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BERTOLD ULSAMER Ohne Wurzeln keine Flügel

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BERTOLD ULSAMER

Ohne Wurzeln keine Flügel

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Bertold UlsamerOhne Wurzelnkeine Flügel

Die systemische Therapievon

Bert Hellinger

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Originalausgabe

Originalausgabe Mai 1999© 1999 Arkana, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagabbildung: Design Team München

Satz: Uhl + Massopust, AalenDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Redaktion: Irina MamulaWL · Herstellung: Heidrun Nawrot

Printed in GermanyISBN 978-3-442-14166-1

www.goldmann-verlag.de

Verlagsgruppe Random House fscDas fsc -zertifizierte Papier München Super für dieses Buch

liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

. Auflage26

® N001967

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Gewidmetmeinem Vater

und meiner Mutter

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Inhalt

Vorwort: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1 Grundlagen der Familienaufstellung . . . . . . . . . . . . 13Die Durchführung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 13Fakten der Familiengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 20Das Herkunfts- oder Gegenwartssystem und dasAnliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2 Kinder tragen mit: Die Verbindungen mit derUrsprungsfamilie aufdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Die Verbindung mit der Familie . . . . . . . . . . . . . . . 28Früher Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Übernommene Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40Verbrechen und schwere Schuld . . . . . . . . . . . . . . . 43Besondere Schicksale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Kinder sind ihren Eltern treu . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Die unterbrochene Hinbewegung . . . . . . . . . . . . . . 59Phänomene der Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

3 Liebe, Partnerschaft und Kinder: Die Verantwortungfür das eigene Leben übernehmen . . . . . . . . . . . . . 65Liebe und Ordnung – ein Gegensatz? . . . . . . . . . . . 65Als Mann und Frau in der Partnerschaft sein . . . . . 69Elternschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

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Ordnungen in Partnerschaft und Elternschaft:Wer hat den Vorrang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Kinderlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Die Bindung an frühere Partner und Partnerinnen . 85Abtreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Kontrolle widersprichtdem Wesen von Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

4 Familienaufstellungen und ihrenHintergrund verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Das »wissende Feld« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Die Rolle der Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109Der Gebrauch der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Liebe und Anmaßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

5 Familienaufstellungen als Instrument nutzen . . . . . 122Die Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122Die Rolle des Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128Therapie und/oder Lebenshilfe? . . . . . . . . . . . . . . . 134Ist die Aufstellung eine einmalige Angelegenheit? . . 137Können Aufstellungen gefährlich sein? . . . . . . . . . . 141Wie geht eine Einzelaufstellung vor sich? . . . . . . . . 146Aufstellungen von Gefühlen,Persönlichkeitsanteilen und Objekten . . . . . . . . . . 150Aufstellungen als Lebensschule . . . . . . . . . . . . . . . 156

6 Ausblick: Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeitenvon Familienaufstellungen nutzen . . . . . . . . . . . . . 164Aufstellungen bei Straftaten und im Strafvollzug . . 164Männer und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174»Heimat« und das Dritte Reich als deutsches Erbe . 188Nationale Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . 198Familienaufstellungen und Ethik . . . . . . . . . . . . . . 210

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7 Was ist dran an der Arbeit mitFamilienaufstellungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214Kritische Stimmen und Einwände . . . . . . . . . . . . . . 215Erfahrungsberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

8 Was kann ich allein tun?Die Erforschung der Familiengeschichte . . . . . . . . . 240

Zum Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250Empfehlungen und Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

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Vorwort

Dem Menschen scheinen heute Flügel zu wachsen. Es scheintkeine Hindernisse mehr zu geben, die Wissenschaft undTechnik nicht bewältigen könnten. Gleichzeitig mehren sichdie Kriege, die Umweltkatastrophen und die Ängste derMenschen. Die Flügel sind da, aber die Wurzeln fehlen.

Die Familie ist der Grund, in dem wir wurzeln. Solangewir diese Wurzeln nicht (er-)kennen, werden die Flügel, dieuns wachsen, nur schwach sein. Familienaufstellungen sindein Weg, diese Wurzeln zu entdecken und sie von dem zubefreien, was schadet und schwächt. Dann kann die Kraftvon den Wurzeln in die Flügel strömen. Bert Hellinger, derdas Familien-Stellen in der hier beschriebenen Form ent-wickelt hat, faßt seine Erfahrung folgendermaßen zusam-men:

Wenn die Familie auf diese Weise in Ordnung gebracht ist,kann der einzelne aus der Familie hinausgehen. Dann spürter die Kraft der Familie im Rücken. Erst wenn die Bindungan die Familie anerkannt ist und die Verantwortung klar ge-sehen und verteilt wird, fühlt sich der einzelne entlastet undkann seinem Eigenen, Besonderen nachgehen, ohne daß ihndas Frühere belastet und einholt.

