Bertolt Brecht: Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen · 06151 - 3682 510 06151 - 3682 519...

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LiV Spektrum Ausgabe 2017 Bertolt Brecht: Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen Daraus entnehme ich: ihr seid Millionäre. Eure Zukunft ist gesichert – sie liegt Vor euch im Licht. Eure Eltern Haben dafür gesorgt, daß eure Füße An keinen Stein stoßen. Da mußt du Nichts lernen. So wie du bist Kannst du bleiben. Sollte es dann noch Schwierigkeiten geben, Da doch die Zeiten Wie ich gehört habe, unsicher sind Hast du deine Führer, die dir genau sagen Was du zu machen hast, damit es euch gut geht Sie haben nachgelesen bei denen Welche die Wahrheiten wissen Die für alle Zeiten Gültigkeit haben Und die Rezepte, die immer helfen. Wo so viele für dich sind Brauchst du keinen Finger zu rühren. Freilich, wenn es anders wäre Müßtest du lernen. (Bertolt Brecht: Gesammelte Gedichte, Bd.1, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967, S. 385f. = editionsuhrkamp 835)

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Bertolt Brecht:Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernen

Ich habe gehört, ihr wollt nichts lernenDaraus entnehme ich: ihr seid Millionäre.Eure Zukunft ist gesichert – sie liegtVor euch im Licht. Eure ElternHaben dafür gesorgt, daß eure FüßeAn keinen Stein stoßen. Da mußt duNichts lernen. So wie du bistKannst du bleiben.

Sollte es dann noch Schwierigkeiten geben,Da doch die ZeitenWie ich gehört habe, unsicher sindHast du deine Führer, die dir genau sagenWas du zu machen hast, damit es euch gut gehtSie haben nachgelesen bei denenWelche die Wahrheiten wissenDie für alle Zeiten Gültigkeit habenUnd die Rezepte, die immer helfen.

Wo so viele für dich sindBrauchst du keinen Finger zu rühren.Freilich, wenn es anders wäreMüßtest du lernen.

(Bertolt Brecht: Gesammelte Gedichte, Bd.1, Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1967, S. 385f. = editionsuhrkamp 835)

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I M P R E S S U M

Herausgeber:GEW Hessen, Zimmerweg 12,60325 Frankfurt am Main

Verantwortlich: Franziska Conrad

Autorinnen und Autoren,soweit namentlich nicht genannt:Franziska Conrad,Joachim Euler (S. 3, 31–44),Ulla Hess, Angela Scheffels (S. 54–55),Annette Loycke (S. 46–53, 56–57)

Gestaltung: Joachim Euler und Michael Heckert †

Fotos:Richard Schäfer (S. 33),Günther Stark (S. 30),Wilbert van Woensel (S. 40)

Illustrationen:Peter Baldus (S. 7, 9, 11, 13, 17, 21, 23, 57),Reinhold Löffler (S. 48, 49, 52, 58),Thomas Plaßmann (S. 45, 53, 65),Dieter Tonn (S. 3, 25, 37, 39, 41, 43),Hans Traxler (S. 61),Ruth Ullenboom (Titelseite, S. 15, 24, 27)zplusz (S. 5, Erstveröffentlichung in E&W07–08/2016)

Verlag:Mensch und LebenVerlagsgesellschaft mbH,Postfach 19 44, 61289 Bad Homburg

Nachdruck:Fotomechanische Wiedergabe, sonstigeVervielfältigungen sowie Übersetzungendes Text- und Anzeigenteils, auch aus-zugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge-nehmigung des Verlages.

Druck:Druckerei und Verlag Gutenberg RiemannGmbH, Werner-Heisenberg-Straße 7,34123 Kassel

LiV Spektrum ist die Nachfolgezeitschriftder Referendariatsmappe, die erstmals1977 unter dem Namen „Wissenswertesfür junge Lehrer“ erschien.

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

712

STUD IENSEMINARE : ANSCHR I FTEN

Vorbereitungsdienst 3

Willkommen 3

Schule und Gesellschaft 4

Vom Menschenrecht auf Bildung 4Schule als Projektionsfläche 6–7Medienerziehung 8–9Bildung für eine nachhaltigeEntwicklung 10–11Junge Flüchtlinge –Herausforderungen und Chancen 12–13Rassismuskritik 14–15Hessens Schulen auf dem Wegzur Inklusion 16Bildungspolitik 17

Berufseinstieg 18

Selbstsicher Auftretenbeim Unterrichtsbesuch 18–19Binnendifferenzierung undIndividualisierung 20Classroom-Managementals Fachlehrer 22–23Tolle Tipps 24In der Schule mitbestimmen 25Gute Schule: intensives, lebendigesSchulleben 26Da hört die Freundschaft auf! 27Lehrproben und Lehreralltag 28Morgens, halb zehn in Deutschland… im Klassenzimmer 2.0 29

Ausbildung 30

Welche Aufgaben haben dieMentorinnen und Mentoren? 30Die pädagogische Ausbildungim Überblick 31Vorbereitungsdienst:Orientierung und Strukturierung 32Arbeitsplatz Studienseminar 36Teilzeitreferendariat 37Pseudo-Module in derpädagogischen Ausbildung 38Pädagogische Facharbeit:Kein Teil der Prüfung 38Was ist Ausbildungsunterricht? 39Arbeitsplatz Ausbildungsschule 40

Prüfungen 41

Unterrichtsbesuche undPrüfungslehrproben 41Beratungen, Beurteilungen,Bewertungen und Prüfung 42–43

Interessenvertretung 44

Wozu überhaupt: Personalvertretung? 44Personalrat und Seminarrat? 44Gleichstellungsbeauftragte für LiV 45

Recht und Geld 46

Kleines abc (Beihilfe, Dienst-befreiung, Dienstunfall und Sach-schäden, Krankenversicherung,Mutterschutz/Elternzeit, Neben-tätigkeit/Vertretungsvertrag,Personalakte/Prüfungsakte,Anschriften von Dienststellenund Aufsichtsbehörden) 46Rund um’s Geld 51

Und danach … 54

Pech mit ‘ner Eins, Glück mit’ner Vier. Einstellungsverfahren 54Arbeitslos! – Was tun? 56

GEW in eigener Sache 58

Die GEW – wer ist das überhaupt? 58Was wir bieten. Zehn gute Gründe,Mitglied der GEW zu werden. 59Der Rechtsschutz der GEW 60Dienstleistungen der GEW 62Soziales Hilswerk des Bezirks-verbandes Nordhessen 62Die Junge GEW stellt sich vor 63Arbeitslose Kolleginnen undKollegen in der GEW 63Warum sollte ich in die GEWeintreten? – Überlegungen einer LiV 64Antrag auf Mitgliedschaft 65Adressen der GEW Hessen 66

Studienseminare 68

Standorte für berufliche Schulen 68Standorte für GHRF-Schulen 69Standorte für Gymnasien 70Anschriften 71

Rechts- und Verwal-tungsvorschriften A

HLbG (Auszug) AHLbGDV (Auszug) FEinstellungserlass in den hessischenSchuldienst O

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… im hessischen Schuldienst. Glückwunsch für deinen neuenAusbildungsplatz im Studienseminar! Ein Ausbildungsplatz istkeine Selbstverständlichkeit. Gerade für das Referendariat anGymnasien warten viele Bewerber/innen auf einen Ausbil-dungsplatz. Aufgrund des durch die Schuldenbremse beding-ten Sparzwangs besteht immer die Gefahr, dass auchReferendariatsplätze gestrichen werden. Eine größere Strei-chung von Plätzen im Vorbereitungsdienst konnte die GEW2012 noch gemeinsam mit dem Hauptpersonalrat der Lehre-rinnen und Lehrer und vielen engagierten Kolleginnen undKollegen an den Studienseminaren verhindern, weitere Ausein-andersetzungen stehen möglicherweise noch aus. Nicht nurwegen des drohenden Lehrkräftemangels an Grundschulen,Förderschulen und Beruflichen Schulen sehen wir Chancen, dieZahl der Referendariatsplätze im Landeshaushalt zu erhalten.

D u bist nun eine LiV. Mit Neugier und großem Interesse wirst du im Studienseminar erwartet. In den Ausbil-

dungsschulen erhoffen sich viele Kolleginnen und Kollegenvon dir neuen Schwung im Kollegium, frische Gedanken, auchIdeen für Veränderungen.

Apropos LiV: Der Begriff Lehrkraft im Vorbereitungs- dienst hat sich mittlerweile eingebürgert, er hat eine um-

fassende Bedeutung. Hinter der Abkürzung LiV verbergen sichzahlreiche Gruppen von Menschen im Vorbereitungsdienst,nicht nur Lehramts- und Studienreferendarinnen und -referendareder Lehrämter für Grundschulen, Hauptschulen und Realschulen,Förderschulen, Gymnasien und berufliche Schulen. Auch Schulre-ferendarinnen und -referendare, Menschen aus Ländern außerhalbdes Gebietes der Europäischen Union und Fachlehreranwärte-rinnen und -anwärter für arbeitstechnische Fächer absolvierenden Vorbereitungsdienst. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung.

Wer die pädagogische Ausbildung im Studienseminar und in seiner Ausbildungsschule antritt, wird Bil-

dungsdiskussionen möglicherweise verwirrt verlassen. Begriffewie Kompetenzen, Standards, Vergleichsarbeiten, Lernstander-hebungen, Outputorientierung, selbstorganisiertes Lernen,Konstruktivismus etc. hörst du allerorten; was sie aber mit derBildung von Jugendlichen zu tun haben sollen, erschließt sichdir zunächst nicht. Behalte deinen kritischen Blick auf pädago-gische „Moden“ und orientiere dich daran, dass Schule dieAufgabe hat, Weltverstehen und Persönlichkeitsbildung derJugendlichen zu fördern und auf Teilhabe in der Demokratievorzubereiten, indem sie auf Verstehen von Zusammenhängen,Zweifeln und Kritik setzt. Dies erscheint gerade in einer Zeit,die zuweilen als „postfaktisches“ Zeitalter bezeichnet wird,umso wichtiger. In diesem LiV Spektrum haben wir daher ei-nige Beiträge zusammengestellt, die jenseits von euphemisti-schen Sonntagsreden die Diskussion wieder auf die Aufklä-rung und Bildung des Menschen zurückführen wollen.

Rechtsgrundlagen im pädagogischen Vorbereitungsdienstbilden das Hessische Lehrerbildungsgesetz (HLbG) und

die Verordnung zur Durchführung des Hessischen Lehrer-bildungsgesetzes (HLbGDV). Die hessische GEW hat maß-geblichen Anteil daran, dass durch die Reform von HLbGund HLbGDV beispielsweise die Anwesenheitszeit der LiVim Studienseminar um etwa 30 Prozent verringert wurde oderein Bestehen der Zweiten Staatsprüfung auch gewährleistet ist,wenn man in der pädagogischen Facharbeit oder in der münd-lichen Prüfung nur mangelhafte Leistungen erbringt. Dennochbesteht noch viel Verbesserungsbedarf: So hat sich die Aus-bildungssituation an den Schulen z.B. durch die Erhöhung derAnrechnung der LiV auf die Stellenzuweisung an den Schulenverschlechtert. Auch kritisiert die GEW die Modulprüfung,weil diese dazu führen kann, dass die LiV bei Nichtbestehenvor der Zweiten Staatsprüfung aus dem Vorbereitungsdienstentlassen wird.Bei der Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes im Jahr 2017wird die GEW auf Abschaffung der Modulprüfung dringenund weitere Verbesserungen der Lehrerausbildung einfordern.Du kannst dich selbst für die Verbesserung deiner Ausbildungs-bedingungen in der GEW und in den Gremien des Studien-seminars, im Personalrat und im Seminarrat einsetzen; mehrdazu erfährst du ab Seite 44.

Das Eintreten der GEW für diese Belange wird landes-weit offensichtlich als zielgerichtet und richtig gesehen

und auch entsprechend gewürdigt. Bei den letzten Haupt-personalratswahlen der Lehrerinnen und Lehrer im Jahr 2016erzielte die GEW erneut ein gutes Ergebnis: Die absoluteMehrheit stimmte für sie. Allein seit 2012 traten mehr als 4.700Menschen unserer Organisation bei, darunter jährlich etwasmehr als 300 LiV, ein kontinuierlicher Anstieg, der uns zurstärksten Bildungsgewerkschaft in Hessen macht.

Die Redaktion wünscht allen LiV eine gute Ausbildung undeine erfolgreiche Prüfung.

Willkommen

VORBERE I TUNGSD IENST

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

Vom Menschenrecht aDas Ethos der Bildungsinternationale (BI) a

Widersprüchliche Anforde-rungen in pädagogischenArbeitsfeldernBeschäftigte in pädagogischen Arbeits-feldern sind täglich mit vielen Anforde-rungen, emotional herausforderndenSituationen und einem großen Hand-lungsdruck konfrontiert. Die Ansprüche,die Politik und Gesellschaft an Lehr-kräfte stellen, sind dazu noch sehr wider-sprüchlich: Sie sollen in einem hoch-selektiven, an getrennten Bildungsgängenausgerichteten System alle Lernenden in-dividuell fördern. Wie soll das gelingen?Vor allem spüren viele Lehrkräfte:Schulrechtliche Vorgaben sind oftmalsmit den pädagogischen Grundüber-zeugungen und Werten der GEWnicht zu vereinbaren.Widersprüchliche Erwartungen kön-nen zu Überforderung führen. Deshalbübernehmen Lehrkräfte häufig mehroder weniger unhinterfragt Haltungen,die die selektive Struktur unseres Schul-systems vorgibt – und die sie selbst in ih-rer Schulzeit kennengelernt haben. Daseinzelne Kind, seine Bildungsbiographie,seine Stärken und Wünsche rücken dabeiin den Hintergrund. Es geht in ersterLinie um die „objektive“ Leistungsbewer-tung und die „richtige“ Platzierung imhierarchischen Schulsystem.Die GEW stellt indes seit vielen Jahrendas gegliederte Schulsystem in Frage. DieBildungsgewerkschaft steht für Inklusionund Teilhabe – und so auch für andereWertorientierungen. Das Problem: In derPraxis erschweren oft mangelhafte perso-nelle und materielle Rahmenbedingun-gen deren Umsetzung. Außerdem wider-spricht der Inklusionsgedanke tradiertenAnsichten und Routinen in unserenSchulen – und in unseren Köpfen. DamitLehrkräfte den von Konkurrenz undSelektion geprägten Schulstrukturenwirksam entgegentreten können, bedarfes besonderer Anstrengungen. Der be-kannte Inklusionspädagoge ReimerKornmann beschreibt das als „innereWiderständigkeit“, die es zu entwickelngilt. Reinhard Stähling, Schulleiter derinklusiven Grundschule Berg Fidel,spricht gar von „Ungehorsam im Schul-dienst“.

Ethische Grundlage fürpädagogisches Handeln –das Berufsethos derBildungsinternationaleUm Stärke zu zeigen, und im Interesseder uns anvertrauten Kinder und Jugend-lichen – gegen die Logik des Selektions-systems handeln zu können, braucht un-sere Profession eine ethische Grundlage.Am 2004 von der Bildungsinternatio-nalen (BI), der weltweiten Dachorganisa-tion der Bildungsgewerkschaften undLehrerverbände, verabschiedeten Berufs-ethos* kann sie sich orientieren. Es ver-eint drei Perspektiven:1. das Menschenrecht auf Bildung als

Grundlage professionellen Handelns;2. die arbeitsrechtliche Perspektive, die

auf angemessene Rahmenbedingun-gen achtet;

3. die Professionsentwicklung, um dieQualität im Bildungsbereich zu ge-währleisten.

Das BI-Manifest verbindet demnach in-dividuelle, kollektive und gewerkschaft-liche Selbstverpflichtungen. Denn esreicht nicht, wenn einzelne Lehrkräfteihre Tätigkeit nach ethischen Grundsät-zen ausrichten. Diese können nur dannin einer Einrichtung wirksam und tragfä-hig sein, wenn sie vom gesamten Kolle-gium geteilt und gelebt werden. Zu ei-nem verbindlichen Berufsethos gehörenalso auch kollegiales Miteinander undprofessionelle Teamarbeit.

Gewerkschaftliches Berufs-ethos – Kein LuxusWas folgt daraus? Das Berufsethos mussauch Leitlinie gewerkschaftlicher Arbeitsein. Im GEW-Kontext meint dies: Dasuneingeschränkte Bekenntnis zu den all-gemeinen Menschen- und Kinderrechtensowie zu den UN-Antidiskriminierungs-konventionen sollte die Grundlage un-seres professionellen Handelns sein.Nach diesem Wertekanon beurteilenwir Schulgesetze, organisatorische Rege-lungen, Strukturen und Rahmenbedin-gungen (Personalschlüssel, Unterrichts-verpflichtung, materielle Bedingungen ...).Auf diese Weise helfen wir als Gewerk-schaft mit, die Profession weiterzuent-wickeln.

Pädagogische und gewerkschaftliche Ar-beit ethisch zu verorten, ist kein Luxus,sondern eine Notwendigkeit, denn:• Wir dürfen es nicht der Politik über-

lassen zu definieren, was als gute Bil-dung für alle gilt. Wir müssen unsereeigene Sicht, unsere eigenen Visionenentwerfen und politisch einbringen.

• Gemeinsame Werte, gegenseitigeAchtung und Kooperation verbessernnicht nur die pädagogische Qualitäteiner Schule, sondern tragen wesent-lich zur Berufszufriedenheit bei.

• Die eigene Tätigkeit ethisch zu be-gründen, hilft in Konflikt- undEntscheidungssituationen.

• Nicht zuletzt: Ethische Maximen sindals professionelle Richtschnur eineKraftquelle im Kampf für bessere Ar-beitsbedingungen – und machen ihnglaubwürdiger.

Auftrag einlösenIn diesem Sinn ist auch der Beschlussdes Gewerkschaftstages 2013 als Auftragan die Mitglieder zu verstehen:„Die GEW koordiniert einen Diskus-sionsprozess zur Vertiefung und Weiter-entwicklung des professionellen Selbst-verständnisses der Lehrerinnen undLehrer, der Pädagoginnen und Pädago-gen und anderer im Bildungsbereich Be-schäftigter. Ziel ist, ein gemeinsamesVerständnis für die Rechte und Pflichten,Aufgaben, Einstellungen und Haltungenin einem inklusiven diskriminierungs-freien Bildungssystem zu erarbeiten.“Dieser Auftrag ist noch einzulösen. Er istAnsporn, das Berufsethos der BI in denBildungseinrichtungen zu verankern. Waswir brauchen, ist eine lebendige Diskussi-on über die ethischen Grundsätze sowohlpädagogischer als auch gewerkschaftlicherArbeit. Denn: Schule und Gesellschaft las-sen sich nur mit mutigen Lehrkräften ver-ändern. Sie sollten nicht nützliche „Räd-chen im Getriebe“ sein, sondern mündigeund kritische Bürgerinnen und Bürgerheranbilden: Menschen, die in der Lagesind, Verantwortung für eine friedens-fähige, demokratische und nachhaltigeGesellschaft zu übernehmen.

Dr. Ilka Hoffmann, Leiterindes GEW-Vorstandsbereichs Schule

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

t auf BildungBI) als Leitlinie pädagogischen Handelns

Summary/Links:*www.gew.de/GEW-Berufsethos-PDF

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

Die Allensbacher Berufsprestige-Skalaaus dem Jahr 2011 erfasst, welche Berufein der deutschen Bevölkerung ab 16 Jah-ren am meisten Anerkennung finden.Die Top-Vier sind Arzt/Ärztin (82 %),Krankenschwester (67 %), Lehrerin/Lehrer (42 %) und Handwerkerin/Handwerker (41 %).Der Arzt diagnostiziert eine Krankheit,und er weiß, das erhofft sich der Patient,die richtige Therapie. Er beschwichtigt,empfiehlt, verschreibt. Der Erwartung,geholfen zu bekommen, steht jedoch dieBefürchtung gegenüber, der Arzt könnenicht helfen. Diese Abhängigkeits-beziehung ist eine Erklärung für dashohe Prestige. Entsteht der Verdacht, derArzt könne dem Patienten aus welchenGründen auch immer geschadet haben,wird er gnadenlos abgewertet, gilt als„Kurpfuscher“, „Quacksalber“ oderScharlatan.Solche negativ konnotierten Begriffe gibtes für die Krankenschwester nicht.Höchstens heißt es, sie habe ihren Berufverfehlt. Vom Arzt und der Kranken-schwester will man als – in der Regelhilfsbedürftige – Einzelperson in der je-weiligen besonderen Situation gesehenwerden. Der Lehrerin und dem Lehrertritt das Kind oder der Jugendliche dage-gen in der Schule als Mitglied einerGruppe gegenüber. Da ist es ungleichschwerer, vom Lehrer als Einzelpersonwahrgenommen und verstanden zu wer-den: Man ist ein Kind unter vielen.Trotzdem hoffen die Eltern, die Lehr-kraft möge das einzelne Kind sehen underkennen, was in ihm steckt.

Hohe Erwartungen…Der gute dritte Rang auf der Prestige-Skala der Berufe erklärt sich aus dem tief-gehenden, mehr oder wenigerunbewussten Bedürfnis, vom Lehrer ge-sehen und geschätzt zu werden. PositiveErfahrungen mit Beachtung, Anerken-nung, Wertschätzung können sich güns-tig auf die persönliche Entwicklungauswirken. Fehlen entsprechende Erfah-rungen während der Schulzeit, setzen dieenttäuschten Erwartungen Affekte frei.Vergleichbar der enttäuschten Liebe oderder zerbrochenen Freundschaft führt die

vergebliche Hoffnung, von diesenLehrermenschen wertgeschätzt zu wer-den, zu heftigen Reaktionen der Ableh-nung. Entsprechend groß ist die Zahlder Begriffe mit negativer Konnotation:„Scheißtypen“, „blöde Pauker“, „Lang-weiler“…

… und schlechte ErfahrungenFragen Sie x-beliebige Leute nach negati-ven Erfahrungen mit Lehrerinnen undLehrern. Sie werden niemand finden, dernicht sofort loslegt und Beispiele vonschlechten, strengen, ungerechten, unge-eigneten, besserwisserischen, autoritären,unengagierten, langweiligen, inkompe-tenten, sadistischen, despotischen, welt-fremden, mit Marotten, Allüren behafte-ten Lehrern aneinanderreihen kann.Diese Abwertung einzelner Lehrer ist dasPendant zu hohen Erwartungen, Hoff-nungen, die, weil sie unrealistisch hochsind, enttäuscht werden müssen.Lehrerinnen und Lehrer spüren diesenErwartungsdruck. Sie können sämtlichenErwartungen genauso wenig genügen wiedie Eltern, die durchaus gute Eltern seinwollen, den Erwartungen ihrer Kinder inGänze werden entsprechen können.Ich habe über hundert Leute zur Schuleund zu Lehrerinnen und Lehrern befragt.Ich wollte wissen, was ihrer Meinungnach die drei wichtigsten Zielsetzungenvon Schule in unserer Zeit sein und wassich Lehrerinnen und Lehrer für ihre Ar-beit in der Schule vorrangig vornehmensollten. Ich habe Kinder, Jugendliche, Er-wachsene, Eltern und Großeltern sowieErwachsene ohne Kinder befragt, Men-schen aus unterschiedlichen Berufen,Lehramtsstudenten, Referendarinnenund Referendare, ihre Ausbilderinnenund Ausbilder und mitten im Beruf ste-hende Lehrkräfte. Nur ein einziger, einknapp 80-jähriger Mann, meinte auch aufmehrmaliges Nachfragen, diese Frage seiihm zu komplex. Alle anderen antworte-ten bereitwillig, meist sehr spontan, oftengagiert und ausführlich. Ich kombinie-re im Folgenden häufig genannte Zielset-zungen von Schule und skizziere damitdas Bild einer Schule, in das alle mögli-chen Erwartungen, Hoffnungen, Wün-sche der Befragten einfließen.

Was soll Schule leisten?Die ideale Schule legt Wert auf die Entwick-lung der Persönlichkeit jedes einzelnenKindes. Den Lehrerinnen und Lehrerngeht es um das Wohl der Schülerinnenund Schüler. Die Wertschätzung jedesKindes und jedes/ jeder Jugendlichen istselbstverständlich. Seine Stärken werdenerkannt und gefördert und er oder siewird beim Umgang mit den eigenenSchwächen, Mängeln, Defiziten unter-stützt. Es geht um Vorbereitung auf dasZusammenleben in der Gemeinschaft,den Umgang mit Autoritäten, den Um-gang mit und die Bewältigung von Kon-flikten, den respektvollen, freundlichenUmgang miteinander, den Respekt Älte-ren und Gleichaltrigen gegenüber. Ziel isteine autonome Persönlichkeit, die ihrLeben selbstständig bewältigen kann.Kinder und Jugendliche sollen eine beja-hende Haltung zum Lernen entwickeln.Sie sollen das Lernen lernen. Lernenheißt Fragen stellen und auf diese FragenAntworten finden können. Lebenslan-ges Lernen soll als sinnvoll, ja notwen-dig erfahren werden. Schule muss selbst-ständiges Denken und gründlichesNachdenken ermöglichen. Dazu mussSchule ausreichend Zeit zur Verfügungstellen. Schule soll Kritikfähigkeit fördernund das Bewusstsein für ungelöste sozia-le, ökonomische und ökologische Fra-gen. Ziel ist der mündige Bürger, diemündige Bürgerin, die sich ihrer gesell-schaftspolitischen Verantwortungbewusst sind. Es geht um Erziehung zurDemokratiefähigkeit und zur aktivenTeilhabe an der Demokratie, um die Vor-bereitung auf Beruf und Lebensalltag unddas Aufzeigen von Lebensperspektiven.Erforderlich ist die Vermittlung umfas-senden, soliden Fachwissens und Welt-wissens. Die Heranwachsenden sollensich die Welt erschließen können undfür einzelne Fächer, am besten für allemotiviert sein. Zugänge zum Wissens-erwerb werden vermittelt und in behut-samer Weise werden Grundlagen vonWissenschaftsorientierung gelegt.Aufgabe der Schule ist reflektierte Werte-vermittlung: Toleranz, Menschlichkeit,Friedensfähigkeit, Empathie. Vermitteltwerden gesellschaftliche Normen und Re-

Schule als Projektionsfläche oder:Das Lehrerbild zwischen Ablehnungund Größenphantasien

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geln und Kulturtechniken. Die Schule hatzudem Erziehungsaufgaben, zumal Eltern-häuser diesbezüglich Defizite aufweisen.Das, was die Eltern nicht mehr leisten,muss Schule sich zur Aufgabe machen.Schule legt Wert auf die Förderung vonSelbstbewusstsein und Verantwortungs-gefühl.Schule muss helfen, Begabungen zu ent-decken und zu fördern.Freude soll die Schule auch noch machen,der Spaß nicht zu kurz kommen. Aberdiszipliniert sollen sie schon sein, dieSchülerinnen und Schüler. Schule solltedie Kindheit nicht unnötig beeinträchti-gen. Es muss genügend Zeit bleiben fürKindsein. Auf keinen Fall sollten Druckund Stress Überhand nehmen. In derSchule soll Zeit für Muße sein, Kinderund Jugendliche sollten in der SchuleFreundschaften schließen können.Die Lehrkräfte sollten sehr gut ausgebildetund charakterstark sein. Sie benötigen Ge-rechtigkeitssinn und die Fähigkeit zur Er-ziehung zum aufrechten Gang. Engagiertsollten sie sein und sich für ihre Schüler-schaft und für ihre Schule einsetzen.Heimatkunde sollte für Schule eineSelbstverständlichkeit sein, damit dieKinder etwas über ihre unmittelbare Um-gebung wissen. Der Umgang mit demInternet ist erwünscht, sollte aber nichtübertrieben werden. Medienkompetenzsoll genauso gefördert werden wie derrichtige Umgang mit Geld und reflektier-tes Konsumverhalten.Die Schule muss Raum lassen für Aktivi-täten außerhalb der Schule, darf sich alsonicht in alles einmischen. Sie sollte klareErwartungen formulieren. Undundund!...

Das Kippbild des LehrersDer Münsteraner Hochschullehrer EwaldTerhart spricht von einem „Kippbild“des Lehrers, mit dem Negativbild auf dereinen Seite und dem idealisierten Bildmit „einem geradezu übermenschlichen,weltrettenden Auftrag“ auf der anderen(1),der in der Hoffnung Adornos kulminiert,Schule könne einen Beitrag zur „Entbar-barisierung der Menschheit“ leisten. Da-gegen setzt Terhart die „Konzentrationauf Machbares“, einen vorsichtigen undzugleich entschlossenen „Pragmatismus“

und die „Freude am Eigensinn beim kon-stanten Bohren dicker Bretter“. Dabeikommt, einmal abgesehen von dem pro-blematischen Bild des Bretter bohrendenLehrers jedoch Entscheidendes zu kurz:das Nachdenken über Inhalte und Wert-vorstellungen. Drei von vielen möglichenBeispielen:• Nur 25 % der Deutschen denken, dass

es in diesem Land gerecht zugehe.• 20 % der Kinder und Jugendlichen

haben Probleme, mit den Anforde-rungen der Schule zurechtzukommen.

