vorzubereiten. Um sich mitKollegen und Genossen in Ruhe und ausfhrlich zu besprechen. Und um dieVerbindung zu anderen Betrieben und zur gesamten revolutionren Bewegungherzustellen und zu pflegen.b. Es gibt in fast jedem greren Betrieb einzelne Genossen aus frher einmal

    [4] ApO: Auerparlamentarische Opposition wird heutzutage allgemein 68ergenannt. Viele haben mittlerweile vergessen, woher sie gekommen sind siehe z. B.Joschka Fischer

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    oder noch bestehenden SPD- oder KP-Betriebsgruppen, die fr eine Zusammen-arbeit zu gewinnen sind. Sicher wird diese Zusammenarbeit anfangs manchmalsehr problematisch sein und von deiner Seite viel Einfhlungsvermgen verlan-gen. Du solltest trotzdem, wenn es irgend geht, nicht darauf verzichten. DieseGenossen bringen nmlich zwei wertvolle Eigenschaften mit: Sie kennen den

    Betrieb bis in jede Ecke und oft bis in eine weit zurckliegende Vergangenheit.Und sie wissen unzhlige Tricks aus dem Organisations- und Versammlungs-wesen in Betrieb und Gewerkschaft. Es sind Tricks, welche die Brokraten vonParteien und Gewerkschaft ber kurz oder lang gegen dich anwenden werden.Wenn du dich rechtzeitig damit vertraut machst, kann man dich nicht aufsKreuz legen. Diese Aufbauphase, in der du noch auf dich allein gestellt bist, istzweifellos der schwierigste Teil deiner Arbeit. Viele Kollegen und Genossen,die du gewinnen willst, sind verdrossen und mitrauisch. Das ist verstndlich,

    denn sie wurden mehrfach mibraucht und betrogen. Willst du sie trotzdemfr eine Mitarbeit gewinnen, dann mut du klare, nchterne und einleuchtendeAussagen ber Weg und Ziel der gemeinsamen Arbeit machen knnen. DeineAussagen mssen ihrer (berechtigten!) mitrauischen Kritik standhalten. Ver-suche nicht, jemanden zu beschwatzen. Wenn seine Mit- [29] arbeit lediglichdarauf beruht, da er nicht nein sagen mag, ist sie nicht von Dauer.

    Ein berzeugendes Argument ist immer die von dir bereits begonnene

    Betriebsanalyse. Sie beweist den Genossen, da deine Arbeit auf einer solidenGrundlage steht. Sie zeigt ihnen, wieviel brauchbare Informationen man er-hlt, wenn man systematisch sammelt und auswertet. Aus der Analyse ergebensich immer Ansatzpunkte fr eine sinnvolle gemeinsame Arbeit. Wenn du ei-nem mglichen Genossen die Analyse zeigst, wird er sofort darin Lcken entde-cken, die er und manchmal nur er ausfllen kann. Und er wird das Bedrfnishaben, sie auszufllen. Das Interesse daran, die Analyse zu vervollstndigen,kann eine erste, zaghafte Bereitschaft zur Mitarbeit begrnden. Es ist ein ganz

    natrlicher Vorgang, da jemand gern seine Fhigkeiten beweist. Zumal, wennes sich um Fhigkeiten handelt, die sonst nicht gefragt sind. Dabei entsteht fastvon selbst das Bestreben, sich demjenigen, der dieses Erfolgserlebnis ermg-licht, anzuschlieen. Ein weiteres berzeugendes Argument von dir wird eben-falls einen Teil der anfnglichen Skepsis abbauen: Die Tatsache, da du denGenossen glaubhaft versichern kannst, da du sie nicht im Namen einer Orga-nisation bevormunden willst. Da du dich vielmehr mit ihnen gemeinsam gegen

    jede Art von Bevormundung stark machen willst. Vertrauen ist die wichtigste

    Voraussetzung fr die Zusammenarbeit. Du hast keinen Anspruch darauf, dadie Genossen dir vertrauen. Du bist vielmehr verpflichtet, fr sie vertrauens-wrdig zu sein. [30]

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    Wenn du ein paar Genossen gefunden hast, die mit dir zusammenarbeiten, so istdas die beste Art, dein Einzelkmpferdasein zu beenden. Es htte auch auf an-dere Art beendet werden knnen: Wenn du grobe Fehler gemacht httest, wrstdu rausgeflogen aus dem Betrieb. Vielen Genossen geht es so. Da du dieseKlippe umschifft hast, ist ein guter Anfang und eine gute Voraussetzung fr dieweitere Arbeit. [31]

    Das selbsternannte Komitee

    Du hast dich jetzt in ihr verwandelt. Ihr seid das, was man eine Betriebsgrup-pe nennt. Vor diesem Wort zittern Bosse, vor denen sonst ein Heer von Unterge-benen zittert. Die Macher haben Angst vor ein paar kleinen Leuten. Weil dieseselbstndig zusammenarbeiten. Weil sie gemeinsam etwas tun, was ihnen nicht

    befohlen worden ist. Und weil sie nicht fragen, ob sie das Ungewhnliche tundrfen.Trotzdem wird hier im weiteren das Wort Gruppe nicht benutzt, sonderndurch Komitee ersetzt. Gruppen neigen dazu, sich gegenber ihrer Umweltzu verselbstndigen und ein isoliertes Eigenleben zu entwickeln, in dem sie sichselbst gengen. Der sagenhafte Ruf, den die Betriebsgruppen genieen, ist nureinigen wenigen von ihnen zu danken. Denjenigen, denen es gelang, den engenRahmen des typischen Gruppenlebens zu sprengen. Ihr seid nicht irgendeineGruppe von Leuten im Betrieb. Ihr seid Vorhut, Avantgarde. Ihr seid zwar ein

    Team, aber nur in dem Sinne, da ihr euch als Teil einer greren Gemein-schaft auffat. Sozusagen als Sauerteig: Man kann aus ihm kein Brot backen.Aber auch nicht ohne ihn. Entsprechend dieser Existenz von zwei qualitativund quantitativ verschiedenen Gemeinschaften, die doch eine Einheit bilden,hat eure Arbeit zwei Seiten, die einander bedingen: eine uere und eine innere.[32]

    1. Struktur und Arbeitsstil des Betriebskomitees

    Da das Brot ohne Sauerteig nicht zu backen ist, hat die langfristigeSicherung der Arbeit eures Komitees in jedem Falle Vorrang. Bedenkt, da dieArbeit unter allen Umstnden weitergehen soll. Auch wenn wir morgen pltz-lich eine wie immer geartete Diktatur haben. Ein bruchloser bergang in dieIllegalitt mu jederzeit ohne besondere Vorbereitungen mglich sein.Es kostet wertvolle Zeit, wenn das Komitee erst lange umgebaut werdenmu, sobald eine kritische Situation eintritt. Es kann sogar Jahre kos-

    ten, wenn es unter Opfern zusammenbricht und nur zgernd und tastendwieder aufgebaut werden kann. Gestaltet deshalb eure Zusammenarbeitvon vornherein so, da sie durch uere Ereignisse nicht so leicht zu er-

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    schttern ist. Hier sind einige Gesichtspunkte, deren Beachtung euch dabei vonNutzen sein kann:

    a. Kein Genosse darf offen als Mitglied des Komitees auftreten. Auch wenn ineinem Fall alle im Betrieb es mit Recht vermuten: Die Zugehrigkeit zum Ko-mitee darf niemals durch eigenes Eingestndnis nachgewiesen werden knnen.

