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Bertolt Brecht, Notizbücher Einführung in die Edition (NBA)

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Bertolt Brecht, Notizbücher Einführung in die Edition (NBA)

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Inhaltsverzeichnis

Brecht 7 PoetologieundArbeitsweise 9 WerkundMaterial 14

ArchivundEdition 21 Grundsätze 35

DieNotizbücher 37 Bestand 41

Übersicht 44 Beispiele 47

Autorschaft 47 Einheiten 51 Zusammenhänge 55 Graphisches 61 Schrift 65Vorarbeiten 71 Benennung 71 Signierung 72 Restaurierung 74 Digitalisierung 75

DieAusgabe 79Text 82 Reproduktion 82 Signatur,Paginierung,Zeilenzählung 83 Transkription 83 Marginalien 89 Fußnoten 89Kommentar 91 ZurEdition,DiakritischeZeichen 91 Beschreibung,Lagenschema,Seitenbelegung 92 Erläuterungen 92 Zeittafel 95 Literaturverzeichnis 96 Register 96DieelektronischeEdition 98

SiglenundAbkürzungen 101 SchriftenundZeichen 102 Editionsplan 103

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Brecht

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1 AmEndedesGedichtsVerwischdieSpu­renvon1927,BBA353/35;Erstveröffent­lichunginVersuche,Heft2(Dezember1930),116;vgl.BFA11,157.−ZuSiglenundAbkürzungens.unten,101.

2 ArminKesser,TagebuchaufzeichnungenüberBrecht1930­1963,in:SinnundForm

6(2004),745(Eintragungvom19.April1933).

3 DievierVorschlägefürGrabschrift\immer­fortkorrigiert.in:NB27,41r;vgl.BFA14,40.−ZurZählungderNotizbüchers.unten,44f.

4 BBA16/63;vgl.BFA14,198.

PoetologieundArbeitsweise

…vielesversuchendäußerteerviel:haltetihndochnichtbeidemwasersagtebaldänderters . . . .

(NB24,27r)

BrechtarbeitetseinLebenlangaufdenTodhin.Mit29Jahren,inderHälftedesLebensschreibter:1

sorgwennduzusterbengedenkstdasskeingrabsteinstehtundverrätwoduliegstmiteiner[schr]deutlichenschriftdiedichanzeigtunddemjahrdeinestodsdasdichüberführtverwischdiespuren

»Manmuß„sich“weghaben«,2sogaraufdemimmerfortkorrigiertenGrab­stein:3

schreibtnichtsaufdensteinaußerdennamen.

ichvergaß:dennamenkönntihrweglassen.

Dochsooderso,soundso:Brechtwillnichteinfachverschwindenundver­gessenwerden.Metonym(›Brecht‹:PersonundWerk)oderanonym:einGrab­malsollerrichtetwerden,zeigen,erinnernundwirken.Brechtverwischtnichtnur, er hinterläßt auch überall Spuren und legt bewußt ständig neue. SeinganzesWerkisteinGrabspruch,andemer,lebenslangkorrigierend,arbeitet.ErlehrtzugleichEinverständnismitdemSterbenund»toddemtod«.4

DaskommtalsStilundCharakterüberallzumAusdruck.BrechtsProduk­tionzeigtsichimmerjanusköpfig,widersprüchlich,kontradiktorisch,gespal­ten.ZurallgemeinenBezeichnungdieserStrukturwirdimfolgendenderBe­griffbevorzugt,denBrechtselbstfavorisierte:Dialektik.Eskanndabeinicht

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5 BertoltBrechtsDieErnte.DieAugsburgerSchülerzeitschriftundihrwichtigsterAutor.Gesamtausgabe,hg.undkommen­tiertvonJürgenHillesheimundUtaWolf(Augsburg1997).

6 BBA462/134(Grundschicht,hs.Überarbei­tungnichtwiedergegeben);erschienenin

Versuche,Heft5(Dezember1932),456unterdemTitelHerrKeunerunddieOriginalität;vgl.BFA3,18.

7 SoimTyposkriptMaterialwert(BBA331/134;vgl.BFA21,285f.).

8 NB29,27r.11­16,unterdemTitelPlagiate;vgl.BFA21,404.

9 NB25,47r.13­48r.8;vgl.BFA21,318.Vgl.auchNB25,30r.7­14unddazu:PeterVill­wock,ErdmutWizisla,BrechtsNotizbü­

cher,in:Text10(2005),115­144,hier128f.10 TyposkriptBBA521/96imMaterialzu

Ausnichtswirdnichts,um1930;vgl.BFA21,396.

11 LionFeuchtwanger,BertoltBrecht.Darge­stelltfürEngländer,in:DieWeltbühne,4.September1928.

12 NB27,4r­6r;vgl.BFA14,34f.

darumgehen,diesesMusterexaktzubeschreibenoderzubewerten,etwaalsAmbiguität, Paradoxie, ›Polarität und Steigerung‹ (Goethe), Stereoskopie,Durch­Einander(Wechselwirkung)oderschlichtesDurcheinander. ImHin­blick auf die vorliegende Notizbuch­Edition sollen im folgenden vielmehreinigeBeispielefürBrechtsdialektischePoetologiegegebenwerden.

ZunächstdieAutorschaft.Brechtwarniedergenialeschöpferischeeinsameauctor,dendieklassisch­romantischeÄsthetikidealisierte.Schonseinefrühe­stenTexteentstandennichtnurfürden,sondernimFreundeskreis.SeinerstesPublikationsforumDieErntewareingemeinsammitFritzGehweyergeführtesUnternehmen,beidemBrechtnichtnurseinenAutornamenpluralisierte(esfindensich»E.B.«,»E.Brecht«,»EugenBrecht«,»BertoldEugen«und»Ber­toldBrecht«),sondernalsghostwriterauchunteranderenNamenschrieb(fürWilhelmKölbig,JosephSchipfelundGeorgPfanzelt).5DaßvondaanbeiallenunterdemNamenBrechtbekanntenWerkenMitarbeiterbeteiligtwaren,istzurGenügebekannt,ebensoseineBeteiligunganWerkenanderer.AlsAutorwarBrecht immerauchOrganisator,Regisseur,Koordinator,Schaltzentrale,SpinneimNetz.

Begriff,StatusundFunktionvonAutorschaftwerdenbeiBrechtabernichtnursynchron:imProzeßderProduktiondurchkollektiveArbeit,sondernauchdiachron:imProzeßderLiteraturalsZitierzusammenhanggeöffnet.InBrechtsNetz sammelten sich vielerlei Stoffe. Dem juristisch (Copyright), ästhetisch(Genie­Paradigma)undmoralisch(›Dusollstnichtstehlen!‹)gefordertenundzur Selbstverständlichkeit gewordenen Axiom eindeutiger ZuschreibbarkeitjederÄußerung (geistigesEigentum)stellte erdieTheorieeineskollektivenTraditionsstromesentgegen,derdeneinzelnenhebtundträgt:6

Ueber den Nutzen der Nachahmung

Heute gibt es Unzähli[l]ge, die sich öffentlich rühmen, ganz alleine

ganze Bücher verfassen zu können und dies wird allgemein gebilligt.

[T]Dschuang Dsi verfasste noch im Mannes Al Mannesalter ein Buch von

hunderttausend Wörtern, das zu 9/10 aus Zitaten bestand. Solche Bücher

können bei uns nicht mehr geschrieben werden,da der Geist [s]fehlt. Infolge-

dessen werden Gedanken hergestellt wie Semmeln, indem sich der faul vor-

kommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es dann auch

keinen Gedanken, der zitiert werden könnte und auch keine Formulierung

eines Gedankens. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit!

Ein Federhalter und Papier ist das Einzige,was sie vorzeigen können! Und

ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einze[a]lner auf

seinen Armen herbeischaffen kann, erreichten sie ihre Hütten! Grössere

Gebäude kennen sie nicht, als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist!

Bearbeitungstattcreatioexnihilo,AneignungstattEigentum:die»unbedenk­liche praktische anwendung eines neuen collektivistischen besitzbegriffs«.7DiesistnichtRaub,sondernRettung:8

literarische1) dieexpropriierunginformvonplagiatenwirdzeiten

eigentümlichsein,dieetwasneuesanfangenundübernehmern,

demaltengegenüberdiestellungvonrettern,übervon

arbeitern,jaretterneinnehmen.

Das Zitieren oder Plagiieren kann natürlich nicht beim einzelnen Plagiatorenden.Ermußselbstzitierbar:kollektivierbarsein:9

esistalsodaswichtigstestilmerkmaldiezitierbarkeit.„plagiate“ausfindig|zumachenbedeutethierkunstesistge[m]sellschaftlichwertvolle„arbeit“.der„urheber“istbelanglos,ersetztsichdurchindemerverschwindet.weres[¿]erreichtdaßerum­gearbeitet[und],alsoimpersönlichenentferntwird,derhält„sich“.

AuchdiesgiltwiederumnichtnurdiachronalsEingehenindieanonymeTra­ditionderNatur­oderVolkspoesie, sondernauchsynchronalsUnterlaufender strikten Frontstellung von Autor und Publikum. ›Die anderen‹ sind beiBrechtnienurÖffentlichkeit,AdressatoderGegenüber,siesindimmerschonauchMitproduzenten. ImUmkreisderLehrstücke versuchter zeitweiligge­radezu, die Position des Zuschauers gänzlich abzuschaffen und in der desSchauspielersaufzuheben:10

die[g]Grosse[p]Pädagogikverändertdierolledesspielensvollständigsiehebtdassystemspielerundzuschaueraufesgibtsiekenntnurmehrspielerdiezugleichstudie­rendesind.

Schließlich das Werk. Wie Brecht stofflich die Grenze zwischen Eigentumund Aneignung, Schöpfung und Abschöpfung überspielt und unterläuft, soauchformaldiezwischen›fertig‹und›unfertig‹.Er ist»mehranderArbeitalsandemvollendetenWerk«interessiert,undesliegt»ihmdurchausnichtsdaran,daßeinWerkfertigist,immerwieder,auchwennsiezehnmalgedrucktist,erweistsichdieletzteFassungalsdievorletzte,eristdieVerzweiflungderVerlegerundTheaterdirektoren.«11DieTheorieseinerPapierwerkproduktionformulierterum1930ineinemnachgelassenenGedicht(vondemalsonichtzusagenist,obesfertigistodernicht):12

Brecht PoetologieundArbeitsweise

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13 NB18,63r.1­2.14 Vgl.NB25,60r.15 BertoltBrecht,TagebuchNo.10/1913,hg.

vonSiegfriedUnseld,TranskriptionderHandschriftundAnmerkungenvonGünterBergundWolfgangJeske(Frank­furt/Main1989),67;vgl.BFA26,69.

16 Anmerkungzu›DasBadenerLehrstückvomEinverständnis‹,in:Versuche,Heft2(Dezember1930),147f.;vgl.BFA24,90f.

17 BBA112/42;vgl.BFA10,515(esistBrechtsEigenheit,»vor«statt»bevor«zuschreiben).

überdiebauartlangdauernderwerke

wielangedauerndiewerke?solangealsbissiefertigsind.solangesienämlichmühemachenverfallensienicht

einladendzurmühebelohnenddiebeteiligungistihrwesenvondauersolangesieeinladenundbelohnen

diewertvollenverlangenmenschendiekunstvollenhabenplatzfürkunstdiezurvollständigkeitbestimmtenweisenlückenaufdieschönenverheißenschönheitdieweisenstellenweisheitinaussichtfürweisheitdielangdauerndensindständigameinfallendiewirklichgroßgeplantensindunfertig

unvollkommennochwiediemauerdiedenefeuerwartet(diewareinstunfertigvoraltersvorderefeukamkahl!)unhaltbarnochwiediemaschinediegebrauchtwirdabernichtausreichtabereinebessereversprichtsogebautmußseindaswerkfürdiedauerwiediemaschinevolldermängel.

DasWerk:eineZumutung,einMängelwesen,einUn­Werk–undnuralssol­chesdauerhaftundlebendig.»ewigimmeristnurdasvorläufige. . . .«.13

Aber bei Brecht gilt immer auch das Gegenteil. Als Autor legte er seineRechteinVerlagsverträgenstetssorgfältigfestundsorgtedafür,daßdieWerkealsseinepubliziertwurden.ErwarKollektivist,aberimmerauchsichselbstvermarktender Verwertertyp14. Schon zu Beginn seiner Autorschaft war dieHonorarfragedaserste,wasihnbeiderErntebeschäftigte:15

DannbeiGehweyer.WirbespracheneineZeitung:„DerTag“.Erverlangte1MfürsSchreiben.IchsolltedanndieZeitungredegieren,konzeptieren,hektographierenu.verbreiten.U.dafürGewinn−25Pfennig!Erhältmichscheint’sfürdumm.

Selbst in den am weitesten getriebenen Lehrstück­GedankenexperimentensolltedasPublikumzwarjederzeitMitakteur,nieaberwirklichMitautorsein.Als Paul Hindemith »alle Anwesenden an der Ausführung« des Lehrstücksbeteiligenwollte,ihnendabeiüberließ,diejeweils»fürihrenZweckpassendeFormzufinden«,undvorschlug,imWerk»mehrVorschlagalsVorschrift«zusehen, legte Brecht zusammen mit der endgültigen Textfassung alsBadenerLehrstückvomEinverständnisöffentlicheinmassivesVetogegendie›Ausliefe­rung‹desTextesandieAusführendenein:16

AndiesemMißverständnisistwohlhauptsächlichmeineeigeneBereitwilligkeit,einenunabgeschlossenenundmißverständlichenTextteil,wieesdieinBaden­Badenauf­geführteFassungdesLehrstückswar,zureinexperimentalenZweckenauszuliefern,schuld[…].AberdieBaden­BadenerAufführungwarnatürlichlediglichzurSelbstver­ständigungundeinmaliggedacht.

ImFatzer­Materialausder selbenZeitwerden ›Kommentar‹, ›Spruch‹oder›Lehre‹sogarteilweisezuheiligenTexten,andenenkeinJotageändertwerdendarf. Wie Exerzitien sind sie zu wiederholen, schwierige Stellen sollen dieSchüler,»vorsiesiebegreifen,auswendiglernen«.17

BrechtsuchtegrundsätzlicheherdiefruchtbareSpannungalsdennochsogoldenenMittelweg.Der›Autor‹isteinerundviele(MitarbeiterundVorgänger,dasKollektiv›Brecht‹);das›Werk‹istOriginalundBearbeitung(Zitat,Plagiat),abgeschlossenundoffen(vorläufig,zitierbar);das ›Publikum‹ istgegenüberundmittendrin(Mitproduzent).ZuletztundzuerstäußertsichBrechtsdia­lektischerMaterialismusaberkonkretimMaterialen:alsGegeneinanderundZugleichvon›privat‹und›veröffentlicht‹,ArbeitsmaterialundProdukt.

PoetologieundArbeitsweiseBrecht

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18 NB1;diesesNotizbuchmeintHansOtto Münsterermitder»erstenSammlung

BrechtscherGedichteunterdemTitelKlampfenbibel«vomJanuar1919(Er­innerungenanBrechtimJahr1919inAugs­burg,in:HubertWitt[Hrsg.],Erinnerun­genanBrecht[Leipzig1964],13f.).

19 SobeschreibtPeterSuhrkampBrechtsWünscheandieAusgabe;vgl.Siegfried

Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg.DerganzeBrecht:

ZurEditionseinerWerke,in:DieWelt,25.Juni1964.

20 ElisabethHauptmannanPeterSuhr­kamp,9.Januar1951;zitiertnachSieg­friedUnseld,DerAutorundseinVerleger(Frankfurt/Main1978),128.

21 BrechtanPeterSuhrkamp,EndeNovem­ber1953,BBAZ2/204;vgl.BFA30,221.

22 BBA802/51­52;vgl.BFA26,146.

23 NB25,51r­52r;vgl.BFA26,291.S.auchunten,54,Beispiel22undPeterVillwock,BrechtsNotizbücher,in:SinnundForm3(2008),411­418.

WerkundMaterial

Goethe:[…]SeineAbfällesammelteermitEhrfurcht.

(NB4,31v)

Früh schon dachte Brecht an die Herausgabe seiner Arbeiten in Buchform.SeinersteserhaltenesNotizbuchausdemJahr1918/19istwieeinBuchodereineDruckvorlagefüreinLiederbuchgestaltet:LiederzurKlampfevonBertBrechtundseinenFreunden.18SeinendramatischenErstlingBaalversuchteer1919­21 in den Verlagen Musarion, Drei Masken, Die Wende, Georg MüllerundErichReißunterzubringen,bevorerdann1922beiKiepenheuerpubliziertwerdenkonnte.ZeitlebensstrebteerdieVereinigungseinesWerksineinemklassischenVerlagan.Inden1920erJahrensuchteerdiesinmehrerenGene­ralverträgenzusichern−imDezember1921mitErichReiß, imJanuar1922mitGustavKiepenheuer, imJuni 1925mitdemUllstein­Verlagund imMai1929mitFelixBlochErben−,nachdemExildannohnederartigemitregelmä­ßigenZahlungenverbundeneVerträgebeiSuhrkampundAufbau.

ImmerhatteBrechtesmitdenerstenAdressenzutun:großen,etabliertenVerlagenmit entsprechenderReichweite,PublikumundGewähr für langenBestand. 1930 begann er in der Versuche­Reihe bei Kiepenheuer eine ersteGesamtausgabe(abgebrochenAnfang1933durchdaserzwungeneExil),1938erschienen die ersten beiden Bände seiner Gesammelten Werke im PragerMalik­Verlag(abgebrochendurchdenEinmarschderNazisinderTschecho­slowakei).NachderRückkehrausdemExilwurdeab1949dieVersuche­Reihewiederaufgelegt und fortgesetzt, 1953 dann, »alten englischen Klassikeraus­gabenfolgend«,19dieAusgabederStückebegonnen,dienachBrechtsWillenspäterzueinerGesamtausgabeausgebautwurde.»BrechtsiehtnunjetztzweiAusgaben:eineArtWerkausgabe(dieVersuche)unddanndieGesammeltenWerkedesKlassikers«20,parallelundjeweilsgleichzeitiginWestundOst,beiSuhrkampundAufbau:eineinheitlichesundzugleich›quadrophones‹Œuvre.

DerTendenzaufSammlungstehtabereineebensokonsequenteStreuungseiner Verlagskontakte gegenüber. Um 1930 waren dies insbesondere Georg

Müller in München (Baal), Drei Masken in München (Trommeln in derNacht),KiepenheuerinPotsdamundBerlin(LebenEduardsdesZweitenetc.),ArcadiainBerlin(TrommelninderNacht),PropyläeninBerlin(ImDickichtderStädteetc.),FelixBlochErbeninBerlin(Dreigroschenoper),B.Schott inMainz(Lehrstück)unddieUniversalEditioninLeipzigundWien(Mahagonnyetc.).Um1950istdieListenochlänger:AufbauinBerlin(FurchtundElenddes Dritten Reiches etc.), Kurt Desch in München (Herr Puntila und seinKnechtMattietc.),KurtReiss inBasel (MutterCourage),AllertdeLange inAmsterdam / Gustav Kiepenheuer in Köln (Dreigroschenroman), GebrüderWeißinBerlin(Kalendergeschichtenetc.),VolkundWisseninBerlin(FurchtundElenddesDrittenReiches),NeuesLeben inBerlin (HerrnburgerBerichtetc.),MitteldeutscherVerlaginHalle(Kalendergeschichten),Kinderbuchverlagin Berlin und Dresden (Der verwundete Sokrates), Suhrkamp in Frankfurt(BertoltBrechtsHauspostilleetc.),VVVDresdnerVerlag/ProgressVerlaginDüsseldorf(Theaterarbeitetc.),VEBVerlagderKunstinDresden(DieGewehrederFrauCarrar),HenschelverlaginBerlin(Antigonemodell1948etc.),ReclaminLeipzig(Gedichte)undEulenspiegelinBerlin(Kriegsfibel).Brechtwarzwei­malverheiratet, abererwarniemonogam;erbesaß (fast) immereinAuto,aberersetztenienuraufeinPferd.

Der deutlichen Tendenz zum Gediegenen und ›Klassischen‹, dem Idealeiner»mitdemzentimetermass«21zumessendengroßenWerkausgabestehenimmerauchKonzepteentgegen,dieineineganzandereRichtungweisen.Am31.August1920notierteerinseinemTagebuch:22

VielleichtsollteichdochdieLautenbibelhinausschmeißen,aufZeitungspapiergroßgedruckt,fettgedrucktaufMakulationspapier,daszerfälltindrei,vierJahren,daßdieBändeaufdenMistwandern,nachdemmansiesicheinverleibthat.[…]dasAlleszer­fällt,magseinRuhmkleinsein,seinLebenistkleiner,esbleibteineMythologievondenBänden:EssindmystischeDokumente!

EinWeiterlebenalsmystischerGeist­Leib:sowirddasVergehendeunvergäng­lich,dieBibelerstzurHeiligenSchrift.BrechterrichtetnichtnureinePyramidefür die Unsterblichkeit: Konservierung des Geschriebenen als klassischesWerk,sondernauchGerüstezurArbeitamMythos:Metamorphosederver­gänglichenSchriftinnamenloseTradition.

Bekanntestes Beispiel einer versuchten Synthese beider Tendenzen imDruckistdasVersuche­Projekt.EntwickeltwurdeesAnfang1930:23

1) herausgabeinheften,auchunfertiges

2) preißnachwert:luxusdingeästhetischesusw.teurer,wichtigesbilliger.derpreißaufd.umschlagbezeichnetdieschriftendieinden„kommentar“aufgenommen

Brecht WerkundMaterial

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werdensollen.

3) zusammen­oderauseinanderfassungenvonandernmitzitaten!|

z.b.fatzerrundgang billigmahagonny teuerdreigroschenoper „

lindberghflug „

Derbösebaald.A billigkinderbilderbuch „

− eine Produktions­ und Rezeptionsorientierung, die die klassische Autor­und Werkästhetik sprengt: Zitate anderer statt geniale Originalität, offenerArbeitsprozeßstattzuEndegestaltetesKunstwerk,persönlicherNutzenundsoziale Wichtigkeit statt interesseloses Wohlgefallen, flexible, variable Heftestatt repräsentative Bandreihe. Der entworfene doppelte Standard in Gehalt(Wichtigkeitvs.LuxusundÄsthetik),StatusundOrt(Textvs.Kommentar),Preis(billigvs.teuer)unddamitauchAdressaten­undWirkungskreiswurdeallerdings nicht realisiert. Die ab Juni 1930 bei Kiepenheuer erscheinendeReihederVersuchezeigtesichäußerlichvielmehreinheitlich:alsgegenstrebigeVereinigungvonklassischerGediegenheit(großesFormatbeikleinemSatz­spiegel) und avantgardistischer Werkstatt (unbeschnittene Broschüren zumspätereneigenenZusammenbinden),elitärerTendenzundangestrebterBrei­tenwirksamkeit.

AberdieBrecht­Ausgaben,seiensievonletzterHandinSteingemeißeltesmomumentum aere perennius oder offenes work in progress, sind nur daseine. Das andere ist das von Brecht nicht Herausgegebene: Briefe, Notizen,Tagebücher, Arbeitspapiere − das Nicht­Autorisierte, der Nachlaß. Sind dieSpurenderIndividualität,dieBrechtdochverwischenwollteundauchleichthätteverwischenkönnen,hiernichtnochweitdeutlicher,verräterischer?Undwerden die Überbleibsel des Entstehungsprozesses mit dem Vorliegen desgültigenTextesnichtautomatischzubloßerVor­ArbeitundVor­Geschichtevon allenfalls akademischem Interesse, die ›eigentlich‹ aber überholt sind:»Abfälle«?

Immerhin:BrechtbewahrteseineArbeitspapierevonAnfangankonsequentauf,führtesieaufseinerFluchtvordenNazisuntergrößtenSchwierigkeiteneinmalumdenGlobusmitsichundsichertesiemitallenverfügbarenMitteln−mitdemErgebnis,amEndeseinesLebenseinendergrößtenSchriftstellernach­lässe überhaupt zusammengetragen zu haben. Der Produktionsprozeß warihm offensichtlich nie nur Durchgangsstadium, sondern immer auch ›dieSacheselbst‹:nichtnurWegundMittel,sondernselbstschondasEigentliche;WerkstattalsWerk.Nebeneinerteleologisch­organischenfolgteeraucheinerexperimentell­technizistischenPoetologie: ›GesammelteWerke‹und ›Versu­che‹,›Werke‹und›Material‹.

EinMißlingenoderNicht­ganz­GelingendergefundenenLösungen,ver­

änderteRahmenbedingungen,neueZielsetzungenkönnen jederzeitmodifi­zierte oder gänzlich andere literarische Versuche erfordern − intellektuelleProduktionisteinunabschließbarer,offenerProzeß,beidemdasMaterialniedefinitivverarbeitetodererledigtseinkann.Materialaberkannesniegenuggeben; potentiell alles kann zum Rohstoff werden, sogar das Gesprochene,Improvisierte,Extemporierte.DasbekamElisabethHauptmanndeutlichzuhören,alssiedieihrvonBrechtzugedachteRollealslebendigesAufnahmegerätvernachlässigte:24

Brecht sagte mir eines Nachmittags Mitte Mai, es sei eine der übelsten Auswirkun­gen meiner Faulheit, dass ich nicht immer alle Sachen gleich von ihm aufschriebe. Sonst müsste ich doch schon ein ganzes Arsenal haben von Material, das wir suk­cesive aufarbeiten könnten.

SchondiePoetologieBrechtserfordertdieSammlungundAufbewahrungallerVersuchselemente,RohstoffeundProduktionsmittel:einArchiv:25

alsherrkeunerindieemigrationging,mußteeralleseineliterarischenarbeitenzu­rücklassen.seineältestemitarbeiterinübernahmes,sieihmnachzuschicken.indemsieaufeinegünstigegelegenheitwartete,verlorsiewiederzeit.siewurdeverhaftetundfreigelassenflohsieebenfallsüberdiegrenze.sotratsieherrnkeunerohnediepapieregegenüber.herrkeunerwarsehrniedergeschlagen.aufdiefrage,oberkeinunglückgeltenlasse,antworteteerheftig:nein.aberaufdiefrage,oberdennseinemitarbeiterin,diesichinzwischensehrzugrämenbegonnenhatte,auchfürdenfall,daßdiepapieredochnochirgendwieinseinehandgelängen,dennochnichtmehrzusehenwünsche,antworteteer:warumnicht?erstandaufdemstandpunkt,siehabenunmehrglücknötig–undnurdasverübelteerihr.

Elisabeth Hauptmann bezog die Eintragung später auf sich selbst und ihreRolle bei Brechts Emigration 1933. Auf der Arbeitskopie des BBA notiertesiemitBleistiftnebendemText:»DiesentsprichtnichtdenwirklichenUm­ständen.Übrigens:BrechthatalleManuskriptebekommen«.BrechtschriebaberkeinenSchlüsseltextaufsichundseineMitarbeiterin,sondern−schondreiJahrevordemBeginndesExils−eineKeuner­GeschichteüberdieBedeu­tungvonliterarischenPapierenundihrerBewahrung.EsgingihmnichtumPflichterfüllungoder­vergessenheitderArchivarin,sondernumdasDilemmadesArchivszwischenAuslieferungundRettung.ImSchreibenverzichtetderLiterat,alsdersichHerrKeunerhiererweist,janichtnuraufdiereineInner­lichkeitsprach­undmachtloserAutonomie.Erläßtsichauchschwarzaufweißgreifbar,angreifbar,justitiabelmachenundbegibtsichindieHändeanderer.DieseSelbstnegationmachtunabhängigvomzufälligeneigenenSchicksalundvonder eigenenphysischenExistenz.DieKehrseitederdamitgewonnenengrößerenFreiheitistabereinehöhereGefährdung.DieSicherungdesMate­rialsmußhinzukommen.OhnediesewürdemanerneutvonzufälligenGlücks­umständenabhängig,dienichteinmalmehrdieeigenenwären,sonderndie

WerkundMaterialBrecht

24 Tagebucheintragungvom8.Juni1926,KopieBBA151/37.

25 NB28,24r(»wieder«und»auch«überderZeileeingefügt);vgl.BFA18,36.

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einesArchivars,derGlückzurBewahrungderPapierenötighat.EinaufGlückangewiesenesArchivistaberkeines.

Nicht erst Erben und Nachlaßverwalter, Brecht selbst schon mußte sichdenProblemendesArchivsstellen:KonservierungderOriginale,Sicherung,Lagerung, Registratur, Ordnung und Erschließung. Von Anfang an warBrechtauchArchivareines›NachlasseszuLebzeiten‹.ErbedientesichdazuvielfältigerTechniken.Vielleichtfrühvoraussehend,daßsichvielansammelnwürde,bevorzugteerdünnesPapier,umdenPlatzbedarfbeiderLagerungzuminimierenunddieHerstellungvonTyposkriptdurchschlägenzuerleichtern.26DenSchrittvonderHand­zurMaschinenschriftlichkeitimProduktionsprozeßvollzogersehrfrüh.SeinNachlaßbestehtzuetwa9o%ausTyposkripten,wasdieLes­undNutzbarkeitschonfürihnselbst,nochmehrnatürlichfürseineMitarbeiterenormsteigerteundFehlerquellenreduzierte.ZudemließsichmitDurchschlägenundAbschriftenleichteineerste›interneÖffentlichkeit‹her­stellenundderTextdurchKopiensichern.

Als guter Archivar und teilweise manischer Sammler bewahrte Brechtmöglichst alles in seine Verantwortung Fallende, je in seiner ›Manufaktur‹Geschriebeneauf,unbekümmertumgewaltigeMaterialberge.EinerArtWeg­werftabufolgend,entschiedersichmeistfürSicherungdurchRedundanzen(Kopien),gegenKonzentrierungdurchKassation(Vernichtung).AngesichtsderaufdieseWeiseschnellanwachsendenMengevonPapierwurdebaldeineSystematisierungdesBestandsnotwendig.BrechtbildeteWerkkomplexe(undzerrißdafürauchNotizbücher)undDokumentenserien(zähltez. B.inmehre­renAnsätzenseineNotizbücherteilweisedurch),erließMaterial­undWerk­verzeichnisseanlegen,27schafftespezielleManuskriptmappenan,28ließeigensDokumentenschränke herstellen und beauftragte verschiedene MitarbeitermitderSichtungundSortierungdesMaterials.BeiseinemTodfandessichinSchränken,FächernundMappenineinerbisheuteweitgehenderhaltenenOrdnung. Nicht zuletzt – konsequente Fortführung der frühen Tendenzen,Platz zu sparen, Kopien und Öffentlichkeit herzustellen – sorgte er für dieSicherung des Materials auf neuestem technischem Stand. 1928 ließ er eineDreigroschenoper­Inszenierung von Carl Koch auf Film dokumentieren,29undseitden1940erJahrenstellteergemeinsammitRuthBerlau,angespornt

vonihrem»sinnfürdaswichtige«,systematischFotographienseinerPapiereher,»bestimmt,einarchivvonfilmenmeinerarbeitenanzulegen«,und»oftwaren die arbeiten pionierarbeiten.«30Angesichts »der rapiden EntwicklungunsererPhysikinderRichtungaufZerstörungsmittel«solltendieKopien»anverschiedenenPunktenderErdoberfläche«deponiertwerden.31BeiderrealenMöglichkeiteinesAtomkriegessolltedasRisikodesDatenverlustesminimiertwerden. Seine Probenarbeit der 1950er Jahre am Berliner Ensemble ließ ervonKätheRülickeprotokollierenundindenletztenMonatenauchvonHansBunge auf Tonbänder aufnehmen. »nehmt auch einen kinomann mit \ daßdasvorbild\aufbewahrtwird!«forderteervoneinemRettungsunternehmenschon1929/30.32

AberauchdiedemZuwenigentgegengesetzteGefahreinesZuvielanAr­chivierunghatBrechtgesehenundreflektiert.DemspurlosenVerschwindenderZeichenstehtnichtnurihreRettungdurchdasArchiv,sondernauchihreMumifizierungundVersteinerung,demVergehenderBuchstabennichtnurihreBewahrung,sondernauchdasVerwehendesGeistesausihnengegenüber.BrechtsahimmerauchdieimmanenteAffirmativität−»diefotografenreihensicheinindieApologeteneinerumfunktioniertenwelt«−unddokumenta­risch­mimetische Begrenztheit der Fotografie − »grade fotogr⟨afien⟩ unver­läßlich!siekönnen„nur“dierealitätgebenetc.«33NichtnurNichtexistenz,son­dernauchNichtnutzung,Nichtveränderbarkeit,NichtnutzbarkeitundNicht­wirksamkeitwarenihmnurandereWortefürNichtwirklichkeit:fürTod.

Um1933schreibtBrechtaufeinemheutezerfallendenBlatt:34

wenn ein papier abhanden kommtauf das man geschrieben hatdas ist nicht schlimm.vielleicht nämlich liest es einer und verändert sich.schlimm ist nurwenn das papier zerfällt.

Biologen sehen als Kriterien bzw. Grundbedingungen von ›Leben‹ Stoff­wechsel,FortpflanzungundMutation;indiesemSinnfolgtBrechtsSchreibeneiner biologischen Poetik. Es soll sich Stoffe aneignen, einverleiben und sieverarbeiten, für die eigene Fortpflanzung in Kopien und Köpfen anderersorgen und sich durch Mutation an veränderte Kontexte adaptieren undweiterentwickeln können. Nur eine sich mit verändernden Umständen ver­

WerkundMaterialBrecht

26 BrechtsVaterwarseit1917DirektorderHaindlschenPapierfabrikeninAugsburg.AuchBertoltverkehrtehäufiginderFabrik,unteranderem,umseineerstenStückevondendortigenSekretärinnen(ab­)tippenzulassen.KenntnissevonPa­pierenundPapierqualitätenkönnenbeiihmmitSicherheitvorausgesetztwerden.

