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2018. 116 S., mit 24 Abbildungen ISBN 978-3-406-72855-6 Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.chbeck.de/25219043 Unverkäufliche Leseprobe © Verlag C.H.Beck oHG, München Berthold Riese Machu Picchu Die geheimnisvolle Stadt der Inka

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2018. 116 S., mit 24 Abbildungen ISBN 978-3-406-72855-6

Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.chbeck.de/25219043

Unverkäufliche Leseprobe

© Verlag C.H.Beck oHG, München

Berthold Riese Machu Picchu Die geheimnisvolle Stadt der Inka

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Die Inka-Stadt Machu Picchu gab Wissenschaftlern seit ihrerEntdeckung durch den Amerikaner Hiram Bingham 1911 Rät-sel auf: War sie Zufluchtsstätte der vor den Spaniern flüchten-den letzten Inka und der «Sonnenjungfrauen»? Diente sie alsBollwerk gegen feindliche Tieflandindianer? Wie haben dieMenschen dieser frühen Hochkultur gelebt? Kenntnisreich re-konstruiert Berthold Riese die Lebensweise der Bewohner Ma-chu Picchus, erzählt die Geschichte seiner Entdeckung und bie-tet einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung dieser Stadteines untergegangenen Volkes.

Berthold Riese ist Professor em. für Ethnologie und Altameri-kanistik an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-UniversitätBonn. Bei C.H.Beck erschienen von ihm Die Maya (8. Aufl.2018), Das Reich der Azteken (2011) und Die Inka (2016).

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Berthold Riese

M AC H U P I C C H UDie geheimnisvolle Stadt der Inka

Verlag C.H.Beck

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Mit 24 Abbildungen

1. Auflage. 20042., überarbeitete Auflage. 2012

3., durchgesehene Auflage. 2018

Originalausgabe© Verlag C.H.Beck oHG, München 2004

Satz: C.H.Beck.Media.Solutions, NördlingenDruck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen

Umschlagmotiv: Giovanni Dagli Orti, aus Lavallée/Lumbreras:Die Andenvölker, C.H.Beck 1986

Umschlagentwurf: Uwe Göbel, MünchenPrinted in Germany

isbn 978 3 406 72855 6

www.chbeck.de

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Inhalt

Einleitung 7

I. Die Wiederentdeckung Machu Picchus 111. Hiram Binghams Expedition von 1911 112. Die Expedition von 1912 173. Die Expedition von 1915 184. Der Entdecker kostet seinen Ruhm aus 225. Neid und Nationalismus 256. Aussöhnung 26

II. Die Inka 281. Ihr mythischer Ursprung 282. Pacha Kutiq Inka Yupanki gründet das Reich 303. Spanier erobern das Inka-Reich 354. Rückzug des Inka nach Anti Suyu 395. Das Ende des letzten Inka 41

III. Die Stadt Machu Picchu 431. Stadtmauer und Stadttor (Inti Punku) 432. Die zentrale Gruppe (Yachay Wasi) 463. Das Haus des Inka (Inka Wasi) 524. Der Heilige Platz (Inti Kancha) 535. Die Sonnenwarte (Inti Watana) 576. Der Große Platz (Inti Pampa)

und die Zweiteilung der Stadt 607. Die Unterstadt (Hurin Machu Picchu) 628. Die Wasserversorgung 699. Terrassen und Feldscheunen 74

10. Die Gipfel Wayna und Machu 7711. Heilige Felsen, Berge und Höhlen 7912. Das Wegenetz 8113. Die Gesamtanlage 83

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IV. Wem und wozu diente Machu Picchu? 871. Machu Picchu als Ursprungsort der Inka 872. Grenzfeste gegen das Tiefland 883. Landsitz Pacha Kutiqs 904. Regierungssitz der Inka-Herrscher

in der frühen Kolonialzeit 905. Zufluchtsstätte der Sonnenjungfrauen 91

V. Machu Picchu in Gegenwart und Zukunft 931. Die Erschließung 932. Das Weltkulturerbe 953. Welche Gefahren drohen Machu Picchu

in der Zukunft? 96

VI. Das politische Symbol 100

Literatur 103Abbildungsverzeichnis 107Register 108

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Einleitung

«Von den anerkannten Weltwundern wurden die hängendenGärten in Babylon, der Artemis-Tempel zu Ephesos, die Statuedes olympischen Zeus, der Koloß zu Rhodos, das Mausoleumin Halikarnassos und der Leuchtturm von Alexandria durch dieZeiten zerstört. Allein die berühmte Cheops-Pyramide ist nochvorhanden! Auf gleicher Stufe mit ihr gebührt Machu Picchuder Rang eines achten Weltwunders.» Diese Worte eines perua-nischen Generals zeigen, mit welchem Stolz Peru auf diese Inka-Stadt blickt. Wie kommt es, daß der kleine, verlassene BergortMachu Picchu zu solchem Ruhm gelangte, nachdem er 500 Jah-re lang unbeachtet auf einem Felsgrat im unzugänglichenHinterland Perus geschlummert hatte? Was war und ist er dies-seits von schwärmerischem Lobgesang und touristischer Ver-marktung wirklich?