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Grundlagen derFamilienaufstellung

In Familienaufstellungen werden die Spannungen, Konflikteund unheilvollen Verbindungen innerhalb einer Familiesichtbar. Der Therapeut arbeitet damit, und oft lassen sichLösungen finden. Aufstellungen überraschen in ihrer Form,ihrem Vorgehen und ihren Wirkungen. Dieses Kapitel führtin die Grundlagen der Familienaufstellung ein, damit dienachfolgenden Ausführungen auch für Leser ohne Vorkennt-nisse verständlich sind.

Bert Hellinger hat das Familien-Stellen in einer neuen Artweiterentwickelt und vertieft: Mittels Stellvertretern undStellvertreterinnen wird dem Betreffenden die eigene Fami-lie lebendig und anschaulich vor Augen geführt. Mit einemBlick lassen sich Beziehungen und bisher nicht erkannte Ver-bindungen über mehrere Generationen hin erfassen. Mankönnte eine umfassende Aufstellung als »lebenden« Fami-lienstammbaum bezeichnen.

Die Durchführung im Überblick

Am besten und leichtesten läßt sich eine Aufstellung ineinem Seminar durchführen. Es gibt auch Aufstellungen in

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einer Einzelberatung oder -therapie, aber die Seminarformist vorzuziehen, denn durch die vielen Stellvertreter wird einumfassenderer Eindruck vermittelt. Im Seminar treffen sichMenschen, von denen jeder seine Familie aufstellen will.Meistens kommt jeder Teilnehmer allein, die anderen Mit-glieder seiner Familie braucht er nicht für diese Arbeit.Manchmal nehmen auch Geschwister, ein Elternteil miteinem Kind oder Paare an einem Seminar teil. Das macht dieArbeit für die gemeinsam Anwesenden besonders berei-chernd.

Wer eine Aufstellung durchführen will, braucht einThema oder ein Problem, das sogenannte Anliegen, als Aus-gangspunkt. Beispielsweise spürt eine längst erwachseneTochter immer wieder ohne besonderen Anlaß Zorn auf ihreMutter. In der Aufstellung sucht sie nach unbekannten Ur-sachen für diesen Zorn. Zudem hat sie die Hoffnung, daßihr Zorn sich durch die Aufstellung verändert, abnimmtoder sich sogar auflösen wird.

Zunächst fragt der Therapeut* oder Leiter (diese Begriffewerden im folgenden gleichbedeutend verwendet) die Klien-tin nach den wesentlichen Ereignissen, die sich in ihrer Fa-milie in den letzten zwei Generationen ereignet haben. Mehrals ihr Anliegen und diese Ereignisse will er nicht wissen.Dann wählt die Klientin für jedes lebendige, aber auch fürjedes tote Mitglied ihrer Kernfamilie (Eltern, Geschwister)und für sich selbst unter den Seminarteilnehmern einen Stell-vertreter oder eine Stellvertreterin aus. In der Regel nimmtsie für männliche Verwandte Männer und für weiblicheFrauen.

* Um den Lesefluß nicht zu stören, wird in diesem Buch die männ-liche Form verwendet, gemeint sind aber Therapeut oder Thera-peutin beziehungsweise Klient oder Klientin.

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Nun kommt die Aufstellung, wozu man Platz in der Raum-mitte oder eine kleine Bühne benötigt. Die Klientin gibt jetztspontan – ohne zu sprechen und ohne jede Erklärung – jedemStellvertreter der Reihe nach einen Platz im Raum und eineBlickrichtung. Sie stellt also erst die Mutter hin, dann denVater usw., bis alle Familienmitglieder ihren Platz erhaltenhaben. Dieses Aufstellen passiert ohne langes Überlegen, sowie es sich für die Klientin im Moment stimmig anfühlt.Wichtig dabei ist allein, daß sie mit ihrer inneren Aufmerk-samkeit dabei ist.

Wenn die Klientin alle Familienmitglieder aufgestellt hat,setzt sie sich hin, so daß sie einen guten Überblick hat. Vonjetzt ab bis zum Ende der Aufstellung ist sie nur noch Beob-achterin und läßt das, was der Therapeut und die Stellver-treter sagen und tun, auf sich wirken.

Das Verblüffende, ja Mysteriöse an dieser Methode ist,daß die aufgestellten Stellvertreter an ihren jeweiligen Plät-zen Zugang zu den Gefühlen und Beziehungen der betref-fenden Familienmitglieder haben.