    Das wird jeder im Betrieb verstehen, auf dessen Verstndnis ihr Wert legt,b. Es sollten keine greren Veranstaltungen des Komitees stattfinden. Eine

    konspirative Durchfhrung solcher Versammlungen ist nicht zu gewhrleisten.Versammlungen des Komitees sind Arbeitsbesprechungen. Aber in einem gr-eren Rahmen ist eine fruchtbare Diskussion organisatorischer oder theoreti-scher Probleme ohnehin kaum mglich. Was soll's also! Euch an der Zahl derLeute, die ihr zusammenkriegt zu berauschen oder damit zu prahlen, habt ihrnicht ntig. Ihr sollt ja nicht fr eine Organisation etwas herzeigen. [33]

    c. Wie gro euer Komitee auch wird: Haltet eure regelmigen Zusammen-knfte mit nicht mehr als durchschnittlich fnf Genossen ab. Wenn ihr mehrwerdet, untergliedert euch in Abteilungskomitees. Zur Not noch weiter. JedesKomitee whlt einen Sekretr. Eine entsprechende Anzahl von Sekretren bil-det das nchsthhere (Leitungs-) Komitee. Und so weiter. Der Sekretr einesLeitungskomitees soll Mitglied, aber nicht Sekretr eines Basiskomitees sein.

    Niemand kann mehrere Funktionen gleichzeitig ordentlich ausben.d. Gebt euren Zusammenknften einen privaten Rahmen. Die andere Mglich-

    keit wre ein Versammlungslokal. Das wre mit einem greren Sicherheits-risiko und mit der unvermeidlichen Stammtisch-Atmosphre verbunden. Diescheinbar private Zusammenkunft hat mehrere Vorteile: Erstens sind privateZusammenknfte von Arbeitskollegen so verbreitet, da daraus schwerlich ein

    politisch-organisatorischer Zusammenhang nachgewiesen werden kann. Zwei-tens finden sie in einer ruhigen, ungestrten und der Arbeit zutrglichen Atmo-sphre statt.

    e. Lat die im Normalfall vorhandenen (Ehe-) Partner der Genossen an den

    Zusammenknften und an der Arbeit des Komitees teilnehmen. So etwas sollteselbstverstndlich sein. Leider ist es das nicht. Dabei dient es nicht nur durchdie Sicherung des huslichen Friedens einer ungestrten Arbeit. Die nicht imBetrieb ttigen Ehepartner knnen zu beraus ntzlichen Helfern des Komiteeswerden. Sie sind durch die Mglichkeit der bernahme einer Reihe von spezi-ellen Aufgaben nahezu unentbehrlich. Zum Beispiel bei Arbeiten, die whrendder Arbeitszeit, aber auerhalb des Betriebes erledigt werden mssen. Oder beiArbeiten, bei der die Genossen Gefahr laufen, erkannt zu werden. [34] Durchdiese Arbeitsweise ist es euch gleichzeitig mglich, die allgemein vorherrschen-de strenge Trennung von Arbeitswelt und Privatleben fr euch selbst teilweisezu berwinden. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil revolutionre Arbeit

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    zum groen Teil in der Freizeit stattfindet. Bei einer strengen Trennung beiderBereiche fhrt das hufig dazu, da die revolutionre Arbeit auf den Freizeit-

    bereich beschrnkt bleibt. Und damit ist man auf der bereits erwhnten Idi-otenwiese. Eine Beteiligung an revolutionren Aktionen im Freizeitbereich,an Brgerinitiativen und dergleichen mu auch sein. Diese Aktionen haben

    meistens kommunalpolitischen Charakter. Ideal ist es, wenn sie in Verbindungmit der Betriebsarbeit durchgefhrt werden knnen. Eine natrliche Vorausset-zung dazu ist aber nur noch in kleineren Orten gegeben. Wo man in der Nheseiner Wohnung arbeitet. Wo man als Nachbarn Arbeitskollegen hat, die mankennt.

    Fehlt diese Voraussetzung, so ist die Verbindung nur schwer herzu-stellen. Auf keinen Fall solltet ihr als Betriebskomitee bei solchen Aktionen

    geschlossen und ffentlich auftreten. Zumal, wenn die Aktionen mit euremBetrieb nichts zu tun haben. Ihr seid nicht berechtigt, als Betriebskomitee imNamen der Belegschaft eures Betriebes zu handeln.Hufig sind solche kom-munalpolitischen Aktionen mit groer Vorsicht zu genieen. Sie werden vonGruppen, Organisationen oder Parteien in Gang gebracht oder ausgenutzt. Mitdem ausschlielichen Ziel, dabei jeweils den Namen der eigenen Organisationherauszustellen und aufzuwerten. Was aus den betroffenen Menschen wird, umdie die Aktion ging, oder ob euer Betriebskomitee dabei draufgeht, wenn es sich

    beteiligt, interessiert sie nicht. Fr sie ist die Hauptsache, da sie einen gewissenPrestigegewinn erzielen. Deshalb seid vorsichtig. Wenn solche Aktionen auch[35] manchmal sein mssen, so bleiben sie doch zweitrangig. Wenn einzelneGenossen von euch sich von Fall zu Fall daran beteiligen, so ist dagegen nichtszu sagen. Es ist aber schdlich, wenn sie dabei im Namen eures Komitees odergar der Belegschaft eures Betriebes auftreten. Politische Arbeit in der Freizeitsoll der revolutionren Betriebsarbeit ntzen. Nicht umgekehrt.