• 2016 werden achtzig Familien so vielEigentum besitzen wie die Hälfte derMenschheit. Und ein Prozent derReichsten wird so viel Vermögen be-sitzen wie die restliche Welt.

Der „Konzentration auf Machbares“ soll-te ein Prozess der Verständigung überWünschbares vorangestellt werden.Jede Klasse könnte sich zu Beginn desSchuljahres oder an dessen Ende auf diefür sie wichtigsten Ziele von Schule eini-gen. Im nächsten Schritt könnten sichVertreter sämtlicher Klassen einer Schuleauf Prioritäten für ihre Schule einigen.Danach könnte Lehrerschaft/Eltern-

schaft, die ebenfalls drei Prioritäten fest-legen, im Konsens mit der Schülerschaftdie für ein Jahr maßgeblichen Zielsetzun-gen der Schule definieren. Am Ende desSchuljahres erfolgt eine Evaluation unddanach nach dem gleichen Procedere dieFestlegung neuer Zielsetzungen für dasnächste Schuljahr. Abweichungen zwi-schen den Prioritäten einzelner Klassenund denen, die für die ganze Schule gel-ten, sind erwünscht. In jeder Schule desBundeslandes wird so verfahren. Die je-weiligen Ergebnisse werden veröffent-licht und bereichern die entsprechendenDiskurse an den Schulen des Landes.Ergebnis: Ziele werden gemeinsam vonallen Beteiligten festgelegt und alle fühlensich im Idealfall dafür verantwortlich, dassdiese Zielsetzungen verfolgt werden.Es wäre einen Versuch wert! Oder?

Thomas Adamczak, ehemals Fachleiteram Studienseminar für Gymnasien

(1) Ewald Terhart; Faule Säcke, armeSchweine oder Helden des Alltags, in:Jahresheft XXIV/2010 des Friedrich Ver-lags, Seelze 2010, S. 38 – 41

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

Keine technische Entwicklung hat dieLebenswelt Heranwachsender so rasantund einschneidend verändert wie die digi-talen Bildschirmmedien. Im Vergleich zumtechnischen Umfeld der 80er Jahre offen-bart sich heute ein wahrer digitaler Quan-tensprung. Eltern wie Lehrkräfte sind indieser neuen Welt als Ratgeber und Kon-trollinstanz dringend gefordert, aber in derRegel damit weitgehend überfordert, wasdurch die extreme Dynamik dieser Tech-nologie noch zusätzlich erschwert wird.Während man bis 2009 noch das inzwi-schen abgeschaltete Soziale Netzwerk„SchülerVZ“ im Auge haben musste, ste-hen heute Smartphones, WhatsApp,Facebook, Instagram und Snapchat auf dermedienpädagogischen Agenda.Anders als bei früheren technischen Neue-rungen hat sich die Nutzung von Internet,Smartphones, Computern und Spielekon-solen durch Kinder und Jugendliche der-maßen verselbständigt, dass vielen Elternund Lehrkräften der „Generation Kasset-tenrekorder“ angesichts der Mediennut-zung ihrer „Digital Natives“ nur ungläubi-ges Staunen bleibt. Diese Bezeichnungvermittelt allerdings ein unzutreffendesBild von der Medienkompetenz dieserGeneration, denn während Eingeborenevon ihren Eltern umsichtig und fürsorg-lich in das Leben in der Wildnis einge-führt werden, erinnert die „GenerationInternet“ eher an Goldings Roman „Herrder Fliegen“, in dem eine Gruppe von Ju-gendlichen auf einer einsamen Insel stran-det und dort ohne Anleitung Erwachse-ner klarkommen muss – was dann auchgründlich eskaliert.Die Frage nach der Medienfitness ihrer El-tern beantworten 8 von 10 Jugendlichenmit einem überlegenen „Die haben keinenPlan!“, häufig gefolgt von dem Nachsatz„…und die sollen auch keinen kriegen!“Bei einer Umfrage im Rahmen einer Veran-staltung mit 1200 Jugendlichen im hessi-schen Dieburg trauten nur 16 % ihren Elterndie Vermittlung von Medienkompetenz zu,84 % sähen dieses Thema lieber in derSchule verankert – wenn es denn entspre-chend kompetente Lehrkräfte gäbe!42 % der Jugendlichen erzählen zuhausegrundsätzlich nichts von negativenMedienerfahrungen, bei peinlichen Erleb-

Medienerziehung:Ein weiterhin hochgradig unterschätztes Thema

nissen, insbesondere solchen mit sexuel-lem Bezug steigt diese Quote gar auf 92%.Demzufolge bekommt nur ein Bruchteilder Elterngeneration mit, dass die schöneneue digitale Welt neben faszinierendenund nahezu grenzenlosen positiven Mög-lichkeiten auch vielfältige Grenzüberschrei-tungen in hoch problematische Bereicheeröffnet. Während Kinder an andereKulturtechniken wie etwa das Radfahrenoder die Nutzung von Werkzeugen für-sorglich unter elterlicher Anleitung heran-geführt werden, haben sie millionenfachunbeaufsichtigt und unaufgeklärt Vollzu-griff auf das Internet. Dass dieses ein kom-plettes Abbild des realen Lebens darstelltund somit Minderjährigen Zugang zu al-lem ermöglicht, was man ihnen ansonstenverwehrt, ist nur einer Minderheit der El-tern bewusst. Und da selbst Virenschutzauf jedem fünften privaten Rechner fehlt,haben auch Cyberkriminelle leichtes Spiel.Schulrelevant ist dieses Thema, weil vielfäl-tige negative Konsequenzen unbedarfterMediennutzung dazu führen können, dassSchule für die Betroffenen zur absolutenNebensache wird.„Medienkompetenz“ bedeutet weitausmehr als Bedienkompetenz im Umgangmit Programmen, Apps, E-Mails oderVideospielen. Viel zu schleppend entwi-ckelt sich die Einsicht, dass an erster Stelleein verantwortungsvoller, kritischer undsicherheitsbewusster Umgang mit der di-gitalen Welt vermittelt werden muss.Diesen eklatanten Mangel an Problem-bewusstsein muss man leider sämtlichenfür Erziehung und Bildung verantwortli-chen Personengruppen gleichermaßen at-testieren, Eltern und Lehrkräften ebensowie Politikern. Folgerichtig gibt es meinesWissens bis heute in keinem Bundeslandein Konzept, das diese Problematik wirk-sam und flächendeckend angeht – obwohlJugendliche inzwischen seit mindestens15 Jahren flächendeckend online sind.Und so melden sich immer jüngere Kin-der in sozialen Netzwerken an und breitendort naiv ihr Leben in Wort und Bild aus,spielen Gewaltspiele ohne Jugendfreigabeoder sehen sich Hardcore-Pornofilmeund Tötungsvideos im Internet an. InWhatsApp, Facebook & Co. geraten siesich verbal in die Haare, weil sie vielfach

einfach noch nicht alt genug sind, um mitdiesen Technologien reflektiert umzuge-hen, und weil ihnen zudem niemand denrichtigen Umgang damit vermittelt. Dieszeigt sich insbesondere beim Thema„Sexting“, das laut der JIM-Studie 20141

bereits 27 % der Jugendlichen in ihremBekanntenkreis erlebt haben. Wenn freizü-gige Fotos oder Videos öffentlich werden,lässt sich nur noch Schadensbegrenzungbetreiben, zurückdrehen lässt sich das Radfür die Betroffenen nicht mehr.Der tägliche Bildschirmkonsum von 12-19jährigen an Wochentagen beläuft sichlaut der JIM-Studie 2014 bei Mädchen auf5:43 Stunden, Jungen kommen sogar auf6:37 Stunden! Die zusätzlichen 54 Minu-ten der Jungen erklären sich durch deut-lich höheren Konsum von Videospielen.Da gleichzeitig nur 13 % der Bildschirm-nutzung der Informationssuche dienenund 87 % für Chatten, Spiele und andereUnterhaltung verwendet werden, ist offen-sichtlich, dass positive Auswirkungen die-ser Nutzungsumfänge auf den Schulerfolgnicht zu erwarten sind. Im Gegenteil:Während Ende der 80er Jahre Jungen undMädchen noch gleichauf lagen, sind heutezwei Drittel der Sitzenbleiber und Schul-abbrecher Jungen, nur jeder dritte Junge er-hält noch eine Gymnasialempfehlung undbei den Abiturabschlüssen liegen die Mäd-chen inzwischen mit 54 % und einer um0,9 Punkte besseren Durchschnittsnoteklar vorne! Während 51 % der Mädchennach wie vor gerne lesen (Jungen: 28 %),beschäftigen sich 70 % der Jungen täglichoder mehrmals wöchentlich mit Video-spielen. Lernspiele, von denen man in derSchule profitieren könnte, finden sich un-ter den populären Spielen jedoch nicht.Durch die zunehmende Vollausstattungimmer jüngerer Kinder mit Handys,Smartphones, Computern und Spiele-konsolen betrifft diese Problematik inzwi-schen auch immer stärker den Grund-schulbereich – das digitale Einstiegsaltersinkt kontinuierlich pro Kalenderjahr umetwa ein Lebensjahr. V.a. Smartphonesund mobile Spielekonsolen haben sich zuvermeintlich unverzichtbaren Statussym-bolen entwickelt, und so wird dem Quen-geln der Kinder allzu früh und unüberlegtnachgegeben, schließlich haben es „die an-

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

deren doch auch alle“ – das stimmt zwarheute ebenso wenig wie früher, ist abernach wie vor das Königsargument zumKnacken elterlicher Widerstände.Wenn das digitale Spielzeug unversehenszum Problem wird, reagieren Eltern in derRegel hilflos und fordern die Unterstüt-zung der Schule ein. Dass die meisten El-tern mit der Medienerziehung überfordertsind, belegt auch die Auswertung von1733 Fragebögen zu meinen Elternaben-den: Jeweils über 94 % gaben hier an, Neu-es erfahren zu haben, das ihr zukünftigesHandeln beeinflussen wird, und dass siedie Vermittlung von Medienkompetenzschon in der Grundschule für dringenderforderlich halten. Sogar 99 % wünschtensich die Vermittlung dieser Kompetenzenin der Schule!Es ist demnach dringend erforderlich,Kindern wie Eltern über schulischeMedienbildungskonzepte einen kompe-tenten und verantwortungsbewusstenUmgang mit den digitalen Medien nahezu bringen. Aber während diese Arbeit mitSchülern und Schülerinnen sowohl leichtzu organisieren als auch effektiv ist (kom-petente Lehrkräfte vorausgesetzt), sind imErwachsenenbereich beträchtliche Hürdenzu überwinden:Zum einen gibt es auch im Lager derPädagogen nur wenige, die in dieser Mate-rie wirklich zuhause sind – die ICILS-Stu-die2 („International Computer and Infor-mation Literacy Study") aus dem Jahr2014 bescheinigt deutschen Lehrkräftenim internationalen Vergleich sehr geringe

Medienaffinität. Beim Einsatz digitalerMedien im Unterricht liegt Deutschlandhier auf dem letzten Platz, die mangelhaftetechnische Ausstattung der Schulen istgegenüber 2006 unverändert. Den in dieserStudie getesteten Achtklässlern wird ins-gesamt nur Mittelmaß bescheinigt, einDrittel davon verfügt sogar nur über rudi-mentäres Wissen zum Umgang mit neuenTechnologien. In Hessen wird laut Schul-gesetz Medienkompetenz zwar THEO-RETISCH fachübergreifend unterrichtet,aber da dieses Thema in der Lehreraus-und Fortbildung nicht verpflichtend be-legt werden muss, funktioniert diese Ideal-vorstellung mit der aktuellen Lehrer-generation in der Praxis nicht. Und auchdie aktuellen LiV bringen nur geringeKenntnisse in diesem Bereich mit, weildiese Inhalte im Studium nicht verpflich-tend implementiert sind.Zum zweiten kommen nur sehr wenigeEltern aus freien Stücken zu Infoveranstal-tungen über Medienerziehung. Um mehrals 10 % der Eingeladenen zu erreichen,muss man sie mit Vehemenz geradezu„vorladen“. Besonders schwierig gestaltetsich hier der Zugang zu Eltern, die derdeutschen Sprache kaum oder gar nichtmächtig sind, doch gerade bei deren Kin-dern gibt es klare statistische Zusammen-hänge zwischen Bildschirmkonsum, Über-gewicht und Schulversagen.Umfangreiche Aufklärung, Präventions-arbeit und Medienbildung sind also drin-gend notwendig und lange überfällig. Einflächendeckendes Fortbildungskonzept

mit einem angemessenen Stundendeputatfür IT-Fachberater/innen an Schulämternund Studienseminaren sowie Medien-beratungslehrkräfte bzw. medienpädago-gisch geschulte Schulsozialarbeit an allenSchulen gibt es nicht zum Nulltarif, dochin der Kosten-Nutzen-Rechnung ist hierjeder Euro effektiv investiert, da Therapiebekanntlich deutlich teurer ist als Präven-tion.

Günter Steppich ist IT-Fachberater fürJugendmedienschutz am StaatlichenSchulamt für Wiesbaden und den Rhein-gau-Taunuskreis.E-Mail: [email protected]

Quellen (Auswahl):• www.medien-sicher.de

Website des Autors• www.klicksafe.de EU-Initiative

für mehr Sicherheit im Netz• www.mpfs.de KIM- und JIM-Studien

1998-2014

1 JIM-Studie 2014. Jugend, Information,(Multi-) Media. Basisstudie zum Medien-umgang 12- bis 19-Jähriger in Deutsch-land. http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/JIMStudie2014.pdf

2 ICILS 2013. Computer- und informations-bezogene Kompetenzen von Schülerinnenund Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im in-ternationalen Vergleich, Münster (Waxmann)2014. http://www.waxmann.com/fileadmin/media/zusatztexte/ICILS_2013_Berichtsband.pdf

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Die von der UN ausgerufene Weltdekadeeiner „Bildung für nachhaltige Entwick-lung“ (BNE) ging 2014 zu Ende. Die UNbeschloss mit dem „Weltaktionspro-gramm“ BNE eine Fortsetzung (maßgeb-lich dabei der UNESCO Vorschlag „Glo-bale Action Programm 2015+“) (sieheBNE-Portal). Jede Neubestimmung desBildungsprogramms hat zur Kenntnis zunehmen, dass die Daten der Umwelt-situation erschreckend sind und Kritikerzwingen. Kein geringerer wie DennisMeadows, dessen „Grenzen des Wachs-tums“ 1972 die globale Nachhaltigkeits-diskussion entscheidend prägte, hat öf-fentlich diese für gescheitert erklärt undhält daher gegenwärtig die Phase derResilienz für gekommen. Für die Bildung,die am Grundsatz der Mündigkeit orien-tiert ist, hat folglich das „Verstehen“ derhistorisch neuen menschheitsgefährden-den Nichtnachhaltigkeit und das als Ant-wort darauf entworfene globale Nach-haltigkeitskonzept im Zentrum vonUnterricht zu stehen. Anders als übersimplifizierende Greening-Vorstellungen,gewinnt man ein Verständnis der Nach-haltigkeitsproblematik allererst „gene-tisch“, d.h. durch die Einsicht in ihreEntstehung, ihre Begründung und in dieWidersprüche sowohl ihres Konzepts alsauch ihrer Praxis. 1

Die Genese vom „Naturschutz“ über den„Umweltschutz“ über die Einsicht in die„Grenzen des Wachstums“ bis hin zumUN-Konzept einer „nachhaltigen Welt-entwicklung“ markieren inhaltlich we-sentliche Stationen, damit die Sachpro-bleme (ökonomisches Wachstum,Ernährung, Energie, Wasser, Stadtent-wicklung, Mobilität, Artenvielfalt usw.)sowie die damit unmittelbar verbunde-nen politischen Konstellationen (globalepolitische Machtverhältnisse, multinatio-nale Konzerne, Widerstandsbewegungenusw.) einem Verstehen überhaupt zu-gänglich werden können.In diesem Prozess der jüngsten Mensch-heitsgeschichte vollzieht sich eine radi-kale Zäsur im Verhältnis von Natur undKultur, in der in relativ kurzer Zeit auchNatur zum bloßen Mittel der Kapital-verwertung degeneriert. War in der Gat-tungsgeschichte die Natur das Bedrohli-

che, mit dem die Menschen sich ausein-anderzusetzen hatten, erscheint nun zu-nehmend die Natur als bedroht. Dochder daraus historisch erwachsene „Natur-schutz“ schien schon Mitte des 20. Jhs.zu kurz zu greifen, wurde doch deutlich,dass damit „unsere“ Umwelt, also unserematerialen Lebensbedingungen insge-samt, in Gefahr waren. Ein Umstand fürden sich seit ca. 1970 die Lehnüberset-zung von „enviromental protection“(Radkau 1989, 360) „Umweltschutz“ eta-blierte. Doch auch diese Fassung desProblems wurde von der industrie-kapitalistischen Entwicklung überrollt,was dramatisch in der 1972 veröffent-lichten Studie „The Limits of Growth“zum Ausdruck kam, die in 3 Mio Exem-plaren erschien und in 30 Sprachen über-setzt wurde. Sie hat „den empfindlich-sten Nerv moderner Gesellschaftengetroffen“, nämlich „Wachstum, also daspulsierende Herz eines Typs Ökonomie,der zur Lösung von Problemen jeglicherArt nichts anderes zu bieten hat als Ex-pansion.“ (Welzer/Wiegandt 2013, 8)Ein ‚Weiter so‘ war schon aus naturwis-senschaftlichen Gründen unverträglichgeworden mit menschlichem Überleben.Im Zuge der Einsicht des Meadow-Re-ports in die katastrophalen Folgenexponentiellen Wachstums mündetenrege Aktivitäten auf UN-Ebene 1987 imsog. Brundtlandbericht: „Unsere gemein-same Zukunft“. Im Grunde handelt essich um eine „integrative(n) globale(n)Politikstrategie“ (WD, Nr. 06/2004, 1), inderen Zentrum der politische Leitbegriff:„Sustainable Development“, „nachhaltigeEntwicklung“, steht. Der Schutz der Na-tur bzw. der natürlichen Ressourcen wirdverpflichtend mit dem Ziel einer sozialgerechten Entwicklung aller Menschenverbunden. Drei Faktoren sind seit demfür eine nachhaltige Entwicklung ent-scheidend: Effizienz, i.S. einer Ressour-cen-Produktivität; Konsistenz, i.S. vonnaturverträglichen Technologien undPraxen und Suffizienz, i.S. des Rückbausvon „Überverbrauch von Gütern und da-mit von Stoffen und Energie“ (Wupper-tal Institut für Klima, Umwelt, Energie).Wie die jeweiligen Faktoren in welchemLand der Erde und bezogen auf welche

Schichten und Klassen zur Geltung zubringen sind, markiert das prinzipiellePolitikum, da eine grundlegende Trans-formation2 gefordert ist. Vor allem dieSuffizienzforderung kollidiert grundsätz-lich mit einer Ökonomie, die ihrem We-sen nach „Umsätze und Profite zu si-chern und zu steigern“ hat (Wiegandt in:Wiegandt/Welzer, 61).Auf dem UN-Weltgipfel in Johannesburg(2002) wurde die Nachhaltigkeitspolitikum einen „pädagogischen Flügel“, dieDekade für eine Bildung für nachhaltigeEntwicklung“, erweitert. So richtig dieEinsicht in die Notwendigkeit einer um-fassenden Bildung ist, so stark sindpädagogische Maßnahmen von einemWiderspruch bestimmt, nämlich das,was politisch nicht gelingt, zur pädago-gischen Aufgabe zu erklären. Entspre-chende administrative Verlautbarungenerwecken daher oft den Eindruck, „alsgebe es trotz strikter Wachstums-Orien-tierung Rettungs-Konzepte für die sin-kende Titanic und als könnten diese aus-gerechnet von den schwächstenGliedern der Gesellschaft … realisiertwerden.“ (Meueler, 11)Pädagogisch ist daher notwendig, amCharakter der ‘Nichtnachhaltigkeit‘ anzu-setzen, die unsere Gesellschaft und ihrePolitik bestimmt. Einer Bildung i.S. derMündigkeit sollte es entschieden um dasVerstehen des wissenschaftlich-politi-schen Zusammenhangs dieser Problema-tik gehen. Wer über Nachhaltigkeit nach-denkt, darf die Dominanz der an derKapitalverwertung ausgerichteten Wirt-schaft nicht ausblenden. NachhaltigeEntwicklung verlangt eine prinzipielleNeuausrichtung von Produktion undKonsum hin zur Verträglichkeit mit den„biophysikalischen Grenzen unseres Sy-stem Erde“, wodurch einzig denkbar ist,„allen heute lebenden Menschen und zu-künftigen Generationen ein Leben inWürde, Gerechtigkeit und Frieden zu si-chern.“ (Wiegandt, 10)Die unterrichtliche Bildungsarbeit kannam politischen Kern des BNE Konzeptsanknüpfen. So umfasst schon die Ham-burger Erklärung der DeutschenUNESCO-Kommission (2003) nebeneher klassisch-ökologischen Themen

Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE):

Verstehen der „Nichtnachhaltigkeit“ als Bedingung e

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

wie Wasser- und Energieversorgung,Gesundheit und Lebensqualität auchund gerade solche wie Konsumverhalten,Armutsbekämpfung, Gerechtigkeit zwi-schen den Generationen undMenschenrechte. Also eben keine reinen‚Ökothemen‘! Im Gegenteil, BNE ver-langt die Identifizierung, Bekämpfungund Überwindung von Inhumanität unddamit die Kritik herrschender „Miss-bildung“ (Koneffke 2004, 252). BNE darfauch keine bloße curriculare Erweiterungsein, sondern ist der Anlass zur „Re-Visi-on“ von Bildung (Kehren 2007, 72, vgl.auch Kehren 2016) hin zur „Steigerunggesellschaftlicher Reflexionsfähigkeit beider Beobachtung und Mitgestaltung vonTransformationsprozessen“ (Schneide-wind, in: Welzer/Wiegandt, 139). Dasschließt aber gerade auch die Kritik vonpolitisch-ökonomischen Funktionalisie-rungen von „Nachhaltigkeit“ entschie-den mit ein (vgl. Weber 2002).Bildung im Kontext von „Nachhaltigkeit“beruht daher auf der wissenschaftlich-kri-tischen Analyse des Zusammenhangsnaturwissenschaftlich-technologischerDimensionen mit sozial-politischen Kon-stellationen (vgl. u.a. Wiegandt 2007-2009und Wuppertaler Institut 2008).Peter Euler, Prof. für Pädagogik,TU Darmstadt

1 Zur hier im Anschluss an Martin Wagen-scheins Forschungen im Bereich einerPädagogik der Naturwissenschaften inAnspruch genommenen pädagogischenKategorie des „Verstehens“ siehe Euler2013, Bierbaum 2013

2 „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertragfür eine Große Transformation“ heißt dasHauptgutachten des WissenschaftlichenBeirats der Bundesregierung GlobaleUmweltveränderungen (WBGU) 2011

Literatur:BIERBAUM, Harald (2013): Verstehen-Lehren. Aufgaben und Probleme der schu-lischen Vermittlung naturwissenschaftli-cher Allgemein-Bildung. HohengehrenBNE-Portal: www.bne-portal.de/index.php?id=55de HAAN, G. (2008): Gestaltungs-kompetenz als Kompetenzkonzept für

Bildung für nachhaltige Entwicklung. In:Bormann, I./de Haan, G. (Hg.): Kompe-tenzen der Bildung für nachhaltige Ent-wicklung. Operationalisierung, Messung,Rahmenbedingungen, Befunde. Wiesba-den. S. 23–44de HAAN (2014): Nach der Dekade.Konturen eines Weltprogramms zur Bil-dung für nachhaltige Entwicklung. In:Jahrbuch Bildung für nachhaltige Ent-wicklung 2, Wien, S. 156-166EULER, Peter (2013): Verstehen als pä-dagogische Kategorie. Voraussetzungensubjektiver Sach- und Facherschließungam Beispiel der Naturwissenschaften.Vierteljahresschrift f. wiss. Pädagogik,Heft 4, 89. Jg., 2013 , S. 484-502EULER, Peter (2014): Nachhaltigkeitund Bildung. Plädoyer für ein sach-haltiges Verstehen herrschender Wider-sprüche. In: Jahrbuch Bildung für nach-haltige Entwicklung 2, Wien, S. 167-74glokal e.V. Bildung für nachhaltige Un-gleichheit?. Berlin http://www.glokal.org/publikationen/bildung-fuer-nachhal-tige-ungleichheit/(3.10.2014)GRAUPE, Silja/KRAUTZ, Jochen: An-passung an eine Scheinwelt: FAZ 6. 12.2013, S. 7KEHREN, Yvonne (2007): Pädagogikund nachhaltige Entwicklung. Reflexio-nen einer widerspruchsreichen Bezie-hung, SaarbrückenKEHREN, Yvonne: Bildung für nachhal-tige Entwicklung. Zur Kritik eines päda-gogischen Programms. HO-RIZONTE Studien KritischePädagogik Band 5. SchneiderVerlag Hohengehren, 2016KONEFFKE, Gernot (2004):Globalisierung und Pädagogik– Bemerkungen zu einer alten,vertrackten Beziehung. In:Jahrbuch für Pädagogik 2004,Frankfurt/M, S. 237 - 254MEADOWS, Dennisu.a.(1972): Die Grenzen desWachstums. Stuttgart: dva.Bericht des Club of Rome zurLage der Menschheit (Origi-nal: The Limits of GrowthNew York 1972)MEADOWS, Dennis (2014):“Everybody wants the magic

button …” Dennis Meadows talkingabout Resilience and Education forSustainable Development. In: JahrbuchBildung für nachhaltige Entwicklung 2,Wien, S. 85-91RADKAU, Joachim (2000): Natur undMacht. Eine Weltgeschichte der Umwelt.MünchenSCHNEIDEWIND, Uwe (2013): Wan-del verstehen – Auf dem Weg zu einer„Transformative Literacy“. In: Welzer/Wiegandt (Hg.) (2013), S. 115–140WD Nr. 06/2004: WissenschaftlicheDienste des Deutschen Bundestages,Nr. 06/2004.Der aktuelle Begriff: NachhaltigkeitWELZER, Harald (2013): Selbst den-ken. Eine Anleitung zum Widerstand,Frankfurt/MWELZER, Harald/WIEGANDT,Klaus (Hg.)(2013): Wege aus derWachstumsgesellschaft. Frankfurt/MWUPPERTAL INSTITUT für Klima,Umwelt, Energie: http://wupperinst.org/projekte/themen_online/oeko_suffizienz/(20. 1. 2014)WIEGANDT, Klaus (Hg.) (2007–2009):Mut zur Nachhaltigkeit – 13 Bücher zurZukunft der Erde, S. Fischer Verlagwww.mut-zur-nachhaltigkeit.deWUPPERTAL INSTITUT für Klima,Umwelt, Energie GmbH (Hg.) (2008):Vom Wissen zum Handeln: didaktischeModule. Stiftung Forum für Verantwor-tung. Otzenhausen

E): Entstehung – Begründung – Widersprüche

g einer Bildung für nachhaltige Entwicklung

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Junge FlüchtlingeHerausforderungen und Chancen für die Schule

2015 ist das Jahr des größten Zustromsvon Flüchtlingen seit Jahrzehnten. An-gela Merkel sprach in ihrer Regierungser-klärung am 24. September von global 60Millionen Menschen aus Krisengebieten,die sich auf der Flucht vor Krieg, Bedro-hung und Tod befinden. Die wachsendeZahl dieser Flüchtlinge stellt Europa voreine der größten Herausforderungen seitBestehen der Europäischen Union undwird den Kontinent mit Sicherheit nach-haltig beeinflussen. Von Anfang Januarbis Ende September diesen Jahres such-ten nach Angaben des Sozialministeri-ums in Hessen 42.474 Menschen Schutzund Zuflucht (Information der Presse-stelle vom 28.10.2015).Die Aufnahme von Flüchtlingen ist einegesamtgesellschaftliche Aufgabe, dochbesonders konfrontiert mit der neuen Si-tuation sind die Lehrkräfte: Zum Startdes neuen Schuljahres hat Hessen insge-samt 399 sogenannte Intensivklasseneingerichtet, in denen Flüchtlingskindervor allem erst einmal Deutsch lernen sol-len. Die in diesen Klassen eingesetztenLehrkräfte – die meisten ohne entspre-chende Zusatzausbildung – sehen sichunvermittelt mit Schülerinnen und Schü-lern betraut, mit denen die Kommunika-tion aufgrund der fehlenden Deutsch-kenntnisse noch schwierig ist, denenaufgrund ihrer Herkunft demokratischePartizipation fremd ist und die sich in ei-ner aktuell schwierigen Lebenssituationbefinden. Flüchtlingskinder sind ausihren gewohnten Strukturen herausgeris-sen, sind mitunter durch grausame Er-fahrungen auf der Flucht oder im Hei-matland traumatisiert und leben nun inContainern, Zelten oder in einer Turn-halle auf engstem Raum mit Menschenunterschiedlicher Kultur zusammen. DieFrustration über ihre Lebensumständeentlädt sich nicht selten in Gewalt inner-halb der Flüchtlingsunterkunft oderFlüchtlinge erleben Gewalt und Anfein-dungen von feindlich gesinnten Bürgern.Diese Gewalterfahrungen werden Spurenhinterlassen.

