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aus EuWiS 03/2018 Seite | 3 1 BERUFLICHE BILDUNG & WEITERBILDUNG Berufliche Bildung im digitalen Zeitalter Die Ergebnisse des 2016 veröffentlichten „Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann- Stiftung zeigen, dass digitale Bildung im dua- len Ausbildungssystem in Deutschland noch am Anfang steht. Auch wenn Auszubildende, Berufsschullehrer_innen und Ausbildungslei- ter_innen die Bedeutung neuer Lerntechno- logien hoch einstuften – sowohl mit Blick auf ihre didaktischen Potenziale als auch für die Zukunftsfähigkeit der eigenen Einrichtungen und Unternehmen – präge das digitale Lernen bei Weitem noch nicht den Alltag in den Berufsschulen, überbetrieblichen Einrichtun- gen und Ausbildungsbetrieben. Viele Ansätze scheiterten leider schon an der notwendigen WLAN-Infrastruktur. Dadurch, so warnen die Autoren der Studie, würden wir viel Potenzial für mehr Chancengerechtigkeit in der dualen Berufsausbildung vergeben. Denn Lernen mit neuen Medien schaffe Flexibilität und einen erleichterten Zugang zu beruflicher Qualifizie- rung – insbesondere für benachteiligte Ziel- gruppen, die sich im traditionellen Bildungs- system schwer tun. Digitales Lernen biete nun erstmals die realistische Chance, Auszubil- dende genau dort abzuholen, wo sie stehen – und dorthin zu begleiten, wo sie hinmöchten. Es sei eine attraktive Option, potenzielle Aus- zubildende anzusprechen und sie individuali- siert zu qualifizieren. Dies gelte ganz beson- ders für Ausbildungsberufe, die unter Nach- wuchsmangel leiden, eine heterogene Bewer- berlage verzeichnen oder zunehmend kom- plexe und dezentrale Arbeitsabläufe zu bewäl- tigen haben. Digitale Lerntechnologien erlaubten auch eine engere und gleichzeitig flexiblere Koope- ration zwischen Berufsschule und Ausbil- dungsbetrieb. Sie schafften neue Möglichkei- ten, um Theorie- und Praxisphasen zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb zu ver- zahnen. Ergebnisse der Studie auf einen Blick 1. Verhaltene Modernisierung statt breite Innovation Ausbilder_innen und Berufsschullehrer_in- nen haben einen eher nüchternen und prag- matischen Blick auf das digitale Lernen. Der Einsatz digitaler Lernmedien im Ausbildungs- system folgt vorrangig „alten“ didaktischen und methodischen Konzepten. Die Potenziale des digitalen Lernens kommen dadurch noch kaum zur Geltung. 2. Teilhabechancen für benachteiligte Gruppen bleiben noch ungenutzt Insbesondere jüngere, männliche Auszubil- dende mit einem niedrigen Schulabschluss lassen sich durch digitales Lernen gut motivie- ren. Internetrecherchen, Lernspiele, Apps und das Erstellen eigener Inhalte sind für diese Zielgruppe attraktiv. Weder in der Berufs- schule noch in den Aus- bildungsbetrieben werden diese Chancen für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit aber gezielt ergriffen. 3. Innovation scheitert an mangelnden Kompetenzen und Ressourcen Wer digitales Lernen einsetzt, braucht ent- sprechende Kompetenzen und muss diese auch entwickeln. Berufsschullehrer_innen beklagen sowohl zeitliche als auch finanzielle Hürden beim Einsatz im Unterricht. Außer- dem fehlen Orientierungshilfen, um die viel- fältigen Möglichkeiten des digitalen Lernens kennenzulernen und zu erproben. 4. Auszubildende und erfahrene Lehrkräfte treiben Veränderungen voran Auszubildende sind dem Einsatz digitaler Lernmedien gegenüber generell aufgeschlos- sener als ihre Lehrkräfte. Sie nutzen digitale Hilfsmittel in der Freizeit zum Lernen und wünschen sich für den Unterricht einen sinn- vollen Methodenmix. Ob und wie digitales Lernen dort eingesetzt wird, hängt aber von den Überzeugungen der einzelnen Lehrkraft ab. Vorreiter sind hier vor allem Lehrkräfte mit längerer Berufserfahrung. 5. Imagefaktor oft wichtiger als strategische Schul- und Unterrichtsentwicklung Digitales Lernen wird von vielen Berufs- schulen als wichtiger Imagefaktor gesehen.

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BeRuFliCHe Bildung & WeiTeRBildung

Berufliche Bildung im digitalen Zeitalter

Die Ergebnisse des 2016 veröffentlichten„Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung zeigen, dass digitale Bildung im dua-len Ausbildungssystem in Deutschland nocham Anfang steht. Auch wenn Auszubildende,Berufsschullehrer_innen und Ausbildungslei-ter_innen die Bedeutung neuer Lerntechno-logien hoch einstuften – sowohl mit Blick aufihre didaktischen Potenziale als auch für dieZukunftsfähigkeit der eigenen Einrichtungenund Unternehmen – präge das digitale Lernenbei Weitem noch nicht den Alltag in denBerufsschulen, überbetrieblichen Einrichtun-gen und Ausbildungsbetrieben. Viele Ansätzescheiterten leider schon an der notwendigenWLAN-Infrastruktur. Dadurch, so warnen dieAutoren der Studie, würden wir viel Potenzialfür mehr Chancengerechtigkeit in der dualenBerufsausbildung vergeben. Denn Lernen mitneuen Medien schaffe Flexibilität und einenerleichterten Zugang zu beruflicher Qualifizie-rung – insbesondere für benachteiligte Ziel-gruppen, die sich im traditionellen Bildungs-system schwer tun. Digitales Lernen biete nunerstmals die realistische Chance, Auszubil-dende genau dort abzuholen, wo sie stehen –und dorthin zu begleiten, wo sie hinmöchten.Es sei eine attraktive Option, potenzielle Aus-zubildende anzusprechen und sie individuali-siert zu qualifizieren. Dies gelte ganz beson-ders für Ausbildungsberufe, die unter Nach-wuchsmangel leiden, eine heterogene Bewer-berlage verzeichnen oder zunehmend kom-plexe und dezentrale Arbeitsabläufe zu bewäl-tigen haben.