    2. Rolle und Perspektive des Betriebskomitees

    Wenn man sagt, die Aufgabe eures Komitees bestehe darin, die Beleg-schaft in den Kampf zu fhren, so ist das nur bedingt richtig. Im revolutionrenKampf, der nach Marx die selbstndige Bewegung der ungeheuren Mehrzahlim Interesse der ungeheuren Mehrzahl ist, gibt es eine Fhrung in dem Sinne,da einige fhren und die brigen gehorchen, nicht. Von einer fhrenden Rolleeures Komitees kann nur insofern die Rede sein, als es der Belegschaft Infor-mationen und Ratschlge gibt. Ratschlge, die so vernnftig sind, da sie frei-

    willig befolgt werden. Wohin es fhrt, wenn eine Organisation meint, auf einefhrende Rolle einen Anspruch zu haben, ist bekannt. Es fhrt auf die andereSeite der Barrikade, zu den erwhnten Autoritten, die sich von unten nicht in

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    Frage stellen lassen wollen. Ihr seid ein Teil der Belegschaft. Aber ein orga-nisierter Teil. Selbstndig organisiert: Ohne Vermittlung eines brokratischenApparates. Ohne an Weisungen gebunden zu sein. Die sich daraus ergebendenVorteile sind ein zuverlssiges Informationssystem und die Mglichkeit gegen-seitiger Hilfe. Diese Vorteile stellt ihr der ganzen Belegschaft als Dienstleistung

    zur Verfgung. Sie ist darauf angewiesen. Alle anderen helfen ihr nur zeitweise,nur teilweise und nie ohne eigenntzige Hintergedanken. [36] Die Perspektiveeures Komitees ist sozusagen dster: Je besser es arbeitet, desto schneller machtes sich selbst berflssig. Ist eines nicht allzufernen Tages mit durch eureTtigkeit eine revolutionre Situation herangereift, dann schafft sich die Be-legschaft eures Betriebes ihr eigenes Komitee. Selbstorganisation, Kommu-ne, Rte oder wie immer man es nennen wird. Der Mitbestimmungszauber istlngst vergessen und es gibt Selbstbestimmung. Die Selbstverwaltungsorgane

    der Belegschaft bestehen dann, wenn ihr richtig gearbeitet habt, aus den Genos-sen eures Komitees. Das Komitee ist nicht mehr selbsternannt.

    Damit ist eure Aufgabe vorerst erfllt. Beziehungsweise sie geht aufeiner anderen Ebene weiter. Es ist aber wie die Geschichte zeigt mglich,da sich die Organe der siegreichen Revolution in ein neues Herrschaftssystemverwandeln (innere Konterrevolution). Dann kann es notwendig werden, daihr eure Arbeit als Komitee wieder aufnehmt. [37]

    Die Vorbereitung des Kampfes

    Ihr wollt nicht planlos drauflos wursteln, sondern wohlberlegt arbeiten.Deshalb mu zunchst die im letzten Teil des zweiten Kapitels bereits erwhnteBetriebsanalyse aufgearbeitet und ausgewertet werden. Dabei sind die vorhan-denen Daten nach Sachgebieten und innerhalb der Sachgebiete nach Wichtig-keit zu ordnen. Die Analyse kann nach folgenden, in zwei Bereiche getrennten

    Gesichtspunkten angelegt werden:a. Im Bereich Unternehmen werden alle strukturellen und wirtschaftlichenDaten des Betriebes erfat, so weit sie zu erhalten sind. Dabei sind besondersdie vom Betrieb herausgegebenen Publikationen (auch Werbematerial), sowieVerffentlichungen und Anzeigen in Zeitungen zu beachten.Darberhinaussind vor allem Konzernverflechtungen und sonstige auerbetriebliche Einflssezu untersuchen. Ist das Unternehmen eine AG, dann werden Bilanzen verf-fentlicht. Es ist mglich, daraus den im Betrieb erwirtschafteten Mehrwert zu

    errechnen. Das geschieht mit Hilfe einer externen Bilanzanalyse. Fr dieses et-was schwierige Verfahren lat ihr euch am besten durch befreundete Genossendie Hilfe eines Betriebswirtes vermitteln. Im Anhang zu diesem Buch erklrt

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    Jrg Huffschmid die Grundlagen einer solchen Analyse und erlutert sie amBeispiel der Siemens-Bilanz.

    b. Im Bereich Belegschaft sind alle sachlichen und personellen Daten fest-zuhalten, die das Leben im Betrieb und die Arbeit betreffen. Ferner sind ge-werkschaftliche und parteipolitische Krfte zu ermitteln, die in den Betrieb hi-

    neinwirken. [38]

    Wichtig ist auerdem, ob und in welchem Mae sich Berhrungspunktemit Belegschaften anderer Betriebe ergeben. Sei es durch Konzernverflechtung,Branchenzugehrigkeit oder einfach durch rtliche Nach barschaft. Verschie-dene linke Verlage und Organisationen haben Fragebogen zur Betriebsarbeitherausgegeben (z. B. im Heft 21 der Zeitschrift Kursbuch). Diese eignen sichzum Teil recht gut als Anleitung und Grundlage fr die Erstellung einer Be-

    triebsanalyse. Sie werden meist auf Anforderung gern geliefert. Zum Teil sindsie auch im Buchhandel erhltlich.[5] Die Analyse ist eine solide Grundlage freure Agitation. Im Bedarfsfall habt ihr durch sie fr jedes im Betrieb auftretendeProblem sofort Zahlen und Tatsachen zur Hand. Es ist ein groer Vorteil, wennihr nicht darauf angewiesen seid, da sich jemand zufllig an etwas erinnert.Wird die Analyse ordentlich gefhrt und systematisch ausgewertet, so vermagsie sogar noch mehr zu leisten. Sie ermglicht es, gnstige Ansatzpunkte frdie Agitation zu entdecken. Und schwache Stellen beim Gegner, die sich dem

    flchtigen Blick nicht sogleich offenbaren.

    1. Bedeutung und Inhalt der Agitation

    Die Agitation kann eine wirksame Verbindung zwischen eurem Komi-tee und der Belegschaft herstellen. Durch eine gute Agitation knnen Konflikte,aus denen sich ein Kampf entwickelt, ausgelst (nicht hervorgerufen!) werden.Sie brechen zwar mitunter hier und da, frher oder spter auch von selbst aus.Dabei handelt es sich aber zumeist um blinde, ungezielte Aktionen. Sie ver-laufen schlielich erfolglos im Sande. Obwohl in der Regel etliche linke Or-ganisationen sich dranzuhngen [39] pflegen, um fr sich etwas daraus zu ma-chen. Ihr braucht auf solche sporadischen Ereignisse nicht zu warten. Mit Hilfeeurer Agitation seid ihr in der Lage, den Zufall zu steuern. Das Ziel der Agita-tion ist (entgegen der landlufigen Auffassung) nicht, Wut hervorzurufen oderanzuheizen. Ha macht bekanntlich blind. Blinde mssen gefhrt werden undlassen sich bereitwillig fhren. Ohne zu sehen, wohin. Eure Agitation wendet

    [5] Geschrieben 1971! Die hier erwhnte Literatur ist allenfalls antiquarisch erhltlich.Mglicherweise finden sich aber hier Material und Anregungen: http://www.wildcat-www.de/

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    sich an berechtigterweise unzufriedene Menschen. Sie soll ihnen die durch Ver-einzelung entstandene Angst und Hoffnungslosigkeit nehmen. Das unterdrckteSelbstbewutsein dieser Menschen soll geweckt werden. Dadurch sollen sie

    befhigt werden, selbstndig und berlegt zu handeln. Mit kernigen Sprchen,flammenden Aufrufen und in tierischem Ernst gehaltenen linken Phrasen ist das

    nicht zu machen. Agitation ist ein Hilfsmittel zur Verwirklichung einer Strate-gie. Die meisten gngigen Strategien gehen davon aus, da eine hinreichendgroe Zahl von Arbeitern sich den Befehlen einer bestimmten Organisation un-terstellt. Dabei soll die Agitation mglichst viele Arbeiter dahingehend beein-flussen, da sie sich freiwillig dieser Befehlsgewalt unterstellen. Hier wird abervon einer grundstzlich anderen, geradezu entgegengesetzten Strategie ausge-gangen. Dabei kommt selbstverstndlich auch der Agitation eine vollkommenandere Aufgabe zu.