Mehr als Sprachunterricht„Unterricht mit Flüchtlingen unterschei-det sich in großem Maße vom dem uns

gewohnten“, erklärt Ludger Kaul, Lehrerfür Politik und Wirtschaft an der Land-rat-Gruber-Schule (LGS) in Dieburg. Erlehrt schon seit mehreren Jahren inFlüchtlingsklassen; seit diesem Jahr istseine Schule eine der zwölf Schwerpunkt-schulen mit dem erweiterten hessischenSprachförderkonzept „Integration undAbschluss“ (InteA) in beruflichen Schu-len. Das Konzept wurde gemeinsam vomHessischen Kultusministerium (HKM)und dem Hessischen Ministerium fürSoziales und Integration als Förderkon-zept für die künftige Beschulung vonSeiteneinsteigern ohne Deutschkennt-nisse erarbeitet, denn das Beherrschender deutschen Sprache hält auch Kultus-minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz fürden Schlüssel zum Schulerfolg und zurTeilhabe an der Gesellschaft.Eine Facultas für Lehren von Deutsch alsFremdsprache ist nicht an jeder Schulevorhanden. Das Land Hessen hat daherauf den Bedarf an Qualifizierung im Be-reich Sprachunterricht reagiert und einen„Weiterbildungskurs für das Unterrichts-fach Deutsch als Fremd- oder Zweit-sprache (DaF/DaZ)“ für 120 hessischeLehrkräfte ins Leben gerufen. Dieser warallerdings bei den Lehrkräften so gefragt,dass mehr als jeder zweite Interessierteeine Absage auf seine Bewerbung bekam.Lehrkräfte wünschen sich demnachdringend Fortbildungen für das Unter-richten der neuen Schülerinnen undSchüler aus den Krisengebieten. Für 2016sind von Seiten des Kultusministeriumsdaher weitere DaF-/DaZ-Weiterbil-dungsangebote vorgesehen. Doch derFortbildungsbedarf betrifft längst nichtnur die rein fachlich zu erwerbendenQualifikationen in der Sprachvermitt-lung. Nötige soziale Kompetenzen derLehrenden im Umgang mit Flüchtlingensind ebenfalls von großer Bedeutung,z.B. der Umgang mit Traumatisierung,konstruktive Konfliktbearbeitung undder sensible Umgang mit religiöser undkultureller Heterogenität. Diese Hürdendürfen nicht ausgeblendet werden. „Esgeht nicht nur darum, den FlüchtlingenDeutsch beibringen zu wollen“, erklärtLehrer Kaul, es gehe „um Menschen, dieaus einem anderen Umfeld kommen und

andere Erfahrungen mitbringen“. Wich-tig sei daher die Bereitschaft, „in Bezie-hung zu gehen“ und mehr als nur Spra-che – nämlich Kultur und Werte –vermitteln zu können.

Gewaltprävention undDemokratielernenHier stehen Schulen vor einer großenAufgabe. Sie brauchen eine durchdachteStrategie. Gerade Gewaltprävention undDemokratielernen sind wichtig, um Inte-gration überhaupt gelingen zu lassen.Lehrkräfte benötigen in diesem BereichKompetenzen, um mit den Herausforde-rungen und Schwierigkeiten umgehen zukönnen. Die Schule wird in Zukunftnoch viel stärker mit dem Thema Flücht-linge konfrontiert werden und muss un-ter anderem die folgenden Herausforde-rungen bewältigen:Spracherwerb: Die erste Aufgabe ist es,Flüchtlingskindern Deutsch zu vermit-teln, damit sie zukünftig am Regelunter-richt teilnehmen können. Dies kannohne zusätzliche Mittel nicht realisiertwerden.Umgang mit Traumatisierungen:Schulen müssen verstärkt mit Expertin-nen und Experten für Traumatherapiezusammenarbeiten. Hier müssen Kontak-te aufgebaut werden, um diese Expertiseden Schulen zugänglich zu machen. Leh-rerinnen und Lehrer brauchen Fortbil-dung für den Umgang mit traumatisier-ten Kindern und Jugendlichen, die in derRegel nicht nach ihren Erfahrungen be-fragt werden sollten, da dies die Gefahrvon Re-Traumatisierungen in sich birgt.Wertevermittlung und Demokratie-lernen: Geflüchtete kommen zumeistaus Ländern ohne demokratische Struk-turen. Gewalt und Menschenrechtsver-letzungen sind an der Tagesordnungund jeder Krieg geht mit Verrohung ein-her. Es gibt keine funktionierenden Zivil-gesellschaften, humane Werte werdenmit Füßen getreten. Deshalb stehen auchSchulen vor der Aufgabe, die Kinder undJugendlichen mit Kinderrechten undMenschenrechten sowie zentralen Wer-ten unseres Grundgesetzes vertraut zumachen und diese Werte in der Klasseaktiv zu leben. Ganz praktisch kann dies

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

durch einen Klassenrat erfahren werden.Es bedeutet auch, dass sich Lehrkräftesehr klar im Sinne der Menschen- undKinderrechte positionieren und men-schenverachtenden Haltungen und Aus-sagen von Jugendlichen klar entgegen-treten müssen. Aktuell haben wir es mitzwei Bedrohungen zu tun: Rechtsextre-me und Rechtspopulisten (Pegida) be-gegnen den Fremden mit Gewalt undHass und extremistische Salafisten ma-chen vor den Unterkünften Werbung fürihre Sache.Konstruktiver Umgang mit Kon-flikten und Mediation: Das Aufeinan-dertreffen von Kindern und Jugendlichenaus ganz unterschiedlichen Ländern undKulturen wird zwangsläufig mit Konflik-ten einhergehen, nicht nur zwischen„Neuen“ und „Alten“, sondern auch un-ter den „Neuen“, wie die Konflikte in denFlüchtlingsunterkünften bereits jetzt zei-gen. Eine wichtige Aufgabe für die Lehr-kräfte wird es sein, präventive Maßnah-men zu ergreifen, um Gewalt möglichstzu vermeiden und Konflikte mit media-tiven Mitteln zu lösen. Dies setzt voraus,dass Lehrkräfte ein Mindestmaß an Me-thoden konstruktiver Konfliktbearbei-tung kennen und anwenden können.Fortbildungen zur Mediation sind hierhilfreich.Interkulturelles Lernen: Das Zusam-mentreffen von Kindern und Jugendli-chen aus unterschiedlichen Kulturen bie-tet Chancen voneinander zu lernen undist eine Bereicherung. Um interkulturellesLernen zu ermöglichen, müssen entspre-chende Lernräume bereitgestellt undProzesse initiiert werden. Es gilt aberauch hier der Grundsatz, traumatisierteKinder und Jugendliche in einer Formeinzubeziehen, die sie nicht einer Re-Traumatisierung aussetzt. Lehrkräfte soll-ten sich Kenntnisse und Methoden überdie Initiierung von interkulturellen Dia-logen aneignen.1

Die Herausforderungen stellen sich anjeder Schule anders. Aber alle Schulenmüssen sich so vorbereiten, dass die ge-samte Schulgemeinde in einen Diskursüber die neuen Aufgaben eintritt und dieeinzelne Lehrkraft mit den entstehendenAufgaben nicht allein gelassen wird.

Auch ist eine vorausschauende Haltungsinnvoll, um zu überlegen, wie eine Schu-le in Bezug auf zukünftige Flüchtlings-klassen und die Integration von Flücht-lingskindern und -jugendlichen reagierenkann.Eine weitere Möglichkeit besteht darin,das Prinzip des Peer-Lernens zu nutzen.Kinder und Jugendliche können in einembegrenzten Rahmen Flüchtlingskinderbeim Lernen unterstützen. So unterstützteine Oberstufenklasse in Heidenau(Sachsen) Flüchtlingskinder beimSpracherwerb.Eine weitere wichtige Rolle kommt demEngagementlernen (Service Learning) zu.Hierbei handelt es sich um fest im Stun-denplan integrierte Stunden, die Teil desschulischen Lernens sind. In diesemRahmen können Schülerinnen undSchüler Flüchtlingen bei der Integrationhelfen. Das reicht von der Sprachver-mittlung über gemeinsame Sportveran-staltungen und die Unterstützung bei

Ämtergängen bis hin zu gemeinsamenFesten und weiteren Aktivitäten wie Ko-chen oder Ausflügen. Hierfür gibt es auchin Hessen schon viele gute Beispiele.

Nikola Poitzmann undHelmolt Rademacher

Helmolt Rademacher leitet das Projekt„Gewaltprävention und Demokratie-lernen“ (GuD) des Hessischen Kultusmi-nisteriums (www.gud.bildung.hessen.de),Nikola Poitzmann ist GuD-Landeskoor-dinatorin für Südhessen. GuD startetAnfang 2016 ein Pilotprojekt für Schu-len, die sich intensiver mit den Heraus-forderungen durch die Flüchtlinge be-schäftigen wollen.

1 vgl. beispielsweise: Helmolt Rademacherund Maria Wilhelm: Miteinander. Über90 interkulturelle Spiele, Übungen undProjektvorschläge für die Klassen 5–10.Berlin 2016

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„Winter. Ein Freund will sich kurz meineHandschuhe ausleihen. Lehrer: Nein, diebraucht sie selbst, hier ist’s kälter als in Afri-ka“ (#schauhin – Niddal Salah-Eldin(@Nisalahe) September 6, 2013). Ist dasRassismus? Der Lehrer meint es in dieserSituation scheinbar doch nur gut. Ermöchte nicht, dass seine Schülerin friert,könnte man meinen. Unbewusst, dassoll hier einmal unterstellt werden, unter-scheidet er zwischen der Schülerin unddem Schüler: Die Schülerin, so seine Ver-mutung, empfindet die Kälte aufgrundihrer Herkunftsgeschichte schlimmer alsder Schüler. Aber ist das schon Rassis-mus? Muss man mit diesem Begriff nichtganz vorsichtig umgehen? Beschädigtman mit einer solchen Diagnose nichtdie Person des Lehrers? Macht man sichmöglicherweise auch selbst angreifbar,wenn man diesen Ausspruch rassistischnennt?Die Schülerin Niddal teilte diese Erfah-rung auf dem Twitter-Hashtag #SchauHinmit, der im Herbst 2013 eine große me-diale Debatte über Rassismus in der Mit-te der bundesdeutschen Gesellschaft aus-löste. Den Hashtag initiierte dieJournalistin Kübra Gümüs,ay. Innerhalbnur weniger Tage berichteten dort meh-rere Tausend Twitter-Nutzerinnen und-Nutzer über ihre alltäglichen Rassismus-erfahrungen. Unterschiedliche Mediengriffen das Thema auf, denn die großeMenge der geposteten Tweets machtedeutlich, dass es sich dabei nicht umEinzelerfahrungen oder persönlicheBefindlichkeiten handelt. Vielmehr offen-bart sich hier ein strukturelles gesell-schaftliches Problem.

Warum ist es nicht leicht,über Rassismus zu sprechen?Auch wenn der Hashtag eine große me-diale Resonanz hervorrief, so fällt es inder Öffentlichkeit dennoch schwer, vonRassismus zu sprechen, geschweige dennRassismus als zuschreibende Kategoriezur Analyse gesellschaftlicher Verhältnis-se zu gebrauchen. Rassismus wird allen-falls als Einzelfall wahrgenommen, wiejüngst nach den rassistischen Bemerkun-gen des AfD-Vizevorsitzenden Alexan-der Gauland gegenüber Jerome Boateng

zu beobachten war, oder im Zusammen-hang mit rechtsextremen Gruppen alsAusnahmeerscheinung betrachtet. DerRassismusbegriff wird in Deutschland(und auch in Österreich) immer nochmit dem Nationalsozialismus in Verbin-dung gebracht. Ihn als dauerhaft präsen-tes Problem zu begreifen, widersprächedenn auch dem nahezu unhinterfragtenbundesdeutschen Selbstverständnis, wo-nach die Überwindung von Faschismusund Antisemitismus sowie die Aufarbei-tung der Vergangenheit den Weg zur De-mokratie und ihrer Festigung überhaupterst geebnet hätten. Deshalb tut man sichschwer, bereits bei abwertenden Sprech-akten, struktureller Diskriminierung oderalltäglicher Ausgrenzung und selbst beioffener Gewalt von Rassismus zu spre-chen, gilt dieser doch als historisch über-wunden. „Ausländer- oder Fremden-feindlichkeit“ waren daher lange Zeit diegängigen Bezeichnungen, ohne dass die-se kritisch hinterfragt wurden. Auch be-fürchtet man die Banalisierung der natio-nalsozialistischen Verbrechen, wenn manalltäglich vorkommende Diskriminie-rung als rassistisch bezeichnet.

Was ist Rassismus?Rassismus gab es schon lange vor demNationalsozialismus; er war seit demKolonialismus als Vorstellung von dervermeintlichen Ungleichwertigkeit derkolonisierten Bevölkerung tief im euro-päischen Denken verhaftet. Das Europades 18. Jahrhunderts war die Wiege desRassismus.Der Einfachheit halber soll hier auf eineDefinition von Philomena Essed (1992,S. 375) zurückgegriffen werden, wonachAlltagsrassismus eine „Ideologie, eineStruktur und ein Prozess [ist], mittels de-rer bestimmte Gruppierungen auf derGrundlage tatsächlicher oder zugeschrie-bener biologischer oder kultureller Ei-genschaften als wesensmäßig andersge-artete und minderwertige ‚Rassen‘ oderethnische Gruppen angesehen werden.In der Folge dienen diese Unterschiedeals Erklärung dafür, dass Mitglieder die-ser Gruppierungen vom Zugang zu ma-teriellen und nicht-materiellen Ressour-cen ausgeschlossen werden.“ Danach ist

Rassismus keine individuelle Einstellung,vielmehr legt der Begriff des Alltags-rassismus offen, dass es vielfältige For-men und Handlungen gibt, die durchausauch in Institutionen und Diskursen be-inhaltet sind. Rassismus bringt Macht-und Herrschaftsverhältnisse zum Aus-druck. Er wird durch die Konzeption derZugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeitkonstruiert. Der „moderne“ Rassismusist allerdings ein Rassismus ohne Rassen,denn als Merkmale werden vor allemkulturelle und religiöse Zuschreibungengebraucht, um „uns“ von den „Anderen“zu unterscheiden. Die Unterschiede wer-den als natürlich gegeben dargestellt.Durch diese Konstruktion werden „uns“Privilegien zugesichert, von denen die„Anderen“ ausgeschlossen werden.

Rassismus nach LehrplanRassistisches Wissen wird gesellschaft-lich reproduziert und formell wie auchinformell auf unterschiedlichen Kanälentransportiert. Auch in Bildungsprozes-sen wird in alltäglichen Abläufen Rassis-mus reproduziert und es finden – zu-meist nicht intendiert – rassistischeDiskriminierung und Zuschreibungs-prozesse statt. Die Schule ist neben demElternhaus und der Peer-Group die zen-trale Sozialisationsinstanz für Kinderund Jugendliche und so verbreitet undvermittelt auch sie rassistisches Wissen:durch Unterrichtsthemen, aber auchdurch Schulbücher und andere Unter-richtsmaterialen. Denn auch diese ver-mitteln als Teil des gesellschaftlichenDiskurses rassistische Klischees, wie diejüngst veröffentliche „SchulbuchstudieMigration und Integration“ (2015) deut-lichen machen konnte. Lehrerinnen undLehrer sind sich ihrer eigenen Nähe zurassistischen Vorstellungen und Hand-lungen in der Regel nicht bewusst. Siebenötigen deshalb Wissen über Rassis-mus und Räume, die eigene Praxis zu re-flektieren.

RassismuskritikDas Konzept der Rassismuskritik setzthier an und bietet eine Folie, sich der ei-genen Sozialisation bewusst zu werden,das Involviertsein in rassistische Denk-

Rassismuskritik – einePerspektive für die Ausbildungvon Lehrerinnen und Lehrern

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muster zu thematisieren und das profes-sionelle Handeln kritisch zu hinterfragen.„Rassismuskritik heißt: zum Thema ma-chen, in welcher Weise, unter welchenBedingungen und mit welchen Konse-quenzen Selbstverständnisse und Hand-lungsweisen von Individuen, Gruppen,Institutionen und Strukturen durchRassismen vermittelt sind undRassismen stärken. Rassismuskritik zieltdarauf ab, auf Rassekonstruktionen beru-hende beeinträchtigende, disziplinieren-de und gewaltvolle Unterscheidungen zuuntersuchen, zu schwächen und alterna-tive Unterscheidungen deutlich zu ma-chen.“ (Mecheril/Melter 2010, S. 172)

Perspektiven für dieAusbildung von Lehrerinnenund LehrernLehrerinnen und Lehrer benötigenrassismuskritisches Professionswissen.Um dieses aufzubauen, müssen sie zu-nächst einmal ihr eigenes rassistischesWissen „verlernen“, sich Wissen überdie Entstehungsgeschichte des Rassis-mus aneignen und den wissenschaftli-chen Diskurs über Rassismus rezipieren.Denn rassismustheoretisches Wissen er-möglicht es, Unterscheidungen vonMenschen zu erkennen, die an Rasse-konstruktionen anschließen. Vor allemsollten Lehrerinnen und Lehrer aber ler-nen, den Blick auf sich selbst und auf dieInstitution Schule zu richten wie auchsich selbst als permanent Lernende zubegreifen. Wer als Lehrerin oder Lehrernicht in der Lage ist, die eigenen Positio-nen stets aktiv zu reflektieren und auchzu verändern, der läuft trotz bester Ab-sichten Gefahr, zu diskriminieren undrassistisches Wissen zu reproduzieren.Deshalb ist es notwendig, dass Rassis-muskritik ein basaler Bestandteil derAusbildung von Lehrerinnen und Leh-rern wird, und zwar in allen drei Phasen.Die bislang gültigen „Standards für dieLehrerbildung – Bildungswissenschaf-ten“ der Kultusministerkonferenz (Fas-sung von 2014) greifen zu kurz, wenn siefestlegen, dass die Absolventinnen undAbsolventen eines Lehramtsstudiums„interkulturelle Dimensionen bei der Ge-staltung von Bildungs- und Erziehungs-

prozessen“ kennen bzw. „die soziale undkulturelle Diversität in der jeweiligenLerngruppe“ beachten. „InterkulturelleKompetenz“ wird in einer weiterenKMK-Empfehlung zur „InterkulturellenBildung und Erziehung“ (2013) verkürztals „Kernkompetenz“ für professionellesLehrerhandeln in der „global vernetztenGesellschaft“ festgeschrieben.Rassismuskritisch werden der Begriff der„Interkulturalität“ und die „interkulturelleKompetenz“ allerdings deshalb als pro-blematisch angesehen, weil damit „dieAnderen“ – im schulischen Kontext inder Regel die Schülerinnen und Schülermit „Migrationshintergrund“ – im Fokusstehen. Man geht hier allein von der An-nahme aus, dass spezifisches „interkultu-relles“ Wissen notwendig sei, um in he-terogenen Lerngruppen professionellpädagogisch handeln zu können. DieSelbstreflexivität hinsichtlich der eigenenWerte und Normen sowie die gesell-schaftlichen Machtverhältnisse und un-gleichen Ressourcenverteilungen werdenjedoch damit nicht in den Blick genom-men; die „Kultur“ dient als alleinigesAnalysekriterium.Gerade weil die kritische Reflexivitäteine Kernkompetenz pädagogischenHandelns ist, müssen angehende Leh-rerinnen und Lehrer darin gestärkt wer-den, diese zu entwickeln. Erst dann istes ihnen möglich, Denkmuster und Ver-haltensweisen zu überdenken und gege-benenfalls zu ändern. Deshalb muss derAnsatz der Rassismuskritik im Lehrer-bildungsgesetz festgeschrieben und inentsprechenden Lehr-, Aus- und Fort-bildungsveranstaltungen curricularverankert werden. Nur so wird denPrinzipien von Gleichheit und Gleich-behandlung aller Schülerinnen undSchüler Rechnung getragen; dann kön-nen auch die Rassismuserfahrungen vonSchülerinnen und Schülern ernst ge-nommen werden. Als ich mit 11 sagte:„Später will ich aufs Gymnasium.“,hat die Lehrerin am lautesten gelacht.(#migrationshintergrund #geschafft#schauhin – Dilan (@Poethix) Septem-ber 6, 2013) Auch Erfahrungen wie diesekönnen dann im Unterricht rassismus-sensibel bearbeitet werden.

Martina Tschirner [Akademische Oberrä-tin am Fachbereich Gesellschaftswissen-schaften, Didaktik der Sozialwissenschaften,Goethe-Universität Frankfurt/Main]

Literatur:Die Beauftragte der Bundesregierung fürMigration, Flüchtlinge und Integration(Hg.): Schulbuchstudie Migration undIntegration, Berlin 2015Broden, Anne / Mecheril, Paul (Hg.):Rassismus bildet. Bildungswissenschaft-liche Beiträge zur Normalisierung undSubjektivierung in der Migrationsgesell-schaft, Bielefeld 2010Essed, Philomena: Rassismus undMigration in Europa, Hamburg 1992Mecheril, Paul /Melter, Claus: Gewöhnli-che Unterscheidungen. Wege aus demRassismus, in: Mecheril, Paul et. al.:Migrationspädagogik, Weinheim, Basel2010, 150-178POLIS – Report der Deutschen Vereini-gung für Politische Bildung, Heft 2/2016: Rassismuskritische Bildung

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

Vom „Gemeinsamen Unter-richt“ zur „Inklusiven Beschu-lung“ – Sinken der StandardsVon der Forderung der Behinderten-konvention der Vereinten Nationennach Partizipation von Menschen mitBehinderung in allen Lebensbereichensind wir derzeit noch weit entfernt.Auch die schulische Umsetzung derInklusion in Hessen genügt der UN-Behindertenrechtskonvention nicht.In Hessen gab es eine lange, erfolgreicheTradition inklusiven Unterrichts, früher„Gemeinsamer Unterricht“ genannt. Eswäre sicher sinnvoll gewesen, die vielfäl-tigen Erfahrungen aus über 25 Jahren zunutzen und im Sinne der Behinderten-rechtskonvention weiter auszubauen.Stattdessen wurde auf der Grundlage desHessischen Schulgesetzes und der Ver-ordnung über Sonderpädagogische För-derung (VOSB) die sonderpädagogischeFörderung komplett neu organisiert undumstrukturiert:Begrifflichkeiten wurden verändert: Derehemalige „Gemeinsame Unterricht“ (GU)wurde abgelöst durch die „Inklusive Be-schulung“ (IB) und ergänzt durch die„Vorbeugenden Maßnahmen“ (VM), wo-mit die Beratungstätigkeiten der Förder-schullehrkräfte zusammengefasst sind. Die-se beiden Säulen wurden unter dem Begriff„Inklusiver Unterricht“ (IU) subsumiert.Die Beratungs- und Förderzentren(BFZ) regeln seither die Versorgung derSchulen mit Förderlehrer*innenstellen inder inklusiven Beschulung und mit vor-beugenden Maßnahmen. Eine sonder-pädagogische Fachkraft ist in der Regelfür mehrere Klassen oder auch für mehre-re Schulen zuständig. Einhergehend mitdiesen Neuerungen wurden auch die Be-darfe entsprechend neu definiert. VonBeginn an haben wir als GEW kritisiert,dass für Kinder mit den Förderschwer-punkten sozial-emotionale Entwicklungund Sprache keine Förderschullehrer*in-nenstunden mehr bereitgestellt wurdenund für Kinder mit Förderschwerpunkt„Lernen“ erst ab Klasse 3. Dies sind lautTerminologie der Sozialgesetzgebung„Schülerinnen und Schüler mit Beein-trächtigungen“ und diese werden bei derRessourcenverteilung nicht mit einer

Hessens Schulen auf dem Wegzur Inklusion? – Was ist zu tun?

Stundenzahl hinterlegt. Wir halten es fürfatal, dass man Kindern mit Problemenauf diese Weise eine individuelle Förde-rung verwehrt.Anders verhält es sich bei den Förder-schwerpunkten „Geistige Entwicklung“,„körperliche und motorische Entwick-lung“, „Sehen, Blinde“ und „Hören“.Diese Besonderheiten werden als Behin-derungen betrachtet und Schülerinnenund Schüler mit diesen Förderschwer-punkten erhalten die gleiche Stundenzu-weisung in der inklusiven Beschulungder allgemeinen Schule, die sie auch aneiner Förderschule erhalten würden.Die Ressourcenverteilung erfolgte bislangnach zwei getrennten Systemen. Währenddie Förderschulen mit steigender Schü-ler*innenzahl mehr Stellen erhielten, warendie Stellen für die Inklusion gedeckelt.Seit dem Schuljahr 2016/17 erfolgt einesystemische Zuweisung von Förderstun-den. Alle Schulen mit inklusivem Unter-richt erhalten nun einen Sockelbetragund darüber hinaus eine Gesamtressourcefür den inklusiven Unterricht.Was einerseits zu mehr Flexibilität führt,verstellt andererseits aber auch den Blickdarauf, wie viel Förderung tatsächlichnoch in den einzelnen Schulklassen an-kommt.Zumindest wurde das verfügbare Gesamt-budget für die sonderpädagogische Förde-rung leider nicht nach oben hin angepasst.Außerdem hat sich in Hessen ein vomAnsatz her falsches System der sonder-pädagogischen Förderung etabliert. Nachwie vor bleiben die Förderschulen nebenden inklusiven Angeboten der Regel-schulen erhalten; dies ist nicht im Sinneder UN-Behindertenrechtskonvention.

Bringt die Novellierung desSchulgesetzes im Jahre 2017Verbesserungen?Der derzeitige Entwurf zur Novellierungdes hessischen Schulgesetzes verfolgtdas hehre Ziel „dass möglichst kein An-trag auf gemeinsamen, inklusiven Unter-richt mehr abschlägig beschieden wird“.Wie das ohne zusätzliche Gelder funk-tionieren soll, sei dahingestellt.Der Entwurf setzt weiter auf die bereitszum Teil eingeführten „inklusiven Schul-

bündnisse“, in denen verschiedene allge-meine Schulen, die Förderschulen sowiedie Beratungs- und Förderzentren einerRegion kooperieren und sich regelmäßigzu Bündniskonferenzen treffen. DerenMitglieder tragen die gemeinsame Ver-antwortung hinsichtlich der inklusivenBeschulung der Schülerinnen und Schü-ler mit sonderpädagogischem Förder-bedarf.Leider sind wir zurzeit noch nicht in derLage, eine abschließende Bewertung derneuen Vorgaben zu leisten, denn es fin-den sich zu Einzelfragen keine konkretenAngaben in dem uns vorliegenden Ge-setzentwurf.

Ausbildung der Lehrkräftefür inklusiven UnterrichtDie Ausbildung der Lehrer*innen imVorbereitungsdienst ist in Hessen in denverschiedenen Studienseminaren nichteinheitlich geregelt: Einige LiV erhaltenihre Ausbildung in allgemeinen Schulen,die Inklusiven Unterricht durchführen,andere LiV erhalten ihre Ausbildung anFörderschulen. Je nach Schulform undIntensität, mit der sich ein Studienseminardem Thema Inklusion widmet, werdenderzeit die LiV mit dem SchwerpunktFörderschullehramt sehr unterschiedlichausgebildet. Eine einheitliche Ausbildungist dringend geboten.

Forderungen zur Verwirkli-chung der inklusiven SchuleVon der hessischen Landesregierung er-warten wir im Sinne der UN-Konvention:• Aufhebung des Ressourcenvorbehalts• Grundausstattung der Regelschulen

mit multiprofessionellen Teams undden dafür notwendigen Mitteln

• Wiederherstellung bzw. Weiterent-wicklung der Standards in Unterrichtund Förderung, wie sie im GU erfolg-reich praktiziert wurden – Inklusionmuss nicht neu erfunden werden.