Digitale Lerntechnologien erlaubten aucheine engere und gleichzeitig flexiblere Koope-ration zwischen Berufsschule und Ausbil-dungsbetrieb. Sie schafften neue Möglichkei-ten, um Theorie- und Praxisphasen zwischenBerufsschule und Ausbildungsbetrieb zu ver-zahnen.

ergebnisse der Studie auf einen Blick1. Verhaltene modernisierung statt breiteinnovation

Ausbilder_innen und Berufsschullehrer_in-nen haben einen eher nuchternen und prag-matischen Blick auf das digitale Lernen. DerEinsatz digitaler Lernmedien im Ausbildungs-system folgt vorrangig „alten“ didaktischenund methodischen Konzepten. Die Potenzialedes digitalen Lernens kommen dadurch nochkaum zur Geltung.

2. Teilhabechancen fur benachteiligtegruppen bleiben noch ungenutzt

Insbesondere jungere, mannliche Auszubil-dende mit einem niedrigen Schulabschlusslassen sich durch digitales Lernen gut motivie-ren. Internetrecherchen, Lernspiele, Apps unddas Erstellen eigener Inhalte sind fur dieseZielgruppe attraktiv. Weder in der Berufs-schule noch in den Aus- bildungsbetriebenwerden diese Chancen fur mehr Teilhabe undChancengerechtigkeit aber gezielt ergriffen.

3. innovation scheitert an mangelndenkompetenzen und Ressourcen

Wer digitales Lernen einsetzt, braucht ent-sprechende Kompetenzen und muss dieseauch entwickeln. Berufsschullehrer_innenbeklagen sowohl zeitliche als auch finanzielleHurden beim Einsatz im Unterricht. Außer-dem fehlen Orientierungshilfen, um die viel-faltigen Moglichkeiten des digitalen Lernenskennenzulernen und zu erproben.

4. Auszubildende und erfahrene lehrkraftetreiben Veranderungen voran

Auszubildende sind dem Einsatz digitalerLernmedien gegenuber generell aufgeschlos-

sener als ihre Lehrkrafte. Sie nutzen digitaleHilfsmittel in der Freizeit zum Lernen undwunschen sich fur den Unterricht einen sinn-vollen Methodenmix. Ob und wie digitalesLernen dort eingesetzt wird, hangt aber vonden Uberzeugungen der einzelnen Lehrkraftab. Vorreiter sind hier vor allem Lehrkrafte mitlangerer Berufserfahrung.

5. imagefaktor oft wichtiger als strategischeSchul- und unterrichtsentwicklung

Digitales Lernen wird von vielen Berufs-schulen als wichtiger Imagefaktor gesehen.

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Dabei steht aber vor allem die Ausstattungmit Geraten und Infrastruktur im Zentrum.

Die strategische Bedeutung fur die Schul- undUnterrichtsentwicklung sowie die Verzahnungvon Ausbildungsinhalten zwischen Schule undBetrieb erkennen Berufsschulleiter nochkaum.

6. Technische infrastruktur: WlAn nochimmer unzureichend

An vielen Berufsschulen sind Whiteboardsund PCs vorhanden. Wenn es um den Einsatzvon Smartphones und Tablets geht, kommenuberwiegend Schulergerate zum Einsatz. InAusbildungsbetrieben ist die Ausstattung mitentsprechenden Geraten generell schlechter.Alarmierend: Die uberwiegende Mehrheit derBerufsschullehrer_innen hat fur den Unter-richt kein oder nur unzureichendes WLAN zurVerfugung. So konnen weder mitgebrachtenoch vorhandene Gerate sinnvoll eingesetztwerden.

Folgerungen: Was ist jetzt zu tun?Natürlich, so räumen die Autoren ein, sei

digitales Lernen kein Selbstzweck, sondernmüsse immer sinnvoll in den jeweiligen didak-tischen Kontext der Lernsituation eingebun-den werden. Der „Monitor Digitale Bildung“der Bertelsmann Stiftung zeigt auf, wie das fürden Bereich Ausbildung gelingen kann. Dazubrauche es insbesondere

n mehr anwendungsorientierte Forschung,die das Potenzial digitalen Lernens fürTeilhabe und Chancengerechtigkeit in konkre-te didaktische Settings übersetzt und derenReichweite und Wirkungsweise überprüft,

n eine digitale Qualifizierungsoffensive, dieLehrkräften und Ausbilder_innen im Rahmenihrer Aus- und Fortbildung systematisch dienotwendigen Kompetenzen vermittelt,

n strategisch durchdachte Schulentwick-lungskonzepte, die die Eigenheiten einerjeweiligen Schule bzw. ihrer Schülerschaftberücksichtigen und dabei die Potenziale digi-talen Lernens in den Blick nehmen, sowie

n eine zuverlässige WLAN-Ausstattung alsnotwendige Grundlage für den Erfolg solcherpädagogischen Innovationen. n

Thomas Bock

Die gesamte Studie ist zugänglich unter:www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publi-kation/did/monitor-digitale-bildung/