Wenn beispielsweise ein Kind oder Elternteil an den Randgestellt wird und von den anderen wegschaut, erlebt das derStellvertreter meist als belastend. Das läßt sich noch einfachverstehen und nachvollziehen. Aber darüber hinaus erspü-ren die Stellvertreter viele Gefühle und Beziehungen, die inder betreffenden Familie – oft unter der Oberfläche – exi-stieren. Sie empfinden häufig sogar körperliche Verän-derungen, ihre Knie zittern, sie schwanken, die Schulternspannen sich an, oder der Bauch verkrampft sich. Die Stell-vertreter spüren, wen sie in ihrer Rolle mögen und wennicht, auf wen sie ärgerlich sind und mit wem sie gern mehrKontakt hätten. Die Plätze haben alle ihre eigene Kraft, sodaß jeder, der an einem bestimmten Platz steht, ähnlich rea-giert. Ja, bisweilen verwendet ein Stellvertreter sogar die

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Sätze, die das betreffende Familienmitglied immer benutzthat.

In der Regel befragt der Therapeut nun die Stellvertreternacheinander, wie sie sich an ihren Plätzen fühlen. Nachdemauf diese Weise zunächst die Gefühle und Beziehungen zwi-schen Eltern und Kindern erforscht werden, läßt der Thera-peut den Klienten häufig noch andere Familienmitgliederaus vergangenen Generationen hinstellen oder stellt sieselbst auf. Überraschendes geschieht oft, wenn längst ver-gessene, verstorbene Mitglieder, die bislang fremd oderkaum bekannt waren, aufgestellt werden.

Da kann sich beispielsweise ein Neffe plötzlich wie ma-gisch zu seinem Onkel hingezogen fühlen, der schon vor vie-len Jahrzehnten im Krieg gefallen ist. Aufstellungen zeigen:Wer mit jemand anderem innerlich stark verbunden ist, hatoft im eigenen Leben ähnliche Gefühle und ein ähnlichesSchicksal wie dieser Vorfahre. Dies ist tatsächlich eine der be-deutsamsten Entdeckungen Hellingers: Kinder übernehmenGefühle und Verhalten von früheren Familienmitgliedern. Andiesen Gefühlen und Verhaltensweisen, die ihnen eigentlichfremd sind, halten sie oft ihr Leben lang fest. Der Begriff, denHellinger dafür verwendet, ist »Verstrickung«. Die Kindersind dann – oft noch bis ins Erwachsenenalter – mit diesenPersonen »verstrickt«. So lassen sich viele Erscheinungenwie Depressionen, Schuldgefühle, psychische Störungen oderNeigung zum Selbstmord auf diese verborgenen Verbindun-gen mit anderen Familienmitgliedern zurückführen. Solangejemand nicht erkennt, mit wem er verbunden ist, bleiben ihmseine eigenen Gefühle und sein Verhalten häufig unverständ-lich. Er wird von diesen Bindungen unsichtbar beeinflußt, jamanchmal sogar beherrscht.

Eine Ursache für eine Verstrickung kann sein, daß einePerson aus der Familie ausgeschlossen und vergessen wor-

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den ist. Denn solche Familienmitglieder werden regelmäßigin der nächsten oder übernächsten Generation durch einneues Mitglied vertreten.

Da ist zum Beispiel in der Familie des Vaters dessen ältereSchwester mit vier Jahren an einem Verkehrsunfall gestor-ben. Dieser Tod war so schlimm für die Eltern und die an-deren Geschwister und schockierte alle so stark, daß mannur noch ganz selten von dieser Schwester sprach. Siescheint fast ganz vergessen.

Um herauszufinden, ob und welchen Einfluß diese toteSchwester auch heute noch auf lebende Familienmitgliederhat, genügt es, für sie eine Stellvertreterin auszusuchen undsie aufzustellen. Die Stellvertreter der Toten nehmen wahrund fühlen wie die Lebenden. In den Rollen ist kein Unter-schied zu bemerken.

Falls die Klientin mit der Toten verbunden ist, wird dieStellvertreterin der Klientin sofort reagieren. Sie fühlt viel-leicht Sympathie oder Angst, wenn die tote Schwesterdazugestellt wird. Ebenso werden auch die aufgestelltenStellvertreter der anderen Familienmitglieder auf das Hin-zukommen der toten Schwester auf ihre Weise reagieren. Inder ganzen Familie ändern sich Empfindungen und Gefühle.Plötzlich bekommt jemand Angst, oder ein anderer ist er-leichtert und so weiter. Die Klientin kann an diesen Reak-tionen sehen, mit wem sie verbunden ist und von wem sieGefühle übernimmt.