Sigrid Rohleder/ Katja PlazikowskyBeide haben lange im Gemeinsamen Un-terricht unterrichtet und können daherdie Standards von Gemeinsamem Un-terricht und inklusiver Beschulung ver-gleichen.

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SCHULE UND GESELLSCHAFT

Spätestens seit dem PISA-Schock 2001,als die OECD dem deutschen Bildungs-system im internationalen Vergleich nurmagere Ergebnisse attestierte, steht Bil-dung, und dabei besonders das Schulsys-tem, im Mittelpunkt vieler politischerDebatten: Soll Schule fit machen für denArbeitsmarkt, indem sie prioritär die aufdiesem gefragten Kompetenzen vermit-telt, oder ist Bildung im Sinne des Hum-boldt‘schen Ideals vielmehr als Selbst-zweck zu verstehen? Kann Bildung zumehr sozialer Gerechtigkeit beitragen an-statt bestehende Ungleichheiten zu re-produzieren? Welche Bedeutung kommtder Erziehung zu mündigen Bürgerinnenund Bürgern zu?Im föderalen System der Bundesrepublikspielt sich Bildungspolitik auf mehrerenEbenen ab: Die Kommunen fungieren alsSchulträger und sind in dieser Funktionfür Schulbauten, Schulsozialarbeit wieauch die Schulentwicklungsplanung zu-ständig. Dass sich viele Schulen baulichin einem erbärmlichen Zustand befinden,hängt eng mit dem finanziellen Ausblutender Kommunen zusammen. Bildungs-politik ist allerdings in erster Linie Län-dersache. Das führt dazu, dass sich dieSchulsysteme zwischen den 16 Bundes-ländern stark unterscheiden, was bei ei-nem Umzug für Schülerinnen und Schü-ler wie auch für Lehrkräfte deutlichspürbar wird.Das 2006 in der Verfassung verankerteKooperationsverbot verbietet es demBund sogar ausdrücklich, sich in dieseLänderkompetenz einzumischen. Fastalle Expertinnen und Experten haltendieses Verbot für einen schweren Fehler,denn es erschwert nicht nur die Etablie-rung von bundesweiten Rahmenbedin-gungen, es untersagt dem Bund auch diedauerhafte Finanzierung schulischer Bil-dung. Allenfalls zeitlich begrenzte Pro-gramme gelten als zulässig. Vor diesemHintergrund kommt der Kultusminister-konferenz (KMK) zentrale Bedeutung zu,denn in dieser vereinbaren die Kultusmi-nisterinnen und -minister gemeinsameRichtlinien, die dafür sorgen sollen, dasssich die Bundesländer nicht in allzu un-terschiedliche, gänzlich unvereinbareRichtungen entwickeln.

Bildungspolitik: komplex undumkämpft – und bewegt sich doch!

Aber auch auf internationaler Ebene wieder Europäischen Union und den Ver-einten Nationen wird Bildungspolitikverhandelt. Das gilt auch für fragwürdi-gere Organisationen wie die OECD,denn dieser Club von Industrieländern,der keinem Parlament Rechenschaftschuldig ist, nimmt indirekt maßgebli-chen Einfluss auf Bildungsreformen. Diesgeschieht etwa, indem die wenigen in in-ternationalen Vergleichsstudien abgefrag-ten Kompetenzen zum nicht hinterfrag-baren Standard für die Messung vonSchulqualität avancieren. Viele Bildungs-politikerinnen und -politiker haben dieStudien der OECD dankbar aufgegriffen(obwohl diese mitunter auch gegensätzli-che Schlussfolgerungen erlauben), umneoliberale Bildungsreformen zu legiti-mieren. Dabei wird Schule als Organisati-on verstanden, die wie ein privatwirt-schaftlicher an Gewinnmaximierungorientierter Betrieb funktionieren soll– oder zumindest so ähnlich.Die Dreigliedrigkeit des deutschen Schul-systems wird mitunter als überkommenesRelikt des wilhelminischen Kaiserreichskritisiert, in dem sich die Klassenstrukturdes 19. Jahrhunderts spiegele. Dies istebenso zutreffend wie die Kritik an neo-liberal inspirierten Bildungsreformen,dennoch ist die Realität vielschichtiger:Schule ist trotz entsprechender Reformennoch lange nicht in allen Hinsichtendurchrationalisiert undausschließlich anVerwertbarkeitskriterienorganisiert – was auchdem pädagogischenBerufsethos der Lehr-kräfte widerspräche.Auch wenn dieMehrgliedrigkeit histo-risch fest verankert istund allen Reform-versuchen zu widerste-hen scheint, so ist dieSchulstruktur dennochin Bewegung geraten:Der Bildungsbericht2016 zeigt auf, dass in-zwischen 1,1 MillionenKinder und Jugendlichean Schulen lernen, die

mehrere Abschlüsse anbieten, in der Re-gel Gesamtschulen. Hiervon profitiereninsbesondere Schülerinnen und Schüleraus Familien mit niedrigem sozialem Sta-tus.Bildungspolitik ist komplex, aber sie be-wegt sich – wenn auch oft langsamer alsman sich das wünscht. Die GEW bringtsich auf allen Ebenen in die bildungs-politischen Debatten ein: sei es in derKommune über die örtliche GEW-Glie-derung, sei es in Hessen über den Lan-desverband oder bundesweit. Auchinternational ist die GEW durch ihreMitgliedschaft in der Bildungsinternatio-nalen als Zusammenschluss von Bil-dungsgewerkschaften präsent. Geradeauch im Vorbereitungsdienst lohnt dieAuseinandersetzung mit Bildungspolitik:Sowohl die Arbeits- und Ausbildungs-bedingungen wie auch die Möglichkeitenzur professionellen pädagogische Arbeitzum Wohl der Schülerinnen und Schülerhängen maßgeblich von den politischgesetzten Rahmenbedingungen ab.

Roman George, Referent für Bil-dungspolitik bei der GEW Hessen.Er freut sich, wenn er zu Fragen der Bil-dungspolitik und zu GEW-Positionenkontaktiert wird.E-Mail: [email protected].: (069) 971293-20

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BERUFSE INST I EG

Der Vorbereitungsdienst wird von vielenLiV als eine extrem stressige Zeit wahr-genommen. Dabei stellen die Unterrichts-besuche oft eine starke Belastung dar. Indiesem Beitrag wird beleuchtet, was inUnterrichtsbesuchen (UB) Stress verur-sacht. Es werden drei wichtige mentaleBremsklötze beschrieben und dazu pas-sende Übungen und Strategien vorge-stellt, um diese Bremsklötze zu lösen.

Warum sind Unterrichtsbe-suche eigentlich so stressig?Zunächst einmal ist klar, dass die UBsmaßgeblich in die Abschlussnote einfließenund diese wiederum über die Einstellungs-chancen mitentscheidet. Damit entschei-den die Unterrichtsbesuche in gewisserWeise über das weitere Leben. So weit, sogut. Aber auch unbenotete Unterrichts-besuche oder Referate im Studium und inder Schule, bei denen es eigentlich umnichts geht, werden von vielen Menschenals Belastung erlebt und erzeugen Stress.Bei jedem Auftritt vor anderen Men-schen, und ein UB ist ein Auftritt mithoher sozialer Exponiertheit, stellt mansich die Frage, was das Publikum / dieAusbilderinnen und Ausbilder von ei-nem selbst sehen werden. Auf diese Fra-ge hat man eine Antwort, weil man sichselbst ja ganz gut kennt. Man sieht sichselbst durch die Augen des Publikumsund stellt sich die Frage, ob man selbstdas mögen würde, was man dort zu se-hen bekommt. Wenn man sich selbstund das, was man zu bieten hat, mag, istdie Auftrittssituation entschärft. Wennes aber etwas gibt, das man lieber nichtzeigen möchte, das einem z.B. peinlichist, dann besteht während des Auftrittspermanent die Gefahr, dass jemand ge-nau diese peinliche Sache bemerkt. DerUnterrichtsbesuch wird zu einer gefährli-chen Situation, in dem etwas von ande-ren bemerkt wird, was die soziale Stel-lung gefährden könnte. Bei jedemAuftritt gilt aber: Nur wer 100% zu sichselbst steht, kann 100% von sich undseiner Leistung zeigen.Hinzu kommt, dass unser Bildungssys-tem so aufgebaut ist, dass die Lernen-den nicht so einfach zwischen ihremWert als Mensch und der Leistungs-

Selbstsicher auftreten beim Unterrichtsbesuch –eine Anleitung für die Praxis

bewertung durch die Institution unter-scheiden können. Wenn die Note imUB gleichgesetzt wird mit dem eigenenSelbstwert, erscheint noch besser ver-ständlich, warum ein UB bei vielen LiVeine massive Stressreaktion mit heftigensomatischen Begleiterscheinungen er-zeugt. Schließlich steht subjektiv der ei-gene Wert als Mensch auf dem Spiel.

Was passiert bei Stress?Wenn unser Gehirn eine Situation alsbedrohlich bewertet, werden neurobiolo-gische Defensivsysteme aktiviert. DerOrganismus wird, um sich in Sicherheitbringen zu können, mobilisiert. DieEnergieproduktion wird angekurbelt, dieHerz- und Atemfrequenz werden erhöht,im Gesicht entstehen rote Flecken. DerMuskeltonus steigt. Die Stimme wirdflach und verliert an Modulation und dermimische Ausdruck verringert sich. DieWahrnehmung von sozialen Signalenanderer Menschen wird u.a. durch denverringerten Blickkontakt und durcheine Einschränkung der Hörfähigkeit re-duziert. An anderer Stelle wird Energieeingespart: Die Verdauungsaktivität wirdreduziert, wodurch unter UmständenBauchschmerzen und ein trockenerMund entstehen können. Viele Men-schen leiden daher beim Reden vor an-deren Menschen an einem trockenenMund. In Untersuchungen konnte auchgezeigt werden, dass unter Stress be-stimmte, für kognitive Denkprozesse zu-ständige Gehirnbereiche, funktional ab-geschaltet werden: Stress macht dumm.Eine körperliche Stressreaktion ist dasletzte, was man im Unterricht, und erstrecht in einem UB, gebrauchen kann. Zu-dem wirkt sich die Stressreaktion unwill-kürlich auf den Stresslevel der SuS ausund versetzt diese ebenfalls in einen la-tenten Stresszustand.

Mentale Bremsklötzeim UnterrichtsbesuchDie Gründe, weshalb ein UB als beson-ders belastend erlebt wird, sind individu-ell unterschiedlich. Es gibt jedoch typi-sche Verhaltens- und Denkmuster, dieeinerseits den Stress erzeugen und zu-gleich konservieren.

Bremsklotz Nr. 1:Inneres SchrumpfenViele Menschen fühlen sich in Prü-fungssituationen, und oft schon beimGedanken daran, deutlich jünger, viel-leicht nur noch so alt, wie ein Kind.Wenn man sich im UB klein undschwach fühlt, kann man nicht einfachso tun, als wäre man eine selbstsichereLehrperson. Inneres Schrumpfen ist ei-gentlich eine Teilamnesie von eigenenKompetenzen und Erfahrungen, dieman bereits erworben hat. Wer sich sei-ner Fähigkeiten und Erfolge währendeines UBs voll bewusst ist, kann sichnicht klein und schwach fühlen. Die fol-gende Übung kann inneres Schrumpfenim UB verhindern.

Stress-AnalyseSchreiben Sie zu jeder Frage eine kleineNotiz.1. Denken Sie an den nächsten UB oder

erinnern Sie sich an einen UB, dernicht gut gelaufen ist und bei IhnenStress auslöst. An welche Situationdenken Sie?

2. Wie viel Stress haben Sie jetzt in die-sem Moment, wenn Sie daran den-ken? 1= gar kein Stress; 10= maxima-ler Stress

3. Welche Körperreaktionen haben jetztin diesem Moment, wenn Sie an denUB (zukünftig oder vergangen) den-ken?

4. Wie alt fühlen Sie sich, wenn Sie anden UB (oder allgemein an anderePrüfungssituationen) denken?

Anti-Schrumpf-GedächtnisstützeDas einfachste Mittel gegen inneresSchrumpfen ist die Anti-Schrumpf-Ge-dächtnisstütze. Mit Hilfe der Fragenkönnen Sie ganz individuelle Erinne-rungswörter finden, um Schrumpfen zuverhindern.Schreiben Sie folgende Punkte auf eineKarteikarte:1. Ihr echtes Alter.2. Mindestens drei Beweise / Insignien

für Ihr echtes Alter: (z. B. Studienab-schluss, eigene Wohnung, eignesAuto, Partnerschaft, Kinder …)

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BERUFSE INST I EG

3. Was haben Sie im Leben schon er-reicht? Notieren Sie: „Ich habe schon… geschafft!“(z. B. Sportwettkämpfe,andere Prüfungen, Auftritte, Ausbil-dungen etc.)

4. Was haben Sie schon erlebt, dass Siegeprägt hat? Notieren Sie: „Ich habe… schon erlebt!“(z. B. große Reise,persönliche Projekte etc.)

5. Notieren Sie: „Ich kann gut … XYZ!“(z. B. reiten, malen, zuhören, fotogra-fieren, planen etc.)

6. Ergänzen Sie den folgenden Satz: „Ichhabe in meinem Leben ca. … Prüfun-gen (in Schule, Ausbildung, Studium,Führerschein etc.) abgelegt und über-wiegend erfolgreich unter Zeugen be-standen. Meine Kompetenz ist eine be-wiesene Tatsache, sonst wäre ich heutenicht hier im Vorbereitungsdienst.“

Lesen Sie nun Ihre Anti-Schrumpf-Ge-dächtnisstütze dreimal laut vor und wie-derholen Sie anschließend nochmal dieStress-Analyse. Wie viel Stress haben Sienun? Wie geht es Ihnen beim Gedankenan den nächsten UB?

Bremsklotz Nr. 2: Den eige-nen Unterricht nicht mögenDer Unterricht bei einem Unterrichtsbe-such ist Werbung in eigener Sache. Manzeigt, wie gut man ist und was man ge-lernt hat. Viele LiV richten die UBs starkan den vermuteten Vorlieben der Ausbil-derinnen und Ausbildern aus. Das kannzur Folge haben, dass man für den UB ei-nen Unterricht plant, den man selbstnicht gut findet. Ein UB darf zwar einbisschen Theater sein, wenn man abergänzlich entgegen eigener Vorstellungenhandelt kommt es zu einem innerenKonflikt. Wenn man aber den eigenenUnterricht nicht mag, wie soll man danndamit Werbung in eigener Sache ma-chen?Wenn Sie die folgenden Fragen im Hin-blick auf Ihren UB beantworten können,passt der Unterricht gut zu Ihnen. Wennnicht, haben Sie Hinweise, was Sie verän-dern sollten.• Wo ist der rote Faden in Ihrem Un-

terricht? Erklären Sie in 3 Sätzen.• Was gefällt Ihnen an dem Inhalt

selbst richtig gut?

• Welche Methode in dem UB gefälltIhnen selbst besonders gut?

• Auf welche Stelle im Unterricht freuenSie sich am meisten?

• Auf welche Situation in Ihrem Unter-richt werden Sie stolz sein?

• Was würde Ihnen als Schülerin/Schüler in Ihrem Unterricht beson-ders viel Spaß machen?

Bremsklotz Nr. 3:Haltung und Verhaltenpassen nicht zusammenDie eigene Rolle und Haltung als Lehrper-son zu finden und die Entwicklung derLehrpersönlichkeit ist ein lebenslangerProzess, weil Menschen im Verlauf ihresLebens Erfahrungen machen und sich ver-ändern. In besonderen Lebensphasenkann diese Veränderung sehr rasant sein;der Vorbereitungsdienst gehört dazu.Wichtig für ein sicheres Auftreten ist dieÜbereinstimmung zwischen der eigenenRolle und inneren Haltung und dem Ver-halten bzw. der Kommunikation im Un-terricht und mit den Kolleginnen undKollegen. Stimmt dies überein, wird das alsein authentisches Auftreten wahrgenom-men. Mit der folgenden Übung könnenSie ihrem eigenen authentischen Auftrittauf die Spur kommen.Beginnen Sie die Beschreibung Ihrer Rolleund Haltung als Lehrperson anhand fol-gender Fragen. Entwickeln Sie weitereFragen, die für Sie wichtig sind. Wenn Siemöchten, können Sie diese Fragen auchin das BRB-Modul einbringen und sichvon Ihren Ausbilderinnen und Ausbil-dern kompetent unterstützen lassen:• Welche grundsätzliche Botschaft ist

Ihnen als Lehrperson wichtig?• Für welche Werte stehen Sie ein?• Welche Bedeutung hat Leistung für Sie?• Durch welche Schulerfahrungen wur-

den Sie am meisten geprägt?• …Übersetzen Sie nun Ihre Rolle und Hal-tung in konkretes Verhalten. DiskutierenSie am besten mit einem Kollegen/einerKollegin, wie Sie Ihre Rolle und Haltungim Unterricht zeigen können. Sie müssendabei nicht auf jeden Punkt eingehen.Das Gesamtbild ist entscheidend.• in der Kommunikation mit den SuS

• in der Beziehung zu den SuS• in Ihrem Verhalten als Lehrperson all-

gemein• in Ihrem Auftreten in den ersten Se-

kunden zu Beginn des Unterrichts• in Ihren Bewegungen und Ihrer Kör-

perhaltung• in dem Aufbau Ihres Unterrichts• im Kontakt mit Ihren Kollegen• …In diesem Beitrag wurde versucht, in allerKürze die Psychodynamik von Auftritts-angst beim Unterrichtsbesuch zu beleuch-ten und die Wirkung einiger mentalerBremsklötze zu erklären. Der Vorberei-tungsdienst kann Anlass sein, sich pro-fessionelle Unterstützung zur Verbesse-rung der Emotionsregulation oder beider Lösung hartnäckiger mentalerBremsklötze zu gönnen. Die beschriebe-nen Übungen können dies nicht erset-zen. Nutzen Sie hierfür die kompetenteBeratung der Ausbilderinnen und Aus-bilder an den Studienseminaren.

AutorDr. Timo Nolle, Erziehungswissenschaft-ler und systemischer Therapeut, arbeitetund forscht seit 2007 in der Lehrerbil-dung an der Universität Kassel. Er ist infreier Praxis als Coach und Therapeutmit den Schwerpunkten Prüfungs- undAuftrittscoaching tätig und leitet Fortbil-dungen für Lehrpersonen und Ausbilde-rinnen und Ausbilder in der zweitenPhase der Lehrerbildung.

QuellenBauer, J. (2005): Warum ich fühle, was dufühlst. Intuitive Kommunikation und dasGeheimnis der Spiegelneurone. Ham-burg: Hoffmann und Campe.Bohne, M. (2016): Klopfen mit PEP,Prozess- und EmbodimentfokussiertePsychologie in Therapie und Coaching.Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.Nolle, T. (2016): Eignungsvorausset-zungen für einen sich ständig verändern-den Beruf. In: Annette Boerger (Hrsg.)Eignung für den Lehrerberuf, Auswahlund Förderung. Wiesbaden: Springer.Porges, S.W. (2010): Die Polyvagal-Theo-rie: Neurophysiologische Grundlagender Therapie. Paderborn: Junfermann.

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BERUFSE INST I EG

Empirischen Studien zufolge betrach-ten Lehrerinnen und Lehrer individuel-le Förderung zwar als wichtiges, anzu-strebendes Ziel, zugleich aber auch alsbelastende Herausforderung, für die sieschlecht ausgebildet sind. Bildungs-politisch steht innere Differenzierungganz weit vorn auf der Agenda pädago-gischen Handelns. Das merken Schulenund Kollegien dann, wenn die Berichteder Schulinspektion eintreffen, die ih-nen – bei ansonsten guten Zeugnissen– in der Regel fehlende oder unzurei-chende Maßnahmen in diesem Bereichvorhalten. Wie können Binnendifferen-zierung und Individualisierung des Ler-nens gelingen?

Eine alte GeschichteIm Jahre 1970 (!) forderte der DeutscheBildungsrat, ein Expertengremium ausWissenschaft und Politik zur Beratungder Kultusminister, die bestmöglicheFörderung des Einzelnen, die Berück-sichtigung unterschiedlicher Interessen,Motivationen und Fähigkeiten der Ler-nenden und individualisierende Lern-angebote „als vordringliche Aufgabe“(S. 36). – Aus dieser ‚vordringlichen’Aufgabe wurde auf Dauer wenig, vor al-lem deshalb, weil der seinerzeit ange-strebte strukturelle Umbau der deut-schen Schullandschaft (StichwortGesamtschule) im erwünschten Um-fang nicht gelang. An Grund- undFörderschulen wurde und wird not-wendigerweise differenziert und indivi-dualisiert – aber das erscheint in dergymnasial geprägten Bildungsöffent-lichkeit als Ausnahme, da das geglieder-te Schulwesen (äußere Differenzierung)angeblich solcher Maßnahmen nichtbedarf.

Neue DringlichkeitenManfred Bönsch, neben Wolfgang Klafkieiner der pädagogischen Pioniere in Sa-chen Differenzierung von Unterricht,nennt mindestens sieben Kriterien, indenen sich unterschiedliche Lern-bedingungen (Heterogenität) vonSchülerinnen und Schülern festmachenlassen (Bönsch 2009, 36):– die Auffassungsgabe;

Binnendifferenzierungund Individualisierung –Antworten auf Heterogenität im Klassenzimmer

– das Lerntempo;– die Menge an Inhalten, die verarbei-

tet werden kann;– das Anspruchsniveau, das angemes-

sen ist;– das Sprach- und Sprechniveau;– die Motivation;– die Fähigkeit zur Selbstorganisation.Verglichen mit Schulklassen aus den1970er Jahren sind heute solche Unter-schiede in den Lernausgangslagen er-heblich größer geworden. Die Sozialisa-tionsbedingungen haben sich starkverändert: „Man lebt als Einzelkindoder mit Geschwistern, mit arbeitslo-sen oder beruflich völlig überlastetenEltern, mit der deutschen, der russi-schen, der türkischen Familiensprache,in Armut oder Überfluss, behütet oderverwahrlost.“ (Becker u.a. 2004, 1) AuchPISA-Daten belegen – und das war derAnstoß für die dann einsetzende For-derung nach Binnendifferenzierung –,dass selbst die Klassen des gegliedertenSchulsystems in sich immer heteroge-ner geworden sind.

DifferenzierungsmethodenVoraussetzung für eine gelungeneBinnendifferenzierung ist zuallererst diedidaktische Grundüberlegung, welcheZiele und Kompetenzen alle Lernendenbezogen auf eine Unterrichtseinheit er-reichen sollen – das Fundamentum.Daran anschließend: Auf welchen ver-schiedenen Wegen ist dieses Ziel zu er-reichen? Schließlich: Welche Zusatzan-gebote für schnellere, motiviertere oderleistungsstärkere Lerner können ge-macht werden? – das Additum.Innere Differenzierungen lassen sichgrob gesagt auf zwei Grundansätze re-duzieren:

1. ist die Basis das eingeführte Schul-buch, dessen Materialien und Aufga-benstellungen ergänzt und erweitertwerden;

2. existieren spezielle Verfahren offenenUnterrichts, die das Schulbuch nichtnotwendig ausklammern müssen,im Kern aber auf selbst zusammen-gestellten Materialien beruhen. Diebekanntesten sind das Stationen-lernen und die Planarbeit.

Zu 1.) Die neuere Generation von Schul-büchern bietet mittlerweile mehr (Mathe-matik und naturwissenschaftliche Fächer)oder weniger (sozialwissenschaftlicheFächer) Differenzierungsmöglichkeitenan, meistens über Zusatzaufgaben und/oder -materialien. Für das Fundamentumist es aber wichtiger, an denjenigen Auf-gabenstellungen zu arbeiten, die für alleLerner (meistens aber für den imaginärenDurchschnittschüler) formuliert sind.Eine gute Möglichkeit, sowohl Unter-als auch Überforderungen zu vermeiden,ist die Entwicklung von Aufgabenpoolsfür eine Unterrichtseinheit oder Teile da-von. Sie sind als sog. ‚Sternchenaufgaben’nach Schwierigkeitsgraden formuliert.Das Beispiel aus dem Geschichtsunter-richt (Auszug aus: Mumifizierung imAlten Ägypten) macht deutlich, welcheWahlmöglichkeiten die Lernenden ha-ben, zumal sie auch zwischen den An-forderungsniveaus *, ** und *** vonAufgabe zu Aufgabe wechseln können(siehe Tabelle unten).

Das Schulbuch als Grundlage der inne-ren Differenzierung zu nehmen, bietetden Vorteil, dass der Vorbereitungs-aufwand nicht ins Unermessliche steigt.Gleichzeitig öffnet er den lehrergesteu-erten Unterricht nur in bestimmten

* Nenne den entscheiden-

den Grund für die Mumi-

fi zierung.

** Erkläre den Zusammen-

hang zwischen Jenseits-

glauben und Mumifi zie-

rung.

*** Erläutere die Bedeu-

tung der Mumifi zierung

unter Einbeziehung sozia-

ler Unterschiede.

* Unterstreiche alle

Wörter, die verdeutlichen,

aus welcher Schicht der

Mumifi zierte stammte.

** Erstelle eine Tabelle,

aus der hervorgeht, aus

welcher Schicht der

Mumifi zierte stammte.

*** Erläutere, was die

Quelle über die soziale

Schicht des Mumifi zierten

aussagt.

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Phasen, was gerade für erste Schritte aufdem Weg zur Binnendifferenzierunggünstig sein kann.Zu 2) Das sieht bei der Plan- und Sta-tionenarbeit anders aus: Der Aufwandzur Erstellung und Bereitstellung vonMaterialien ist erheblich größer – aller-dings nur beim ersten Mal – und derUnterricht wird über längere Phasen fürindividuelles oder kooperatives Lernengeöffnet. Im Übrigen soll es Kollegiengeben, in denen Kooperation von Fach-kolleginnen und -kollegen kein Fremd-wort, sondern geübte Praxis ist. Dannkann man selbst vom Wochenplan an-derer profitieren und diese von den ei-genen Anstrengungen für ein Lernenan Stationen. Besonders das Stationen-lernen, bei dem ein Gegenstand (imKunstunterricht z.B. GestalterischeMittel) in Teilbereiche sequenziert wird(Farbkontraste, Nah und Fern, Hell undDunkel, Perspektiven etc.) zeichnet sicheine gute Konzeption u.a. dadurch aus,dass unterschiedliche Lernertypen undLernzugänge Berücksichtigung finden:Neben Texten und Bildern auch Videosund auditive Zugänge, ggf. auch Gegen-stände und Rohmaterialien.Die Lernenden können die Reihenfolgeder Bearbeitung der Stationen frei wäh-len, bestimmen selbst ihr Lerntempound ihren Lernrhythmus (innerhalb ei-ner allgemeinen Zeitvorgabe) – ein sehrhoher Grad an innerer Differenzierung.Auch bei diesem Verfahren gilt: DasFundamentum muss festgelegt werden,entweder durch eine Kombination vonPflicht- und Wahlstationen oder da-durch, dass alle Stationen Pflicht- undWahlaufgaben enthalten.

DifferenzierungsfallenIndividualisierung von Lernen durchinnere Differenzierung wäre falsch ver-standen, wenn es ein gemeinsames Ler-nen an einem gemeinsamen Inhalt nichtmehr gäbe. 25 Lerner, die nach ihren in-dividuellen Curricula arbeiten, entspre-chen nicht dem Bild differenzierten Un-terrichts. Deshalb sind mindestens vierGrundelemente zu beachten:1. Differenziertes Lernen sollte auf be-

stimmte Phasen des Unterrichts be-

schränkt sein, besonders auf diejeni-gen, in denen es um die Erarbeitungvon Inhalten geht;

2. Mehr als drei Differenzierungsni-veaus sind wenig sinnvoll, weil sieUnterricht überkomplex machenund angesichts vorhandener Klas-senstärken auch unrealistisch sind;

3. Bei kooperativen Lernformen sollteDifferenzierung nicht nach leistungs-homogenen Paaren oder Gruppenerfolgen, weil die Kluft zwischenStärkeren und Schwächeren ansons-ten immer größer würde. Im Übri-gen zeigen gut angelegte Gruppenar-beiten, wie sehr unterschiedlicheTalente von einander profitierenkönnen;

4. Lernenden sollte nicht immer undüberall freigestellt werden, mit wel-chen Lernzugängen und Lernstrate-gien sie arbeiten. Immer nur überbildliche Darstellungen Zugang zueinem Thema zu bekommen oderständig nur Mind-Maps zur Ergeb-nissicherung anzufertigen, ist ödeund verhindert das Anwenden einesbreiten Spektrums von Arbeitsver-fahren und -techniken.