Unser wissenschaftliches Bild von der vorspanischen StadtMachu Picchu beruht auf der historischen Forschung: den Bo-denfunden, die in Machu Picchu in Form von Gräbern und stei-nernen Bauwerken vorliegen, sowie der schriftlichen Überliefe-rung. Bei letzterer steht nur das zur Verfügung, was nach derspanischen Eroberung niedergeschrieben wurde, also zu einerZeit, als die Stadt bereits verlassen war. Die Inka selbst kanntennämlich keine Schrift und haben ihre Geschichte daher nurmündlich überliefert, unterstützt von den Khipu genanntenKnotenschnüren. Schließlich versucht der gewissenhafte Ar-chäologe und Historiker auch immer, örtliche Traditionen insein Bild von der Vergangenheit einzubeziehen. Hier kommtzum Tragen, daß in Peru insgesamt und besonders in entlegenenBergtälern, wie dem des Uru Pampa-Flusses, über dem sichMachu Picchu erhebt, die altindianische Sprache, das RunaSimi oder Quechua, wie sie auch genannt wird, noch lebendigist. Das meiste von dem, was ich über die Menschen, die früher

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in der Stadt lebten, und über die Funktion von Gebäuden undder Gesamtanlage erschließen kann, basiert aber letztlich nichtauf örtlichen Legenden der Indianer, sondern auf den reichhal-tigen kolonialzeitlichen Schriftquellen und auf wissenschaft-lichen Studien, vor allem aus der Archäologie. Sie sind wie auchdie anderen von mir benutzten Quellen im Literaturverzeichnisnachgewiesen, wobei ich, wenn möglich, deutsche Ausgabenanführe.

Ein besonders interessanter Aspekt Machu Picchus ist dieVereinnahmung der Inka-Stadt durch Politik und Kultur desmodernen Peru und durch den globalen Tourismus; neuerdingsauch durch esoterische Indigenisten, also Menschen, die glau-ben, daß Altindianisches nur von Abkömmlingen der ehemali-gen Erbauer und Bewohner verstanden und verbreitet werdenkann. Auch das wird Thema meines Buches sein, allerdings nurin einem abschließenden Ausblick und selbstverständlich ausder Distanz des europäischen Forschers und Nicht-Indianers.Wesentlichstes Anliegen meines Buches ist es aber, einen wissen-schaftlich begründeten und daher von populären Klischees sehroft abweichenden Einblick in die Stadt Machu Picchu selbst zugeben.

Lesern, die andere Bücher über altperuanische Kulturen ken-nen, wird die schwankende Schreibung von Wörtern der Que-chua-Sprache und ihre Verballhornung im Spanischen ein steterVerdruß sein. Um das zu vermeiden und einigermaßen konse-quent und klar zu sein, nehme ich den Standpunkt eines Ein-heimischen aus der Zeit der Inka ein und rekonstruiere indiani-sche Namen in eine möglichst korrekte Form des Runa Simi,wie es in Qusqu, dem heutigen Cusco, im 16. Jahrhundertgesprochen wurde. Um den Bezug zu anderen Veröffentlichun-gen und zur modernen Geographie herzustellen, ist der erstenErwähnung die heute übliche oder offizielle Schreibung inKlammern beigefügt. Aus diesem Grund habe ich im Titel undim Text des Buches Machu Picchu und andere Namen, dieden Bestandteil picchu enthalten, in der üblichen, wenn auchnicht korrekten Schreibung picchu belassen, anstatt pikchu zuschreiben.

8 Einleitung

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Es ist mir ein Anliegen, denen herzlich zu danken, die michbei bibliographischen Recherchen, in sprachlichen Fragen, beimBeschaffen von Abbildungen und Entwerfen der Karten sowiebeim Korrekturlesen unterstützt haben. Mein Dank gilt BaldurKöster, Sabine Dedenbach Salazar-Sáenz, Katja Hannß, AlbertMeyers, Christian Prager, Frauke Sachse, Malte Schnitgerund Josef Szykulski, Harald Grauer und Amrai Coen. Auch denUrhebern und Verlagen, die mir erlaubten, aus ihren Werken zuzitieren und Illustrationen zu übernehmen, danke ich.

Germering, im Frühjahr 2018 Berthold Riese

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Abb. 1: Das Inka-Reich

Südamerika

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I. Die Wiederentdeckung Machu Picchus

1. Hiram Binghams Expedition von 1911

Hiram Bingham (Abb. 3), protestantischer Theologe und Histo-riker, hatte schon 1907 und 1909 in zwei Abenteuerreisen Süd-amerika durchquert und war daher mit den dortigen Lebens-umständen und Problemen vertraut, als er eine weitere Reiseplante. Hauptmotive dafür waren die Lust auf Abenteuer undFreude an der Selbstdarstellung. Den Drang nach Abenteuernverband er mit dem soliden Wissen des Historikers, indem erseine Kenntnisse der lateinamerikanischen Geschichte nutzte,um sich lohnende Ziele für Entdeckungen zu suchen. So wollteer berühmt werden. Er schmiedete also schon 1910 erneutPläne für eine dritte Südamerika-Expedition. Sie waren anfangsallerdings noch sehr unklar und konkretisierten sich erst, als derErdöl-Millionär Edward S. Harkness (1874–1940) als Geld-geber einsprang und ihm gleichzeitig die Wahl der Expeditions-ziele weitgehend abnahm. Seinem Förderer zuliebe konzen-trierte Bingham sich auf die geologische und topographischeErkundung Perus. Eine Gruppe von sieben Männern war baldzusammengestellt. Die eine Hälfte reiste im Mai, die andere imJuni 1911 mit dem Dampfschiff von New York aus ab.