27 Vgl.z.B.dasNummernverzeichnisBBA975/1(Durchschlag610/7),dasSach­

registerBBA507/78­79(beidesum1937,wohlvonMS)unddieManuskriptlisteBBA452/1und3.

28 Vgl.ErwinStrittmatter,BesuchbeiBrechtheute,in:Wochenpost4,Nr.15,

13.April1957.29 Vgl.BrechtanHeleneWeigel,Septem­

ber/Oktober1928,BBAE12/116;vgl.BFA28,311.

30 BrechtanRuthBerlau,14.März1950,BBA168/1;vgl.BFA30,19;Journal,zwischen20.und22.Dezember1944,BBA282/14;vgl.BFA27,215;s.auchdieNotizenzurFotoarchivierungaufdenBlätternBBA1209/6­17.

31 BrechtanHansOttoMünsterer,29.Au­

gust1953(BBA1340/107;vgl.BFA 30,197).32 NB29,4r(zuEisbrecherKrassin);s.auch

unten,62f.,Beispiel32.33 NB40,7v,ca.1933/34.34 BBA98/2;vgl.BFA14,19;.

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änderndeProduktion,einvirulentbleibendes, lust­undfruchtverheißendesAngebot, ein an wechselnde Situationen anpassungsfähiges, immer andereStoffe in Energie umwandelndes Transformationssystem ist lebendig. DiesistdiekonsequenteNegationdesArchivs,daseinenWechselderStoffe,einEindringen von Fremdem, eine Veränderung am Bestand nur als Verun­reinigung,ManipulationundExistenzbedrohungsehenkann.BrechtistauchAntiarchivarund›Anarchivar‹.35

Brechts Subversion des Archivs äußert sich in ganz verschiedenen Ten­denzen und Techniken. Er wechselt Systematiken und Kriterien, mißachtetGattungsgrenzen, Werk­Ordnungen und Chronologien. Was Peter Weiß anBrechtsBüchernauffiel,36giltfürdengesamtenNachlaß:

BeimAuseinandernehmenderBibliothekwarmiraufgefallen,daßdieBändewederalphabetischnochnachFachgebietengeordnet,dochauchkeineswegsregelloszusam­mengestelltgewesenwaren,sondernnachVerwandtschaftsbeziehungen,nacheinemSystemgegenseitigerSympathienoderZusammengehörigkeiteninStreitgesprächen,ofthatteeseinNebeneinanderausheftigenKontrastengegeben,dasdanndochzugeheimenÜbereinstimmungenführenkonnte.

DazukommenweitereanarchivischeTendenzen:BrechtsHandschriftistoftausgesprochen unzugänglich und fehllesungsträchtig; er verteilt ein ProjektaufverschiedeneTextträgerundverwendeteineneinzigen fürverschiedeneProjekte, so Interferenzen und unvorhersehbare Wechselwirkungen ermög­lichend;erarbeitetaneigentlichüberholtenFassungenweiterundtransplan­tiertTextteileunbedenklichinandereKontexte;er läßtganzeNachlaß­TeileaufseinenExilstationenzurückundvergißtsie.37Schließlichunterminierter,wiegesehen,denfüreinWerkundPersonalarchivkonstitutivenBegriffderAutorschaft.DiepersönlicheZurechenbarkeit,differentiaspecificaderWerkeundVoraussetzungihrerkorrektenArchivierung,istaufgehoben.

ArchivundEdition

sorgfältigprüfichmeinenplaneristgroßgenugeristunverwirklichbar

(NB35,96r)

Der Tod des Autors ist die Geburt des (Gesamt­)Werks. Das Œuvre liegt,fertigodernicht,faktischabgeschlossenvor.Werke,Texte,Schriften,Notizen,Mitteilungen,kurz:dasWerkistnichtmehränder­,nurnochmanipulierbar.Es ist in andere, idealerweise treue Hände übergegangen: die der Erben alsTrägerder(irgendwannerlöschenden)Rechte,diederArchivare,HerausgeberundLeseralsTrägerder(nieerlöschenden)VerantwortungfürdasWerk.

DieSpannungenvonArchivundAnarchivdesMaterialsundvonKlassikundModernedesWerks,dieBrechtzeitlebensumsichtiginstalliert,nachsichtigtoleriertundweitsichtigprovozierthatte,setztensichtatsächlichunverändertnachseinemTodfort.Der14.August1956bildeteäußerlichkeinenEinschnittim›Leben‹desGesamtkunstwerks›Brecht‹.DiegleichenPersonen,dieschonvorher,teilweiseschonjahrzehntelanganderProduktionseinerPublikationenundanderDokumentationseinesSchaffensprozessesmitgewirkthatten,ar­beitennachgewohntenKriterienundVorgabenweiter.Siewußten,wasBrechtwollte.

SchonsechsTagenachBrechtsTod,am20.August1956,wurdebeieinemTreffenvonHeleneWeigel,ElisabethHauptmann,PeterSuhrkamp,HansMa­yer,RudolfEngel,WalterJankaundBennoSlupianekbeschlossen:38

DergesamteNachlaßvonBrechtsollinBrechtsWohnungunterderLeitungvonE.Hauptmannfotokopiertwerden.(AkademiederKünstestellt2technischeHilfskräftezumFotokopierenundRegistrieren.)SpätersolldannnurmitdiesenFotokopienge­arbeitetwerden,währenddieOriginalmanuskripteunterVerschlußbleiben.

DamitwarendieWeichenfüreinprivates,aberwissenschaftlicharbeitendesundvonoffiziellenStellenunterstütztesBertolt­Brecht­Archivgestellt.Am1.Dezember 1956 wurde es juristisch gegründet und Hans Bunge,39 der zuvor

ArchivundEditionBrecht

35 JacquesDerrida(derdenBegriff›Anar­chiv‹prägte;vgl.J.D.,DemArchivver­

schrieben[Berlin1997],24)zufolgeistjedemArchivsowohlderarchivische(Über­)Lebenstriebalsauchder›anarchi­varische‹oder›archiviolithische‹Todes­triebinhärent.

36 PeterWeiß,DieÄsthetikdesWider­stands[Frankfurta.M.1978],Bd.2,313.

37 SiehedieersteinhalbesJahrhundertnachBrechtsTodinZürichaufgetauch­tenneuenBBA­BeständeMertens­Ber­tozziundCohen.

38 BesprechungüberdenliterarischenNach­laßBertoltBrechts;Protokollkopie,EHA8.

39 S.BrechtanHansBunge,7.März1955,BBA743/85;vgl.BFA30,317.−BrechtselbstmußteanfangsvonRuthBerlaugeradezuüberredetwerden,mitBungezusammenzuarbeiten:Bungeliebe»deineArbeitundseineArbeitbeidir,mitdir,

mitdieserGründlichkeit,dieaufdichabstoßendwirktunddochsonützlichist[…].Seinehartnäckige,grausameGenauigkeit[…]«;zit.nach:KlausVölker,Werkönnteschonvonsichsagen,daßerdieWahrheitimSackehat?(ÜberHansBunge,1919­1990),in:Freibeuter45(1990),146.

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schonBrechtsArbeitsarchivundFotolaborbetreuthatte,vonHeleneWeigelzum Leiter ernannt. Es waren schon »etwa sechs Wochen nach Beginn derArbeitsiebenundzeitweiseachtPersonenbeschäftigt«,manverwendete»zweiHochleistungsaufnahmegeräte«,die»biszu2000Aufnahmentäglich«schaff­ten,undentwickelte»einVerfahren,mitdemschließlichvoneinemOriginal­filmdreiDuplikatfilmehergestelltwurden,dieannäherndvongleicherQuali­tätsindwiederOriginalfilmundaufjedenFalleinwandfreieRückvergröße­rungen ermöglichen.«40 Diese ›limitierte Edition‹ der vier Sicherungsfilmewurde inBerlin,Basel,HarvardundMoskaudeponiert.Bemerkenswert ist,wiesehrvonAnfanganReproduktionsfragenimVordergrundstanden.NochdieKopie(Rückvergrößerung)derKopie(Duplikatfilm)derKopie(Original­film)wurdereflektiertundkontrolliert.ÜberdenZustandderOriginaleundkonservatorischeoderrestauratorischeMaßnahmenfindensichdagegenkei­nerleiAngaben.

BeiderRegistrierungderDokumenteentschiedmansichfürdasProve­nienz­Prinzip:dieVerzeichnungdesMaterialsindervorgefundenenOrdnung(oderUnordnung)unterVerzichtaufSystematisierung.DerBestand,wieeramTagvonBrechtsTodvorlag,vonihmselbstundanderenteilschronologisch,teilssystematisch,teilsgarnichtgeordnet,wurdegleichsameingefroren:41

SystematischwurdevonSchrankzuSchrankvorgegangen,innerhalbjedesSchrankesFachfürFachundinnerhalbjedesFachsMappefürMappearchivalischaufgenommen.Nurdort,woessoforterkennbarwar,daßzusammengehörigeBlättersichnichtinderrichtigenReihenfolge–etwaeinervorhandenenNumerierung–befanden,wurdedievonBrechtbestimmteOrdnungwiederhergestellt.

GanzwurdeaufeinenachholendeSortierungalsodochnichtverzichtet.WieundmitwelcherSicherheitmandabeidasvonBrecht ›Bestimmte‹wirklicherkannteundinwieweitesdochwenigerWiederherstellungalsallererstHer­stellungeinerOrdnungwar,istnichtmehrfestzustellen.Schriftlichfestgehal­tenwurdedarübernichts.

BeiderSignaturvergabewarebenfallsnichtdasOriginal,sonderndieKopiemaßgeblich. BBA­Signaturen bestehen jeweils aus einer Hauptsignatur undeinerlaufendenNummer.DieHauptsignaturrichtetsichnachvomBestandvorgegebenenEinheiten(Schubladen,Mappenetc.),allerdingsnurda,wosieungefährderGrößeeinesFilmsentsprachen.WoderartigeNachlaßkonvolutezugroßwaren,wurden sie aufmehrereHauptsignaturen (=Filme)verteilt;wosiezukleinwaren,wurdenmehrereuntereinerzusammengefaßt;woderNachlaßkeineEinteilungerkennenließ,wurdepragmatischeEinheitennacheinemRichtwert(100AufnahmenproFilm)gebildet.Ergebnis:Dieursprüng­

licheGliederungdesBestandsbildetsichindenSignaturenimgroßenGanzenab; der ursprüngliche Standort eines einzelnen Dokuments dagegen ist inkeinemFallmehrmitSicherheitanzugeben.

AuchdieVergabeder laufendenNummernrichtete sichnachdenSach­zwängenderdamaligenfotographischenMöglichkeiten.WoeineDoppelseitekleingenugwar,umaufeineFotographiezupassen,erhieltsieeineSignatur,woeineEinzelseiteumgekehrt zugroßwar,wurdenzweiodermehrNum­mernvergeben.42DieheutigenBBA­SignaturenbezeichnenalsodieZahlundAbfolgederKopien.SielassenkeineSchlüsseaufAnzahl,Zusammengehörig­keit,Größeundein­oderbeidseitigeBeschriftungderOriginalezu.

DieSignaturenwurden–sicherinderMeinung,dieOriginalesobesserzuschützenundbeieinerspäterensystematischenSignierungkeineRadierungenvornehmenzumüssen–aufZettelgestempelt,diedannmitKlebstreifenamOriginalangebrachtwurden.NochdieauffälligeGrößederZettelerklärtsichausderVerfilmung:DieSignaturensolltenzurschnellerenOrientierungauchohneRückvergrößerungnochaufdenMikrofilmenlesbarsein.

DiearbeitsökonomischeundarchivlogischeBevorzugungderSicherungs­kopievordemOriginaldokumentinderFrühzeitdesBertolt­Brecht­Archivsresultiertevorallemauseinemvagen,aberdringlichenBedrohungsgefühl:43

EsgibtaberzuvieleBeispieleempfindlicherVerlustevonnichtkopiertenOriginalenwertvollerNachlässe.Dassorgfältig­systematischeVorgehenbeiderArchivierunghättesichunterUmständenalsSorglosigkeitinbezugaufdieSicherungdesNach­lasseserweisenkönnen.HeleneWeigelordnetedeshalban,vordringlichMikrofilmeanzufertigenundvervielfältigteExemplareanverschiedeneOrteauszulagern.Damitseigewährleistet,daßeinespätergeplanteAuswertungdesNachlassesniemalszuspätkommenkönne.

EinederVerzeichnungundVerfilmungvorausgehendeTaxonomienachPer­tinenz als Alternative zum Provenienz­Prinzip wurde demnach durchausin Betracht gezogen, aber aus pragmatischen Gründen vorerst (wenigstensgrundsätzlich;leidernichtkonsequent)verworfen.ZumGlück.DennBrechtsArbeits­, Selbstarchivierungs­ und Selbsteditionstechniken unterlaufen, wiegesehen, systematisch jede Systematik, die ein Archiv doch voraussetzenmüßte, um sie rekonstruieren zu können. Mit chronologisch­genetischemodergattungs­undwerkästhetischemZugriffistBrechtvielleichtirgendwieindenGriffzubekommen,nichtaberzuerfassen.

Dennochwurde inHertaRamthunsBestandsverzeichnisdes literarischenNachlassesdergesamteNachlaßBrechtskomplementärzurRegistrierungmit

ArchivundEditionBrecht

40 HansBunge,Vorausbemerkungenzueinerhistorisch­kritischenAusgabederSchriftenBertoltBrechts,in:MitteilungsblattfürdieMitarbeiterderDeutschenAkademieder

WissenschaftenzuBerlin4(Januar­März1958),26f.

41 Bunge,Vorausbemerkungen(Anm.40),26.

42 Vgl.unten,72­74.−DieBehauptung,daß»jedebeschriebeneSeitemiteinerneuenZahl«versehen,beiderSignierungalsovomOriginalausgegangenwurde«(Bunge,Vorausbemerkungen[Anm.40],26),istfalsch.

43 Bunge,Vorausbemerkungen(Anm.40),26.−Die(wiegesehen,schonvonBrechtgehegte)katastrophischePhantasieistkeinDefekt,sondernKardinaltugendundAxiomjedesArchivs.

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laufenderNummernocheinmalnachsystematischenKriterienverzeichnet.44

AufdieserenormenArbeitberuhenalleBrecht­Editionen.Ramthunordnetaber nicht nur jedes Dokument zu und ein, sie evaluiert es auch (recensio,examinatio),indemsiejeweilsdenoderdieSchreiberfesthält−mit›M‹fürMaschinenschriftBrechts,›m‹fürandereMaschinenschrift(zurProblematikdieserUnterscheidungs.unten,99undAnm.46),›H‹fürBrechtsund›h‹fürandereHandschrift,letzteresmeistsogarnochmitAngabedesSchreibers.

Insgesamt läßt sich sagen: Brechts Nachlaß ist seit über 30 Jahren guterschlossen. Das Bertolt­Brecht­Archiv ist heute eines der vollständigstenSchriftstellerarchive überhaupt. Zum eigentlichen Nachlaß (zu dem auchBrechtsBibliothekgehört45)undeinemgutzugänglichenkomplettenBestandvonArbeitskopienkommenumfassendeSammlungenvonzugehörigenDo­kumenten, ein Foto­, Ton­ und Filmarchiv, eine umfangreiche Bibliothekmit detailliert erschlossener Primär­ und Sekundärliteratur bis hin zu einerumfangreichen Sammlung von Zeitungsausschnitten und weltweitem Auf­führungsmaterial.

Doch das Bertolt­Brecht­Archiv steht auch vor großen Problemen. DerBestand ist in Original und Kopie unzureichend gesichert und teilweiseschonakutvonPapierzerfallundSchriftschwundbedroht.DieErschließungund Verzeichnung erfolgte nach wechselnden, anspruchsvollen, häufig ehereditionsorientierten als archivischen Kriterien und Systemen − mit demErgebnis,daßdieNutzungderFindhilfsmittelheuteihrerseitserschließenderHilfedurchArchivmitarbeiterbedarf.VergänglichkeitundstrukturelleKom­plexitätdesBestandssindunbewältigteProbleme.

Hinzu kommt das Manko an Metadaten. Kaum je wurden Dokumen­tationen der geleisteten Arbeiten angelegt. Schon die erste VerzeichnungwichteilweisevomProvenienz­Prinzipab,ohnedasWie,WoundWarumzudokumentieren.GleichesgiltfürdiespätereZuordnungderSchreiberhändezueinzelnenDokumentenunddieserzubestimmtenWerkeninKarteiundBestandsverzeichnis. Die keineswegs einfache oder gar selbstverständlicheWeitergabedieserInformationenistausgesprochenverdienstvollundnützlich,heuteallerdingsnurstatistischzuverlässig.ImEinzelfalldagegenmüssendieBestimmungen in jedem Fall nochmals verifiziert werden, da die Kriteriennirgends festgehalten, transparent und nachprüfbar (und ggf. falsifizierbar)gemachtwurden.AufgrunddergroßenNähezum›Meister‹,mangelndemPro­blembewußtsein,derGrößedesBestands,Zeitdruck,kommerziellenInteres­sen, unreflektiertem Pragmatismus oder aus anderen Gründen wurde hier

amfalschenEndegespart.EineIntuitions­undAutoritäts­Archivistikistaberkeinewissenschaftliche.Hiermußvielesnocheinmalgemachtwerden.46

In jedem Archiv überkreuzen sich Individuelles und Allgemeines, Ver­gänglichkeitundBestand.Archive,vonderenExistenznurderArchivarweiß,sindvondiesemsovollkommenabhängigwieGedankenvomKopfdesDen­kenden:Sieverschwindenmitihm.Dokumente,dienurfürdenArchivarles­bar sind,werdenohne ihnzu toterMaterie.DieersteBedingungderMög­lichkeiteinesArchivsistalsoseineNutzbarkeit.DieNutzbarkeitwirderhöhtdurchErgänzungundSammlung(Ziel:Vollständigkeit),SicherungundKon­servierung(Ziel:Dauerhaftigkeit),Systematisierung,TranskriptionundErläu­terung(Ziel:Transparenz),personenunabhängigeErschließungundÖffnung(Ziel:Zugänglichkeit)sowieVerrechtlichungundInstitutionalisierung(Ziel:Vergesellschaftung).DieimjuristischenStatus»öffentlichenArchivenehmenimdemokratischenStaatschließlicheine›Mittlerrolle‹zwischenStaatundGe­sellschaft,VerwaltungundWissenschaftein«47:eineSchlüsselposition.

Der Archivar hat dabei etwas von Sisyphos (den man sich mit CamusimmerhindochalsglücklichenMenschenvorstellenkann):SeineZielesindnicht erreichbar. Die logische Struktur des Archivs ist paradox (›absurd‹).SelbstwennVollständigkeit,Transparenz,DemokratisierungdesWissensunddasFungierendesArchivsalsgesellschaftlicheSelbstvermittlungsinstanznä­herungsweiseerreichbarwären:unvergänglichwirdeinArchivniesein.Ide­alerweiselanglebig,istesdochnichtunsterblich.Wiedieinsie›eingeweihten‹Archivare und Editoren, werden auch die Originale selbst bei bester Ver­wahrungundPflegeeinmalverschwundensein.AuchvonNaturkatastrophen,Kriegen,DiebstahloderVerkaufundVerschwindeninprivateTresoreabge­sehen:Tinteverblaßt,Bleistiftreibtsichab,Papierzerfällt,langsam,abersicher.DasArchivstemmtsichgegenZeit,ErosionundEntropie,entgehtihnenabernicht;»nichtswasistwirdmehr,alleswirdweniger.«48

Um den unlösbaren Selbstwiderspruch von Vollendungs­ und Unsterb­lichkeitsidealeinerseits,faktischerMangelhaftigkeitundVergänglichkeitande­rerseitszubewältigen,mußdasArchivgleichsam inseinGegenteilüberge­hen.AusdemeinenOriginalmüssenvieleKopienwerden,dennirgendwanneinmalwirdjenesnurnochindiesenweiterleben.Beidemkontinuierlichen

ArchivundEditionBrecht

44 Bertolt­Brecht­Archiv.Bestandsver­zeichnisdesliterarischenNachlasses,bearbeitetvonHertaRamthun,4

Bände(Berlin,Weimar1969­1972).45 Vgl.DieBibliothekBertoltBrechts.Ein

kommentiertesVerzeichnis,hrsg.Bertolt­

Brecht­Archiv,AkademiederKünste,bearb.vonErdmutWizisla,HelgridStreidtundHeidrunLoeper(Frankfurt/Main2007).

46 WasbeispielsweisedieTyposkriptebe­trifft,soisteinewissenschaftlicheAnalysederverschiedenenMaschinen,SchreiberundSchreibgepflogenheiteneindrin­gendesDesiderat.Bisdiesenichtvorliegt,kanndieÜbernahmederZuordnung›M‹(fürBrecht)oder›m‹(fürandereSchrei­ber)ausdemBestandsverzeichnisnurun­terVorbehalterfolgen.BeiManuskriptenistdieDifferenzderHändeaugenfälliger,auchhierstehtabereinesystematische

ErfassungderverschiedenenPhasenundFormenvonBrechtsHandschriftunddieverläßlicheZuordnungfremderSchriftenzuSchreibernnochaus.

47 BartholomäusManegold,Archivrecht.DieArchivierungspflichtöffentlicherStellenunddasArchivzugangsrechtdeshistorischenForschersimLichtder

Forschungsfreiheitsverbürgungdes Art.5Abs.3GG(Berlin2002),23.48 NB16,9v.

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(oder,nieauszuschließen:abrupten)SchwundderOriginal­InformationsolltederÜbergangindieReproduktionjeweilsbald­undbestmöglichgeschehen.KopienmüssenvonAnfangangenausoernstgenommenundgepflegtwerdenwiedieOriginale.DiezweiteGrundbedingungjedesArchivsnebenderNutz­barmachungderDokumenteistsomitseinetechnischeVervielfältigung(Ziel:SicherungdurchProliferation).EinganginundAusgangausdemArchivstüt­zen sich gegenseitig; nur zusammen sind Erinnerung und Entäußerung aufDauergestellt.NurinseinanderesübergegangenkanndasArchivdieeigeneVergänglichkeit (wenigstens theoretisch und in menschlichen Zeiträumen)überleben.DialektikdesArchivs:NotwendigkeitderEdition−»…daßdasvorbildaufbewahrtwird«.49

EditionundArchivsindimmeraufeinanderangewiesen.Auchhierschiendie Ausgangslage bei Brecht, wo sie gleichsam als siamesische ZwillingezurWeltkamen,zunächstfastideal.SowieBrechtsPoetologiedieArchivie­rungimmanentist,soerstrechtdieHerausgabe;BrechtschriebnichtfürdieSchublade.SeinTod1956bedeuteteauchindieserHinsichtkeinenEinschnitt.DiebegonneneEditionsarbeitkonntevielmehrbruch­undfraglosfortgesetztwerden,ermöglichtdurchdenWeiterbestanddes›KollektivsBrecht‹.Vorherwienachher:ArchivundEditionarbeitetenHandinHand,jasielagenteilweisesogarindenselbenHänden.

Schon die erste systematische Registrierung des Brecht­Nachlasses er­folgteexplizitund»vonAnfanganinHinsichtaufeineHistorisch­KritischeAusgabe«. Die Voraussetzungen dafür waren »günstiger als sie jemals beieinem Schriftsteller bestanden haben«50: einmalige Vollständigkeit und Zu­gänglichkeitdesNachlassesaneinemOrt,EinmütigkeitallerVerantwortlichenüberdas,wasdamitgeschehensollte,schnellsteRegistrierungundSicherungdesBestandsaufneuestemtechnischemStandundschonfokussiertaufeineEdition, unverzüglicher Beginn der Arbeit, finanzielle, institutionelle undpersonelleAbsicherung,einenormerFundusansystematischerschlossenemKommentarmaterial, die Kooperationszusagen der allesamt noch lebendenengenMitarbeiterBrechts− tatsächlichwarendieWeichengestelltundalleSignaleaufGrün.

Seit Januar 1958 traf sich die Arbeitsgruppe Historisch­Kritische AusgabederSchriftenBertoltBrechts,derKoryphäenwieFriedrichBeißner,ErnstGru­mach,WolfgangSteinitzundGerhardSeidelangehörten,regelmäßig.51Dabei

kristallisiertensichzweiKonzepteheraus.FriedrichBeißnerwollteanalogzuseinerHölderlin­Ausgabeein›idealesWachstumderTexte‹zeigen,Bungeda­gegendenSchaffensprozeßaufmaterialistischerGrundlagedarstellen.52SchonAnfang1959kündigteBungeöffentlichan:»ZumerstenMalwirdsokurzeZeitnachdemTodeeinesSchriftstellersdamitbegonnen, seineWerke ineinemhistorisch­kritischenTextderÖffentlichkeitvorzulegen.«53Seit1960standdieGliederungderAusgabein60Bändefest.Bis1962legtenBeißner,BungeundSeidelModelleditionenvonDasManifest,BrechtsVersfassungdesKommuni­stischenManifestsvor;54StellungnahmenführendergermanistischerHeraus­geberwurdeneingeholt.Noch1963konnteHansBungeganzselbstverständlichdavonausgehen,daßderEditionsprozeßlängstbegonnenhatte.55

BungeunterschätzteallerdingsdieTatsache,daßimBertolt­Brecht­Archiv(dessenLeitungernachUnstimmigkeitenmitHeleneWeigel1959niederlegenmußte) gleichzeitig schon längst an einer ganz anderen Ausgabe gearbeitetwurde.WährenddieFachleuteanderGrundlegungeinerEditionarbeiteten,dieBrechtsVersuche–die»auchunfertiges«enthieltenunddieAbsichtver­folgten,»dieeinzelnensehrverzweigtenUnternehmungenkontiniuerlichausihrem Zusammenhang zu erklären«56 − ins Wissenschaftliche heben sollte,hattesichdieebenfallsschonvonBrechtselbstinSpannungzudenVersuchenbegonnene ›klassische‹AusgabeseinerStückestetigauf immermehrWerk­bereicheausgeweitet.Parallelzuden›professionellen‹VorarbeitenerschieneinvonElisabethHauptmann(mitBennoSlupianeku.a.)herausgegebenerBandnachdemanderen.Seit1958sprachderVerlegerPeterSuhrkampvondieserReihe als ›Gesamtausgabe‹. Zunächst als ergänzende Leseausgabe gedacht,beherrschtesiebalddurchihreschiereExistenzdaseditorischeFeld.

DiesichsoimUntergrundanbahnendeÄnderungderPrioritätenwurde1964manifest,alsSuhrkampsNachfolgerSiegfriedUnselddieBrecht­ErbenvonderUntunlichkeitderbisdahinnochangestrebten›großenLösung‹über­

ArchivundEditionBrecht

49 NB29,4r.50 »JedesWortBrechtswirdenthaltensein!«

DVZ­InterviewmitDr.Bunge−Vor­arbeitenfüreine60BändeumfassendeBrecht­Ausgabeabgeschlossen,in:Deut­scheVolkszeitung,31.Mai1963.

51 SiegfriedUnseldsZusammenfassungderinsgesamtsechsjährigenintensivenArbeit(daruntermindestensvierzweitägige

Kolloquien):»eineeinzigeKommissions­sitzunggermanistischerFachgelehrter[…]kamzukeinemanderenErgebnis«,alsdaß»derRufnacheinersolchenAus­gabeverfrüht«sei(S.U.,DerAutorundseinVerleger[Frankfurt/Main1978],143),istfalsch;vgl.dazuundzumfolgendennäherPeterVillwock,BrechtinderSack­gasse,in:Text13(2010).

52 BungebezeichneteBeißnersAnsatzals»metaphysischerklärend«,währendseineigenerdaraufziele,»BrechtsdialektischeArbeitsmethodeerkennbarzumachen«(BriefanHeleneWeigel,29.Dezember1960;EHA211).

53 HansBunge,ÜberdasBertoltBrecht­ Archiv,in:SinnundForm11(1959),140­

145,hier144.54 GerhardSeidelveröffentlichteModelle

vonHansBungeundsichselbstinG.S.,BertoltBrecht−ArbeitsweiseundEdition.DasliterarischeWerkalsProzeß(Berlin1977).Dieses(aufseinerDissertationStudienzurEditionpoetischerTextevonBertoltBrecht[Greifswald1966]beruhen­deundzuerstunterdemTitelDie

Funktions­undGegenstandsbedingtheitderEdition.UntersuchtanpoetischenWerkenBertoltBrechts[Berlin1970]erschienene)WerkistbisheutedieeinzigeumfangreicherePublikation,diesichwissenschaftlichundgrundsätzlichmitEditionsfragenbeiBrechtauseinan­dersetzt.DaranknüpfendiefolgendenAusführungenan.

55 TatsächlichfindetsichinderBibliothekdesBBAeinealsManuskriptvorliegendeEditionvonDasManifest(bearbeitetvonHansJoachimBunge)schonals

Bd.15vonBertoltBrecht,Schriften.Hi­storisch­KritischeAusgabeverzeichnet.

56 BertoltBrecht,Versuche,Heft1(Juni1930),1.

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zeugenkonnte:»DerRufnachihrwarverfrüht«.57VondaanwurdenAusgaben,dieBrechtsanti­klassischeAnsätzefortführten,immermehrvonderHaupt­zurNebensache,bisheute.50JahrenachBrechtsTodistderElanderfrühenJahre verflogen. Kein Band der so gründlich vorbereiteten Historisch­Kriti­schenAusgabeistjeerschienen.AllevorliegendenBrecht­EditionenfalleninNiveauundErgebnishinterdaszurück,wasursprünglichgeplantundmöglichwar.WissenschaftlichenAnsprüchenkannkeinegenügen,auchnichtdieheutemaßgebliche31bändigeGroßeKommentierteBerlinerundFrankfurterAusgabe(BFA).58EinetextkritischePrüfung»anallenvorliegendenÜberlieferungen«erfolgteauchhiernurteilweise;»größtmöglicheVollständigkeit«istkeinetat­sächliche,undwaswowarumweggelassenwurde,istnichtnachvollziehbar;»quellenkritische Informationen« und »philologische Aufschlüsse über dieTextentwicklung«werdennurunvollständigundunsystematischgegeben;dasZiel,demLeserdieTextesovorzulegen,»wiesiederArbeitsweisedesDichtersentsprechen«,59wirdnichterreicht.DieindenvorliegendenAusgaben(sehrselektiv) aufgenommenen Nachlaßtexte sind, in verschiedenen Graden, alleunzuverlässig. Vorerst kann hier weiterhin nur das BBA die Grundlage derBrecht­Forschungsein.

Warum bleibt bei doch ausgesprochen guter Ausgangslage das Ergebnisvon 50 Jahren konzertierter und kontroverser Anstrengungen, eine zuver­lässigeBrecht­Ausgabezustandezubringen,sodeutlichhinterdemWünsch­baren und Gewollten zurück? Mehreres kommt zusammen: Das Vorliegenund schnelle Anwachsen der Leseausgabe gewann eine eigene Schwer­ undÜberzeugungskraftgegenüberdemjahrelangimmernurProjektundVersuchBleibenden:dieMachtdesFaktischen.DieeditorischeundverlegerischeEin­mütigkeit oder zumindest Gleichgerichtetheit zerfaserte in den ›Mühen derEbene‹. In gewisser objektiver Ironie erwiesen sich gerade am SozialistenBrechtkapitalistischeKriterienunddieWiderständedeszunehmendrealexi­stierenden Bürokratie­Sozialismus als die stärkeren Bataillone. Die diffuseGemengelage west­östlicher ›Systemzwänge‹ – Vorgaben der Verlage, Vor­behalte der Rechteinhaber, Zeitdruck, technische Defizite, institutionelleRahmenbedingungen, ›Kultur‹politik und Kultur›politik‹, psychologisch­in­dividuelle Effekte des Wissenschaftsbetriebs und des Marktes – verhinderteletztlicheinenichtverkaufsorientierte,wissenschaftlichundlangfristigange­legteGrundlagenarbeit.DergroßeStandortvorteil:dieNähevonEditionundArchivbishinzurPersonalunion,erzeugtenebenSynergienaucheineMengeKomplikationen,dasiehäufigunreflektiertblieb.IdentitätundDifferenzdereditorischenundarchivischenKriterien,MethodenundZielewurdennicht

klar definiert, die Edition erbte unbemerkt die Probleme des Archivs undumgekehrt.Editionshistorischund ­technischwares fürdieAkzeptanzdervon Bunge und Seidel verfolgten materialorientierten Perspektive offenbarnoch zu früh; erstmals realisiert werden konnte ein solcher Ansatz untergroßenKämpfenab1974inderFrankfurterHölderlin­Ausgabe.ZuletztundzuerstistaberauchhierwiederdieFaktizitätdesNachlasseszunennen:seineschiereMengeundseinekomplexeStruktur.

SchondasProblemderDokumentenmasseistnurscheinbartrivial.LängstistdieQuantitätineineneueQualitätumgeschlagen.DerBestandistsogroß,daßschoneinegenaueUmfangsangabeunmöglichist.DasBertolt­Brecht­Ar­chivgehtheutevoninsgesamtetwaeinerMillionEinheiten(davonca.200000BlattOriginaldokumenten)aus,diealleverzeichnet,abersehruneinheitlicherschlossenundvernetztsind.KeinMenschkanndasgesamteMaterialnochbeherrschenundbewältigen.HansBungeveranschlagteeineGesamtausgabe1963auf60Bände;dierealitätsnähereBerechnungseinesspäterenNachfolgersGerhardSeidelkam1966auf250Bänden(zuje500Seiten);60nachheutigemKenntnisstandwürdenessichernocheinigemehrwerden.