Differenziertes Lernangebot– einheitliche Tests(Klausuren)?Wenn in Lernprozessen viele Wege zumZiel führen, ist nicht einsichtig, warumdies bei Leistungsüberprüfungen anderssein soll. Es ist möglich, auch bei Testsund Klausuren mindestens für die einoder andere Aufgabe Material- und Auf-

gabenpools mit unterschiedlichen Zugän-gen, Anspruchniveaus und Hilfen zu ent-wickeln (vielfältige Beispiele aus unter-schiedlichen Fächern bei Müller 2012,177–197). Den Lernern wäre damit einAngebot gemacht, das sie aus Lernphasenbereits kennen und nunmehr bei derLeistungserbringung anwenden können.Eine Vorgabe von Mindestanforderungenfür eine sehr gute bis ausreichende Lei-stung (Zahl der zu erreichenden Stern-chen oder Punkte) böte den Schülerinnenund Schülern hinreichende Transparenz,um ihre je eigenen Wege zum Ziel wählenzu können.

Peter Adamski

LiteraturAdamski, P.: Auf vielen Wegen in dasLand der Pharaonen. Innere Differen-zierung im Geschichtsunterricht, in:Geschichte lernen, H. 131, 2009, S. 2-13.Becker, Gernot u.a. (Hrsg.): Heterogeni-tät. Unterschiede nutzen – Gemeinsam-keiten stärken. Friedrich JahresheftXXII, Seelze-Velber 2004.Bönsch, M.: Erfolgreiches Lernendurch Differenzierung im Unterricht,Braunschweig 2009.Buholzer, A., Kummer Wyss, A. (Hrsg.):Alle gleich – alle unterschiedlich. ZumUmgang mit Heterogenität in Schuleund Unterricht, Seelze-Velber 2010.Deutscher Bildungsrat: Strukturplan fürdas Bildungswesen, Stuttgart 1970.Müller, F.: Differenzierung in heteroge-nen Lerngruppen. Praxisband für dieSekundarstufe I, Schwalbach/Ts. 2012.

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Am Beispiel einer Unterrichtseinheit ineiner 9. Klasse „Gedichte interpretieren –einen Stop-Motion-Film produzieren“soll hier skizziert werden, wie man alsFachlehrer die Lerngruppe begleiten, mo-tivieren und eine lernförderliche Atmo-sphäre schaffen kann…

Beziehungen gestaltenIch unterrichte diese Schülerinnen undSchüler seit der 5. Klasse ca. 4 Wochen-stunden im Fach Deutsch. Weitere Stun-den oder Fächer habe ich in dieser Klassenicht, ich bin also für diese Lernendendas, was man einen klassischen „Fachleh-rer“ nennt. Und trotzdem habe ich vonAnfang an versucht, zu jedem dieser 26Kinder einer ganz normalen (heteroge-nen) Gesamtschulklasse eine tragfähigeBeziehung aufzubauen. Neben einerfreundlichen Unterrichtsatmosphäre undrespektvollem Umgang miteinander ge-lingt dies vor allem durch wertschätzendeKommunikation und dadurch, dass dasbetont wird, was der Lernende gut machtund dass seine Entwicklungsfelder zwarbenannt werden, aber nicht im Vorder-grund stehen. So fanden sich kleine, wert-schätzende Kommentare unter denDeutscharbeiten und ich gab ihnen moti-vierende Rückmeldungen zu den Noten-begründungen am Ende des Schuljahres.

Die Eltern für sich gewinnenAuf dem ersten Elternabend in dieser Klas-se stellte ich mich selbstverständlich alsDeutschlehrer vor und, obwohl mein Startin dieser Klasse alles andere als harmonischwar, habe ich mich bei den Eltern nichtüber diese „schlimme“ Klasse beklagt, son-dern habe mich bei ihnen bedankt, dass siemir so lebendige, kreative und selbstbe-wusste Kinder geschickt hatten. Dies wirk-te Wunder, die Kinder wurden zusehendsaufgeschlossener, vertrauten mir in ihren„Freien Texten“ Dinge an, die sie wohl ei-gentlich keinem Lehrer erzählen wolltenund fassten Vertrauen zu mir, d.h. unsereBeziehung wurde tragfähig und belastbar.Damit meine ich, dass ich ihnen auch et-was zumuten konnte, was ihrer Anstren-gung bedurfte, denn wie mir ein Schülerdieser Klasse gleich beim Kennenlernbingoin der ersten Stunde gesagt hatte, lese er

Classroom-Managementals Fachlehrer

grundsätzlich nicht, höchstens die Anlei-tung zu einem neuen Computerspiel.

Immer respektvoll bleibenTrotz aller Bemühungen gab es einige vorallem männliche Schüler, die mir immernoch recht distanziert gegenübertraten.Diese zeigten mir nur ihre coole Gelassen-heit, gingen auf Smaltalkangebote auf demSchulhof kaum ein und erschwerten mirso erheblich, auch zu ihnen eine gute Be-ziehung aufzubauen. Vor allem waren dassehr leistungsstarke Jungen, die auch ohnemeinen Deutschunterricht hervorragendeKompetenzen im Lesen und Schreibenaufgebaut hatten. Und einige dieser Schülerversuchten es auch mit kleinen Provoka-tionen vor der gesamten Klasse, sei es, weilsich ein Schreibfehler an der Tafel einge-schlichen hatte („… so etwas willDeutschlehrer sein“) oder sich ein Schülerungerecht behandelt fühlte. Für eine ver-trauensvolle Atmosphäre ist es sehr wich-tig, dass man kontrolliert reagiert, nieman-den bloßstellt oder demütigt, sondernsachlich bleibt, die Klärung der Angelegen-heit nur mit den Betroffenen in Aussichtstellt usw. Denn diese „Gespräche“ vor derKlasse sind für alle ein wichtiger Indikatorfür die „Authentizität“ der Lehrkraft. Tutder nur so freundlich, aber wenn es wirk-lich mal „zur Sache“ geht, packt er die Dis-ziplinar- und Notenkeule aus oder bleibt erauch in „Krisensituationen“ respektvollund sachlich? Dies ist nicht immer einfachund auch Lehrer sind Menschen mitEmotionen, aber respektvoller Umganglohnt sich in jedem Fall und wenn einemdoch mal etwas herausgerutscht ist, wasman besser nicht gesagt hätte, dann hilfteine ehrliche Entschuldigung.

Vertrauen wagenGedichte und ihre Interpretation gehörenzum festen Bestandteil des Deutschunter-richts. Fragt man SchülerInnen in den hö-heren Klassen der Sek.I, warum es ihrerMeinung nach wichtig sei, Gedichte imDeutschunterricht zu behandeln, dannhört man oft, weil das in den Prüfungenzur Mittleren Reife und Abitur gebrauchtwird. Um dem etwas entgegenzusetzenund weil sich die Lerngruppe schon öftermit Gedichten, ihrer formalen Analyse

und Interpretationszugänge usw. beschäf-tigt hatte, wollte ich dieses Mal denSchwerpunkt auf sinnliche Erfahrung undden emotionalen Zugang zu Gedichtenlegen. Inspiriert hat mich ein Artikel ausder Reihe „Deutsch 5–10, Heft 24/2010“aus dem Friedrich Verlag, in dem die Ideeder Gedichtinterpretation mithilfe vonStop-Motion-Filmen beschrieben ist. Ichhabe aber wenig Ahnung vom Film-schneiden und Vertonung, habe noch nieeinen Stop-Motion-Film hergestellt undhatte ziemlichen Respekt vor dieser pro-duktorientierten Unterrichtseinheit. Ichweiß noch, dass ich lange darüber nach-dachte, ob ich ein solches Wagnis einge-hen kann, und schließlich entschloss ichmich, der Klasse gegenüber sehr offen vonmeinen Ängsten zu berichten und sie mitin die Verantwortung für ein gutes Ergeb-nis einzubinden.

Prozess begleitenNach der Vorstellung der geplanten Un-terrichtseinheit sollten sich die Lernendenzu viert in Kleingruppen finden, die ichdurch eine Auswahl verschiedener Ge-dichte und der entsprechenden Zuord-nung von Interessenten an inhaltlichenAspekten orientiert wissen wollte. Das hatleider nicht geklappt, da es für die meistenwichtiger ist, mit ihren Freundinnen undFreunden zusammen zu arbeiten als an ei-nem bestimmten Thema oder Gedicht.Am Ende blieben vier, fünf Schüler/innenübrig, die keine andere Gruppe wollte, aberdie auch nicht zusammen arbeiten wollten.Hier war jetzt Begleitung und Beratungwichtig.

Zunächst habe ich jeden der „Gruppe“aufschreiben lassen, welche Bedenken er/sie hinsichtlich der Arbeit in dieser Grup-pe hat. In einem gemeinsamen Gesprächhabe ich anonymisiert einige der Beden-ken vorgelesen und gemeinsam mit derGruppe Lösungsmöglichkeiten erörtert,z.B. wurde geäußert, dass man Angst habe,am Ende alles allein machen zu müssen.Hier konnten wir mit einer klaren, schrift-lichen und terminierten Aufgabenvertei-lung Abhilfe schaffen. Auch die Angst,durch schwache Leistungen anderer eineschlechte Note zu bekommen, haben wir

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dahingehend geklärt, dass ich mir amEnde die Reflexion jedes Gruppenmit-gliedes anschaue und auch bereit bin, diffe-renzierte Noten zu geben, so dass keinerdurch die Mitarbeit in dieser Gruppe be-nachteiligt werden sollte. Am Ende konn-ten sie sich gemeinsam auf ein Gedicht ei-nigen und fingen mit der Bearbeitung an.Hier hat mir vor allem geholfen, dass dieKinder mir vertrauten und ich ihre Sorgenund Bedenken ernst genommen habe.

Feedbackkultur pflegenNach der ersten Phase dieser Unterrichts-einheit oder besser dieses Projektes habeich alle Schüler/innen in einem Stuhlkreisversammelt. Jede Gruppe hatte sich bisdato für ein Gedicht entschieden, sie ha-ben es nach ihren bisherigen fachspezifi-schen Methoden analysiert und interpre-tiert und sich erste Gedanken zurfilmischen Umsetzung gemacht. Jetzt soll-ten sie dieses Zwischenergebnis vor derganzen Klasse darstellen. Damit wollte ichzweierlei erreichen, zum einen, dass sievoneinander lernen, Anregungen bekom-men, ihre Gedanken formulieren und soselbst zu mehr Klarheit in ihrem Prozesskommen. Zum anderen ist das gemeinsa-me Gespräch auch eine Würdigung diesesZwischenergebnisses, auf das alle, die ge-samte Klasse, stolz sein können. Es sollenkeine Einzelkämpfer gefördert oder Grup-pen gegeneinander ausgespielt werden,sondern diese Arbeit als Klassenprojekt

verstanden werden. Nach der Kurzpräsen-tation konnte sich die präsentierendeGruppe eine kurze Rückmeldung holen,die ritualisiert und von Anfang an nachdem Schema– das hat mich beeindruckt– das ist mir aufgefallen– ich gebe euch den Tippeingeführt wurde. So entstand eine wert-schätzende Atmosphäre, die am Endeauch in einen kurzen Applaus mündeteund der Klasse die Vorstellung auf einenerfolgreichen Abschluss dieses Projektesermöglichte.

Gemeinsam SchwierigkeitenüberwindenBevor das Projekt ein Erfolg und fünfStop-Motion-Filme fertiggestellt wurden,gab es verschiedene technische Hürden zuüberwinden. Die eine war die Frage nachFotokamera und Stativen. Ich selbst konn-te zwei Kameras (darunter meine persönli-che Spiegelreflexkamera � Vertrauen wa-gen) und zwei Stative zum Equipmentbeisteuern, was natürlich bei fünf Gruppenzu wenig ist. Fotoapparate brachten dannauch einzelne SchülerInnen mit – das Pro-blem waren die Stative.Auch hier konnten wir kreative Lösungenfinden. Wir befestigten eine Kamera mitKlebeband an einem Schultisch, rücktendiesen vor die Tafel und die Schüler zeich-neten die verschiedenen Bilder ihres Moti-ves an die Schultafel. Schließlich wurden

auch Probleme mit Speicherkarten, fehlen-den Batterien oder den Laptops, auf de-nen die Bilder (im Schnitt pro Film über200) zu einem Film verarbeitet wurden, ge-löst und am Ende hatten wir fünf, wie ichfinde, hervorragende Interpretationen derGedichte vorliegen und haben alle Filmemit den Überlegungen der jeweiligenGruppe vor der Klasse präsentiert.

FazitDie wichtigsten Bausteine einer gutenKlassenführung – auch als Fachlehrer –sind ein respektvoller Umgang miteinan-der, Authentizität der Lehrperson, mög-lichst zu allen Schüler/innen eine gute Be-ziehung aufbauen und die Bedenken undÄngste der Lernenden ernst nehmen undim Gespräch in Gelingensbedingungenumwandeln.Wenn man dabei als Lehrender Lernenderbleibt und neugierig und offen den Prozessbegleitet, ändert sich auch die eigene Rolle,weniger der „allwissende“ Lehrer, der Wegund Ergebnis bereits kennt und seineSchüler/innen lediglich nachvollziehenund einüben lässt, sondern hin zum Lern-begleiter, der sich z.B. erklären lässt, wieman einen Film vertont, zeitliche Abspra-chen zusammen mit der Lerngruppe trifftund sich ein Stück weit vom Ergebnisüberraschen lässt.

Mike Zergiebel ist Lehrer an derHelene-Lange-Schule in Wiesbaden

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Dein Leben könnte so schön sein! Stattgebetsmühlenartig über Disziplinproble-me und Korrekturbelastungen zu klagen,kauf dir einfach einen Stapel dieser wun-derbaren Ratgeberbücher: „Sei locker, seilustig, sei Lehrer!“, „Sieg im Klassenkampf“oder „Mantras fürs Lehrerzimmer“. SchonKleinigkeiten machen deinen Alltag ent-spannter, ja geradezu paradiesisch. Manmuss die Kultusministerin nicht ständigmit Boykottdrohungen und Brandbrie-fen erpressen und völlig überzogene For-derungen stellen. Stattdessen ein paarPlakate mit Sonnenuntergang ins Klas-senzimmer, ein Schälchen Aromaöl aufsLehrerpult und Kräutertöpfe aufs Fens-terbrett – schon sind Schülerinnen, Schü-ler und die Lehrkräfte friedlicher undkonzentrierter. Kau im Unterricht hinund wieder ein Blatt Koriander. Spürstdu, wie das die Hirnströme belebt?

Dein neues Leben beginnt frühmorgensbeim Zähneputzen. Sag deinem Spiegel-bild etwas Nettes wie „Ich bewunderedich!“. Auch die Wahl der Kleidung be-einflusst deine Stimmung. Nein, nichtschon wieder betongrau und erdbraun!Warum nicht mal rote Unterwäsche mitkecken Bärchen drauf? Das zaubert einLächeln in dein Gesicht! Eine orangeBluse macht gleich viel unternehmungs-lustiger. Lackier jeden Fingernagel in ei-ner anderen Farbe. Gurke im Gesichtund auf dem Frühstücksbrot erfrischt!Hast du dir für die große Pause einenSpieß mit sechs Sorten Obst gebastelt,eine Thermoskanne mit heißem Wassergefüllt und ein paar Gläser Gemüsedipangerührt? Dann kann es ja losgehen. Al-lerdings nur, wenn Du am Vorabend even-tuelle Ängste und Zweifel auf kleine Zettelgeschrieben und selbige auf dem Balkonverbrannt hast.

Im Lehrerzimmer greif erst mal in dieEnergiebox. Dort sammeln du und deineKolleginnen und Kollegen muntere Weis-heiten, mit denen alle sich gegenseitigstärken. Spiel im Morgenkreis nicht im-mer biedere Kinderlieder, sondern deineLieblingsmusik: zum Beispiel „I want tobreak free“! Hast du Handschmeichlerund Massagebällchen eingesteckt? Über-

Tolle Tippsbrück brenzlige Situationen, indem dudamit knetest. Auch ein Beißring hilft,Wut und Frust abzubauen. Tränk eineMullwindel mit Lavendelöl und riechmit geschlossenen Augen daran, wennPatrick dir mit seinem Gekippel und Ge-zappel auf den Keks geht. Wechsel häufi-ger den Fokus. Fixier abwechselnd dieKrähe auf dem Dach und Merlin in derersten Reihe, der wieder kein Arbeitsma-terial dabei hat. Atme tief und bewusstund trink langsam zehn Schluck heißesWasser, bevor du auf Cheyennes Unflä-tigkeiten reagierst.

Unterricht muss nicht nur kräftezehrendsein! Trainier deine Beckenbodenmusku-latur, wenn die Schülerinnen und Schüleretwas im Internet suchen, machst dukleine isometrische Übungen und Fin-ger-Yoga. Geh abwechselnd auf den Ze-henspitzen und auf den Außenkantender Füße durchs Klassenzimmer. Erkun-de deine Akupressur-Punkte an Hinter-kopf und Oberschenkel. Verwöhn dichheimlich mit einem heißen Fußbad hin-term Lehrerpult. Nach fünf Stunden emp-fiehlt sich ein kleines „Power-Napping“in der Sporthalle oder im Materialraum.Sehr belebend sind auch barfuß durchge-führte Aufsichten. Steig in den Pausen zudeinen Schülerinnen und Schülern aufdie Kletterwand. (Seltsam, noch nie binich auf die Idee gekommen, mit meinerKlasse auch mal privat zu reden und zuscherzen! Da muss erst der Ratgeber

„Mensch werden, Mensch bleiben – dasHandbuch für die Bildungsfront“ erschei-nen!).

Gestalte deine schulischen Rückzugsräu-me, also die Lehrertoiletten, gemütlichund ästhetisch. Kaufe Palmen und Farne,Spitzengardinen und weiches Klopapier.Streich mit den Schülerinnen und Schü-lern die Klobrillen bunt an.

Selbst öde Konferenzen werden zur Well-nessoase, wenn du unter dem Tisch Fuß-roller aus dem Orthopädiefachgeschäfteinsetzt. Oder sammle mit den ZehenMurmeln ein, wenn dein Direktor überdie nächste Schulevaluation/-inspektion/-reform doziert. Bring deinen Balance-Sitzball mit. Wer zwingt dich, dein Ar-beitsleben auf wirbelsäulenfeindlichenHolzstühlen zu verbringen? Trag imSchulgebäude Gesundheitsschlappenund Massagesandalen. Man darf die Be-deutung der Fußreflexzonen nicht unter-schätzen!

Und abends hältst du in deinem Schmun-zelbuch alle Situationen fest, die dir heuteein Lächeln entlockt haben! Falls duglaubst, ich hätte mir das alles nur ausge-dacht: Weit gefehlt! Ich bin von demBuch „Relax! Entspannt Lehrer sein“ in-spiriert worden und danke der AutorinLütge von ganzem Herzen dafür, dass siemein Leben so grundlegend verändert hat.

Gabriele Frydrych

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Beginnt eine LiV, also eine Lehrkraft imVorbereitungsdienst, ihre pädagogischeAusbildung, kommen viele neue Ein-drücke, Begegnungen und vor allem auchAnforderungen auf sie zu. Kolleginnenund Kollegen, unbekannte Klassen unddie Schulleitung – alle haben spezifischeErwartungen an sie. Insofern werdenSchule und Ausbildung zunächst wenigerals Systeme erlebt, die man mitgestaltenkann, sondern eher als Systeme, derenAnforderungen zu erfüllen sind. Die LiVsieht in ihrer Ausbildung und der Arbeitin der Schule durch eher schlechte Ar-beitsbedingungen, fehlende Zeit oder zugroße Klassen oft wenig Ansatzpunkte,Schule wirklich mitzugestalten und sie zuverändern.Erfolgt nach Ende der Ausbildung dieEinstellung in den Schuldienst und mussman als junge Lehrkraft plötzlich mitvoller Stundenzahl unterrichten, so wirdes zunächst kaum anders sein. Daher istes gerade wichtig, sich zu verdeutlichen,wie man Schule verändern, an seinemArbeitsplatz unter Umständen pädago-gisch sinnvoller arbeiten und auch die Ar-beitsbedingungen verbessern kann.Leider gehören hierzu nicht die Bedin-gungen, die das Kultusministerium vor-gibt, wie beispielsweise die Anzahl der zuleistenden Unterrichtsstunden nachPflichtstundenverordnung, die Klassen-größen und die Zuweisung von Lehr-kräften an die Schule. Solche Bedingun-gen sind nur langfristig durch politischeund gewerkschaftliche Forderungen undAktivitäten zu verändern.An der Schule selbst gibt es daher nurbegrenzte Spielräume für Veränderungen,die jedoch genutzt werden sollten. Leitetdie Schule Veränderungsprozesse ein,werden hierzu Ausschüsse, Teams oderSteuergruppen gebildet, an denen mansich beteiligen kann. Entscheidungenüber Gelder, die der Schule zustehen –auch in Vorbereitung von Gesamtkonfe-renzen – kann man zum Beispiel inHaushalts- oder Finanzausschüssen mittreffen. Andere Entscheidungen werdenin Fachkonferenzen vorbereitet. Die Ge-samtkonferenz der Lehrkräfte beschließthingegen Grundsätze zu vielen pädagogi-schen Fragen, aber auch zur Unterrichts-

In der Schule mitbestimmenund sie mitgestalten

verteilung und für die Stunden-, Auf-sichts-, und Vertretungspläne (§133 Hes-sisches Schulgesetz; HSchG). Sie kanndemnach Ausschüsse bilden und ihnenAufgaben zur Beratung und Beschluss-fassung übertragen. Grundsätzlich be-schließt die Gesamtkonferenz der Lehr-kräfte und sozialpädagogischen Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen über die pädagogi-sche und fachliche Gestaltung der Bil-dungs- und Erziehungsarbeit der Schule.Ein sehr wichtiges Organ der Beratungund Beschlussfassung ist auch die Schul-konferenz. Darin wirken Lehrerinnenund Lehrer, Eltern, Schülerinnen undSchüler zusammen. Vertreterinnen undVertreter der Lehrkräfte, die auf einer Ge-samtkonferenz gewählt werden, stellendie Hälfte der Mitglieder dieser Konfe-renz. Die Schulleiterin oder der Schullei-ter hat den Vorsitz inne (§ 128 HSchG).In der Schulkonferenz sollte unbedingteinmal mitgearbeitet werden, denn sieentscheidet grundsätzlich über die Ent-wicklung einer Schule, das Schulpro-gramm, Veränderungen der Schule, denschuleigenen Haushalt und vieles mehr.Hierzu gehören auch die Entscheidungüber die Einrichtung eines Ganztagsan-

gebots und seine Gestaltung, über die Ver-teilung des Unterrichts im Rahmen derKontingent-Stundentafel, über die Zusam-menarbeit mit anderen Schulen und au-ßerschulischen Einrichtungen, über dieSchulordnung, über die Grundsätze fürHausaufgaben- und Klassenarbeiten undauch über die Antragstellung auf Um-wandlung in eine Selbstständige Schule(§ 129 HSchG).Um seinen Arbeitsplatz – im Rahmen desMöglichen – sinnvoll zu gestalten, solltendie Möglichkeiten der Mitbestimmung inder Schule weitestgehend genutzt werden.Dabei stellt sich auch die Frage, wie dieswirkungsvoll vorbereitet und durchge-führt werden kann. Natürlich ist es sehrhilfreich, sich mit Kolleginnen und Kolle-gen auszutauschen und abzusprechen,denn als Einzelkämpfer oder -kämpferinwird man wenig erreichen. Folglich sindauch der Austausch und die Absprache ineiner GEW-Schulgruppe ebenfalls ziem-lich nützlich.

Heike Lühmann,Lehrerin an der Goethe-Schule in Kassel

und Leiterin des Referats Aus- undFortbildung der GEW Hessen

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Über Selbständige Schule, Schulentwick-lung, Qualitätssicherung, kollegiale Team-strukturen, Dezentralisierung, Budgetie-rung etc. wird derzeit heiß diskutiert.Schon haben sich 24 von etwa 2.000 all-gemeinbildenden Schulen in einer Pilot-phase auf den Weg zur „SelbstständigenSchule“ (SES) gemacht, von Kultusminis-terin Dorothea Henzler in ihrer Pressemit-teilung so begleitet:„Wenn Schulen langfristig und nachhaltigplanen können, wenn sie über ausreichend Mit-tel verfügen und ihr pädagogisches Profilselbst entwickeln und gestalten können, wirddies zu einer weiteren Verbesserung von Unter-richt und Lernergebnissen führen.“ 1

Das Interesse an der Entwicklung des„Innenraums Schule“ und die damit ver-bundenen Hoffnungen auf eine größereAutonomie, gelegentlich sogar als „Wegin die Freiheit“2 gepriesen, dürfen jedochnicht den Blick dafür verstellen, dassSchule immer auch in einem Umfeldexistiert und mit diesem Umfeld – Stadtoder Stadtteil – in einen Dialog undAustausch treten muss.Forschungen seit den 1980er Jahren be-legen, dass der Schule durch die zuneh-mende Gefährdung der Kernfamilie unddie Auflösung gewachsener sozialer Bin-dungen neue Aufgabenfelder zuwachsen.Diese seien nur durch eine innere undäußere Weiterentwicklung der InstitutionSchule auszufüllen. Für beide Perspekti-ven spielt die Idee der Ganztagsschuleeine wesentliche Rolle, über die (immernoch) kontrovers diskutiert wird. Lehr-kräfte vermuten Mehrarbeit, Eltern sehenihre Rolle beschnitten, Musikschulenund Sportvereine glauben, ihre Klientelzu verlieren, und nicht zuletzt Schülerin-nen und Schüler fürchten öde langeSchulnachmittage.Was alle vereint, ist die Forderung nacheiner Schule, in der gerne und mit Freudegearbeitet und gelernt wird, eine angereg-te, aufgeschlossene Atmosphäre herrschtund das Engagement aller Mitglieder derSchulgemeinde für ihre Schule im Mittel-punkt steht.Von besonderer Bedeutung sind dabeider Blick nach außen und die Entwick-lung eines intensiven Schullebens, dasdie in der Schule agierenden Personen-

gruppen über den Unterricht im Klassen-raum hinaus zu vielfältigen Aktivitätenzusammenführt. Vor allem Eltern sowieaußerschulische lokale Öffentlichkeit sol-len einbezogen werden, was wesentlicheBausteine für die Verbesserung der Quali-tät von Schulen darstellen.Was bedeutet nun intensives, lebendigesSchulleben?Ein verantwortungsbewusstes Handelnin diesem Bereich muss sich zunächstmit der Situation der konkreten Schulein ihrem Umfeld auseinandersetzen. Da-bei ist von der inneren Beschaffenheitder Schule auszugehen und die Aufmerk-samkeit auf die Wirkungschancen schuli-scher Tätigkeit in der Stadt, im Stadtteilzu richten. Schulen, die sich dieser Aufga-be gestellt haben, können auf vielfältigeErfahrungen zurückgreifen. An einigenwenigen Beispielen lässt sich – ausge-hend von der Praxis vieler Lehrerinnenund Lehrer vor Ort – erläutern, dassdurchaus auch im alltäglichen Unterrichtselbst Leben in der Schule erzeugt wer-den kann, das nach außen sichtbar wirdund Wirkungen zeigt.Dabei kann von folgenden Leitfragenausgegangen werden:1. Wie wird mit Beobachtungen und

Erfahrungen umgegangen, und welcheVorstellungen (Präkonzepte) von derWelt (und Umwelt) werden gebildet?

2. Wie verbinden sich eigene Beobach-tungen, Erfahrungen und Vorstellun-gen mit Gelerntem, und wie werdendie Ergebnisse produktiv nach außengetragen?

