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Solidarität und gemeinsame Verantwortung Bildungspolitik zwischen falschem Zentralismus und falschem Föderalismus Vorgelegt vom Wissenschaftlichen Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008 Solidarität und gemeinsame Verantwortung Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008

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Solidarität und gemeinsame Verantwortung

Bildungspolitik zwischen falschem Zentralismus und falschem Föderalismus

Vorgelegt vom WissenschaftlichenBeraterkreisder Gewerkschaften IG Metall und ver.di

Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicherZusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik der Gewerkschaften

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Herausgeber:

Vorstand ver.diBereich BerufsbildungspolitikPaula-Thiede-Ufer 1010179 Berlin

Vorstand IG MetallRessort Bildungs- und QualifizierungspolitikWilhelm-Leuschner-Straße 7960329 Frankfurt am Main

Redaktion:Mechthild Bayer, Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann

Gestaltung:Werbeagentur Zimmermann GmbHFrankfurt am Main

Druck:Henrich Druck+Medien GmbH,Frankfurt am Main

Berlin/Frankfurt am Main, April 2008

Prof. Dr. Peter Faulstich

Universität Hamburg

Dr. Dieter Gnahs

Deutsches Institut für

Erwachsenenbildung, Bonn

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Phil-Theol. Hochschule

Sankt Georgen, Frankfurt/Main

Prof. Dr. Joachim Ludwig

Universität Potsdam

Prof. Rita Meyer

Universität Trier

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Universität Kassel

Prof. Dr. Oskar Negt

Universität Hannover

Dr. Edgar Sauter

Bundesinstitut für

Berufsbildung, Bonn

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Bundesinstitut für

Berufsbildung, Bonn

Dr. Hartmut Seifert

Hans-Böckler-Stiftung, Wirt-

schafts- und Sozialwissenschaft-

liches Institut, Düsseldorf

Otto Semmler

Vizepräsident der Bundesanstalt

für Arbeit a. D., Nürnberg

Prof. Dr. Georg Spöttl

Institut für Technik und

Bildung, Universität Bremen

Dr. Reinhard Bahnmüller

Forschungsinstitut für Arbeit,

Technik und Kultur, Universität

Tübingen

Der Wissenschaftliche Beraterkreis

Dr. Axel Bolder

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Gerhard Bosch

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Helmut-Schmidt-Universität,

Hamburg

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Universität Duisburg-Essen

Mechthild Bayer

ver.di, Berlin

Dr. Klaus Heimann

IG Metall, Frankfurt/M.

Dr. Roman Jaich

Wissenschaftler, Berlin

Koordinierung und Leitung des

Wissenschaftlichen Beraterkreises:

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Vorgelegt vom WissenschaftlichenBeraterkreisder Gewerkschaften IG Metall und ver.di

Solidarität und gemeinsame Verantwortung

Bildungspolitik zwischen falschem Zentralismus und falschem Föderalismus

Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008

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Vorwort

Prominente Wissenschaftler haben sich auf Bitten der Gewerkschaften

bereit gefunden, über die aktuellen Probleme und die Zukunft der beruf-

lichen Bildung nachzudenken. Der Sachverstand ist gebündelt im Wissen-

schaftlichen Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und verdi.

Diese wissenschaftliche Stimme ist für die Gewerkschaften, aber auch für

die vielen gesellschaftlichen Akteure in der Berufsbildung wichtig. Nach

der Bestseller-Streitschrift „Bildung ist keine Ware“ und der Broschüre

„Ohne Beruf geht es nicht“ nimmt der Kreis jetzt Stellung zu zwei aktuel-

len Fragen der beruflichen Bildung: dem Europäischen und dem Deut-

schen Qualifikationsrahmen sowie zur Föderalismusreform II. Zuvor wer-

den allerdings noch einmal die paradoxen Tendenzen der aktuellen

Berufsbildungsdebatte nachgezeichnet. Der Wissenschaftliche Berater-

kreis analysiert die Leistungsfähigkeit der Steuerungsformen Markt und

Solidarität und plädiert für den Vorrang solidarischer Steuerung, weil der

Markt bei der beruflichen Bildung in vielen Feldern versagen muss.

Nachzudenken war erneut über die aktuellen Probleme, die gesell-

schaftlichen Herausforderungen, ebenso aber über die wirtschaftlichen

und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen berufliche

Bildung aktuell stattfindet. Das schließt den Blick auf die Arbeit und das

Engagement der Gewerkschaften ein, für die Empfehlungen ausgespro-

chen werden.

Wie bedanken uns dafür und ebenso für die Bereitschaft des Wissen-

schaftliche Beraterkreises, künftig einmal jährlich, parallel zum offiziellen

Berufsbildungsbericht der Bundesregierung, seine Stimme zu erheben.

Wir sind uns bewusst, dass dieses ehrenamtliche Engagement absolut

nicht selbstverständlich ist. Es ist aber auch Beleg dafür, dass nicht nur die

Gewerkschaften hier ein gelungenes Modell der Zusammenarbeit sehen.

Dank gilt Mechthild Bayer und Klaus Heimann von den Berufsbildungs-

ressorts unserer Gewerkschaften, die die Initiative zur Gründung des

Beraterkreises ergriffen haben und die inhaltliche Arbeit begleiten

sowie Roman Jaich, der das Projekt koordiniert.

Petra Gerstenkorn Regina Görnerver.di IG MetallMitglied des Bundesvorstandes geschäftsführendes Vorstandsmitglied

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Solidarität und gemeinsame Verantwortung

Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008

Inhaltsverzeichnis

1. Mehr Markt macht nicht gebildeter 6

1. Paradoxe Tendenzen 6

2. Rivalisierende Steuerungsformen 9

2.1 Die Marktsteuerung 9

2.2 Die Steuerungsform der Solidarität 13

3. Gerechtigkeitsgrundsätze 18

4. Solidarität in der beruflichen Bildung 21

2. Bildungsausgaben sind Zukunftsinvestitionen –Streitpunkte zur Föderalismusreform II 25

1. Ausgangspunkt 25

2. Beseitigung des Kooperationsverbots im Bereich Bildung 28

3. Förderung des Studiums durch ein länderübergreifendes

System der Kostenverrechnung nach dem Vorbild

der Schweiz 29

4. Sicherheit für die Bildungsfinanzierung 30

5. Sicherung vergleichbarer Bildungsstandards in den

Bundesländern 32

6. Keine Verschuldungsobergrenzen und Maastrichtkriterien

für die Länder ins Grundgesetz 33

7. Wiederaufnahme der mittelfristigen Finanzplanung 34

8. Gegenfinanzierung 35

9. Fazit 35

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Bildungspolitik zwischen falschem Zentralismus und falschem Föderalismus

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3. Berufliche Bildung für Berufe von heute und morgen – Chancen und Risiken einer Europäisierung der Berufsbildung 36

1. Der Hintergrund – die Europäische Ebene 37

1.1 Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) 37

1.2 European Credit System for Vocational Training (ECVET) 39

1.3 Kompetenzverlagerung von der nationalen auf die

supranationale Handlungsebene: Die Methode der

offenen Koordinierung im Prozess der europäischen

Berufsbildungspolitik 41

2. EQR und ECVET: Herausforderungen auf nationaler Ebene 43

2.1 Gestaltungsspielräume und -optionen 43

2.2 Berufliche Weiterbildung und die Herstellung

von Durchlässigkeit, Transparenz und Transferfähigkeit 46

3. Empfehlungen für eine gewerkschaftliche Positionierung 48

3.1 Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) 48

3.2 Europäisches Punktesystem (ECVET) 51

3.3 Europäische Kernberufe 51

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Kapitel 1

1. Mehr Markt macht nicht gebildeter

Die wirtschaftliche Belebung und das statistisch in Aussicht gestellte

Gleichgewicht zwischen angebotenen und nachgefragten beruflichen

Ausbildungsstellen haben den beunruhigten Eltern und betroffenen

Jugendlichen wohl Signale der Entwarnung vermittelt und behutsame

Erwartungen ausgelöst. Aber dadurch ist der Horizont der beruflichen

Ausbildungslandschaft noch nicht nachhaltig aufgehellt worden. Denn

50 % der Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, sind Altbewerber.

Der durchschnittliche Ausbildungsbeginn liegt derzeit bei 19,3 Jahren,

während er in den 1970er Jahren bei 16 Jahren lag. Eine halbe Million

Jugendlicher wird in den Übergangssystemen der Berufsvorbereitung,

Berufsgrundbildung, freiwilligen Schuljahre und unbezahlten Praktika

aufgefangen. Zwischen der ersten Ausbildungsschwelle und der zwei-

ten Beschäftigungsschwelle wuchert ein Parallel-Universum ohne Ver-

bindung mit dem beruflichen Ausbildungssystem.

Die Misere der beruflichen Ausbildung ist Bestandteil der Defizite des

deutschen Bildungssystems. Die Menge der Jugendlichen ohne einen

Schulabschluss liegt derzeit bei 8 Prozent. Das dreigliedrige Schulsys-

tem wirkt extrem selektiv. Die Schulerfolge und Übergangsquoten von

Kindern aus bildungsfernen, armen und sozial ausgeschlossenen Haus-

halten sind ungleich und zugleich diskriminierend. Kinder aus wohlha-

benden Haushalten wechseln von den öffentlichen Schulen in Privat-

schulen. Eine ganzheitliche Bildung wird auf naturwissenschaftliche,

informationelle und wirtschaftlich verwertbare Kenntnisse reduziert.

Und wieder einmal wird laut und öffentlich nach einer ehrgeizigen

Reform der allgemeinen und beruflichen Bildung gerufen.

Die für die berufliche Bildung politisch Verantwortlichen fühlen sich

gedrängt, auf den wachsenden Unwillen von Eltern, Jugendlichen und

Kindern, nachdem dieser sogar die Ergebnisse von Wahlen beeinflusst,

zu reagieren. Die Reaktion der politischen Klasse folgt indessen zwei

paradoxen Tendenzen.

1. Paradoxe Tendenzen

Die politische Zuständigkeit für die berufliche Bildung, für deren Lern-

orte Schule und Betrieb sowie der dort vermittelten Lerninhalte liegt

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jeweils beim Bund oder den Sozialpartnern oder den Ländern. Dieses

kooperative nationale Engagement wird in zweifacher Richtung

gesprengt. Zum einen ist in den Verhandlungen zur Föderalismusreform

II eine Tendenz festzustellen, den Bund von der Verantwortung für die

berufliche Bildung zu entlasten und diese auf die Länder und deren bil-

dungspolitische Zuständigkeit zu verlagern. Zum anderen ist die Ten-

denz augenfällig, dass den supranationalen Organen der Europäischen

Union mehr koordinierende Zuständigkeiten für die berufliche Bildung

zugestanden werden.

Paradox erscheint die föderale Dimension der Verlagerung von Zustän-

digkeiten der beruflichen Bildung, weil zum einen seit mehr als einem

Vierteljahrhundert im wirtschaftlichen und sozialen Bereich die Diffe-

renzierung oder gar Polarisierung von Lebenschancen in Deutschland

zunimmt und damit das Verfassungsgebot gleichwertiger Lebensver-

hältnisse zunehmend außer Kraft gesetzt wird. Zum anderen wirkt ange-

sichts der wachsenden wirtschaftlichen und unternehmerischen Ver-

flechtung in Deutschland und Europa die Tendenz wiederkehrender

Kleinstaaterei im Bereich der beruflichen Bildung anachronistisch. Die

komplizierte Abstimmung der Lernorte und Lerninhalte wird durch eine

solche föderale Ausdifferenzierung nicht gerade erleichtert. Diese soll

durch ein finanzpolitisch fragwürdiges Regime noch zugespitzt werden,

über das in den Verhandlungen um die Föderalismusreform II diskutiert

wird, wonach den wirtschaftlich schwächeren Ländern Verschuldungs-

obergrenzen analog den so genannten Maastricht-Kriterien aufzuerle-

gen sind. Solche Regeln hätten dramatisch negative Folgen für die Bil-

dungsausgaben der betroffenen Länder und würden den nationalen

Bildungsraum zusätzlich fragmentieren. (vgl. dazu den Beitrag zur

Föderalismusreform II)

Eine gegenläufige und ebenfalls paradoxe Tendenz ist in der auf der

europäischen Ebene verankerten Methode der offenen Koordination für

die berufliche Bildung zu beobachten. Als Bezugsgrößen nationaler

Berufsbildungspolitik sind ein Europäischer Qualifikationsrahmen

(EQR) und ein Europäisches Kreditpunktesystem (ECVET) entworfen

worden. Deren elementare Stellgrößen sind schmale ergebnis- und kon-

textbezogene Kompetenzprofile („units”), die Kenntnisse, Fertigkeiten

und Verhaltenspotentiale bündeln sowie kurze, überschaubare Lernpro-

zesse („Module”). Eine solche doppelte Zerlegung von Qualifikationen

in Basiseinheiten und von Ausbildungsgängen in Module soll dazu bei-

7

Kapitel 1

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Kapitel 1

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tragen, dass die Besonderheiten der beruflichen Bildung in den einzel-

nen europäischen Ländern transparent, die vorhandenen Barrieren zwi-

schen den Systemen durchlässig und die Qualifikationen, Lernprozesse

und Bildungssysteme der Länder vergleichbar sowie einer einheitlichen

Bewertung zugänglich werden.

Gleichzeitig sollen die Auszubildenden und die qualifizierten Arbeits-

kräfte transnational mobiler, die Ausbildungswege individuell ausdiffe-

renziert und die Vertragsbeziehungen zwischen den Anbietern von Bil-

dungsgütern und den Nachfragenden erleichtert werden. Die

Fragmentierung und Modularisierung der Inhalte und Prozesse der

beruflichen Bildung in Europa wird indessen auch von einem Bündel

wirtschaftlicher Interessen angetrieben. Die Unternehmen wollen die

menschliche Arbeitskraft optimal verwerten. Ein einheitlicher europäi-

scher Bildungsmarkt soll den privaten Anbietern von Bildungsgütern

beispiellose Wachstumschancen erschließen. Allerdings besteht die

Gefahr, dass ein verbindlicher europäischer Qualifikationsrahmen mit

einem entsprechenden Kreditpunktesystem das deutsche Berufsbil-

dungssystem erheblich unter Druck setzt oder gar verdrängt. Denn die-

ses zeichnet sich durch breite komplexe Qualifikationen, eine berufsori-

entierte Integration theoretischer und praktischer Lernorte, eine

gesellschaftliche Verantwortung der beruflichen Bildung und die relati-

ve Autonomie derer aus, die eine berufliche Ausbildung annehmen. (vgl.

dazu den Beitrag zum europäischen und deutschen Qualifikationsrah-

men)

Hinter diesen paradoxen, weil gleichzeitig föderal und europäisch aus-

gerichteten Tendenzen sind ähnliche politische Absichten erkennbar:

auf der europäischen Ebene die Zerlegung integrierter Bildungsprozes-

se in kleine Einheiten, differenzierte Bildungsangebote, zwischen

denen Individuen auswählen, und ein transnationaler Bildungsmarkt

mit privaten Akteuren; auf der Länderebene die Zerlegung von Zustän-

digkeiten, föderaler Wettbewerb und berufliche Bildung nach Haus-

haltslage. Das Profil dieser Tendenzen lässt sich schärfer konturieren,

indem diese zwei rivalisierenden Steuerungsformen zugeordnet wer-

den, die für die berufliche Bildung werbend empfohlen werden bzw. bis-

her in Geltung sind.

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Kapitel 1

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2. Rivalisierende Steuerungsformen

„Mehr Markt“ im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und in der

öffentlichen Verwaltung! Mit solchen Parolen werben marktradikale,

wirtschaftliberale Experten für bessere Leistungen, zufriedene Kunden

und höhere Effizienz in öffentlichen Einrichtungen und bei der Bereit-

stellung öffentlicher Güter. Gleichzeitig attackieren sie die solidarischen

Sicherungssysteme und auch die solidarisch gesteuerte berufliche Bil-

dung. Die Marktsteuerung, so heißt es, sei ein wirksames Mittel, um das

Angebot beruflicher Bildung zu erweitern, das persönliche Interesse an

ihr zu wecken, und ihre Verbreitung zu steigern. Dem gegenüber sei das

solidarische System der beruflichen Bildung ineffizient und untergrabe

die Eigenverantwortung.

2.1 Die Marktsteuerung

Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus scheint

die kapitalistische Marktwirtschaft aus dem Systemwettbewerb als Sie-

ger hervorgegangen zu sein. Obwohl noch nicht entschieden ist, ob sie

Recht hat, wird sie den Transformationsländern und den Entwicklungs-

ländern als alternativlos empfohlen. Auch auf das System der berufli-

chen Bildung übt sie vordergründig eine hohe Anziehungskraft aus.