    Zum ersten soll eure Agitation der Belegschaft facts, nackte, kom-mentarlose Informationen bekanntgeben. Hngt nach Mglichkeit gerade dasan die groe Glocke, was die Gegenseite gern verschweigen mchte. Alles, wasgeheimgehalten und vertuscht werden soll. Stellt bei jeder Gelegenheit ffent-lichkeit her, wo gemauschelt wird. Sagt alles, was man nicht sagt. Zum Bei-spiel Gehlter von leitenden Angestellten. Dabei sollte es ein [40] von Anfangan selbstverstndlich gebter Brauch sein, da alles, was ihr als Komitee be-

    kanntgebt, stimmt. Zum andern gebt ihr ironische, boshafte Kommentare. Einbichen satirisch. Euer Ziel ist dabei, Autoritten im Betrieb zu verunsichern.Das geschieht am besten dadurch, da ihr sie lcherlich macht und in Fragestellt. Sie leben davon, da sie selbstverstndlich sind und ernstgenommen wer-den. Da ist ihre empfindliche Stelle. Also nicht blinder Ha und Emotionen,sondern eher befreiendes Gelchter und ernstes Nachdenken sollen durch dieAgitation ausgelst werden.

    2. Die Form der Agitation

    Die wirksamste Form der Agitation ist natrlich das zur rechten Zeitgekonnt gesprochene Wort. Dabei kann sich aber der Sprecher nicht versteckenund ist deshalb unter Umstnden gefhrdet. Dieses Mittel kann also leider nursparsam und in besonders gnstigen Situationen benutzt werden. Im Normalfall

    bedient ihr euch technischer Hilfsmittel. Ihr beginnt mit einzelnen Flugblttern,die sich zunchst jeweils nur mit einem einzigen Thema befassen. Dann lat ihr

    sie hufiger erscheinen und verbreitert das Themenangebot. Wenn ihr dazu denBlttern einen gleichbleibenden einprgsamen Titel gebt, habt ihr so etwas wieeine Betriebszeitung.

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    Gibt der Betrieb seinerseits eine offizielle Firmenzeitung heraus, so mt ihrselbstverstndlich darauf eingehen. Diese Firmenzeitungen sind bei aller Auf-wendigkeit meistens so plump gemacht, da sie ein dankbares Objekt fr Glos-sen sind. Auerdem eignet sich vielleicht eine Verballhornung ihres Titels alsTitel fr eure Zeitung. Beispiel: Die Hauniwerke in Hamburg-Bergedorf ge-

    ben eine Firmenzeitung Hauni-Glocken heraus. [41] Dieser wurde von derApO eine revolutionre Betriebszeitung Hauni-Klimbim entgegengestellt.Ihr solltet nicht den Ehrgeiz haben, eure Zeitung unbedingt regelmig und inaufwendigem Druck erscheinen zu lassen. Der Aufwand fr eine grokotziggedruckte Zeitung, die regelmig erscheint, ist nicht lange durchzuhalten. Sieist keine Hilfe fr euer Komitee, sondern das Komitee wird sehr bald ein Hilfs-organ fr die Zeitung. Das Komitee wrde daran kaputtgehen und die Zeitungwrde sterben. Glaubwrdiger ist eine bescheidene Zeitung, die zuverlssig

    dann da ist, wenn sie gebraucht wird. Verteilt wird die Zeitung vor dem Tordes Betriebes von betriebsfremden Genossen. Die Kosten fr die Herstellungwerden durch Umlage unter den Genossen aufgebracht. Manchmal kann man

    bei der Herstellung auch auf Hilfe von Auen zurckgreifen. Man mu dannnur darauf achten, da keine Bedingungen bezglich des Inhalts daran geknpftsind. Ein Verkauf der Zeitung kommt erfahrungsgem nicht in Frage. Nebender schweren Artillerie (bedrucktes Papier) sollten in der Agitation auch dieHandfeuerwaffen nicht vergessen werden: In jedem Industriebetrieb stehen

    fr alle mglichen Zwecke Signierkreide, krftige Filzschreiber und Signier-farbe zur Verfgung. Sie werden von der Belegschaft oft und gern zweckent-fremdet verwendet. Meistens fr pornographische Versuche oder einfach frBldeleien.

    Diese Mittel lassen sich aber auch politisch einfach und wirksam be-nutzen. Vor allem zur Verunsicherung von Autoritten. Es ist zum Beispiel sehrwirkungsvoll, wenn ein besonders unfallgefhrdeter enger Weg nach dem Na-

    men des zustndigen Meisters oder Sicherheitsingenieurs benannt wird. Wenndort eines Morgens an allen mglichen Stellen Klaus-Hansen-Gasse ange-schrieben steht, ist was los im Betrieb. Auch von unbe- [42] liebten Vorgesetztenoft benutzte Redensarten und bevorzugte Schimpfworte in vielen Abwandlun-gen berall angeschrieben tun ihre Wirkung. Es kommt bei dieser Methode,wie berall, auf den Einfallsreichtum an. Die Belegschaft hat ihn. Man mu ihnnur wecken. Dann luft es von selbst.

    3. Die Wirkungsweise der Agitation

    Auf welche Weise gut gemachte Agitation wirkt, soll an einem Bei-spiel, einem Planspiel, verdeutlicht werden. Eure Zeitung prangert einen im

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    Betrieb bestehenden Mistand oder einen Vorfall an. Dabei braucht es sich garnicht um eine echte Enthllung zu handeln. Es kann durchaus eine Sachesein, die jeder wei, ber die sich aber niemand mehr aufregt. Weil es ja dochkeinen Zweck hat. Ihr zeigt die Ursache des Mistandes auf. Nennt den dafrverantwortlichen Vorgesetzten beim Namen. Und verziert das ganze vielleicht

    noch mit einer kleinen Karikatur. Nun setzt folgender Mechanismus ein: Derbetreffende Vorgesetze kann sich kaum noch sehen lassen. Jeder hat den Arti-kel ber ihn gelesen. Das wei er. Jeder nimmt an, da er selbst ihn ebenfallsgelesen hat. Das wei er auch. Und jeder wei, da er das wei. Er kann sichzwar kaum sehen lassen, er kann sich aber erst recht nicht drcken. Er musich sehen lassen, um seinen Aufgaben als Vorgesetzter nachzukommen. Es istsofort eine gespannte Atmosphre da. berall, wo er vorbeigeht, wird hinterseinem Rcken getuschelt und gefeixt. Das merkt er. Hier und da wird er frech

    angegrinst, oder bekommt gar anzgliche Bemerkungen zu hren. Er ist gereizt.Bei der nchsten Gelegenheit wird er die Beherrschung verlieren und anfangenzu brllen. [43] Da seine Autoritt aber schon angeknackst ist, wird er dadurchnicht wie sonst einschchtern knnen. Voraussichtlich erntet er Hohn und offe-nes Gelchter.