SelbstwennmandiesesMengen­Problemfürlösbarhält,soistdasjenigeder Struktur des Nachlasses mit einer herkömmlichen historisch­kritischenAusgabe wohl kaum überall zu bewältigen. Unseld hatte recht und unrechtzugleich,alser1964dieschonweitfortgeschritteneArbeitanihrstoppte:61

Einehistorisch­kritischeAusgabeBrechts,eineAusgabealso,dienachdenGrund­sätzenmodernerTextkritikundEditionstechnikangelegtistunddiedenWegvonderEditioprincepsbiszudenletztenvonBrechtnachweislichgewünschtenÄnderungendarlegte,alsoeinenkritischenApparatmitLesarten,VariantenundKonjekturenbe­säße,unddiegleichzeitigdieTextedatierte,kannsinnvollerstdannbegonnenwerden,wenndasWerkselbstderKritikundForschungausgebreitetist,wennTagebücherundBriefesowieZeugnissederZeitgenossenDatierungen,VerifizierungenundgesicherteInterpretationenerlauben.

Recht hatte er mit der Einschätzung, daß eine derartige Edition seinerzeitpragmatischkaummachbargewesenwäre;unrechtdarin,daßersie indie­serArtüberhauptfürbefriedigendrealisierbarhielt.Die›Ontologie‹einertra­ditionellenhistorisch­kritischenAusgabeberuhtaufderrelativenSicherheit,Abgrenzbarkeit,StabilitätundErkennbarkeitvonAutorundWerk,letztlichaufeinerbestimmtenSchöpfer­,Werk­undAutonomie­Ästhetik.DieOffenheit,Vernetzung,VariabilitätundInstabilitätder›Texte‹undderAutorschaft,dieBrechts Poetologie und Arbeitsweise inhärent sind, kann ohne Verlust desihrWesentlichennicht insieeingehen,kannnichtangemessen inTextundApparataufgeteilt,ineinelineareDruckfolgegebrachtundfestgelegtwerden;

ArchivundEditionBrecht

57 Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg(Anm.19).

58 BertoltBrecht,Werke.Großekommen­tierteBerlinerundFrankfurterAusgabe,hrsg.vonWernerHecht,JanKnopf,

WernerMittenzwei,Klaus­DetlefMüller(Berlin,Weimar/Frankfurt/Main1988­2000);vgl.dazunäherVillwock,BrechtinderSackgasse(Anm.51).

59 BFARegisterband,805f.

60 Vgl.Bunge,»JedesWortBrechtswirdenthaltensein!«(Anm.51);Seidel,BertoltBrecht−ArbeitsweiseundEdition(Anm.55),118.

61 Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg(Anm.19).

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dasweitausmeistevonBrecht(&Co.)Geschriebenewirdniegenaudatierbarsein; Dokumentenfolgen und Entstehungsgeschichten sind selten exakt,manchmalmehroderwenigerplausibelundoftauchgarnichtzu(re)konstru­ieren;vielesgehörtneben­undnacheinanderzumehrerenKomplexenundProjekten,derensichüberlappende,verzahnendeoderausfransendeGrenzenoftunklarsind;anderesist›freischwebendes‹Einzelstück,dashierunddortoderauch nirgends einzuordnen ist;62 Probleme, die Brechts prekäre Autorschaftund Nicht­Autorisierung der Texte stellen, müssen offen bleiben. Auch dasGrundprinzipeiner›klassischen‹historisch­kritischenAusgabe:Zeit(Schreib­prozesse,Werkgenesen)aufRaum(Druckseiten)zuprojizieren,istbeiBrechtallzuoftnichtdurchführbar.WiederumschlägtQuantitätinQualitätum:AbeinerbestimmtenMengevonUnbekanntenwirddieRechnungunlösbar.

Wasaberdann?MachbarundunerläßlichisteinewissenschaftlichenMaßstäbenundAn­

forderungengenügendeBasis­Edition63.IhrerstesKriteriummußdiekategori­aleDifferenzvonveröffentlichtenTextenundnichtveröffentlichtemSchreiben,autorisierter und nichtautorisierter Produktion sein. Der Begriff ›Autorisa­tion‹wirdhier imgängigen juristischenSinnverstandenalsErteilungeinerZugangsberechtigungundFreigabeeinesTextesfürandere(Veröffentlichung),ÜbertragungvonRechtenanihmaufandere(Copyright),BeanspruchungvonRechtenanihmvonanderen(Autorenrechte)undöffentlicheÜbernahmevonVerantwortung für einen Text (Rechtsfähigkeit) − als ein zur NiederschrifthinzukommenderzusätzlicherAkt.64NachgelasseneDokumente65undauto­risierte Drucke sind zunächst getrennt für sich zu betrachten und nach jeanderen, jeangemessenenMethodenzubearbeiten.Erstdanachkönnensie

interpretierendwiederaufeinanderbezogen,nebeneinandergestelltundsyn­thetisiert werden. Grundsätzlich kann ein Nachlaßdokument nicht wie einautorisiertesWerkpubliziertwerden,weileskeinWerkist.

Eine Basis­Edition müßte weiterhin vollständig sein (das Problem derQuantitätlösen),authentisch(dieSchriftphänomenenichtredigieren),trans­parentundkontrollierbar(durchReproduktion66derDokumente),möglichsteinfachkonzipiert(leichtverstehbarundmitanderenAusgabenkompatibel),vomArkanwisseneinzelner(Sterblicher)unabhängigundmitallenweiterendenkbarenAusgaben(alsdereneditionslogischeGrundlage)kompatibel.Siedarfnichtaufvorgängigegenaue»Datierungen,Verifizierungenundgesicher­teInterpretationen«(Unseld,s. oben,29)angewiesensein,mußvielmehrauftechnischen Verfahren (Reproduktion, elektronische Erfassung), exaktemHandwerk(diplomatischerTranskription,BeschreibungderDokumente)undoffener Materialsammlung (pragmatischer, falsifizierbarer Kommentierung)beruhen.EinpaulinischerIdealismus,derglaubt,denGeisteinesWerkesvomzufälligen Buchstaben wie die Spreu vom Weizen trennen und das ›eigent­lich Gemeinte‹ identifizieren, konstituieren und standardisieren zu können,nimmtdemSchreibenBrechtsSinnundWesen.

Wie das Original in Kopien übergehen muß, um zu überleben, so mußauchdasHandschrift­Bildindasihrandere,inDruckschriftundTypographieübergehen, um auf Dauer lesbar zu bleiben. Nicht nur die Materialität desDokuments altert, auch die Verständlichkeit der Schrift nimmt ab. Schonheute ist Brechts deutsche Handschrift nicht mehr problemlos lesbar, undirgendwann wird Brechts Deutsch dem Leser so fremd sein wie uns heutedasAlthochdeutsche.AuchdaszumVerstehenunabdingbareKontextwissenverschwindetmitzunehmenderzeitlicherDistanzkontinuierlich,wennnichtgegengearbeitet wird. Mit einem noch so guten Faksimile ist die Original­schrift noch nicht ›gerettet‹; sie muß in eine für jedermann lesbare undjederzeit aktualisierbare Normschrift übersetzt werden. Schrift ist nur alsgelesene.Umabergelesenzuwerden,mußsielesbarsein:lesbargemachtundgehalten werden. Zur Transkription nötig ist umfassendes kodikologischesund historisches Rüstzeug − Schriftkenntnis, biographisches, literarisches,poetologisches und historisches Kontextwissen − und, nach Maßgabe

ArchivundEditionBrecht

62 DieüblicheneditorischenEtikettendafür−›Bruchstücke‹,›Fragmente‹,›Paralipomena‹,›Späne‹,›Splitter‹etc.−zeigeninihrerVielheit,VagheitundMetaphoriknichtnurdieRatlosigkeit,sondernauchdasdahinterstehendeje­weiligeWerk­IdealderHerausgeber,dasanNicht­Werken(wiedemGroßteilvonBrechtsNachlaß)notwendigscheiternmuß.

63 Vgl.dazunäherPeterVillwock,Prole­gomenazueinerkritischenAusgabederNotizbücherBertoltBrechts,in:editio23(2009),71­108,hier88­108.

64 DieinderEditionswissenschaftverbrei­teteAusdehnungderBegriffsbedeutungauchaufdenAktderNiederschriftselbst(›autorisiertistallesvomAutorGeschriebene‹)istsprachlich(dieEn­dung›­ation‹bezeichneteineTätigkeit,diehieraberschonimSchreibenselbstliegt)undlogischfalsch(tautologisch),

sieverwischt,woraufesgeradean­kommt(denSchrittvonderPrivatsachezurVeröffentlichung,vonderEigen­händigkeitzurAushändigung)und

wirdäquivok(vermischt›autograph‹und›autorisiert‹).

65 DerarchivischeTerminus›Dokument‹wirdhierbevorzugtgegenüberdenedi­torischgängigenBegriffen›Textzeuge‹oder›Textträger‹;dererstestammtausderaltgermanistischenEditorikdes19.JahrhundertsundwirdunterdenBedingungenderneuerenLiteratur(wonichteinverlorener›Archetypus‹ersatz­weisebezeugtwerdenmuß,sonderndasOriginalfaktischvorliegt)sinnlosoder(alsBezeugungeines›idealenTextes‹)metaphysisch;aberauchderzweiteim­pliziertmitseinemBezugauf›Text‹nochzuvielbeiBefunden,deren›Text‹StatusinjedemFallerstzuklärenwäre.

66 InvorliegenderAusgabewirddurch­gängigderBegriff›Reproduktion‹demder›Faksimilierung‹vorgezogen.LetztererbleibttatsächlichenFaksimile­AusgabenwiedervonBrechtsTagebuchNo.10/1913(s.Anm.15)vorbehalten,diesichihremOriginalauchinFarbe,Papier,FormatundäußererErscheinungmöglichstanähneln(Ideal:Duplikat).−

Reproduktionenhabenheutenichtmehr

denRuchdesGeschmäcklerischen,Unnötigen,Luxuriösen,derFaksimilesleichtanhaftet.WeltweitarbeitenArchiveohnehinandervollständigenReproduzierung(auch:Digitalisierung)ihrerBestände;liegenaberReproduktio­nenvor,bestehtkeinGrund,sienichtauch,angemessenediert,zugänglichzumachen.

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des Möglichen, bestmögliche technische Mittel, d. h. heute vor allem dieelektronischeDatenverarbeitung.67DieTranskriptionmußamOriginalund(komplementär)anderdigitalenReproduktionerfolgen.

SowenigwiederidealeTextvonseinerMaterialität,sowenigistdertypo­odermanuskriptlicheBefundvonseinerDeutungeinfachabgrenzbar. Jedernoch so objektive Befund ist immer schon von einem Subjekt ›befunden‹:wahrgenommen,beurteilt,gedeutet,gelesen.WennHertaRamthun68undmitihrBFA10,660anderobenzitiertenStellezuEisbrecherKrassin(vgl.Anm.32)lesen:»nehmtaucheinenkimonomit«,somagdasaufeinerNordpolfahrtundRettungsexpeditiondeutlichwenigerSinnhabenalsdieMitnahmeeines›Kinomannes‹; der bloße graphische Befund läßt eine solche Lesart aberals durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlicher erscheinen. Um zumöglichst guten Befunden zu kommen, müssen alle möglichen Deutungenerwogen und alle verfügbaren Informationen integriert werden. AbstrakterPositivismusundeinsinnigeInduktionscheiternanderFaktizitätdesMaterialsundamFaktumdesLesens.69KeinBefundistandersalsimDurchgangdurchimmererneuteDeutungzustellen:imhermeneutischenZirkel.DiegemeinhinimpliziteninterpretatorischenOperationensollten,soweitmöglichundzweck­mäßig, transparent und explizit gemacht werden: in einem Kommentar,derdemnachwesentlichundzentral, alsonichtbloßals zusätzlicheOptionnachdem›Baukastenprinzip‹zurEditiongehört.BefundundDeutung,Tran­skriptionundKommentarmüssenfürimmererneuteDurchgängeundVer­besserungenoffenbleiben.

Prinzip einer solchen Edition muß sein, so wenig Voraussetzungen wiemöglichzumachen,abernichtwenigeralsnotwendig.AngesichtsdesBrecht­Bestandeswürdeeineherkömmlichehistorisch­kritischeAusgabezuvielprä­judizieren:Siezwängedazu,dasNicht­Eindeutigezuvereindeutigenoderzu­

mindest eindeutig zuzuordnen − zu Text oder Variante, Text oder Apparat,sichereroderunsichererLesart,dieseroder jenerPosition ineinerWerkge­schichte oder einem Produktionszusammenhang, diesem oder jenem oder(ebensoeindeutig)keinemProjektoderWerk.DemgegenüberkanneinevomMaterialherbegründete,aufReproduktion,Deskription,TranskriptionundKommentarberuhendeEdition (die indiesenBereichennatürlichdurchausmaximale Anforderungen an sich stellen muß) das Sichere mit Sicherheitkonstatieren,dasUnsichereimUnsicherenbelassenunddieUnterscheidungzwischenbeidemjedemdurchsichtigundnachvollziehbarmachen.Nureinesolcheöffnendestattabschließende,vonzuweitreichendenOrdnungszwän­gen freie Ausgabe kommt als Gesamt­ und Grundlagenedition Brechts inFrage.

Um der Dialektik des Brecht­Bestands gerecht werden zu können, mußderAnsatzeinersolchenAusgabeselbstdialektischoder›bipolar‹sein:stabilundoffen,definitivunddynamisch.DiesgiltzunächstfürdieSystematik.Siebesteht regelmäßig aus drei Koordinaten: der chronologischen Einordnungeines Elements in eine Textentwicklung, der systematischen Zuordnung zueinerGattung,einemProjektoderWerkkomplexundderdokumentarischenIdentifizierung durch eine Verzeichnungsnummer − Zeit­, Arbeits­ und Ar­chivkontext. Definitiv kann dabei nur die Archivsignatur sein; zeitliche wiesystematische Einordnung sind dagegen meist nur hypothetisch möglich.EineEntscheidungfürnureinederKoordinatenistentwederunbefriedigend:DieSignaturfolgevermitteltfürdiemeistenLesernichtgenugan›relevanterInformation‹bzw.Ordnung,odersieistwillkürlich:ChronologiewieSystema­tik enthalten zu viel an Spekulation. Ein Mittelweg bzw. eine KombinationvonSystematikundChronologie(wiediesinallenbisherigenAusgabenver­sucht wurde) ist unzureichend, da auch hier zu viel hypothetisch bleibenmuß; statt sich zu reduzieren, potenzieren sich die Unsicherheiten häufig.Sinnvolldagegen ist einedreifache,gleichsamräumlicheBestimmung jedesDokuments,beiderdiechronologischenwiediesystematischenAngabenfürneue Erkenntnisse offen und auf Änderbarkeit hin angelegt, die Signaturen(Namen)derDokumentedagegenänderungsresistentseinmüssen.

DasführtzurFragedesgeeignetenEditionsmediums.AuchhierkanndieAntwortnichtinderEntscheidungfürdaseine,einzigwahreliegen,sondernnur im reflektierten komplementären Einsatz der je angemessenen Medien.UmschaltbarkeitderSystematikundÄnderbarkeitderAnordnungenistnurelektronischrealisierbar.DieelektronischeEditionwirdAusgangspunktundFundament jeder weiteren editorischen Tätigkeit sein. Das heißt nicht, daßmandamitschonamZielwäre.DerBuchdruckmitseinenunveränderlichenSeitenfälltnurscheinbarhinterdasvariabledigitaleMediumzurück.ErmußsichzwarfüreinederdreiKoordinatenodereineKombinationvonChrono­logieundSystematikentscheiden−undistdabeizuhöheremintellektuellemAufwandanReflexion,Kombination,InterpretationundRecherchegezwun­gen.DieserkommtdannaberauchdemLeserzugute.Zudemistdasaufge­

ArchivundEditionBrecht

67 DabeiwirdesinderRegelbleiben.DiedurchausmöglicheAnwendungforensischerMittelwieMikroskopie,Lichtfilter(Polarisationsfilteretc.),Beleuchtungsarten(Durchlicht,Streiflichtetc.),Lichtarten(UV­oderInfrarotlichtetc.),elektrostatischeOberflächenabbildungen,chemischeAnalysenetc.wirdmeistzuwenigzusätzlichenErkenntnisgewinnimVergleichzumAufwandversprechen.

68 InihrerimBertolt­Brecht­ArchivliegendenArbeitstranskriptionderManuskripteundhandschriftlichenEin­tragungenBrechts;aufdieserberuhen,obsiedasangebenodernicht,mehroderwenigeralleAusgabenvonBrechtshandschriftlichenTexten.

69 LesenistimmerAblesenundHineinle­senzugleich.EinMolekularbiologewirdunter›genetischenZusammenhängenbeiBrecht‹etwasganzanderesverste­henalseinEditionswissenschaftler,undbeidemRatschlag,Fremdwörter›inMassen‹zuverwenden,verstehtmaninDeutschlanddasGegenteilwieinderSchweiz,woderGraph›ß‹nichtexistiertundmit›ss‹wiedergegebenwird:ManliesteinenanderenText.ZuberücksichtigenistauchdasPhänomendesassimilativen(›natürlichen‹)Lesens,dessen›Emendationsautomatismus‹auchbeimapperzeptivenLesennieganzauszuschaltenist.

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schlageneBuchmitseinenDoppelseitenfürdasgleichzeitigeNebeneinandervon Reproduktion und Transkription noch immer das ideale Medium. EinBuchenthältnichtweniger,sondernandereInformationenalseineDVDoderonline­Edition,ganzabgesehenvonunüberholbarenVorteilenwieUbiquität,Geräte­, hardware­ und software­Unabhängigkeit, langfristiger Haltbarkeit,Stabilität der internen Struktur, Originalnähe und Leserfreundlichkeit. Jenach Teilbestand sind reine Druckausgaben, bloß elektronische Editionenoder,meistwohlambesten,Kombinationenbeider(Hybrid­Ausgaben)ange­messen.

VondiesemaufquantitativeErweiterungundqualitativeVerdichtunghinangelegten Fundament ausgehend wird ein breites Spektrum von Ausgabenmöglich,derenAusarbeitungsgradvariabelseinwird.StattderMaximallösungeinerdemAnspruchnachdefinitivenhistorisch­kritischenGesamtausgabeistesvorerstundinAnbetrachtderEigenartdesBrechtschenWerkswohlauchüberhauptsinnvoller, jenachArtdesTeilbestandes,Leserinteressen,Bedeu­tungderTexteundMachbarkeitverschiedenweitausgearbeitete ›regionale‹Editionenz. B.alskritischeoderhistorisch­kritischeTeilausgabe,dossiergé­né­­tiqueoderReproduktions­Editionzuerarbeiten.Dabeiwirdnatürlichimmerauf Rückbindung an die Dokumente und Kompatibilität mit allen anderenzuachtensein.Wenn,wieheute,diezufälligekulturpolitischeLagezuklein­räumigenAnsätzenundLösungenzwingt,solltendiesezumindesttechnischundmethodischweiträumigangelegtundinverschiedeneZusammenhängeintegrierbarunderweiterbarsind.

ErstwenneinesolcheBasis­Ausgabevorliegt,wirdnichtmehrjedeInter­pretationvonNachlaßdokumentenGefahrlaufen,ungewollteineLuftnummerüberTexten,dieBrechtniegeschriebenhat,zusein;erstdannwirddieBrecht­PhilologieaußerhalbdesArchivswirklichwissenschaftlichwerdenkönnen.

Grundsätze

KleineMethoden EswerdenWertegefragt:IchhabedenSinnfürWerte,ErbteilvomVaterher.AberichhabeauchEmpfindungdafürdaßmanvomBegriffWertganzabsehenkann(Baal)

(NB4,42v)

(1)ObeineBasis­AusgabeeinesNachlassesoderGesamtwerkserstelltwerdenkannundsoll,hängtvonseinerBedeutungab;dieseisteinehistorischeBewer­tungundZuschreibung.−KeineEditionohneEvaluation.(2)SolldieAusgabelangfristighaltbarundnutzbarsein,mußsiewissenschaft­lichsein:offen,wertfrei,rational,rationell,systematischundsachgemäß.−Me­thodischerGrundsatz:sowenigwiemöglich,sovielwienötig.(3)AutorisiertePublikationenmüssenvonnichtautorisiertemNachlaßunter­schieden und beides je spezifisch behandelt werden. − Gleiches gleich, Un­gleichesungleich.(4) Wie die autorisierten Drucke zu Lebzeiten muß auch der Nachlaß (dasArchiv)vollständigzugänglichgemachtwerden,egaloberautographoderallo­graph,gestrichenoderreinschriftlichvorliegt,obereinem›Werk‹zuzuordnenodernicht,›wichtig‹odernichtist.−Auswahl(Zensur)findetnichtstatt.(5)NichtautorisierteDokumenteenthaltenkeineWerkeoderveröffentlichteTexte, sondern Aufzeichnungen, Eintragungen, Konzepte, Entwürfe, Stich­worte,Skizzen,Abschriften.AnStellederKonstitutioneinesmöglichstgutenTextesmußdiemöglichstguteReproduktiondesDokumentstreten:sooriginal­nah (authentisch), informativunddeutlichwiemöglich.−KeinDokumentohneReproduktion.(6)ZurErschließungdesDokumentsmüssenTranskription,BeschreibungundKommentar neben die Reproduktion treten. Dabei sind Reproduktion undBeschreibung(möglichst)langfristiginvariant,TranskriptionundKommentargrundsätzlichoffen(modifizierbar).(7)DieTranskriptionmußpragmatischdiplomatisch­topographischsein.Sieistfakultativ(LesevorschlagundLesehilfe,nichtgenetischeAnalyseoderText­konstitution),übersetzend(auseinemBildineinnormiertes,durchsuchbaresZeichensystem)undoffen(korrigierbar).−KeineReproduktionohneTran­skription.(8) Die Beschreibung ist eine wissenschaftliche, zur Reproduktion komple­mentäre›Sicherungskopie‹derOriginaleinWorten.SiemachtdieDokumentenachbestimmten,begründetausgewähltenHinsichtenvergleich­undsyste­matisierbar.−KeineReproduktionohneBeschreibung.(9) Der Kommentar muß alles zu einem bestimmten Zeitpunkt Verfügbareoffenlegen,waszurbestmöglichenLektürenötig istoderbeitragenkann:er

ArchivundEditionBrecht

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muß Kommentarmaterial und Dokumente zuordnen, gewichten, bewerten,vernetzen,undermußoffenfürKorrekturenundErgänzungensein.−KeineTranskriptionohneKommentar.(10) Instrument der Herstellung ist die digitale Elektronik (Scanner, Digital­kamera,Computer).(11) Medien der Publikation sind, ggf. nach regionaler Zweckmäßigkeit ver­schiedengewichtet,komplementärdieElektronik (CD,DVD, Internet)und(nicht:oder)derBuchdruck.(12)VondieserAusgabeausgehendkönnenTextekonstiuiertwerden:durchjeden individuellen Leser für sich oder durch weitere (kritische, historisch­kritische, Studien­, Lese­)Ausgaben für andere. Die Verantwortung für dieHerstellungeines linearen(zitierbaren)TexthatderLeserbzw.derHeraus­gebereinersolchenanderenAusgabe.(13)EineBasis­Ausgabevollziehtwissenschaftlichundmachtexplizit,wasan­dereAusgaben(mehroderwenigergut)stillschweigendleistenundvoraus­setzen.AlsBedingungderMöglichkeitandererAusgabensolltesieihnenauchfaktischvorausgehen.

Brecht

Die Notizbücher

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WasdieWissenschaftlichkeiteinerAusgabebetrifft,soistihreallgemeineFormwohlunbestritten.WieaberihrejeweiligeAngemessenheitanihrenGegen­stand aussehen soll, ist keineswegs von vornherein klar, und eine Ausgabe,an der man sich orientieren könnte, liegt nicht vor. Die Sache muß erst inihrer Eigenart verstanden sein, bevor eine sachgerechte Ausgabe konzipiertwerdenkann.BetrachtenwiralsodieNotizbücherBrechts,bevorwirdarausdie konkreten Editionskriterien entwickeln. Zugleich werden dadurch dievorangestelltenGrundsätzeplausiblerwerden.

EineEditionderNotizbücherBrechtsistausmehrerenGründenbesondersgeeignet,zumerstenBausteineinerspätermehroderallesumfassendenBasis­Editionzuwerden.BrechtführteseingesamtesliterarischesLebenhindurchNotizbücheralsIdeenspeicherundtransportablesSchreiblabormitsich;dievon1918bis1956reichendeFolgeder54erhaltenenNotizbücher,imArbeits­prozeßidealtypischanersterStellestehend,zeigenohnegrößereLückendieEntwicklungenundKontinuitätenseinerThemenundArbeitstechniken,dieZusammenhänge,OrdnungundChaotikseinesSchreibens:Brechtinnuce.EshandeltsichausschließlichundeindeutigumnichtautorisierteManuskripte:einindieserHinsicht›einfacher‹Fall.70DerBestandistvergleichsweisegutvonanderenDokumentenabgrenzbar,daernichtausarchivischenKonvoluten,sondernausphysischenObjektenbesteht.Eristpragmatischvoneinemein­zelnenHerausgeberzubewältigen.WasTranskriptionundKommentierungbetrifft, ist er der schwierigste Teilbestand in Brechts Nachlaß: die dicksteStelle,andermaneinBrettbekanntlichbohrensoll.UndnichtzuletztistdieEditionderNotizbüchereinseitlangemangemahntesDesideratderBrecht­Forschung.

NunsindNotateperdefinitionemvorübergehend,aufÜberholbarkeitundÜberholtwerden angelegt. Dem entspricht bei Brecht nicht nur ihr Stil undDuktus,sondernschonihreMaterialität.NebenundvordemzuerwartendenErkenntnisgewinnliegthierindieNotwendigkeiteinerNotizbuch­Editionbe­gründet.EshandeltsichmeistumwenigbeständigeBleistifteintragungen,diesich abreiben und verblassen, auf wenig haltbarem Papier, das vergilbt und

70 KeineswegseinfachbeiseitezuwischensindgrundsätzlicheethischeBedenkenüberdieIndiskretionunddenVerrat,derinderPublikationprivaterDoku­mente(Arbeitspapiere,Tagebücher,Briefeetc.)liegt,auchwennesdievon›PersonenöffentlichenInteresses‹sind.Daskannhiernichtdiskutiertwerden.DaßimindividuellenFallBrechtsdieLagewenigerproblematischalsbeian­derenist,liegtnichtanseinereigenenGeringschätzungvon›Privatangelegen­heiten‹(dieseinePrivatmeinungist,die

manjanichtteilenundzumSittengesetzerklärenmuß),sondernimFaktumseinerSelbstarchivierung­für­andere.Ergingimmerdavonaus,daßseinNachlaßvonfremdenAugengesehenwerdenwürde,alsoeigentlichgarnichtprivatsei.AlsderJournalistRolfNürnbergum1930dieTelefonnummervonBrechtsLieblingsfeindAlfredKerrinBrechtsAdreßbuch(AB1)eintrug,ergänzteBrecht:»<AutorobigernotizR.nürnberg\notizfürNachlaßverwalter!>«.

DieNotizbücher

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zerfällt.DieDokumentesindnichtnurinihremInformationsgehalt,sondernauch in ihrer physischen Existenz bedroht und müssen dringend gesichertwerden−ambesten,indemArchivundEditionbewußtundkontrolliertHandinHandarbeiten.

DieeditorischenVorarbeiten insbesonderedesBBA(HansBunge,Elisa­bethHauptmann,HertaRamthun,GerhardSeidelu. a.)undderBFA(WernerHecht,JanKnopf,WernerMittenzwei,Klaus­DetlefMülleru. a.)werdenüber­all dankbar verwendet, ohne dies im einzelnen ausweisen zu können. AufQuerverweise zur BFA als der zur Zeit maßgeblichen Ausgabe wurde aberbesondererWertgelegt.

Bestand

tatsächlichkannmansicheinetotalitätnurbauen,machen,zusammenstellenundmansolltedasinalleroffenheittun,abernacheinemplanundzueinembestimmtenzweck.

(NB31,3r)

DieersteFrage,diesichbeieinemsogroßenundheterogenenNachlaßwiedem Brechts stellt, ist die nach der klaren Identifizierung und AbgrenzungdesMaterials.Wasgehörtdazu,wasnicht?FürdieNotizbücherläßtsiesichanhanddreierKriterienausreichendklarbeantworten:einemmaterialen(1),einemfunktionalen(2)undeinemskripturalen(3).

(1)AlsNotizbuchsollzunächstundvorallemgelten,wasalsBlock,Heftoder Büchlein erhalten ist: als Dokument, dessen Blattfolge durch BindungoderHeftungeindeutigfeststeht.DazugehörennebendenvollständigenNo­tizbüchernauchgebundeneodergehefteteLagenoderKonvoluteohneUm­schlag.BrechtgingsehrzupackendmitseinemArbeitsmaterialum,rißnichtnur einzelne Blätter aus seinen Notizbüchern heraus, sondern zerteilte siemanchmalauch ineinzelneLagen.Diesewerden,sowiesiesich imArchivfinden,separatalsNotizbuchgezähltundwiedergegeben,solangesienochalsphysischeEinheitverbundenvorliegen.

DieNotizbüchersindäußerlichsehruneinheitlich.EsgibtsieinderGrößeeinerZigarettenschachtelundinungefähremA4­Format,mitUmschlägen(wonochvorhanden)ausLeder,Pappe,KunststoffoderLeinen,fadengebunden,geheftetodergenietet,alshandgefertigteUnikateausdemengstenpersönlichenUmfeldoderalsindustrielleMassenfabrikate.IhrPapierkannfest,rauh,glatt,holzhaltigoderdünn,jafasttransparentsein,undBrechtschriebdaraufmitKopier­,Blei­undBuntstiften,TinteoderKugelschreiberinschwarz,braun,grau,blau,rot,rosa,meistineinerverschliffenendeutschen,oftaberauchineinerheuteüblicherenunddaherdemnachgeborenenLeserbesserzugäng­lichenlateinischenHandschriftoderinverschiedenenMischformen,verein­zeltauchstenographisch.

DerBestandläßtsichgrobundmiteinzelnenAusnahmenvieraufeinanderfolgendenGruppenzuordnen.Von1919bis1925benutzteBrecht(Schul­)Hefte,die er meist irgendwann auseinanderriß und auf verschiedene Arbeitskom­plexeverteilte.Diehomogenste,vonBrechtselbst(miteinerAusnahme)durch­gezählteGruppebildenneunschwarze,gebundeneEfalin­Büchlein,dieervon1926bis1931verwendete.Inden1930erJahrenbevorzugteerAbreißblöckemitvorperforiertenBlätternwiedie13rosafarbenengenietetenCelka­Blöcke,diedreiblauen,querformatigenPapp­Blöckeunddiezweibraunen,gebundenenPapp­Hefte.Abetwa1940findensichschließlichüberwiegendkleinformatigeEinzelstücke,diemindestenszumTeilwohlHeleneWeigelherstellte.

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71 DasersteerhalteneTagebuchBrechtsistalsFaksimileediert:TagebuchNo.10/1913(vgl.Anm.15).Dieses(Besitzer:Suhrkamp­Verlag)undvierweiterehandschriftlicheTagebücher−BBA802(alteArchivbenennung:»Notizbuch3«):15.Junibis30.September1920;BBA803(alteArchivbenennung:»Notizbuch4«):25.Maibis19.September1921;BBA1327:27.September1921bis16.Februar1922sowiedasinPrivatbesitz(HanneHiob)befindlichevom9.Februarbis22.Mai1921−sindinBFA26,121­272weitgehendvollständigundohnegrobverfälschendeEingriffeabgedruckt.

72 Soz.B.BBA455mitdemTiteletikett»Prärie\OpernachHamsun\3/10/19«,dasdiezusammenhängendevollständigeReinschrifteinesLibrettosenthältund

zukeinemZeitpunktalsNotizbuchver­wendetwurde.WasPräriebetrifft,folgtdieBFAstrengerenKriterienalsüberallsonst:»DerAbdruckübernimmtdenZeilenfallderTextgrundlage;auchGroß­undKleinschreibungamZeilenanfangunddieZeichensetzungamZeilenendefolgendemhandschriftlichenOriginal.«(BFA1,583).

73 AB1(BBA1844)undAB2(BBA1846).DieDatierungistnureinRichtwert,BrechtbenutztebeideBücherüberlän­gereZeit.

74 DieJournale(vgl.BFA26,309­486,BFA27,7­350)unterscheidensichdurchSchreibgerät,Papier,Layout,Datierung,DuktusundZielgruppe(esistpubli­kums­,nichtautororientiert)eindeutigvondenNotizbüchern.