Zauber des Marktes

Die Verfechter der Marktsteuerung behaupten, dass moderne Gesell-

schaften um das individuelle Subjekt als ihren Mittelpunkt konstruiert

seien. Das Individuum habe sich immer mehr von den Bindungen der

Klasse, der Familie und des Milieus gelöst und beanspruche für sich das

Recht, autonom seinem Lebensentwurf zu folgen sowie sich jene Güter

anzueignen, die diesem Ziel dienen. Aufgeklärte und aufgeweckte junge

Erwachsene seien heutzutage mit dem „wirtschaftlichem“ Denken voll

vertraut, das darin besteht, vernünftig mit knappen Mitteln umzugehen,

um bestimmte Ziele zu erreichen. Sie würden dem wohl informierten,

rational denkenden Menschen, dem sprichwörtlichen „homo oeconomi-

cus“ gleichen. Dieser strebe die Befriedigung eines Bündels von Bedürf-

nissen an, die gemäß den persönlichen Vorlieben, dem Charakter, den

vorhandenen Talenten und Energien oder dem Alter auf einer Rangskala

aufgereiht sind. Da die materiellen Bedürfnisse weitgehend befriedigt

sind, rücke das vitale Bedürfnis, mehr zu wissen und sich zu bilden, ins

Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Hunger nach Bildung sei dem Hunger

nach Nahrung vergleichbar.

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Die Vertreter der Marktsteuerung sind auch davon überzeugt, dass wirt-

schaftlich denkende Individuen nüchtern die Kosten des Gutes „berufli-

che Bildung“ mit dem Nutzen vergleichen, den es ihnen stiftet, wenn sie

einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz suchen. Sie würden autonom

bestimmen, welchen Anteil ihres Einkommens sie für Nahrungsmittel,

Industriewaren und für Bildungsgüter ausgeben. Aus der Eigenschaft

von Bildungsgütern, subjektiven Erwartungen zu unterliegen, die sich

auf einen längeren Zeitraum beziehen, folge ja nicht, dass vernünftig

denkende Menschen solche Erwartungswerte nicht kalkulieren und

ihrer individuellen Nutzen/Kosten-Rechnung unterziehen können. Die

Risiken einer profitablen Verwendung der erworbenen beruflichen Bil-

dung seien ähnlich einzuschätzen wie die Risiken, einen Autounfall zu

erleiden, das in Aktien angelegte Vermögen zu verlieren oder das eige-

ne Haus in Flammen aufgehen zu sehen. Berufliche Bildung sei ein Gut

wie viele andere, sagt man.

Eine vergleichbare Rechnung, so die Meinung der radikalen Marktwirt-

schaftler, stelle der einzelne Unternehmer an. Er frage eine Arbeitskraft

nur dann nach, wenn die Kosten eines zusätzlich eingestellten Arbeiters

unter dem Wert des Grenzprodukts seiner Arbeitsleistung liegen.

Gemäß dieser Grenzproduktivitätsregel würden die Chancen einer

Arbeiterin oder eines Arbeiters, eine sichere und angemessen entlohn-

te Beschäftigung zu finden in dem Ausmaß steigen, wie sie über ein pro-

fitabel verwertbares Wissen oder über Qualifikationen verfügen, die

vom Unternehmer nachgefragt werden. Die Gleichzeitigkeit einer hohen

Sockelarbeitslosigkeit und eines partiellen Facharbeitermangels belege

genau diesen Zusammenhang: Während unter den Langzeitarbeitslosen

der Anteil der Geringqualifizierten überdurchschnittlich hoch ist, wür-

den Wissensarbeiter dringend gesucht.

Die Zauberformel des Marktes scheint einige Ökonomen dermaßen zu

faszinieren, dass sie die Marktsteuerung und die betriebswirtschaftli-

che Kalkulation auf alle gesellschaftlichen und staatlichen Bildungsein-

richtungen übertragen möchten. Auf so genannten Bildungsmärkten

könnten private Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Akademien und

sonstige Akteure als Anbieter auftreten und um diejenigen Kunden wer-

ben, die Bildungsgüter nachfragen. Sie sollten sich durch ein unver-

wechselbares Profil voneinander abgrenzen, sich spezialisieren und

eine zusätzliche private kaufkräftige Nachfrage erschließen. Die erfor-

derlichen Finanzmittel müssten sie sich durch Stiftungen, Sponsoren

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und Patenschaften privat beschaffen, weil öffentliche Finanzmittel in

Zukunft weniger zur Verfügung stehen. Der Druck des Wettbewerbs

würde schlummernde Effizienzreserven ausschöpfen, die von einem

verkrusteten staatlichen Berufsbildungssystem so nicht mobilisiert

werden.

Die Marktsteuerung und der Wettbewerb könnten, so heißt es, auch

die internen Beziehungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von

Bildungseinrichtungen positiv verändern. Eine streng betriebswirt-

schaftliche Kalkulation würde die Akteure dazu veranlassen, weit

gefasste Ausbildungsziele auf überschaubare Zeitabschnitte herunter

zu brechen und in überprüfbare kleinste Einheiten zu zerlegen. Exakt

definierten Lernergebnissen und präzisen Lernschritten würden

Kostenträger detailliert und direkt zugeordnet. Einheitliche Bildungs-

standards könnten die Erwartungen der Anbieter und Nachfragenden

aufeinander abstimmen und die Vorgehensweise des Personals durch-

sichtig und deren Bewertungen nachvollziehbar machen, ohne dass

die Besonderheiten des Einzelfalls übersehen werden. Die bürokrati-

sche Administration würde von einem unternehmerischen Führungs-

stil abgelöst. Behäbige Verwaltungsbeamte räumten ihre Sessel für

dynamische Manager.

Marktkritik

Wer den Zauber der Marktsteuerung zu entkräften versucht, kann dar-

auf verweisen, dass eine monetäre Steuerung von Lernprozessen mit

dem beruflichen Ethos der Bildungsträger und ihrem Verantwortungs-

bewusstsein für das Lernergebnis möglicher Weise kollidiert. Die kom-

merzielle Anpassung der Lernergebnisse an Kundenwünsche riskiert,

dass deren Folgekosten auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf

unbeteiligte Dritte oder auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, wie

dies in der privaten Wirtschaft üblich ist, wenn die Rationalität einer

Senkung der Kosten darin besteht, diese möglichst umfangreich auf

andere zu verlagern. Der Leistungswettbewerb der Bildungsträger

kann zu einem Rattenrennen um mehr oder weniger profitable Bil-

dungsangebote entarten. Die Markt- und Wettbewerbseuphorie blen-

det leicht die Tatsache aus, dass weder die Träger der beruflichen Bil-

dung homogene Waren anbieten noch die Lernenden austauschbare

Kunden mit gleichen Ressourcen sind. Offensichtlich taugt die Mikro-

steuerung von Anbietern und Nachfragenden nur begrenzt, um die

Bevölkerung optimal mit Bildungsgütern auszustatten und deren

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Lebensqualität zu verbessern, die angestrebten Bildungsziele zu

erreichen und ein breites Interesse an Bildungsgütern zu wecken. Der

Gegensatz zwischen dem, was für den einzelnen Bildungsträger vor-

teilhaft ist, und dem gesellschaftlichen Interesse kann durch den

Markt ebenso wenig beseitigt werden, wie Markt und Wettbewerb

allein für die Bereitstellung öffentlicher Bildungsgüter taugen.

Das Wissen darum, dass wirtschaftliches, vernunftgemäßes Handeln

eine allgemeine gesellschaftliche Tatsache ist, wird von kompetenten

Trägern der beruflichen Bildung nicht bestritten. Typische Lernschritte

lassen sich sinnvoll von typischen Lernzielen her strukturieren. Nicht

jede zu behandelnde Lerneinheit ist derart einzigartig, dass Verfahren

und Ergebnisse nicht miteinander vergleichbar wären und standardi-

siertes Wissen für den Umgang mit Lernwilligen nicht abgerufen werden

könnte. Aber mit dieser Feststellung ist noch nicht gewährleistet, dass

Bildungsprogramme, die ausschließlich einer betriebswirtschaftlichen

Rationalität folgen, die pädagogische und fachliche Kompetenz der Bil-

dungsträger respektieren.

Die spezifische Qualität personennaher Dienste lässt sich weder unter

Zeitdruck und Stress noch mit unterdurchschnittlicher Entlohnung

gewinnen, wie derzeit in Erziehungseinrichtungen, Schulen und beruf-

lichen Bildungsstätten zu beobachten ist. Qualifiziertes Arbeitsvermö-

gen der Bildungsträger, das kultiviert und veredelt werden sollte, wird

so entwertet. Sobald im Verlauf der kommerziellen Umstellung quali-

fizierte Arbeitskräfte innerlich emigrieren oder dem pädagogischen

Dienst entfliehen, ist es an der Zeit, das System der betriebswirt-

schaftlichen Steuerung selbst einer Kosten/Nutzen-Analyse zu unter-

werfen.

Der Qualitätsmaßstab einer Arbeit am bildungswilligen Menschen folgt

anderen Kriterien, als sie sich in der Industrie bewährt haben. Eine den

personennahen Diensten angemessene Qualitätssicherung sollte sich

folglich weniger an der Produktivität des „Zählens, Wiegens und Mes-

sens“ orientieren, sondern an den humanen und kommunikativen Kom-

petenzen des „Heilens, Beratens, Helfens, Aufrichtens und Begleitens“.

Eine solche Qualität kann weder extern abgelesen noch intern von oben

normiert, sondern nur kreativ erarbeitet und gewonnen werden, indem

das Arbeitsteam selbst bei der Festlegung von Qualitätskriterien aktiv

beteiligt ist.

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Diejenigen, die mehr Markt und Wettbewerb im beruflichen Bildungswe-

sen propagieren, sollten bedenken, dass das Spielfeld der angeblichen

Bildungsmärkte hochgradig politisch besetzt ist, selbst wenn die beteilig-

ten Akteure sich verstärkt auf ein Spiel, das dem Markt nachgebildet ist,

einlassen möchten. Denn alle Spielzüge und Reaktionen individueller und

kollektiver Akteure bleiben vorerst und vermutlich dauerhaft sehr stark in

den politischen Horizont beruflicher Bildung eingebettet. Nur um den

Preis einer mikroökonomischen Blickverengung lassen sich betriebs- und

einzelwirtschaftliche Methoden auf Bundesländer anwenden.

Dabei wird eine gesamtwirtschaftliche und erst recht eine gesellschaft-

liche Perspektive ausgeblendet. Ein solches Verfahren hat drei schädli-

che Folgewirkungen. Zum einen täuschen singuläre ökonomische Kenn-

ziffern die Exaktheit eines Ländervergleichs vor, der überhaupt nur

solange aussagefähig ist, als vergessen wird, wie bei jedem Vergleich

die Unähnlichkeit der Gegenstände, die verglichen werden, größer ist

als deren Ähnlichkeit. Zum andern sind die Vergleiche kommerzieller

Kennziffern, die jene Ertrags- und Aufwandskomponenten abbilden sol-

len, die ein Bundesland fiskalisch entlasten und ein anderes belasten,

angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen eine bloße Scheinrech-

nung und, falls die sozial, kulturell und politisch geprägten Lebensstile

der jeweiligen Bevölkerung nicht einbezogen werden, ein inhaltsleerer

und unsinniger Maßstab. Schließlich widersprechen derartige Rechnun-

gen sowie die daraus abgeleiteten finanzpolitischen Belohnungen und

Sanktionen jener im Grundgesetz formulierten Norm, die der politi-

schen Klasse das Mandat erteilt hat, gleichwertige Lebensverhältnisse

und damit gleichwertige Chancen beruflicher Bildung für alle Kinder und

Jugendlichen im Bundesgebiet herzustellen.

2.2 Die Steuerungsform der Solidarität

Der Mythos einer effizienten Marktsteuerung, der seit mehr als 25 Jah-

ren die öffentliche Meinung der westlichen Länder beherrscht, hat die

Verteidiger der Solidarität als einer Steuerungsform, die gesellschaftli-

che Risiken abfedert, ins Abseits gedrängt. Allmählich erst wächst wie-

der das Bewusstsein, dass Märkte nur so lange funktionsfähig sind, als

sie in eine Steuerungsform der Solidarität „eingebettet“ bleiben.

Charme der Solidarität

Solidarität wird meist mit der persönlichen Tugend gleich gesetzt, die

sich als Sympathie, Barmherzigkeit und Mitleid gegenüber dem benach-

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teiligten Nächsten äußert. Im folgenden ist Solidarität eine Kooperations-

regel bzw. Steuerungsform, die der Abwehr gesellschaftlicher Risiken

dient. Zwei Arten von Risiken sind grundsätzlich zu unterscheiden: Risi-

ken, die dem Handeln von Individuen als ihrer unmittelbaren und direk-

ten Ursache zugerechnet werden können. Und Risiken, die durch gesell-

schaftliche Verhältnisse bedingt oder verursacht sind. Während es

angemessen ist, individuelle Risiken durch eine private Vorsorge abzu-

sichern, entspricht den gesellschaftlichen Risiken eine solidarische

Sicherung. Bildungsferne und Bildungsarmut sind offenkundig zu

einem erheblichen Anteil den gesellschaftlichen Risiken zuzuordnen.

Sie sind auf gesellschaftliche Verhältnisse und nicht in erster Linie auf

ein fahrlässiges Handeln von Individuen zurückzuführen. Für die Klas-

senabhängigkeit der Bildungschancen liefert die geschlossene Schicht

der Bildungseliten in Deutschland ein beredtes Zeugnis. Die Wahr-

scheinlichkeit, ein Hochschulstudium zu beginnen bzw. eine Empfeh-

lung für das Gymnasium zu bekommen, ist für ein Akademikerkind

immer noch siebenmal bzw. dreimal so hoch wie für ein Arbeiterkind.

Die Grenze zwischen gesellschaftlichen und privaten Risiken kann eben-

so wenig trennscharf gezogen werden, wie die gesellschaftliche Option

für eine solidarische Risikoabwehr an Stelle einer privaten Vorsorge

objektiv zwingend ist. Denn zum einen ist eine private Vorsorge für

wohlhabende Haushalte durchaus tragbar, nicht jedoch für den großen

Teil derer, die arbeitslos, arm, krank oder pflegebedürftig sind und nicht

über ein Einkommen verfügen, aus dem die private Vorsorge finanziert

werden könnte. Zum andern neigen demokratische Gesellschaften

dazu, die Grenzen zwischen persönlichen Schwächen, psychosomati-

schen Beeinträchtigungen und Behinderungen einerseits und gesell-

schaftlichen Diskriminierungen anderseits flexibel zu ziehen. Und

außerdem neigen sie angesichts dieser fließenden Grenzen zu einer

nachsichtigen Vorgehensweise, scheinbar individuelle Risiken im Zwei-

felsfall den gesellschaftlichen Risiken zuzuordnen und solidarisch abzu-

sichern.

„Solidarität“ ist eine Entdeckung der Arbeiterbewegung. Sie ist jedoch

im Lauf der Zeit zu einer gesellschaftlichen Steuerungsform aufgestie-

gen, vergleichbar der Liebe in der Partnerschaft, dem Geld in der Wirt-

schaft oder der Macht in der politischen Sphäre. Sie ist dadurch beson-

ders gekennzeichnet, dass eine abgrenzbare Gruppe von Menschen

eine gemeinsame Grundlage ihres Handelns – etwa der Klasse, des

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Kapitel 1

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Geschlechts, der Sprache, Kultur oder Geschichte – anerkennt, die sie

verbindet. Trotz dieser gemeinsamen Bindung sind die einzelnen Grup-

penmitglieder von den großen Lebensrisiken sehr unterschiedlich

betroffen. Aber diese Differenzen werden als geringer gewichtet als die

gemeinsame Grundlage. So kommt es zu einer rechtsverbindlichen, ver-

traglichen Vereinbarung, die auf einer asymmetrischen Gegenseitigkeit

beruht, dass nämlich die Solidaritätsbeiträge gemäß der individuellen

Leistungsfähigkeit (dem erzielten Einkommen oder vorhandenen Ver-

mögen) entrichtet werden, die Solidaritätsansprüche jedoch gemäß der

individuellen Notlage (und nicht der vorhandenen Kaufkraft). Die Pflich-

ten entsprechen dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit, die Rechts-

ansprüche dem Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit.

Stellt man die Merkmale einer solchen Solidarität der Marktsteuerung

gegenüber, wird deutlich, worin beide übereinstimmen und worin sie

voneinander abweichen. Sowohl die Marktsteuerung als auch die Soli-

darität regeln einen Interessenkonflikt. Der Markt tut dies anonym, die

Solidarität in überschaubaren oder in abgegrenzten Einheiten. Der

Markt ist nicht exklusiv, solange die Tauschpartner angemessen mit

Kaufkraft oder Leistungsvermögen ausgestattet sind. Die Steuerungs-

form der Solidarität wirkt innerhalb eindeutig identifizierbarer und

streng gezogener Grenzen.