In Peru angekommen, holte Bingham die Zustimmung desStaatspräsidenten Augusto Leguia zu den Expeditionszielen undgeplanten Arbeiten ein und kontaktierte örtliche Wissenschaft-ler, von deren Erfahrung und Informationen er sich einiges ver-sprach. Unter ihnen war auch Max Uhle (1856–1944), den dieamerikanische Archäologie heute als herausragende Forscher-persönlichkeit würdigt. Bingham aber scheint von dem Deut-schen wenig beeindruckt gewesen zu sein, wohl vor allem, weiler die Archäologie noch kaum ins Visier seiner eigenen Arbeitengenommen hatte, sondern vor allem geologisch und geogra-phisch zu forschen beabsichtigte.

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Zunächst glaubte Bingham, durch alte, bei Cusco ausgegra-bene Menschen- und Tierknochen, die er unter vermeintlichmächtigen späteren Ablagerungen entdeckt hatte, einem eiszeit-lichen «Homo Americanus» auf die Spur gekommen zu sein.Das wäre eine wissenschaftliche Sensation geworden, denn bisdahin galt die Anwesenheit von Menschen auf dem amerikani-schen Kontinent als relativ jung. Daher billigte man den ameri-kanischen Ureinwohnern auch nicht den Status einer eigenenGroßrasse zu, sondern klassifizierte sie als mongolische Rasse.In der vorschnellen und peinlich falschen Annahme des hohenAlters dieser Funde bestärkte ihn der physische AnthropologeGeorge F. Eaton, der die nach Nordamerika gesandten Knochenim Labor der Yale University untersuchte und als Ergebnis be-hauptete, eine bisher unbekannte Bisonart in ihnen entdeckt zuhaben. Da diese Bisonart längst ausgestorben sei, müßten dieKnochenfunde sehr alt sein! Man verfügte damals noch nichtüber naturwissenschaftliche Verfahren, um das Alter von Kno-chen direkt zu bestimmen, sondern war auf Indizien angewie-sen. Diese bestanden im wesentlichen in geologisch-archäo-logischer Stratigraphie und konnten nur im Feld angemessenentwickelt und beurteilt werden, nicht jedoch im Labor, wieEaton es versuchte. Vom vermeintlichen Alter der Bisonkno-chen schloß man dann darauf, daß die sie begleitenden Men-schenknochen ebenso alt seien. Die Fundstelle entpuppte sich,unter anderem wegen der wissenschaftlichen Aufrichtigkeit Ea-tons, nach einer späteren Untersuchung einfach als Abfallgrubevon Rinderschlachtungen; und alle dort gefundenen Knochenwurden als dem erst von spanischen Siedlern eingeführtenHausrind oder dem modernen Menschen zugehörig bestimmt.

Als nächstes ging die Expedition auf die Suche nach bisherunbekannten Inka-Ruinen. Bingham wählte das Uru Pampa-Tal(heute: Urubamba), das in seinem Oberlauf Willka Nuta (heute:Vilcanota) genannt wird, und sammelte in der Provinzhaupt-stadt Cusco Hinweise auf möglicherweise interessante Ruinen-stätten. Auch hatte er sich als Historiker zur Vorbereitung sei-ner Expedition mit den Schriften spanischer Chronisten aus derKolonialzeit vertraut gemacht, die gelegentlich über diese Ge-

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gend berichtet haben. In Cusco wurde ihm eine Ruine namensMachu Picchu als mögliches Ziel genannt. Zwar hatte schon40 Jahre vor ihm der französische Forscher Charles Wiener den-selben Hinweis erhalten, doch hatte Wiener sich in der Loka-lisierung des Ortes verschätzt und war auf seiner Reise daher,ohne es zu merken, unterhalb der Ruine vorbeigezogen. Etwaum die gleiche Zeit hat August Bens, der im Uru Pampa-Tal eineSägerei betrieb, Machu Picchu vermutlich schon besucht undvielleicht sogar Begräbnishöhlen ausgenommen. Bingham maßder ihm genannten Ruinenstätte Machu Picchu damals keinerleibesondere Bedeutung zu. Er erreichte auf seiner Erkundungüber das Provinzstädtchen Ollantay Tampu (heute: Ollantay-tambo) am 23. Juli 1911 Torontoy. Von diesem Dorf aus führteihn der ansässige Indianer Melchor Arteaga am folgenden Tagauf einem alten Inka-Pfad den steilen Hang hinauf zu den Ma-chu Picchu genannten Ruinen, vorbei an einem alten Inka-Haus, in dem sich ein Bauer eingerichtet hatte und wo man aufdem mühsamen Anstieg eine willkommene Rast einlegte.

Machu Picchu war nur einer von vielen Ruinenorten, die

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Abb. 2: Blick über die Stadt auf den Wayna Picchu

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Bingham auf dieser Explorationsreise besichtigen wollte, undso hielt er sich dort nicht lange auf, sondern setzte seinen WegUru Pampa-abwärts schon am folgenden Tag fort. An derBrücke von Chuqi Chaka, etwa 20 Kilometer flußabwärts vonMachu Picchu, entschloß sich Bingham, das hier einmündendesteile Tal des Willka Pampa-Flusses (heute: Vilcabamba) hin-aufzusteigen, um nach den dort vermuteten Ruinen der letztenInka-Festungen aus der Zeit der spanischen Eroberung zu su-chen. Er wußte aus seiner Lektüre kolonialzeitlicher Chroni-sten, daß die Inka den Spaniern dort nach 1532 noch einigeJahrzehnte getrotzt hatten, und er war begierig, ihre Zufluchts-orte und Burgen zu entdecken. Die Brücke von Chuqi Chakatrug immer noch den Namen, mit dem auch alte kolonialzeit-liche Chroniken die Eingangspforte zum Inka-Reich von Will-ka Pampa bezeichnen. So konnte Bingham sich mit Recht eini-ges von der Erforschung dieses Seitentales erhoffen.