(2)NebenderphysischenBeschaffenheitdesTextträgersbietetseineVer­wendung für Notizen ein unterscheidendes Merkmal, also für heterogene,voneinander abgrenzbare und in verschiedenen Zusammenhängen (in ver­schiedenen Projekt­Kontexten, zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenenOrten)eingetrageneAufzeichnungen.NichtalsNotizbüchergeltensomitdiehandschriftlichmeistin(Schul­)HeftengeführtenfrühenTagebücher.Äußer­lichdenNotizbüchernähnlichundarchivalischursprünglichteilweisezudie­sen gezählt, bilden sie doch eine klar abgrenzbare Dokumentengruppe, diehiernicht inBetrachtkommt.71EbenfallsnichtaufgenommenwerdenHeftemit Abschriften oder Reinschriften.72 Diese Textträger sind zudem in derBFArechtvollständigunddeutlichangemesseneralsdieNotizbuch­Auszügepubliziert.DiebeidenerhaltenenAdreßbüchervon1930und1950gehörenimengerenSinnnichtzumBestandderNotizbücher,werdenwegenihrerengenVerbindungzuihnenabermitindieEditionaufgenommen.73

(3) Schließlich zeichnen sich die Notizbücher und ­blätter durch ihreHandschriftlichkeitaus.NotizbücherlassensichnichtineineSchreibmaschi­nespannen,weshalbTyposkripte,alsoca.90%desBrecht­Nachlassesaprioriausgeschlossenwerdenkönnen.SolassensichaucheinzelneNotizbuchblätterproblemlosbeispielsweisevondenEinzelblätternderJournaleunterscheiden,dieBrechtab1938mitderMaschineführte.74

BeiGrenzfällen,dieauchbeidiesemrechttrennscharfenBestimmungsrasterauftreten,wirdgroßzügigverfahren.AusgangspunktistnichteinevorgängigetabliertenormativeTextsorten­oderGattungstheorie, indie jedesElementeindeutigunddefinitiveinzuordnenwäre;damitkämemanbeiBrechtzukei­nemEndeundzukeinemAnfang.Verfahrenwirdvielmehrpragmatischkasu­istisch.DaseinzelneDokument,nichtdieTypologiestehtimVordergrund.So

75 NB1enthältlauthandschriftlicherTitelei»LiederzurKlampfevonBertBrechtundseinenFreunden«,allerdingsamEndeauchbloßeTitelnotizen,flüchtighingeworfeneVerse,NotenskizzenundAusgabenliste.NB3enthältzweiunvoll­ständige,quasi­reinschriftlichePassagenzuBrechtsfrühemGasgarott­Projekt.DieEintragungensindweitmehralsimäußerlichähnlichenHeft»Prärie\OpernachHamsun«überarbeitet,deutlich

›unfertig‹undfragmentarisch.ZudembelegteinevonGasgarottwohlvölligunabhängigeNotenskizzedieteilweiseUmfunktionierungdesTextträgerszumgenuinenNotizbuch.

76 NB52istarchivischalsAdreßbuchdefiniertundzwischenAB1undAB2eingeordnet(BBA1845).

77 Vgl.z.B.dieausNB24herausgerissenen,zurEintragungaufBl.72r.1­2gehörigenBlätterBBA10440/161und152.

werdenzweifrüheHefteaufgenommen,obwohlsieweitgehend(aberebennichtganz)Reinschriftcharaktertragen(unddamitwährendihrerVerwendungszeitfastdurchgängigdieFunktionhaben,dieinBrechtsProduktionsprozeßspätermaschinenschriftlicheAbschriftenübernehmen),75undebensoeinAdreßbuchausspätererZeit,dasauchalsNotizbuchverwendetwurde.76

AuchdieimganzenNachlaßverstreutenEinzelblätter,derenHerkunftausNotizbüchernsichanhanddesmaterialenBefundes(Rißkanten,Papier,For­mat,Schreibmitteletc.)eindeutigfeststellenläßt,sollengesammeltwerdenundim letzten Band der vorliegenden Edition erscheinen. Wo möglich, werdensiedemNotizbuch,ausdemsiestammen,zugeordnet.Zuhoffenist,daßsoamEnde,jenachEinzelfallmitunterschiedlichemGradanSicherheitundfürweitere Spezifizierung offen bleibend, die Ausgangs­Kontexte rekonstruiertwerden können.77 Eine Wiederherstellung der vollständigen ursprünglichenNotizbücherwirdabernichtangestrebt.

ZusätzlichzudenNotizbüchernunddenEinzelblätternausihnenwerdenelektronisch weitere Dokumente (hand­ oder maschinenschriftliche Einzel­blätter oder im Nachlaß befindliche Quellen) erfaßt, die in Verbindungmit Notizbuchaufzeichnungen stehen und zu ihrer Kommentierung not­wendig oder aufschlußreich sind. Sie werden philologisch­methodisch wiedie Notizbücher behandelt und mit diesen und untereinander verknüpft.AngesichtsdesBestandsumfangssindbeiihrerAuswahlengeMaßstäbeanzu­legen.Vollständigkeitistnichterreichbar,Abgrenzungskriteriensindallenfallsvorläufig, pragmatisch und ›schwach‹ zu formulieren (näheres dazu unten,100­102).

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78 EswerdensämtlichevorhandenenZäh­lungenaufgenommen,auchdieüberhol­ten,dajedezuihrerZeitausbestimmtenGründenerfolgteundalsoInformationenenthält,diez. T.nocherschließbarsindunddaseinzelneDokumentinseinemProduktions­undArchivierungskontextggf.besserverständlichmachenkann;vgl.genauerunten,72­74.−DieBandundNotizbuchzählunglinksbeziehtsichaufvorliegendeAusgabe.DieÜbereinstim­mungmitderaltenBBA­Benennungbei

NB18­24istzufällig.DasnachBrechtsZählungzwischenNB22und23fehlendeNotizbuchistnichterhaltenbzw.vonihminEinzelblätteraufgelöstworden.WarumalleCelka­Blöcke(s.oben,41)zunächstdenSignatur­Stempel»309«erhielten(vgl.NB31­45),läßtsichnichtmehrfeststel­len;offenbarwurdehiereinezunächsthergestellteSystematisierungwiederrückgängiggemachtunddieDokumentewiederinihrenursprünglichenKontexteingeordnet.

Übersicht78

Bd. NB Verwendung Brecht- alte BBA- neue BBA- BV- ca. Zählungen Benennung Signatur Nummer

1 1 1918 Notizbuch1 10800 17477 2 1919 alteNotizbücher­E­ 10438 17340 3 1920 Notizbuch 11087 17343

2 4 1920 Notizbuch14 10813 17341 5 1920 NotizbuchBrechts1920 11504/36­49 17342 6 1920 Notizbuch2 10801 13127 7 1920 NotizbuchBrechts1920 11504/4­32 17342 8 1920 DieFleischbarke 10364 17344

3 9 1921 alteNotizbücher­B­ 10435 17345 10 1921 alteNotizbücher­H­ 10450/1­21 17346 11 1921 alteNotizbücher­H­ 10450/22­33 17346 12 1921 alteNotizbücher­D­ 10437 17347

4 13 1922 alteNotizbücher­C­ 10436/1­52 17348 14 1922 alteNotizbücher­C­ 10436/53­64 17348 15 1922­23 Notizbuch 11086 17349 16 1924­25 loseBlätter­3­ 10461/1­33 17350

5 17 1926 alteNotizbücher­H­ 10450/34­44 17351 18 1926 1 Notizbuch18 10817 17352 19 1926 2 Notizbuch19 10818 17353 20 1926 3 Notizbuch20 10819 17354

6 21 1927­28 4 Notizbuch21 10820 17355 22 1927­29 5 Notizbuch22 10821 17356 23 1927 [3]7 Notizbuch23 10822 17357

7 24 1927­29 [1]8 Notizbuch24 10823 17358 25 1929­30 9 Werkenntwen 10363/1­94 17359

Bd. NB Verwendung Brecht- alte BBA- neue BBA- BV- ca. Zählungen Benennung Signatur Nummer

8 26 1928­30 Notizbuch5 10804 17360 27 1929­30 1 Notizbuch17 10816 17361 28 1930 2 alteNotizbücher­A­ 10434 17362 29 1930 Heft1 Notizbuch27 10826 17363 30 1930­31 Heft2 Notizbuch28 10827/1­56 17364

9 31 1931­32 1 Notizbuch16 [309]10815 17365 32 1931­37 2 Notizbuch11 [309]10810 17379 33 1931­33 5 Notizbuch5 [309]10107 17366 34 1931 2.MappeBerlau 10167/15­27 17365 35 1931­32 Notizbuch25 10824 17367

10 36 1932 Notizbuch6 [309]10805/44­76 17369 37 1933 Notizbuch8 [309]10807 17370 38 1933 Notizbuch10 [309]10809 17371 39 1933 Notizbuch7 [309]10806 17372 40 1933­34 Notizbuch12 [309]10811 17374 41 1933­35 Notizbuch9 [309]10808/1­24 17375 42 1934­35 Notizbuchdän.Emigration [309]11284 17373 43 1935­38 Notizbuch6 [309]10805/1­39 17380 44 1937 Notizbuch28 10827/57­118 17377 45 1937­38 Notizbuch9 [309]10808/25­36 17378

11 46 1940­41 Werkenntwen 10363/103­121 17381 47 1941 TagebücherBeilagen 10286/45­135 17382 48 1947­48 NotizenMappeBerlau 11195/26­61 17383 49 1948­49 Notizbuch13 10812 17384

12 50 1948­49 Notizbuch26 10825 17385 51 1948­50 Notizbuch15 10814 17386 52 1949­50 Adressen−Notizen 11845 18584 53 1950 (inPrivatbesitz) 54 1953 Tagebuchnotizenund 11084/5­24 17387 Notizblock

DiebeidenerhaltenenAdreßbücherBrechtswerdeninvorliegendeNotizbuch­Editionmitaufgenommen,dasiezurKommentierungunerläßlichsindundumgekehrtdieNotizbücherselbstoftAdreßbuch­Funktionübernehmen(vgl.vorallemNB52):

13 AB1 1930 Adressen−Notizen 1844 18353 AB2 1949­56 Adressen−Notizen 1846 18592

HinzukommenschließlichdieausNotizbüchernherausgerissenenundver­streutimgesamtenNachlaßüberliefertenBlätter:

14 Einzelblätter

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79 ZurProblematikallgemeinvgl.Villwock,Paralipomena(Anm.63),91.

Brecht ordnete seine Notizbücher (oder Lagen oder Einzelblätter) je nachProjektundArbeitssituationverschiedenen,ggf.auchwechselndenWerkkon­voluten zu. Zu diesen bewußten Ent­ und Umkontextualisierungen kamenhäufigefreiwilligeunderzwungeneUmzüge,dieauchdiesetransitivenOrd­nungenwiederdurcheinanderbrachten.EntgegenwirkensollteneinzelneSy­stematisierungsversuchedurchNumerierungoderZusammenstellungderNo­tizbücher, die Brecht selbst oder andere in seinem Auftrag verschiedentlichunternahmen.SiegelangtenjedochnieüberAnsätzehinausunderfaßtenniealle inFragekommendenDokumente. ImErgebnis führtedieszur jetzigenSituation imBertolt­Brecht­Archiv:VollständigeHefteundBlöcke,einzelneodermehrereLagenundloseBlätteroderBlatteilesind–teilszufällig, teilsgezieltinbestimmteZusammenhängeintegriert–überdengesamtenBestandverstreut.IhreOrdnungoderUnordnungentsprichtgrundsätzlichderjenigen,die bei Brechts Tod in seiner Wohnung herrschte. So kann man sich zwarim großen Ganzen darauf verlassen, daß benachbarte BBA­Signaturen aufbenachbarte Standorte in Brechts ›Arbeitsarchiv‹ schließen lassen, leiderabernichtinjedemFall,dennteilweisewurdeauchspäternochdieOrdnung›verbessert‹,ohnedaßdiesheutenochrekonstruierbarwäre(vgl.oben,22f.).

DasErgebnisist:InkeinemeinzelnenFallmehristderoriginaleKontextganzsicherfeststellbar.ZudemsinddieKontexteundOrdnungenderNotiz­bücher,wiesieBrechthinterlassenbzw.wiesieimBBAarchiviertsind,meistwenig aussagekräftig. Deshalb hat sich der Herausgeber entschlossen, dieNotizbücher chronologisch anzuordnen und durchzuzählen. Brechts Notiz­bucheintragungensindallerdingsniedatiertundauchindirektmeistnurun­gefährdatierbar;außerdembenutzteeroftmehrereNotizbücherparalleloderalternierend,sodaßletzteSicherheit inderzeitlichenFolgenichtzugewin­nenist.AndererseitsmußaberjedesDokumentvonAnfangeinerEditionaneinensicheren,eindeutigenundeinfachenNamenhaben,mitdemmansichaufesbeziehenkann.DieChronologieisthierdasplausibelste,informativsteund am ehesten realisierbare Ordnungskriterium. Nicht auszuschließen istfreilich, daß noch weitere Notizbücher auftauchen werden. Die im VorausfestgelegteNumerierungwürdedannallerdingsnichtmehrgeändertwerden;ggf.hinzukommendeDokumentewürdenalsNB55ff.gezählt.

Beispiele

diejungenleutesagen:soeinfachkannesnichtsein.aber:eskannnursoeinfachsein.

nurdietechnischkannkompliziertsein.

(NB24,53r)

DiespezifischenGegebenheitenundProblemederNotizbücherBrechtssei­en durch einige Beispiele veranschaulicht. Sie stammen allesamt aus demzuerstbearbeitetenBand7vorliegenderAusgabe(NB24undNB25),damitsievonAnfangannachvollzogenundkontrolliertwerdenkönnen.DerÜber­sichthalbersindsieauf fünfAspekteverteiltunddurchgezählt;siesindfürdieProblematikderNotizbücher, jadesNachlasses insgesamtrepräsentativ.Eswirdnichtunterschiedenzwischen(scheinbaren?)Quisquilienund(nachwelchenKriterien?) ›wichtigen‹Fällen.Philologischsindallegleichwichtig:Esistnievorherabsehbar,wasfüranderebedeutsamseinoderwerdenkann;selbsteinunfehlbarerHerausgeber­Papstistnichtallwissend.AusderMengederBeispielemagdeutlichwerden,daßessichnichtumEinzelfällehandelt,aus ihrer Art, daß sie adäquat kaum anders präsentiert werden können alsnachdemvorgeschlagenenModelleinerBasis­Edition.

Autorschaft

Eines der wenigen aus Brechts Poetologie und Arbeitsweise herrührendeneditorischenProbleme,diedieNotizbüchernnichtstellen,istdieUnterschei­dungeigenerundfremderHand;Eintragungenandererkommen(fast)nichtvor.Dasheißtabernur,daß(fast)immerdieHandBrechtsStift,FederoderKugelschreiber führte, keineswegs, daß die Autorschaft aller Eintragungenimmermit›BertoltBrecht‹zubestimmenist.79Allerleiistvielmehreindeutignicht ›geistiges Eigentum‹ des Autors. Es finden sich durch Schriftbild undDuktusalsMitschriftenkenntlicheNotizenwie(1)dieDiät­,Koch­undBade­vorschriften Johann Ludwig Schmitts in NB 25, 15v, 16v, 59r und 61r, (vgl.unten, Beispiele 28 und 29); Exzerpte und Abschriften wie (2) die aus demSteyr­BetriebshandbuchinNB24,81r;schulgerechteinemNamenzugewiesenewie(3)inNB25,77r:

DieNotizbücher Beispiele

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dermenschistdorteinunkraut<De Quinzey >

ausMöllervandenBrucksÜbersetzungvonThomasdeQuinceysBekennt­nisseneinesenglischenOpiumessersoderdurchAnführungszeichenmarkierteZitatewie(4)dasauseinemAuto­ProspektinNB24,43r.6­7:

„jedeshinterradschwingtgeteiltfürsich“

(5)UmgekehrtmußdiewieeinZitataussehendeEintragunginNB24,48r:

2die<amende?>ihregeschickevergleichen!

<sokratesnachderverurteilungSte.315>

keineswegswirklicheinZitatsein.Abgesehendavon,daßnichtsicherist,ob»Ste.«mit›Seite‹oder›Stephanus(­Zählung)‹aufzulösenist,findetsichindenSchriftenüber›SokratesnachderVerurteilung‹keineSzene,wozwei›ihreGe­schicke vergleichen‹. Es könnte sich auch um einen eigenen Szenenentwurfhandeln, fürdenderSokrates­VerweisnureineergänzendeLiteraturangabewäre.

Dagegen sind unmarkierte Zitate wie (6) in NB 24, 43r.10­14 (vgl. auchoben,Beispiel4):

3mlangerradstandklebtinderkurve

kurbelwelleist4×inhauptlagernaufkugellagernlaufend.

oftnurschwerodergarnichtzuidentifizierenoderabzugrenzen(diezweiteZeiledesZitatsbeispielsweiseisteineZugabeBrechts).DasgilterstrechtfürFälle, bei denen es sich um versteckte, ungefähre Zitate oder Erinnerungs­notizenhandeltwie(7)inNB25,65r.2­3:

dasrechtwirdabsterben<funktionsloswerden>

−einvermutlichüberKarlKorschundEugenPaschukanisaufKarlMarxzu­rückgehendes indirektesZitat.DanebengibtesmitAnführungszeichenGe­kennzeichneteswie(8)NB24,68r.10­11:

„dieliebeistaberdochdashöchsteaufderwelt“.

Hiermuß,solangeeinAutornichtnachgewiesenist,offenbleiben,obessichum zitierten Fremd­ oder ironisierenden Eigentext handelt. Schließlich das

weiteFeldderPlagiate,ParodienundBearbeitungenwie(9)dieGassenhauer­PersiflageinNB24,60r­61r,derenVorlagenurmitwechselnderPlausibilitätauszumachenistundderen›Brecht­Anteil‹schwankt.SostammtdieZeile

verlassenverlassen

zu100%ausdemKärntnerLiedop.4vonThomasKoschat;derKontextmachtsieaberauchzueinem(virtuellen)Brecht­›Text‹,selbstwenndieArtderin­tendiertenBearbeitungamWortlautüberhauptnochnichtdeutlichwird.

Eigen­oderFremdtext:dieseFrageläßtsichoftnichtmitJaoderNeinoderProzentangabenbeantworten,inkeinemTextBrechtsundamwenigstenindenprivatenNotizbüchern.SiesindimübrigennichtautorisiertundmüssenihreAutorschaftvorniemandemausweisen.WieüberallbeiBrecht,soistauchindenNotizbücherndieZuordnungvonGeschriebenemundAutornichtimmer,nichtgrundsätzlichundalsogrundsätzlichnichteindeutigmöglich.WosichEditionendurchdieWahleinerungeeignetenEditionsweiseindieZwangslagebringen,Texteklarzuordnenzumüssen(BrechtoderNicht­Brecht,Original­werkoderZitat,HaupttextoderApparat),ergebensichzwangsläufigLücken,FehleroderfauleKompromisse.(10)DieZeileninNB25,78r:

Jetzttrinkenwirnocheinsdanngehnwirnochnichtnachhausedrumtrinkenwirnocheinsdann

machenwirmaleinepause

sind ein ungefähres Zitat (aus dem Gedächtnis) aus einem Walzerlied vonWilly Rosen. Sie sind in BFA 14, 34 als Brecht­Text abgedruckt, obwohl inihremspäterenVerwendungs­KontextinZurSoziologiederOperunddenAn­merkungenzuMahagonny(vgl.BFA24,77)sehrdeutlichwird,daßessichumeinZitathandelnmuß.80AufdersicherenSeitewäremaninsolchenFällennur,wennmanProblemstellen−fallsmansieüberhauptalssolcheerkennt,washäufignichtderFallist−einfachwegließe;damitwäreallerdingszugleichdie Unzulänglichkeit des Ansatzes für eine Gesamtausgabe erwiesen. Odermanordnetsienolensvolensebendochirgendwoein,selbstbeisoverdrehtenFällenwie(11)NB24,55r:

alsdieganzestadtstarbamtyphusstarbauchmeinvater.meinemutterfloh.Ichwarnochnichtaufderwelt

ibby gordon

alsdieganzestadtstarbamtyphusstarbauchmeinvater.meinemutterfloh.Ichwarnochnichtaufderwelt

ibby gordon

DieNotizbücher Beispiele

80 Vgl.dazudieUnterstellungendesBFA­HerausgebersJanKnopfundmeine

Richtigstellungeninwww.textkritik.de(1.5.2008,14.6.2008,20.6.2008).

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Verse?Gedicht?Abschrift?Zitat?Entwurf?von/fürGordon?für/vonBrecht?Wieauchimmer:AlseinzigeEintragungimKontextundeinederganzweni­geninNB24überhauptwurdesiebeigedrehtemNotizbuchaufeinerverso­Seite (die sonst fast immer leerbleiben)notiertunddemNameneinermitBrechtbefreundetenungarischenLyrikerinzugeordnet.

DennochstehendieZeileninBFA14,7imHaupttext.DerKommentar,derdieEintragungeindeutigalsGedichtbezeichnet, istdanngezwungen,dieseEinordnung wieder zu relativieren: »Es konnte nicht ermittelt werden, obBrechtVersevonGordonzitiertoderdieVerseaufsiegemünzthat.«WeitereMöglichkeiten,z. B.daßessichumeinevonBrechtgemeinsammitGordonhergestellteÜbersetzunghandelt(wieCanettidiesfürseineZusammenarbeitmitGordonbeschreibt;s.dieErläuterungzurStelleinvorliegenderAusgabe),werdengarnichterwogen.DafürwirdeinevereindeutigendeDatierungvor­genommen:»DasGedichtistnachträglichineinNotizbuchvon1927geschrie­ben«(BFA14,467).ZumeinenwurdedasNotizbuchvon1927bis1929ver­wendet,dieabsoluteDatierungisthieralsounzulässigaufdasfalscheEndedesVerwendungszeitraumseingeschränkt.ZumanderenunterstelltdieAnnahmeeinerNachträglichkeitderEintragungeinenimübrigenkontinuierlichenEin­tragungszusammenhang, die in Brechts Notizbüchern fast nie gegeben ist.ZwaristsonstmeistausderTatsachederBeschriftungeinerverso­Seitemiteiniger Sicherheit eine vorangehende Füllung aller recto­Seiten abzuleiten.DieNutzungderverso­Seiterührthieraberfüreinmalnichtdavonher,daßsonstkeinPlatzmehrgewesenwäre.Vielmehristhier−nurhier−dierecto­Seite des Blattes noch frei, während die Rückseite durch die Drehung desNotizbuchsfürdieDauerderEintragungzurVorderseitewird.BrechtkanndieZeilenalsodurchausnichtnachträglich(relativwozu?)eingetragenundihrenSonderstatusdadurchmarkierthaben,daßersieaufdenKopfstellte.

DerEhrgeiz,NotizenvomKopfaufFüßezustellenundihnenirgendwieauf die Sprünge zu helfen, ist verfehlt und kann zu gravierenden Fehlernführen. Die vorliegende Ausgabe äußert, wo es sich anbietet oder möglichist,Vermutungen,läßtansonstendenTextaberstehen,wieersteht,undseies ›verkehrtherum‹. ›Es kann nur so einfach gehen‹; alles Komplizierterebrächte hier unnötige Komplikationen. Andere werden über den aktuellenKenntnisstandhinausgehen,einzelneVermutungenzuGewißheitenmachenunddasZuweisungsnetzverfeinern.Zuendegesponnenwerdenkannesprin­zipiellnicht.DasdarfnichtdurchredaktionelleVereinheitlichungenundedi­torischeSchein­Gewißheitenverdecktwerden.

Einheiten

Die Texteinheiten der Notzbücher werden ohne spezifische Differenzierung›Aufzeichnung‹,›Eintragung‹,›Notat‹oder›Notiz‹genanntund,woessinnvollundmöglicherscheint,als›Stichwort‹,›Konzept‹,›Entwurf‹o. ä.charakterisiert(vgl.unten, 100).Währendbei letzterenBestimmungendieunvermeidlicheSubjektivitätderBegriffswahlfürdenLeseroffensichtlichist,erscheintdieall­gemeineBenennungderNotizbucheinheitenzunächstobjektivundproblem­loszusein.Diesistabernichtso.DieDefinitiondieserEinheiten:ihreAbgren­zungvoneinanderund,damitdirektzusammenhängend, ihre innereStruk­turierungistoftnichtevident,oftauchunmöglich.Siesindnichtzählbarundoftauchnichtqualifizierbar.

DasbetrifftzunächstihreäußereGrenze.WobeginntundwoendeteineEintragung?Manbetrachte(12)NB24,21r.1­3:

indemmetallüberfatzer .ist

einspritzerunrein[…]

AufderSeitestandzunächstnureinWortundeinPunktmitTinte:»fatzer.«.DievorangehendeSeite20rwurdemitgleicherTinteimgleichenSchriftduktusbeschrieben;durchausplausibel,daßWortundPunkt(wohleinAnsatzfüreinweiteresWort),alssieeingetragenwurden,zudiesenFatzer­Notatengehörten.DasWortwurdeaberspätermitBleistiftgestrichen,alsderRestvonBl.21rbeschriebenwurde−vielleichteinHinweis,daßdiese›Aphorismen‹zumZeit­punkt ihrerEintragunggeradenichtzumFatzer­Projektgehörensollten. IneinemdrittenSchrittdannwurdenvor»fatzer«mitBleistiftein»über«einge­fügtunddiebeidenWorteeingerahmt.

Dies läßt mehrere Vermutungen zu. Offenbar erkannte Brecht bei einerspäterenLektüre,daßdieTilgunggleichsammißlungenwar:DasmitTintegeschriebeneWortdominierteauchnachseinerStreichungmitBleistiftnochdieSeite.WollteeresnundurchdieRahmungausderSeiteausgrenzen,dergegenüberliegendenRückseitevonBl. 20 (die inzwischen,nachträglich,mitFatzer­Stichwortenbeschriebenenwurde)zuweisenundmitderPräpositionerläutern?odererkannteer,daßdieersteoderalledreiEintragungenderSeitedurchausauchtreffendeFormulierungenundEinsichtenüberFatzerenthiel­ten?Undwennja:Ist»überfatzer«einhinweisenderMetatextoder,alsÜber­schrift,TeildesTextes?NimmtBrecht,sooderso,dieStreichungalsozurück,ohne dies durch Unterpungierung oder Radierung des Strichs kenntlich zumachen?›Gilt‹dieEintragungamEndenochoderwieder,undwennja,ge­hört sie zu 20v, zu 21r.1­5 (die Zeilen sind, vielleicht nachträglich und imZusammenhang mit der Rahmung, durch einen zusätzlichen horizontalenStrichinZ.6vomRestderSeiteabgegrenzt)oderzuBl.21rinsgesamt?Fragen,diedurchdieArtderDarstellungvonBFA10,438(beiandererEntzifferung)beantwortet,aberauchunzulässigabgeschnittenwerden:

DieNotizbücher Beispiele

81 Vgl.auchVillwock/Wizisla,DieNotizbü­cherBrechts(Anm.9),138­144.

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ÜberFatzer−IndemMetallist EinSchnitzerunrein,[…]

(13) Die Eintragung in NB 24, 4v: »ich will euch etwas fragen: wißt ihrwarumihrunsverhaftethabt?«erfolgteeindeutigspäteralsderKontext.Istsie eine selbständige Eintragung oder eine zu Bl. 5r gehörende Einfügung?und wenn letzteres: Wo genau wäre sie einzufügen? Das ist faktisch nichtentscheidbar.DieErläuterunginBFA10,1127legthierzuvielfest,wennsiezumLemma»dieLageaufderWelt ist!]«(die letzteReplikaufBl.4r lautet:»sold.⟨aten⟩<lachen>\gutsageunswiedielageaufderweltist!«)schreibt:»AufderRückseitenotiertBrechtalsVariante:›Ichwilleuch[…]‹«.DiedreiZeilenaufBl.4vbeziehensichabersichereheraufdasihnengegenüberliegen­de Bl. 5r als auf das vorangehende Bl. 4r, und ganz sicher bilden sie keineVariantezurRedederSoldaten,sondernallenfallszuderdesVerhafteten.Esistabernichteinmalklar,obessichüberhauptumeineVarianteundnichtvielmehrumeineErgänzunghandelt.Der›Text‹,dieinnereStrukturdes(imübrigen eindeutigen) Eintragungszusammenhangs 3r­9r ist objektiv unklar.Wo die äußeren Grenzen und Zusammenhänge der Einheiten uneindeutigsind,könnendieinnerennichteindeutigsein.

(14)DieszeigtaneinemWortauchderAusrufFatzersinNB25,38r.3­6:

ebenfallsblindernun!

endlichnachjahrenseheichdenfeind[…]

WährendderganzeKontextmitTintegeschriebenist,wurde»nun!«alsein­zigesWortmitBleistiftnachgetragen.HiersindnichtnurandereLesartendenk­bar−RamthunundmitihrBFA10,474lesen»nein!«,aberauch»neu!«wäremöglich−,sondernaucheinEbenenwechselkommtinFrage.Eskönntesichschonbei»neu!«,erstrechtaberbei»nein!«umeinenSelbstkommentarBrechtshandeln:eineAnweisung,daßderWortlautzuverwerfenoderzuändernsei.Ergehörtedanngarnichtzum›Text‹.Dasmagwenigerplausibelerscheinen,auchweilBrechtschoninderGrundschichtderEintragung,scheinbarschonfüreinespätereErgänzung,eineLeerzeileließ.AuszuschließenistesnichtundmachtdieStrukturdesTextesuneinholbardoppeldeutig.

(15)EinanderesBeispieldafürausdemKomplexeinerderwenigenmate­riellen›Obsessionen‹Brechts:seinemAuto.82InNB24stehenmehrereEinträgedamitinVerbindung:AufBl.10vnotiertersehrprominenteineAutonummer,41rentwirfterFormulierungenfürdasGedichtSingendeSteyrwagen,43rex­zerpiert er aus dem Firmenprospekt und einer anderen Quelle Realien, die

dannebenfallsimGedichtvorkommenwerden,45vstehtdieBerlinerAdressederSteyrA.G.und81rschließlichfindensichStichworteausderBedienungs­anleitung dieses Steyr, den Brecht mittlerweile (nicht nur, aber immerhinauch) fürdasGedichtbekommenhat.ZwischendenbeidenSeitenmitGe­dichtnotizennunstehtaufBl.42rderSatz:

eristdertreuestemenschaufderwelt:derletzteverlasser!

Hängt er mit dem entstehenden Gedicht zusammen? Es ließen sich einigeArgumente dafür beibringen: Der superlativische Sprachgestus, die gewagteAnthropomorphisierung und die Rede in dritter Person machen eine Ver­bindung mit der vorangehenden Bleistifteintragung, die gleiche Tinte unddergleicheSchriftduktuseinemitdenfolgendenEintragungendurchausvor­stellbar.SolltederSatzdieVereinigungvonMenschundTechnik,diedasGe­dichtausdrückenwill,imNeologismus»Verlasser«aufdieSpitzetreiben,indem man demzufolge zugleich das moralisch verwerfliche Im­Stich­Lassenebenso wie die Maschinenteile ›Vergaser‹ und ›Anlasser‹ anklingen hörenkann?Möglich,aberspekulativ.ImspäterenGedichtjedenfallsfehltderSatz−alseinzigesElementdieserSeiten.SogaroberüberhauptzudenGedicht­Vorarbeitengehörtoder(wiewohlauchdieAdressevonM.Seemann,diespä­teraufderSeitenocheingetragenwurde)völligunabhängigvonBrechtsAuto­lyrikist,mußoffenbleiben.

(16) Mit einiger Wahrscheinlichkeit entscheidbar ist ein Fall wie NB 24,34r­35r.ZwaristdieEintragungaufdemzweitenBlattdurchausfürsichlesbarund›abgeschlossen‹,dochweisenSchreibmittelundSchriftduktus,Verscha­rakter, Redehaltung und Thema (die Erzählung eines ›er‹ von früher wirdoffenbarvorOrtüberprüft)undderAnschlußmit»undso[…]«daraufhin,daß es sich um einen dreiteiligen Eintragungszusammenhang handelt. DasstärksteArgumentdafüristaberparadoxerweisedastrennende»×«amEndevon Bl. 34r − es wäre nicht nötig und stünde nicht hier, wenn nicht schonwährendderNiederschrifteineEinheitzuunterteilengewesenwäre.BrechtverwendetdasinZeilenmittegesetzteZeichen»×«meistzurUntergliederungzusammengehörigerEintragungen.WietiefderjeweiligeEinschnittist,vari­iertdabeibeträchtlich.InNB25,62r.4scheintereinemGedankenstrichimSatzzuentsprechen(17),aufBl.79r­80reinereinfachenSatzgrenze(18),83aufBl.65reinemAbsatz(19)undaufBl.77reinemnochdeutlicherenEinschnittzwischenseparaten,unverbundenen›Aphorismen‹(20).

(21)InNB25,46r istdieLagedannunentscheidbar.Dieeindeutignach­trägliche Ergänzung von Z. 6­9 (andere Tinte, anderer Schriftduktus) zum»erfolgder3groschenoper«schließtinhaltlichandievorangehendeReflexionüberLiteraturan,inderebenfallsvondeneigenenErfolgendieRedewar.In

DieNotizbücher Beispiele

82 Vgl.dazunäherVillwock,BrechtsNotiz­bücher(Anm.23).

83 Vgl.dazuauchVillwock,BrechtsNotizbü­cher(Anm.23).

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einemweiterenSchrittwurdeaberdaruntermitRotstifteinPfeilangebracht,der wohl zur nächsten Eintragung »was bedeuten die bearbeitungen?« aufBl.47rweist.VerbindetdieserPfeildieganzePassageüberliteratur(43r­46r)oder nur die Dreigroschenoper­Ergänzung mit dem folgenden oder nicht?Undwennja:zueinerEinheitoderzuzweizusammengehörenden,aberselb­ständigenTeilen?BiswanndasmitdemStandardzeichen»×«Gegliedertealseine,abwannalszweiseparateEintragungengezähltwerdensoll,istinjedemeinzelnenFallInterpretation:Ansichtssache.