Nur diejenigen, die sich auf Grund eines gemeinsamen Merkmals als

grundlegend gleich begreifen, erkennen eine solidarische Verpflichtung

an. Solche Merkmale sind keine rein objektive Tatsache, sondern ein

gesellschaftliches Konstrukt. Nur wenn sich Menschen als miteinander

verbunden deuten und fühlen, kann die Solidarität als gesellschaftliche

Steuerungsform wirksam sein. Gegenseitigkeit gibt es in der Steue-

rungsform des Marktes ebenso wie in der Steuerungsform der Solida-

rität. Auf dem Markt herrscht eine strenge Gegenseitigkeit zum gleichen

Zeitpunkt oder in einem eindeutig abgesteckten Zeitraum. Bei der Soli-

darität ist die Gegenseitigkeit durch einen Erwartungswert verbunden,

der weit in die Zukunft hineinreicht. Dieser ist sehr subjektiv mit über-

wiegend skeptischen Erwartungen eingefärbt, dass die Armut, Bil-

dungsferne und Ausgrenzung, die ich bei meinem Nachbarn erblicke,

auch mich in Zukunft treffen werden. Aus einer solchen Einschätzung

ergibt sich die für die Solidarität typische „asymmetrische“ Gegensei-

tigkeit, wozu die Marktsteuerung nicht in der Lage ist, die streng dem

Äquivalenzgrundsatz folgt.

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Kapitel 1

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Kapitel 1

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Diffamierte Solidarität

In den vergangenen 25 Jahren haben bürgerliche Kampagnen die soli-

darischen Sicherungssysteme in Deutschland systematisch verdäch-

tigt, dass sie zu teuer, auf Dauer nicht finanzierbar und überhaupt fehl-

geleitet seien. Dem System der beruflichen Bildung gilt der gleiche

Vorbehalt.

Die „Globalisierung“ wird in der Öffentlichkeit regelmäßig als Kampf-

formel eingesetzt, um die Klage zu begründen, dass die Kosten der soli-

darischen Sicherungen und auch der beruflichen Bildung die Wettbe-

werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten lähmen

würden. Nun steht die deutsche Wirtschaft nicht unter einem bedrohli-

chen Globalisierungsdruck. Sie ist nicht Opfer, sondern selbst treiben-

der Motor der Globalisierung, sonst gäbe es nicht den strukturellen

anhaltenden Exportüberschuss, der zu zwei Drittel mit anderen westeuro-

päischen Ländern abgewickelt wird.

Die demografische Entwicklung und das angeblich riskante Zahlenver-

hältnis von Erwerbspersonen und Rentnern gilt Kritikern der umlagefi-

nanzierten solidarischen Sicherungssysteme als ein Argument dafür,

dass die Erwerbstätigen sich schon bald weigern würden, noch höhere

Sozialbeiträge, die zur solidarischen Finanzierung erforderlich sind, zu

entrichten. Darauf zu vertrauen, dass der Sozialstaat die Defizite der

zerbrechenden Sicherungssysteme auffängt und weiterhin öffentliche

Bildungsgüter bereitstellt, sei angesichts der hoch verschuldeten

öffentlichen Haushalte fahrlässig. Wenn beispielsweise die gesetzliche

Rente selbst nach dreißig Versicherungsjahren auf das Niveau des Exis-

tenzminimums absinkt, sei eine private Vorsorge gegen die Lebensrisi-

ken ebenso wenig vermeidbar wie eine private Finanzierung des

Erwerbs von Bildungsgütern.

Solchen Argumenten kann entgegen gehalten werden, dass die wirt-

schaftliche Leistungsfähigkeit nicht in erster Linie von der biologischen

Zusammensetzung der Bevölkerung abhängt, sondern von ihren Wachs-

tumserwartungen, dem Beschäftigungsgrad und der Produktivität der

Erwerbstätigen. Und das Kapitaldeckungsverfahren ist nicht weniger

anfällig für Veränderungen der Erwerbstätigenstruktur als das Umlage-

verfahren, wie die in regelmäßigen Abständen auftretenden Banken-,

Währungs- und Finanzkrisen belegen.

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Kritiker der solidarischen Sicherung beklagen, dass sie die persönliche

Zuwendung, die den Armen und Hilfebedürftigen fehlt, selbst nicht leisten

könne. Sie sei zu einem bürokratischen Monster entartet und habe die

früher vorhandene familiäre und nachbarschaftliche Solidarität aus-

gehöhlt. Sie habe die Eigenverantwortung gelähmt, die Individuen an eine

öffentliche Rundumversorgung gewöhnt und ihnen die Fähigkeit geraubt,

sich selbst zu organisieren und sich den Lebensrisiken zu stellen. Das ver-

wegene Vertrauen auf die Solidarität der Starken mit den Schwachen

habe am Ende dazu geführt, dass Individuen nicht nur in strukturelle Soli-

daritätsfallen gestolpert sind, sondern sich selbst fahrlässig als Trittbrett-

fahrer solidarischer Ausgleichssysteme betätigt haben. Sie hätten auch

die öffentlichen Bildungsangebote bewusst und ohne Not missbraucht.

Aber nicht nur Individuen seien durch falsche Anreize fehlgelenkt worden,

sondern auch berufliche Bildungseinrichtungen, kommunale Selbstver-

waltungen und Bundesländer hätten sich in der Hängematte des födera-

len Finanzausgleichs bequem eingerichtet und darin ausgeruht, während

sie auf die Solidarität der leistungsstarken Länder vertrauten.

Wenn deren Haushalte jetzt nicht mehr über die Finanzmittel verfügen,

um Sozialleistungen, öffentliche Bildungsgüter und Finanztransfers in

andere Länder im bisherigen Ausmaß bereit zu stellen, müssten die Bür-

ger ihre überzogenen Erwartungen an den Sozialstaat bzw. leistungs-

schwache Länder ihre Ansprüche an den Finanzausgleich zurückneh-

men. Folglich seien positive Anreize gefragt, damit die Eigeninitiative

geweckt, das Selbstvertrauen zurück gewonnen und die erforderlichen

Bildungsgüter aus eigener Kraft erworben werden.

Nun hat die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder bereits system-

sprengende Einschnitte in die solidarischen Sicherungssysteme vorge-

nommen. Sie hat damit das Niveau von Versicherungsleistungen, die

beim Eintreten gesellschaftlicher Risiken den erarbeiteten Lebensstan-

dard aufrechterhalten sollten, tendenziell auf das Niveau bloßer Fürsor-

geleistungen abgesenkt. Seitdem ist das Vertrauen der Bevölkerung in

die gesetzlichen Sicherungssysteme massiv gesunken. Die Regierung

rief, während sie die Solidarität politisch deformierte, zur privaten kapi-

talgedeckten Risikovorsorge auf. Gleichzeitig traten Finanzinvestoren

auf den Plan, um die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger zu sam-

meln und rentabel – teils risikobewusst teils hoch spekulativ – auf den

globalen Finanzmärkten anzulegen.

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Das berechtigte Misstrauen gegen die Bildungsversprechen des Staates

ließ dann auch denjenigen, die berufliche Bildungs- und Weiterbil-

dungsangebote nachfragten, keine andere Wahl, als auf private finanzi-

elle Ressourcen zurückzugreifen. Damit hat sich jedoch noch nicht die

Frage erübrigt, ob das faktische Handeln des Staates auch gerechtfer-

tigt ist.

3. Gerechtigkeitsgrundsätze

Welche Steuerungsform für welche Teilsphäre moderner Gesellschaften

vorteilhaft oder schädlich ist, lässt sich nicht wertfrei, ohne Bezug zu

normativen Überzeugungen entscheiden. Der Grundsatz der Gerechtig-

keit ist eine Grundnorm der politischen Ordnung und wird auch für die

normative Orientierung der beruflichen Bildung in Anspruch genom-

men. Aber welche Gerechtigkeit gilt als vorzugswürdig? Ist das plakati-

ve Kürzel: „Jedem das Seine“ bereits eine hinreichende Antwort, wenn

normative Grundsätze sich jeweils nur bezüglich einer konkreten Situa-

tion formulieren lassen?

Dieser Bezug auf eine konkrete Situation kann in zweifacher Weise

erfolgen – als Gebot der Anpassung an die Situation oder als Option

eines kreativen Gegenentwurfs im Widerspruch zur Situation. Dem-

gemäß konkurrieren zwei Gerechtigkeitsgrundsätze miteinander, die

Tauschgerechtigkeit, die der Marktsteuerung entspricht, und die Betei-

ligungsgerechtigkeit, die für demokratische Gesellschaften grundle-

gend ist.

Tausch- oder Marktgerechtigkeit

Die marktradikalen, wirtschaftsliberalen Kritiker der Solidarität

bemühen sich, den Grundsatz der Gerechtigkeit im Sinn einer Markt-

bzw. Tauschgerechtigkeit zu definieren. Vertreter der so genannten

Volksparteien hatten zu Beginn des Jahrhunderts an die Bevölkerung

appelliert, sich von der Verteilungsgerechtigkeit zu verabschieden, weil

diese den globalen und demografischen Herausforderungen nicht mehr

gewachsen sei. Der neue Name für Gerechtigkeit laute ihrer Meinung

nach: „Chancengerechtigkeit“ im Hinblick auf einen allgemeinen und

gleichen Zugang zu Bildungsgütern, weil diese die Voraussetzung für

die Einbindung in die Erwerbsarbeit und damit für die gesellschaftliche

Beteiligung bilden würden.

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Der Staat habe bloß die Aufgabe, eine klare Startlinie zu ziehen, von der

aus alle ihre Bildungslaufbahn ungehindert beginnen und vollenden.

Persönliche Behinderungen und gesellschaftliche Benachteiligungen

solle er während des Laufens nicht korrigieren. Denn die Individuen ver-

fügten über verschiedene Talente und Energien. Mit deren Hilfe würden

sie unterschiedliche Leistungen hervorbringen, die ihnen persönlich zu

eigen sind. Eine Gesellschaft müsse die Mobilisierung differenzierter

Talente und Energien auch differenziert belohnen. Folglich seien unglei-

che Einkommen und Vermögen ein individuelles Verdienst und auch

gesellschaftlich verdienstvoll.

Je stärker sie differieren, umso mehr würden sie auch die Tatsache spie-

geln, wie sehr die Gesellschaft monetär anerkennt, dass die Individuen

ihre Talente und Energien eigenständig aktiviert haben. Ohne diese

monetäre Anerkennung fehlten die Anreize zur Aktivierung individueller

Potentiale. Ähnlich würden diejenigen Länder, die sich erfolgreich ange-

strengt haben, die eigenen Ressourcen zu mobilisieren, und deshalb

überdurchschnittliche Leistungen aufweisen, einen finanziellen Vorteil

verdienen, der jedoch Ländern, die solchen Anstrengungen ausgewi-

chen sind, versagt bleiben müsse. Die Leistungsgerechtigkeit, die einer

strengen Äquivalenz dessen entspricht, was im Tausch der eine Partner

bietet und der andere fordert, habe demnach Vorrang vor der Bedarfs-

gerechtigkeit. Gegenüber der Verteilung von Gütern sei der Austausch

von Leistungen die fundamentale Form zwischenmenschlicher Bezie-

hungen, erklärt ein angesehener Sozialphilosoph.

Parallel zur Deutung der „Gerechtigkeit als Tausch“ verbiegen die Ver-

fechter der Marktgerechtigkeit den Grundsatz der Solidarität zu einer

strengen Gegenseitigkeit. Die Solidarität sei keine Einbahnstraße, heißt

es. Die Hilfeleistung, die von den Reichen, Starken und Gebildeten ein-

geklagt wird, damit die Armen, Schwachen und Ungebildeten davor

bewahrt bleiben, von den gesellschaftlichen Gütern ausgeschlossen zu

werden, dürfe nicht zum Nulltarif gewährt werden. Sie setze vielmehr

eine Eigenleistung der Hilfebedürftigen voraus, besser: eine Gegen-

oder Vorleistung, um zuerst den Beweis zu erbringen, dass sie der akti-

vierenden Hilfe des Staates oder der Gesellschaft würdig sind. Niemand

habe das Recht, Leistungsansprüche an die Gesellschaft und den Staat

zu richten, der nicht zu einer Vorleistung von Eigeninitiative und Selbst-

beteiligung bereit ist. Ähnlich seien finanzschwache Länder zu Vorleis-

tungen verpflichtet, bevor sie die Hilfe der finanzstarken Länder in

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Anspruch nehmen dürften. Die Verpflichtung zur Eigenverantwortung

hat gemäß diesem Verständnis von Solidarität Vorrang vor dem Rechts-

anspruch auf einen Beistand der Gesellschaft.

Gleiche Gerechtigkeit

Während der Grundsatz der Tausch- oder Marktgerechtigkeit vorwie-

gend der Absicht marktradikaler, wirtschaftsliberaler Ökonomen ent-

spricht, die faktische Situation ungleicher Lebenslagen und Bildung-

schancen normativ anzuerkennen, besteht eine alternative normative

Position in einer kritischen Deutung und kreativen Aneignung dieser

Situation. An Stelle einer im Namen der Tauschgerechtigkeit gebotenen

Anpassung an die Lage wird der Grundsatz der Gerechtigkeit zum einen

im Kontrast zu einer Situation formuliert, die von wachsender vertikaler

Ungleichheit bestimmt ist, da die Schere der Einkommen und Vermögen

sowie der Lebens- und Bildungschancen von Menschen, die in Deutsch-

land wohnen, zunehmend auseinanderklafft.

Zum andern wird er im Horizont der Proklamation gleicher Menschen-

rechte formuliert – nicht gemäß ihrer historischen Reihenfolge, sondern

gemäß ihrer demokratischen Rangfolge. Deshalb steht das gleiche

Recht auf aktive Beteiligung an den gesellschaftlichen Entscheidungs-

prozessen an erster Stelle. Um diese zu gewährleisten, sind wirtschaft-

liche, soziale und kulturelle Anspruchsrechte auf gleiche Lebens- und

Bildungschancen die notwendige Bedingung. Folglich wird die Gerech-

tigkeit zuerst als eine Gleichheitsvermutung formuliert.

Der Begriff der Gleichheit indiziert nicht Identität, sondern die quali-

tative Übereinstimmung von Subjekten und Sachverhalten in einem

präzise definierten Merkmal. Zwei Personen sind gleich etwa hinsicht-

lich ihres musischen Talents oder ihrer technischen Begabung oder

der Herkunft aus einer Region. Diese verhältnismäßige Gleichheit

drückt sich aus in den programmatischen Formeln: „Gleiches soll

gleich, Ungleiches soll ungleich behandelt werden“ oder: „Gleicher

Lohn für gleiche Arbeit“.

In der antiken oder mittelalterlichen, feudal gegliederten Gesellschaft

wurde den Individuen „das Gleiche“, das ihnen zukommt, im Verhält-

nis zu ihren Talenten, Verdiensten, Funktionen und Positionen inner-

halb einer wohlgeordneten Stadt oder Gesellschaft zugeteilt. Seit der

Neuzeit gilt indessen die kopernikanische Wende in der Bestimmung

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verhältnismäßiger Gleichheit: Das Gleiche wird nun im Verhältnis zu

sich selbst definiert, im Selbstverhältnis des individuellen, autono-

men Subjekts und seiner Absicht, sich als Person zu verwirklichen und

darin eine eigenständige Identität zu finden.

Diese moralische Gleichheit besagt, dass jede Person einen moralischen

Anspruch darauf hat, mit der gleichen Rücksicht und Achtung behandelt

zu werden wie jede andere. Sie ist von einem Standpunkt der Unpartei-

lichkeit und der Allgemeinheit als autonomes Lebewesen anzuerkennen

und als Gleiche – nicht gleich – zu behandeln und in ihrer Würde zu ach-

ten. Der Grundsatz moralischer Gleichheit ist zugleich eine Verfahrensre-

gel zur Bestimmung dessen, was in einer ausdifferenzierten Gesellschaft

gerecht ist. Eine solche Regel enthält das Recht auf Rechtfertigung gesell-

schaftlicher Verhältnisse insbesondere gegenüber jenen, die am schlech-

testen gestellt sind. Ihnen sollte eine Art „Vetorecht“ bei der Formulie-

rung jener Regeln gewährt werden, die festlegen, bis zu welchem Grad

eine Ungleichheit von Einkommen und Vermögen sowie von Bildungs-

chancen mit dem moralischen Grundsatz gleicher Gerechtigkeit vereinbar

ist. Ungleichheiten der Güterausstattung, der Zugangsrechte zu Macht-

stellungen und Bildungsgütern sollen allein durch solche Gründe gerecht-

fertigt werden, die in persönlichen Leistungen, beruflicher Verantwortung

und gesellschaftlichen Funktionen verankert sind, nicht jedoch in

geschlechtsspezifischen Rollenmustern, im Einkommen und Vermögen,

im Herkommen und Wohnumfeld der Eltern.

Der Grundsatz realer Chancengleichheit erschöpft sich nicht in gleichen

Startbedingungen. Ungeachtet unterschiedlicher Talente und Motivatio-

nen sollten die Individuen neben den gleichen Startchancen für ihre Bil-

dungslaufbahn auch effektiv die gleichen Erfolgschancen während des

Laufs behalten, indem die Zufallsergebnisse der natürlichen und gesell-

schaftlichen Lotterie laufend korrigiert werden.