In Rosas Pata und in Espiritu Pampa fand er tatsächlich be-deutende Ruinen aus der Inka-Zeit, die er mit den Städten Wit-kos bzw. Willka Pampa, also den letzten Residenzen der Inka-Herrscher, gleichsetzte. Die Unterschiede der ursprünglichenund heutigen Namen erscheinen zunächst verwirrend. Dochwenn man bedenkt, daß Ortsnamen gegenwärtig oft neu erfun-den werden, weil das Gebiet zeitweilig unbesiedelt war, undwenn man außerdem berücksichtigt, daß sich die Bezeichnungin den spanischen Quellen oft nur auf die Gegend, also denFlußlauf, beziehen, aber nicht auf bestimmte an ihm gelegeneOrte, wird man sich von historisch wenig aufschlußreichenmodernen Namen wie «Geisterebene» (Espiritu Pampa) in derSuche nicht entmutigen lassen. Die Identifizierung dieser Rui-nen mit Orten der letzten Inka-Zuflucht gelang Bingham auf-grund seines Wissens um diese Probleme und dank seines inten-siven Quellenstudiums. Ein Ansatzpunkt für die Identifizierungwar, daß einige wenige Namen die Veränderungen überdauerthatten, wie zum Beispiel die genannte Brücke von Chuqi Chakaund das Flußtal Willka Pampa. Das alles kombinierte Binghamund kam zu durchaus fundierten Rekonstruktionen. Aufgrundihrer historischen Bedeutung hielt er diese Entdeckungen da-

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mals auch für viel wichtiger als die von Machu Picchu. Erstsehr viel später nahm er eine Umdeutung vor, die ihn von dergut begründeten und auch heute noch akzeptierten Identifizie-rung der letzten Inka-Zufluchtsorte mit Witkos/Willka Pampawegführte zur schlecht begründeten Zuweisung dieser Rolle anMachu Picchu und damit verbunden zu weiteren phantasti-schen Spekulationen über das Alter und die Geschichte MachuPicchus. Dabei nahm er nicht einmal die ihm vermutlich be-kannten Erwähnungen Machu Picchus in den kolonialzeit-lichen Quellen zur Kenntnis, die ihn von seinen irregeleitetenSpekulationen hätten abbringen und zu substantielleren, wennauch weniger spektakulären Deutungen Machu Picchus hät-ten führen können. Dieser Schritt wurde erst 50 Jahre spätervon dem nordamerikanischen Historiker John Howland Rowegetan.

Nun waren aus damaliger Sicht zwei der vier Expeditionszieleerreicht. Es blieb noch Binghams Hauptziel, die Besteigung des,wie damals vermutet wurde, höchsten Bergmassivs der peruani-schen Anden, des Qoro Puna (heute: Nevado de Coropuna). Mitzwei einheimischen Begleitern gelang ihm auch dieses anstren-gende alpinistische Unternehmen. Er bezwang immerhin einenüber 6000 Meter hohen eisgepanzerten Gipfel des Massivs.Doch die eigentliche Motivation, als Erstbesteiger des höchstenBerges von ganz Peru oder wenigstens von dieser Gegend in diealpinistischen Annalen einzugehen, mißlang. Schon bei seinerVorbereitung wußte er, daß die Alpinistin Annie S. Peck das glei-che Ziel verfolgte, denn sie hatte ihn freundlich eingeladen, ge-meinsame Sache bei der Besteigung des Qoro Puna zu machen.Anstatt ihr großherziges Angebot anzunehmen, bat Bingham siemit männlicher Arroganz, doch zu seinen Gunsten auf ihre eige-ne Besteigung zu verzichten. Annie Peck, eine gestandene Frau-enrechtlerin, ließ sich aber nicht einschüchtern. Und in der Tatstand sie einige Wochen vor Bingham auf einem Gipfel des QoroPuna-Bergmassivs. Bingham konnte sich nach seiner eigenenBesteigung am 15. Oktober zwar rühmen, einen um wenige hun-dert Meter höheren Gipfel erreicht zu haben als seine Konkur-rentin; und damit hatte er den Vorrang des Mannes gegenüber

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der Frau wiederhergestellt. Aber so ganz vermochte er seinenübermäßigen Geltungsdrang nicht zu befriedigen, denn es mußihm klar gewesen sein, daß der Qoro Puna nicht die Höhe desetwas weiter nördlich gelegenen Berges Waskaran (heute: Hua-scarán, 6770 Meter) oder des in den Südanden Argentiniens auf-ragenden Aconcagua (6860 Meter) erreicht. Die größte Enttäu-schung erlebte er aber, als er, erschöpft oben angekommen, fest-stellte, daß der benachbarte Gipfel noch höher war, ihm aberZeit und Kraft fehlten, ihn ebenfalls zu besteigen.

Die letzte Komponente der Expedition überließ Binghamweitgehend seinen Mitarbeitern. Es war die topographischeAufnahme eines Querschnittes durch die Anden entlang dem73. Längengrad. Auch das gelang zufriedenstellend, allerdings,wie gesagt, vornehmlich durch Binghams Mitarbeiter, die die-sen Teil der Expeditionsergebnisse später wissenschaftlich vor-bildlich veröffentlicht haben.