    In der um eine solche Szene sich unweigerlich bildenden Zuschauer-gruppe ist zumal, wenn einer eurer Genossen sich darunter befindet eine

    Solidarisierung unschwer zu erreichen. Ein kluger Vorgesetzter htte jetzt denangeprangerten Mistand sofort abgestellt und ein paar passende Worte dazugesagt. Auch dann wre die Agitation erfolgreich gewesen: Was scheinbar kei-nen Zweck hatte, wurde ermglicht. Durch die Initiative eurer Betriebszei-tung wurde die Mauer der Resignation durchbrochen. Aber wo gibt es schonkluge kleine Vorgesetzte! Wenn es erst zur offenen Solidarisierung gekommenist, dann ist es fr den angegriffenen Vorgesetzten zum Einlenken zu spt. Einekluge Betriebsleitung wrde ihn jetzt aus dem Verkehr ziehen und den Mi-

    stand von sich aus beseitigen lassen. Dann war der Erfolg der Agitation nochgrer. Aber wo gibt es schon kluge Betriebsleitungen! Im Normalfall hatdie Aufrechterhaltung der Autoritt Vorrang. Man lt es auf eine Kraftprobeankommen. Dann war die Agitation ein voller Erfolg. Der Konflikt ist ausgebro-chen. Der latente Widerspruch ist manifest geworden. Der Kampf ist da. SeinAusgang hngt von eurer Geschicklichkeit ab. Davon, ob ihr in der Lage seid,ihm die rechte Pflege angedeihen zu lassen, sprich: den Kampf zu fhren. [44]

    Die Fhrung des Kampfes

    Das Ziel in einer so kleinen Auseinandersetzung kann realistischerwei-se nicht eine nachhaltige Verbesserung der objektiven Lage der kmpfenden

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    Kollegen sein. Es geht dabei vielmehr um ihre subjektive Lage. Diese ist nurdurch ein Erfolgserlebnis zu verbessern. Es soll ihnen die Erfahrung vermitteln,da sie durch gemeinsames Handeln etwas erreicht haben. Erreichbar ist selbst-redend nur ein konkretes Ziel. Aufrufe zum Kampf gegen die revisionistischeVerrterclique, fr die Zurckdrngung der Macht der Monopole, gegen

    die reformistischen Gewerkschaftsbonzen oder fr die Einheit der Arbeiter-klasse gegen den Imperialismus sind absolut unsinnig. Selbst wenn sie theore-tisch haltbar wren, knnte niemand etwas mit ihnen anfangen.

    1. Die Bedeutung der zunchst niedrigen Forderung

    Das konkrete Ziel eines Kampfes wird als Forderung formuliert. DieForderung wird von den Sprechern der Belegschaft formuliert und vorgetragen.Also von euch, wenn alles stimmt. Aus den bereits in der Einleitung erwhn-

    ten Grnden ist die Forderung zunchst mglichst niedrig anzusetzen. Es muoffensichtlich sein, da der Betrieb sie eigentlich leicht erfllen knnte. Undda ihre Verweigerung ein groes Unrecht ist. Es ist bliche (und ble) Praxis,Forderungen so hoch anzusetzen, da bei dem zu erwartenden Kompromi dasursprnglich stillschweigend gesetzte Ziel als Verhandlungsergebnis heraus-kommt. Namentlich bei Lohnkmpfen wird das so gemacht. Das mag geradenoch [45] angehen, wenn ohne Kampf verhandelt wird. Wenn aber ein bewutherbeigefhrter Kampf einen Sinn haben soll, dann mu er bis zum siegreichen

    Ende ausgetragen werden. Andernfalls sieht das Ergebnis so aus: Die Forde-rung ist zwar teilweise erfllt; dafr sind aber diejenigen, die sich hervorgetanhaben, geflogen. Dann ist der Kampf am Ziel vorbeigegangen. Das Ziel war

    ja nicht nur der Inhalt der Forderung, sondern das Erfolgserlebnis, sie durchgemeinsames Handeln durchgesetzt zu haben. Jetzt aber ist das Ergebnis desKampfes eine negative Erfahrung. Fr ein im Grunde lppisches Zugestndnismu ein viel zu hoher Preis bezahlt werden. Von einigen. Die Folge ist Angstdavor, so etwas noch einmal zu tun. Beim nchsten mal knnte es einen ja selbsttreffen. Dieser Fall tritt hufig ein, wenn die Anfangsforderung zu hoch war. Sieist auf jeden Fall zu hoch, wenn es der Gegenseite gelingt, sie der erreichba-ren und an dem Fall interessierten ffentlichkeit als unverschmt darzustellen.Es ist hingegen leicht mglich, die Anfangsforderung so zu formulieren, daihre Erfllbarkeit offensichtlich ist. Dann setzt die Gegenseite sich sofort offenins Unrecht, indem sie die Erfllung lediglich aus Prestigegrnden verweigert.Dann werden die Kmpfenden von einer selbstbewuteren Position aus handelnknnen. Angesichts der schreienden Ungerechtigkeit wird es dann auch vielleichter zu einer weitergehenden Solidarisierung kommen, zu einer Ausweitungdes Kampfes. Dann kann die Forderung erhht werden. Auf ein Niveau, dasvorher unrealistisch gewesen wre.

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    Sicher wird man nie ganz ohne vorlufige Kompromisse auskommen. Aberdie Notwendigkeit, sich einem Kompromi zu beugen, steht in direktem Zu-sammenhang mit der Kampfbereitschaft und mit einer vertretbaren [46] Hheder Forderung. Die alte Art ssauer-lchelnder Kompromibereitschaft sollteberwunden werden. Es mu immer mehr herausgestellt werden, da es ein

    Kompromi ist, wenn unter den Bedingungen des herrschenden Systems ber-haupt gearbeitet, wenn es vorlufig noch geduldet wird.