Zuberücksichtigenistauch,daßkaumeinNotizbuchBrechtsvollständigüberliefertist.Wennnun,wie(22)inNB25,51r­52r(s.oben,15f.)inderMitteeiner augenscheinlich zusammengehörenden Eintragung ein Blatt fehlt, sogerät in die Schwebe, wie sich die noch vorhandenen Notizen zueinanderverhalten.WurdedasheutefehlendeBlattschonvorBeginnderBeschriftungvonBl.51rentfernt,sostelltsichallenfallsnochdieFrage,obdiesesanZ.10(denSchluß)oderanZ.8vonBl.50ranschließt(hierwirdausinhaltlichenGründen letzterem und damit der Vermutung, Z. 9­10 seien erst späterergänztworden,derVorzuggegeben).Werkannabersagen,obdasaufBl.50rbegonneneKonzept,ausdemwohlbalddaraufdieVersuche­Reiheabgeleitetwurde,nichtzuerstaufdemheutefehlendenBlattfortgesetztwurde?undobdiesessofortoderspäterherausgerissenwurde?obBl.51ralsoeineFortsetzungdiesesfehlendenTextesodereineVariantedazudarstellt?84

Hinzukommtschließlich:DieEintragungenhabenoftkeineneindeutigenStatus. Ihre Identifizierung ist nicht nur formal (Abgrenzung gegen andere,Strukturierung in sich), sondern auch inhaltlich (Charakterisierung) häufignur hypothetisch, oft auch gar nicht möglich. Handelt es sich bei der mit»ibbygordon«endendenEintragung(Beispiel9)umeinExzerptvonihr,umeinen Widmungstext für sie oder um eine Koproduktion? Ist »über fatzer«(Beispiel12)Überschriftüber,KommentarzumoderAusgliederungausdemSeitenkontext?Undistsiedaseineoderanderevorübergehend,letzterHandoderamEnde,dagestrichen,nichtsvonalledem?Istdas»nun!«oder»nein!«oder»neu!«(Beispiel13)TeildesTextesoderMarginaliedazu?Ist»derletzteverlasser«(Beispiel14)KennzeichnungeinesAutosodereinesMenschen,fürLyrik,Prosa,Drama,ElogeoderüberhauptnichtfüreinenliterarischenText?

(23)DaBrechtseineNotizbücherfür›allesmögliche‹verwendete, istbeiAufzeichnungen,dienichtzuzuordnensind,tatsächlichallesmöglichedenk­bar.WennesinNB24,82rheißt(hiernurletzteSchichtwiedergegeben):

ihregelegentlichenschelmigenhinweißeaufihrhäuslicheselendwerdenmißverstanden. sagenSiedenleutensodeutlichalseseinemironikermöglichistdaßSieselbervonderüberzeugungausgehenIhreprivatangelegenheiteninteressiertenniemand.undihrsohnistIhreprivatangelegenheit!

dannkannessichsowohlumeinenBriefentwurfalsauchumeinenliterarischenTexthandeln:Brechts ›BriefandenVater‹?andiebefreundeteMuttereinesProblemkindes? erbetener oder ungebetener Rat über einen unehelichenSohn?TeileinesProsatextesoderStückes?AuchwenndieBFAgrößtmöglicheVollständigkeitanstrebt,verwundertesnicht,daßdieserTextesdortnichtauf­genommenwurde(fallsernichteinfachvergessenwurde):Esisteinfachunent­scheidbar,anwelcherStelleinwelchemBandmanihnunterzubringenhätte.Allesmußhieroffenbleiben,solangenichtweitereErkenntnisseauftauchen.

BrechtsEintragungen(Aufzeichnungen,Notizen,Notate),wesentlicheGlie­derungseinheitderNotizbücherundzentraleBezugsgrößederRedeübersie,habenallzuoftkeineeindeutigenäußerenGrenzen,keinesichernachvollzieh­bareinnereStrukturundkeinenklareninhaltlichenBezug.Nichtnurwosiebeginnenundenden,auchwiesiegeformtsindundwassieüberhauptsind,läßtsichhäufignichtodernurvermutungsweisebestimmen.SiekönnennichtalsdefiniteunddefinierbareTextewiedergegebenwerden,sondernnuralsfürjedeSeite,jedenSchreibzusammenhang,jedenSatz,jedesWort,jedesZeicheninverschiedenenGradenplausibleBefunde.

Zusammenhänge

(24)DielapidareNotizinNB24,52r:

demunbekanntenochsen.

könntederTiteleineshierkurzaufblitzenden,dannabernichtgeschriebenenTextes(amehestenvielleichteinGedicht)sein.SiekönnteaberauchinZusam­menhangstehenmitdem›UnbekanntenSoldaten‹,demBrecht imgleichenNotizbuchbereitseinGedichtgewidmethat;mitdemEssayprojektÜbereinedialektischeDramatik,mitdemersichgleichzeitigundgeradeauchindiesemNotizbuchabmüht;mitderHeiligenJohannaderSchlachthöfeoderFatzer,zweiProjektendieserZeit,indenenOchsenGegenstandundMetaphersind;mitderBibel,woPaulusdeninAthenverehrten›UnbekanntenGott‹mitChristusidentifiziert − oder mit nichts von alledem. Bei einer Zuordnung zu einemGedichte­,Schriften­,Stücke­oderReste­Band(allevierMöglichkeitenhättenArgumente für sich), wie dies in einer Standard­Edition notwendig wäre,müßtenjeweilsdiealternativenZuordnungsmöglichkeitenausgeblendetoderabgewertet werden. Angemessen kann hier nur das Nicht­Entscheiden desnichtEntscheidbarenunddasBelassenimoriginalenZusammenhangsein.

(25)InNB24findensichaufBl.23r,64r,65rund71rVerse,dieineinemGedichtverwendetwerden,dasdieTheaterzeitungDasStichwortimApril1929alsDasZehnteSonettveröffentlicht.SieerscheinendortaberinumgekehrterFolge:zuerstdieaufBl.71rentworfenen,danndievonBl.64r­65rundzuletztdievonBl.23r.85Daskannzweierleibedeuten.BFA13,548schlägtvor:

BeispieleDieNotizbücher

84 DiesesBeispielzeigtübrigens,daßeinexaktesLagenschemazumVerständnisderEintragungenunabdingbarseinkann.KomplementärmüssenbeiallenEinzelblätterndiegenauenMaßeerfaßt

werden,umdarüberersteIndizienfüreinemöglicheHerkunftdesBlattesauseinemNotizbuchmitgleichenMaßenzugewinnen(s.auchunten,59,Beispiel27)

.

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BrechtnotiertzunächsteinzelneStrophen,möglicherweisealseigenständigeGedichte[…].EshandeltsichinderReihenfolgedesNotizbuchsumfolgendeTexte:(SpätereStrophe2.) UndwäreinTischundsäßenGroßedort IchsäßegernalsmindesterzuTisch UndwäreinFisch,ichäßdenSchwanzvomFisch UndwäreinBaumunddieserwärverdorrt Sowüßtichmichkeinemzuschlechtengut(SpätereStrophen3­5:) Sowär’sgenug,wenneinermir’serzählte Undgäb’sGerechtigkeit Undwennsiemirgleichfehlte Sowärichfrohundträfesieselbstmich Gibt’sallesdiesundbinichselbstnurblind?(SpätereStrophe1:) Ichwünschenicht,daßdieseWeltmichliebt Seitichhierwohn,drangmanchesanmeinOhr BehieltichmirsojedeFeigheitvor Verdroßmichdoch,daßesnichtGrößegibt.

DieandereMöglichkeit:BrechtnotiertdievonAnfanganzusammengehöri­genVersevonhintennachvorneaufBlättern,die(warumauchimmer) imNotizbuchnochleergebliebensind.MitdiesemAnsatzkommtmanzufolgen­demErgebnis,dasdemveröffentlichtenSonettaußerinderStrophengliede­rungschonsehrweitgehendentspricht:

⟨71r⟩ ichwünschenichtdaßdieseweltmichliebt seitichhierwohndrangmanchesanmeinohr behaltichmirsojedefeigheitvor verdroßmichdochdasesnichtgrößegibt

⟨64r⟩ undwär1tisch+säßengroßedort ichsäßegernalsmindesterzutisch +wär1fischichäßdenschwanzvomfisch undwär1baumunddieserwärverdorrt

sowüßteichichkamzurschlechtenzeit⟨65r⟩ sowärsgenugwenneinermirserzählte +gäbsgerechtigkeit +wennsiemirgleichfehlte

sowärichfrohundträfesieselbstmich− gibtsallesdiesundbinichselbstnurblind?⟨23r⟩ wasichnichtgerngesteh:geradeich

verachtesolchedieimunglücksind.

DaßdieEintragungenaufdenvierSeitenniealseigenständigeGedichte,viel­mehrvonAnfanganalseineinzigesmitvierzusammengehörigenvierzeiligen,

erst umarmend, dann kreuzgereimten Strophen gedacht waren, belegen dieüberdieSeitengrenzenhinweggehendenReime.DiesbleibtinBFA13unbe­merkt,weilHertaRamthunsfalsche(einigermaßenunverständlicheunddenReimübersehende)TranskriptiondesletzteVersesaufBl.64rübernommenundBl.23rganzübergangenwurde.Letzterewurdendagegendervorangehen­denEintragungaufBl.22rzugeschlagenundanganzandererStelle,inBFA10,439imFatzer­Material,publiziertmitderErläuterung:»Brechtzitierthierdie1927entstandenenSchlußzeilenvonDasZehnteSonett«(BFA10,1141).

Mansieht,wiedieunzureichendeBerücksichtigungdesKontextesundderVerzichtaufAutopsiezufalschenErgebnissenführenmuß.DaßBl.22rund23rnichtzusammengehören,machenunterschiedlicherBleistift,Schriftduk­tusundSchriftgrößesowiederFreiraumaufBl.22runten(denBrechtsonstwohlerstgefüllthätte,bevorer einneuesBlattbeschriebenhätte)deutlich.UmgekehrtwirdderAnschlußderEintragungenaufBl.23randievonBl.65rretrospektivdurchdenErstdrucknahegelegtunddurchReim,gleichenDuktusundBleistiftgestützt.Damitergibtsich,daßdieFatzer­EintragungaufBl.22r(vgl.auchunten,66f.,Beispiel35)keineswegsdasaufBl.71rbegonneneGedichtzitierenkann,sonderndeutlichfrüherentstandenseinmuß.UmgekehrtkanndasGedichtnichteinfachauf 1927datiertwerden,bloßweildasNotizbuch1927begonnenenwurde.Es istvielmehreineeherspätereEintragungdarinund erfolgte von hinten her auf noch freigebliebenen Blättern. Zu diesemZeitpunktmüssendierecto­SeitenvonBl.63und66ff.schonbeschriebenge­wesensein,sonsthätteBrechtfürdenSchlußdesGedichtsnichtaufBl.23rausweichen müssen. Umgekehrt waren die verso­Seiten von Bl. 64­65 wohlnoch unbeschrieben, sonst hätte Brecht kaum mit schwachem Bleistift aufdiese von stark durchdrückenden Tinteneintragungen bedeckten Seiten ge­schrieben,ohnediesenerkennbarauszuweichen.MankanndasGedichtalsozwischenfrüheren(Bl.66r.1­8)undspäteren(Bl.64v,65v)EntwürfenzurDrei­groschenoperdatieren,amehestenimJunioderJuli1928.86

(26)Abernichtnurgenauere,auchganzneueErkenntnisseselbstüberge­druckte und autorisierte Texte lassen sich aus den Notizbüchern gewinnen,wennsieimZusammenhanggesehenwerden.InderMittedeszuerst1934inLiederGedichteChörevollständigerschienenenZweitenGedichtsvomUnbe­kanntenSoldatenunterdemTriumphbogenfindensichdieVerse(vgl.BFA11,294):

BeispieleDieNotizbücher

86 AndereEintragungenbelegen,daßNB24wohlbisAnfang1929verwendetwur­de.SowarBrechtmitHeinrichBurkard(vgl.Bl.74v)frühestensabEnde1928bekannt,undderaufBl.78rnotierteBandderStalin­Ausgabeerschienerst1929.IndirekterNachbarschaftzumBeginndesbetrachtetenGedichtsfindet

sichallerdingsaufBl.72r.1­2derResteinesoffenenBriefesandasFrankfurterSchauspielhaus,dervorOktober1927entstandenseinmuß.AusräumlicherNachbarschaftvonEintragungenläßtsichbeiBrechtnieumstandslosaufeineauchzeitlicheschließen.

85 Zumfolgendenvgl.ausführlicherZumBeispiel:›DasZehnteSonett‹,in:Dreigro­schenheft2(2008),5­11.

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[…]unserBruderIsttot[…]UndwirbedauernJeglichenHohnundziehenzurückunsreKlage.

9DadochlangeWererauchwar,anseinerSchüsseleinneuerMannißtund[…]AuchdasGesprächüberihnBeiseinenFreundenschonverstummtist.

10FreuenwirunsdochselberÜberjedenneuenMorgen,derunsGeschenktist.

InNB24,32rlautetdienachmaligezehnteStropheso:

ichweißdaßdiesgutistfreueichmichdochselberüberjedenneuenmorgendermirgeschenktist−

AbgesehenvomWechselvom›Ich‹zum›Wir‹87fälltbeiansonstengroßerEnt­wurfsnähevorallemderWegfalldererstenZeile»ichweißdaßdiesgutist«imDruckauf.DiesmachtdieGrammatikdesnachfolgendenSatzesschwierigerverständlich. Statt einfach im Satz selbst zu ›funktionieren‹, muß das rück­verweisende »doch« im Druck über zwei Punkte und Strophen hinweg aufStrophe8bezogenwerden.

WarumhatBrechtdieZeiledennochweggelassen?DerBlickaufdienach­gelassenenPapierezeigt,daßdieersteTyposkriptfassung(BBA1409/12)dieZeilenochaufweist.GanzuntenaufdemerstenBlattderzweitenTyposkript­fassung(BBA1409/14bzw.1533/7)aberstehtnachdervierten(späterneun­ten)StrophenurnochdieZiffer»V«;aufdemFolgeblattwirdsiewiederholtundspäterzu»X«korrigiert.Nichtauszuschließenist,daßdieZeilebeimAus­undWiedereinspannenderBlätter indieMaschineeinfachübersehenodervergessenwurde,unddaderTextauchsoeinen(wennauchkonstruierteren)Sinnergab,bliebdiesunbemerkt.Fehlerodernicht:BeiderTextkritikmußdie›verlorene‹ZeileinjedemFallberücksichtigtundthematisiertwerden.88

In vielen Fällen weisen offensichtlich unvollständige Eintragungen auchüberdieGrenzendesNotizbuchshinaus.SeitenanfängewieNB25,20r»jenerprozeß[…]warvonderrealitätnurabgezogen[…]«,NB25,74r»so,ausder

oppositionzueinemschonfortschrittlichenmaterialismus[…]«oderNB25,90r»jene<äußersterfolgreiche>haltung[…]«schließenschongrammatischananderweitigbegonneneneTextean.ImIdealfallsindsienochvorhandenundwerdenauchgefunden.SoimFallvon(26)NB24,72r.1­2:

unglück.b.b.

FürsichgenommenzweivölligunverständlicheZeilen,diesichnatürlichinkeinerBrecht­Ausgabefinden.AuchderKontext(Adreßnotizen)gibtkeinenHinweis,schoneherdasLagenschema,ausdemersichtlichwird,daßvoran­gehend zwei Blätter herausgerissen wurden. Diese Tatsache zusammen mitdemNamenskürzel»b.b.«deutetdaraufhin,daßessichumdasEndeeinesBrief(entwurf)shandelt;wann,anwen,obüberhauptabgeschickt,istnatürlichvölligoffen.

Nun finden sich die fehlenden Blätter für einmal tatsächlich in BrechtsNachlaß;eshandeltsichumBBA10440/161und10440/154:

dasfr.schauspl.⟨FrankfurterSchauspielhaus⟩hatmichgebetenihmzuseinem25j.⟨äh­rigen⟩jub.⟨iläum⟩zugratulieren.feinertaktläßtesmiralsgeratenerscheinen,diesnichtinderfestschriftdiesesinteressantentheaterszutunsonderncoram publico.[…]zudemjubiläumseinerreaktionärenaktionenwünschteineganzegenerationihm

Keiner der beiden Teile kann ohne den anderen ganz oder überhaupt ver­standenwerden.DaauchindenvorhergenanntenFällendiefehlendenTeilenoch existieren könnten, muß der gesamte Nachlaß erfaßt und durchsuchtwerden.Bisdiesnichtgeleistetistbzw.aufderGrundlageeinervollständigenBeschreibungundelektronischenErfassungallerDokumentegeleistetwerdenkann,mußdieBestimmungderEintragungenvorläufigundoffenbleiben.

AbernichtnurzurFeststellung,DatierungundDefinitioneinzelnerEin­tragungen,sondernauchfürihrenoffenenoderversteckten,gewolltenoderunbewußten Zusammenhang untereinander ist die Kenntnis des gesamtenKontextesunerläßlich.BrechtsSchreibenvagabundiert.Nichtnurganze›Tex­te‹wandern(siehez. B.unten,Beispiel38),sondernauchBilder,BegriffeundMetaphern.

(28)Spätestensseit1927konsultierteBrecht,sicherauchzurBehandlungseinerHerzbeschwerden(oderseiner›Herzneurose‹),gelegentlichdenMünch­nerInternistenundNaturheilkundlerJohann(es)LudwigSchmitt.89MitihmsteheneineganzeReihevonEintragungeninNB25 inVerbindung:explizitdie Keuner­Geschichte »der arzt schmitt […]« (84r), deutlich aber auch dieBade­undKochnotizenaufBl.16v­15vsowiedieDiät­undBadenotizen59r

DieNotizbücher Beispiele

87 DieBehauptunginBFA11,368:»DasGe­dichtistnochineinerspätenAbschriftinderIch­Formgeschrieben«,istfalsch.

88 GleichesgiltfürdieFormulierung»an seinerSchüssel«.InNB24,32r.1­2steht

»vonseinerschüssel«;dieautorisierteFassunggehtvermutlichaufeinenLese­fehlerderAbschreiberinoderBrechtsselbstzurück.

89 ZumZusammenhangvgl.›Versuche‹,Arzt,Autoin:BeiträgezurBrecht­Edition,151­155.

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und 61r. Von dieser ›Schmitt­Linie‹ des Notizbuchs aus wird die ansonstenrätselhaftbleibendeEintragung21r.1­6ansatzweiseverständlich:

de[r]mmenschenwirdnichtdurchdendarmgeholfen;sonderndurchdiereinheitseinesherzens.unddasherzwirddurchmassagerein,durchatmungusw.

Ironischodernicht:DieNotizstehtkonträrzuBrechtssonstigemplakativenPrimitivismusinBezugaufEssen/FressenundTrinken/Saufen.Daßnichtein­fachderStoffwechsel,sondernrichtigesAtmen,Massageundspezielldievonihm entwickelte ›Atemmassage‹ dem Menschen helfen, sind GrundaxiomeSchmitts;manlesenurdieTitelseinerPublikationenausdemzeitlichenVor­feld der Brecht­Notiz: Das Hohelied vom Atem (1926), Atem und Charakter(1926) und Atem, Haltung, Bewegung (1928). − Das Motiv wandert dann inNB25vonKeunersDiagnosedesSoldaten(63r):»wirsind\zusehrgedrückt,unterdembodenhausend\vonfleischesabfall,mühsamatmend«90überdieVerse»wirhabengelerntdasatmen\imfeuer«(71r)biszurungeheurenan­thropologischenVerallgemeinerungzuritesdespassagedermodernen›Per­son‹überhaupt:»sieverliertihrenatem«undwirdzu»nichts«,erkenntdannaber»tiefatmend«ihrneuesLebenimGanzen(79r­80r;vgl.auchunten,68f.,Beispiel39).

(29)MitBrechtsbiographischemKontaktzuSchmitt läßtsichaberauchdasThemaundBildfeldderNahrung(s.dieLebensmittel­undZubereitungs­notizenaufBl.16v­15vsowie59rund61r)verbinden(natürlichnichtdarausherleiten),dasinNB25einganzesNetzbildet.InderamAnfangstehendenKeuner­GeschichtehatdasEsseneinenzentralenPlatz(5r);dieanschließendkonzipierteAutokomödie(7r­8r)spieltunterMetzgernundLebensmittelhänd­lern;ausdemMoabiterPferdehandelwirddasBierholen(10r),ausJaeFleisch­hacker Weizenschlacht (23r) und Weizenmarkt (82r­83r), aus Der Brotladen(55r­56r) der Bäcker erwähnt; der Soldat oder Proletarier aus den zitiertenVersenzumFatzer­Projekternährtsich»vonfleischesabfall«(63r);genanntwerdenkönnteauchdie›Alternative‹desVerhungerns(77r),BrechtsLieblings­thema Alkohol (78r) und seine später geradezu terminologisch werdendeMetaphorisierungderKulinarikalsBeschreibungeinesKulturstils,hierver­körpertimStarkritikerAlfredKerr(72r­73r):91

kerrkulinarier.[…]dervorkauer.erschicktseinbildein,vor+nachdemgenuß|einespaniertenschnitzlers.erschmatztvor.[…]

(30) Schließlich gewinnt auch Brechts Selbst­ und Weltbild eine zusätzlicheEbene durch den Vergleich mit seiner Sicht Dr. Schmitts. Für Brecht, einstselbst Medizinstudent, geschieht die Metamorphose des alten zum neuenMenschen»informeinerungeheurenkrankheit«(79r.9­10),undersiehtsichalsihrDiagnostiker,vielleichtauchmanchmalalsihrTherapeut.NunverlangtseinwissenschaftlicherRationalismusnichtnurvomMedizinerSchmitt,daßerwisse,wasundwieerbehandleundheile,sondernauchvonsichselbst.LieberwürdeeraufErfolgeverzichten,alsnichtzuwissen,woraufsieberuhen.HierliegtderGrundfürseinegeradeindieserZeitvorangetriebenenBemühungenumdietheoretischen,begrifflichen,formulierbarenunddiskutierbarenGrund­lageneinesanti­esoterischenSchreibens.

Wort­undBildnetzewiediegenanntenlassensichinBrechtsNotizbüchernüberallnachweisen,inNB25z. B.auchdasvonFluß,Strom,Wasser,FließenundfließenderDialektikoderdasvonSterben,Absterben,Liquidation,Zer­fall, Ausschlachtung und Zertrümmerung der Person. Sie können in ihremmöglichenZusammenhangnatürlicherstwahrgenommenwerde,wennderfaktische Zusammenhang des Dokuments wahrnehmbar wird. In einer wieauchimmerorientiertenZuordnungderEintragungenaufverschiedeneEdi­tionskontextegehtdieseMöglichkeit: eineganzeDimensionder Interpreta­tionverloren.

Graphisches

AutorisierteinAutoreinenText,bedeutetdasinderRegelauch,daßerihndenVorgabendesDruckmediumsanpaßt;ermachtihnfertigzumSatzmitDruckletternaufBuchzeilen.SolangeerdenTextnochinHändenhält,bestehtdieNötigungdazunicht,erkannkreuzundquerGeheim­undPrivatzeicheneintragenundanderes,wasnichtZeichen,sondernZeichnungist.Tatsächlichfinden sich in den Notizbüchern (wie im gesamten Nachlaß) Brechts einegroßeAnzahlvonBlättern,diedenSchrittzursatzfähigenDruckvorlagenichtvollzogen haben. Ihr ›eigensinniger‹ ›Text‹ läßt sich weder im normiertenStandardzeichensatz wiedergeben noch in die einsinnige Ablesefolge einerBuchseite bringen. Nur die Wiedergabe der graphischen und topographi­schenElementederVorlagekönnenihnenannäherndgerechtwerden.Auchundgeradewennmandiesversucht, solltedieRückbindungderUmschrift(Umsetzung)anundihreKontrolledurchdieReproduktionjederzeitsicher­gestelltsein.JemehrgraphischeElementeindieUmschrifteingehen,umsolauterwirdderRufdanachwerden,wiedieSeitedenn›eigentlich‹aussieht.Je›(topo)graphischer‹dieTranskription(Transposition)wird,umsowenigerkannsie fürsichstehen.Auchsie istÜbersetzung,Abgeleitetes,Hilfsmittel,nichtText,Werk,Sacheselbst.

BeispieleDieNotizbücher

90 Vgl.zudieserStelleauchVillwock/Wi­zisla,BrechtsNotizbücher(Anm.9),130­132.

91 BFA21,730übernimmt(offenbarohneKontrolleamSchriftbild)RamthunsUmschriftundverbreitetdamitnicht

nurdieFehllesung›Anbisse‹statt›An­lässezurProduktion‹(73r.4­5),sondernverschenktauchdenWitzderStelle,wennstatteinespanierten›Schnitzlers‹nureintriviales›Schnitzel‹erscheint.

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(31)DieGraphikinNB24,19r:

wirdinBFA10,1128sozitiert:

KurvedesGlaubens:Flucht 2malVersagen Magazinakt1 3 5 7 14

Abgesehendavon,daßdieStichwortedendurchgezähltenSzenenkeineswegsrichtig zugeordnet sind, wird hier natürlich die ›Kurve des Glaubens‹ umihrenCharakteralsKurvegebracht.AufdemWegvonderGraphikzumTextwirddieStellevölligunverständlich;eineKurveläßtsichebennichtaufLiniebringen.SinnkannhiernureinegraphischeWiedergabevermitteln.Auchdie­seaber›setztum‹:begradigtverwackelteoderschrägeStriche,standardisiertZeichenabstände,deutetundvereindeutigträumlicheVerhältnisse.WiesteildiejeweiligenAbschnittederKurvesindundobdiesggf.signifikantist,kannamEndedochnurdieeigeneBeaugenscheinigungvermitteln.

(32)AberschonineinfacherenFällenwieNB25,76rkanneinstandardi­sierterBuchdruckausimmanentenGründennurverfälschen:

1) chorderitaliaAmudsen

bericht dergewarnt

hat2) musikstück

überjubel+triumpfschauender

3) chorbittet

einzuhaltenda

unglück

Vorspiel

schnitt.amudsen.

kurvedesglaubens :kurvedesglaubens :

1 — [2]3 — 5 — 7 — 141 — [2]3 — 5 — 7 — 14

InBFA10,660wirddieseNotizbuchseitesowiedergegeben:

Vorspiel

1ChorderItalia.Amundsen,dergewarnthatBericht

2MusikstücküberJubelundTriumph

3SchauenderChorbitteteinzuhalten,daUnglück

Schnitt.Amundsen.

DasVoranstellendesTitels(?)»Vorspiel«(neben»Amudsen«daseinzigegroß­geschriebeneWortderSeite;einedervielenInformationen,diebei›Normali­sierung‹derRechtschreibungverlorengehen−ebensowieBrechtsungenaueKenntnis des Namens ›Amundsen‹) mag noch plausibel und vertretbarsein. Das Nicht­Ernstnehmen des horizontalen Striches, der den »Schnitt«graphisch vormacht, ist ein grober, aber schlichter (korrigierbarer) Fehler,durchdendieletztenbeidenWortemitunterdenTitelgeraten,unterdensieeindeutignichtgehören.DieunterPunkt»1«vorgenommeneKontaminationaber istdie ›Lösung‹einesProblems,dassystembedingtgrundsätzlichnichtrichtigoderangemessenzulösenist.DieNotiz»Amudsendergewarnthat«gehört eindeutig nicht zu »1) chor der italia \ bericht« und schon gar nichtdazwischen. Sie ist vielmehr ein (nachträglich) den drei gezählten Punktengegenüber­oderzurSeitegestellterzweiterTeildesVorspiels;dasmachtdervertikaltrennendeStrichüberdemUnter­Titeleindeutigklar.Daimeinsinnighorizontal­linearenBuchdruckvertikaleElementeabernichtwiedergegebenwerdenkönnen(wennmannichtaufeineTabelle,alsoeingraphischesModellzurückgreifen will), ist eine falsche Darstellung hier unvermeidlich. ZweiDimensionenlassensichnichteinfachaufeineprojizieren.

(33)EinanderesBeispielzeigteinenweiterenVorteildiplomatisch­topo­graphischer Umschrift: Sie kann auf Vereindeutigungen verzichten, wo derBefundobjektivuneindeutigist.NB24,8rsiehtsoaus:

DieNotizbücher Beispiele

flucht2×versagen

magazinakt

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warumwirstdudannunbebracht?

d.mann:

weilihrsonstumgebrachtwerdet!

d.sod.du bist

du,dersogescheitist:jetztnicht[g]erschossen

wirstdunichtumgebracht?d.m:ja.

sod:kommmachrascher!d¿könnenwirjetztweitergehn?

DieTextkonstitutionvonBFA10,423f.(mitersterundletzterReplik)lautet:

SoldatAberwennessoist,wiedusagst,undwenndieArmensovielesind,du,derdusogescheitbist:warumwirstdudannumgebracht?

DerMannWeilihrsonstumgebrachtwerdet!DerSoldatWirstdujetztnichterschossen?DerMannJa.SoldatDakönnenwirjetztweitergehn?DerMannJa,jetztkönnenwirweitergehn.

Esistaberkeineswegssicher,obessichbeidervertikalenLinielinksumeineUmstellungvon»du,derdusogescheitbist:«handelt.Eskönntesichbeispiels­weiseauchumdieMarkierungeinerStelle,anderBrechtetwasaufgefallenwar(etwadieWortwiederholungen),zurspäterenWeiterbearbeitunghandeln,weilersichnichtadhocaufeineLösungfestlegenwollte.Ebensowenighatersichentschieden,oberdenWendungen»wirstdunichtumgebracht?«oder»wirstdujetztnichterschossen?«und»dersogescheitist«oder»derdusogescheitbist«denVorzuggebenwollte;unentscheidbaristschließlich,oberimletztenSatzderSeite»da«schrieboderdenAnsatzzueinemganzanderenWort,derdannmitdemvorangehendengestrichenwurde.HiermußeinkonstituierterTextEntscheidungenfällen,diederSchreibergeradesuspendierthatoderdieobjektivunentscheidbarsind.DerEditorwirdmehrzumMit­Autor,alsderNoch­Nicht­Textzuläßt.

(34)NB25,87vzeigt,wieelementardieProblemeseinkönnen,dienicht­autorisierteManuskriptestellen:

×L O

O

× St×}

Hier stößt auch die beste diplomatische Transkription an ihre Grenzen. ImvorliegendenTranskriptionsvorschlagsindderPfeilunddiebeidenverstärktenStrichederVorlagewiedergegeben,nichtaberalleanderenStriche,die sichsonst noch auf der Seite befinden. Der Herausgeber unterstellt also, daß essichbeidenwiedergegebenenumStrichemit›mehrSignifikanz‹handelt:einereineVermutungundeineAbstrahierungdesBefundes,diedemganzenBildnicht ganz gerecht werden. Um die Zugehörigkeit der in dieser Umsetzungauseinanderfallenden Elemente zu einem gemeinsamen ›Raster‹ und damitihreBeziehunguntereinanderüberhauptwahrnehmenzukönnen,mußdasBildangesehenwerden.DieTranskriptionohneBildistsinnlos.SieistLese­oderBetrachtungshilfe,nichtText.

EineweitereFrage,diesichmitderÜbersetzungeinesBildesingedeuteteoderdeutbareZeichenmeistnurimplizitstelltunddadurchunbemerktbleibt,wirdhierebenfallsoffensichtlich:dieWahldesZeichensystems.HandeltessichbeidenZeichenrechtsobenumdieBuchstaben›O‹oder›o‹oder›O‹oder›o‹(dieWahleinerSerifen­oderGroteskschrift−indiesemFallbezeichnenderweisekaumzuunterscheiden−istinvorliegenderAusgabebedeutungstragend),umzweiNullenoderumzweiKreise?DieFrageistunbeantwortbar.DiegewähltenGrotesk­MajuskelnbildendasVorbildzwarbestmöglichnach,sindabereineeditorischeEntscheidungundHypothese.

Schrift

NebenderTopographiederSeitestelltauchdieTypographieimmerwiedervorSchwierigkeiten.BrechtsHandschriftistschonansich,besondersaberdurchdieVerwendungsbedingungenderNotizbücher−unterwegs,unterZeitdruck,nebenbei, ohne Unterlage, flüchtig etc.: die Abweichung vom ›normalen‹SchreibenisthierfastSchreibregel−verschliffenundschwerlesbar.Durchma­terielleGegebenheitenderDokumenteundihrerÜberlieferungistdieSchrifthäufigabgerieben,verwischtoderverblaßt.Die›Textsorte‹NotizenreduziertAufzeichnungen per definitionem auf das für den Schreiber Unabdingbare,minimiert ihrenKontextmanchmalbisaufwenigeWorte, eineAbkürzung,eineZahloderauchgarnichts;dieserMinimalismusistfürdenfremdenBlickoftzuwenig,umverstandenwerdenzukönnen.BrechtsDenkenschließlich,dasderLeserinProtentionundRetentionnachzuvollziehenversucht,verläuftin»Rösselsprüngen«und»Assoziationen,aufdiesonstkaumjemandkäme«,92schlägtunkonventionelleHakenundunterläuftimmerwiederherkömmlicheErwartungen.

BeispieleDieNotizbücher

92 FritzSternberg,DerDichterunddieRatio.ErinnerungenanBertoltBrecht(Göttingen1963),12.

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DieeditorischeUnterscheidungzwischensichererundunsichererLesart,diediemeistenHandschriften­EditionenaufgrunddessubjektivenEvidenz­erlebnisses des Herausgebers (divinatio) oder seines Ausbleibens treffen, istimmereinegrobeVereinfachungdertatsächlichenVorgängebeimLesenundVerstehen:dieDichotomisierungeinesstufenlosenKontinuumsvon›gänzlichunlesbar‹über›ziemlichsicher‹bis(subjektiv)›eindeutig‹.93WosiemitRepro­duktion einhergeht, ist diese Unterscheidung ein überflüssiges Relikt reinerDruckeditionen.StattihreneigentlichenStatusalsDeutungundLesevorschlagoffeneinzubekennen,erweckteineTranskriptionhiernurdenEindruck,allesnichtals›unsicher‹Markierteseiwirklichsicherzulesen94−einzumindestbeiBrechtuneinlösbarerAnspruch.