4. Solidarität in der beruflichen Bildung

Nationale Gesellschaften haben weder durch globale Veränderungen

noch durch die EU-Methode der offenen Koordination ihre Autonomie

verloren, die berufliche Bildung der Marktsteuerung oder der Steue-

rungsform der Solidarität zu überantworten. Sie sind nicht genötigt, die

bisherigen Institutionen der Tarifverträge, die eine relativ ausgewogene

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Einkommens- und Vermögensverteilung gewährleistet haben, außer

Kraft zu setzen. Zu welchen Anteilen Industriewaren oder personennahe

Dienste angeboten, in welchem Ausmaß berufliche Bildungsgüter

öffentlich oder privat bereitgestellt, ob das Risiko der Bildungsferne pri-

vat oder solidarisch abgesichert und ob eine solidarische berufliche Bil-

dung durch Beiträge oder durch Steuern finanziert werden sollen, bleibt

weiterhin einer politischen Entscheidung überlassen. Eine solche Auto-

nomie ist auch die Grundlage jener vorrangigen Option, für berufliche

Bildungsgüter die Steuerungsform der Solidarität zu wählen und der

Marktsteuerung eine zweitrangige Rolle zuzuweisen.

Eine solche Option lässt sich durch fünf Gründe rechtfertigen.

Berufliche Bildung ist erstens kein Gut wie viele andere. Das „Andere“

dieses Gutes besteht darin, dass es ein unmittelbar persönliches Gut

ist. Es lässt sich nicht abtrennen von dem Subjekt, das dieses Gut nach-

fragt. Es ist eine menschliche Person, die mit Würde ausgestattet ist und

keinen Preis hat. Heterogene Einheiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und

Fähigkeiten sind in die Form eines Berufs integriert und um dieses Sub-

jekt als einheitsstiftenden Kern gruppiert. Berufliche Bildung ist ein ele-

mentarer Bestandteil individueller Lebensqualität, schließt die Befähi-

gung und Ermächtigung zum mündigen Subjekt ein, das Vermögen, „die

eigene Geschichte erzählen zu können“, sowie kognitive, praktische

und kommunikative Handlungsfähigkeiten – beispielsweise jene Fähig-

keit, technisches und ökonomisches Wissen zu verarbeiten, ein Urteils-

vermögen, das wichtiges vom unwichtigen, nützliches vom schädlichen,

wahres vom falschen Wissen unterscheidet, die Bereitschaft zur Koope-

ration, die Partnerfähigkeit, das politische Interesse an der Gleichstel-

lung der Geschlechter und demokratischer Beteiligung sowie Zivilcou-

rage und moralische Orientierung ein.

Das Gut berufliche Bildung ist zweitens kein ausschließlich privates

Gut. Kinder und Jugendliche sind neugierig, aufmerksam und daran

interessiert, sich selbst und ihre Umwelt zu erschließen. Aber sie wer-

den auch extrem zum einen durch Eltern, Familien, Kindergärten, Schu-

len, Vereine, Verbände, Internet, Gruppen Gleichaltriger und durch Flut-

wellen öffentlicher Bildungsangebote gelenkt. Wie wenig die Bildung

ein ausschließlich privates Gut ist, lässt sich an der schichtenspezifi-

schen Verteilung von beruflichen Bildungschancen und Bildungserfol-

gen ablesen. Regionale und nationale Bildungsprofile, bürgerliche Bil-

dungswelten, wirtschaftliche Interessen, handwerkliche literarische,

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musische Bildungssegmente, Bildungsmilieus und Bildungsszenen, das

kollektive Arbeits- und Freizeitverhalten, der Konsum- und Lebensstil

prägen das Bildungsspektrum Jugendlicher. Der junge mündige Bil-

dungsbürger, der die Chancen und Risiken des Erwerbs von Bildungs-

gütern wohl informiert und vernünftig kalkulierend abwägt, ist eine

wirklichkeitsfremde Konstruktion. Ein plurales Bündel eigennütziger,

fremd gesteuerter, familiärer, sozialer, kommunikativer und moralischer

Motive fließt in konkrete Bildungsentscheidungen junger Menschen

ein.

Das Gut berufliche Bildung ist drittens ein quasi-öffentliches Gut.

Streng genommen ist ein öffentliches Gut dadurch definiert, dass der

für den Umgang mit privaten Gütern typische Ausschließungsgrundsatz

nicht gilt: Diejenigen, die über das Gut verfügen und dessen Nutzen

genießen, können andere von der Verfügung über dasselbe Gut und von

dessen Nutzung nicht ausschließen. Öffentliche Güter werden gemein-

sam hergestellt und genutzt. Rein privatwirtschaftlich würden sie ver-

zerrt angeboten und nachgefragt, weil Marktsignale, die authentische

Informationen liefern und innovative Reaktionen auslösen, nicht zustan-

de kommen. Selbst wenn eine derart strenge Abgrenzung von privaten

Gütern für das Gut der beruflichen Bildung nicht zutreffen würde, ent-

spricht ihm zum Teil doch jenes Merkmal, dass die Aneignung des beruf-

lichen Bildungsgutes durch ein Subjekt dessen Aneignung durch ande-

re nicht ausschließt. Der Wert des Bildungsgutes wird durch dessen

allgemeine Verbreitung und Aneignung nicht gemindert. Zudem haben

Bildungsgüter externe Wirkungen, die gesellschaftlich vorteilhaft, indivi-

duell jedoch nicht zuzurechnen sind. Das Bildungsniveau eines individu-

ellen Subjekts strahlt auf andere aus, so hängt unsere gesamte Kultur von

gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsbeständen ab. Umgekehrt hat die

Bildungsferne eines Mitglieds der Gesellschaft negative Folgewirkungen

für andere.

Das Gut berufliche Bildung gehört viertens in die Kategorie der Vertrau-

ensgüter. Zwischen denen, die dieses Gut anbieten, und denen, die es

nachfragen, besteht ein ungleiches Verhältnis der Kompetenz und Infor-

mation. Lehrer und Lehrerinnen, Meister und Meisterinnen ergreifen in

der Regel die Initiative und leiten die einzelnen Lernschritte an, deren

Kette sich über einen längeren Zeitraum hinzieht. Die Qualität der Lern-

bewegung wird von den Lernenden nicht ohne weiteres durchschaut.

Deren lebenswichtige Ergebnisse sind oft erst im Nachhinein erkennbar.

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Deshalb sind die Lernenden darauf angewiesen, den Lehrenden zu ver-

trauen. Sie brauchen eine Verhandlungsposition, damit sie nicht einfach

der Marktmacht der Anbieter ausgesetzt sind. Von daher legen gute

Gründe es nahe, die Organisation oder die Bereitstellung beruflicher

Bildungsgüter öffentlich zu regeln. Damit ist nicht gesagt, dass Angebot

und Nachfrage detailliert durch den Staat fest geschrieben und selbst

organisiert sein müssen. Vielmehr können Sozialpartner, Träger der

Selbstverwaltung und zivilgesellschaftliche Initiativen als kompetente

Intermediäre auftreten.

In demokratischen Gesellschaften wird fünftens eine angemessene Aus-

stattung aller Mitglieder mit Bildungsgütern als ein Grundrecht aner-

kannt. Dieses Grundrecht ist nicht an die individuelle Kaufkraft und das

persönliche Leistungsvermögen gebunden. Damit zeichnet sich bereits

eine Grenze der Marktsteuerung in der beruflichen Bildung ab. Der

Markt kann lediglich auf Signale der Kaufkraft und eines Leistungsver-

mögens reagieren, das sich die gewünschte Kaufkraft beschafft. In ega-

litären Gesellschaften sollen weder das eigene Einkommen noch das

der Eltern das Bildungsniveau der Individuen bestimmen. Von daher

sind der Staat oder die Gesellschaft berechtigt, einen Teil des Volksein-

kommens und des Volksvermögens zu beanspruchen und die Wirt-

schaftsobjekte nach ihrer Leistungsfähigkeit zu besteuern, um jene Aus-

gaben zu finanzieren, die für die Bereitstellung nicht eines

höchstmöglichen, sondern eines als notwendig erachteten Bildungsni-

veaus für alle erforderlich sind.

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2. Bildungsausgaben sind Zukunfts-investitionen – Streitpunkte zur Föderalismusreform II

1. Ausgangspunkt

In merkwürdigem Gegensatz zu den Bestrebungen der EU-Kommission,

sich mit der Forderung nach Koordinierung, manchmal unter dem Vor-

wand des Koordinierungsbedarfs im Bildungs- und Wissenschaftsbe-

reich, außerhalb der Grundlagen des europäischen Gemeinschafts-

rechts Kompetenzen zu verschaffen, zieht sich in Deutschland der Bund

immer mehr aus Bildung und Wissenschaft zurück.

Im Zuge der Föderalismusreform I wurden

· die Rahmengesetzgebungskompetenz für den Hochschulbereich

abgeschafft,

· ein sogenanntes Kooperationsverbot für die Finanzierung von Bil-

dungsmaßnahmen durch den Bund eingeführt,

· die Finanzierung von Modellversuchen im Bereich der Bildung durch

den Bund aufgegeben

· und im „Gegenzug“ nur eine unzureichende konkurrierende Gesetz-

gebungskompetenz des Bundes für die Hochschulzulassung und

die Hochschulabschlüsse eingeführt.

Der Fortfall der Instrumente der Bildungsplanung, der gemeinsam getra-

genen Institutionen, der weitgehende Verzicht auf abgestimmtes Handeln

zwischen Bund und Ländern, der Wegfall von Bund-Länder-Modellversu-

chen, die geplante ersatzlose Streichung des Hochschulrahmengesetzes

– alles Folgen der Föderalismusreform I – haben der Bildung in Deutsch-

land nicht geholfen, sondern massiv geschadet. Während Europa sich

anschickt, gemeinsame Bildungspositionen zu formulieren, wird die Bil-

dungspolitik in Deutschland zur Krähwinkelpolitik.

Die Bundesrepublik Deutschland fällt im Bildungs- und Wissenschafts-

bereich international immer weiter zurück. Im OECD-Vergleich für 2003

steht Deutschland bei den Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt

auf Platz 21 von 29 untersuchten Staaten. Auch die Schweiz und Öster-

reich geben (mit 6,0 bzw. 5,5 gegenüber 4,7 %) prozentual mehr Geld

für Bildung aus als Deutschland.

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Für den deutschen Bildungsföderalismus, einst eingeführt und befür-

wortet, um den Wettbewerb in der Bildung anzufachen, kann nur eine

erschreckende Bilanz vorgelegt werden:

· Noch immer verlassen Jahr für Jahr mehr als 75.000 Jugendliche die

Schule ohne einen Abschluss – und sind damit gesellschaftlich

ohne Chancen im Berufsleben und in der Gesellschaft.

· Noch immer gibt es in Deutschland vier Millionen funktionale An-

alphabeten, die nicht gut genug lesen und schreiben können, um in

Alltag und Beruf zurechtzukommen.

· Immer mehr Schüler verabschieden sich vom öffentlichen

Schulsystem, weil sie sich vom Besuch von Ersatz- oder Ergän-

zungsschulen größere Chancen versprechen. Im Schuljahr

2005/06 besuchten 873.000 Schülerinnen und Schüler private

Schulen, 52 % mehr als 1992.

· Der Schulerfolg der Kinder hängt in Deutschland vom Geldbeutel

der Eltern ab. Durchschnittlich jeder vierte Schüler erhält in

Deutschland bezahlten Nachhilfe-Unterricht. Die Quote liegt bei

Gymnasiasten in den alten Bundesländern besonders hoch. Wir

leisten uns ein Schulsystem, das auf bezahlte Nachhilfe angewie-

sen ist und damit die soziale Ungleichheit weiter verstärkt.

· Mehr als eine halbe Million Jugendliche verschwindet im sogenann-

ten Übergangssystem zwischen Schule und Beruf – die meisten von

ihnen ohne Chance auf eine qualifizierende Ausbildung.

· Von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund schaffen unver-

hältnismäßig viele keinen Schulabschluss. Jeder Dritte hat keine

Ausbildung. Sie sind die Verlierer des Bildungssystems.

· Es gibt bisher keine Pläne zur Reduzierung der Zahl der Schul- und

Ausbildungsabbrecher. Es ist nicht geklärt, wie die individuelle

Förderung für jährlich 100.000 Schülerinnen, Schüler und Auszu-

bildende organisiert und finanziert werden und wie eine bundes-

weite, unabhängige Überprüfung der Maßnahmen der Länder aus-

sehen soll.

· Eine tiefgreifende Schulreform, die die frühe Selektion überwindet,

Bildungsarmut bekämpft, mehr Chancengleichheit und mehr Hoch-

schulberechtigte ermöglicht, ist noch nicht einmal in allgemeiner

Form als Ziel akzeptiert.

· Die Zahl der Studienabbrecher ist enorm: 25 bis 30 von 100 Studi-

enanfängern verlassen die Hochschule ohne Abschluss. Das

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kostet den Staat jedes Jahr 2,2 Milliarden Euro. Deutschland ist

das einzige Land in der OECD, in dem die Quote der Personen mit

tertiärem Abschluss stagniert.

· Der Hochschul-Pakt I ist für die notwendige soziale Öffnung der

Hochschulen viel zu klein geraten. Der Pakt ist hoffnungslos unter-

finanziert: Bis 2020 brauchen die Hochschulen mehr als 2,3 Milliar-

den Euro zusätzliche Mittel für die Lehre und ein elternunabhängi-

ges, auskömmliches BAföG.

· Studiengebühren behindern den deutlichen Anstieg der im interna-

tionalen Vergleich viel zu geringen Studienbereitschaft und verstär-

ken die soziale Selektion. Der Schlüssel zur Hochschule wird ver-

erbt. Das Bildungsniveau der Eltern hat den größten Einfluss darauf,

ob junge Erwachsene eine Hochschule besuchen.

· Für die Weiterbildung liegt kein überzeugendes Konzept vor. Die

Unternehmen versagen bei der Förderung der beruflichen Weiterbil-

dung. Die allgemeine Weiterbildung an den Volkshochschulen wird

immer mehr zurückgefahren. Weiterbildung in Deutschland hat

erhebliche Defizite, insbesondere in Bezug auf Finanzierung und

Zeit, Transparenz und Beratung, Qualität und Verwertbarkeit, ver-

schärft die soziale Selektion und ist im internationalen Ranking nur

drittklassig.

Man investiert hierzulande zu wenig in die Zukunft, vor allem zu wenig

in die Köpfe der jungen Menschen. Begabungsreserven werden nicht

ausgeschöpft. Erforderlich ist eine Verwirklichung des Rechts auf Bil-

dung, das sich aus dem Grundgesetz, aber auch aus dem von Deutsch-

land ratifizierten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale

und kulturelle Rechte aus dem Jahre 1966 ergibt. Zum Teil sind die

Gründe für diese Missstände darin zu suchen, dass schlicht zu wenig

Geld für die Bildung ausgegeben wird. Die Bundesländer sind zum Teil

hoch verschuldet. Dies hängt mit der exorbitanten Erhöhung der

Schuldenstandsquote zwischen 1990 und 1996 von 40,4 % auf 58,9 %

sowie mit den verfehlten, die Basis der Einnahmen schwächenden

Steuerreformen seit dem Jahr 2000 zusammen, aber auch mit der

restriktiven Zinspolitik der Europäischen Zentralbank nach dem

11.09.2001. Die angelsächsischen Kritiker fassen ihre Kritik an der EZB

in den Worten „too little too late“ zusammen. Schärfer formuliert: Die

EZB tendiert dazu, sich ausschließlich auf vermeintliche Inflationsge-

fahren zu fixieren und die Konjunktur abzuwürgen. Es besteht die

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Kapitel 2

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Gefahr, dass die deutschen Bundesländer vor allem ihre Bildungs- und

Wissenschaftshaushalte weiter zurückfahren, weil diese den größten

Block im Landeshaushalt darstellen. Das wäre das Falscheste, was

man angesichts der im internationalen Vergleich ohnehin schon zu

geringen Bildungsausgaben tun könnte.

Es besteht ferner die Gefahr, dass die Föderalismusreform II dazu miss-

braucht wird, gerade die hoch verschuldeten Länder zu einer beson-

ders restriktiven Finanzpolitik zu zwingen und dass hierbei ein Zurück-

fahren der Bildungs- und Wissenschaftshaushalte in Kauf genommen

wird. Dieser Gefahr wird nicht schon dann begegnet, wenn man einen

Entschuldungsfonds schafft, bei dem der Bund die aufgelaufenen

Zinsbelastungen der Länder übernimmt und dafür im Gegenwert

Mehrwertsteueranteile erhält. Eine richtig verstandene Föderalismus-

reform II muss vielmehr in Rechnung stellen, dass Bildungsausgaben

Investitionen sind und dass Bildungsinvestitionen Zukunftsinvestitio-

nen sind. Die Länder müssen deshalb in die Lage versetzt werden,

diese Investitionen im erforderlichen Umfang zu tätigen. Aus dieser

Zielsetzung ergeben sich im Zusammenhang mit der Föderalismusre-

form II sowohl bildungs- als auch finanzpolitische Erfordernisse.

Richtschnur dürfen nicht ein falscher Zentralismus oder ein falscher

finanzpolitischer Wettbewerbsföderalismus sein. Deutsche Bildungs-

politik in Europa ist vielmehr in gemeinsamer Verantwortung und soli-

darisch zu betreiben.