    2. Die Ausweitung des Kampfes

    Das Ausma des begonnenen Kampfes hngt zunchst davon ab, aufwelcher Stufe in der Hierarchie des Betriebes der Angegriffene steht. Es solida-risieren sich diejenigen, die ihm unterstehen. In dem im dritten Teil des vierten

    Kapitels als Beispiel konstruierten Fall wre die Anfangsforderung die inzwi-schen, durch das allgemeine Interesse aufgewertet, eigentlich selbstverstnd-liche Beseitigung des angeprangerten Mistandes. Je nachdem, wie weit esgelingt, auch in benachbarten Bereichen des Betriebes eine Solidarisierung her-

    beizufhren, kann die Forderung sukzessiv hhergeschraubt werden. Die Ska-la der mglichen Forderungen reicht von einer frmlichen Entschuldigung des

    betreffenden Vorgesetzten ber seine Ablsung bis zum Angriff auf die hherenStellen, die ihn zunchst gedeckt haben. Eine stufenweise Erhhung der Forde-

    rung darf stets nur dann erfolgen, wenn sich die Front derjenigen, die sich soli-darisiert haben, verbreitert hat. Zwischen der Erhhung der Forderung und dervorhergegangenen Erhhung der Zahl der Kmpfenden mu ein offenkundigerZusammenhang bestehen. Die andere Seite kann sich dann schnell ausrechnen,da Nachgeben billiger ist. Denn am Ende dieser Kette von Ursache und Wir-kung steht mglicherweise ein die ganze Gesellschaft erfassender Kampf mitder Forderung nach Sturz des herrschenden Systems. [47] Wenn ihr also in dieLage kommt, einen Kampf zu fhren, dann macht der Gegenseite das Nach-

    geben leicht. Die Chance fr einen Sieg ist dann doppelt gro, weil auch dieGegenseite Nutzen daraus zieht. Sie lt es sich gern etwas kosten, da der Ar-beitsfrieden mglichst schnell wieder hergestellt wird. Die wegen eines kleinenSieges, den sie selbst errungen haben, zufriedenen Kollegen arbeiten nachge-wiesenermaen besser. Der Profit ist also gesichert.Aber die Kollegen werdennicht so sein wie vorher. Ihr Bewutsein hat sich entwickelt. In einem Ausma,wie es durch jahrelange Belehrung nicht mglich gewesen wre. Das ist einegute Voraussetzung fr knftige grere Kmpfe. [48]

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    Die Nachbereitung des Kampfes

    Das Ergebnis des siegreichen Kampfes ist nicht nur die durchgesetzteForderung. Viel grere Bedeutung hat das gestrkte Selbstbewutsein und diestattgefundene Solidarisierung. Durch letztere kann auch ein scheinbar kleiner

    Sieg ein sehr groes Gewicht erhalten. Wenn die Solidarisierung langfristig er-halten bleiben soll, mu sie aber in der Folge des Kampfes in eine organisato-rische Form umgesetzt werden. Gelingt das, so knnen nachfolgende Kmpfe,auf dem Erreichten aufbauend, bereits auf einer wesentlich hheren Ebene statt-finden. Das betrifft sowohl den Inhalt der Forderungen, als auch die Form unddas Ausma des Kampfes. Gelingt es jedoch nicht, so versanden die Ergebnisse.Der stattgefundene Kampf wird im tglichen Einerlei des Arbeitslebens baldzur blassen Erinnerung. Das machen normale Kollegen bestenfalls zweimal

    mit. Dann sind sie enttuscht und sagen mit Recht, da es nicht viel Zweck hat.Selbst wenn es gelingt, spter aufs neue andere Kollegen oder gar eine neue Ge-neration zu mobilisieren, mu dann doch immer wieder beim Nullpunkt ange-fangen werden. Der Kampf findet stets auf dem gleichen niedrigen Niveau statt.Das Ergebnis wre schlielich eine allgemeine Resignation. Das zu vermeiden,mu der Kampf ebenso sorgfltig nachbereitet werden, wie er vorbereitet wor-den ist. [49]

    1. Organisation als Frucht des Kampfes

    In Organisation umgesetzte, dauerhaft gemachte Solidarisierung istdas, was Dutschke Selbstorganisation der lohnabhngigen Massen genannthat. Diese Selbstorganisation kann nicht vor dem Kampf gemacht werden.Andererseits ist sie die wichtigste Voraussetzung fr den endgltigen Sieg. Er-folgreiche grere Kmpfe sind ohne sie nicht denkbar. Sie sind immer eineOrganisationsfrage. Die Selbstorganisation entsteht aus den ersten kleinenKmpfen als deren Ergebnis. Sie wchst in den folgenden, greren Kmpfen

    und festigt sich als deren Ergebnis. Sie ist die Voraussetzung fr die Revolutionund wird in deren Verlauf allumfassend. In der Revolution ist sie dann so starkgeworden, da sie mit der gesellschaftlichen Organisation, der Assoziationfreier Individuen identisch ist. So ist es denkbar. Man kann davon ausgehen,da es rudimentre Elemente von Selbstorganisation durchaus gibt. Nur sind siein ihrer heutigen Form kaum noch als solche zu erkennen. Die Gewerkschaf-ten sind ursprnglich als organisatorisches Ergebnis stattgefundener Kmpfeentstanden. Es ist noch heute zu beobachten, da sie jeweils dort am strks-

    ten sind, wo gerade Kmpfe stattgefunden haben. Auch die Betriebsrte sind,wenngleich nicht viel mehr als der Name erhalten geblieben ist, berreste dereinst in der November-Revolution entstandenen Arbeiterrte. Sie wurden ge-

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    bildet, weil die ursprnglich vorhandene Selbstorganisation, die Gewerkschaft,sich in der Revolution ihrer Aufgabe entzog. Sie sollten an deren Stelle treten.Das sich daraus ergebende Konkurrenzverhltnis, eine Art Doppelgleisigkeit,ist bis heute noch nicht ganz berwunden. Dieses alte Problem stellt sich immerwieder neu. [50]

    2. Alte und neue Organisation

    In der Praxis hat sich die Tendenz herausgebildet, bei spontan ausbre-chenden Arbeitskmpfen die vorhandenen Organisationen oder Organe (Ge-werkschaft, Betriebsrat) rechts liegen zu lassen. Es werden dann neue, eigeneFhrungs- oder Koordinationsorgane (Streik-Komitee) gebildet. Das ist dann

    und nur dann richtig, wenn die vorhandenen Organe sich ihrer Aufgabe ent-

    ziehen. Wenn sie die Fhrung des Kampfes ablehnen. Der eigentlich paradoxeFall, da gewhlte Vertreter etwas anderes meinen, als ihre Whler, ist leiderrecht hufig. Es mu aber nicht so sein. Der dafr meistens angegebene Grund(Friedenspflicht) ist nicht stichhaltig. Ein Betriebsrat z. B. kann entgegender blichen Auffassung - durchaus seiner Friedenspflicht formell gengen undtrotzdem einen Kampf organisieren und fhren. Es ist denkbar, da er einenAufruf etwa folgenden Inhalts erlt: Wir haben erfahren, da ihr heute spontandie Arbeit niederlegen wollt. Wir werden versuchen, mit der Direktion ber eure