Die Begegnung mit den Toten ist in vielen Aufstellungenein erlösender Schritt. Wenn die Toten geachtet werden,werden sie freundlich gegenüber den Lebenden, und derenBeziehungen zu den Toten wandeln sich ebenfalls. Währenddie vergessenen Toten einer Familie eher eine unheimliche,bedrohliche Kraft im Hintergrund darstellen, werden siejetzt zu einer Stärkung und Unterstützung für die Lebenden.

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Die Begegnungen der Stellvertreter untereinander gesche-hen unter der Führung des Therapeuten. Sobald die Klientinalle Stellvertreter aufgestellt hat, übernimmt der Therapeutdie Leitung. Während der gesamten Aufstellung hat er einebestimmende, dirigierende Rolle.

Als erstes fragt der Therapeut die Stellvertreter, wie esihnen auf ihren Plätzen geht und was sie wahrnehmen. Oftschlägt er ihnen dann einfache Sätze vor und fordert sie auf,diese zu sprechen. Manche Sätze sollen Spannungen auf-decken, zum Beispiel: »Ich bin zornig auf dich.« AndereSätze lösen Spannungen oder können gestörte Beziehungenheilen und versöhnen. Oft genügt schon ein einfaches: »Ichachte dich.«

Ein solcher Satz entwickelt aber nur dann seine lösendeKraft, wenn er stimmig ist. Die Stellvertreter haben ein sehrfeines Gespür dafür, ob ein Satz stimmt und sich mit ihremErleben deckt. So kann ein Stellvertreter auf Vorschlag desTherapeuten zu seinem Gegenüber zwar »ich achte dich«sagen, aber hinterher auf Nachfragen bemerken, daß dieserSatz nicht stimmt. Wenn er sich achtungsvoll verneigen soll,verzieht er vielleicht sein Gesicht dabei, und man sieht denWiderwillen. Auch die anderen Stellvertreter spüren genau,ob ein Satz ernst gemeint ist und paßt oder nicht. Falls ernicht stimmt, wird er von ihnen zurückgewiesen.

Die stimmigen Sätze haben eine positive Wirkung. Dannatmet jemand erlöst auf, er lächelt oder richtet sich auf. Diegute Wirkung ist das Entscheidende. Je erfahrener und ein-fühlsamer ein Therapeut ist, desto häufiger formuliert er vonvornherein die stimmigen Sätze und desto weniger Wider-spruch bekommt er von den Aufgestellten.

Erstaunlicherweise hat auch der Platz, an dem jemand ineiner Aufstellung steht, eine große Wirkung auf die Gefühle.So gibt es chaotische Aufstellungen, bei der Eltern und Kin-

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der einer Familie kreuz und quer durcheinanderstehen undes keinem an seinem Platz gutgeht.

In einer guten Ordnung dagegen fühlt sich jedes Mitgliedder Familie auf seinem Platz wohl. Oft sieht für eine Fami-lie die gute Ordnung so aus, daß die Eltern ihren Kindern ge-genüberstehen. Vater und Mutter sind leicht zueinander ge-dreht, so daß sie einander und gleichzeitig ihre Kinder sehenkönnen. Diese stehen in einem leichten Halbkreis gegen-über, wobei im Uhrzeigersinn zuerst das älteste Kind kommtund dann die anderen ihrem Alter nach. Dabei ist besondersheilsam, daß auch die bisher Vergessenen oder Ausgeschlos-senen ihren Platz erhalten, entweder hinter den Eltern oderan der Seite. Im Regelfall ist dabei jeder sichtbar und gehörtso mit dazu.

Am Schluß der Aufstellung tritt der Seminarteilnehmer,der seine Familie aufgestellt hat, an den Platz seines Stell-vertreters. Unsere Klientin, die zornig auf ihre Mutter war,löst jetzt ihre Stellvertreterin ab. Bis zu diesem Moment hatsie die ganze Zeit die Geschichte ihrer Familie von außen ausder Distanz betrachtet. An ihren eigenen Platz gestellt, kannsie nun das neue Bild und die neue Ordnung in ihrer Fami-lie bewußt wahrnehmen und auf diese Weise auch in sichaufnehmen.