(34)MagespsychologischeGründehabenoderdurchäußereUmständebedingtsein,aberausgerechnetdieobzönenVerseFatzersinNB24,22rsindnurmitvielPhantasielesbar.BrechtsSchriftisthierweitausflüchtigeralsimdirektenKontext,jafastimgesamtenNotizbuch.DieinBFA10,439erstmalspublizierteTranskriptionHertaRamthunsvonZ.2­9lautet:

WenneinerseinabgestandengrünenPenisIndiesenfettigenTümpelhängtStehtergleichauf,bange,drinPlatzzuhabenundVonsichzuredenmittierischemErnstundZuvergessen,wasist.

DieUmschriftdervorliegendenAusgabedagegensiehtsoaus:

wenneinerseinabgestandengrauenpenis/

indiesemfaltigentümpelfängt/gleich

stehterauflangevomplatzzuheben

uns/

vonsichzuredenmittierischemernst

und/

zuvergessenwasist.

Klarscheint,daßessichumetwasGenitaleshandelt.NachBFA­Lesartwäredie Szene wohl eine (expressionistisch ins Ekelhafte verzerrte) Kopulation,nachneuerTranskriptiondiebloßeVorbereitungdazu(oderzurSelbstbefrie­digung), die Hand im ›faltigen Tümpel‹ der Hose. Ramthun kennzeichnet»grünen«,dieBFA»fettigen«alsunsichereLesart;beideerweckendamitdenungerechtfertigtenEindruck,dieübrigeTranskriptionwäresicher.

Aus der hier angebotenen hypothetischen Umschrift ließe sich etwa fol­genderTextableiten:

WenneinerseinenabgestandenengrauenPenisIndiesemfaltigenTümpelfängt,Stehtergleichauflange,vomPlatzzuhebenuns,VonsichzuredenmittierischemErnstundZuvergessen,wasist.

Wohlwären,ausgehendvonderReproduktion,auchandereTextkonstitutio­nendenkbar,undRamthunsLesung istnatürlichmitzuteilen. Jederderge­botenen›Texte‹aberstehtinderVerantwortungdessen,derihnalsLeser,alsZitierender,alsForscherfürseineZweckeallererstherstellt(zurProblematiks.unten,93).DievorliegendeAusgabebietetdiesenfertigenTextnicht.

(36)Besondersschwierigsinddie(beiBrechteherseltenen)Fällemitmeh­rerenKorrekturdurchgängen−nichtnurwegenderZuordnungderkomple­xenSchriftphänomenezuversch.Schichten, sondernoftschonwegen ihrerZuordnungzuversch.Einzelgraphen.DiezweiVerseinNB24,54r.1­6:

5 4 1 23 sinddieessernochabgetragenwirddasessendochdieessersind nichtsatt

wardas nochachdasabgetragnebrotwarnichtgebrochen

könnten ineinemherkömmlichenStufenapparatetwasodargestelltwerden(mitderinZ.10­12ergänztendrittenStufedeserstenVerses):

abgetragenwird dasessen dochdieessersind nichtsattwird dasessen abgetragensinddieessernochnichtsatt

dasessenwirdabgetragenaberdieessersind nichtsatt

achdasabgetragne brotwar nichtgebrochen abgetragenwardasbrot nochnichtgebrochen

EinesolcheRekonstruktionistzumeineninsofernprekär,alsBrechtzwardiedritteVersionvonVerseinsdurchUnterstreichunghervorhebt,diebeidener­stenVersionenabernichtstreicht;siesindoffenbarnochnichtganzverworfenund stehen weiter zur Erwägung. Zum anderen ist im zweiten Vers unklar,ob ›noch‹ als Ersetzung von ›war‹ eingetragen wurde oder zuerst (woraufderEinweisungsstrichhindeutet)alsErgänzung,undob›noch‹alsendgültiggestrichenanzusehenist.Vorallemaberzeigtsichhier,daßbeiidentischemBefund zwei verschiedene Lesarten richtig sein können: Ohne daß sichirgendetwasamgraphischenBefundänderte,wirddasWort›abgetragne‹zu›abgetragen‹.EineschriftlogischeUnmöglichkeitkannhandschriftlichdurch­ausgemeint, grammatischnotwendigundvomHerausgeber richtiggelesensein.(37)EinenkomplexerenFallbietetNB25,5r.9,woBrechtnurdurchdieVoranstellungeines»i«dasWort»nur«zu»immer«umzudeutenscheint.

BeispieleDieNotizbücher

93 GleichesgiltnatürlichfürdieDifferen­zierungvon›verschliffenen‹und›nichtverschliffenen‹Buchstaben(z. B.beiEndungsverschleifungen).BeiBrechtistohnehinimmereinsynthetischesLesenderWortgestaltstattanalytischesNach­

buchstabierennötig.MeistsindalleBuch­stabenmehroderwenigerverschliffen.

94 Vgl.dazunäherVillwock,ParalipomenaAnm.63),BeiträgezurBrecht­Edition,96­99.

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(38)EinBeispielfürdieSchwierigkeitderEntzifferungisteinWortinNB24,6r.RamthunundBFA10,423lesendiePassageso:

DERMANN Halt!AberAusgebeuteteallerVölkerfangenanzuwissen,daßsiezu­sammengehörenundderKrieggegensiegeht.

SOLDAT GibtesschoneineStelle,woetwasgemachtwird?DERMANN Ja.InRußland.SOLDAT SinddaskeineVerbrecher.DERMANN Nein.Arme.

DasletzteWortistinvorliegenderAusgabemit»komm.«(für›Kommunisten‹)transkribiert;dieStellewirddamitzueinerderfrühestenpositivenNennungender Kommunisten in Brechts gesamtem Werk. Für beide Lesarten sprechenArgumente: für ›Arme‹ vor allem der direkte Kontext: davor und danachist von Armen, aber nicht von Kommunisten die Rede, und es kommensonst (außer bei den Sprecher­Bezeichnungen) keine Abkürzungen vor; für›Kommunisten‹ der weitere Kontext: der Anklang an das KommunistischeManifest (›Ausgebeutete aller Völker‹ − ›Proletarier aller Länder‹) und diespätereVerwendungderStelleinDieheiligeJohannaderSchlachthöfe,wodiePassagesolautet(Versuche,Heft5,419;vgl.BFA3,189):

JOHANNA:GibteshiernichtLeute,dieetwasunternehmen?EINARBEITER:Ja,dieKommunisten.JOHANNA:SinddasnichtLeute,diezuVerbrechenauffordern?DERARBEITER:Nein.

Neben diesen Indizien gab für die Bevorzugung der Lesart ›Kommunisten‹aberdenAusschlag,daßdamitaufdieUnterstellungeinerimKontextvölligeinmaligenundkaummotivierbarenGroßschreibung,diemanfür›Arme‹an­nehmenmüßte,verzichtetwerdenkonnte.95DieZahlderHypothesenistaufdasUnerläßlichezubeschränken,dieMengederEntzifferungshilfendagegenmöglichstzuvermehren.Deutungsloses›reines‹Lesengibtesnicht.

(39)EinweitererFall,woerstdieKommentarrechercheaufdieplausibelsteLesartführt, istderinvielerHinsichtextraordinäreundeinenlangenAtemverlangendeSatzzur›ZertrümmerungderPerson‹inNB25,79r­80r:

siefältinteile,sieverliert|

ihrenatem,siegehtüber

inanderes,sieist

namenlos,siehörtkein

anrufenmehr,siefliehtaus

ihrerausdehnunginihrekleinste

ausdennihrerentbehrlichkeitindasnichtsgröße−aber inihrerkleinsten

größeerkenntsietiefatmendüberge­

gangenihreneue+eigentliche

unentbehrlichkeitimganzen.

DieLektürederStelle»siehörtkeinanrufenmehr«zerfälltinderBFAselbstin Teile. Zunächst, im Apparat zum Badener Lehrstück vom Einverständnis,wird der hier interessierende Satz mit »sie hat kein Antlitz mehr« (BFA 3,418) wiedergegeben, dann, den Schriften von 1929/30 zugeordnet, »sie hörtkeinenVorwurfmehr«(BFA21,320).WährenddieVersionvonBFA3schonvomSchriftbildhervölligauszuschließenist,erscheintdieLesartvonBFA21durchausmöglich.Daß invorliegenderAusgabedem›Anruf‹ (obmannun›keinAnrufen‹oder›keinenAnruf‹liest)derVorzuggegenüberdem›Vorwurf‹gegeben wird, begründet sich daraus, daß die fundamentale Bedeutung des›Anrufens‹fürdieExistenzeinerPersoneinKonzeptist,dasBrechtindieserZeitmehrfachbeschäftigte.96

(40)EinBeispiel,daszeigt,wieverschiedeneKontextualisierungenimLese­aktverschiedene,jagegenteiligeLesungenhervorbringenkönnen,istNB25,9r.HertaRamthunliest:»sehnSieherrdasisteingeschäft«.DievorliegendeAusgabefavorisiertdagegen:»sehnSiefrau…«.VielleichtbasiertRamthunsVorschlagaufderKenntnisjenes»fremdenSchlagertextes«,densiealsQuellederEintragung imBestandsverzeichnisangibt (BV 18346).Dasiediesen je­doch nicht nachweist, kann das nicht überprüft werden. Korrekturen undungleicher Rhythmus scheinen aber eher darauf hinzuweisen, daß es sichnichtumdasZitateines fertigenFremdtextes,sondernumeigene,hiererstentstehendeVersehandelt.FederundTintemachenzudemeineVerbindungzur nachfolgenden Eintragung denkbar (sie wird merkwürdigerweise mit»aus« statt »für den« Moabiter Pferdehandel bezeichnet − eine Umkehrungder›normalen‹Notizbuch­Verwendungslogik,überdienachzudenkenwäre).ZudiesemStückprojektexistierteinKonzept,indemeinMonteurderWitweeinesverstorbenenMilchhändlersvorschlägt,dessenhinterlassenes»Pferdfürsiezuverkaufen.Wennesgenugeinbringt,willersiesogarheiraten.«(EHA405)DieSituation (Verkauf)unddieWortwahl (›einbringen‹) scheinendieVerwandtschaftderbeidenStellenzubelegen,womitdanndieWendunganeineFraustatteinenHerrnplausiblerwird.ImGrundeaberisthiervielesoffen:Autorschaft, Textstatus, Textzugehörigkeit und (damit) Entzifferung. Umauchnur›Mann‹oder›Frau‹ein(immergeringfügigbleibendes)Übergewichtgebenzukönnen,sindkomplexeUntersuchungenaufallenEbenennotwendig.

BeispieleDieNotizbücher

95 DaßnatürlichjederEinzelfallgenaubetrachtetwerdenmuß,zeigtumgekehrtNB25,45r.14,wo»Alten«daseinzigegroßgeschriebeneWortimganzenAb­

schnittist.GeradedieserFallzeigtaberauch,daßBrechts›A‹deutlichandersaussiehtalssein›k‹.

96 DerMißgriffvonBFA3,418istumsoverwunderlicher,alsdortimdirektenKontextzweientsprechendeStellenausMannistMannvon1931und1938zitiert

werden:»Indemmanihnanruft,entstehter«und»Esmußihneineranrufen«.

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UmeinWortrichtiglesenzukönnen,mußman(möglichst)dasGesamtwerkBrechtspräsenthaben−dassichaus(möglichstrichtig)gelesenenWortenzu­sammensetzt.

(41)UndnichtnurdasWerk,sondernauchdieBiographie.DasdritteWortdervorangehendenSeite(NB25,8r)könntegelesenwerdenals»wikenberg«,»reikenberg«oder»wittenberg«(inallendreiFällenbleibtdieFrageoffen,wasderStrichüberdemerstenBuchstabenbedeutet).DaßhierletztererVersionder Vorzug gegeben wird, liegt vor allem daran, daß sich Brecht 1926 einschrottreifesAutoandrehenließ,daseineWeileinWittenbergzurReparaturstand, bevor er es wieder loswerden konnte − sicher eine der wesentlichenAnregungenderhierkonzipiertenAutokomödie.

(42)UndnichtnurWerkundBiographieBrechts.Daßes inNB24,79vnichtz. B.»Geselschaft der feinde Neue Graußler ¾«,sondern»Geselschaft der freunde Neue Graupen 3/4«heißt,wirderstplausibel,wennmanweiß,daßinderNeuenGraupenstraße3­4inBreslauderSitzderGesellschaftderFreundewar,alsovermutlichderSocietyofFriendsoderauchQuäker.ErstdasBreslauerAdreßbucherschließtBrechtsNotizbuch.Pointiertgesagt:JedereinzelneBuch­stabeineinembeliebigenBrecht­DokumentwirderstvordemHintergrundallerBuchstabenüberhauptlesbar.EristTeileinesAlphabetes,Wortes,Satzes,Textes,Kontextes,biographischer,literarischer,kulturellerundzahlloserweite­rerZusammenhänge,diepotentiellalledenentscheidendenSchlüsselfürseineEntzifferung enthalten können. Deshalb ist auch in einer ›einfachen‹ Basis­editionwiederhiervorgelegtenkeine›reineLehre‹diplomatischerTranskrip­tionoderpositivistischeEmpiriemöglich,vielmehr intensiveundextensiveKommentierung nötig, die möglichst offengelegt und offengehalten werdenmuß.

Vorarbeiten

schabenicht,messer,abdieschriftmitderunreinheitdubehältsteinzigeinleeresblattsonstmitnarbenbedeckt!

(NB23,7r­8r)

DemZielgrößtmöglicherTransparenzundVollständigkeitder Informationentsprechendwerdenhierzunächstdiearchivischen,technischenundedito­rischenArbeitsschrittedokumentiert,dieinArbeitsablaufundSystematiknot­wendigzurHerstellungeineradäquatenBrecht­Editiongehören.DieAbhän­gigkeitderAusgabevondiesemUnterbauwirddabeideutlichwerden.

Benennung

Die Notizbücher wurden für die vorliegende Ausgabe fortlaufend nachihrer Chronologie durchgezählt. Diese kann aber nur erschlossen oder ver­mutet werden, denn Brecht datierte seine Eintragungen nie, benutzte oftmehrereNotizbüchergleichzeitigundbeschriebsie,ohnesichandieHaupt­schreibrichtungzuhalten,manchmalkreuzundquer.97EineexakteDatierungeinzelnerEintragungen,Blätter,jaganzerNotizbücheristunmöglich.Außer­demsindnichtalleNotizbüchererhalten,wieschonausdenLückeninBrechtseigenenNotizbuch­Zählungen(sozwischenNB22undNB23oderzwischenNB 32 und NB 33) und aus vielen Einzelblättern, die aus nicht erhaltenenNotizbüchernstammen,hervorgeht.Zumindesteines(NB53)befindetsichinprivaterHand,vielleichtexistierenauchnochweitereinPrivatbesitz,irgendwoaufDachbödenoderinNachlaßkisten.Solltendiesenochauftauchen,könntensiedannnichtmehrindieimVorausfestgelegteReiheeingefügtwerden;siewürdenvielmehranschließendandiebisherbekanntengezählt.

Die Zählung ist also in erster Linie eine abstrakte Sigle, eine Benenung,die daneben auch chronologische Informationen vermittelt. Andere Benen­nungen,z.B.nachaktuellerArchivsignatur(NotizbuchBBA11195/30­64),98

VorarbeitenDieNotizbücher

97Darausergibtsich,daßdieNotizbüchernichtalsText(ineinerRichtungprogre­dierend)gelesenundediertwerdenkön­nen,vielmehrnuralsein–wieimmerchaotischesodergestaltetes–Ganzes.

98 InderaufErweiterungangelegteelek­ tronischenEdition,dienebendenNotiz­

büchernnochvieleweitereBBA­Doku­ menteenthält,kannnurdieseArchiv­ signaturalsNameverwendetwerden;

dieNotizbücherselbsterscheinenhieralsoinihremArchiv­Kontext(z.B.

NB3alsBBA11087zwischenBBA11086undBBA11088).

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früherenArchivzählungen(»Notizbuch18«/»alteNotizbücher­H­«),99Brecht­schen Zählungen (»1«­»9« / »Heft 1«­»Heft 2«), erster Textzeile: (Notizbuch›auchbeihegel…‹),materialenGegebenheiten(CELKA­Block5/Efalin­Heft3),vermutetemVerwendungszeitraum(Notizbuch1927­29)etc.wärenallesamtwenigerplausibelundpraktikabel.Ammeistenentsprichtderhiereingeführ­tenOrdnungdieNumerierungdesBestandsverzeichnissesvonHertaRam­thun (BV). Sie legte, wie die vorliegende Ausgabe, das Kriterium ›physischverbundene/gebundeneDokumente‹zugrunde,umfürodergegendieAuf­nahmeeinesKonvolutsindieListederNotizbücherzuentscheiden.100Den­nochkonnteauchihreZählungnichtübernommenwerden,dennsieist imEinzelfallungenau,101umfaßtzuviel102undzuwenig103undbasiertteilweiseaufFehldatierungen.104BeiderneuenZählungwirdinKaufgenommen,daßessichumdieinzwischendritte(wennmannebendergültigenArchivnumerierungund dem Bestandsverzeichnis auch die alten Archivzählungen und BrechtseigeneAnsätzemitrechnet,sogardiefünfte)numerischeOrdnunghandelt.105

Signierung

NebendenDokumentenalsganzenmußtenauchihreTeileneubenanntwer­den.DiebisherigeSignaturvergabedesBBAfolgteBrechtseigenenAnsätzen

undderLogikfotografischerDokumentensicherung(vgl.oben22f.).SobildetsichindenbisherigenBBA­SignaturendieZahlundFolgederKopien,nichtaberderOriginaleab.DafürArchivwieEditionjedochnurdasletzteremaß­geblichseinkann,gehörtzudennotwendigenVorarbeiteneineneue,striktandenDokumentenorientiertearchivalischeBlattzählunginderHauptschreib­richtung.106UmdieneueZählungüberallvonderaltenunterscheidbarzuma­chen,wirdinihrdiealte,beginnendbei10000,wiederholt;ausBBA6/6wirdalsoBBA10006/7,ausBBA1086wirdBBA11086.SoistderZusammenhangneuerundalterSignaturenimmerevident,undgleichzeitigbleibterkennbar,welcheSignaturenschonderneuenZählungentsprechenundwelchenicht.Zudem wird an den neuen Signaturen im Kommentar jederzeit deutlich,welcheDokumentebereitsinderelektronischenEditiondesjeweiligenBandesenthaltensindundwelchenicht;damitentfälltunnötigerNachschlage­Auf­wand.

EinDokumentbestehtnichtwieeinBuchausbeschriebenenSeiten,son­dernausBlättern.NeugezähltwerdenalsoBlätterstattSeiten,undzwaralle,inklusive der Umschläge und Vorsatzblätter, egal ob sie beschrieben107 oderunbeschrieben sind. Dies ist dem materialen Ansatz geschuldet, bietet aberunter Umständen auch aufschlußreiche Informationen, denn auch ob ineinemNotizbuchalle50Blätterbeidseitig(wieinNB3)odervon62nurneuneinseitig beschreiben sind (wie in NB 44) und wo in einem Notizbuch sichunbeschriebeneBlätterbefinden,kannfürdieDeutungwichtigsein.DiefürBuchlesergewöhnungsbedürftigeFoliierungmitrecto/verso­IndexhältdabeijederzeitimBewußtsein,daßmanesnichtmiteinemBuchzutunhat.

Mitverzeichnet und vollständig mitediert wird alles in die NotizbücherEingelegte,obesnunausanderen(ggf.sogaridentifizierbaren)Notizbüchernstammt oder sich um Zeitungsausschnitte, Typoskripte, Fotos, Rechnungenoderwasimmerhandelt.DieseEinzelblättergehörenphysischnichtzumNotiz­buch;zudemscheintsichihrjeweiligerStandortteilweiseerstinspätererÜber­lieferungzufälligergebenzuhaben.SiewerdendahernichtwiebisheranihremStandortzwischendenSeitengezählt,sondernimAnschlußandasjeweiligeNotizbuch. Der ursprüngliche Fundort, den die alte BBA­Zählung festhält,wirddabeigenaudokumentiertundistsojederzeitleichtrekonstruierbar.

EinenbesonderenFallstellendiezusätzlicherfaßtenDokumente–poten­tielldergesamteübrigeNachlaßBrechts–dar.AuchhierwirdeineBlatt­stattSeiten­ bzw. Kopienzählung eingeführt. Allerdings werden im Gegensatzzu den Notizbüchern dafür keine neuen Signaturen vergeben. Jedes Blattbehält lediglich die erste seiner bisherigen BBA­Signaturen, ergänzt um ein›recto‹/›verso‹­Kürzel. Die dadurch entstehenden ›überzähligen‹ Nummern

VorarbeitenDieNotizbücher

106 EinzelneNotizbüchersindvonbeidenEndenheroderhinundherspringendverwendetworden.

107 ›Beschrieben‹heißthierimweitestenSinn›Informationenenthaltend‹,alsoaucheingeklebteTexte,ZeichnungenoderbloßeKritzeleien.

99 DerüberwiegendeTeilderNotizbücherwurdezueinemfrühenZeitpunktderNachlaß­BearbeitunginzweigroßenGruppenerfaßtunddurchgezählt(BBA10800­10828als»Notizbuch1«bis»29«,BBA434­440und450als»alteNotiz­bücher­A­«bis»­H­«).AuchwenndieseZählungenfehlerhaft(sowurdensowohlBBA10107alsauchBBA10804als»Notizbuch5«gezählt),unvollstän­digunduneinheitlichsind,könnensiedochggf.RückschlüsseaufgemeinsameÜberlieferung,AufbewahrungundZu­sammengehörigkeitenermöglichen.

100 SohatsiezweigebundeneLagen,diezus.mitNB46unterBBA10363archiviertsind,separatgezählt(BV17381),dieRingbuchblätterdagegen,dieinNB35(BBA10824)eingelegtsind,dasiedienichtphysischmiteinanderverbunden

sind,zumNotizbuchgezählt(BV17367).101 SosindNB5/6,NB10/11undNB13/14

jealseinNotizbuchgezählt(BV17342,17346,17348),obwohlsieeindeutigunterschiedlicherProvenienzsind.

102 EinesvonzweiNotizbüchernElisabethHauptmannsistaufgenommenworden

(BBA828),obwohlesnureinevonBrechtbeschriebeneSeite(zweiEnt­würfezurKriegsfibel1936)enthält(BV17376).DieEintragungenHauptmannsstammenvon1929/30undgehörennichtineineEditionderNotizbücherBrechts;dieEintragungenBrechtsvon1936wä­

renimZusammenhangeinerEditionderKriegsfibel1936zupublizieren.

103 NB1,3,52und53wurdennicht berücksichtigt.104 SoistNB32auf1937/38datiertund

zwischenNB45und46eingeordnet(BV17379),wasum4­5Jahrezuspätist.NB

43istauf1938datiertundebenfallszwi­schenNB45und46plaziert(BV17380),wurdeaberwohlschonab1935benutzt.

105 BeiderbesondersdichtenÜberlieferungum1931wurdeBrechtseigenerZählung(vgl.NB31­33)derVorzugvorderarchi­

vischenReihenfolgegegeben;diedreivonihmnumeriertenCelka­Blöckewurdendenübrigenvorangestellt.

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werden nicht mehr verwendet.108 Der Preis, daß so teilweise Lücken in derZiffernfolgeentstehen,wirdmehralsaufgewogendurchdenGewinnanIn­formationdarüber,obessichumeinenodermehrerebzw.umein­oderbeid­seitigbeschriebeneTextträgerhandelt.EinevollständigeNeuzählungwiebeidenNotizbücherndagegenhättenursystematischerfolgenkönnen,wasange­sichtsderBestandsgrößemiteinemexorbitantenArbeitsaufwandverbundenwäre.ZudemsinddieSignaturenseit50 Jahreneingeführt;mitdersiemo­difizierendenneuenZählungbleibensiekompatibel,diebisherigeZitierweisebleibtdokumentiert.

DiedirekteRückbezüglichkeitderneuenaufdiealtenSignaturenistnunabergeradebeidenNotizbüchernnichtimmergewährleistet;dieneuenwei­chen teilweise beträchtlich von den alten ab. (1) In den Archivmappen derKopien, (2) im Anhang (Kommentar) vorliegender Ausgabe, (3) bei jedemeinzelnenOriginal­Dokument,(4)zentralinderelektronischenEditionund(5) ineinerArchiv­DatenbankwerdendaherKonkordanzenaufgenommen,dieneueundalteBBA­Signatureneinanderzuordnen.

Restaurierung

Notizbücher wie auch Einzelblätter befinden sich häufig in (teilweise sehr)schlechtemErhaltungszustand.DasrührtzunächstvonBrechtselbsther.ErtrugdieNotizbücherhäufigmitsichherum,rißLagen,BlätteroderTeilevonBlätternheraus,knicktedieHefte,umsieindieWestentaschesteckenzukön­nen109etc.Andersals imProduktionsprozeßspäterangesiedelteManu­undTyposkripte, die ihm nach eigener Aussage gleichsam zum Fetisch werdenkonnten,110 waren ihm die Notizbücher etwas Ephemeres, eindeutig Nicht­WerkhaftesundfürsichauchNicht­Werthaftes,vielmehrimmererstzuVer­wertendes.SieverdientenkeinebesondereSorgfaltoderästhetischeAufmerk­samkeit,111unddieBeschädigungendurchBrechtselbstmußteninderweite­

renBenutzungbisheutefastunweigerlichzuFolgeschädenführen.Teilweisesind zudem Papier, Bindung bzw. Heftung (rostende Metallklammern) undSchreibmittel (Blei­undFarbstift,TinteundKugelschreiber)vonschlechterQualität.

ErschwerendkaminderFrühzeitdesBBA,alsdieNotizbücherverzeichnetwurden,einegutgemeinte,aberunprofessionelleAnbringungderSignaturenaufeingeklebtenPapierstreifenhinzu(s.oben,23).Dasführteinerseitsdort,wo sie sich inzwischen wieder gelöst haben, zu einer nur über die KopienrekonstruierbarenZählung,dadieBlätterselbstebennichtbeschriftetwurden.Andererseitsaber,unddas istdasgrößereProblem,bewirktedasAuslaufendesKlebstoffesimLaufederJahreeinZusammenklumpenderSeiten,dieteil­weiseamEndenurnoch schweroderauchgarnichtmehrvoneinanderzutrennenwaren;woesdennochversuchtwurde,warenneueBeschädigungenderBlätterdieFolge.DieseundandereschadhafteStellenwurdendannviel­fach mit erneut unzulänglichen Mitteln (v. a. wiederum Klebestreifen) aus­gebessert.

JedeszuedierendeNotizbuchundEinzelblattmußdahervorderweiterenBearbeitungdurchdieHändeeinesRestauratorsgehen.ObersterGrundsatzderRestaurierung istdievorsichtigeKonservierungdesaktuellenZustands.DerAbriebderGraphitbeschriftungaufglattenBlätternwirdbelassen,fehlendePapierteileodergarganzeSeitenwerdennichtergänzt112undbereitsgelösteBlätternichtwiederangefügt,selbstwenndieStelledafürbekanntseinsollte.113DagegenwerdenalleKlarsichtklebestreifenentfernt(SignaturschildchenundÜberklebungvonPapierschäden),umderweiterenVerteilungdesKlebstof­fes im Papier, dem Zusammenkleben von Blättern und dem Verlaufen derSchriftandiesenStellenzubegegnen;Rissewerdengeschlossen,umweiteresEinreißen zu verhindern; zusammengefaltete oder zerknitterte Blätter undumgeknickteEckenwerdengeglättet,damitdasPapierhiernichtbricht;ausHeftung,BindungoderVorperforierungsichLösendeswirdmitStreifenvonJapanpapier,Hausenblaseo. ä.stabilisiert;rostendeTeile(Heftklammern,Nie­tenetc.)werdendurchnichtrostendeersetzt.

DieNotizbücher Vorarbeiten

verschiedeneStufenderNachlässigkeitoderGestaltung.SosindNB27­30teil­weiseoderganzReinschriftenheftemitvielAugenmerkaufdasLayout,NB51isteinCollage­BüchleinaussorgfältigeingeklebtenBlättern,undeinzelne›durchgestaltete‹SeitenfindensichauchinanderenNotizbüchernimmerwieder.

112 InNB21wurdenbeieinerfrüherenRestaurierung32fehlendeBlättermit

Seidenpapierergänzt,wohlumdemzu­vorinstabilgewordenenBanddasnötigeVolumenzugeben.SolchedenCharak­terdesüberliefertenDokumentsändern­denEingriffewerdennunvermieden.

113 Danichtrekonstruierbarist,obeinlosesBlattnichtschonvonBrechtselbstausderBindungoderHeftunggelöstwurde,wäreseineWiederbefestigungeineun­zulässigeVereindeutigungdesBefundes.

108 SowirddasbeidseitigbeschriebeneBlatt mitdenaltenSignaturenBBA328/62­63 zuBBA10328/62r­62v,daseinseitigbe­ schriebeneBlattmitdenbisherigenSig­

naturenBBA331/138­139wirdzuBBA10331/138r;dieSignaturenBBA328/63undBBA331/139entfallenersatzlos.

109 EvidentistdiesbeidenCelka­Blöcken,dergrößtenmaterialeinheitlichenNotizbuch­Gruppe(NB31­34,36­43,45).SieenthieltenursprünglichhintenvordemRückumschlaggleichsamalsintegrierteSchreibunterlageeinesteife

Pappe;dieseentfernteBrechtregelmäßigganzoderteilweise,wohlumdasnunflexibleHeftknickenoderrollenundleichtermitnehmenzukönnen.

110 Vgl.etwadiefolgendeEintragunginBrechtsJournalvom12.April1941:»merkwürdig,wiedasmanuscriptwährendderarbeitzumfetischwird!Ichbinganzabhängigvomaussehenmeinesmanuscripts,indasichimmerfortein­klebeunddasichästetischaufderhöhehalte.«(BBA277/70;vgl.BFA26,472).

111 Auchdiesgilt(wieimmerbeiBrecht)nurmitVorbehalt;esgibtdurchaus

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Digitalisierung

DerGesamtbestanddesBrechtschenNachlassesliegtimBBAnebendenOri­ginaleninFormvonaltenMikrofilmenundvonArbeitskopienaufPapiervor.InderRegelwerdennurletztereausgehändigt.Siesindnachwechselndenundnicht ausgewiesenen Kriterien (was Papier, Maßstab, Bildausschnitt etc. be­trifft)angefertigtwordenundbefindensichinteilweisedeplorablemZustand.InvielenFällensindsiegeradezuunlesbarundmüssendringendersetztwer­den.Auchdiealte,schonvonBrechtselbstmitRuthBerlauundanderenbe­gonneneVerfilmunggenügtheutigenAnsprüchennichtmehr.DaherwerdennachderRestaurierungderDokumentevonallenInformationenenthaltendenSeiten(nebendenbeschriftetenSeitenauchUmschläge,SeitenmitEtiketten,Zeichnungen,Kritzeleienetc.)digitaleAufnahmengemacht.NurvölligleereSeiten,insbesondere(wieesbeidenNotizbüchernhäufigerauftritt)mehrerehintereinanderwerdennichteingescannt.

BrechtsNotizbücherbestehen,wiegesagt,häufigausdünnen,teilweisefastpergamentartigenBlättern,diesehrtransparentsind.OftscheinenaufeinemBlatt Eintragungen der Blattrückseite oder der darunterliegenden Blätterdurch.DieserBefundentsprichtdemOriginalundführtdortmanchmalzuEffekten, die ohne Kenntnis dieses Phänomen nicht zureichend beurteilbarsind.SoistdiePositionderNotizinNB25,19vaufdemunterenVierteldesansonstenleerenBlattessicherbedingtdurcheinAusweichenvorderdurch­scheinenden Eintragung auf Bl. 18r und nicht, wie man vermuten könnte,durcheineninhaltlichenBezug(alsGlosseo. ä.)aufBl.20r.

AndererseitserschwerendiedurchscheinendenEintragungendieLesbar­keit der Seite oft beträchtlich. Was im Original durch einfaches Hin­ undHerblättern zu beurteilen ist, kann beim Aufnahmevorgang oft nur durchUnterlegungeinesopakenBlattesausgeglichenwerden.OberstesZielderRe­produktion istOriginaltreuebzw. ­nähe.Aberwasheißthier ›original‹:dasjeweilsaufgenommeneEinzelblattoderdasBlatt­im­Notizbuch,beidemoftnochEintragungenaufeinemodermehrerenanderenBlätterndurchscheinen(undggf.Konsequenzenhaben)?Natürlichbeides.WennmanaberdieMög­lichkeit, jedes Blatt zweimal aufzunehmen (mit und ohne zwischengelegtesGraupapier als ›Durchschein­Filter‹), als zu aufwendig ausschließt, ist hiereineEntscheidungzutreffen.