Während dieser Unternehmungen der anderen Expeditions-teilnehmer begab sich Binghams Assistent Paul Baxter Laniusfür knapp drei Wochen nach Machu Picchu, um die Bauresteaufzunehmen. Es ist seine Arbeit und die seiner sechs Begleiter,

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Abb. 3: Hiram Bingham zur Zeitseiner Entdeckung Machu Picchus

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die noch heute Grundlage aller kartographischen und baukund-lichen Darstellungen Machu Picchus bilden. Daß der Expedi-tionsleiter Bingham diese wichtige Arbeit nicht selbst durch-führte, sondern sie seinem jungen und unerfahrenen Assistentenüberließ, wird vor dem Hintergrund verständlich, daß MachuPicchu damals eben noch keine hervorragende Stellung im Rah-men der Expeditionsziele einnahm.

Am 12. Dezember 1911 traf Bingham auf der Rückreise vonseiner ergebnisreichen Expedition in Panama ein, wo er sich mitseiner Frau traf, die von ihrem Sommerwohnsitz in Jamaikaangereist war. Die Expedition nach Peru hatte damit, nach guteinem halben Jahr Feldarbeit, einen erfolgreichen Abschlußgefunden, und Bingham konnte die wohlverdiente Ruhe imKreise seiner Familie genießen.

2. Die Expedition von 1912

Der Erfolg der Expedition von 1911 mit ihren vielen Entdek-kungen von Inka-Ruinen in den entlegenen Bergen der UruPampa- und Willka Pampa-Täler, den geographischen Vermes-sungen entlang des 73. Meridians und der Erstbesteigung einesder Gipfel des Qoro Puna-Bergmassivs ließen Bingham eineFortsetzung seiner Karriere als Geograph und nun auch als Ar-chäologe planen. Er war in den besten Jahren für solche Unter-nehmungen, knapp über 30, durchtrainiert und voller Taten-drang.

Im Juli und August des Jahres 1912 reiste er, vor allem zurVervollständigung seiner photographischen Dokumentation,für knapp zwei Wochen nach Machu Picchu. Er profitierte da-bei von der mühevollen Arbeit seiner Assistenten im Vorjahr,die große Teile der Ruinen von Buschwerk und Bäumen befreithatten, um ihre kartographische Aufnahme durchzuführen,denn dadurch hatte er freie Sicht auf die Gesamtanlage und diewichtigsten Bauwerke. Bingham kümmerte sich während seineszweiwöchigen Aufenthalts nur um die photographische Doku-mentation und reiste nach deren Abschluß sofort wieder ab.Andere Mitarbeiter blieben noch mehrere Monate in Machu

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Picchu, um archäologische Arbeiten durchzuführen, vor allemdas Aufspüren und Ausnehmen von Höhlenbestattungen in dendie Stadt umgebenden Steilhängen. Rund 100 Bestattungennahm George F. Eaton aus, der diesmal mit ins Feld gereist war,wobei ihm drei Einheimische zur Hand gingen. Insgesamtkonnte er so Knochenreste von über 160 Individuen dokumen-tieren, denn die meisten Gräber waren mit mehreren Personenbelegt. Die Hälfte der etwa 50 aufgefundenen Grabstätten unterFelsüberhängen und in Höhlen waren zwar im Laufe der Jahr-hunderte schon geplündert worden. Doch fanden sich noch ge-nügend unberührte Gräber, um eine gute osteologische Unter-suchung durchführen zu können mit dem Ziel, die Zusammen-setzung der ehemaligen Bevölkerung des Ortes zu studieren.Eine wirklich gründliche Auswertung mit angemessenen Me-thoden ist damals aber nicht vorgenommen worden, obwohldas vorläufige Ergebnis des Überwiegens weiblicher Skelette(85%) gegenüber männlichen (15%) erstaunt und erklärungs-bedürftig erscheint.

Bingham selbst setzte seine Erkundung von und Suche nachInka-Ruinen im benachbarten Tal des Watanay (heute: Huata-nay) und in den Bergen zwischen den Flüssen Uru Pampa undApu Rimaq (heute: Apurímac) fort. Llakta Pata und Palkaykonnte er als Frucht dieser Bemühungen in die Liste der vonihm entdeckten und vorläufig explorierten bedeutenden Rui-nenorte neu eintragen. Von seinen indianischen Führern aufeinem verschneiten Paß im Stich gelassen, wäre er am Ende fasterfroren, erreichte aber doch noch glücklich das Tal und trat imDezember vom Pazifikhafen Callao aus die Heimreise an.

3. Die Expedition von 1915

Nach den erfolgreichen Expeditionen von 1911 und 1912 ge-lang es Bingham, wiederum mit Unterstützung seiner Univer-sität, ein neues Expeditionsteam zusammenzustellen. Zu denAufgaben dieses dritten Jahres gehörten neben archäologischenund kartographischen jetzt auch botanische und zoologischeArbeiten. 1914 war die Mannschaft beisammen, wenn auch die

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hohen Erwartungen, die der inzwischen berühmte Leiter Bing-ham an sein wissenschaftliches Personal geknüpft hatte, ent-täuscht wurden. Bingham war wohl ein anspruchsvoller und ei-gensinniger Chef, so daß kaum einer der bewährten und erfah-renen früheren Teilnehmer bereit war, nochmals mit ihm zu rei-sen. Eine Vorausabteilung der neuen Gruppe kam noch im glei-chen Jahr in Peru an.