2. Beseitigung des Kooperationsverbots im Bereich Bildung

Das Kooperationsverbot in Art. 104 b GG, das durch die Föderalismus-

reform I eingeführt wurde und vor allem im Bereich Bildung nachteilig

wirkt, muss beseitigt werden. Es ist zu rigide und wird in der Praxis

unterlaufen, wie sich an der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit

der Finanzierung zusätzlicher Plätze in Kinderkrippen durch den Bund

zeigt, und es wird im Bereich der beruflichen Bildung ohnehin nicht

beachtet. Es verhindert insbesondere auch die Weiterführung der sehr

erfolgreichen, vom Bund und den Ländern gemeinsam durchgeführten

Modellversuche, die eine Chance bieten, das veraltete und verkruste-

te deutsche Bildungswesen zu modernisieren und zu flexibilisieren.

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Kapitel 2

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Kapitel 2

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Auch für Investitionen, die in die ausschließliche Gesetzgebungskom-

petenz der Länder fallen, sollte durch eine Änderung von Art. 104 b GG

sichergestellt werden, dass Finanzhilfen des Bundes möglich sind.

3. Förderung des Studiums durch ein länderübergreifen-des System der Kostenverrechnung nach dem Vorbildder Schweiz

Gegenwärtig ist ein Abbau von Studienplätzen und ein Rückgang der

Ersteinschreibungen an den deutschen Hochschulen zu beobachten.

Dies ist nur zum Teil auf die Einführung von Studiengebühren zurück-

zuführen. Zum Teil richten sich die Länder an einer Art. St. Florians-

Prinzip aus, wonach St. Florian bitte das eigene Haus auf Kosten der

anderen Länder schützen möge, d.h. die eigenen Studierenden in

anderen Bundesländern studieren sollten. Andere Verhaltensanreize

gibt es in der Schweiz, in der der Bund über 40 % der Ausgaben für die

universitären Hochschulen trägt. Dort gleichen die „Studentenexport-

Kantone“ die Kosten aus, welche den „Studentenimport-Kantonen“

für die Studierenden aus den Exportkantonen entstehen. Die inter-

kantonale Universitätsvereinbarung der Schweiz vom 20.02.1997 ver-

pflichtet den Kanton, in dem der Studierende seine Hochschulzu-

gangsberechtigung erworben hat, einen bestimmten Betrag an den

Kanton zu zahlen, in dem er studiert. Für Studierende der Geistes- und

Sozialwissenschaften beläuft er sich auf jährlich 9.500 SFR, für Stu-

dierende der klinischen Human-, Zahn- und Tiermedizin (ab dem drit-

ten Studienjahr) auf 46.000 SFR. Für die besonders von Abwanderung

betroffenen Kantone Uri, Wallis und Jura gibt es eine Ermäßigung von

10 %, für Glarus, Graubünden und Tessin 5 %. Damit sollen Trittbrett-

fahrer, die – ohne zu zahlen – von den Leistungen anderer Kantone

profitieren wollen, eingebunden werden. Dieses System übt einen

Anreiz aus, Studienplätze zu schaffen. Es sollte in Deutschland über-

nommen und im Grundgesetz abgesichert werden. Es empfiehlt sich,

einen neuen Art. 91 c einzuführen, wonach durch Bundesgesetz mit

Zustimmung des Bundesrats die Verrechnungsgrundsätze und -maß-

stäbe eines derartigen Systems festgelegt werden können. Schon

nach der heutigen Rechtslage ist ein Staatsvertrag der 16 Bundeslän-

der möglich, für dessen Zustandekommen allerdings Einstimmigkeit

erforderlich wäre.

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Kapitel 2

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4. Sicherheit für die Bildungsfinanzierung

Die Länder haben ihre Bildungsausgaben in den letzten Jahren in

unverantwortlicher Weise zurückgefahren. Es ist kaum zu erwarten,

dass die begangenen Fehler im erforderlichen Umfang korrigiert wer-

den. Das zögerliche Verhalten der Länder in der Frage der Finanzie-

rung von Kinderkrippen ist Beleg genug. Entgegen der Zielsetzung der

Föderalismusreform I musste der Bund einspringen, um die Ziele einer

besseren Betreuung der Kinder zu finanzieren. Dieser erste Schritt

reicht aber nicht aus. Bildungspolitisches Ziel muss sein, die notwen-

digen Ausgaben in Kindergarten, Schule, Hochschule, und Weiterbil-

dung auf Dauer zu sichern und zu steigern. Das Hauptproblem liegt

darin, dass die Bildungsausgaben ganz überwiegend Länderausgaben

sind. Sechzehn separate Fonds für jedes Bundesland würden zu über-

mäßiger Bürokratie und zu Unübersichtlichkeit führen. Hinzu kommt:

Eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die allgemeine Bil-

dung scheitert nach den Ergebnissen der Föderalismusreform I. Dies

muss sich ändern.

a) Finanzielle Förderung der Allgemeinbildung

Alle staatlichen Bildungsausgaben, die vom Kindergarten bis zur

Hochschule nach der Föderalismusreform I in den Kompetenzbereich

der Länder fallen, dort aber wegen der unterschiedlichen Finanzkraft

der Länder zu sehr unterschiedlichen Bedarfsdeckungen im Bildungs-

bereich führen, müssen abgesichert werden. In Art. 91 a Abs. 1 Nr. 4 GG

ist die finanzielle Förderung der Allgemeinbildung, also der schuli-

schen Ausbildung und der allgemeinen Weiterbildung, als Gemein-

schaftsaufgabe der Länder zu verankern. In Art. 91 b des Grundgeset-

zes ist als zusätzliches Feld des Zusammenwirkens von Bund und

Ländern die Förderung von Entwicklungsprojekten und Bildungsstan-

dards im Bereich der Allgemeinbildung (schulische Bildung und Wei-

terbildung) aufzunehmen.

b) Bundeskompetenz für die Hochschulpolitik erhalten

Keinesfalls darf die in der Schlussphase des Ringens um die Föderalis-

musreform I mühsam erhaltene Kompetenz des Bundes nach Art. 91 b

des Grundgesetzes für Forschung und Lehre an den Hochschulen ange-

tastet werden. Nicht zu rechtfertigen ist eine ersatzlose Streichung des

Hochschulrahmengesetzes.

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c) Allgemeine Weiterbildung

Die allgemeine Weiterbildung an Volkshochschulen kann nach einem

Vorschlag der Kommission Finanzierung Lebenslangen Lernens aus dem

Jahre 2004 dadurch abgesichert werden, dass sich Länder und Kommu-

nen auf einen bestimmten Prozentsatz ihrer Haushalte einigen, der jähr-

lich für die Förderung der allgemeinen, politischen und kulturellen Wei-

terbildung zur Verfügung steht. Damit soll gesichert werden, dass

Länder und Kommunen weiterhin eine flächendeckende Grundversor-

gung in diesem Bereich gewährleisten. Mit dieser Garantie soll auch die

Infrastruktur für das Nachholen von Schulabschlüssen, für die Sprach-

und Integrationsförderung von Zuwanderern und für die Förderung des

Erwerbs sprachlicher und kultureller Kompetenz bei Deutschen bereit-

gestellt werden.

d) Berufsausbildung

Alle Bildungsausgaben, die der beruflichen Ausbildung und damit der

konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74

Abs. 1 Nr. 11 und 12 (Recht der Arbeit, Recht der Wirtschaft) zuzuordnen

sind, bedürfen wegen der Konjunkturabhängigkeit des Berufsbildungs-

systems und wegen der Tendenz zur Unterfinanzierung ausgleichender

Bildungsfonds. Für den betrieblichen Teil der beruflichen Ausbildung

wären diese Fonds aus Umlagen zu speisen, die von den ausbildenden

Unternehmen nach tarifvertraglich festzulegenden Sätzen zu erbringen

sind. Wo keine Tarifverträge zustande kommen, sind die Modalitäten

der Aufbringung der Mittel durch Gesetz zu regeln. Für den schulischen

Teil der Finanzierung der Berufsausbildung gilt dasselbe wie für die all-

gemeinbildenden Schulen: Er ist als Gemeinschaftsaufgabe nach Art.

91 a GG zu behandeln. Die Projektförderung muss nach Art. 91 b GG

zulässig sein.

e) Berufliche Weiterbildung

Im betrieblichen Teil der beruflichen Weiterbildung sollten wie im

betrieblichen Teil der Berufsausbildung tarifvertraglich Fonds geschaf-

fen werden, die durch gesetzliche Auffangregelungen abzusichern sind.

Aus den so geschaffenen Fonds können Ausgaben der Unternehmen für

die berufliche Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten finanziert

werden. Nach französischem Vorbild könnten die Unternehmen Aus-

und Weiterbildungsausgaben bis zur Höhe der von ihnen bezahlten

Beiträge verrechnen. Die Unterfinanzierung der beruflichen Weiterbil-

dung könnte mit einem solchen Modell verringert, wenn nicht gestoppt

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werden. Die gesetzlichen Auffangregelungen sollten in einer Novelle

zum Berufsbildungsgesetz enthalten sein, die auch Regelungen zur

Sicherung der Qualität und der Transparenz enthält.

f) Berufliche Weiterbildung von Arbeitslosen

Im Bereich der beruflichen Weiterbildung von Arbeitslosen bietet es sich

an, einen speziellen Fonds zu bilden, der die Finanzierung sichert. Die-

ser Fonds sollte aus einer Arbeitsmarktabgabe gespeist werden, die

gemeinschaftlich von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erbracht und

von der Bundesagentur für Arbeit verwaltet wird. Hierfür bedarf es

jedenfalls für den Bereich der beruflichen Weiterbildung lediglich einer

Änderung der geltenden Regelungen im SGB. Man sollte die Beiträge

zur Arbeitslosenversicherung in zwei Teile aufspalten, einen Unterhalts-

teil und einen Qualifizierungsteil. Da die beste Voraussetzung für die

Rückkehr in ein Beschäftigungsverhältnis die Qualifizierung der Arbeits-

losen ist, sollte man von Anfang an einen bestimmten Prozentsatz der

Beiträge für die Qualifizierung reservieren. Das Problem kann im

Zusammenhang mit den strukturellen Rücklagen der Bundesagentur für

Arbeit angegangen werden.

5. Sicherung vergleichbarer Bildungsstandards in den Bundesländern

Ziel der Sicherung der Bildungsfinanzierung soll einerseits sein, die Bun-

desländer zu einer eigenverantwortlichen Finanzpolitik zu ermuntern,

indem man sie zwingt, sich mit ihren Gläubigern selbst auseinander zu

setzen. Dieser Gedanke entspricht der neueren Rechtsprechung des Bun-

desverfassungsgerichts. Danach wurde z.B. im Jahre 2006 eine Klage des

Landes Berlin abgelehnt und die Einstandspflicht des Bundes und der

übrigen Länder auf den extremen Notfall eingeschränkt. Danach müssen

der Bund und die übrigen Länder z.B. über den Finanzausgleich hinaus

dafür sorgen, dass ein Bundesland im Extremfall nicht von seinen Gläubi-

gern zerschlagen wird. Andererseits soll gesichert werden, dass auch in

den finanzschwachen Bundesländern Bildungsstandards herrschen, die

mit denen in den übrigen Bundesländern vergleichbar sind.

Deshalb wäre ein Finanzplanungsrat des Bundes und der Länder einzu-

richten, der Entschuldungspläne für finanzschwache Bundesländer auf-

stellt und deren Einhaltung überwacht. In seinen Aufgabenkatalog

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müsste aufgenommen werden, dass notwendige Bildungsinvestitionen

auch eines finanzschwachen Bundeslandes nicht beeinträchtigt werden

dürfen. Es ist auszuschließen, dass zur Entschuldung eines Bundeslan-

des der Bildungs- und Wissenschaftshaushalt entgegen dem Erforder-

nis der Zukunftssicherung zurückgefahren wird. Das Grundgesetz ist

insoweit zu ändern, als in Art. 91 a Abs. 1 Nr. 3 GG die Gemeinschafts-

aufgabe „Sicherung vergleichbarer Bildungsstandards der Bundeslän-

der“ eingeführt wird. Der Bund sollte höchstens die Hälfte der Ausga-

ben für die Erfüllung dieser Aufgabe tragen dürfen (Ergänzung zu Art. 91

a Abs. 3 GG). Die Zustimmung des jeweils betroffenen, finanz-schwa-

chen Bundeslandes sollte erforderlich sein. Das einzelne Land steht

ohnehin dadurch unter Druck, dass es der Sanierung entgegengeht. Der

Druck sollte nicht noch dadurch verschärft werden, dass ihm die Art und

Weise der Stabilisierung vom Bund und den anderen Bundesländern

aufgezwungen wird.

Wenn ein solches „Sanierungsregime“ eingeführt wird, erübrigt sich der

Vorschlag, den Ländern eigene Hebesätze, z.B. auf die Einkommensteu-

er, zuzugestehen. Eine aus einer derartigen Differenzierung folgende

Zersplitterung der deutschen Steuerlandschaft wäre für die „armen“

Bundesländer kontraproduktiv, weil hohe Hebesätze sie im Steuerwett-

bewerb benachteiligen würden. Hinzu kommt, dass ihre Steuerbasis

kleiner als die der „reichen“ Bundesländer ist. Die Hebesätze der

„armen“ Bundesländer müssten demnach besonders hoch sein. Mit

einer Zersplitterung ihrer Steuerlandschaft würde sich die Bundesrepu-

blik Deutschland, die andererseits eine Harmonisierung der Steuersätze

in der EU anstrebt, unglaubwürdig machen.

6. Keine Verschuldungsobergrenzen und Maastrichtkriterien für die Länder ins Grundgesetz

Es empfiehlt sich nicht, eine Verschuldungsobergrenze ins Grundgesetz

aufzunehmen. Pauschale Grenzziehungen verbieten sich angesichts der

Erfahrungen mit konjunkturellen Schwankungen in Europa. Ebenso

wenig empfehlenswert ist die sogenannte Schweizer Schuldenbremse,

die die maximale Höhe der Ausgaben einer Periode an die Einnahmen in

dieser Periode bindet und durch eine Konjunkturvariable auf Konjunk-

turschwankungen Rücksicht nimmt. Außerordentliche Einnahmen die-

nen in diesem Konzept der Schuldentilgung, nicht der Finanzierung lau-

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fender Ausgaben. In der Schweiz ist die Schuldenbremse gescheitert.

Während der konjunkturellen Schwächephase von 2003 überschritten

die tatsächlichen Ausgaben den nach der Schuldenbremse zulässigen

Normwert. Man beschloss eine Erhöhung des Normwerts, also eine

Abkehr von der Schuldenbremse, deren Automatismus die Schweiz in

eine Rezession gestürzt hätte.

Ganz und gar abwegig wäre es, die Maastrichtkriterien zur Sicherung

eines ausgeglichenen Haushalts auf die Binnenstruktur der Bundesre-

publik Deutschland zu übertragen. Konjunkturelle Schwankungen

könnten dann nicht mehr angemessen aufgefangen werden. Im Übrigen

würde die Einführung der Maastrichtkriterien für die Länder eine Ratifi-

zierung durch alle 16 Landtage jeweils mit Zweidrittelmehrheit erfor-

dern. Es ist unwahrscheinlich, dass solche Mehrheiten zustande kom-

men. Vielmehr sollten die Art. 109 und 115 GG erhalten bleiben.

Es ist schon jetzt zu überlegen, wie die neuen Bundesländer nach 2019

ihre Finanzen gestalten können. Hilfen des Bundes und der finanzstar-

ken Bundesländer könnten über einen Schuldentilgungsfonds gegeben

werden. Der Schuldentilgungsfonds sollte sich aber nur auf die aufge-

laufenen Altschulden erstrecken. Neue Schulden sollte jedes Bundes-

land in eigener Verantwortung aufnehmen. Die Einstandspflicht des

Bundes und der übrigen Länder beschränkte sich dann auf den extre-

men Notfall.

7. Wiederaufnahme der mittelfristigen Finanzplanung

Der vom Sachverständigenrat empfohlene Schuldensoli ist nicht prak-

tikabel und daher abzulehnen. Stattdessen sollte die im Grundgesetz

verankerte und geforderte mittelfristige Finanzplanung nach dem Sta-

bilitätsgesetz wieder aufgenommen werden. Das Argument, eine der-

artige Planung sei angesichts der Konjunkturschwankungen und

strukturellen Verwerfungen illusorisch, verfängt nicht. Gerade im Hin-

blick auf diese Unsicherheiten erscheint es sinnvoll, Planungspfade

aufzuzeigen, die dann je nach Lage angepasst werden können. Die

jüngsten Turbulenzen auf den Kreditmärkten haben gezeigt, dass sich

die Finanzmärkte nicht selbst stabilisieren und dass eine staatliche

Steuerung notwendig ist. Die Wiederaufnahme der mittelfristigen

Finanzplanung würde dem Bildungs- und Wissenschaftsbereich

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zugute kommen. Hier handelt es sich ganz überwiegend um Aufgaben

und Vorhaben, die nur mittel- und langfristig angegangen und ausge-

führt werden können. Der Charakter der mittelfristigen Finanzplanung

sollte aber insoweit verändert werden, als mehr auf Beratung und

Berichterstattung, weniger auf verpflichtende Planung und Lenkung

Wert gelegt wird.