Hierfür eignet sich neben vielen anderenFächern der Geschichtsunterricht, indem– ausgehend zum Beispiel von der Ak-tion „Stolpersteine“ – Informationen überlokale historische Ereignisse in Formvon Dokumenten, Interviews und ähnli-chem zusammengetragen, bearbeitet undals Broschüre in der Stadt vertriebenwerden, ebenso wie der Biologieunter-richt, in dem Beobachtungen in der Na-tur angestellt, im Unterricht bearbeitetwerden und das Resultat in einer Aus-stellung in der Stadtbibliothek doku-mentiert wird.Eine Schule, die mehr als eine Lern-anstalt sein will, wird sich außerdem be-

mühen, ein an den Interessen der Schü-lerinnen und Schüler orientiertes päda-gogisches Angebot im außerunterricht-lichen Bereich zu entwickeln und so dieIdee der Ganztagsschule mit Leben zuerfüllen. Arbeitsgemeinschaften, Kurseund Workshops in Sport, Musik, Litera-tur, Naturwissenschaften, Kunst etc. bie-ten nicht nur den Lernenden einen Ent-spannung bringenden Ausgleich zumSchulunterricht, sondern ermöglichenauch die Öffnung zu den örtlichen Sport-vereinen, Musikschulen und privatenAngeboten von BodyArt-Kursen überTanzen, Tastschreiben am PC bis zuWerken mit Holz.Und schließlich ist zu fragen, wie dieSchule die im lokalen Einzugsbereich be-stehenden Angebote teilnehmend be-gleiten kann. Hier sind Aktivitäten denk-bar, die von der Schule ausgehend in dieStadt, in den Stadtteil wirken und derenkulturelles und soziales Leben ergänzenund bereichern wie Feste, Tage der Offe-nen Tür, Theateraufführungen, Schulkon-zerte. Letztere können durchaus auch au-ßerhalb der schulischen Räumlichkeitenstattfinden und sich in das kulturelle An-gebot des Umfelds integrieren.Ohne die stetige Kooperation mit außer-schulischen Interessengruppen, aberauch privaten Unternehmen, und derenkontinuierliche Unterstützung bei denvielfältigen Aktivitäten ist die Gestaltungder Schule zu einem lokalen kulturellenund sozialen Zentrum nicht denkbar.Besondere Aufmerksamkeit verdient da-bei die Zusammenarbeit mit den Eltern,die aufgrund ihrer Verankerung im örtli-chen Kontext eine wichtige Scharnier-funktion zwischen Schule und Umfeldübernehmen.

Helmi Karst,ehemals Ausbilderin am Studienseminar

für Gymnasien in Wiesbaden

1 Pressemitteilung des Hessischen Kultus-ministeriums vom 1. Februar 2012.

2 Elly-Heuss-Schule – Der Weg in dieFreiheit, Frankfurter Rundschau vom20. Januar 2012.

Gute Schule:intensives, lebendiges Schulleben

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Als Schülerin hatte ich mal eine Fünf inPhysik. Nie wäre ich auf die Idee gekom-men, die Schuld dafür bei meinem Lehrerund seinem erlebnisarmen Frontalunter-richt zu suchen. Meine Eltern auch nicht.Die haben mit mir gemeckert, mein Vaterwollte mir Nachhilfe geben – da habe ichlieber wieder in der Schule aufgepasst.

Die Zeiten haben sich geändert. Bei Zen-suren hört die „Freundschaft“ auf. Ebennoch reizende Kinder mutieren zu klei-nen Teufeln, engagierte Eltern schwebenals Racheengel ein, wenn die Mathezen-sur nicht ihren Vorstellungen entspricht.Telefonate einer empörten Mutter mobi-lisieren eine aufgeregte Elternschaft, dieden Äußerungen ihrer Kinder unbeding-ten Glauben schenkt. Wie kann man bit-te die Zensuren eines Lehrers ernst neh-men, der jede Stunde zu spät kommtund 30 Minuten braucht, um die Anwe-senheit der Schüler zu kontrollieren?Eine Phalanx wütender Mütter erscheintbei der Schulleiterin. Der Gedanke, dieÄußerungen der lieben Kleinen ein we-nig zu relativieren oder den Fachlehrer

Da hört die Freundschaft auf!selber erst mal anzusprechen, kommt ih-nen nicht. Als die Schulleiterin ein wenigungläubig lächelt, wird mit Schulrat, An-walt und Boulevardpresse gedroht.

Der beschuldigte Kollege muss im Kellerseine alten Leistungskontrollen raus-suchen und jede mündliche Zensur mitDatum und Thema belegen. Der Fachbe-reichsleiter darf ein ausführliches Gutach-ten dazu schreiben. Je nachdem, wie gutdie Nerven aller Beteiligten sind, wird diebeanstandete Zensur wunschgemäß an-gehoben, damit der Konflikt nicht beimVerwaltungsgericht landet. Ob Elternund Schüler sich eigentlich gern an Ärzteund Anwälte wenden, die ihre Examens-noten auf diesem Weg „erarbeitet“ ha-ben? Manche Kollegen gehen solchenStreitereien aus dem Weg, indem sieKlassenarbeiten so lange üben und wie-derholen, bis kein Schüler mehr eineFünf schreibt.

„Zensuren sind reine Willkür und die-nen nur dem Machterhalt der Lehrer“,sagt die Elternvertreterin kühl. Sie hat

gelesen, dass bayerische Lehrer ein unddenselben Aufsatz mit Zensuren vonEins bis Sechs bewertet haben. Seithermüssen manche Deutschlehrer ein ge-naues Bewertungsschema für Phantasie-aufsätze einhalten. Bis zu zehn Punktekönnen Schüler in folgenden Bereichenerhalten: verheißungsvolle Überschrift,fesselnde Einleitung, raffinierter Schluss,virtuoser Spannungsbogen, Ideenreich-tum ohne nachweisbaren RTL-Einfluss,korrekter Gebrauch der deutschen Schrift-sprache, erkennbare Handlungsstruktur,nachvollziehbarer Inhalt, innere Logik,stilistische Vielfalt. Manchmal kommt beiso einer schematischen Beurteilung eineZwei plus heraus, obwohl langjährige Er-fahrung der Lehrkraft zuflüstert, dass dasGesamtkunstwerk allenfalls eine Dreiverdient hat.

Auf Elternabenden stößt die Fraktion„Schule ohne Notendruck“ auf die Initia-tive „Leistung muss sich lohnen“, dieschon in der ersten Klasse harte und ehr-liche Noten fordert und mit ellenlangenverbalen Beurteilungen nichts anfangenkann. „Timo bewegt sich im Zahlenraumvon eins bis zehn schon recht sicher,wenn er guter Dinge ist.“ Was ist dasnun umgerechnet? Eine Fünf oder eineZwei? Die Lehrerin windet sich undspricht von pädagogischen Noten.Schließlich soll sie individuelles Lernenfordern und kann dann nicht alle Schülerüber einen Kamm scheren. Ein Schüler,der begabt und stinkend faul ist, bekommtbei ihr genauso eine Vier wie ein „Versa-ger“, der sich aber immerhin bemüht hat.Wenn die Hausmeisterin nicht um 22.30Uhr gähnend im Türrahmen erscheinenwürde, würde der Streit um objektiveZensuren noch andauern.

In der Zeit sehe ich mir lieber Fernseh-übertragungen vom Eiskunstlauf an undwettere über die russischen und kanadi-schen Kampfrichter, die konsequent nurihre Lieblinge mit Höchstnoten beloh-nen. Und die dennoch von Elternpro-testen und Verwaltungsgerichten ver-schont bleiben.

Gabriele Frydrych

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BERUFSE INST I EG

Lehrproben und LehreralltagWenn Lerninhalte zur Nebensache werden

Der Autor des folgenden Gastbeitrags, Pro-fessor Dr. Gerd Neuhaus, war als Fachleiterin der Lehrerausbildung tätig und ist Studi-endirektor am Bischöflichen Abtei-Gymnasi-um in Duisburg-Hamborn sowie außerplan-mäßiger Professor für Fundamentaltheologiean der Katholisch-Theologischen Fakultätder Ruhr-Universität Bochum. Die Veröf-fentlichung seines Beitrags, der zuerst in derFAZ erschien, erfolgt mit seiner freundlichenGenehmigung. Der leicht gekürzte Beitragwurde der HLZ 12/2009 entnommen.

Im Roman „Die Feuerzangenbowle“ hatder Schüler Hans Pfeiffer mit einem Leh-rer zu tun, der so unbedeutend ist, dasser in die Verfilmung gar nicht erst Ein-gang gefunden hat. Er heißt „Müller 2“und wird nur mit wenigen Sätzen be-schrieben: „Seine Stunden flossen in er-müdender Sachlichkeit dahin, und wennsie vorüber waren, hatte man zwar dasGefühl, etwas gelernt, nicht aber, einenLehrer gehabt zu haben.“In dieser Farblosigkeit wirkt er erzähl-technisch nur als Kontrastfigur. Sein Kol-lege Bömmel tritt dafür umso farbiger mitseiner Stunde über „de Dampfmaschin“hervor: „Dafür entschädigte allerdingsder Bömmel.“ Er darf im Film etwas sa-gen, was nicht der Romanvorlage ent-nommen ist, aber seine pädagogischeGestalt umso deutlicher konturiert. Ersagt nämlich: „Et steht übrijens alles imBuch, wat ich saje.“ Dann hält er einenAugenblick inne, sein Gesicht verziehtsich zu einem leichten Lächeln, und erfügt hinzu: „Nur nit so schön!“Darin steckt eine tiefe pädagogischeWeisheit. Der Lehrer ist in einem gelin-genden Lernprozess für seine Schülerviel mehr ein Lernmedium als alles an-dere, was sonst darunter firmiert. Lobund Tadel können nur dann ihre erzie-herische Wirkung entfalten, wenn sieauthentisch formuliert und ernst ge-meint sind. Sie werden wirkungslos, so-bald ein Schüler den Eindruck gewinnt:„Das sagt der doch nur, um mich zu er-mutigen.“ Gleiches gilt für jede Motiva-tion im Unterricht. Sie wirkt nur in demMaße, in dem sie sich nicht als Motiva-tion inszeniert, sondern von der Au-thentizität lebt, in der die im Unterricht

zu behandelnde Sache in der Lehrer-persönlichkeit Gestalt gewinnt.

Was ist guter Unterricht?Solche einfachen Sachverhalte sind inder heutigen gymnasialen Lehrerausbil-dung allerdings nur schwer zu vermitteln,wenn in vernebelnden Sprachspielenüber „guten Unterricht“ geredet wird. DieSuggestionskraft vieler pädagogischerÜberredungsbegriffe wird von den Be-troffenen erst bemerkt, wenn sie davoninfiziert sind. Wer will schon ernsthaftetwas gegen Ganzheitlichkeit, Offenheit,Selbsttätigkeit, Kooperation und Produk-tionsorientierung einwenden? Und werwill das Plädoyer dafür wagen, Schüler„frontal“ zu unterrichten, sie gar zu „in-struieren“ und dem Unterrichtsstoff ge-genüber in die passive Konsumenten-rolle zu drängen? Wo das Wort „frontal“für den Außenstehenden Assoziationender Feindseligkeit wachruft, die der Du-den durch Wortzusammensetzungen wie„Frontalangriff “ oder „Frontalzusam-menstoß“ bezeugt, widerstehen Schülerdieser verbalen Suggestionskraft in derRegel, wenn sie im Alltag erfahren, wasungeachtet aller positiven Konnotierunghinter „ganzheitlichen“, „offenen“ und„kooperativen“ Unterrichtsformen inWirklichkeit steht. So kann es durchausgeschehen, dass sie auf einen Lehrer mitder Frage zukommen: „Können Sie nichtbei uns mal eine Stunde Frontalunterrichtmachen? Wir haben gerade wieder mo-dernen Unterricht.“ Da war soeben Grup-penarbeit arbeitsteilig organisiert worden,und damit die Schüler sich bei deren Vor-bereitung und Durchführung gegenseitigkennenlernten, wurden die Aufgabennicht von vornherein an namentlich be-stimmte Schüler vergeben, sondern andenjenigen, der als letzter Geburtstaghatte, an diejenige, deren Anschrift dieniedrigste Hausnummer hat, oder an den,dessen zweiter Buchstabe im Vornamenals erster im Alphabet vorkommt. Es istkein Wunder, dass nicht nur Oberstufen-schüler, die so etwas ertragen müssen,sich dadurch infantilisiert fühlen. Sie sa-gen selbst, man sei hier nicht im Kinder-garten (was übrigens eine Beleidigungdes Kindergartens sein dürfte). Die Funk-

tionen, die auf diese Weise vergeben wer-den, sind die des Protokollanten, desBerichterstatters für die anschließendePräsentation vor dem Plenum und vorallem die des Zeitnehmers, der die Uhrim Auge behält. Damit wird unter denSchülern eine Gestalt der „Vollbeschäfti-gung“ hergestellt, die genauso künstlichist wie diejenige, die einst von sozialisti-schen Staaten propagandistisch heraus-gekehrt wurde. Der methodische Auf-wand solcher Unterrichtsformen steht inkeinem Verhältnis zum gewünschtenLernerfolg. Aus Verärgerung verabschie-dete eine Schülerin jüngst mehrere Stun-den lang eine Studienreferendarin mitder Feststellung: „Heute haben wir schonwieder nichts gelernt.“

Aufwand und LernerfolgDie Asymmetrie von methodischemAufwand und Lernerfolg findet ihreGrundlegung in der allseits geforderten„Kompetenzorientierung“. Wer die Ziel-formulierung in den Unterrichtsentwür-fen von Referendaren liest, wird feststel-len, dass auffallend oft Kompetenzen„erweitert“ oder „vertieft“ werden oderfür etwas schon Bekanntes neu „sensibi-lisiert“ werden müssen. Der Lerninhaltgerät dabei zur Nebensache und wird zumaustauschbaren Medium; die jeweiligeKompetenz ist zum eigentlichen Planungs-ziel geworden. Nicht selten tritt dabei derUnterricht auf der Stelle.Für Referendare kann eine solche Ausbil-dung auf den ersten Blick von fragwürdi-gem Vorteil sein. Gerade solche Lehr-amtsanwärter, die fachwissenschaftlichnur lückenhafte Kenntnisse aufzuweisenhaben, entdecken schnell, dass sie hinterden sogenannten schülerorientiertenArbeitsformen ihre eigenen Defizite ver-stecken können, wenn der Lehrer nurnoch Impulsgeber und Prozesshelfer fürselbstgesteuerte Lernprozesse ist, die derSchüler angeblich autonom in die Handnimmt.Schüler durchschauen einen solchenSpuk schnell. Allerdings machen sie ihnin entscheidenden Situationen mit. Beianstehenden Unterrichtsbesuchen durchdie Seminarausbilder – den sogenanntenLehrproben – wollen sie nämlich den

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Referendaren helfen zu bestehen. Hierwird dann die eingangs genannte Para-doxie pädagogischen Motivierens aufeine Weise wirksam, welche Simulations-prozesse fördert, die mit dem Unterrichts-alltag nicht mehr das Geringste zu tunhaben. Weil Schüler durchschauen, wasReferendare gerade vorhaben, lassen siesich in Prüfungssituationen brav zur ge-wünschten Leistung motivieren, die sieim Unterrichtsalltag aus dem gleichen

Grund verweigern würden. Auf diese Artentsteht ein Teufelskreis: Die Schüler er-wecken bei den „Lehrproben“ gegenüberden Ausbildern den Eindruck, sie wür-den die besagten Arbeitsformen bereit-willig akzeptieren, und die Ausbilder sinddann umso mehr von der Effizienz ihrermethodischen Ansätze überzeugt. Soentsteht eine Lehrerausbildung, in derReferendare für das Bestehen ihrer „Lehr-proben“ ausgebildet werden. Danach

aber sind sie oft schutzlos dem Unter-richtsalltag ausgeliefert. Denn jetzt neh-men die Schüler nicht mehr solche Rück-sicht, die sie ihnen als Referendaren nochentgegengebracht haben. Hans Pfeifferhätte heute bei modernem schüler- undkompetenzorientiertem Unterricht nichtnur das Gefühl, keinen Lehrer gehabt zuhaben.

Professor Dr. Gerd Neuhaus

Morgens, halb zehn in Deutschland…dieGrundschullehrerin sitzt lässig an ihremPult, greift entspannt lächelnd zu ihremKnoppers, das sie gemütlich vor der buntbemalten Tafel verzehrt.Soweit das landläufige Bild – oder zumin-dest das der Werbung – einer Lehrerin undihres Klassenzimmers.Die Realität sieht anders aus, denn die be-schaulichen, idyllisch anmutenden, nicht sel-ten privat subventionierten Klassenräumesind längst multimedial „upgedatet“, sofernein Schulträger gerade die Lust verspürt, mitdem ein oder anderen Prestigeobjekt einExempel für die nächsten Wahlen zu statuie-ren – weitergehender Sinn fraglich.So wird man also zur Smartboardschule –Tafeln raus, Smartboard rein, kein Protest,man bekommt ja schließlich was geschenkt.Eine Lehrerin hier beißt also nicht in ihrKnoppers, sondern versucht, dieDokumentenkamera über dem Schulbuchso zu positionieren, damit mit einem Klickdas abfotografierte Bild direkt auf demSmartboard erscheint. Nach ca. fünfminütigem Nachjustieren ist das Bild zwarimmer noch nicht gerade, dafür gibt dieKamera ihren Geist auf. Hätte die Kollegindoch nur alles auf ihrem privaten – weildie Schule keine zur Verfügung stellt –USB-Stick vorbereitet … Und jetzt? Ambesten doch alles per Hand zeichnen undschreiben. Hat ja auch seine gute Seite. Dasabfotografierte Bild hätte unsere Kolleginals Digitalisat ohne teure Lizenz, die sichweder Schule noch Schulamt leisten kann/will, aus urheberrechtlichen Gründen so-wieso nicht speichern dürfen. Das wurdebei der einen mickrigen Fortbildung zumThema natürlich nicht erwähnt, vielmehrsind alle ganz entzückt von den Möglich-keiten, die ein Smartboard zu bieten hat,was von Konferenz zu Konferenz tapfervon Begeisterten „multipliziert“ wird. Wasauch vollkommen richtig so ist, wurdendie Smartboards doch ohne jegliche Schu-lung des Kollegiums installiert, jede/r auf-gefordert, die Software auf dem Privat-PC

im heimischen Arbeitszimmer aufzuspielenund dann mal „mutig auszuprobieren“.Vielleicht gehörte man aber auch zu den vierglücklichen Personen an der ganzen Schule,die das Begleitbuch abgegriffen hatten undsich während ihrer Ferien nichts schöneresvorstellen konnten, als sich nebenher nochfür das neue Medium fitzumachen.Doch zurück zu unserer Kollegin. Die willgerade genüsslich ihr Knoppers verspeisen,als sich das Smartboard von selbst abschaltet.Was ist denn nun wieder los? Ihr schwant Bö-ses: Beamer und Belüftung des Smartboardssind total verstaubt – stimmt, das Reinigungs-personal kümmert sich darum nicht, deshalbhatte die Schule ja extra einen Handstaub-sauger angeschafft, damit jede Kollegin selbstHand anlegen kann… Also schnell ins Se-kretariat – hoffentlich hat gerade niemandanderes das gute Stück ausgeliehen! Gottsei-dank, das Ding ist da und verrichtet nachhalsbrecherischer Akrobatik unserer Kolle-gin auch zuverlässig seine Arbeit. Heureka -das Smartboard lässt sich wieder hochfahren!Aber wieder nix mit Knoppers – die Pause istvorbei und nun steht Freihandzeichnen und-schreiben mit einer viel zu dicken Stift-attrappe auf dem Programm. Zugegeben, dieKalligrafiesoftware würde ja zu einer Verfei-nerung des Schriftbildes beitragen, diesekann nur leider weder heruntergeladen nochtaktualisiert werden, weil – aus Kostengrün-den versteht sich – nur die Hälfe der Schulemit einem Internetanschluss ausgestattet ist.Leider kann daher das innovative, arbeitsspa-rende Transfernetzwerk, welches mit für allezugänglichem Unterrichtsmaterial angerei-chert werden soll, nur von der Hälfte desKollegiums genutzt werden.Die Kinder schauen gebannt nach vorne, dieLehrerin zieht einen ersten Strich, dannwird der Bildschirm grau: „Bitte neu kali-brieren.“ – Schallendes Gelächter, Aufmerk-samkeit ade. Die Kollegin stutzt und recktsich dann über die ganze Fläche des Smart-boards, um mit dem Stift dem kleinen rotenPunkt nachzuspringen, der für den Vorgangimmer wieder an einer anderen Stelle er-

scheint. Geschafft! Jetzt aber präzise losge-legt … naja, die Schrift sieht dennoch sounbeholfen aus, als würde man mit derComputermaus Freihandzeichnungen mitpaint anno 1995 ausprobieren – ein un-heimlicher Autoritätsgewinn. StändigeNachfragen, ob das denn ein i-Punkt oderü-Striche sind, und Belehrungen, dass manden Bogen vom ‚g’ immer bis ganz unten„in den Keller“ ziehen muss. Unter ent-wicklungspsychologischer Perspektivepreist unsere Kollegin den Scharfsinn ihrerSchützlinge und freut sich, dass alle imkonkret-operationalen Stadium angekom-men sind. Unter menschlicher Perspektiveist das Maß nun voll: Die Lehrerin verlässtdas Klassenzimmer 2.0, verlangt von allenKindern, ihr Buch aufzuschlagen, besprichtmit ihnen das Bild, das sie vorher abfoto-grafieren wollte, schreibt die Überschriftgut leserlich an die Seitentafel (kein Ge-lächter, keine Widerworte), lässt die Schü-ler arbeiten und belohnt sich für diese Ent-scheidung endlich mit ihrem Knoppers.Diese polemische Situationsbeschreibung istleider nicht weit von der Realität entfernt. Sieist keineswegs generell gegen neue Medienim Klassenzimmer zu verstehen, sondern einAppell an einen reflektierten, anforderungs-bezogenen und ressourcenorientiertenMedieneinsatz an unseren Schulen. Solltensolche Projekte in Angriff genommen wer-den, so benötigen die verschiedenen Organeeiner Schule genügend Zeit, um sich ernst-haft damit auseinandersetzen zu können. Zu-dem muss ein Schulträger gewährleisten,dass er nicht nur Stückwerk liefert, und derRest wieder an den Lehrkräften hängenbleibt. Des Weiteren sollte es – auch in derheutigen Zeit – in Schulen neben wirtschaft-lichen auch pädagogische undentwicklungspsychologische Argumente ge-ben, die z.B. gegen einen alternativlosen Ein-satz von Smartboards an Grundschulen sprä-chen. Angesichts knapper öffentlicherHaushalte ist bei der Schulaustattung klardas Prinzip „Pflicht vor Kür“ anzuwenden.

Christine Dietz

Morgens, halb zehn in Deutschland … im Klassenzimmer 2.0

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AUSBILDUNG

Welche Aufgabenhaben die Mentorinnen und Mentoren?

In einer kurzen Mitteilung weist die Schulleiterin darauf hin,dass der Schule zwei neue Lehrkräfte im Vorbereitungsdienstzugewiesen werden. Gleichzeitig bittet sie geeignete Lehrkräf-te, sich als Mentorin oder als Mentor zur Verfügung zu stel-len. Sowohl die Referendarin als auch der Referendar habengemeinsam ein erstes Fach, jedoch ist das zweite Fach ver-schieden. Für das gemeinsame erste Fach stehen vier Kolle-ginnen und Kollegen grundsätzlich zur Verfügung. Für daszweite Fach von Referendar Michael G. kommen lediglichdrei Kolleginnen und Kollegen in die engere Wahl, währendes nur einen möglichen Mentor für die Betreuung der Refe-rendarin Claudia W. in ihrem zweiten Fach gibt.Nach etwa vier Wochen einigen sich zwei Kolleginnen und dieReferendarin und der Referendar bezüglich der Betreuung imersten Fach. Michael G. wählt bereits vorher die junge KolleginNicole O. als Mentorin für sein zweites Fach. Hingegen mussReferendarin Claudia W. zwangsläufig den einzigen Mentor fürihr zweites Fach akzeptieren, obgleich sie meint, keinen gutenZugang zu ihm zu finden. Eine Woche später weist die Schul-leiterin nach Rücksprache den erfahrenen Kollegen Rainer E.an, die Mentorenbetreuung im zweiten Fach von Michael G. zuübernehmen.

Darüber hinaus ist bei der Erstellung des Stundenplans vorge-sehen, dass während der zwei Hauptsemester der ReferendarMichael G. jeweils vier Stunden in seinen beiden Fächern ei-genverantwortlich unterrichten soll und weitere vier Stundenparallel mit dem erfahrenen Kollegen Robert E. doppeltbesetzteingesetzt wird.Referendarin Claudia W. soll hingegen sechs Wochenstundenin ihrem ersten Fach und vier in ihrem zweiten Fach eigenver-antwortlich unterrichten. Als Äquivalent für den geringerenUnterrichtseinsatz soll sie sich fallweise für Vertretungsstun-den in ihr bekannten Klassen bis zu zwei Wochenstunden be-reithalten.

Die Rechtslage im Überblick

Die Dienstordnung verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer, beider Ausbildung von Lehrkräften in der Schule im Rahmen dergeltenden Vorschriften mitzuwirken (§ 4 Abs. 5).Eine Verfügung des Landesschulamts vom 28.11.2013 schreibtvor, dass die Schulleiterin oder der Schulleiter auf Vorschlagder Lehrkraft im Vorbereitungsdienst die Mentorinnen undMentoren für die jeweiligen Unterrichtsfächer oder Fachrich-tungen bestimmt. Dazu ist das Benehmen mit der Leiterinoder dem Leiter des Studienseminars herzustellen.Die Aufgaben der Mentorinnen und der Mentoren werdenfolgendermaßen bestimmt:• Beratung in schul- und unterrichtspraktischen Fragen• Erteilung von Unterricht als Hospitationsangebot mit Re-

flexionsangeboten• Bereitstellung ihrer Lerngruppen für angeleiteten Unter-

richt (Mentorenunterricht)• Teilnahme an Unterrichtsbesuchen mit Unterrichtsberatung• Unterstützung bei Elterngesprächen, Elternabenden und

anderen außerunterrichtlichen Tätigkeiten• Zusammenarbeit mit den am Studienseminar für die päda-

gogische Ausbildung Verantwortlichen

Was die GEW dazu meint

Ohne angemessene Entlastung ist den Mentorinnen undMentoren die Aufgabe der Betreuung der Lehrkräfte imVorbereitungsdienst nicht zumutbar. Infolge der Möglich-keit der „Doppelbesetzung“ kann die Mentorin oder derMentor faktisch entlastet werden (§ 43 Abs. 3 Satz 3 undAbs. 5 HLbGDV). Durch unterschiedliche Handhabungkommt es aber zu einer Ungleichbehandlung der Lehrkräfteim Vorbereitungsdienst sowie der Mentorinnen und Men-toren. Stattdessen fordert die GEW eine Entlastung inForm einer Anrechnungsstunde je Lehrkraft im Vorberei-tungsdienst je Ausbildungsschule. Positiv ist zu werten,dass Mentorinnen und Mentoren weiterhin nur auf Vor-schlag der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst bestimmt wer-den können, eine Grundsatzforderung der GEW Hessenseit mehr als 35 Jahren.

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AUSBILDUNG

Die pädagogische Ausbildungim Überblick

1. Maioder1. November

1. Augustoder1. Februar

1. Februaroder1. August

1. Augustoder1. Februar

Entlassung:31. Januaroder31. Juli

Beginn Gliederung Dauer

EinführungsphaseZehn Wochenstunden Hospitationen und angeleiteter UnterrichtWöchentlich etwa acht Zeitstunden Anwesenheit in den Ausbildungsveranstaltungen desStudienseminarsTeilnahme an Konferenzen, sofern Verpflichtung durch Schulleiterin oder SchulleiterWichtig:Vorschlagsrecht bei der Wahl der Mentorinnen und MentorenGegebenenfalls Wahrnehmung besonderer Ausbildungsveranstaltungen wie Betriebspraktikaoder Erkundungen

Erstes HauptsemesterZehn bis zwölf Wochenstunden eigenverantworteter Unterricht, davon bis zu vier Unter-richtsstunden mit Mentorenbetreuung, und mindestens zwei Wochenstunden HospitationenWöchentlich etwa neun Zeitstunden Anwesenheit im Studienseminar (vier Module und wei-tere Ausbildungsveranstaltungen)Teilnahme an Konferenzen, besonderen schulischen Veranstaltungen, Elterngesprächen …Gegebenenfalls Wahrnehmung besonderer Ausbildungsveranstaltungen wie Betriebspraktikaoder Erkundungen

Zweites HauptsemesterZehn bis zwölf Wochenstunden eigenverantworteter Unterricht, davon bis zu vier Unter-richtsstunden mit Mentorenbetreuung, und mindestens zwei Wochenstunden HospitationenWöchentlich etwa acht Zeitstunden Anwesenheit im Studienseminar (drei Module und weite-re Ausbildungsveranstaltungen)Teilnahme an Konferenzen, besonderen schulischen Veranstaltungen, Elterngesprächen …Gegebenenfalls Wahrnehmung besonderer Ausbildungsveranstaltungen wie Betriebspraktikaoder ErkundungenAnfertigung der pädagogischen FacharbeitWichtig:Zum 1. April oder 1. Oktober Meldung zur Prüfung mit Abgabe des Portfolios, der pädago-gischen Facharbeit und des Nachweises über die Befähigung zum Leisten Erster Hilfe; Zu-stimmung zur Teilnahme von Gästen (zum Beispiel Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst) anPrüfung (ohne Teile der Beurteilung und Bewertung)

PrüfungssemesterSechs bis acht Wochenstunden eigenverantworteter Unterricht, davon bis zu vier Unterrichts-stunden mit Mentorenbetreuung, und mindestens zwei Wochenstunden HospitationenWöchentlich etwa vier Zeitstunden Anwesenheit im Studienseminar (ein Modul und weitereAusbildungsveranstaltungen) bis zur PrüfungTeilnahme an Konferenzen, besonderen schulischen Veranstaltungen, Elterngesprächen ...Vorbereitung auf Prüfung(Der Prüfungstermin ist der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst spätestens vier Wochen vorhermitzuteilen. Die Aufgabe für die mündliche Prüfung wird erst am Prüfungstag mitgeteilt.)Wichtig:Prüfung findet in der Regel zwischen 15. April und 31. Juli oder 15. Oktober und 31. Januardes Folgejahres statt.Nach Ablegung der Prüfung bis Ende der Ausbildung bis zu zwölf Wochenstunden Unter-richt

3 Monate

6 Monate

6 Monate

6 Monate

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Vorbereitungsdienst:Dauer:3 MonateEinführungsphase (§ 38 Abs. 1 HLbG)

1.5.-31.7. ODER 1.11.-31.1.