Bingham selbst stieß erst 1915 in Peru zu den übrigen Expe-ditionsteilnehmern. Der Grund für die Verzögerung war eineausgedehnte Pazifikreise mit seiner Familie. Er selbst hatte näm-lich seine Jugend in Hawaii verbracht und wollte seine Familiemit der Inselwelt des Pazifik bekannt machen. In der idyllischenKleinstadt Ollantay Tampu im oberen Uru Pampa-Tal hatte dieVorausabteilung ein Anwesen gemietet, denn Binghams Opti-mismus zielte darauf ab, dort mehrere Jahre hindurch ein For-schungshauptquartier der Yale-National-Geographic-Expedi-tionen einzurichten, so benannt nach ihren institutionellen Trä-gern. Es wurde von den ansässigen Quechua-Indianern YankiWasi, «Haus der Yankees», genannt und mißtrauisch beäugt,denn die Nordamerikaner waren exotische, in ihrem Tun kaumverständliche Eindringlinge in diesem entlegenen Landstädt-chen, in dem viele Einwohner nicht einmal Spanisch sprachen,sondern nur ihre angestammte Quechua-Sprache. Neidvolleund phantastische Gerüchte rankten sich bald um die Fremdenund ihre Arbeit.

Von Ollantay Tampu schwärmten die Forscher mit verschie-denen Aufgaben in alle Richtungen aus, beschränkten sich geo-graphisch aber auf die große und zerklüftete Bergregion vonWillka Pampa. Die Ruinen von Machu Picchu standen, wieschon bei den früheren Expeditionen, keineswegs im Vorder-grund ihres Interesses. Sie waren ja nur eine von mehreren be-deutenden Inka-Städten, die entdeckt und vorläufig erforschtwurden. Bingham war weiterhin ganz vom Entdeckerdrang imStile des 19. Jahrhunderts besessen, er strebte nach immer neuenFunden in noch unerforschten Tälern und auf bisher unbegan-genen Berghöhen. Um die Exotik und die Unzugänglichkeit dervon ihm explorierten Gegenden hervorzuheben, schreckte er

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nicht vor kleinen publizistischen Fälschungen zurück: So ließ erdie Telegraphenleitung auf einem Photo des Uru Pampa-Talesfür die Veröffentlichung entfernen, um die Abgelegenheit undUnerschlossenheit des Tales zu betonen.

Trotz dieser romantisch-irrationalen Absichten verfolgteBingham zunächst auch einen archäologisch sinnvollen Plan:Er wollte die Wegverbindungen rund um Machu Picchu erfor-schen, die Wege also, die Qusqu, Machu Picchu, Witkos undWillka Pampa miteinander verbanden, und zwar nicht die Tal-wege an den Ufern der Flüsse, die er und seine Genossen nunschon öfter beschritten hatten, sondern die Bergpfade. Die so-lide und fachgerechte Ingenieursleistung der Inka bot Gewährdafür, daß auch nach 500 Jahren diese Straßen über weiteStrecken noch erhalten und begehbar waren, auch wenn siezum Teil von Buschwald überwuchert waren, der erst wegge-schlagen werden mußte. Das Haupthindernis bei ihrer Bege-hung war jedoch nicht die üppige Vegetation, sondern Bergrut-sche, die im Laufe der Jahrhunderte einige Streckenabschnitteverschüttet hatten. Ein großes Problem stellten sie insofern dar,als solche Bergrutsche gerade an den steilsten und unwegsam-sten Streckenabschnitten abzugehen pflegen, wo kein Umwegoder Ausweg ihre Überwindung möglich macht. Immerhin ge-lang es Bingham in drei Monaten mühevoller Begehungen, dieBergpfade in ihrer Ausdehnung und Vernetzung kartographischaufzuzeichnen. Damit war bewiesen, daß Machu Picchu nicht,wie heute, nur oder hauptsächlich vom Flußtal aus zu erreichenwar, sondern daß man über Höhenwege aus drei Richtungenleichten Fußes dorthin gelangen konnte, gut instand gehalteneStraßen vorausgesetzt. Bingham legte damit unbeabsichtigtdas Fundament zum modernen Rucksacktourismus, der den«Camino Inka» genannten Wegen nach Machu Picchu folgt.

Hiram Bingham hatte noch andere archäologische Arbeitenfür diese Expedition im Sinn: Entdecken und Ausgraben wei-terer Ruinenstätten. Doch dazu kam es nicht mehr. Nach derRückkehr von seiner Inka-Straßenexpedition im Juli 1915überraschten ihn Mißtrauen und offene Feindschaft von seitenlokaler Zeitungen und einer in der Provinzhauptstadt Cusco

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gegründeten Historiker-Gesellschaft. Zwar war auch Binghamvon seinen früheren Reisen her klar, daß archäologische Aus-grabungen genehmigungspflichtig sind, doch niemand nahm esmit den Formalien solcher Genehmigungen sehr genau. Solangeder Forscher seine Absicht mündlich angemeldet sowie durchOffenlegung derselben und durch persönlichen Kontakt zu denmaßgeblichen Funktionären Vertrauen aufgebaut hatte, schienalles Nötige geregelt. Bingham hatte sich wohl verschätzt, als ermeinte, seine Absprachen allein mit der Zentralverwaltung desLandes in der Hauptstadt Lima treffen zu können, und aus-schließlich auf sein gutes Verhältnis zum Präsidenten von Peru,Augusto Leguia, baute, die örtlichen Behörden in Cusco hin-gegen links liegenließ. Hinzu kam, daß von ihm der Ausspruchkolportiert wurde, Cusco sei die schmutzigste Stadt der Welt,womit er sich bestimmt keine Freunde bei der dortigen Elite ge-macht hatte.