8. Gegenfinanzierung

Die zusätzlichen Ausgaben, die für eine bessere Bildungsfinanzierung

erforderlich sind, können zum Teil dadurch bewältigt werden, dass

unvertretbare Steuervorteile rückgängig gemacht werden, die im

Zusammenhang mit den jüngsten sogenannten Reformen der Unter-

nehmenssteuern gewährt wurden. Darüber hinaus ist an eine maßvol-

le Wiedereinführung von Vermögenssteuern mit hohen Freibeträgen zu

denken. Schließlich kann durch eine Zentralisierung des Steuervoll-

zugs, d. h. durch eine Vereinheitlichung der Finanzverwaltung, die

gegenwärtig in den Bundesländern zu beobachtende Tendenz zu einem

zu nachsichtigen oder gar nachlässigen Steuervollzug durchbrochen

werden kann.

9. Fazit

Das sogenannte Kooperationsverbot in bildungspolitischen Fragen

muss fallen. Die Sicherung von Bildung und Wissenschaft als gesell-

schaftliche Zukunftsinvestitionen erfordert differenzierte Lösungen, ins-

besondere die Schaffung von neuen Kompetenzen des Zusammenwir-

kens von Bund und Ländern in Fragen der beruflichen und der

allgemeinen Bildung. Als Anreiz zur Schaffung von zusätzlichen Studi-

enplätzen ist an die Übernahme des Schweizer Modells der interkanto-

nalen Kostenverrechnung zu denken. Es sollte eine neue Gemein-

schaftsaufgabe „Sicherung vergleichbarer Bildungsstandards in den

Bundesländern“ geschaffen werden. Nicht sinnvoll ist die Schaffung von

Verschuldungsobergrenzen oder Schuldenbremsen im Grundgesetz.

Die mittelfristige Finanzplanung sollte wieder aufgenommen werden.

Grundprinzipien der Reform sollten nicht der finanzpolitische Wettbe-

werb der Bundesländer, sondern die Prinzipien Solidarität und gemein-

same Verantwortung ein.

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Kapitel 3

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3. Berufliche Bildung für Berufe von heuteund morgen – Chancen und Risiken einerEuropäisierung der Berufsbildung

Erwerbsverläufe erweisen sich in einem Zeitalter vielfältiger Entgren-

zungen und immer weiter um sich greifender Diskontinuität von Lebens-

läufen als komplexe Prozesse, die durch gesellschaftliche, technologi-

sche und ökonomische Entwicklungen zwar beeinflusst werden, deren

individuelle Abläufe jedoch nur bedingt prognostizierbar sind. Eine

zukunftsorientierte und auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete berufliche

Aus- und Weiterbildung muss auf die daraus resultierenden Ambivalen-

zen und Unsicherheiten reagieren.

In unserer Streitschrift „Bildung ist keine Ware“ haben wir auf die Bedeu-

tung des Berufsprinzips für das deutsche Berufsbildungssystem hingewie-

sen. Wenn Beruflichkeit als Gesamtheit von fachlicher Qualifikation, beruf-

lichem Habitus, Dispositionen, von Erfahrung, von implizitem Können und

Wissen und von in der Berufsbiographie wachsender beruflicher Kompe-

tenz zu verstehen ist, ist damit die unhintergehbare Subjektgebundenheit

beruflich konstituierten Arbeitsvermögens angesprochen. Es bleibt dann

aus der Sicht der Individuen als Träger der Kompetenzen die Frage zu beant-

worten, inwieweit sie einem ungeklärten und offenen Erwerbsverlauf aus-

gesetzt sind oder aber durch Bildungsprozesse in die Lage versetzt werden,

erwerbsbiographische Wechselfälle im Interesse der Wahrung ihres legiti-

men Interesses an Sozialintegration und persönlicher Identität, wie sie

gerade der Beruf herstellt, zu bewältigen und selbst in die Hand zu nehmen.

Aus Sicht der Betriebe wäre zudem zu fragen, ob mit dem Verzicht auf die

Berufsförmigkeit von Arbeit nicht gerade deren positive Funktionen für

betriebliche Organisationsentwicklung und innovative Beiträge erodieren

würden und mit dem Qualifikations- und Arbeitskräftetypus des Fachqua-

lifizierten nicht ein gut kalkulierbares Handlungs- und Verhaltenspotential

verloren ginge. Nicht das Berufsprinzip soll in Frage gestellt werden, son-

dern es kommt darauf an, die Individuen in die Lage zu versetzen, auf Ver-

änderungen nicht lediglich reagieren zu müssen, sondern sich Fähigkeiten

aneignen zu können, die es ihnen erlauben, ihren Berufsweg aktiv zu

gestalten. Es geht also um die systematische Eröffnung alternativer Ent-

wicklungspfade zukünftiger Berufspraxis mit dem Ziel, dass Beschäftigte

Kompetenz für die Mitgestaltung des Wandels der Arbeitswelt erwerben.

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Kapitel 3

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Diese Zielsetzung steht derzeit in Deutschland im Zuge der Umsetzung

der EU-Berufsbildungspolitik zur Disposition. Mit der Einführung eines

Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und der Erprobung eines

nationalen Leistungspunktesystems (DECEVET) auch für die berufliche

Bildung sind wenigstens zwei Entwicklungspfade denkbar: Einerseits

eine Reform des Berufsbildungssystems, die das Berufsprinzip für die

Ausbildung beibehält und für den Bereich der Weiterbildung ausbaut

und die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Teilen des Bildungssy-

stems erhöht, die Aus- und Weiterbildung sowie formales und infor-

melles Lernen systematisch miteinander verknüpft. Dem gegen?über

steht die Option kleinteilig modularisierter Qualifikationseinheiten

nach angelsächsischem Vorbild, wobei das Berufsprinzip an Bedeutung

und damit auch seine individuellen und kollektiven Sicherungsfunktio-

nen verliert.

1. Der Hintergrund – die Europäische Ebene

1.1 Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)

Ausgangspunkt für die Diskussion über die Einführung eines nationalen

Qualifikationsrahmens ist die Initiative der Europäischen Kommission zur

Einführung eines Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR/EQF: Europe-

an Qualification Framework). Der Vorschlag ist im September 2006 an den

Ministerrat und an das Europäische Parlament gegangen, das im Oktober

2007 zugestimmt hat. Der Bildungsministerrat der Europäischen Union

hat sich dann im November 2007 auf den Europäischen Qualifikationsrah-

men (EQR) für lebenslanges Lernen geeinigt. Die Empfehlung sieht vor,

dass die Mitgliedstaaten bis 2010 ihre nationalen Qualifikationssysteme

an den EQR koppeln und die Vergleichbarkeit der nationalen Abschlüsse

untereinander herstellen. Individuelle Zeugnisse und Diplome sollen ab

2012 einen EQR-Verweis tragen.

Mit dem EQR soll die europäische Vergleich- und Übertragbarkeit von

Qualifikationen und Kompetenzen erhöht werden. Ziel des EQR ist aus-

drücklich nicht der Vergleich von formalen Bildungsabschlüssen, son-

dern die Bewertung von Lernergebnissen. Er soll die Funktion eines

Übersetzungssystems für den innereuropäischen Vergleich ausüben

und die relative Positionierung verschiedener Kompetenzen ermögli-

chen. Damit diene, so die Vorstellung der Kommission, der EQR als

gemeinsame Referenz für Qualitätssicherung und -entwicklung im

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Kapitel 3

Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung und unterstütze das

lebenslange Lernen durch Schaffung eines einheitlichen Rahmens für

alle Qualifikationen.

Der EQR ist in acht Niveaustufen hierarchisch gegliedert, von denen vier

für die nicht-akademischen, drei für die akademischen Berufe undeine

für ein Zwischenstadium vorgesehen sind. Die Niveaustufen ergeben

sich nicht auf der Grundlage von Abschlüssen. Dem Vorhaben, Kompe-

tenzen abschlussneutral darzustellen und aufeinander zu beziehen,

dient die Orientierung am „Outcome“, an Lernergebnissen, an dem, was

jemand weiß, versteht und in der Lage ist zu tun – ganz gleich, auf wel-

chen Lernprozessen dies beruht.

Für jede Niveaustufe sind drei Kategorien von Deskriptoren vorgesehen,

die der allgemeinen Beschreibung von Lernergebnissen dienen. Die

Deskriptoren werden nach Kenntnissen (knowledge), Fertigkeiten

(skills) und Fähigkeiten (competence) unterschieden.

Dabei werden Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten wie folgt definiert:

· Kenntnisse: die Gesamtheit der Grundsätze, Theorien, Fakten und

Praxen in einem Lern- oder Arbeitsbereich (Theorie- oder Fakten-

wissen)

· Fertigkeiten: dazu gehören einerseits kognitive Fertigkeiten (logi-

sches, intuitives und kreatives Denken) und andererseits praktische

Fertigkeiten (Geschicklichkeit und Verwendung von Methoden,

Materialen, Werkzeugen und Instrumenten)

· Fähigkeiten: die in einem beruflichen Standard beschriebenen

sowie persönlichen, sozialen und methodischen Fähigkeiten in

Arbeits- oder Lernsituationen, berufliche Selbstständigkeit und Ver-

antwortungsbereitschaft.

Auf jeder der acht Stufen des Qualifikationsrahmens ist für jede Kate-

gorie beschrieben, auf welchem Grad der Komplexität, Spezialisierung

und Verantwortung eine Zuordnung angemessen erscheint. Die dort

fixierten Lernergebnisse werden vom niedrigsten bis zum höchsten

Niveau anspruchsvoller und komplexer.

Zentral für den EQR ist seine ausschließliche Outcome-Orientierung.

Dauer, Ort (Schule, Betrieb, Hochschule, Bildungseinrichtung), Metho-

den und Formen von Bildungsgängen (duale Ausbildung, Lernen am

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Kapitel 3

Arbeitsplatz, Studium, formalisierte und selbstorganisierte Weiterbil-

dung etc.), spielen explizit keine Rolle, weil, so die Argumentation, ihre

Berücksichtigung Vergleiche beruflicher Handlungskompetenz auf den

verschiedenen Ebenen erschweren oder gar unmöglich machen würden.

Der wissenschaftliche Beraterkreis sieht in der Ausblendung der

Input- und Prozessorientierung beruflicher Bildung und Entwicklung

eine perspektivische Verengung, die die Vorzüge geordneter berufli-

cher Entwicklungswege, Sozialisationsprozesse und Lernförderung

systematisch unterschätzt.

1.2 European Credit System for Vocational Training (ECVET)

Während der EQR als Übersetzungsinstrument dient und verschiedene

Qualifikationen zueinander in Beziehung setzt und vergleichbar machen

soll, geht es bei ECVET (European Credit System for Vocational Training)

um die Bewertung der Lernergebnisse, quasi um eine qualitative Quan-

tifizierung. Ziel ist es, die quantitative Bewertung von Qualifikationen

und deren Bestandteilen („units“) zu ermöglichen. Mit ECVET soll jeder

EQR-Stufe (sowie den Qualifikationen und Teilqualifikationen) eine

bestimmte Zahl von Kreditpunkten zugeordnet werden.

Der Aufbau von ECVET orientiert sich an dem bereits bestehenden ECTS

(European Credit Transfer System) im Hochschulbereich. Grundgedanke

von ECVET ist es, Ausbildungsgänge, Ausbildungsabschnitte und infor-

melle Lernprozesse transparent, vergleichbar und für die Ausübung

anderer Berufe oder für weiterführende Bildungsgänge anrechenbar und

verwertbar zu machen. Transparenz und Vergleichbarkeit beziehen sich

dabei zum einen auf verschiedene Qualifikationsebenen innerhalb eines

nationalen Bildungssystems (Berufsbildung, Studium und Weiterbil-

dung, formales und informales Lernen), zum anderen auch auf die Diffe-

renzen zwischen den Bildungssystemen der Mitgliedstaaten. Langfristig

wird damit das Ziel verfolgt, Ausbildungs- und Lerneinheiten vertikal und

horizontal akkumulations- und transferfähig zu definieren und modular

zu anerkannten Teil- oder Vollqualifikationen zusammenzusetzen.

Mit ECVET wird ein individuen- und ein organisationsbezogenes Ziel-

bündel verfolgt. Für die Individuen sollen Transparenz und Anerkennung

aller Lernergebnisse erreicht werden, um eigene Bildungswege verfol-

gen und optimieren sowie räumliche und berufliche Mobilität zu erleich-

tern. Für die Berufsbildungssysteme steht die Entwicklung wechselsei-

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tigen Vertrauens zwischen den Akteuren der Berufsbildung im Mittel-

punkt, um die Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen natio-

nal und international zu stärken.

Zentral auch für ECVET ist die Orientierung an den Lernergebnissen, d.h.

es handelt sich um eine Outcome-Orientierung, die an die Stelle einer

meist bestehenden Input-Orientierung (Inhalte, Art der Bildungseinrich-

tung, Dauer des Bildungsganges, Struktur und Methoden der Berufsbil-

dung) tritt.

Bei dem ECVET-Konzept ist eine deutliche Orientierung an angelsächsi-

schen Qualifizierungsmodellen erkennbar. Nach dem Scheitern der Ein-

führung eines an Deutschland orientierten dualen Ausbildungssystems

(Youth Training Scheme) gegen Ende der 1980er Jahre entwickelten

Schotten, Engländer und Iren nationale Qualifikationsrahmen mit Bil-

dungsstufen und entsprechenden Standards, die sich mangels eines

Systems eigener Institutionen und authentischer Curricula ausschließ-

lich an am Arbeitsplatz benötigten, von den Arbeitgebern – unter Aus-

schluss der Arbeitnehmervertretungen – beschriebenen Kompetenzen

orientierten. Einzelne Komponenten und Institutionen des Rahmen-

werks wurden mehrfach neu gestaltet, umbenannt und inhaltlich verän-

dert, was einer klaren Vorstellung vom Gesamtwerk nicht zuträglich war.

Der große Erfolg ist dem angelsächsischen Qualifikationsrahmen bis

heute nicht beschieden, am ehesten noch dem schottischen, das durch-

aus systembildend gewirkt hat. Die in großem Maßstab erhoffte Orien-

tierung an den „qualifications“ (Zeugnissen), die von den Arbeitgebern

bei Einstellungen erwartet wurde, ist nicht erfolgt.

Mit der Implementierung von ECVET soll durch die Erfassung und Bewer-

tung nicht formalisierten Lernens die Anerkennung beruflich erworbener

Kompetenzen erheblich aufgewertet werden. Es basiert allerdings auf

Kategorien, die aus der Perspektive der deutschen Berufsbildung proble-

matisch sind. Grundlegende Ordnungseinheiten in dem EU-Konzept sind

Module, in denen „units“ als kleinste Qualifikationselemente und infor-

male Lernprozesse zusammengefasst werden. Die Module bilden als zerti-

fizierbare Einheit die Grundlage für die Berechnung der Leistungspunkte.

Abgesehen davon, dass eine Zerlegung der deutschen dualen und schuli-

schen Berufsbildungsgänge bis in die in England üblichen Klein- (Modu-

le) und Kleinsteinheiten (units) sinnvoll gar nicht möglich ist, könnte sich

40

Kapitel 3

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Kapitel 3

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mit diesem Prinzip die Anerkennung beruflich erworbener Kompetenzen

für Deutschland auch in eine Abwertung verkehren: Berufliche Erstausbil-

dung und Teile der Weiterbildung vollziehen sich in Deutschland in geord-

neten Bildungsgängen, die eine umfassende berufliche Handlungskom-

petenz zum Ziel haben und sich durch eine spezifische Kombination von

Theorie und Praxis sowie durch die Verknüpfung von formalisiertem Ler-

nen und Erfahrungslernen auszeichnen. Möglich ist dies auch in der Qua-

lifizierung Erwachsener mit Berufserfahrung. Mit der ECVET-Bewertung

des Kompetenzerwerbs in kleineren und kleinsten Lerneinheiten droht

allerdings die Erosion ganzheitlicher Berufsbildungsgänge.

Zudem sollen Units mit den Deskriptoren Kenntnisse, Fähigkeiten und

Kompetenzen beschrieben werden. Damit wird der Versuch unternommen,

die Inhalte möglichst objektiv zu beschreiben. In Verbindung mit der „Klein-

gliedrigkeit“ der Units wird allerdings verhindert, dass Prozesse die not-

wendige Bedeutung in den Beschreibungen erlangen können und auch das

Zusammenspiel der Herausbildung von theoretischem und praktischem

Wissen durch Erfahrung kann nicht wie erforderlich bedacht werden. Damit

bleiben wichtige Dimensionen der Berufsbildung ausgeblendet.

1.3 Kompetenzverlagerung von der nationalen auf die suprana-

tionale Handlungsebene: Die Methode der offenen Koordi-

nierung im Prozess der europäischen Berufsbildungspolitik

Ein wesentliches Element im Agieren der EU-Kommission im Bereich der

beruflichen Bildung bildet die „Methode der offenen Koordinierung“

(MOK). Es handelt sich dabei um eine vom Ministerrat beschlossene Poli-

tikstrategie, die es ermöglicht, dass die Kommission in den Bereichen, in

denen sie keine legislative Kompetenz hat, koordinierend wirken kann.

Die MOK wurde bereits im „Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit

und Beschäftigung“ der Europäischen Kommission im Jahre 1993

erwähnt, hat aber erst nachträglich im Vertrag von Amsterdam mit Art.