1. Personelle Orientierung in derAusbildungsschuleLeiterin oder Leiter der Ausbildungsschule?Ständige Vertreterin oder ständiger Vertreter der Leiterinoder des Leiters?Fachbereichsleiterin oder Fachbereichsleiter?Förderstufenleiterin oder Förderstufenleiter?Pädagogische Leiterin oder Pädagogischer Leiter?Stufenleiterin oder Stufenleiter?Abteilungsleiterin oder Abteilungsleiter?Mögliche Mentorinnen und Mentoren?Sekretariatspersonal?Schulhausverwalter?Schulassistent?Schulpersonalrat?Frauenbeauftragte, Ansprechpartnerin für Frauenangele-genheiten?SV-Verbindungslehrerin oder SV-Verbindungslehrer?Schulpsychologin oder Schulpsychologe?Weitere Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst?Ausbilderinnen und Ausbilder des Studienseminars?Schulelternbeirat?SchülerInnenvertretung (SV)?GEW-Gruppe und GEW-Vertrauensperson?Curriculare Arbeitsgruppen, Kooperationsgruppen, Steu-erungsgruppen?Freizeitgruppen (Sport, Stammtisch etc.)?Zuständige für technische Geräte?Zuständige für Lehrer- und Schülerbücherei, für Unter-richtsmaterialien, Medien, Fachzeitschriften, Formalien?

2. Technisch-organisatorische Orientierungin der AusbildungsschuleWelche technischen Geräte sind wo vorhanden?Wie ist die Medienausstattung?Wie ist der Zugang zum Internet geregelt?Welche Zeitschriften und Bücher sind für eigene Fächerwo vorhanden?Wo stehen die Vervielfältigungsgeräte?Ist Selbstbedienung möglich?Gibt es Mengenbegrenzungen für Vervielfältigungen?Wie viel kosten Privatkopien?Wo gibt es ein Archiv für Unterrichtsmaterialien?Wo können Freiexemplare von Lehrbüchern beschafftwerden?Wo sind die rechtlichen Regelungen (Gesetze, Verord-nungen, Erlasse, Konferenzbeschlüsse) zu finden?

Was ist in der Schulordnung geregelt?Wie ist das Entschuldigungsverfahren für Schülerinnenund Schüler geregelt?Wo ist der Raumplan für die Schule?Welche speziellen Fachräume (Bibliotheken, Vorberei-tungsräume, Medienraum etc.) gibt es und wo?Wo ist die Mensa, wo gibt es Nahrungs- und Genussmittel?Wo ist der Krankenraum?

3. Orientierung der Unterrichtsfächer inder AusbildungsschuleWelche Fächer/Kurse/Lern- und Aufgabenbereiche wer-den unterrichtet und von wem?Wer unterrichtet die eigenen Fächer/Kurse/Lern- undAufgabenbereiche?Fachsprecherinnen oder Fachsprecher für die eigenen Fä-cher (an Gymnasien)?

4. Schulorganisation und Schulformen/-stufen der AusbildungsschuleEingangsstufe?Förderstufe?Selbstständige allgemeinbildende Schule?Inklusiver Unterricht?G8, G9?Betreuungsschule?Feste Öffnungszeiten?Ganztagsangebote?Mittagsbetreuung?

Bei beruflichen Schulen insbesondere:Teilzeitberufsschule (Organisationsformen)?Ausbildungsberufe?Ausbildungsordnungen?Abstimmung mit den ausbildenden Betrieben?Prüfungsordnungen?Sonderklassen?Besondere Bildungsgänge?Berufsfachschule?Fachoberschule (Form A oder B)?Berufliches Gymnasium?Fachschule?Selbstständige berufliche Schule?

5. Termine und Veranstaltungen an derAusbildungsschuleKlassenkonferenzen?Fachkonferenzen?Fachbereichskonferenzen?

AUSBILDUNG

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Abteilungskonferenzen?Schulstufen- und Jahrgangskonferenzen?Schulform- und Schulzweigkonferenzen?Gesamtkonferenzen?Schulkonferenzen?Pädagogische Tage?Personalversammlungen?Betriebsausflug?Schulfest?Klassenfahrten?Betriebsbesichtigungen?Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer?Arbeitsgruppen?

6. Stundenplanregelung in derAusbildungsschuleWer erstellt Stundenplan?Einflussmöglichkeiten auf Stundenplangestaltung (Fä-cher, Kurse, Lern- und Aufgabenbereiche; Klassen; Zu-sammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen)?Einschaltung von Personalrat, Seminarleitung bei schlech-ten Regelungen, falls Problem nicht gelöst wird (Beispie-le: Einsatz in schwierigen Klassen und Kursen, zeitlichstark zerrissener Stundenplan, Einsatz in zu vielen Lern-gruppen).

7. Allgemeine ProblemeKrankenversicherung, Beihilfe?Fahrtkostenerstattung?Haftpflicht-, Lebens-, Hausrat-, Kraftfahrzeugversiche-rung, Vermögensbildungsgesetz?Allgemeine Informations- und Materialquellen (zum Bei-spiel Hessische Landeszentrale für politische Bildung,Bundeszentrale für politische Bildung)?

8. Orientierung im StudienseminarLeiterin oder Leiter des Studienseminars?Ständige Vertreterin oder ständiger Vertreter der Leiterinoder des Leiters des Studienseminars?Abteilungsleiterin oder Abteilungsleiter?Ausbilderinnen und Ausbilder (Zuständige für die Mo-dule und Ausbildungsveranstaltungen)?Seminarassistentin oder Seminarassistent?Personalrat?Vollversammlung der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst?Seminarrat?GEW-Gruppe der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst?Kooperations-/Arbeitsgruppen der Lehrkräfte im Vorbe-reitungsdienst?Assistenzkräfte (Sekretärin/Sekretär)?Organisation der Seminarveranstaltungen?

Orientierung und Strukturierung

AUSBILDUNG

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Vervielfältigungsgeräte?Materialsammlungen (von Prüfungslehrproben etc.)?Bücherei, Standort der Medien?

9. Kontinuierliche Beratung und BegleitungWährend der gesamten pädagogischen Ausbildung biszur Prüfung wird die Lehrkraft im Vorbereitungsdienstvon einer Ausbilderin oder einem Ausbilder kontinuier-lich beraten und betreut (§ 43 Abs. 7 HLbGDV).

10. Unterrichts-/AusbildungsverpflichtungenZehn Wochenstunden Hospitationen und angeleiteterUnterricht (§ 43 Abs. 3 Nr. 1 HLbGDV)Wöchentlich etwa acht Zeitstunden Ausbildungsveran-staltungen des StudienseminarsTeilnahme an Konferenzen, sofern Verpflichtung durchLeiterin oder Leiter der Ausbildungsschule

11. Erkundungen und BetriebspraktikaAls besondere Ausbildungsmaßnahmen finden sie anausbildungsrelevanten Orten bis zu einer Gesamtdauer

von drei Monaten statt. Sie ersetzen Veranstaltungen(§ 45 Abs. 4 HLbGDV).

12. Wahl der Mentorinnen und MentorenVorschlagsrecht bei der Wahl der Mentorinnen undMentoren (§ 4 Abs. 3 HLbGDV)

13. Überlegungen zu den HospitationenMöglichst viele, auch fachfremde Lehrkräfte hospitieren?Schwerpunktbildung in bestimmten Unterrichtsfächern/Kursen/Lern- und Aufgabengebieten?Schwerpunktsetzung bei wenigen Lehrerinnen und Leh-rern?Schwerpunktbildung bei bestimmten Klassen?Hospitation aus dem Blickwinkel einer Schülerin odereines Schülers?Hospitation aus der Sichtweise einer unterrichtendenLehrkraft?Hospitationsbericht für eigene Reflexion, Portfolio undspätere Verwertung (pädagogische Facharbeit)?

1.8.-31.1. ODER 1.2.-31.7.

1. Orientierung in Ausbildungsschuleund StudienseminarWie in Einführungsphase Nr. 1 bis 9 und 11

2. Unterrichts-/AusbildungsverpflichtungenZehn bis zwölf Wochenstunden eigenverantworteter Unter-richt und mindestens zwei Wochenstunden Hospitationen(§ 43 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 und 3 HLbGDV); bis zuvier Stunden eigenverantworteter Unterricht können durchMentorin oder Mentor betreut werden.Wöchentlich etwa neun Zeitstunden Seminarveranstal-tungen (vier Module und weitere Ausbildungsveranstal-tungen) im 1. Hauptsemester und etwa acht ZeitstundenSeminarveranstaltungen (drei Module und weitere Aus-bildungsveranstaltungen) im 2. HauptsemesterTeilnahme an Konferenzen der Ausbildungsschule

3. DoppelbesetzungMangels entsprechender Einsatzmöglichkeiten an derAusbildungsschule oder aufgrund besonders schwierigerAusbildungsbedingungen oder sonstiger Gründe ist ei-

genverantworteter Unterricht mit einer zusätzlichenLehrkraft möglich (§ 43 Abs. 5 HLbGDV).

4. Abweichende UnterrichtsverpflichtungVom vorgegebenen Unterrichtsumfang kann aufgrundpädagogischer oder schulischer Gründe eine abweichendeRegelung durch Leiterin oder Leiter des Studiensemi-nars getroffen werden. Die Lehrkraft im Vorbereitungs-dienst und Leiterin oder Leiter der Ausbildungsschulemüssen hierfür ihr Einvernehmen geben (§ 43 Abs. 4HLbGDV).

5. Unterrichtsbesuche mit Unterrichts-beratungenIn allen acht Modulen (vier im 1. Hauptsemester, drei im2. Hauptsemester und ein Modul im Prüfungssemester)finden je zwei Unterrichtsbesuche mit Unterrichtsbera-tungen statt. Nach § 44 Abs. 6 HLbGDV sind insgesamt16 vorgeschrieben.Unterrichtsbesuche werden auch als gemeinsame Un-terrichtsbesuche von Ausbilderinnen und Ausbildern fürmehrere Module durchgeführt (§ 44 Abs. 6 Satz 2HLbGDV).

Dauer:6 MonateErstes Hauptsemester (§ 38 Abs. 1 HLbG)

AUSBILDUNG

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1.2.-31.7. ODER 1.8.-31.1.

1. Orientierung in Ausbildungsschuleund StudienseminarWie im ersten Hauptsemester Nr. 1 bis 5

2. Unterrichts-/AusbildungsverpflichtungSiehe Erstes Hauptsemester Nr. 2

3. Pädagogische Facharbeit (§ 40a HLbG)Festlegung des Themas spätestens fünf Monate vor Mel-dung zur Prüfung (1. Mai/1. November; § 46 Abs. 2HLbGDV)Gruppenarbeiten sind möglich (§ 46 Abs. 5 HLbGDV).Abgabe mit der Meldung zur Prüfung (1.4./1.10.; §§ 46Abs. 3 und 48 Abs. 2 Nr. 2 HLbGDV). Die Arbeit wirdmit 10 % auf die Gesamtbewertung gewichtet (§ 42Abs. 2 HLbG).

Dauer:6 MonateZweites Hauptsemester (§ 38 Abs. 1 HLbG)

Umfang zwischen 20 und 30 Seiten, mit Anhang höchs-tens 40 Seiten (§ 46 Abs. 4 HLbGDV)Empfehlung: möglichst frühzeitig sich Gedanken machen.

4. Meldung zur PrüfungZeitpunkt: 1.4./1.10. (§ 48 Abs. 1 HLbGDV)Vorlage des Portfolios (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 HLbGDV)Abgabe der pädagogischen Facharbeit (§ 48 Abs. 2 Nr. 2HLbGDV)Abgabe des Nachweises über Befähigung zum LeistenErster Hilfe (§ 48 Abs. 2 Nr. 3 HLbGDV)Schriftliche Erklärung über Teilnahme von Gästen anPrüfung (§ 48 Abs. 2 Nr. 4 HLbGDV)Empfehlung: mindestens eine Lehrkraft im Vorberei-tungsdienst als Gast

1.8.-31.1. ODER 1.2.-31.7.

1. Unterrichts-/AusbildungsverpflichtungenSechs bis acht Wochenstunden eigenverantworteter Un-terricht (§ 43 Abs. 3 Nr. 3 HLbGDV); bis zu vier Stun-den eigenverantworteter Unterricht können durchMentorin oder Mentor betreut werden; nach der Prü-fung bis zum Ende des Vorbereitungsdienstes kann dieLehrkraft im Vorbereitungsdienst bis zu zwölf Wochen-stunden zum Unterrichten eingesetzt werden (§ 43 Abs. 9HLbGDV).Wöchentlich etwa vier Zeitstunden Seminarveranstaltun-gen (grundsätzlich ein bewertetes Pflichtmodul und evtl.weitere Ausbildungsveranstaltungen) bis zur PrüfungTeilnahme an Konferenzen in der Ausbildungsschule

2. PrüfungstermineZeitraum: 15.4.–31.7. oder 15.10.–31.1. des Folgejahrs(§ 49 Abs. 1 HLbGDV)

3. PrüfungslehrprobenEs sind zwei getrennte Prüfungslehrproben oder einePrüfungslehrprobe fächerverbindend oder in einem Pro-jekt (mindestens zwei Zeitstunden) zu halten (§§ 47Abs. 1 HLbG und 50 Abs. 3 HLbGDV; weitere Diffe-renzierungen in § 50 Abs. 4 bis 8 HLbGDV).

Die Entwürfe sollen einen Umfang von grundsätzlichjeweils acht Seiten nicht überschreiten (§ 50 Abs. 9HLbGDV).Die Prüfungslehrproben werden jeweils mit 15 % oder al-ternativ mit 30 % auf die Gesamtbewertung gewichtet(§ 50 Abs. 2 HLbG).Wird eine Prüfungslehrprobe mit null Punkten bewertetoder beträgt die Summe der einfachen Bewertungen derbeiden Prüfungslehrproben weniger als zehn Punkte, istdie Prüfung nicht bestanden (§ 50 Abs. 5 Nr. 1 und 2HLbG).

4. Mündliche PrüfungSie besteht aus Vortrag (15 Minuten) und Gespräch (§ 51Abs. 3 HLbGDV) und dauert 60 Minuten, bei Fach-lehreranwärterinnen und Fachlehreranwärtern 45 Minu-ten (§ 51 Abs. 1 HLbGDV).Der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst wird am Prüfungs-tag die Aufgabe der mündlichen Prüfung mit einer Vor-bereitungszeit von 30 Minuten schriftlich vorgelegt (§ 51Abs. 2 HLbGDV).Die mündliche Prüfung wird mit 10 % auf die Gesamt-bewertung gewichtet (§ 50 Abs. 2 HLbG). Wird siemit null Punkten bewertet, ist die Prüfung nicht be-standen (§ 50 Abs. 5 Nr. 3 HLbG).

Dauer:6 MonatePrüfungssemester (§ 38 Abs. 1 HLbG)

AUSBILDUNG

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Arbeitsplatz StudienseminarZuweisung zur Ausbildungsschule

Die Zuweisung zur Ausbildungsschule erfolgt durch die Leite-rin oder den Leiter des Studienseminars (§ 39 Abs. 1 Satz 1HLbGDV). Das Benehmen mit der jeweiligen Schulleitung istherzustellen. Nach Möglichkeit soll der Wunsch der Lehrkraftim Vorbereitungsdienst berücksichtigt werden.

Wechsel der Ausbildungsschule

Ein Wechsel der Ausbildungsschule ist möglich (§ 40 Abs. 2HLbGDV). Die Leiterin oder der Leiter des Studienseminarstrifft die Entscheidung auf begründeten Antrag der Lehrkraftim Vorbereitungsdienst im Benehmen mit den Leitungen derdavon betroffenen Ausbildungsschulen und dem jeweils zu-ständigen Staatlichen Schulamt. Die jeweiligen Personalrätesind zu beteiligen.

Ausbilderinnen und Ausbilder

Es gibt verschiedene Arten von Ausbilderinnen und Ausbil-dern mit unterschiedlicher Rechtsstellung und unterschied-lichen Aufgaben (§ 40 Nr. 7 HLbG).1. Hauptamtliche Ausbilderinnen und Ausbilder (§ 4 Abs. 1

HLbGDV)2. Ausbildungsbeauftragte (§ 4 Abs. 2 HLbGDV)3. Mentorinnen und Mentoren (§ 4 Abs. 3 HLbGDV)Ausbilderinnen und Ausbilder bieten Modul-, Ausbildungs-und Fortbildungsveranstaltungen des Studienseminars an, füh-ren Unterrichtsbesuche durch und wirken bei Prüfungen mit.Die Mentorinnen und Mentoren unterstützen die Lehrkräfteim Vorbereitungsdienst in unterrichtspraktischen Fragen. Wei-tere Einzelheiten dazu in Abschnitt Welche Aufgaben habendie Mentorinnen und Mentoren?

Wechsel des Studienseminars

Ein Wechsel des Studienseminars ist nach § 40 Abs. 1HLbGDV möglich. Die Entscheidung trifft die Ausbildungs-behörde auf begründeten schriftlichen Antrag.

Verkürzung des Vorbereitungsdienstes

Die pädagogische Ausbildung kann auf Antrag der Lehrkraftim Vorbereitungsdienst um höchstens neun Monate verkürztwerden, wenn ein Ausbildungsvorsprung nachgewiesen wird(§ 38 Abs. 4 Nr. 1 HLbG).Voraussetzungen für eine Verkürzung, die innerhalb der erstenzwölf Monate zu beantragen ist (§ 42 Abs. 4 HLbGDV), sindinsbesondere eine eigenverantwortete Unterrichtstätigkeit anSchulen vor Beginn der pädagogischen Ausbildung, Teile einerauf die Professionalität einer Lehrkraft ausgerichteten Tätigkeit,hervorragende Leistungen während der pädagogischen Aus-bildung (§ 42 Abs. 1 HLbGDV).

Verlängerung des Vorbereitungsdienstes

Auf Antrag der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst kann diepädagogische Ausbildung um höchstens zwölf Monate ver-längert werden, wenn eine Verzögerung der Ausbildung

oder ein Ausbildungsrückstand, die oder der nicht von derLehrkraft im Vorbereitungsdienst zu vertreten ist, nachge-wiesen wird (§ 38 Abs. 4 Nr. 2 HLbG).Aufgrund krankheitsbedingter Ausfallzeiten von mehr alsvier zusammenhängenden Wochen nach der Einführungs-phase kann die Ausbildung verlängert werden (§ 42 Abs. 5HLbGDV). Über die Anrechenbarkeit von Modulen ent-scheidet die Leiterin oder der Leiter des Studienseminars,über den Antrag die Ausbildungsbehörde auf der Grundlageeiner Stellungnahme der Leiterin oder des Leiters desStudienseminars (§ 42 Abs. 6 HLbGDV).

Vollversammlungen

Neben der Vollversammlung der Ausbilderinnen und Ausbil-der (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 HLbGDV) ist in § 5 Abs. 1 Nr. 2HLbGDV die Vollversammlung der Lehrkräfte im Vorberei-tungsdienst verankert. Ihr gehören alle Lehrkräfte im Vorberei-tungsdienst an, die in der pädagogischen Ausbildung sind(oder an einem Anpassungslehrgang teilnehmen). Die jeweili-gen Vollversammlungen– erörtern das Arbeitsprogramm und die Ausbildungsorgani-

sation des Studienseminars– beraten und beschließen Anträge an den Seminarrat,– erörtern über die Sicherung der Weiterentwicklung der

Qualität der Ausbildung und über deren Evaluation,– entscheiden über die Bildung von Ausschüssen,– wählen ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Seminarrat.Als Basisvertretung bietet die Vollversammlung die Möglich-keit des Informations- und Meinungsaustausches der Lehr-kräfte im Vorbereitungsdienst. Ihre Beschlüsse sind in dernächsten Sitzung des Seminarrats zu beraten. Die Amtszeitder Vorsitzenden oder des Vorsitzenden beträgt ein Jahr (§ 5Abs. 3 Satz 2 HLbGDV). Sie oder er beruft die Vollversamm-lung bei Bedarf, mindestens jedoch einmal im Schuljahr einoder auch auf Verlangen eines Drittels der Lehrkräfte im Vor-bereitungsdienst unter Angabe der Tagesordnung. Die Voll-versammlungen sind demnach Beratungs- und Beschlussgre-mien.

Seminarrat

Der Seminarrat, der in § 6 HLbGDV seine gesetzliche Grund-lage hat, setzt sich aus sechs Lehrkräften im Vorbereitungs-dienst, fünf Ausbilderinnen und Ausbildern und der Leiterinoder dem Leiter des Studienseminars zusammen. Die Vertrete-rinnen und Vertreter der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienstund der Ausbilderinnen und Ausbilder werden von den jewei-ligen Vollversammlungen gewählt.§ 6 Abs. 2 HLbGDV beschreibt die Aufgaben. Der Seminarratberät und beschließt1. über Empfehlungen zu allgemeinen Fragen der Ausbil-

dung (Planung, Durchführung, Evaluation der Moduleund Ausbildungsveranstaltungen), über das Arbeitspro-gramm und die Organisation der Ausbildung des Stu-dienseminars,

AUSBILDUNG

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2. spätestens alle zwei Jahre über die Vertretung der ständigenVertreterin oder des ständigen Vertreters der Leiterin oderdes Leiters des Studienseminars,

3. über Empfehlungen für die Verwendung der dem Studien-seminar zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für Lehr-und Lernmaterial und für Veranstaltungen.

Die Leiterin oder der Leiter des Studienseminars, zugleich Vor-sitzende oder Vorsitzender des Seminarrats, wird nicht gewähltund beruft mindestens zweimal im Schulhalbjahr Sitzungen ein.Allerdings muss sie oder er den Seminarrat einberufen, wenn einDrittel der Mitglieder – zum Beispiel vier Lehrkräfte im Vorberei-tungsdienst – dies unter Vorlage einer Tagesordnung beantragt(§ 6 Abs. 3 HLbGDV).Bei Stimmengleichheit entscheidet die oder der Vorsitzende(§ 6 Abs. 2 Satz 2 HLbGDV). Die Leiterin oder der Leiter desStudienseminars hat damit ein „doppeltes Stimmrecht“.

AUSBILDUNG

Teilzeitreferendariat möglichNach § 38 Abs. 5 des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) kann auf Antrag der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst die pä-dagogische Ausbildung unter Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung aus familiären Gründen nach § 63 Abs. 2 des Hessischen Be-amtengesetzes (HBG) erfolgen. Familiäre Gründe sind die tatsächliche Betreuung oder Pflege eines Kindes unter 18 Jahren odereiner oder eines pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen.LiV können somit bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen ihr Referendariat unter Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung ab-leisten. Dabei gelten folgende Maßgaben:– Teilzeitbeschäftigung ist nicht in der Einführungsphase und im Prüfungssemester, sondern nur in den beiden Hauptsemestern

möglich.– Der Beginn der Teilzeitbeschäftigung ist nur zu Beginn eines Hauptsemesters möglich.– Die Ausbildung in den beiden Fächern bzw. einem Fach und einer Fachrichtung erfolgt nacheinander. Der eigenverantwortete

Unterricht in beiden Fächern bzw. einem Fach und einer Fachrichtung muss durchgängig möglich sein.– Es sind zwei Modelle der Teilzeitbeschäftigung im Vorbereitungsdienst möglich:

• Halbregelung (50%): 4 Hauptsemester, 5–6 Stunden eigenverantworteter Unterricht in den Hauptsemestern, mindestens eineStunde Hospitation

• Zweidrittelregelung (66%): 3 Hauptsemester, 7–8 Stunden eigenverantworteter Unterricht in zwei Hauptsemestern, 6–8Stunden in einem Hauptsemester, mindestens eine Stunde Hospitation.

Der Antrag wird auf dem Dienstweg an die Hessische Lehrkräfteakademie gestellt. Die Seminarleiterin oder der Seminarleiter gibtnach einem Beratungsgespräch mit der LiV eine Stellungnahme zu dem Antrag ab.

ABl. AmtsblattGVBl. Gesetz- und VerordnungsblattHBeihVO Hessische BeihilfeverordnungHBG Hessisches BeamtengesetzHLbG Hessisches LehrerbildungsgesetzHLbGDV Verordnung zur Durchführung

des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes

Abkürzungen:ABl.HBGHLbGDVHSchGIGSLATV-H?

HPVG Hessisches PersonalvertretungsgesetzHSchG Hessisches SchulgesetzIGS Integrierte GesamtschuleKMK KultusministerkonferenzLA Hessische LehrkräfteakademieTV-H Tarifvertrag HessenVO Verordnung

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Pseudo-Modulein der pädagogischen Ausbildung

Mit dem Hessischen Lehrerbildungsgesetz (HLbG) wurde dieStruktur des bisherigen pädagogischen Vorbereitungsdienstesgrundlegend geändert. Die Voll-Modularisierung der Lehreraus-bildung wurde seit dem 1. Januar 2005 durch das HLbG ohnenennenswerte Diskussion, geschweige denn eine Erprobungs-phase gesetzlich festgelegt. Neben den allgemeinen Reform-bemühungen, Missstände und Probleme der Lehrerbildung zubeseitigen, lag der politische Anstoß in der Erklärung der euro-päischen Wissenschafts- und Forschungsminister von Bolognaim Jahre 1999, einen einheitlichen Europäischen Hochschul-raum bis 2010 zu entwickeln. Dieser äußere Rahmen be-einflusste den nach innen gerichteten Perspektivenwechsel bisin die Ausgestaltung des Schulwesens. Bildung wird spätestensseit dieser Zeit unter dem betriebswirtschaftlichen Aspekt derOutput-Orientierung („Verbetriebswirtschaftlichung“) betrach-tet. Europaweit kompatible Module sollten nicht nur den Stu-dentinnen und Studenten, sondern auch den hessischen Lehr-kräften im Vorbereitungsdienst (LiV) die Möglichkeit bieten, anvorgegebenen Standards orientierte Kompetenzen zu erwerben.Im hessischen Vorbereitungsdienst ist dieses Anliegen der Voll-Modularisierung gescheitert. Mit der Novellierung des HLbG(10. Juni 2011) wurde aus inhaltlichen, organisatorischen undarbeitsrechtlichen Gründen die Vollmodularisierung aufgeho-ben. Es gibt künftig (bewertete) Module, daneben wieder (nichtbewertete) Ausbildungsveranstaltungen. Gegenüber der vorma-ligen Kennzeichnung mit zehn Kriterien werden die künftigenModule nur noch durch drei Kriterien charakterisiert. Sie unter-scheiden sich dadurch prinzipiell nicht mehr von einem Lehr-plan oder Kerncurriculum. Da der Begriff Modul sich jedoch imAusbildungsalltag eingenistet hat, wurde seitens des Kultusmi-

nisteriums darauf verzichtet, den eigentlich korrekten Begriff„bewertete Ausbildungsveranstaltung“ statt Modul zu verwen-den. Die neuen Module aufgrund des geänderten Lehrerbil-dungsgesetzes können daher zu Recht als Pseudo-Module be-zeichnet werden.

Was kennzeichnet die neuen Pseudo-Module?Die neuen hessischen Module beschreiben die zu erwerbendenKompetenzen durch Zuordnung von Standards und definier-ten Inhalten. Alle Module enthalten – in der Regel – eine „all-gemeine“ Kompetenz, drei bis sieben Standards und drei bisacht grundlegende Inhalte. Mehr ist vom gesamten Modul-Hype nicht mehr übrig geblieben.