    Forderungen zu verhandeln. Wartet das Ergebnis der Verhandlungen ab. Ver-schiebt den Beginn des geplanten Streiks zunchst auf morgen frh! Damit hatder Betriebsrat fr morgen frh zum Streik aufgerufen. Er kann aber unwider-legbar behaupten, er htte das nur getan, um Zeit zu gewinnen. Um im Interessedes Betriebsfriedens den Streik fr heute zu verhindern. Der Vorwand, man habesich an die Spitze einer Bewegung nur deshalb gestellt, um das Schlimmste zuverhindern, um die Sache nicht radikalen Elementen zu berlassen, ist gln-zend. Denn bei jedem Kampf versuchen Handlanger der Gegenseite, genau das

    zu tun. Hufig geben sich Betriebsrte oder Gewerkschaftsfunktionre dafrher. Es gilt nicht als unrechtmig. [51]

    Letztlich ist das aber keine juristische Frage, sondern eine Frage derKraft. War der Kampf siegreich, dann werden auch diejenigen, die sich her-vorgetan haben, im Betrieb bleiben. Gleichgltig, ob sie schon frher oder erstwhrend des Kampfes von der Belegschaft gewhlt worden sind, ob sie freine alte oder fr eine neue Form von Selbstorganisation sprechen. Endete der

    Kampf hingegen mit einer Niederlage, dann kommt das groe Reinemachen.Es werden alle gefeuert, die der Gegenseite miliebig sind. Gleichgltig, ob sieetwas mit der Fhrung des Kampfes zu tun hatten oder nicht.

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    Es mu wie gesagt nicht sein, aber es kommt immer wieder vor, da sich diegewhlten Vertreter der Belegschaft auf die andere Seite der Barrikade stellen.Sie versuchen oft, jede Art von Kampf zu verhindern oder sich herauszuhalten.Dann ist es zweifellos richtig und wichtig, da sich die kmpfende Belegschaftvon ihnen trennt. Dann mu man provisorische eigene Kampforgane bilden.

    Dazu bedarf es einer Initiative. Diesen Vorschlag zum richtigen Zeitpunkt zumachen und mit Rat und Tat dabei zu helfen, ist die Aufgabe eures Komitees.

    3. Fr oder gegen die bestehenden Gewerkschaften

    Anstze (oder auch Reste) von Selbstorganisation sind immer Elementevon Gegenmacht. Sie stellen das herrschende System potentiell in Frage. Dabeiist es zweitrangig, in welcher Form sie auftreten und unter welchem Namen. Ob

    es sich um whrend des Kampfes improvisierte neue Organe handelt oder umalte Organisationsformen, die durch den Kampf neu belebt wurden. Es kommtauf den Inhalt an. Dabei ist es nicht immer richtig, provisorische Kampforganenach Beendigung eines Kampfes unbedingt beibehalten zu wollen. [52] DerVersuch, sie knstlich am Leben zu erhalten, sie parallel zu den herkmmli-chen Organisationen oder gar in Konkurrenz zu ihnen arbeiten zu lassen, istin der Regel zum Scheitern verurteilt. Ein als Kampforgan gebildetes Streik-Komitee wird gegenber Betriebsrat und Gewerkschaft auf deren ureigenstem

    Gebiet, dem tglichen Kleinkrieg, bald unterliegen. Nicht zuletzt deshalb, weilihm deren routinierte Verwaltungstaktik fremd ist. Das Problem ist am bestendadurch zu lsen, da im Zeitraum einer Kampfpause die neuen Organe perso-nell an die Stelle der alten gesetzt werden, nicht daneben. Versagt hat in einemKampf nicht der Betriebsrat oder die Gewerkschaft als solche. Versagt habenvielmehr die Personen, die auf den entsprechenden Posten saen. Aber nicht alsPersonen, sondern als Vertreter einer bestimmten Strategie. Sie mssen abge-lst werden. Aber mit neuen Personen und einer neuen Strategie mu auch ein

    neuer Arbeitsstil in die Funktionen einziehen. Die neuen Leute fassen sich nichtmehr als Vertreter der Belegschaft auf, sondern sie organisieren deren Selbst-ttigkeit. Die Ablsung gestaltet sich allerdings oftmals schwierig. Die altenFunktionre sitzen auf ihren Posten nicht als Einzelpersonen, sondern sie wer-den vom Gewerkschaftsapparat gesttzt. In Verbindung mit diesem gehren sie(meistens) einer vom SPD-Apparat gesteuerten Fraktion an, die aber nicht alssolche in Erscheinung tritt. Sie hat es gar nicht ntig, als Fraktion aufzutreten.Sie ist in den Gewerkschaftsapparaten ganz einfach unter sich. Das ist so, weil

    sie dort als einzige organisierte Kraft arbeitet. Dagegen ist natrlich von Einzel-nen mit noch so viel gutem Willen nichts auszurichten. Durch organisierte Ge-genmanahmen kann die selbstverstndlich erscheinende Vorherrschaft dieser

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    Fraktion jedoch erschttert [53] werden. Es gibt eine Reihe von Beispielen, diezeigen, da das sehr wohl mglich ist. Man darf sich dabei aber nicht auf ihreEbene begeben, in ihre Haut schlpfen. Wenn man sich darauf beschrnkt,sie auf manipulierten Kongressen durch Kampfabstimmungen mit Hilfe vonZufallsmehrheiten zurckzudrngen, wird das Ergebnis sehr fragwrdig sein.

    Wir haben in unserem Kampf gegen die Brokraten einen Vorteil, den sie selbstniemals erlangen knnen. Unsere Strke liegt im Zusammenwirken der beidenFaktoren Organisiertheit und Spontaneitt. Dieser Erscheinung stehen die B-rokraten ebenso hilflos gegenber, wie das herrschende System. Sie haben einehllische Angst vor irgendwelchen spontanen und selbstndigen Massenakti-onen, die ihrer Kontrolle entgleiten. Der auf selbstndige, koordinierte Mas-senaktionen gesttzten Organisationsarbeit, bzw. der durch koordinierende or-ganisatorische Manahmen vor Isolierung und Wirkungslosigkeit geschtzten

    selbstndigen Massenaktion ist auch der bestgelte Apparat nicht gewachsenWenn berhaupt, dann ist es auf diesem Wege mglich, die organisierte Arbei-terbewegung, namentlich die Gewerkschaften, wieder zu dem zu machen, alswas sie in bester Absicht gegrndet wurden: Hilfsorgane zur Koordinierungund Organisierung des Kampfes ihrer Mitglieder, Selbstorganisation der lohn-abhngigen Massen. Es ist also unsinnig, die Gewerkschaften rundweg abzu-lehnen. Nicht weniger unsinnig ist es jedoch, sie vorbehaltlos zu bejahen oderbernehmen zu wollen. Es gibt Krfte, die die Gewerkschaften, so wie sie sind,

    der SPD ausspannen mchten, um sie fr ihre eigenen Zwecke einsetzenzu knnen. Nahezu jeder linke Verein bis hin zur KP trumt davon. DieBrokraten in den Apparaten betrachten die Gewerkschaften als ein Werk-zeug. Wie das herrschende [54] System seine Armee. Sie haben es geschafft,die Gewerkschaften umzufunktionieren. Niemand denkt, wenn er Gewerk-schaft hrt, an kmpfende Arbeiter. Jeder denkt zunchst an ein Brohochhaus.Das Gewerkschaftshaus ist nicht wie Bebel sagte eine Waffenschmiede derArbeiterklasse. Es ist vielmehr wie die Arbeiter sagen ein Bonzenaqua-

    rium. Um das zu ndern, gengt es nicht, den Apparat auszuwechseln. DieGewerkschaften mssen vielmehr zurckfunktioniert werden.