Jetzt stellten sich der Expedition ernsthaftere Hindernisseentgegen, als es das Unverständnis der Einwohner OllantayTampus gegenüber dem Treiben im Yanki Wasi Anfang des Jah-res gewesen war. Man beschuldigte Bingham offiziell derSchatzgräberei und des unerlaubten Exportes wertvoller Fundenach Bolivien. Selbst negative Ergebnisse der Nachforschungenim Hauptquartier der Expedition in Ollantay Tampu und beider Zollverwaltung an den Grenzübergängen nach Bolivienbrachten die Vorwürfe nicht zum Schweigen. Zwar handelte essich um Anschuldigungen und Gemütslagen, denen man alsausländischer Forscher immer wieder begegnet, doch bleibt esmeist bei Unmutsäußerungen und relativ folgenlosem Miß-trauen. Schlimmstenfalls muß man gehässige Artikel in Provinz-zeitungen erdulden. In Binghams Fall jedoch eskalierten Haß,Angst und Neid: Obwohl die Überwachungskommissare, unterihnen der damals besonders haßerfüllte Jung-Journalist LuisEduardo Valcárcel (1891–1987), nichts gefunden hatten, wasdarauf hinwies, daß Schätze ausgegraben worden waren, ließensich die Peruaner nicht überzeugen. Sie glaubten jetzt, daß dieAmerikaner alle gefundenen Schätze schon beiseite geschaffthätten, und zwar so geschickt getarnt, wie man es gerissenen

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Yankees eben zutraute. Böse Zeitungsberichte in der Lokal-presse von Cusco, hinter denen Valcárcel stand, wurden vonBlättern in der Hauptstadt Lima übernommen und heizten dieStimmung auf, so daß Bingham befürchtete, die Arbeiten vor-zeitig abbrechen zu müssen, und daß seine Freiheit oder dochzumindest seine Ausreise aus Peru auf dem Spiel stand. Inzwi-schen drohte auch der Eintritt der USA in den europäischenKrieg, nachdem deutsche U-Boote das britische Passagierschiff«Lusitania» mit 139 US-amerikanischen Bürgern an Bord ver-senkt hatten. Gleichzeitig stand in Peru ein turbulenter Präsi-dentenwechsel bevor. Bingham tat das einzig Vernünftige: Erwickelte die Unternehmung ordentlich ab, ließ alle Funde imLande, um weiteren Anschuldigungen vorzubeugen, entließseine Mitarbeiter und kehrte, allerdings mit seinen Notizen,Skizzen und Photographien gut ausgestattet, in die VereinigtenStaaten zurück.

4. Der Entdecker kostet seinen Ruhm aus

Was Hiram Bingham subjektiv als Fiasko erlebte und was es,gemessen an seinen hohen Erwartungen, auch war, wurde inden USA dennoch dank seiner schriftstellerischen Leistungenund der exzellenten Photographien ein öffentlicher Erfolg. Wie-derum stellte die National Geographic Society in Washingtonseine Expedition als rundum erfolgreich dar. Das hatte Binghamvor allem dem Vertrauen und der Bewunderung seitens ihresführenden Kopfes, Gilbert Hovey Grosvenor (1875–1966), zuverdanken. Ein weiterer Grund für die überschwengliche Ver-marktung der Expedition durch die National Geographic Socie-ty lag in der Politik ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Alles, worübersie berichtete, und vor allem Expeditionen, die sie mitfinanzier-te, wurde Lesern und Sponsoren als erfolgreich und harmonischvorgeführt, was sich übrigens bis heute nicht geändert hat. Dieillustrierten Artikel in der Publikumszeitschrift der Gesellschaft,dem National Geographic Magazine, und eine Ausstellung inWashington brachten prompt die gewünschte Bewunderung derMedien und die Anerkennung der Öffentlichkeit für Binghams

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Forscherleistung. Der Ertrag der Expedition war auf natur-wissenschaftlichem Gebiet in der Tat beachtlich und schlug sichin gewichtigen Fachveröffentlichungen nieder, darunter EatonsStudie über die Inka-Begräbnisse, die 1916 herauskam. Das ar-chäologische Material konnte zwar einige Zeit nach BinghamsFlucht aus Peru doch noch zur Bearbeitung nach Yale überführtwerden, wurde dort jedoch nie vollständig ausgewertet und ver-öffentlicht. 1921 mußte es vertragsgemäß an Peru zurückgege-ben werden. Es ist dann ins Nationalmuseum in Lima überführtworden, verstaubte dort unausgepackt in den Kellergewölbenund wurde in den nächsten fünfzig Jahren nicht bearbeitet. Stattdessen begnügten sich die Peruaner mit der Übersetzung vonEatons längst revisions- und ergänzungsbedürftiger osteologi-scher Studie, die sie 1990 neu herausgaben.

Schon 1917 glaubte Bingham seine Pflicht, die Veröffent-lichung seiner archäologischen Forschungen in Peru, erfüllt zuhaben. Es waren diverse Berichte aus seiner Feder oder von an-deren Verfassern in Publikumszeitschriften erschienen, die dieErgebnisse seiner drei Expeditionen breit, allerdings mehr po-pulär als wissenschaftlich, darstellten. Bingham, immer nochvon Abenteuerlust getrieben, entschloß sich jetzt, seinem Vater-land im Krieg gegen das Deutsche Reich zu dienen. Schon seitseiner Jugend war er dem Fliegen zugetan, und so wurde er, aufgefährliche Fronteinsätze in Frankreich hoffend, Luftwaffen-pilot in den US-amerikanischen Streitkräften. Als Etappen- undVerwaltungssoldat diente er sich bis zum Oberstleutnant hoch.Seine gefährlichsten Einsätze waren aber, entgegen seinen Träu-men von der Bewährung im Kampf gegen den Feind, Bruchlan-dungen bei Trainingsflügen in der Etappe.