DerEntschluß,denTransparenz­EffektinBrechtsNotizbüchernbeiihrerReproduktion durch ein untergelegtes graues Blatt auszuschalten, erfolgteausquantitativenundausprinzipiellenÜberlegungen.MitdiesemVerfahrenist der Informationsverlust geringer und durch Herausgeber­Kommentareleichter zu kompensieren als umgekehrt. Da Brecht die Notizbücher in derRegeldoch,wennauchmanchmalwechselndoderspringend,BlattfürBlattin einer Richtung beschriftete, waren normalerweise zum Zeitpunkt derEintragung die unter dem beschrifteten Blatt liegenden Blätter noch leer.

DieNotizbücher

DasDurchscheinenandererEintragungenhatdahernurinvondieserRegelabweichendenFällensignifikanteFolgenfürBeschriftung(undangemesseneLektüre)eines jeweiligenBlattes,währendesaufderReproduktion,diedenZustand des vollständig beschriebenen Dokuments wiedergibt, häufig zuunkontrollierbaren Interferenzen führt. Die auf der Reproduktion zwangs­läufig immerwiederauftauchendeFrage,obbestimmteGraphen–ggf.mitanderem Schreibmittel oder weniger Druck geschrieben – auf dem repro­duzierten Blatt stehen oder von einem anderen durchscheinen, ließe sichauf der zweidimensional fixierten Abbildung i. Ggs. zum Original oft nichteindeutigbeantworten.Geradeeine falschverstandeneOriginaltreuewürdehier zu einer Verfälschung des Befundes führen – ganz abgesehen von derVernachlässigung einer ja auch nicht verächtlichen ›Dienstleistung‹ undzentralen Aufgabe jeder Edition: der bestmöglichen Lesbarmachung einesOriginals. Reproduziert werden also Einzelseiten mit untergelegten opakengrauenBlättern.DiezumadäquatenVerständnisnotwendigenInformationenüberdasBlattimDokumentenkontextwerdenvomHerausgeberbeigefügt.

WiedieRestaurationträgtauchdieReproduktionzurBestandssicherungbei.DienacheinheitlichenundkontrollierbarenKriterienhergestelltenAuf­nahmenwerdenmehrnochalsbishereineKonsultationdesOriginalsmeistüberflüssigmachenunddiesesdamitschonen.AußerdemdienensiealsDoku­mentationundSicherungdesStatusQuo:desjetzigenZustandesderOrigina­le,derinvielenFällenschonmerklichschlechteralszumZeitpunktdererstenVerfilmungist.EinOriginalkannverlorengehenoderzerstörtwerden–dannexistierenwenigstensbestmöglicheKopien.AberauchimbestenFallnimmtderInformationsgehaltderTextträgerlangsamaberunausweichlichab:Bleistiftverwischt,Tinteverblasst,Papierzerfälltoderbricht.DurchdieAufnahmenwirddasaktuellnochErhalteneundErkennbaredokumentiertundgesichert.

DieneuenReproduktionenwerdendiebisherigenArbeitskopienweitge­hendersetzen;meistwirddamitsogareinBesuchdesArchivsunnötigwerden.Allerdingsnichtimmer:IneinzelnenFällenistinzwischenaufdenOrigina­len manches kaum noch erkennbar, was auf den Archivkopien der 1950erund1960erJahrenochdeutlichsichtbarist.ZudementhaltenmanchedieserKopienunersetzlicheInformationen,z.B.TranskriptionenundKommentarevonElisabethHauptmann.DieseBlättermüssenihrerseitsarchivalischerfaßtundverzeichnetundaucheditorischberücksichtigtwerden.

Vorarbeiten

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Die Ausgabe

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„esistbesser,sagteh.k.schnell,daßunbekanntesunbekanntbleibt,alsdaßdiegeheimnissevermehrtwerden.“

(NB25,84r.8­12)

ZielderAusgabeistdiemöglichstgenaueundvollständigeVermittlungderNotizbücher Brechts als ›Textträger‹ − als Träger: Objekt, Dokument undalsTrägervonTexten:Sprache,Inhalten−andenLeser.DieserBegrifftrifftdasGemeinteabernuruneingentlich:wederlassensichhierTragendesundGetragenes klar voneinander abheben, noch handelt es sich um Texte imeigentlichenSinn.BevorzugtwirddaherderTerminusDokument,indembei­deseinsist;imZentrumderEditionstehtdieReproduktionundBeschreibungderDokumente.114EshandeltsichindiesemSinnundimKernderAusgabeum eine Veröffentlichung des Archivs (gen. obj.). Da das beschriebeneDokument(Original)sichkaumändertunddieReproduktionennachheuti­gen technischen Möglichkeiten in bester Qualität hergestellt werden, stehtzuhoffen,daßdiesesZentrumstabilundlangfristiginvariantseinkann.UmdiesenKernlegtsichdieTranskription:LesehilfeundgraphischeAdaptationderSchriftandievermuteteLesekompetenzdessen,derdieAusgabe indieHandnimmt.VerschiedeneHandschriften,Schreibmittel,SchriftgrößenundSchreibstile werden in einheitliche lateinische Druckbuchstaben umgesetzt.Der dritte und letzte Kreis schließlich ist das, was als Ganzes Kommentargenannt wird: Erläuterungen, Verweise, Quellen, Register. Während derTextteil der Edition (Reproduktion, Beschreibung, Transkription) vor allemdasDokumentwiedergibt,bemühtsichderKommentarvorallemdarum,eszuerschließen (Einordnung,Deutung).Auchhiergilt:Daseine istnieohnedasandere,siebeeinflußen,jabegründensichwechselseitig.DerKommentarist als Ganzes der am wenigsten alterungsbeständige Teil der Edition undmuß für Korrekturen, Modifikationen und Ergänzungen möglichst offenbleiben. Möglich wird dies in der parallelen elektronischen Edition, die derDruckausgabe technisch vorausgeht, sie komplementär ergänzt, für weiterezukünftige Ausgaben öffnet und selbst für Änderungen offen bleibt. Sieenthält das gesamte Material des Drucks und weitere Dokumente nach derArchivordnung.PerspektivischkannausihreineDatenbankmitverschiede­nenUmschaltfunktionenaufchronologischeodersystematischeOrdnungenabgeleitetwerden.

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114 Vgl.dazunäherVillwock,Paralipome­na(Anm.63),94­103.

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115 EineunvermeidlicheUntreue:DasOri­ginalgibtesnicht(inderEdition).Wirhabenesimmernurmit(repro­oder

typographischen)Übertragungenzutun.

Text

meinefreundeichhabediesenachtdarübernachgedacht,wiewirunsernverfallaufhaltenkönnten.[…]aufdiemenschenistkeinverlaß.

(NB16,12r)

Reproduktion

Die digital vorliegenden Archivaufnahmen werden editorisch bearbeitet −mit doppelter Zielsetzung: größtmögliche Originaltreue (DokumentierungderInformation)undbestmöglicheLesbarkeit(VermittlungderInformation).Reproduktionen sind immer auch Dienstleistungen für den Leser: UntreuegegenüberdemOriginal.115DieSeitenwerden freigestellt, ausgeschnitten, inHelligkeitundKontrastoptimiertunddoppeltgespeichert:farbigfürdieelek­tronischeEdition,schwarz­weißfürdenDruck.DieEntscheidungfüreinenDruck in Schwarz­Weiß statt in Farbe erfolgte nicht nur deshalb, weil hierzumeisteineimDetailbessereLesbarkeiterzieltwerden,sondernauch,weilsodieIllusioneinesorginialgetreuenFaksimilesgarnichterstentstehenkann.NichterstTranskriptionenundInterpretationen,schonReproduktionensindÜbersetzungen.Dasgiltesnichtzuverdrängen,sondernzuberücksichtigenundzunutzen.

DieReproduktionenbildendeneigentlichenFokus,Ausgangs­undZiel­punkt der vorliegenden Ausgabe. Alles übrige dient zur Erschließung undLesbarmachungderinihnenbzw.denOriginalenenthaltenenInformationen.AndenOriginalenorientiertsichdieAusgabeschonimFormat.Eswurdesogewählt,daßeineWiedergabedermeistenBlätterinOriginalgrößemöglichwird.NurfürsechsNotizbücher(NB3,NB27­30undNB44)wirdeinemaß­stäblicheVerkleinerungum10­20%nötig.DieserAbstrichandieOriginal­nähe erfolgte aus einer Abwägung der Vor­ und Nachteile. Der gefundeneKompromiß ist vertretbar, weil auch bei diesen (wenigen) VerkleinerungendieGraphenimmernochgut lesbarsindundjedesDetailerkennbarbleibt,dasFormatderAusgabeaberinkeinallzugroßesMißverhältniszumkleinenFormat der meisten Notizbücher gerät. Jede rechte Seite (Blattvorderseite,recto)desOriginalswirdauchinderAusgaberechts,jedelinke(Blattrückseite,verso)linksabgebildet.DiezugehörigeTranskriptionstehtjeweils−wiebeieinemdurchschossenenExemplar−aufdergegenüberliegendenSeite.

Signatur,Paginierung,Zeilenzählung

Die archivische Foliierung der Dokumente (s. oben, 72­74) bleibt auch imDruck das maßgebliche Lokalisierungssystem für jede Stelle; sie ist unterjederReproduktion(alsihr›Name‹bzw.ihre›Adresse‹)angegeben.NurdieArchivsignatur kann zur lückenlosen ausgabenunabhängigen Orientierungdienen.BeiZitatenundVerweisenwirddeshalbimmeraufsieundnichtaufdieSeitenzahlderAusgabeverwiesen.DieSeitenzählung (Paginierung)derAusgabedagegen,diesichaufdenTranskriptionsseitenundimAnhang(den›Herausgeberseiten‹), im Text­ wie im Kommentarteil findet, kann nur beiausgabenbezogenenVerweisensinnvollsein.

ImBundstegderTranskriptionsseitenisteinZeilenzählerbeigefügt.Aus­gehendvonderPrioritätdesSchrift­Bildsvordem ›Text‹werdenhierauchnichtgraphemische Eintragungen (Trennstriche, Kreuze, Pfeile etc.) mit­gezählt, solange sie im horizontalen Zeilenraster erfaßt werden können. Eshandelt sich um eine rein pragmatische Lokalisierungshilfe, keine impliziteFestschreibungodergarwertendeHierarchisierungvonzeilenweisebeziffer­baren Schriftphänomenen i. Ggs. zu durchs Netz fallenden, also scheinbarirrelevantenVorkommnissenaufderSeite.Verzichtetwirdaufeinzusätzlichesvertikales Raster, also ein vollständiges Koordinatensystem, wie es in derKonsequenzdesdokumentarischenPrinzips lägeundinEinzelfällenmögli­cherweisehilfreichwäre.Beiderweitgehendhorizontal­linearenBeschriftungder Dokumente wäre der Nutzen doch meist nur gering und würde denhöheren Aufwand und den ungewohnten, ggf. verwirrenden Technizismusnichtrechtfertigen.

Transkription

Die Transkription wird anhand der Originale im Bertolt­Brecht­Archiv er­stellt.ZusätzlichwerdendiealtenArchivkopiensowiedieneuenScansheran­gezogen – jene, weil sie heute bereits teilweise mehr Informationen als dieOriginale enthalten (s. oben, 77), diese, weil sie durch Vergrößerungs­ undKontrastierungsfunktionen am Bildschirm manches deutlicher als imOriginal lesbar machen. Die im BBA vorhandene Arbeitstranskription vonHerta Ramthun dient zur Kontrolle. Das Grundprinzip der Wiedergabe istdas der ganzen Edition: ›möglichst einfach‹ (»entia non sunt multiplicandasine necessitate«; Wilhelm von Ockham) − also das Graphische graphisch,dasgraphemischemitGraphemen(ingemäßigterDifferenzierung)undnurdasandersnichtodernurschwerNachvollziehbaremitdiakritischenZeichenbzw. Satzkonventionen. Angestrebt wird eine topographische EntsprechungderUmschriftandieVorlage(phänomengetreueTranskription).

DieAusgabe Text

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116 Korrekterweisemüßtemanvon›kri­tisch­diplomatisch‹sprechen,danichtalleEinzelheitenderVorlagenachge­bildetwerden.IndiesemSinnistaberjedediplomatischeTranskriptioneine(mehroderweniger)kritische,sonstwäresieeineKopie,ReproduktionoderFälschung.DasParadox›diploma­tischerTranskription‹liegtdarin,daßsieihrenBegriffbeiseinerErfüllungsprengt.Vgl.auchVillwock,Paralipo­mena(Anm.63),96­99.

117 Auchhiermüßtemankorrekterweiseschreiben:›nichtsignifikantnachMaßgabederEditionsvorgaben‹.DaaberjedesLesen(Auslesen,Selektion)eineFilterungnachausgewähltenIn­teressenundHinsichtenist,verstehtsichdieseEinschränkungvonselbst.Siesollhiernur,imGegensatzzum›natürlichenLesen‹,bewußtgemachtundoffengelegtwerden.

JedeUmschrift,aucheinediplomatischewiediehiervorgelegte116isteineÜbersetzungauseinemZeichensystemineinanderes−hieraushöchstvari­ablendeutschenundanderenHandschrifteninlateinischeDrucklettern.Ab­sichtkannesnichtsein,einederIndividualitätderVorlagevollständigent­sprechende Kopie (ohne Informationsverlust) herzustellen. Das wäre eineredundanteReproduktionderReproduktion,bloßeVerdoppelung.Esgiltviel­mehr,dienichtsignifikanten117EigenheitenundVariationendesManuskriptsvondensignifikanten(relevanteInformationenthaltenden)zuunterscheiden:kontrollierteundkontrollierbareDistanzundDifferenz.Nurdie imVorausals signifikant bestimmten Elemente der Vorlage werden, soweit möglichund sinnvoll, individuell, also nicht­konventionell, und nach Maßgabe destechnisch Möglichen pragmatisch nachgebildet (vgl. oben, v. a. Beispiel 34).DiegroßeMehrheitallerGraphenindenNotizbüchernaberkönnenrelativeindeutig identifiziertundfolglichdentypographischenundelektronischenVorgabenentsprechendvereinheitlichtwerden.DiewechselndenFormen,Grö­ßenundAbständederhandschriftlichenGraphenwerdenindenDrucktypenstandardisiert.

Begründungsbedürftig ist der Verzicht auf die Wiedergabe von Schreib­konventionen,dieheutenichtmehrüblichsind.Das›ſ‹derdeutschenKurrent­schriftamAnfangoderinderMitteeinerSilbeistfürsichselbstnichtbedeu­tungstragend(esentspricht›s‹),kannaberbeiabgebrochenenWörternoderSätzendurchausfürdenLesersignifikantwerden:›es‹kanneinganzesWortsein, ›eſ‹nureinAbbruchmitten imWort.DieGeminationvon ›mm‹bzw.›nn‹zu›m‹/›n‹,ansicheinbloßeSchreibgepflogenheit,wirdvonBrechtnichtkonsequentverwendet;selbstdieseUnterscheidungkönntealsoggf.eineIn­formationenthalten.DaseineinderdeutschenSchriftverwendeteZeichenfür›I‹und›J‹istäquivok,eineEntscheidungfürdieeineoderandereUmschriftalsoeineFestlegungdurchdenHerausgeber,diesogarAuswirkungenaufdieIdentifikation der Folgebuchstaben haben kann (dasselbe Schriftphänomenkannggf.sowohlals›Ir‹wieals›Je‹gelesenwerden).DennochwerdendiesefürdeutscheHandschriftcharakteristischenGraphendenheutigenLese­undSatzgepflogenheiten lateinischer Druckschrift angepaßt. Die hier notwendig

werdendenHerausgeberentscheidungensindjedochkeinSystembruch;viel­mehrsindLeseentscheidungenauchbeiallenanderentranskribiertenGraphenzutreffen.Wonötig,können(undmüssen)problematischeFälleineinerEr­läuterung thematisiert werden. Gerechtfertigt ist dies durch die grundsätz­licheFunktionderUmschrift:SiesolldenTextnichtfestschreiben(konstituie­ren), sondern lesbar machen (öffnen). Sie soll überhaupt nicht als Text fürsichgelesenwerden, sondernnuralsLesehilfe zurReproduktionhinführen.EntsprechendsollauchdieIrritationdurchdasSchriftbildnichtüberdasNot­wendigehinausgehen.

Nunkanneinemspeziell,z.B.psychologisch,graphologischoderkrimi­nologischinteressiertenLeserbuchstäblichallesaufeinemSchrift­Bildsigni­fikantwerden.EinsolcherLeserwirdaberohnehinvorallemdieReproduk­tionbetrachtenundnichtihretypographischeDeutungineinerTranskription.DieAnsetzungderSchwelle,abderdieFragenachsignifikantenodernicht­signifikantenHandschriftenbefundenüberhauptgestelltwird,unddieWahlzwischenimitierendenundnormierendenVerfahrenbeiihrerUmschrifthatderHerausgeberzutreffenundzuverantworten.

Die Wahl der Satzschriften und textkritischen Zeichen für die Transkrip­tion dient vor allem dem Zweck, auf die Vorlage hin transparent zu seinund möglichst nicht selbst Gegenstand der Aufmerksamkeit zu werden; siesollen hinführen, nicht ablenken. Deutungen, die über die in jeder Lektüreunvermeidlichen Verstehensprozesse hinausgehen, bleiben, räumlich vonder Transkription getrennt, den Fußnoten und Erläuterungen überlassen.Dazu gehören auch alle genetischen Informationen, die über das Evidente(dasz. B.inderSchreibrichtungliegt)unddasUnumgängliche(KorrekturendurchÜberschreibungmüssenhintereinanderwiedergegebenwerden,umsielesbarzumachen)hinausgehen.ZeitlicheVerhältnisse,z. B.Überarbeitungs­schichten,werdennichtmarkiert,eineUnterscheidungzwischenSofort­undSpätkorrekturenwirdnichtgetroffen.Daßüber,unterodernebenderGrund­zeile stehende Zeichen oder Worte nachträglich eingefügt wurden, ist fastimmerunmittelbarausderReproduktionbzw.TranskriptionersichtlichundmußnichtnochdurchKlammern,Schriftgröße,Fettdruck,Indizierungo. ä.thematisiertwerden;Ziel isthierdieVermeidungvonRedundanzen.Selbstwo(geradewo)derrelativeZeitpunkteinerEintragungnichtevidentist,wirdgrundsätzlichaufeineherausgeberischeDifferenzierungzwischensichererundunsicherer Zeitpunktbestimmung verzichtet. Bei komplexen Fällen könnengenetischeInformationenineinerFußnotegegebenwerden:EntflechtungvonräumlichemBefundundzeitlicherDeutung.

DieTranskriptionistLesehilfeundLesevorschlag,aberkeinselbständigerText.Daherkann,analogzumVerzichtaufdieDifferenzierungvermutlicherodersichererSofort­undSpätkorrekturen,auchaufdieUnterscheidungsiche­rerundunsichererEntzifferungvonGraphenverzichtetwerden.LesenbestehtimmerundinsbesonderebeiHandschriftenauseinemKontinuumverschie­denerGradeanSicherheitmiteinemjenachGraphundWortwechselnden

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AnteilvonAb­undHineinlesen.DerscheinbareInformationsgewinndurchdie binäre Unterscheidung ›sicher‹/›nicht sicher‹ entspricht nicht dem fak­tischenLesevorgangundist,nebendieReproduktiongestellt,nureinGewinnanPseudoexaktheit.IndervorgelegtenTranskriptionhandeltessichumeinenVorschlag.DieVerantwortungfürseineWeiterverwendungalsTextliegtbeimLeser, Zitierer und Forscher. Verbesserungsvorschläge und Falsifizierungensinderwünscht.

Angestrebt wird, daß der Leser schneller zur Reproduktion blickt, stattzuerst(undoftwohlauch:zuletzt)zuversuchen,einevieldimensionaleTran­skriptionzudurchschauenodersichschonbei ihrzuberuhigen.Einweite­rerVorteilderReduktionvonAnsprüchenandieUmschrift ist,daßdie inhistorisch­kritischenEditionensonstüblichentextkritischenZeichen,Heraus­geberzutatenundalsoFremdkörperimtranskribiertenText,weitgehendver­mieden werden können. Sonst diakritisch (nicht­transkribierend, interpre­tierend)verwendeteherkömmlicheMetazeichenwie ›X‹, ›x‹, ›<‹, ›>‹, ›{‹, ›}‹,dieallevonBrecht selbstverwendetwerden,bleibendadurch fürdieTran­skriptionselbstreserviert,zurWiedergabeoriginalerGraphenverfügbarundalsZeicheneindeutig.

Eine typographische oder graphemische Markierung bleibt dort erforder­lich,wodieTranskriptionspezifischeProblemstellendesSchreibprozesseszumarkieren oder zu entflechten vermag: bei unlesbaren (1), überschriebenen(2), überschreibenden oder eingefügten (3) und bei getilgten, aber rekon­struierbarenGraphen(4).

(1)DieMarkierunggänzlichunlesbarerGraphen(folgen)istauchineinemLesevorschlagnotwendig,wennkeinewahrscheinlicheoderauchnurmög­licheLesehypothesezubildenist,dasVorhandenseinvonGraphen(oderall­gemeiner:Tinten­/BleistiftspurenaufPapier)aberdennochmarkiertwerdensoll.AlsZeichen fürunlesbareGraphenwirddas indenVorlagennirgendsvorkommende umgekehrte Fragezeichen ›¿‹ verwendet. Da die Zählungnicht lesbarerGraphenbzw.dieUnterscheidungzwischenGraph,Graphen­folgeundWortaufgrundvonBrechtsDuktusoftnichtmöglich ist,wirdesnäherungsweise topographisch bzw. ›schriftstatistisch‹ verwendet: Eine un­lesbareGraphenfolge,diederLängevondreidurchschnittlichenBuchstabendesKontextesentspricht,wirdalsomit›¿¿¿‹wiedergegeben,ohnedaßdamiteinegenaueZeichenzahlgemeintist.

(2)BeiÜberschreibungenweichtdasPrinzipderTopographiedemwich­tigerenderLesbarmachung.WilldieUmschriftnichtgenausoschwerlesbarwie ihre Vorlage sein, muß sie hier analytisch ›entzerren‹ und hintereinan­der wiedergeben, was sich im Original überlagert. Dabei werden, gängigenEditionsgepflogenheiten entsprechend, überschriebene Graphen in eckigeKlammerngesetzt: ›[abcde]‹.DieseKlammernsinddamitdieeinzigenEle­mentedesgesamtenZeichensatzes,diefürsichgenommenäquivokwerden,daauchBrechtsie(wennauchsehrselten)verwendet.Auchsieabersindhiereindeutig als Herausgeberzeichen lesbar, da sie nie allein für sich auftreten,

sondern immer nur in Verbindung mit anschließender Kursivierung derüberschreibendenGraphen:

(3) Um die Erstreckung einer Überschreibung vom anschließenden Textunterscheidbarzumachen,werdendieüberschreibendenGraphenkursiviert:eintypographischesMittel,dasesinderHandschriftnichtgibt.Bei›[fal]richtig‹überschreibendievierGraphen›rich‹denWortansatz›fal‹,dasWortende›tig‹schließtsichan.(JenachKontextkannessichhierumeineSofortkorrekturvon›fal⟨sch⟩‹handelnoderumeinespätereKorrekturvon›faltig‹.)

(4)InseltenenFällen(z.B.NB25,1v.5)findensichnichtdurchStreichung,sonderndurchRadierungoderandersgetilgteGraphen,diedennoch lesbargeblieben sindodermit technischenMittelnwieder lesbargemachtwerdenkönnen. Dafür wird der Tonwert Grau statt Schwarz gesetzt, ebenfalls einsonstnichtvorkommendesundalsoeindeutigesgraphischesMittel.

Einfügungen,diekeineanderenGraphenüberschreiben,werdennichtei­gensgekennzeichnet,sonderntopographischderVorlageentsprechendüber,unterodernebenderGrundzeileplaziert.NurinderVorlagenichtklaralsein­gefügterkennbarenichtüberschreibendeGraphen,z.B.dieErgänzungeinerWortendungaufderGrundzeile,werden(wieÜberschreibungen)durchKursi­vierungmarkiert:›EinfügungenimTextfluß‹.

AlsHerausgeberzeichenundSatzkonventionenwerdenalsoverwendet:

¿¿¿ nichtentzifferteGraphen[ineckigenKlammern] überschriebeneGraphen kursiv überschreibendeodereingefügteGraphengrau getilgteundeditorischrekonstruierteGraphen

Streichungensindalssolche,d. h.graphisch,nichtdiakritisch(z. B.durchecki­geKlammern)wiedergegeben.Siewerdenjedochnichtnachgebildet,sonderninderRegelalsgeraderhorizontalerStrichvereinheitlicht.AuchSatzzeichenwerdengraphischkonventionellgestrichen,daeskeineZeichengibt,dieda­mitverwechseltwerdenkönnen: ›.‹, ›,‹, ›!‹, ›?‹, ›„‹, ›“‹.EinzigdieStreichungvonhorizontalen(z.B.Trenn­oderGedanken­)StrichenwirdderDeutlichkeithalbernachbildendwiedergegeben,z. B.:›−/‹oder›−\ ‹.

Zeichen,dieeinespezielleunterscheidendeFunktionhabendürftenoderkönnten,werdenebensowieEinweisungs­undUmstellungslinien,Pfeileetc.möglichstnachgebildet.

DiepotentiellunendlicheUnterscheidbarkeitundKomplexitätvonHand­schriften (deutsch oder lateinisch, analytisch buchstaben­ oder synthetischwortweise,Lang­oderKurzschrift, eigeneoder fremdeHand, Jugend­oderAltersschrift,verschliffeneoderReinschrift)mußfürdenBuchdruckmitge­normtenLetternaufeine(begründbare)AuswahlrelevanterDifferenzierungenreduziertwerden.AlleanderenwerdeninderUmschriftnichtberücksichtigt.InbesonderenFällenkannindenErläuterungendaraufhingewiesenwerden.InjedemFallistdieReproduktionalseigentlicheReferenzzukonsultieren.

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DruckschriftenkönnenwiealleSchriftenihrenTextmöglichstausdeuten(bzw. manipulieren) oder möglichst neutral sein. Brecht selbst bevorzugteletzteres:TransparenzaufdenInhalthin,dermöglichstdirektfürsichselbstzu sprechen habe. Bei einer wissenschaftlichen Ausgabe, wo Subjektivitätunerwünschtist,undspeziellbeieinerNotizbuch­Editionistdiesbesondersangebracht, da hier jede Ausdeutung noch mehr als sonst auf unsicherenFüßenstehenmüßte.Essolltehiernurdaswiedergegebenwerden,wassicherfeststellbaroderevidentist.Dafürsinddeutlichvoneinanderunterschiedene(und doch ästhetisch zusammenpassende), dabei zugleich neutrale und gutlesbareDruckschriftenzuwählen.

Grundsätzlich ist in den Vorlagen die Hand Brechts von der anderer zuunterscheiden(Autographievs.Allographie).DieseBasisdifferenzwirdtypo­graphischdurchzweigutunterscheidbareSchriftfamilienausgedrückt: ›Mi­nion‹ fürBrechtund ›Helvetica‹ für fremdeHand.StenographischeEintra­gungen werden in beiden Fällen durch eine ›englaufende,kleinereSchriftvariante‹wiedergegeben.ZudemwirdimFalleBrechtszwischender(dominierenden)deutschenundderlateinischenSchriftunterschieden.Fürletzterewirdeinedritte,vonderMinionwiederumaugenfälligabweichendeSchriftverwendet:die serifenlose ›Myriad‹. (Etwaige Mißverständnisse aufgrund der relativenÄhnlichkeitvon›Myriad‹und›Helvetica‹werdendadurchausgeschlossen,daßbeiletztererzusätzlichimmerexplizitaufdenfremdenSchreiberhingewiesenwird.)Aufdieweniger relevanteDifferenzierung lateinischervondeutscherSchriftbeifremderHandwirdverzichtet.EinsolcherSchriftwechselistinderReproduktion ersichtlich und kann in signifikanten Fällen in einer Erläute­rungthematisiertwerden.

BrechtführteseineNotizbücherhandschriftlich.Allerdingsklebteerteil­weiseTyposkripteoderTyposkriptausschnitteinsieein.Zudemsinddie(vor­erstnurelektronischerfaßten)übrigenDokumentezueinemgroßenTeilma­schinenschriftlich.SiesindzwarinderRegelgutlesbar;alsersterSchrittzueinerspäterenTextkonstitutionundumsieindieelektronischeVolltextsucheeinbeziehenzukönnen,werdenaberauchsieumschriftlicherfaßt.118AlsSchriftdafür wurde die (der Schreibmaschinenschrift nahe) ›Prestige‹ gewählt.DieseentsprichtderVorlagesehrweitgehend.NurdiedortmeisteinheitlichdurcheinenStrichmittlererLängewiedergegebenenTrenn­bzw.Bindestriche(›-‹)undGedankenstriche(›−‹)werdeninderUmschriftdifferenziert−eineHerausgeberentscheidung.Streichungen(oftÜbertippungenmit›/‹, ›x‹, ›m‹etc.) werden wie in den Handschriften mit horizontalem Strich vereinheit­licht.119

DasergibtinsgesamtfolgendeSchriftentafel:

Brecht deutsch Minion lateinisch Myriad stenographisch Minioncondensedpetit

fremdeHand deutsch/lateinisch Helvetica stenographisch Helvetica condensed petit

Schreibmaschine Prestige

Marginalien

IndenräumlichunddurchkleinereSchriftvomTranskriptionstextdeutlichabgegrenztenMarginalienamäußerenRandderSeitenfindensichpunktuelleAngaben, die das Textverständnis erleichtern (Auflösung von Abkürzungenetc.), und Hinweise auf Textstrukturen, die die jeweilige Einzelseite über­schreiten(v. a.VerknüpfungenmitEintragungenaufanderenSeitendesNo­tizbuchsoderinanderenDokumenten).DerHerausgebertextstehthierwieüberhauptimTextteilinstumpfenSpitzklammern(›⟨‹,›⟩‹)−zwischenZeichenalso, die in der Transkription selbst nicht vorkommen. Verwendet werdenfolgendeZeichenundSatzkonventionen:

Herausgebertext ⟨instumpfenSpitzklammern,petit⟩Titel kursivTextanschließendanBl. 12r.3←TextfortgesetztaufBl. →45v.6

Fußnoten

Die Fußnoten sind räumlich und durch kleinere Schrift eindeutig von derTranskription unterschieden. Hier werden Farbe und Art der Schreibmittel(Tinte, Blei­, Farb­ oder Kopierstift, Kugelschreiber), bei fremder Hand dieNamenderSchreiberundjedeArtvonBesonderheit(Tintenflecke,ungewöhn­licheEselsohren,AuffälligkeitenderSeitentopographie,vonanderenBlätterndurchschlagende Tinte) vermerkt. Wo zur vorgeschlagenen Entzifferung al­ternativeLesartenmöglichsindundeinenannäherndgleichplausiblenSinnergeben,werdensiehierangeführt.InderRegelbeschränktsichdieAngabeauf die Arbeitstranskription von Herta Ramthun im BBA, auf die auch diebisherigenPublikationenvonNotizbucheintragungenweitgehendzurückge­hen.EindeutigeFehllesungenbisherigerAusgabenwerdennichtvermerkt.

DieAusgabe Text

118 AuchbeieinerTeilausgabewiedervorliegendenderNotizbücheristdieKompatibilitätmiteinerspäterenGe­samtausgabeimmerschonmitzubeden­

ken;vgl.dazuVillwock,Paralipomena(Anm.63),88­106.

119 ZurTranskriptionvonTyposkriptens.auchunten99f.

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NichtunmittelbarausReproduktionundTranskriptionersichtliche,unein­deutigeodersonsterläuterungsbedürftigegenetischeSachverhaltewerdenbe­vorzugthierindenFußnotenthematisiert,nurbeibegründetenAusnahmen,insbesondere bei komplexen Sachverhalten auch in den Erläuterungen imAnhang.AngestrebtwirdgrundsätzlicheineeditionslogischeundräumlicheEntflechtungderUmschriftvonallenMeta­Informationen.

DieVerzeichnungerfolgtlemmatischmitAngabederZeilenzahl.Heraus­gebertext steht in stumpfen Spitzklammern; jedes Lemma wird von einereckigenKlammerabgeschlossen;AuslassungendurchdenHerausgeberwer­dendurchdreiPunkteinkursiveneckigenKlammernmarkiert:

Herausgebertext ⟨instumpfenSpitzklammern,petit⟩

Lemmaklammer ]

Textauslassung […]

Kommentar

herrk.warnichtfürabschiednehmen,nichtfürbegrüßen,nichtfürjahrestage,nichtfürfeste,nichtfürdasbeendeneinerarbeit,nichtfürdasbeginneneinesneuenlebensabschnittesnichtfürabrechnungen,nichtfürrache,nichtfürabschlie­ßendeurteile.

(NB34,16r)

AlleInformationen,dienichtdirektdieEintragungenunddieTranskriptionbetreffen (diese finden sich im Textteil in den Marginalien und Fußnoten),sindimAnhangenthalten.DieseralsganzerheißtKommentar.Imübrigen,insbesondere für seinen Kern: die Stellenerläuterungen, wird der Begriff›Kommentar‹ vermieden, um Interferenzen mit Brechts eigenem Sprach­gebrauch(vgl.z.B.NB25,51runddieErläuterungdazu)auszuschließen.