    4. Der innere Feind

    Auf das Problem des Verhltnisses zwischen Parteien und Gewerk-schaften in der traditionellen Arbeiterbewegung, sowie auf die Beziehung zwi-schen Kader- und Massenorganisation soll in Krze in einer gesonderten Schrift

    ausfhrlicher eingegangen werden.[6] Das Thema Organisationstheorie ist[6] Berni Kelb, Organisieren oder organisiert werden. Vorschlge fr Genossen links

    unten, Berlin/W 1973 (Wagenbach Politik 39)

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    fr den Rahmen dieser Schrift zu umfangreich. Von dem Gebiet hier nur einekurze Warnung zur Pflege des notwendigen Mitrauens. Die Hauptamtlich-keit der Organisationsapparate ist zweifelsohne die wesentliche Ursache fr dasVersagen der traditionellen Arbeiterbewegung. Von fremdfinanzierten Organi-sationen wird hier ganz abgesehen. Dazu gehren heute alle Parteien. Organisa-

    tionen, deren Apparat fr die Mitgliedschaft finanziell untragbar ist, kann mannicht mehr zur Arbeiterbewegung zhlen. Doch selbst in Bezug auf die Gewerk-schaften wre es heute unrealistisch, wollte man fordern, da die hauptamtlichenApparate abgeschafft werden sollen. Es mu aber etwas getan werden, ihrenEinflu zu beschrnken. Dazu eignet sich die Forderung, da Gewerkschafts-funktionre nicht mehr verdienen sollen, als den Tarif- [55]lohn, den sie fr ihreKollegen aushandeln. Auerdem sollen die Mitglieder genau erfahren, wievielein Funktionr verdient. Dieser Verdienst liegt heute offenbar jenseits der An-stndigkeitsgrenze; denn die Funktionre schmen sich, ihn den Mitgliedern

    zu nennen. Der Gewerkschaftsbeitrag diente ursprnglich der Bildung einesKampf-Fonds. Wenn einer sich von diesem Geld ein flottes Leben machte, wur-de das Unterschlagung genannt und entsprechend geahndet. Heute leben dieGewerkschaftsfunktionre alle standesgem. Dieser Tatbestand wurde le-galisiert und wird nicht mehr Unterschlagung genannt. Seid mitrauisch! Derhauptamtliche Funktionr fhlt sich als Manager. Er denkt und gibt sichwie ein richtiger Manager. Was er tut, tut er fr seine Karriere. Dafr stehter unter Leistungsdruck. Wie jeder Manager. Seine Leistung: Das Vertrauender Mitglieder erhalten, Argwohn und Mitrauen einschlfern und Kritik am

    Apparat abwrgen. Er tut es angeblich fr die Organisation: Mehr Mitglieder,mehr Beitrge, mehr Einflu fr die Organisation. In Wirklichkeit heit das:Mehr Ansehen, mehr Privilegien, mehr Macht fr ihn und die brigen Mit-glieder des hauptamtlichen Apparates. Macht. Wessen Macht und worber?Die Gewerkschaftsfhrung soll die Macht der Mitglieder gegenber demherrschenden System verkrpern. Tatschlich verkrpert sie aber Macht berdie Mitglieder. Fr das herrschende System. Sie ist ein Teil des herrschendenSystems geworden. Sie fat sich eingestandenermaen als Ordnungsfaktorauf, als Sttze der Gesellschaft. Die Macht der Fhrung ber die Mitglieder,von denen sie eigentlich abhngig ist, beruht auf manipuliertem Vertrauen.Dafr wird der hauptamtliche Funktionr bezahlt. Das ist sein Job. Er hat da-fr zu sorgen, da [56] dieses blinde Vertrauen erhalten bleibt. Mit allen Mit-teln. Wenn es sein mu, mit List und Betrug. Aufmerksame, mitrauische Mit-glieder gefhrden diese Macht. Man wird noch eine Weile mit hauptamtlichenFunktionren in den Gewerkschaften leben mssen; vertrauen mu man ihnennicht. Der hauptamtliche Funktionr soll Diener seiner Organisation sein. Er-fahrungsgem versucht er, sich zum Herrn aufzuschwingen. Sobald man ihm

    vertraut, entzieht er sich der Kontrolle. Deshalb ist es richtig und notwendig,dagegen die Losung zu verbreiten:

    Trau keinem, der dafr bezahlt wird! [57]

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    Jrg HuffschmidDie Bilanzanalyse

    Instrument zur Aufdeckung der Ausbeutung und des Profits

    I. Nutzen und Beschrnkung der Bilanzanalyse

    Die politische Arbeit im Betrieb, insbesondere die Agitation und Propaganda inBetriebszeitungen und Flugblttern sowie das Auftreten auf Betriebsversamm-lungen erfordern die Sammlung und richtige Auswertung mglichst vieler undgenauer Informationen ber die Betriebe und Unternehmen selbst. Hierzu ge-hren neben den Berichten ber die Vorgnge in den einzelnen Werken, Hallen

    und Abteilungen auch die Bearbeitung des Materials, das die Kapitalisten selbstverffentlichen, also der Unterlagen fr Pressekonferenzen und vor allem derGeschftsberichte, die alle Aktiengesellschaften und groen GmbHs jedes Jahrverffentlichen mssen und die ber den Verlauf des Geschfts innerhalb einesJahres bestimmte Ausknfte geben. Diese Geschftsberichte enthalten nebender allgemeinen Berichterstattung ber die wirtschaftliche Lage des Unterneh-mens regelmig eine Bilanz (die Aufstellung aller Vermgenswerte und Ver-

    bindlichkeiten), sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung (grob gesagt: eine

    Aufstellung ber die Ausgaben und Einnahmen des Unternehmens in einemJahr). Diese Gewinn- und Verlustrechnung ist der wichtigste Ausgangspunkt frdie Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, der Ausbeutungder Arbeiterklasse und des Profits der Kapitalisten. Im folgenden soll gezeigtwerden, wie man die in der Gewinn- [58] und Verlustrechnung gegebenen Zah-len bearbeiten mu, damit man durch das offizielle Blabla der Kapitalisten hin-durch der Wirklichkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses nherkommt.Die Notwendigkeit, die offiziellen Zahlen zu bearbeiten und zu korrigieren,

    folgt aus der Tatsache, da die Geschftsberichte nicht fr die Arbeiter, sondernfr die anderen Kapitalisten und fr die Glubiger vorwiegend die Banken gemacht werden. Sie sollen den Arbeitern die Wirkl