Eine Aufstellung dauert im Regelfall zwischen 15 Mi-nuten und einer Stunde, aber auch kürzere und längereAufstellungen kommen vor. Ziel ist es nicht, die unendlicheVielfalt aller Verbindungen in einer Familie aufzudecken,sondern nur die stärkste Verstrickung, in der jemand gefan-gen ist und die seine Kraft bindet. Diese Verstrickungen wer-den in den Aufstellungen besonders deutlich. Wenn sie er-kannt und aufgelöst sind, wird oft eine gute neue Ordnungmöglich, bei der jeder sich an seinem Platz wohl fühlt, unddie Aufstellung hat ein natürliches Ende.

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Der Therapeut beendet die Aufstellung aber häufig auch,wenn eine emotional besonders brisante Situation in der Fa-milie aufgedeckt worden ist und wenn die Weiterarbeit dieswieder zudecken würde. Manchmal ist auch ein Abbruchnötig, wenn die Aufstellung steckenbleibt und die Aufmerk-samkeit und Energie der Beteiligten erschöpft sind. Auchdiese Aufstellungen geben den betreffenden Klienten wich-tige Anstöße und entfalten so eine gute Wirkung.

Fakten der Familiengeschichte

Aufstellungen benötigen Fakten als Grundlagen. Eine sinn-volle Vorarbeit ist es, in der eigenen Familie zu forschen undsich bei Eltern, Onkel und Tanten nach wichtigen Ereignis-sen zu erkundigen. Denn Geschehnisse in der Familie habeneine starke Wirkung, die über Generationen hinweg sichtbarwird. Die wichtigsten Fakten sind:

• Ist jemand sehr früh gestorben?• Gibt es Verbrechen und schwere Schuld in der Familie?• Gibt es frühere Beziehungen der Eltern zu anderen Part-

nern?• Gibt es Schicksale, die jemand zum Außenseiter machten,

wie Behinderung, nichteheliche Geburt, Aufenthalt in derPsychiatrie oder im Gefängnis, Homosexualität, Auswan-derung?

• Gibt es Schicksale, bei denen die Beziehungen von Kindernzu den natürlichen Eltern schwer beeinträchtigt wurden,beispielsweise wenn jemand adoptiert wurde oder bei Pfle-geeltern aufwuchs?

• Wurde jemand aus seiner Heimat vertrieben?• Hat jemand Eltern aus zwei Nationalitäten?

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Da mag es einen vergessenen Großonkel gegeben haben, derin der Psychiatrie war, oder die Tante, von der keiner mehrspricht, weil sie geistig behindert war und früh gestorben ist.Regelmäßig sind es in der Familie ein oder zwei Kinder, fürdie solche Personen und deren Schicksale eine besondere Be-deutung haben – selbst wenn sie nie von ihnen gehört haben.Je mehr Ereignisse oder Personen als Familiengeheimnissebehandelt wurden, desto stärker wirken sie oft schädlich imUntergrund.

Je genauer jemand seine Familiengeschichte erforscht hat,desto präziser können diese Fakten in die Aufstellungen ein-gebracht werden. Solche Tatsachen und Ereignisse wirkensich in einer Familie auf die Kinder, Enkel und Urenkel aus.Manchmal tun sich Eltern schwer, ihren Kindern davon zuberichten. Aber wenn ein Kind wirklich bereit ist, von einemGeheimnis zu wissen, dann findet es oft die notwendigen In-formationen.

Manchmal muß eine Aufstellung abgebrochen werden,weil über die Reaktionen der Stellvertreter deutlich wird,daß es in dieser Familie unbekannte Fakten oder ein Fami-liengeheimnis gibt. Häufig findet ein Klient nach der abge-brochenen Aufstellung die fehlenden Fakten heraus undkann mit dem neuen Wissen in einer weiteren Aufstellung zueiner vollständigen Lösung finden.

Das Herkunfts- oder Gegenwartssystemund das Anliegen

Es gibt zwei unterschiedliche Richtungen, in die jemand mitHilfe einer Familienaufstellung schauen kann – entweder indie Vergangenheit oder in die Gegenwart.

Wer in die Vergangenheit schauen möchte, stellt seine Ur-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Bertold Ulsamer

Ohne Wurzeln keine FlügelDie systemische Therapie von Bert Hellinger

ORIGINALAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 256 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-14166-1

Goldmann

Erscheinungstermin: Mai 1999

In den Familienaufstellungen der systemischen Therapie tritt zutage, welche Gefühleund Verhaltensweisen der Vorfahren - auch von längst verstorbenen oder unbekanntenFamilienmitgliedern - von den Nachkommen stillschweigend übernommen werden. Diesesmoderne Einführungsbuch des Hellinger-Therapeuten Ulsamer regt zu einer praktischenAuseinandersetzung mit einem möglicherweise belastenden und begrenzenden Familienerbean.