DerKommentarvorliegenderAusgabehatvorallemzweiFunktionen:ErsolldieDokumentealsObjektebeschreibenunddieEintragungeninhaltlicherschließen.LetzteresgeschiehtvorallemdurchkoordinierteVerweiseaufan­dereDokumentedesGesamtwerks120unddurchSammlungvonHinweisenzurDeutung.DieseErläuterungensindoffen,aufErgänzungundÜberholbarkeithinangelegt.BewußtexponierensiesichderKritikundFalsifikation.Siekön­nendiestun,weilsie(wiedieTranskription)alleInformationenvorlegen,diezuihrerBeurteilungnötigsind.Eskommthierdaraufan,indenZirkeleinerwissenschaftlichen Brecht­Herausgabe erst einmal hineinzukommen. HiersolldasFundamentgelegtwerdenfürzukünftige(Teil­)Ausgaben,andiedannexklusivereMaßstäbeangelegtundweitergehendeAnsprüchegestelltwerdenkönnen,undfüreinesinnvolleelektronischeVerlinkungderDokumenteun­tereinander.DerNetzstrukturvonBrechtsProduktionkannnureinsolchervernetzender Kommentar entsprechen. Er besteht aus drei Hauptteilen: (1)EinerkurzenEinführung»ZurEdition«,(2)einerBeschreibungundErläute­rungdereinzelnenNotizbücherund(3)einemListenteilmitZeittafel,Siglen­,Abkürzungs­undLiteraturverzeichnissowieverschiedenenRegistern.

ZurEdition,diakritischeZeichen

DieEinführungindenAnhangresümiertdasimvorliegendenTextausführlichDargelegteundstelltdiediakritischenZeichenübersichtlichzusammen.

DieAusgabe Kommentar

120 AufBBA­DokumentewirdimgesamtenKommentarheftvereinfachtverwiesen:BeiSignaturenwirdaufdasKürzel»r«

(recto)verzichtet,woesnichtzurUn­terscheidungvon»v«(verso)notwendigist.

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Beschreibung,Lagenschema,Seitenbelegung,

Nachder−meistnurungefährmöglichen−DatierungdesjeweiligenNotiz­buchs folgtzunächsteineKurzcharakteristik,die seine inhaltlichenSchwer­punkteundBesonderheitenbenennt,umdenÜberblickunddieschnelleOri­entierungzuerleichtern.AnschließendwirddasDokumentnachfestgelegtenKriterien formalanalysiert:Standort,Format (Breite×Höhe)undUmfang,Materialität (Papier, Umschlag, Schreibmittel). Danach werden der aktuelleArchivkontext−grossomododerrelativeStandortdesDokumentsinBrechtsWohnung (oderanderswo)zumZeitpunkt seinesTodes−und, falls rekon­struierbar,auchdieKontexteangegeben, indenendasNotizbuchalsDoku­ment zuvor stand: die Orte in Brechts Verwendungszusammenhängen undSelbstarchivierungen.BeideskannwichtigeHinweisenichtnuraufÜberliefe­rungs­,sondernauchaufProduktionskontextegeben(vgl.oben,22f.).Zuletztwerden,fallsdiesindenvorangehendenRubrikenkeinenPlatzfindenkonnte,weitereBesonderheitendesjeweiligenNotizbuchsbeschrieben.

AusdemgraphischdargestelltenLagenschemagehtdieBindungundderOrtfehlenderSeitenhervor.Sokönnenggf.auchanderweitigüberlieferteEin­zelblätterleichteridentifiziertundexaktzugeordnetwerden.Zusätzlichfindetsichhier(pragmatischvereinfacht)dieSeitenbelegungwiedergegeben,sodaßdasLagenschemazugleichalsInhaltsverzeichnisverwendbarist.

Erläuterungen

Wie der Kommentar insgesamt, so haben insbesondere die Einzelstellen­ErläuterungendendoppeltenAnspruch,dieNotizbuch­Eintragungenunter­einanderundmitanderenDokumentenzuverknüpfen(1)undeinemöglichstumfassendeSammlungvonMaterialzurDeutungzusein(2).

(1)ZuerstundzentralverstehensichdieErläuterungenalsVerteilervonVerweisenaufgenetischund/oderthematischbenachbarteDokumenteoderTexte. Sie ermöglichen eine Orientierung im sonst unüberschaubaren undschier undurchdringlichen Nachlaß Brechts, indem sie ihn vorläufig struk­turieren. Auch hier werden selbstverständlich die Vorarbeiten 50jährigerBrecht­Forschungüberallkritischunddankbarverwendet,auchwenndiesimeinzelnennichtnachgewiesenwerdenkann.EinAnspruchaufVollständigkeitkannschonausbestandsimmanentenGründennichtgestelltwerden:BrechtsProduktion verläuft meist nicht in klar abgrenzbaren Arbeitsprojekten undWerkgrenzen, und die chronologischen Zusammenhänge sind oft nichtrekonstruierbar (s. oben, 16f., 46). Trotz des Umfangs von Brechts Nachlaßfehlt es an absolut oder relativ exakt (genug) datierbaren Dokumenten.Werden chronologische und systematische Festschreibungen dennochversucht, werden die Ergebnisse zwangsläufig unbefriedigend bleiben. Aber

auchbeiderhiergeübtenweitgehendenBeschränkungaufVerweise(chrono­logisch­systematischeDeutungenwerdennurzumkleinerenTeilundnurdortgegeben,woeinigeSicherheiterreichbarist)bleibtesvonderEinschätzungdesHerausgebersundseinemjeweiligenKenntnisstandundÜberblickabhängig,worauferverweistundworaufnicht:unvermeidlicheSubjektivität.

(2)DanebensammelndieErläuterungenMaterialzurDeutungundInter­pretation:Quellentexte,Parallelstellen,enzyklopädischeInformationen.Aus­gehendvonderErkenntnis,daßjedeTranskriptionimmerschonInterpreta­tion ist, werden die Erläuterungen offen gehalten auch für Hinweise aufinhaltliche Aspekte, Deutungsvorschläge, Interpretatorisches. Derartige›spekulative‹(hermeneutische,subjektive)AnsätzemachenfaktischdieEnt­zifferungeinesWortesoderBuchstabensmanchmalerstmöglichunddürfennicht schamhaft verschwiegen werden. Sie müssen vielmehr markiert unddamit nachvollziehbar und kontrollierbar gemacht werden. Zudem könnensie für Einordnung und Verständnis einer Notiz wichtige Hinweise liefern:Deutungsvorschläge, die der Leser in seiner Weiterarbeit am Text sieben,aufgreifen,ergänzenoderverwerfenmag,wieesihmplausibelerscheint.DerKommentarkannhiernichteiner›reinenLehre‹folgenundversuchen,sichjederInterpretationzuenthalten.EineklareTrennungvonBefundundDeu­tunghatesniegegebenundistausimMaterialselbstliegendenGründenauchunmöglich.Daßheißtnicht,daßeinesolcheUnterscheidungnichtheuristischsinnvollwäre.Hierwieüberallgiltes,dieunvermeidlicheDialektiknichtzuverdrängen,sondernbewußtzumachenundzunutzen.

EingrundsätzlicherVorteilbeieinerNachlaß­Editionwiedervorliegen­denist,daßkeinLesetextkonstituiertwerdenmuß.DieTranskriptionkannetwaige Probleme, die das Material aufgibt, an den Leser, Nutzer, Forscherweitergeben.AufgabederEditionistzunächstundvorallem,dieDokumentezugänglich und lesbar zu machen, nicht aber, aus Notizen zitierbare Texteherzustellen. ImKommentarallerdingsstellt sichdieseFrage trotzdem:MitseinerOrientierungauf›Texte‹undderNotwendigkeit,ausdenDokumentenzitierenzumüssen,ister−als›ersterLeser‹−auchselbstmitdemProblemder Textkonstitution konfrontiert. Er muß sich jeweils für eine Zitierweiseentscheiden, kann so aber auch Beispiele für den Umgang mit derartigen›nichtfestgestelltenTexten‹geben.

Nachlaßdokumentesindnichtautorisiertunddamit›fürandere‹nicht›fer­tig‹, janichteinmalfreigegeben.EsistbeieinemkonkretenDokumentnie­mals feststellbar, ob der Textwerdungsprozeß ›an sich‹ schon abgeschlossenodernuraneinerbestimmtenStellestillgestelltoderabgebrochenist,undanwelcher Stelle dieses Prozesses man sich gerade befindet: am Anfang einesersten Entwurfs, am Ende einer Reinschrift mit einem ›eigentlich‹ fertigenText oder irgendwo (eher vorne? eher hinten?) dazwischen. Darüber sindimmernurundbestenfallsPlausibilitäts­undWahrscheinlichkeitsurteile,nieGewißheitenzuerreichen.

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DieFrage,wiesehreinDokument›schon‹oder›nochnicht‹Textist,bleibtaberimGrundeirrelevant,wennmanbedenkt,daßandereLeseraußerdemAutor(bzw.dem›erweitertenAutor‹:denMitarbeitern)vonihmüberhauptnicht ›gemeint‹ sind.WährendLesetexte immerTexte­für­andere sind, sindNachlaßdokumentedasnie.WennmanTexteimengerenSinnals(endgültigodervorübergehend) fertiggeformteversteht, enthaltenArbeitspapiereundNotizbücher grundsätzlich nur Noch­Nicht­Texte: Notate, Aufzeichnungen,Eintragungen, Konzepte, Entwürfe. Macht man dennoch ›Texte‹ aus ihnen,überschreitet man eine kategoriale Grenze. Dies erfordert die Einführungneuer, vorlagenfremder Kategorien, die dem Dokument in seinem Wesennichtgerechtwerdenkönnen.DasistoftzweckmäßigundbeimÜbergangindieKommunikationsgemeinschaft(Druck,Öffentlichkeit,Leserschaft,Zitier­zusammenhang)jedenfallsunvermeidlich,nursolltemansichdabeibewußtbleiben,daßessichumeinengrundsätzlichenVerrathandelt.121

Resultierend aus der dokumentarischen Nicht­Intentionalität auf Publi­kationundLeserschaftergibtsichdieSchwierigkeit,daßsichvieleElementeausNachlaßdokumentennichtohneweiteresundoftauchgarnichtaufeineDruckzeilebringenundlinearzitierenlassen(s.oben,61­70).Woesdennochversuchtwird, istdasErgebnishäufig fragwürdigodergarwertlos.DasgiltfürjedesDruckbild,nichtnurfürnormalisierteLesetexte,sondern−wenigeraugenfällig, aber grundsätzlich ebenso − auch für ausgefeilte diplomatischeTranskriptionen,solangesieunabhängigvomDokumentfürsichstehen:Textseinsollen.122

NunistaberschonjederLesevorgangeineTextkonstitution.123Wasichlese,macheichimmerzueinemText­für­mich,wenigeraugenfällig,abergrund­sätzlichauchbeimbestmöglichredigiertenLesetext,indemichihnanmeinprivatesLexikonundVorwissenadaptiere (s.Anm. 117).Erst rechtgiltdiesnatürlichbeiunfertigenNotizen.Wennmansichnunauchaufsolche›Texte‹zitierendundkommunizierendeindeutigbeziehenkönnenwill,bleibtnichtsübrigalsexpliziteTextkonstitutionen.InjedemFallwirdeinLeserzumMit­Editor(undMit­Autor)werden,sobalderetwasausdemDokumentherauslöst,mitteiltundzueinemTextfüranderemacht.NachMöglichkeitsollteerseineKriteriendafüranpassenderStelleoffenlegen.

DervorliegendeKommentarband,indemsichdieseFragemehrfachstellt,folgt zwei im Ansatz gegenläufigen, wenn auch im Ergebnis oft ähnlichenModellenderTextkonstitution,jenachdem,worumesvordringlichgeht:umdie möglichst adäquate Identifikation und Verschriftlichung des ›gemeintenTextes‹oderumdiederfaktischvorfindlichenGraphen.

Ersteres führt zu typographischer Vereinfachung und Vereinheitlichung,z. B.durchdenVerzichtaufdieUnterscheidungdeutscheroder lateinischerHandschrift,eigeneroderfremderHand,Unterstreichungen,WiedergabevonVerschreibungenodertopographischeExaktheit.DieseLiniewirdverfolgtbeiderIntegrationvonZitatenindenHerausgebertext,beidenendieVorgabederDruckzeilenichtgesprengtunddasZielflüssigerLesbarkeitmöglichsterreichtwerdensollte,sowieimRegisterderBrecht­Titel(s.unten97),woesumdieBestimmungderZugehörigkeiteinerStellezueinemTextoderWerk,nichtumihreSpezifizierungalsindividuellesSchriftbildgeht.

Woesdagegenumletzteresgeht, indeneingerücktenZitatenderErläu­terungenundimRegisterderDokumente,bemühtsichdievorliegendeAus­gabe um möglichst originalnahe Zitierweise. Dies ist in unterschiedlichemMaße zweckmäßig. Es wird daher jeweils angegeben, ob und auf welcheWeise vereinfacht zitiert wird, ob z. B. nur die erste oder die letzte Ein­tragungsschichtangegebenoderwieEinfügungen,dieimOriginalnichtaufder Grundzeile stehen, wiedergegeben wird. Die Transkriptionsschriften (s.oben,89)werdenbelassen:›Minion‹fürBrechtsdeutsche,›Myriad‹fürseinelateinischeHandschrift,›Helvetica‹fürfremdeHandschriftund›Prestige‹fürTyposkripte.ZitateausDruckenwerden,alssolchegekennzeichnet,inderGrundschrift(›Minion‹)wiedergegeben.

In beiden Fällen wird pragmatisch verfahren. Die vorliegende AusgabemöchtedenwechselndenSituationenundAnforderungenbeiderArbeitmitBrechtsNachlaßaufwechselndeundjemöglichstadäquateWeiseentsprechen.Andere können die angebotenen ›Texte‹ übernehmen oder nach ihren Be­dürfnissenmodifizieren.DiesesVerfahrenhatzudemdenVorteil,dasBewußt­seinfürdieProblematikdesLesensvonundZitierensausnichtautorisiertenVorlagenzuschärfenundwachzuhalten.Vorallemabermachtesbewußt,daßjeder,derliestundzitiert,Verantwortungträgtfür›seinen‹Text.

Zeittafel

Berücksichtigt sind neben Brechts Aufenthaltsorten und dem Beginn vonwichtigenBekanntschaftenvorallemseinePublikationen.DaschronologischeRasterbildetdamiteinKomplementzudenvorangehendenEinzel­Erläute­rungen. Während diese sich weitgehend auf Notizbücher, Nachlaßpapiere,Arbeitsmaterial,ParergaundParalipomenabeziehen,orientiertsichdieZeit­tafelandenDruckenzuLebzeiten,Rundfunksendungen,Inszenierungenetc.:anBrechtspublizierterArbeit.DenInformationenüberdennichtautorisier­ten Teil seiner Produktion dort werden hier solche über den autorisierten,dem privaten Schreiben das veröffentlichte Werk zur Seite gestellt. Die hiermöglicheExaktheitderDatierungstehtinSpannungzudenstetsundatiertenundnurteilweiseindirektundungefährdatierbarenNotizbucheintragungen.

DieAusgabe Kommentar

121 WiederVerrateinesGeheimnissesoderdasVerrateneinerTreueverpflichtung;vgl.auchoben,Anm.70.

122 S.inBeispiel34(oben,64f.)dieun­lösbareFrage,obdastranskribierendeElementausdemZeichensatzderBuch­

stabenoderdemderZahlenzunehmenodergraphischnachzubildenist.

123 EinfachesBeispielfürdiesesPhänomenistdieoftstillschweigende,unbewußtvorgenommeneKorrekturvonDruck­fehlernbeimLesen.

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Dennochwerden,woimmermöglich,Querbezügehergestellt.Dassollenundkönnen natürlich nur Hinweise auf Berührungspunkte, nicht implizite Da­tierungenderNotatesein.GenanntwirdmeistnurdieersteoderwichtigsteStelle;weitereBezügesinddurchVerweiseindenzugehörigenErläuterungenundüberdasNamens­undTitelregisterleichtaufzufinden.

DieChronologieberuhtaufvielfältigenVorarbeitenzuLebenundWerkBrechts(v. a.vonHecht,Hennenberg,Knopf,Krabiel,Schubert,Völker,Wizis­laundderBFA)sowieaufeigenenRecherchen.DieErgebnissederForschungwerdenohneHinweis imEinzelfalldankbarbenutzt;KorrekturenanDatenundAngabensind,wosinnvoll,ausgewiesen.

Literaturverzeichnis

Aufgenommen ist nur die in den vorangehenden Erläuterungen zitierteLiteratur, also keineswegs alle konsultierten oder relevanten Publikationen.ZweckdesVerzeichnissesistdieAuflösungderimKommentarheftverwende­tenKurztitel,keineBibliographiezuBrechtsNotizbüchern.

Register

Das Register für Text und Kommentar ist, komplementär zu Zeittafel undErläuterungen,einzentralerBestandteilderAusgabe.EserschließtalledortgenanntenTitel,NamenundDokumentenachverschiedenenHinsichtenundmachtsieauffindbar.EsbestehtausdreiTeilen.DerersteenthältdieBrecht­Titel,derzweiteNamenundWerkeandererPersonenundInstitutionen,derdritteschließlichdieBBA­DokumenteinnumerischerFolge.Allgemeingilt:Zahlenwerdenbei ihremPlatz imAlphabet (also»2«bei»zwei«undnichtnach»1«),UmlautebeiihreraufgelöstenFormeingeordnet(»über«bei»ueb­«undnichtbei»ub­«).ErläuterungendesHerausgeberssteheninstumpfenSpitzklammern, Auslassungen werden vereinfacht durch »…« statt »[…]«wiedergegeben.

Brecht Die teilweise variierende Orthographie Brechts wird hier stillschweigendvereinheitlicht, um einen Text nicht an mehreren Orten verzeichnen (undsuchen)zumüssen.EsgehtdabeinichtumdiplomatischeTreue,sondernumdiegemeintenTitelundTexte;nichtumZeichen,sondernumdasBezeichne­te.DaherwerdenauchdieverschiedenenSchriftenderDokumente(deutsch,lateinisch,stenographisch,hand­odermaschinenschriftlich,eigeneoderfrem­

deHand)nichtunterschieden.ZurleichterenKenntlichkeitsindTitelkursi­viert; binnenstrukturierende Numerierungen, Streichungen und Unterstrei­chungenwerdennichtberücksichtigt.UmnichteineeigeneRubrik›Gespräche,gemeinsammitanderenVerfaßtesoderVerantwortetes,Unsicheres‹(z. B.dieRundfunkgesprächeDieNotdesTheaters,NeueDramatikundKlassikertod?oderauchdieDreigroschenoper) einführenzumüssen,wirddiesesMaterialhiermitaufgeführt(zumProblemderAutorschafts.oben,47­50).

Sammeltitel Aufgenommen sind neben den Titeln von Sammelpub­likationenauchArbeitstitelundVorhaben(z. B.BerichtigungenoderKritischeBlätter) und von Brecht verwendete Gattungsnamen (z. B. Kurzstücke oderLehrstücke).NamenvonVereinigungen,andenenBrechtteilnahm(z. B.Grup­pe1925)oderdieergemeinsammitanderenprojektierte(z.B.MarxistischerCluboderDieI.S.S.Truppe),findensichimRegister2.2Institutionen.

Einzeltitel Neben den betitelten sind auch unbetitelte Notate und Texteaufgeführt; diese werden mit ihren ersten Worten (Incipit) zitiert. BeiTitelkorrekturensindalleVariantenaufgeführt(z.B.NB24,11r.1:Fatzer,Ko­lonne,Feld,Zug),ansonsten−vonbegründetenAusnahmenabgesehen−nurdieletzteKorrekturschicht.

AndereInstitutionen Der Terminus bezeichnet rein funktional als Oberbegriffalle Institute, Organe und Organisationen, die nicht einzelnen Individuenzuzuordnen sind: Firmen, Behörden, Häuser, Vereinigungen, Parteien, Ver­lage,Zeitschriftenetc.DieTitelvonPeriodikasindkursiviert.

Personen und Werke Aufgenommen sind auch anonyme Texte undGemeinschaftswerke;VereinigungenvonPersonenfindensichimRegister2.2Institutionen.ZurEntlastungderErläuterungensinddieLebensdatenderPersonenhierbeigefügt.SchriftenüberBrechtwerdennurangeführt,wennihrVerfasserpersönlichmitihmbekanntwar(z. B.SternbergoderTretjakow).

DieAusgabe Kommentar

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DieelektronischeEdition

wodurchwirddie„eigenheit“deseinzelnengarantiert?durchseinezugehörigkeitzumehralseinemkollektiv.

(NB31,15r)

DieElektronischeEdition(EE)findetsichimInternetunterwww.suhrkamp.de/brecht/notizbuchausgabe_elektronische_edition.SieistalsDigitalisierungderBuchausgabe,darüberhinausaberauchals ihrKomplementkonzipiert.Die Reproduktionen der Notizbücher werden hier in Farbe wiedergegeben;woimmerimOriginalinformationshaltigeSeitennebeneinanderstehen,wer­densiezudemnichtnuralsEinzelseitemitTranskription,sondernauch,demaufgeschlagenenNotizbuchentsprechend,alsDoppelseitegezeigt.DurchdieverschiedenenVergrößerungs­undKontrastierungsmöglichkeitendesCom­puterslassensichdieReproduktionenandersundteilweisebesseralsdasOri­ginalselbstlesbarmachen.

ZusätzlichzurBucheditionwird jedemNotizbucheineKonkordanzalterundneuerBBA­Signaturenbeigegeben.DieProblematikderSignaturvergabeinderFrühzeitdesBertolt­Brecht­AchivsunddiedarauserwachsendeNot­wendigkeit einer Neusignierung wurde oben (22f., 72­74) beschrieben. DievorliegendeAusgabewilldieBrechtausgabenundwissenschaftlicheBeiträge,dieindenvergangenen50JahrendiealtenSignaturenverwendeten,nichter­setzen,sondernansieanschließen,siemiteinemFundamentunterbauenunddamitweiterhinnutzbarhalten.DaherwerdendieneuenSignaturendenaltenexaktzugeordnet;bisherigeStandortangabenbleibensoweiterhinaufeinfa­cheWeiserekonstruierbarundverständlich.

DieEEverstehtsichalsAnfangeinerumfassenderenArchivedition.Sieistsoangelegt,daßsiepotentiellbis zurvollständigenErfassungdesgesamtenBestandes erweiterbar ist. Dafür kann nur die Archivsignatur als feste undinvariante Basisordnung dienen. Bei einer jederzeit möglichen Zusammen­fassungdereinzelnerfaßtenDokumentezueinervollverlinktenDatenbankkönntendannverschiedeneUmschaltfunktionenhinzutreten,dieeinevariab­leTextdarbietungnachchronologischenundsystematischenGesichtspunktenerlaubt.

ZusätzlichzudenNotizbüchernwerdenvonAnfanganzusätzlichweite­rezurKommentierungrelevanteDokumentedesNachlassesineinereigenenDatei(EEZ)erfaßt−nachgleichenKriterienwiedieNotizbücherselbst,wasReproduktion,diplomatischeTranskription,philologischeAnmerkungen,Ob­jektbeschreibungundArchivkontextualisierungbetrifft.Einevergleichbarex­tensiveKommentierungwiebeiderDruckausgabederNotizbücherkannhierallerdingsnichtgeleistetwerden.Siewerdenjeweilsexaktbeschrieben(Papier,Schreibmittel,OriginalformatundReproduktionsfaktor)undkurzcharakteri­

siert(als›Entwurf‹beifortlaufendemText,als›Konzept‹beistrukturierendenEintragungen, als ›Notizen‹ oder ›Stichworte‹ bei diskontinuierlichen oderheterogenen Aufzeichnungen). Zudem wird auf ihren Bezug zu Notizbuch­Eintragungehnverwiesen.

DieFragederAutorisierungoderAkzeptierungnicht­autographerDoku­mentedurchBrechtwirddabeinichtgestellt.AuchDokumentefremderHandwieKonvolutdeckblätterElisabethHauptmanns(z. B.BBA10252/71:Moabi­terPferdehandel),nichtvonBrechtgetippteTyposkripte(z. B.BBA248:Zweihalbe Mäntel) und von anderen geschriebene Manuskripte (z. B. BBA 449:Lehrstück)könnenaufgenommenwerden,wennsiezumVerständnisundzurEinordnungeinerNotizbucheintragungbeitragen.Die teilweiseschwierigenUntersuchungenjedeseinzelnenBlattesundggf.jedeseinzelnenGraphenaufihreAutorschaftundihrenAutorisierungsgradhinkönnenhiernichtgeleistetwerdenundbleibenspätererForschungvorbehalten.DievorliegendeEditionwillals›VeröffentlichungdesArchivs‹dasMaterialdafürinmöglichstumfas­sender,originalnaherundinformativerWeisebereitstellen.

DiezusätzlicherfaßtenDokumentesindüberwiegendTyposkripte.IndenFindhilfsmittelndesBertolt­Brecht­ArchivsundimpubliziertenBestandsver­zeichnisHertaRamthunswirdzwarBrechtseigenevonfremderMaschinen­schriftunterschieden;dieKriterienzurIdentifizierungverschiedenerSchrei­berundverschiedenerMaschinensindallerdingsnirgendsfestgehaltenwor­den.HeutekönntendiesbezüglichnurWahrscheinlichkeitsaussagengetroffenoderdieArchivangabenunkontrolliertübernommenwerden.Daherwirdinvorliegender Ausgabe auf eine Differenzierung der verschiedenen SchreiberundMaschinenvorläufigverzichtet.NachderhiernochzuleistendenGrund­lagenarbeit bleibt eine spätere Ergänzung dieser Zuordnung ein dringendesDesiderat.DieUnterscheidungzwischeneigenerundfremderHanddagegenistmeistevidentundkannfürjedesManuskriptgetroffenwerden.Womög­lich,werdendieSchreibernamentlichgenannt.

GegenüberderHandschriftentranskriptionsindvieleAuffälligkeitenvonTyposkriptenimwesentlichentechnischbedingtunddamitwenigeraussage­kräftig.NachobenverrutschteGroßbuchstabenzeigenlediglich,daßdieUm­schalt­Tasteetwaszufrühlosgelassenwurde,mancheschwächeroderstärkeralsderKontextgetipptenBuchstabensindmitgroßerWahrscheinlichkeitnurauf feinmotorische (performative) oder mechanische Ungenauigkeiten undnichtaufsignifikanteFormulier­undSchreibprozessezurückzuführen−imKlartext:dieTastewurdenichtrichtiggetroffen.124Auchdieskannaufschluß­

DieAusgabe ElektronischeEdition

124 ZurBeurteilungsolcherFehlerwärenebenKenntnissenüberRoutineundTippgewohnheitenderSchreiber(zehnFinger?zwei?durchgehendeKlein­schreibungodernicht?großzügigeodersparsameVerwendungderLeertasteetc.)aucheineAbbildungderTastatur

derverwendetenMaschinennötig.ErstdannkönntemanbegründeteVermutungendarüberanstellen,obeinFingereinfachdanebenschlug,rechtsundlinksverwechseltwurdenoderderAnsatzzueinemanderenWortvorliegt.

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reich sein, z. B.aufwenigerRoutineodergrößereEilebeimSchreibenhin­weisen.Aberwiedemauchsei:DerartigeUnregelmäßigkeitenkönneninderdiplomatischenUmschriftnichtendé­tailwiedergegebenwerden.DasisthieraberauchwenigernötigalsbeiHandschriftentranskriptionen,daReprodukti­onenvonTyposkripteninallerRegelvieleinfacherdirektund›ohneDolmet­scher‹lesbarsind.ImZweifelsfallwirdjedenfallsauchbeiTyposkriptenliebereineAbweichungvomNormalduktusmehralseinewenigerindieTranskrip­tionaufgenommen.

DieaufgenommenenDokumentewerdennachihrerArchiv­Signaturver­zeichnet.DieAnführungdesTitelsbzw.Incipits istwie inRegisterBrechtpragmatisch vereinfacht (s. oben, 96f.), um eine einfache Orientierung undschnellenÜberblickzuermöglichen.EineDatierungundKurzcharakteristikist jeweils in Klammern beigefügt. Nicht aus Brechts Nachlaß stammendezusätzlicheDokumente(Quellenetc.)werdeninderDateiEEZgesammelt.

ZusätzlichzurBucheditionenthältdieEE einForum (EEF), indemdieStellenerläuterungen aktualisiert und ergänzt werden können; die VerweisedaraufwerdenindenErläuterungenimNB­Anhangblaumarkiert.InEEFistRaumfürgenauereAusführungenzurVernetzungdereinzelnenNotizbuch­EintragungenmitanderenNachlaß­DokumentenundzurBegründungeige­nereditorischerVerfahrensweisen(s.dieAusführungen inEEFzuBeispiel14oder34).DarüberhinauskönnenThesenderForschungundEntscheidun­gen anderer Ausgaben diskutiert werden, insbesondere Textkonstitutionenund Entzifferungen, die bei schwierigen Schriftbildern nie endgültig verifi­ziert,manchmalabereindeutigfalsifiziertwerdenkönnen(s.EEFzuNB25,14r.2­3).Auchfür›negativeKommentare‹isthierderOrt:RecherchendiezukeinempositivenErgebnis führten,werdendokumentiert,umanderenFor­scherndieerneuteerfolgloseSucheaufdieserSpurzuersparen (s.EEFzuBeispiel42oderzuNB24,77r.5­6).AbdemzweitenBandwirdzudemeineDateimitCorrigenda(EEC)enthaltensein.DieZeittafel(s.oben,95f.)wirdinderEEkumulativalsGesamtdateigeführt.AufdievorliegendeEinführungindieGesamteditionwirdunterdemKürzelEEGverwiesen.

Die so entstehende Bilder­ und Datensammlung ist kumulativ: Ein Ge­samtregisterwirdgeführt,dieSucheüberdengesamtenerfaßtenBestandwirdmöglich.Sieistaberauchreversibel:Informationenkönnenjederzeitergänzt,Transkription und Kommentierung modifiziert werden. Die elektronischeEditionwirddamitdemewigunfertigenTeilvonBrechtsProduktionambe­stengerecht:workinprogress

SiglenundAbkürzungen

AB Adreßbuch(beiausgabeninternenVerweisen)BBA Bertolt­Brecht­Archiv,AkademiederKünste,BerlinBFA BertoltBrecht,Werke.GroßekommentierteBerlinerundFrankfurter

Ausgabe,Frankfurt/Main1988­2000Bl. Blatt/BlätterBV Bertolt­Brecht­Archiv.Bestandsverzeichnisdesliterarischen

Nachlasses,BerlinundWeimar1969­73D DruckEB EmilBurri(oderHesse­Burri)EE ElektronischeEdition (www.suhrkamp.de/brecht/notizbuchausgabe_elektronische_

edition)EEC ElektronischeEdition,CorrigendaEEF ElektronischeEdition,ForumEEG ElektronischeEdition,EinführungindieGesamtedition

(vorliegenderText)EEZ ElektronischeEdition,ZusatzdokumenteEH ElisabethHauptmannEHA Elisabeth­Hauptmann­Archiv,AkademiederKünste,BerlinGW BertoltBrecht,GesammelteWerke.WerkausgabeEditionSuhrkamp,

Frankfurt/Main1967­69HB Hermann(oderHans)BorchardtH HandschriftBrechtsh fremdeHandHs. Handschrifths. handschriftlichHW HeleneWeigelHWA Helene­Weigel­Archiv,AkademiederKünste,BerlinKK KarlKorschLF LionFeuchtwangerM Maschinenschrift(ohneUnterscheidungderSchreiber/Maschinen)ms. maschinenschriftlichMS MargareteSteffinNB Notizbuch(beiausgabeninternenVerweisen)r rectoRB RuthBerlauRBA Ruth­Berlau­Archiv,AkademiederKünste,Berlinv versoWB WalterBenjaminWBA WalterBenjaminArchivZ. Zeile

DieAusgabe SiglenundAbkürzungen

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SchriftenundZeichen

Text

Schriften: Minion Brecht,deutscheSchrift Myriad Brecht,lateinischeSchrift Minionpetitenglaufend Brecht,Stenographie Helvetica fremdeHand,deutsche/lateinischeSchrift Helvetica petit englaufend fremdeHand,Stenographie Prestige Schreibmaschine

Zeichen: ⟨abcde⟩ Herausgebertext 12r.3← TextanschließendanBlatt.Zeile →45v.6 TextfortgesetztaufBlatt.Zeile ¿¿¿ nichtentzifferteGraphen [abcde] überschriebeneGraphen kursiv überschreibendeodereingefügteGraphen grau getilgteundrekonstruierteGraphen ] Lemmaklammer […] AuslassungdurchHerausgeber

Kommentar

\ einfacherZeilenumbruchinderVorlage\\ doppelterodermehrfacherZeilenumbruch(Leer­

zeilen)inderVorlage| SeitenumbruchinderVorlage⟨abcde⟩ EinfügungdurchHerausgeber[…] AuslassungdurchHerausgeber„abcde“/"abcde" AnführungszeicheninderVorlage»abcde« AnführungszeichendurchHerausgeberkursiv standardisierteTitel12345 VersalziffernfürArchivdokumenteundKurztitel12345 MedievalziffernfüralleübrigenZahlen

DieAusgabe102

Editionsplan

Band 1 Notizbücher 1­3 (1918­20)

Band 2 Notizbücher 4­8 (1920)

Band 3 Notizbücher 9­12 (1921)

Band 4 Notizbücher 13­16 (1922­25)

Band 5 Notizbücher 17­20 (1926)

Band 6 Notizbücher 21­23 (1927­29)

Band 7 Notizbücher 24­25 (1927­30)

Band 8 Notizbücher 26­30 (1928­31)

Band 9 Notizbücher 31­35 (1931­37)

Band 10 Notizbücher 36­45 (1932­38)

Band 11 Notizbücher 46­49 (1940­49)

Band 12 Notizbücher 50­54 (1948­53)

Band 13 Adreßbücher 1­2 (1930­56)

Band 14 Einzelblätter

103Editionsplan