Als der Krieg im Herbst 1918 für die USA siegreich beendetwar, galt es für Bingham seine weitere berufliche Laufbahn zuplanen: Weder die Archäologie im Feld noch sein früherer Berufals Professor für Geschichte an der Yale-Universität reizten ihn.Beide waren dem geltungssüchtigen und durch öffentliche Auf-merksamkeit verwöhnten Mann vergällt: An der Universitätwurde er von seinen Historiker-Kollegen nicht ernst genommen,vermutlich wegen der übertrieben spekulativen Interpretatio-

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nen der peruanischen Geschichte; und in Peru hatten ihm Nei-der, Bürokraten und die instabile politische Lage die Arbeit un-möglich gemacht. Er entschied sich daher, politische Ämter an-zustreben. Die Herkunft seiner Ehefrau, die aus den alteinge-sessenen und wohlhabenden Familien Mitchell und Tiffany(Schmuckhändler: «Frühstück bei Tiffany») stammte, war sei-ner politischen Karriere förderlich. In den auf Öffentlichkeit,persönliche Lebensleistung, Mut und Unternehmergeist fixier-ten USA haben die populären Berichte über seine Expeditionenund die wunderschönen Photographien von Machu Picchu aberwohl stärker zum Erfolg seiner Karriere als Politiker beigetra-gen als die familiären Verbindungen oder seine Kriegskarrierebei der Air Force. Im Rahmen seiner Vorträge ebenso wie beider Vorbereitung der zweiten und dritten Expedition hatteBingham außerdem ausgiebig Gelegenheit gehabt, mit führen-den Persönlichkeiten des politischen Establishments Kontaktezu knüpfen, darunter sogar mit dem Präsidenten der Vereinig-ten Staaten, dem einflußreichen Präsidenten seiner Alma Mater,der Yale-Universität, sowie dem bereits genannten Präsidentender National Geographic Society, Grosvenor. Es gelang Bing-ham mit solch gewichtiger Unterstützung, aus dem Stand Stell-vertretender Gouverneur des Bundesstaates Connecticut, dannGouverneur und schließlich Senator im Kongreß der Union zuwerden. Diese Ämter bekleidete er von 1922–1933 hinterein-ander.

Der Politiker Bingham wurde in der Öffentlichkeit nun im-mer mehr zum Entdecker der «verlorenen Stadt der Inka» (soder Titel eines seiner Bücher) und zum untadeligen Organisatormehrerer Entdeckungsreisen stilisiert. Paradox mag im nach-hinein erscheinen, daß er Bücher über seine Entdeckungen erstschrieb, als er die angestrebten politischen Ämter bereits er-reicht oder gar schon wieder hinter sich gelassen hatte, andersals etwa der Bergsteiger und Abenteurer unserer Tage, ReinholdMessner, der zunächst durch Bücher bekannt wurde, bevor erals Europa-Abgeordneter in die Politik wechselte. Das ersteBuch Binghams über seine Expeditionen erschien 1922, dasletzte erst 1948. Der Grund dafür, daß er in ihnen nur wenige

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neue historische Einsichten oder archäologische Forschungs-ergebnisse von anderer Seite verarbeitete, lag darin, daß er sichschon Jahre zuvor aus Wissenschaft und Forschung zurück-gezogen hatte. Statt dessen wiederholte er in ihnen seine effekt-heischenden und daher öffentlichkeitswirksamen Deutungen,zum Teil auch widersprüchlicher Art, aus seinen ersten populä-ren Expeditionsberichten von 1913 bis 1916. Auch schilderndie Bücher nur ihn als Entdecker, Abenteurer und Forscher. Erhat also sein in der Öffentlichkeit längst verankertes Bild unddie für politische Wahlämter zweckdienliche Fokussierung aufseine eigene Person so verinnerlicht, daß er nach diesen Vor-gaben auch seine Bücher schrieb.

5. Neid und Nationalismus

Was ist nun wirklich in Peru geschehen, daß ihm das Land mitseinen unerschöpflichen Möglichkeiten für abenteuerlicheUnternehmungen und archäologische Entdeckungen so vergälltwurde? Mit Erfolg war man ihn, den man der schlimmsten Ver-gehen beschuldigt hatte, 1915 losgeworden. Er stand ja nachMeinung bestimmter peruanischer Kreise im Begriff, Perus Ver-gangenheit für sich zu reklamieren und Schätze außer Landes zubringen. So wenigstens stellt sich die Auseinandersetzung zwi-schen Bingham und den peruanischen Behörden nach seineneigenen Schilderungen und denen seines sehr objektiv berich-tenden Biographen-Sohnes dar. Erfolgreich im Sinne der Perua-ner hatte man auch die Funde aus den amerikanischen Grabun-gen repatriiert und in den Katakomben des Nationalmuseumsder allmählichen Verstaubung überlassen.

Einer der Hauptbeteiligten der Gegenseite in dieser Ausein-andersetzung, Luis E. Valcárcel, damals junger Journalist undStudent in Cusco und erbitterter Widersacher Binghams, stelltden Gang der Auseinandersetzung in seinen 70 Jahre später er-schienenen Memoiren allerdings überraschenderweise vielharmloser dar: Zwar habe man die Arbeit der Yale-Expeditionkontrollieren müssen, denn so sei die Gesetzeslage in Peru ge-wesen. Nach der Inspektion des Hauptquartiers der Amerika-

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