Welche Module gibt es?In § 44 HLbGDV werden konkrete Aussagen zu den Modu-len und zur Modulbewertung getroffen. In Abs. 2 werden dieacht Module genannt:– je zwei Module in den beiden Unterrichtsfächern oder

Fachrichtungen– Modul Erziehen, Beraten, Betreuen– Modul Diagnostizieren, Fördern, Beurteilen– zwei lehramtsspezifische Module

Die Anwesenheitszeit in jedem Modul beträgt 20 Zeitstunden(§ 44 Abs. 1 letzter Satz HLbGDV). In jedem der acht Modulefinden zwei Unterrichtsbesuche statt (§ 44 Abs. 6 HLbGDV).Unterrichtsbesuche werden auch „als gemeinsame Unter-richtsbesuche von Ausbilderinnen und Ausbildern für mehrereModule durchgeführt.

Die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst soll in der pädago-gischen Facharbeit nachweisen, dass sie fähig ist, die in

einem schulischen Sachverhalt enthaltene pädagogische Fra-gestellung zu analysieren und einen pädagogischen Lösungs-vorschlag zu erarbeiten (§ 40a Abs. 1 HLbG).Gruppenarbeiten sind möglich; sie bedürfen der Zustimmungder Leiterin oder des Leiters des Studienseminars (§ 46 Abs. 5HLbGDV).Der Umfang der inhaltlichen Ausführungen beträgt 20 bis 30Seiten, der Gesamtumfang mit Anhang ist auf höchstens 40Seiten begrenzt (§ 46 Abs. 4 HLbGDV).Hinter diesen Zahlenangaben steckt mehr, als zunächst vermutetwird. Es soll keine wissenschaftliche Arbeit produziert werden.Stattdessen soll sich die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst in ei-nem begrenzten Umfang mit einem schulischen Problem päda-gogisch auseinandersetzen und einen Lösungsvorschlag ent-wickeln. Beispiele: Unterricht als nach wie vor zentrales Thema,aber auch Schulgestaltung, Schulprogramm, Beraten und Betreu-en. Oder: Organisation, Durchführung und Evaluation von Se-minarsitzungen, Beratungsqualität in der Seminararbeit; Kon-

ferenzgestaltung in der Ausbildungsschule, Pausengestaltung,Schulraum- und Schulhofgestaltung, Klassenfahrten, Elternaben-de, SV-Arbeit und vieles mehr. Mit anderen Worten: Das HLbGlässt in einem beachtenswerten Maße zu, dass die pädagogischeFacharbeit dazu genutzt werden kann, einen Beitrag zur innerenSchul-, Unterrichts- und Lehrerausbildungsreform zu leisten.Die Beratung und Bewertung ist wie folgt geregelt. Auf Vor-schlag der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst bestimmt dieLeiterin oder der Leiter des Studienseminars eine Ausbilde-rin oder einen Ausbilder, die oder der sie bei der Wahl undEingrenzung des Themas und während der Anfertigung derpädagogischen Facharbeit betreut (§ 40a Abs. 2 HLbG). Be-urteilt und bewertet wird die Arbeit durch diese betreuendeAusbilderin oder diesen betreuenden Ausbilder (§ 40a Abs. 2HLbG und § 46 Abs. 6 HLbGDV). Wenn die pädagogischeFacharbeit aus Gründen, die die LiV zu vertreten hat, nichtabgegeben, so wird sie mit null Punkten bewertet (§ 46Abs. 3 HLbGDV). Die Frage der Zulassung bleibt davon un-berührt. Weitere Informationen in Abschnitt Beratungen,Beurteilungen und Prüfung.

Pädagogische Facharbeit: Kein Teil der Prüfung

AUSBILDUNG

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AUSBILDUNG

Was istAusbildungsunterricht?In Hessen wird der Ausbildungsunterricht (§ 43 Abs. 3HLbGDV) grundsätzlich in drei Kategorien unterteilt:1. Hospitationen2. Angeleiteter Unterricht3. Eigenverantworteter Unterricht

Ausbildungsunterricht

1. HospitationenDer Hospitationsunterricht (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2HLbGDV) wird in der Regel von einer ausgebildeten Lehr-kraft, meist von der Mentorin oder vom Mentor, von der Aus-bilderin oder vom Ausbilder (§ 4 Abs. 1 und 3 HLbGDV),zum Teil auch von einer anderen Lehrkraft im Vorbereitungs-dienst – in Kooperation – gehalten.Prinzipiell ist die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst nicht ander Planung des Unterrichts beteiligt. In ihren Hospitationenverfolgt sie aktiv den Unterricht aufgrund von Fragestellungenund Kriterien. Diese werden von ihr individuell oder gemein-sam mit der unterrichtenden Lehrkraft oder gemeinsam mitder Gruppe im Modul des Studienseminars entwickelt. DieBesprechung erfolgt in der Regel mit der unterrichtendenLehrkraft. Pädagogisch besonders fruchtbar sind Gruppen-hospitationen, die von der Modulgruppe der Lehrkräfte imVorbereitungsdienst gemeinsam geplant, beobachtet und aus-gewertet werden.

2. Angeleiteter UnterrichtDer angeleitete Unterricht (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HLbGDV)wird von der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst gehalten, wo-bei die Mentorin oder der Mentor – in Ausnahmefällen auchdie Ausbilderin oder der Ausbilder – den Unterricht gemein-sam mit ihr vorbereitet und reflektiert. Die pädagogische undrechtliche Verantwortung liegt bei der Mentorin oder beimMentor, die oder der in der Regel beim Unterricht anwesendist. Sie alle können den Unterricht auch gemeinsam planenund durchführen (Team-Teaching).Die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst hält einzelne Stunden,Lektionen, gegebenenfalls vollständige Unterrichtsreihen, kom-plette Themen(gebiete) einzelner Fächer sowohl stundenweiseals auch über einen längeren Zeitraum.

3. Eigenverantworteter UnterrichtDer eigenverantwortete Unterricht (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2und 3 und Satz 3 HLbGDV) wird von der Lehrkraft im Vor-bereitungsdienst in eigener Verantwortung geplant unddurchgeführt. Die besondere Bedeutung dieses Unterrichts be-steht darin, dass eigenständige Erfahrungen gesammelt wer-den. Die pädagogische und rechtliche Verantwortung – zumBeispiel Notengebung – trägt sie alleine.Eine besondere Form stellt der sogenannte doppeltbesetzteUnterricht (zum Beispiel mit Mentorin oder Mentor; § 43Abs. 3 Satz 3 und Abs. 5 HLbGDV) dar, bei dem gemeinsame

Planung und gemeinsame Durchführung (Team-Teaching)möglich sind. Weitere Hinweise dazu in Abschnitt Arbeits-platz Ausbildungsschule.

Bedarfsdeckender UnterrichtDer bedarfsdeckende Unterricht ist grundsätzlich kein Aus-bildungsunterricht. Er wird ausschließlich fiskalisch begründet.Es gibt keine inhaltlich-logische Verknüpfung.Tatsächlich wird jedoch aus fiskalischen Überlegungen ein Zu-sammenhang zwischen eigenverantwortetem und bedarfs-deckendem Unterricht in der Weise hergestellt, als der eigen-verantwortete Unterricht seit dem 1. August 2000 auf die„Unterrichtsabdeckung“ angerechnet wird. Der eigenverant-wortete Unterricht der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst wirdden einzelnen Schulen mit acht Wochenstunden je Schul-halbjahr auf die Lehrerzuweisung angerechnet, in den drei Se-mestern folglich mit 24 Wochenstunden. Als „Faustformel“gilt: Etwa drei Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst erteilenbedarfsdeckenden Unterricht im Umfang einer voll ausgebil-deten Lehrkraft während der 21-monatigen pädagogischenAusbildung. Sie sind damit unterbezahlte, billige Lehrkräfte.Die GEW Hessen vertritt seit jeher uneingeschränkt die Auf-fassung, dass der Einsatz zur Unterrichtsabdeckung nicht denAusbildungszielen entspricht und daher grundsätzlich nichtauf die Unterrichtsversorgung angerechnet werden darf.Im Falle des doppeltbesetzten Unterrichts steht nicht seltendie Mentorin oder der Mentor für Vertretungsstunden (teilwei-se) zur Verfügung und erhält dadurch in begrenztem Umfangeine Arbeitsentlastung. Zudem kann der eigenverantworteteUnterricht (im Umfang von zehn bis zwölf Wochenstunden)bis zu vier Unterrichtsstunden durch eine Mentorin oder einenMentor betreut werden (§ 43 Abs. 3 Satz 3 HLbGDV).Angeleiteter Unterricht und doppeltbesetzter Unterricht unter-scheiden sich dadurch, dass im ersten Fall die Mentorin oderder Mentor die Verantwortung (beispielsweise für Noten-gebung) trägt, im zweiten die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst.Falsch ist auf jeden Fall, von einer Identität von eigenverant-wortetem und bedarfsdeckendem Unterricht auszugehen.

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Verhältnis zum SchulpersonalratNach § 61 Hessisches Personalvertretungsgesetz (HPVG) ver-tritt der Schulpersonalrat „alle in der Dienststelle tätigen Per-sonen“. Da die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst durch eigen-verantworteten Unterricht an der Schule tätig ist, wird siegegenüber der Dienststellenleiterin oder dem Dienststellen-leiter (Schulleiterin oder Schulleiter) durch den Schulpersonal-rat vertreten. Die Vertretung ist auf Maßnahmen und Vorgängean der Ausbildungsschule (vgl. §§ 60, 62, 63, 81) begrenzt.

Schulleiterin oder SchulleiterDie in der Dienstordnung festgelegten Aufgaben und Rechte derSchulleiterin oder des Schulleiters werden auch gegenüber derLehrkraft im Vorbereitungsdienst entsprechend angewendet.Die HLbGDV räumt der Schulleitung (Leiterin oder Leiter derAusbildungsschule) eine besondere Stellung gegenüber derLehrkraft im Vorbereitungsdienst ein: Zuständigkeit für Bestim-mung der Mentorinnen und Mentoren (§ 4 Abs. 3 HLbGDV),für Unterrichtseinsatz in der Ausbildungsschule und für dop-peltbesetzten Unterricht (§ 43 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 und 5HLbGDV) und für das „Schulgutachten“ (§ 41 Abs. 4 HLbGund § 47 HLbGDV); Mitglied im Prüfungsausschuss (§ 44Abs. 2 Nr. 2 HLbG).

Teilnahme an KonferenzenDie Lehrkraft im Vorbereitungsdienst ist, sofern sie mindes-tens die Hälfte ihres eigenverantworteten Unterrichts an derSchule erteilt, zur Teilnahme an folgenden Konferenzen ver-pflichtet und hat damit auch Stimmrecht (§ 20 Konferenz-ordnung):

– Gesamtkonferenz (§ 34 Abs. 1 Nr. 3)– Klassenkonferenzen bei Klassen, in denen sie eigenverant-

wortlich unterrichtet (§ 37)– Semesterkonferenzen (§ 38)– Schulstufen- und Jahrgangskonferenzen (§ 39)– Schulform- und Schulzweigkonferenzen (§ 40)– Abteilungskonferenzen (§ 41)– Fach- und Fachbereichskonferenzen bei entsprechenden Fä-

chern (§ 42)

Die Konferenzbelastung kann vor allem aufgrund von Fach-konferenzen erheblich sein.Fallen Veranstaltungen des Studienseminars und der Ausbil-dungsschule zeitlich zusammen, entscheidet die Leiterin oderder Leiter des Studienseminars im Benehmen mit der Leitungder Ausbildungsschule nach Anhörung der Lehrkraft im Vor-bereitungsdienst über den Vorrang (§ 43 Abs. 8 Satz 1HLbGDV). In der Einführungsphase hingegen haben Semi-narveranstaltungen grundsätzlich Vorrang (§ 43 Abs. 8 letzterSatz HLbGDV).

DoppelbesetzungSofern nicht entsprechende Einsatzmöglichkeiten an der Aus-bildungsschule gegeben sind, kann der eigenverantworteteUnterricht der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst zusammenmit einer zusätzlichen Lehrkraft stattfinden („Doppelbeset-zung“). Für beide kann sich daraus eine faktische Arbeits-entlastung entwickeln. „Doppelbesetzung“ ist auch bei beson-ders schwierigen Unterrichtsbedingungen möglich (§ 43 Abs. 3Satz 3 und Abs. 4 und 5 HLbGDV).

UnterrichtsverpflichtungNach § 43 Abs. 3 HLbGDV hat die Lehrkraft imVorbereitungsdienst in den beiden Haupt-semestern zehn bis zwölf Wochenstunden undim Prüfungssemester bis zur Prüfung sechs bisacht Wochenstunden eigenverantworteten Un-terricht zu erteilen. Darüber hinaus gibt es nochHospitationsunterricht und angeleiteten Unter-richt (Mentorenunterricht). Der eigenverantwor-tete Unterricht kann bis zu vier Unterrichtsstun-den durch eine Mentorin oder einen Mentorbetreut werden. Was jeweils darunter und unterdem bedarfsdeckenden Unterricht zu verstehenist, kann in Abschnitt Was ist Ausbildungs-unterricht? nachgelesen werden.

Im Übrigen soll die Lehrkraft im Vorberei-tungsdienst nur in begründeten Ausnah-mefällen zu Vertretungsstunden herange-zogen werden, und zwar in der Regel nurin Lerngruppen und Fächern oder Fach-richtungen, in denen sie unterrichtet(§ 43 Abs. 6 HLbGDV).

ArbeitsplatzAusbildungsschule

AUSBILDUNG

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PRÜFUNGEN

Zur pädagogischen Ausbildung gehören für jedes Unterrichts-fach, jede Fachrichtung und die allgemeinen Kompetenzbereichezwei in die Module integrierte Unterrichtsbesuche (§ 44 Abs. 1Satz 4 und Abs. 6 Satz 1 und 2 HLbGDV). Diese sind prinzipielldie wesentliche Grundlage für die Bewertung der praktischenUnterrichtstätigkeit. Vorrangiger Zweck des Unterrichtsbesuchsist eigentlich die Beratung. Da aber der Unterrichtsbesuch zu-gleich eine entscheidende Grundlage für die Modulbewertungist, fließen direkt und indirekt Elemente der Beurteilung in dieUnterrichtsberatungen ein. Das unaufhebbare Spannungsverhält-nis zwischen Beratung und Beurteilung bleibt bestehen. Dieskann auch nicht geleugnet werden. Kriterien bilden die in den je-weiligen Modulen beschriebenen Kompetenzen und Standards.

Wodurch unterscheiden sich Prüfungs-lehrproben von Unterrichtsbesuchen?Bei Prüfungslehrproben hat die Beratungsfunktion keine Bedeu-tung. Die beiden Prüfungslehrproben sind Bestandteile der unter-

Unterrichtsbesuche undPrüfungslehrproben

richtspraktischen Prüfung. Diese wiederum ist mit der mündli-chen Prüfung Teil der Zweiten Staatsprüfung beziehungsweise derPrüfung zum Erwerb der Lehrbefähigung in arbeitstechnischenFächern (§§ 44 und 47 HLbG und §§ 49 und 50 HLbGDV).Folgende Sachverhalte sind abschließend geregelt:• Der Termin für den Tag der Prüfungslehrproben ist spätes-

tens vier Wochen vorher bekannt zu geben (§ 49 Abs. 3letzter Satz HLbGDV).

• Die unterrichtspraktische Prüfung findet in bekanntenLerngruppen statt (§ 50 Abs. 1 HLbGDV).

• Dem Studienseminar, der Ausbildungsschule und den Mit-gliedern des Prüfungsausschusses ist jeweils eine Ausferti-gung jedes Unterrichtsentwurfs in geeigneter Form recht-zeitig zuzuleiten. (§ 50 Abs. 9 letzter Satz HLbGDV).

Vorgeschrieben sind jeweils zwei Unterrichtsbesuche mit Un-terrichtsberatungen innerhalb der acht Module, insgesamt 16,durch die hierfür zuständigen Ausbilderinnen und Ausbilder.Unterrichtsbesuche werden auch als gemeinsame Unterrichts-besuche von Ausbilderinnenn und Ausbildern für mehrere Modu-le durchgeführt (§ 44 Abs. 6 Satz 2 HLbGDV). Weitere Unter-

richtsbesuche sind möglich. Diese müssen jedoch vom Seminarratbeschlossen werden (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 HLbGDV). Zur Seitenzahlder Entwürfe für die Unterrichtsbesuche gibt es keine verbindli-chen Vorschriften in der HLbGDV. Die Regelungsbefugnis obliegtauch hier dem Seminarrat (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 HLbGDV).• Die Prüfungslehrproben können in zwei getrennten Ein-

heiten à 45 Minuten (§ 47 Abs. 1 HLbG) oder fächer-verbindend in einer Doppelstunde (§ 50 Abs. 3 Nr. 2HLbGDV) oder im Rahmen eines gestalteten Vormittagsoder eines Projekts im Umfang von mindestens zwei,höchstens zweieinhalb Zeitstunden (§ 50 Abs. 3 Nr. 1HLbGDV) durchgeführt werden.

• Bei getrennten Unterrichtseinheiten soll der Umfang achtSeiten je Entwurf nicht überschreiten (§ 50 Abs. 9 Satz 2HLbGDV).

• Nach Abschluss der Prüfungslehrproben erörtert die Prü-fungskandidatin oder der Prüfungskandidat in der Regel 45Minuten über Anlage, Verlauf und Ergebnis (§ 50 Abs. 10

HLbGDV). Eine Reflexion dürfte aufgrund der Zeitvor-gaben nicht möglich sein.

• Die unterrichtspraktische Prüfung wird aufgrund von Pla-nung, Durchführung und Erörterung des Unterrichts be-wertet (§ 50 Abs. 11 HLbGDV).

ModulprüfungAuch eine Art Prüfungslehrprobe stellt die Modulprüfung nach§ 41 Abs. 6 HLbG und § 44 Abs. 8-10 dar. Wenn ein Modul un-ter 5 Punkten bewertet wird, muss die LiV eine Modulprüfungmachen, d.h. eine Lehrprobe durchführen, die von zwei Aus-bildungskräften bewertet wird. Der Ausgleich der Minderleis-tung im Modul ist dann erfolgt, wenn die Summe der Bewer-tungen von Modul und Modulprüfung mindestens 10 Punktebeträgt. Ist das nicht der Fall, wird die LiV aus dem Vorberei-tungsdienst entlassen. Höchstens zwei Modulnoten könnendurch eine Modulprüfung ausgeglichen werden.Die GEW lehnt diese Modulprüfung als unvertretbare Härteund als grundgesetzwidrig ab, weil sie darin einen Verstoß ge-gen die in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte freie Berufswahl sieht.

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• Wird eine der Prüfungslehrproben mit weniger als fünfPunkten bewertet, so ist die unterrichtspraktische Prüfungnur bestanden, wenn die Summe der einfachen Bewertungender Prüfungslehrproben zehn Punkte beträgt. Wird einePrüfungslehrprobe mit null Punkten bewertet, ist die Prüfunginsgesamt nicht bestanden. In diesem Falle entfällt diemündliche Prüfung (§ 50 Abs. 5 Nr. 1 und 2 HLbG).

• Die beiden Prüfungslehrproben werden mit Punkten nach§ 24 Abs. 1 HLbG bewertet und nach § 50 Abs. 3 HLbGdreifach gewichtet. Der Anteil jeder Prüfungslehrprobe ander Gesamtnote beträgt 15 %, somit 30 % für die unterrichts-praktische Prüfung (§ 50 Abs. 2 HLbG).

Mündliche Prüfung

Der § 48 HLbG enthält die grundlegenden Bestimmun-gen, die konkreten Regelungen finden sich in derHLbGDV.• Die Aufgabe für die mündliche Prüfung, für die eine Vor-

bereitungszeit von 30 Minuten unter Aufsicht gewährtwird, ist der Lehrkraft im Vorbereitungsdienst vomPrüfungsausschuss schriftlich vorzulegen (§ 51 Abs. 2HLbGDV).

• In der mündlichen Prüfung muss die Lehrkraft im Vor-bereitungsdienst zunächst einen Vortrag von höchstens15 Minuten Dauer halten; daran schließt sich ein weiter-führendes Gespräch an (§ 51 Abs. 3 HLbGDV).

• Die mündliche Prüfung soll für Referendarinnen undReferendare in der Regel 60 Minuten, für Fachlehreran-wärterinnen und -anwärter in der Regel 45 Minutendauern, weil diese nur einen fachdidaktischen Arbeits-schwerpunkt haben (§ 51 Abs. 1 HLbGDV).

• Die mündliche Prüfung wird mit Punkten nach § 24 Abs. 1HLbG bewertet und nach § 50 Abs. 3 HLbG doppelt ge-wichtet. Der Anteil der mündlichen Prüfung an der Ge-samtnote beträgt zehn Prozent (§ 50 Abs. 2 HLbG).

Gesamtbewertung

Das Gesamtergebnis wird kumulativ ermittelt. Die jeweiligenEinzelleistungen werden gemäß § 24 Abs. 1 HLbG nachPunkten (0–15) bewertet. Die Summe der gewichteten Punkteaufgrund der Einzelbewertungen ergibt die Gesamtpunktzahl(§ 50 Abs. 3 HLbG). Der Prüfungsausschuss stellt auf derGrundlage einer Tabelle (Anlage zum HLbG) danach die Ge-samtnote fest (§ 50 Abs. 7 HLbG).• Die Einzelleistungen werden nach § 50 Abs. 2 und 3 HLbG

wie folgt gewichtet:– Acht Modulbewertungen

(jeweils einfache Gewichtung) 40 %– Pädagogische Facharbeit

(zweifache Gewichtung) 10 %

Beratungen, Beurteilungen,Beratungen

Die Beratungen (und Betreuungen) der Lehrkraft im Vorberei-tungsdienst werden an mehreren Stellen im HLbG und in derHLbGDV geregelt, und zwar in § 40a Abs. 2 HLbG, in § 43Abs. 7 und in § 46 Abs. 1 HLbGDV.Die HLbGDV nennt lediglich in § 45 Abs. 2 Nr. 2 die Aus-bildungsveranstaltung „Beratung und Reflexion der Berufs-rolle“, in der allgemein beraten wird.

Beurteilung und Bewertung desAusbildungsstandes – Zulassung zur Prüfung

Der bewertete Ausbildungsstand der Lehrkraft im Vorberei-tungsdienst ergibt sich auf der Grundlage der acht einfach be-werteten Module, des doppelt bewerteten Gutachtens derSchulleiterin oder des Schulleiters und der doppelten Bewer-tung der pädagogischen Facharbeit (§ 42 Abs. 2 HLbG). Hin-weise zur pädagogischen Facharbeit in Abschnitt Pädagogi-sche Facharbeit: Kein Teil der Prüfung.Die Beurteilungen und Bewertungen erfolgen nach Abschlussdes Moduls durch die jeweils zuständigen Ausbilderinnenund Ausbilder. Sofern diese für mehrere Module zuständigsind, wird die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst folglich mehr-fach von einer Ausbilderin oder einem Ausbilder beurteilt,wenn sie an mehreren Modulen von ihr oder ihm teilnimmt.Der Ausbildungsstand der Lehrkraft im Vorbereitungsdienstfließt mit 60 Prozent in die Gesamtnote ein (§ 50 Abs. 2HLbG).Da insgesamt acht Module bewertet werden, entfällt auf jedesModul ein Anteil von fünf Prozent auf die Gesamtnote (40 %).Die Bewertung jedes Moduls erfolgt mit einfacher Gewich-tung in Punkten (0–15 Punkte) nach § 24 Abs. 1 HLbG.Die LiV legt bei der Meldung zur Prüfung zum 1. April oder1. Oktober folgende Unterlagen vor (§ 48 Abs. 2 HLbGDV):1. Portfolio nach § 41 Abs. 5 HLbG,2. pädagogische Facharbeit nach § 46 HLbGDV,3. Nachweis über Befähigung Leisten Erster Hilfe und4. Erklärung über Teilnahme von Gästen an Prüfung.

Unterrichtspraktische Prüfung:Prüfungslehrproben

Wesentliche Verfahrensfragen sind im Abschnitt Unterrichts-besuche und Prüfungslehrproben – Beratung, Bewer-tung, Theater? dargelegt. Grundlage bildet § 47 HLbG. Kon-kret bedeutsam sind die Regelungen in der HLbGDV:• Die Prüfungslehrproben erstrecken sich auf Unterrichtsfächer

und Fachrichtungen, in denen die pädagogische Ausbildungerfolgte, und zwar in einer der Lehrkraft bekannten Lern-gruppe (§ 50 Abs. 1 HLbGDV).

PRÜFUNGEN

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– Gutachten der Schulleiterin oder des Schulleiters(zweifache Gewichtung) 10 %

– Unterrichtspraktische Prüfung(dreifache Gewichtung) 30 %

– Mündliche Prüfung(zweifache Gewichtung) 10 %

• Die Prüfung ist nach § 50 Abs. 5 HLbG nicht bestanden,wenn– eine Prüfungslehrprobe oder die mündliche Prüfung mit

null Punkten bewertet wurde oder– die Summe der einfachen Bewertungen der Lehrproben

weniger als zehn Punkte beträgtoder

– die Gesamtpunktzahl weniger als 100 Punkte beträgt.

Prüfungsausschuss

Die Ausbildungsbehörde bestellt nach § 44 Abs. 2 HLbG denPrüfungsausschuss. Er setzt sich prinzipiell aus folgenden vierMitgliedern zusammen:

– ein Mitglied als ständige Prüferin oder ständiger Prüfer(Mitarbeiterin oder Mitarbeiter der Ausbildungsbehördeund der Studienseminare sowie Ausbildungsbeauftragtenach § 18 Abs. 4 HLbG oder nebenamtliche Prüferinnenund Prüfer nach § 18 Abs. 5 HLbG),

– ein Mitglied der Schulleitung der Ausbildungsschule,– zwei Ausbilderinnen oder Ausbilder.

Der Prüfungsausschuss muss so zusammengesetzt sein, dassdurch die Qualifikationen der Mitglieder die Unterrichtsfächerund Fachrichtungen und das entsprechende Lehramt derLehrkraft im Vorbereitungsdienst vertreten sind (§ 44 Abs. 3Satz 1 HLbG).Mindestens zwei Mitglieder sollen nicht bewertend an derAusbildung beteiligt gewesen sein (§ 44 Abs. 5 Satz 2 HLbG).• Die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst kann eine Lehrkraft

ihres Vertrauens benennen, die an der Prüfung und an denBeratungen des Prüfungsausschusses mit beratender Stim-me – ohne Stimmrecht – teilnimmt (§ 44 Abs. 5 HLbG).

• In Absprache mit der Ausbildungsbehörde organisiert dasStudienseminar die Prüfung (§ 49 Abs. 2 Satz 2 HLbGDV).

• Der Prüfungsausschuss ist beschlussfähig, wenn die oder derVorsitzende und mindestens zwei weitere Mitglieder anwesendsind (§ 44 Abs. 4 HLbG).

• Der Prüfungsausschuss entscheidet mit einfacher Mehrheit.Wird keine Mehrheit erreicht, entscheidet die oder der Vor-sitzende (§ 8 Abs. 1 Satz 3 und 4 HLbGDV).

• Die Vorsitzende oder der Vorsitzende ist für den geordnetenAblauf der Prüfung verantwortlich und muss Beschlüssendes Prüfungsausschusses widersprechen, die gegen gelten-de Rechtsvorschriften oder Bewertungsgrundsätze versto-ßen (§ 8 Abs. 4 HLbGDV). Ein inhaltliches Eingriffsrechtist nicht gegeben.

• Mit Zustimmung der Lehrkraft im Vorbereitungsdienstkönnen Gäste an den Prüfungslehrproben, an deren Erör-terungen und an der mündlichen Prüfung teilnehmen (§ 48Abs. 2 Nr. 4 HLbGDV). Die Entscheidung über die Teil-nahme trifft die Vorsitzende oder der Vorsitzende (§ 9Abs. 2 HLbGDV).

Rücktritt, Ausschluss, Wiederholungs-prüfung und Beendigung

Die teilweise komplizierten und aufgrund des Einzelfallesinterpretationsbedürftigen Regelungen, die einer eingehendenRechtsberatung bedürfen, sind den §§ 51, 52 Abs. 4 und 53HLbG und den §§ 11 bis 13 HLbGDV zu entnehmen.

Bewertungen und Prüfung

PRÜFUNGEN

Ansprechpartner/innenfür Ausbildungsfragen

Tobias Cepok, Referent für Hochschule und Jugend-bildung der GEW [email protected], Tel.: 069–97129326

Referat Aus- und Fortbildung (AuF) der GEW Hessen:Dr. Franziska [email protected], Tel. 06131-72265

Andrea [email protected];. Tel. 06422/899761

Heike Lü[email protected], Tel. 0561-63977