128 EG eine normative Grundlage erhalten. Die MOK ist ein ergänzendes

Politikinstrument, das die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaa-

ten sowie den Austausch bewährter nationaler Verfahren und Praktiken

fördern soll. Dies geschieht durch die Vereinbarung gemeinsamer Ziele

und Leitlinien für den jeweiligen Politikbereich.

Im Bereich der Berufsbildungspolitik zielt sie im Einklang mit dem Subsi-

diaritätsprinzip auf eine Weiterentwicklung der Bildungssysteme und auf

mehr Transparenz, um so Mobilität und Flexibilität für die EU-Bürger zu

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Kapitel 3

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optimieren. Harmonisierungsbestrebungen der Bildungssysteme der ein-

zelnen Mitgliedstaaten sind der Europäischen Kommission per Grundsatz-

beschluss („No harmonisation!“) offiziell untersagt. Jedoch kann den ein-

zelnen Instrumenten eine latente Harmonisierungswirkung unterstellt

werden – ebenso wie den Bestrebungen der Europäischen Kommission,

einen sektoralen Dialog im Bildungswesen zu initiieren. Aus diesem Grun-

de wird die Anwendung der MOK durch die Kommission von manchen Mit-

gliedstaaten argwöhnisch betrachtet.

Den Kern der Methode der offenen Koordinierung bildet das sogenannte

„Benchmarking“, ein Vergleich, der sich an bestimmten, genau definierten

Qualitätsmerkmalen orientiert. Daraus entwickelt sich eine fortlaufende

vergleichende Datenerhebung in den Mitgliedstaaten zu wichtigen Fragen

der Systementwicklung. Das Benchmarking erzielt einen relativ starken

strukturbildenden Effekt, weil die Entwicklungen in den Mitgliedstaaten

durch die Datenerhebungen und deren Veröffentlichung in eine Sphäre der

Sichtbarkeit gezogen werden und politischen Handlungsdruck erzeugen.

Das Benchmarking hat somit eine Kontrollfunktion und soll den Austausch

von Erfahrungen und bewährten Verfahren anstoßen.

Als ein Vorteil der MOK wird herausgestellt, dass sie insbesondere in

sensiblen Politikfeldern gut anwendbar sei, da sie, wie der Begriff anzu-

deuten scheint, nur auf die Koordinierung der Aktivitäten in den Mit-

gliedstaaten abstellt und nicht auf eine Harmonisierung. Somit zwingt

sie die Mitgliedsländer in bestimmten Politikbereichen zum Handeln,

wenn auch unter Wahrung ihrer Souveränität. Angewendet wurde die

MOK bisher in den Bereichen Armut und soziale Ausgrenzung, dem Ren-

tensystem, dem Gesundheitssystem und in der beruflichen Bildung. Wo

der Zyklus von Leitlinien, Indikatoren, Nationalen Aktionsplänen und

Evaluation bereits ein- oder zweimal durchlaufen wurde, liegen erste

bewertbare Erfahrungen mit diesem Politikinstrument vor. Diese Erfah-

rungen geben zu erheblichen Bedenken Anlass.

In der Gesundheitspolitik z.B. wird das strukturelle Dilemma der MOK deut-

lich: In den Kontext der makroökonomischen Politik eingebettet, kommt es

systematisch zu Zielkonflikten. Die beiden Ziele „Allgemeiner Zugang

unabhängig von Einkommen und Vermögen“ und „Qualitativ hochwertige

Gesundheitsversorgung“ stehen in tendenziellem Konflikt zu dem dritten

Ziel der „langfristigen Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme“. Zwi-

schen der Realisierung dieser Ziele besteht ein trade-off: Die ersten beiden

Ziele lassen sich nur zu Lasten des dritten realisieren und umgekehrt.

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Schließlich – und das ist im Diskurs über die zukünftige Gestaltung der

Berufsbildung in Europa von besonderer Bedeutung – ist nicht von der

Hand zu weisen, dass die nationale Gestaltungskompetenz durch die

MOK immer weiter zurückgedrängt werden könnte. Dies scheint im Wider-

spruch zu dem Argument zu stehen, ein wesentlicher Nachteil der MOK

sei ihre geringe Wirksamkeit. Der Widerspruch lässt sich auflösen, wenn

konstatiert wird, dass die MOK zwar einerseits eine zu geringe Wirkung

entfalten kann, insbesondere dann, wenn die Umsetzung der Ziele und

Leitlinien in den Mitgliedstaaten für diese mit erheblichen Aufwendungen

verbunden ist. Andererseits kann ihre Wirksamkeit als zu stark einge-

schätzt werden, wenn die Koordinierung einen faktischen Harmonisie-

rungsdruck da erzeugt, wo er durch die Rechtslage nicht gegeben ist.

Tatsächlich ergibt sich für die Kommission mit der MOK die Möglichkeit,

in Regelungsfeldern, in denen sie de jure lediglich koordinierend wirken

kann, de facto darüber hinausgehend zu agieren.

2. EQR und ECVET: Herausforderungen auf nationaler Ebene

2.1 Gestaltungsspielräume und -optionen

Die Anerkennung und Stufung von Qualifikationen und Kompetenzen

sowie die Verfahren und Instrumente zu ihrer Erfassung sind und blei-

ben nationale Aufgaben. Deutschland stünde grundsätzlich mit der Ent-

wicklung eines deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) am Anfang

eines Prozesses, der die Chance bietet, die Besonderheiten des deut-

schen Berufsbildungssystems in einem international verständlichen

Rahmen abzubilden und dieses System zugleich anschlussfähig zu

machen an den Hochschulbereich. Wenn aber von vornherein, wie das

derzeit in Deutschland in zahlreichen Projekten geschieht, Kompeten-

zerfassungen und -bewertungen mit direktem Bezug auf den EQR vor-

genommen werden, dann läuft dieses Vorgehen Gefahr, die Besonder-

heiten und tradierten Entwicklungen des deutschen Bildungssystems

außer Acht zu lassen.

Dem EQR wird damit schleichend – quasi in vorauseilendem Gehorsam

gegenüber der MOK und entgegen seiner eigentlichen Intention – nicht

die Funktion eines Übersetzungs- und Vergleichsinstruments zugewie-

sen, sondern die eines Referenz- und Konstruktionsleitsystems. Insbe-

sondere aber wird durch ein solches Vorpreschen der dringend erfor-

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derliche politische Diskussionsprozess zugunsten vermeintlich wissen-

schaftlicher Evidenz unnötig verkürzt, wenn nicht suspendiert.

Hier spielt der durch die EU vorgegebene enge Zeitplan eine wichtige –

negativ verstärkende – Rolle, da er den komplexen Sachverhalten, die

national verhandelt werden müssen, nicht angemessen ist. In Abstim-

mung mit dem Zeitplan des EQR soll bis 2010 eine Zuordnung der beste-

henden Bildungsgänge und Abschlüsse des deutschen Bildungssys-

tems zu den vereinbarten Bildungsstufen erfolgen, um bis 2012 neue

Abschlüsse zuzuordnen und das System zu evaluieren.

Dieser Zeitplan ist deutlich zu eng gefasst. Es ist zwingend erforderlich,

alle relevanten Akteure in einen Diskussionsprozess über die Ausgestal-

tung eines DQR einzubinden, will man die Initiativkompetenz der Parteien

des triparitätisch organisierten deutschen Berufsbildungssystems nicht

über den Umweg vermeintlicher EU-Sachzwänge aushebeln. Aus dieser

Perspektive aber ist der vorgesehene Zeitplan nicht einzuhalten.

Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die Mitglied-

staaten im Umgang mit den EU-Initiativen völlig frei sind: Der Spielraum

für nationale Aktivitäten ist größer als gemeinhin in der Diskussion unter-

stellt wird. Einige Länder wie der PISA-Primus Finnland oder auch Schwe-

den haben sich z.B. entschlossen, überhaupt keinen nationalen Qualifi-

kationsrahmen (NQR) zu entwerfen. Auf freiwilliger Basis aufgefordert,

ihn zu entwickeln und zum EQR in Beziehung zu setzen, könnte eine „mitt-

lere“ nationale Strategie insofern darin bestehen, lediglich einzelne Qua-

lifikationen und Kompetenzprofile des nationalen Bildungssystems dem

EQR zuzuordnen. Damit könnte implizit ein NQR geschaffen werden, der

sich aus der Summe der „übersetzten“ Qualifikationselemente ergäbe.

Problematisch ist hierbei zudem, Begriffe quasi in einem Glossar zu über-

setzen, weil mit den nationalsprachlichen Begriffen über lange Zeit ent-

wickelte Denktraditionen verbunden sind, die selbst erst einmal transfe-

riert werden müssten. Nationale Standards in einem weiteren Sinn gelten

für die Berufsbildung in Deutschland, im Gegensatz zur Situation in ande-

ren Ländern der europäischen Gemeinschaft, schon lange. Deutschland

verfügt über eine weltweit einmalig hohe Institutionalisierungsdichte, die

ihren Ausdruck unter anderem in der gesetzlichen Regulierung (im Berufs-

bildungsgesetz) findet. Der Regulierung unterliegen dabei nicht nur die

Inhalte oder Ergebnisse der Berufsbildung, sondern auch ihr Prozess.

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Durch die Organisation der Berufsausbildung im dualen System wurden

nationale Systemstandards in Form von Ausbildungsordnungen

geschaffen, die durch ihre langjährige Tradition einen stabilen Orientie-

rungsrahmen für die berufliche Qualifizierung und für alle an ihr Betei-

ligten bieten. Stabilität ist in diesem System grundsätzlich kompatibel

mit Flexibilitätserfordernissen, die der technische und ökonomisch-

soziale Wandel mit sich bringen. Das zeigt sich nicht zuletzt im perma-

nenten Prozess der Anpassung von Berufsbildern in einem konsensori-

entierten Verfahren unter Beteiligung der sogenannten „vier Bänke“ der

Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie von Bund und Ländern.

In den Ausbildungsordnungen werden die zu vermittelnden Lerninhalte

ebenso festgelegt wie Art und Weise ihrer Vermittlung in einem geord-

neten Ausbildungsgang. Rahmenlehrpläne folgen dem Prinzip der

Beruflichkeit von Arbeit und dem Leitbild der beruflichen Handlungs-

fähigkeit. Sie sind Grundlage für objektivierte, öffentlich kontrollierte

Prüfungen – die selbstverständlich und immer schon auch outcomes

messen. Das Berufsbildungsgesetz setzt so den Rahmen für die in den

DQR zu übernehmenden Standards in der Berufsbildung.

Damit nicht grundsätzliche Missverständnisse bei der Zuordnung zum

EQR auftreten, ist zunächst eine begriffliche Klärung unterschiedlicher

Kompetenzverständnisse innerhalb der Union unerlässlich. Das Kon-

zept des EQR ist, auch wenn dies in offiziellen Verlautbarungen aus

jüngster Zeit schon einmal anders gesehen wird, offensichtlich an die im

englischsprachigen Raum zugrunde liegende Definition von „competen-

cies“ angelehnt. Darunter werden im alltäglichen Sprachgebrauch

„skills“ verstanden, klein dimensionierte abgeschlossene und zertifi-

zierte Fertigkeiten.

Dies widerspricht dem subjektbezogenen, am Bildungsbegriff festhal-

tenden und auf umfassende berufliche Handlungsfähigkeit zielenden

Kompetenzverständnis, das dem deutschen Berufsbildungssystem

zugrunde liegt. Hier umfasst der Begriff „Kompetenz“ sowohl die allge-

meinen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch

Einstellungen und Werte, deren Erwerb, Entwicklung und Verwendung

sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen beziehen. Berufsbezo-

gene Handlungskompetenz – als Einheit von Fach-, Sozial- und Human-

kompetenz verstanden – zielt auf die Beherrschung komplexer Anforde-

rungen in Arbeitssituationen und Teilhabe an Gesellschaft. Sie versetzt

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damit das Individuum in die Lage, Aufgaben weitgehend selbständig zu

lösen, die gefundenen Lösungen zu bewerten, einzuordnen sowie krea-

tiv zu bearbeiten und so die eigene Handlungsfähigkeit im Verlauf sei-

nes (Erwerbs-)Lebens stetig weiter zu entwickeln.

Diese Grundorientierung gilt es für Deutschland zu erhalten. Statt einer

einseitigen Outcome-Orientierung müssen im DQR die Stärken des

deutschen Berufsbildungssystems, seines praktischen ebenso wie sei-

nes schulischen Bereichs, erhalten bleiben, und zwar mit seiner Outco-

me-, Prozess- und Income-Orientierung.

Da der Ausweis von Lernergebnissen auf programmatischer Ebene keine

Auskunft über die Qualität des Gelernten und die tatsächliche Hand-

lungskompetenz des Lernenden gibt, müssen bei der Definition des

DQR Lerninhalte und Lernprozesse gleichgewichtig neben den Lerner-

gebnissen stehen. Dabei sind die einzelnen Schritte bei der Definition

von kompetenzbezogenen Qualifikationsstandards sowie der Weiter-

entwicklung von Verfahren einer konsistenten Beschreibung, Dokumen-

tation und Bewertung von Kompetenzen durch die Hinzuziehung wis-

senschaftlicher Expertise zu nutzen. Bei der legislativen Festlegung von

Aus- und Weiterbildungsordnungen müssen in Deutschland wie bisher

die gestaltenden Institutionen des Berufsbildungssystems maßgeblich

beteiligt werden.

2.2. Berufliche Weiterbildung und die Herstellung

von Durchlässigkeit, Transparenz und Transferfähigkeit

Das Berufsprinzip ist in einem nationalen Qualifikationsrahmen ebenso

zu verankern und in den Formalkategorien auszuweisen wie die ord-

nungspolitischen Regelungen einer Weiterbildung als viertes Feld des

Bildungssystems einschließlich der Anrechnung beruflicher Qualifika-

tionen auf die Hochschulbildung. Denn gerade die bisher bestehende

Abschottung der Bildungsbereiche berufliche Bildung und Hochschul-

ausbildung könnte sich in Zukunft als Problem für das deutsche Berufs-

ausbildungssystem herausstellen.

Forciert durch den so genannten Bologna-Prozess und mit der Auftei-

lung des universitären Studiums in einen eher propädeutisch-berufs-

feldbezogenen Bachelor- und einen darüber hinausführenden, stärker

wissenschaftsbezogenen Master-Bereich kommt es einerseits zu einer

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Konkurrenz allgemeiner und beruflicher Bildungsgänge. Andererseits

ist aber auch eine Ausweitung des Berufsprinzips zu verzeichnen, denn

neben den Berufsakademien, mit ihren prinzipiell dual ausgebauten

Studiengängen (Bachelor- bzw. Fachhochschulniveau), sind mit dem

Prinzip der Berufsqualifizierung im Bachelor-Studium auch weite Teile

der Hochschulen dem Berufsbildungssystem zuzurechnen.

Diese faktische Expansion der in das Hochschulsystem durchdringen-

den Berufsbildung hat mit Blick auf den Stellenwert der dualen Erstaus-

bildung Vor- und Nachteile: Zum einen ist, vor allem bei weiterhin ver-

engten berufsfachlichen Arbeitsmärkten, ein Wettbewerb zu erwarten,

der die Absolventen einer beruflichen Erstausbildung benachteiligen

kann. Diese Frage wird letztlich auf den Arbeitsmärkten entschieden.

Zudem können durch kürzere Studienzeiten individuelle Hemmschwel-

len, ein Studium anzutreten, und die Opportunitätskosten im Vergleich

zu einer dualen Berufsausbildung, merklich gesenkt werden. Zum ande-

ren eröffnet sich für die duale Berufsausbildung die Chance, über beruf-

liche Weiterbildung einen Hochschulabschluss im eigenen Bereich zu

erreichen, wie dies z.B. mit den Weiterbildungsberufen im IT-Bereich

angestrebt wird.

Im DQR werden Wege zu eröffnen sein, in der Arbeit erworbene Kompe-

tenzen auf Weiterbildungsgänge bzw. -abschlüsse anzurechnen, analog

zu der im novellierten BBiG festgelegten Anrechnung von Teilqualifika-

tionen als Qualifizierungsbausteine einer einschlägigen Berufsausbil-

dung. Bei der Zuordnung zu den jeweiligen Stufen muss darauf geach-

tet werden, dass der Erwerb einer umfassenden beruflichen

Handlungskompetenz ausreichend berücksichtigt wird. ECVET kann

dies bisher nicht leisten. Jede Stufe müsste die allgemeinen, beruflichen

und die bereichs- und sektorspezifischen Kompetenzen über Deskripto-

ren erfassen.

Beschäftigte in einfachen Berufen oder mit geringen Qualifikationen

müssen bei der Ausgestaltung eines DQR besonders berücksichtigt wer-

den. Es sind Verfahren zu schaffen, die die Anerkennung von Kompeten-

zen aus anderen Zusammenhängen ermöglichen, z.B. die Anrechnung

ausbildungsvorbereitend erworbener Kompetenzen auf die duale

Berufsausbildung oder die Anerkennung im Ausland erworbener Kom-

petenzen auf hiesige berufliche Bildungsgänge. Dabei sind auch die

Ergebnisse nicht-formalen und informellen Lernens einzubeziehen, was

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wiederum besondere Anforderungen an die Methoden der Erfassung

der Kompetenzen und an das Zertifizierungssystem stellt.

Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Teilsystemen des Bildungs-

systems ist also erheblich auszubauen, Absolventen des Berufsbil-

dungssystems der Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern und im

beruflichen Bildungssystem erworbene Kompetenzen sind auf ein Hoch-

schulstudium anzurechnen. Schließlich sind Aus- und Weiterbildung

stärker miteinander zu verzahnen. Das gilt für den Bereich der Erstaus-

bildung in dualer, schulischer und Bachelor-Ausbildung ebenso wie für

den Bereich der beruflichen Weiterbildung mit seinen vielfältigen For-

men von nachholender Erstausbildung über Fortbildung und die Akku-

mulation von Zusatzqualifikationen auch aus anderen Branchen,

Beschäftigungsfeldern und nicht unmittelbar dem Erwerbssystem zuzu-

rechnenden Bereichen bis hin zu Umschulungen. Ziel muss es dabei

sein, zum einen die segmentierten Teile des Bildungssystems auf der

Horizontalen miteinander zu verknüpfen und zum anderen auf der Verti-

kalen Aufstiegswege zu eröffnen und Transparenz herzustellen.

3. Empfehlungen für eine gewerkschaftliche Positionierung

3.1 Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR)

Es ist davon auszugehen, dass kein Mitgliedstaat der Europäischen

Union ohne weiteres bereit sein wird, ein tradiertes und bewährtes,

institutionen- und curriculumbasiertes Berufsbildungssystem im Zuge

der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens aufzugeben.

Die mehrfachen Erklärungen der Kommission, dass der EQR kein Instru-

ment der Vereinheitlichung sein solle, deuten einerseits darauf hin,

dass mit einer faktischen Harmonisierung der Bildungssysteme das

„Unternehmen EQR“ vom Scheitern bedroht wäre. Andererseits müssen

die Länder und insbesondere Deutschland, jedoch ganz bewusst dage-

gen steuern, dass sie im Zuge der hohen Bereitschaft zur Anwendung

des EQF auf das eigene Bildungssystem nicht selbst zur Erosion des

nationalen Systems beitragen. Insofern geht es darum, zunächst auf der

Basis des bestehenden Bildungssystems einen nationalen Qualifikati-

onsrahmen zu beschreiben, um damit letztlich auch dessen Stärkung

und Weiterentwicklung zu erreichen. Der EQR setzt nicht zwingend vor-

aus, die berufliche Bildung in Module und Lernziele zu zerlegen.

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Basis für die Beschreibung im Rahmen des DQR müssen zunächst die

bestehenden Aus- und Weiterbildungsordnungen sein. Bei der Formu-

lierung der outcomes der zukünftigen Bildungsrahmenpläne in Aus- und

Weiterbildungsordnungen kann wegen der Breite der dort angespro-

chenen Kompetenzen (Fach-, Sozial- und Personal-/Humankompetenz)

eine viel weitergehende Ausgestaltung beruflicher Bildung gefordert

werden als das bisher der Fall ist. Allerdings müssen outcomes – anders

als im EQR-Modell, das frei ist von Institutionen und Curricula – an die

Stationen und Stufen eines jeden Bildungsgangs angekoppelt werden.

Das bedeutet, die Ausbildungsrahmenpläne deutlicher nach Berufs-

funktionen zu gliedern. Das Beschreiben von outcomes im Sinne von am

Arbeitsplatz benötigten Kompetenzen in diesem Sinne ist nichts Neues

für die deutsche Berufsbildung.

Falsch wäre jedoch aber eine einseitige Outcome-Orientierung und ein

alleiniger Bezug auf die berufliche Erstausbildung. Arbeitsfunktionen

und ihre Reichweite, auch die Selbständigkeit ihrer Wahrnehmung

müssten konsequenter beschrieben und – das ist eine schwierige Auf-

gabe – unverwechselbare Deskriptoren für die Lernergebnisse im Blick

auf die erreichten Kompetenzen neu formuliert werden. Zudem müsste

darüber entschieden werden, inwieweit die Unterschiede in den Niveaus

bei den Berufen offen gelegt werden sollen.

Festzuhalten ist, dass der EQR lediglich ein Übersetzungsinstrument, also

einen Formalrahmen darstellt, ein DQR dagegen aber als ein Reformin-

strument des Berufsbildungssystems angelegt werden kann. Gerade für

unser trennscharf segmentiertes Bildungssystem zeigt der DQR auch

Potenzial, die Durchlässigkeit zwischen dualen und vollschulischen Bil-

dungsgängen sowie zwischen Aus- und Weiterbildung zu erhöhen. Die

dazu notwendigen Instrumente müssen aber noch geschaffen werden.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die Akteure in der Berufs-

bildungspolitik auch unter Beteiligung der wissenschaftlichen Fachdis-

ziplinen aktiv an der Ausgestaltung eines nationalen Qualifikationsrah-

mens beteiligen können. Voraussetzung ist des Weiteren, dass der DQR

auf dem Prinzip der Beruflichkeit beruht und die Vorzüge des dualen

Systems der Erstausbildung in Verbindung mit darauf aufbauenden

oder daran anschließenden Weiterbildungsabschlüssen aufnimmt, –

wie das z.B. mit der Implementierung des IT-Weiterbildungssystems

bereits gelungen zu sein scheint.

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Der DQR muss somit

· als Orientierungsinstrument für alle Bildungsbereiche fungieren,

der es ermöglicht, die Wertigkeit von Qualifikationen auszuweisen

und die berufliche Entwicklung durch eine kompetenzbezogene

Darstellung der – formal oder informal – erworbenen Qualifikatio-

nen zu dokumentieren;

· einen Beitrag zur Gleichwertigkeit von allgemeiner, hochschulischer

und beruflicher Bildung – und damit auch zur Chancengleichheit –

leisten;

· die Durchlässigkeit zwischen den Teilsystemen der Bildung horizontal

und vertikal erhöhen;

· die Orientierung der Qualifikationen an Lernprozessen, d.h. an

dokumentierten Kompetenzen unterstützen;

· der strukturellen Weiterentwicklung des Bildungssystems durch

institutionelle Optimierung und Systematisierung unterschiedlicher

Lernwege, Lernzeiten und Lernergebnisse dienen;

· anregen zu einer Qualitätssicherung und -entwicklung in der Bil-

dung unter Berücksichtigung der Dimensionen Kontext, input, Pro-

zess und outcome leisten;

· die Mobilität von Lernenden und Beschäftigten in Deutschland sowie

zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern fördern;

· Bildungseinrichtungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Über-

setzungsinstrument dienen, mit dessen Hilfe Kompetenzen und

Qualifikationen besser eingeordnet werden können und die Aner-

kennung von in Deutschland nachgewiesenen Qualifikationen und

Kompetenzen in Europa erleichtert werden kann.

Um die gewünschte Transparenz und die Vergleichbarkeit der in

Deutschland erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen mit den

Qualifikationen anderer Mitgliedstaaten herzustellen, ist eine Orientie-

rung an der Struktur des Europäischen Qualifikationsrahmens nicht

zwingend. Zunächst sollte versucht werden, mit dem Rahmen ein mög-

lichst realistisches Modell des deutschen Berufsbildungs- und des

Hochschulbildungssystems zu beschreiben.

Der DQR sollte damit ein bildungsbereichsübergreifendes Referenzsystem

zum Europäischen Qualifikationsrahmen abbilden, das Lernergebnisse,

Lernwege und Lernzeiten Niveaus zuordnet. Parallel dazu sind Verfahren zu

entwickeln, die die Berücksichtigung von Qualifikationen, die in non-for-

malen Lernprozessen erworben wurden, ermöglichen. Schließlich sind bei

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der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens mögliche Folgen im

Hinblick auf die EU-Richtlinien zur Anerkennung von Berufsqualifikationen

(2005/36/EG) und zu Dienstleistungen (2006/123/EG) zu berücksichtigen.

3.2 Europäisches Punktesystem (ECVET)

ECVET ist vom Grundsatz her auf eine Zergliederung von Bildungsgän-

gen angelegt und von daher mit Blick auf das deutsche Berufsbildungs-

system problematisch. In seiner jetzigen Form kollidiert es mit der Auf-

rechterhaltung des Berufsprinzips.

Ein Punktesystem für die berufliche Bildung kann durchaus sinnvoll sein –

ein Punktesystem aber, das sich am britischen modularen System kleinster

Einheiten orientiert, ist abzulehnen. Der Berufsbildungsbericht 2008 weist

aus, dass im Herbst 2007 vom Bundesministerium für Bildung und For-

schung eine Pilotinitiative „Entwicklung eines Leistungspunktesystems in

der beruflichen Bildung“ gestartet wurde. Ziel dieser Initiative ist es, die

Erfassung, Übertragung und Anrechnung von Lernergebnissen bzw. Kom-

petenzen von einem Teilbereich des beruflichen Bildungssystems in einen

anderen zu erproben. Die entscheidende Frage wird auch hier sein, wie tief

die Zersplitterung der competencies/skills gehen wird, d.h., ob es zu belie-

biger Addierbarkeit einzelner, allenfalls sehr indirekt auf konkrete Berufe

bezogener Fertigkeiten kommt und damit letztlich die quasi „nahtlose“

Umsetzung von ECVET auf deutsche Strukturen vorbereitet wird. Hier sind,

wie bei der Entwicklung des DQR, alle berufsbildungspolitischen und –wis-

senschaftlichen Akteure angemessen in die Diskussion einzubeziehen.

Statt nun auch im nationalen Rahmen mit kumulativen Modulausbildun-

gen kleinster, immer nur ad hoc benötigter Einheiten herum zu experimen-

tieren – was die nahezu zwangsläufige Folge der nationalen Umsetzung

von ECVET wäre, bringt der Wissenschaftliche Beraterkreis von ver.di und

IG Metall das von der IG Metall vorgestellte Konzept der „europäischen

Kernberufe“ mit einheitlichen Berufsbildern für die europäischen Wirt-

schaftssektoren in die Diskussion. Dieser Diskussion – dem umfassenden

Berufsbildungsdialog der Sozialparteien in den Wirtschaftssektoren der

Staaten-Gemeinschaft – muss ausreichend Zeit eingeräumt werden.

3.3 Europäische Kernberufe

Das Konzept der europäischen Kernberufe ist zu verstehen als Alternati-

ve zur Zersplitterung der europäischen Berufslandschaften in hochgra-

dig fachlicher, aber auch traditionell räumlicher frühzeitiger Spezialisie-

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rung, die im Extremfall nur an einem einzigen Einsatzort (Arbeitsplatz)

eingebracht werden kann. Technische und arbeitsorganisatorische Ent-

wicklungen führen dazu, dass die spezifischen Tätigkeitsanforderungen

sich verändern und Tätigkeiten auch wegfallen. Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmer, die nicht über eine umfassende berufliche Handlungs-

kompetenz verfügen, würden damit ihrer Erwerbsgrundlage beraubt.

Einer solchen Spezialisierung würde durch Modularisierung umso eher

Vorschub geleistet, je kleinteiliger die einzelnen units definiert würden.

Stattdessen wird beim Konzept der europäischen Kernberufe systema-

tisch auf Ganzheitlichkeit im Kern der (beruflichen) Handlungsfelder

gesetzt. Europäische Kernberufe sind nicht zu verwechseln mit der Idee

einer vergleichsweise wenig Lernzeit in Anspruch nehmenden fachli-

chen Basisqualifikation, die danach, d.h. noch während der Ausbil-

dungszeit, um spezifische betriebsbedingte oder lokal-arbeitsmarktli-

che Spezifika ergänzt wird.

Das Konzept der „europäischen Kernberufe“ setzt auf Beruflichkeit im

Sinne einer ganzheitlichen, handlungsorientierten Berufsbildung, die

· den Aufbau und die Entwicklung fachlicher, sozialer, personaler und

methodischer Kompetenzen ermöglicht und fördert,

· zur Beherrschung unterschiedlicher beruflicher Situationen

befähigt,

· Mündigkeit und Identität sowie Verantwortungsgefühl entwickelt

und die Bereitschaft fördert, Verantwortung zu übernehmen,

· Zusammenarbeit und sozialen Zusammenhalt im Sinne solidari-

schen Handelns entwickelt und fördert,

· den Erwerb von Gestaltungskompetenz, die Befähigung zur Mitge-

staltung durch Beteiligung und Kooperation, fördert

· die Grundlage für lebensbegleitendes Lernen legt.

Das Konzept der „europäischen Kernberufe“ baut darauf auf, dass die

inhaltlichen Anforderungen eines Berufsfeldes in allen europäischen Staa-

ten weitgehend identisch sind, weil auf der Grundlage von Sektorenbezü-

gen über Berufsprofile entschieden werden soll. Deshalb sollte es möglich

sein, im Dialog der Sozialparteien und unter Beteiligung der Europäischen

Kommission die beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen länderü-

bergreifend gemeinsam zu definieren. Den einzelnen Staaten bliebe es

dann überlassen zu entscheiden, an welchen Lernorten und mit welchen

Methoden die Inhalte vermittelt bzw. die Kompetenzen erworben werden

sollen.

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Persönliche und berufliche Entwicklungschancen sowie gesellschaftli-

che Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten hängen wesentlich

von der Substanz der beruflichen Aus- und Weiterbildung und der Qua-

lität ihrer Vermittlung ab.

Für die deutsche Diskussion folgt aus dem Prinzip der europäischen

Kernberufe:

· Kompetenzentwicklung am Lernort Betrieb

Im dualen System der Berufsausbildung hat der Betrieb nach wie vor die

wichtigste Rolle, wobei der Begriff „Betrieb“ als Synonym für alle Arbeits-

plätze gilt, an denen berufsbezogene Tätigkeiten ausgeübt werden (z.B.

Industriebetrieb, Einzelhandelsgeschäft, Anwaltskanzlei, Krankenhaus).

Er ist der zentrale Lernort, geprägt durch eine umfassende Anforderung

an die Entwicklung von Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz. Die Rele-

vanz der Berufsschule nimmt allerdings angesichts der immer stärker

werdenden Wissensbasierung der Berufe immer mehr zu. Ihrer persona-

len und sächlichen Ausstattung ist daher hohe Bedeutung beizumessen.

Die Berufsinhalte werden nicht isoliert als Fertigkeiten, Kenntnisse und

Fähigkeiten beschrieben. Es geht darum, sie im Zusammenhang der

betrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozesse darzustellen, in denen die

Lernprozesse ablaufen. Das erfordert die Herstellung lernförderlicher

Arbeitsbedingungen. Zum anderen ist auch eine bessere Kooperation

der Lernorte in der curricularen Abstimmung gefordert.

· Stellenwert der Berufsschule erhöhen

Die Ausbildungsinhalte für den Betrieb (Ausbildungsrahmenplan) und

die Berufsschule (Rahmenlehrplan) müssen besser miteinander ver-

zahnt und gemeinsam als Kompetenzfelder ausgewiesen werden. Dies

ist für die Umsetzung und Abstimmung der Akteure im dualen System

ein Vorteil bzw. die Voraussetzung dafür, dass die Lernorte mit ihren

unterschiedlichen Aufgaben in einen engeren Zusammenhang gebracht

werden können. Wegen der wachsenden Wissensbasierung zahlreicher

beruflicher Arbeitsprozesse muss der Berufsschule der erforderliche

Zeitrahmen (zwei Berufsschultage) gewährt werden.

· Entspezialisierung und Technikoffenheit: Merkmale moderner

Ausbildungsordnungen

Kompetenzen sind in Ausbildungsordnungen – konkreter im Ausbildungs-

rahmenplan – technikoffen und produktneutral als ein Bündel von Qualifi-

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54

kationen zu beschreiben. Diese Vorgabe ermöglicht es den Betrieben, die

Ausbildungsinhalte mit den im Betrieb vorhandenen Maschinen, Werkstof-

fen, Anlagen und den eingesetzten Techniken und Prozessen umzusetzen.

Mit den Ausbildungsordnungen wird ein Fundament an curricularen

Mindeststandards verbindlich definiert. Die Betriebe können und müs-

sen nun entscheiden, wie sie dies im betrieblichen Prozess der Arbeit

konkret umsetzen. Es gibt dabei eine klare Grenze: Ausbildungsziele

und -inhalte dürfen nicht verändert, weggelassen oder beliebig ersetzt

werden. Im betrieblichen Ausbildungsplan wird ein sinnvolles und auf-

bauendes Lernkonzept beschrieben.

· Kernberufe statt Berufe-Wildwuchs

Das Berufsbildungsgesetz fordert, dass die Ausbildung für die Ausübung

einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeits-

welt vorbereitet. Ausbildung für qualifizierte, eigenverantwortliche Tätig-

keiten muss breit angelegt in europäischen Kernberufen durchgeführt

werden. Kernberufe sind vollständige Berufe, bei denen zwischen

gemeinsamen Qualifikationen einer Berufsfamilie, den so genannten

Kernqualifikationen und den Fachqualifikationen, die gebraucht werden,

um im einzelnen betrieblichen Prozess tätig zu sein, unterschieden wird.

Diese Strukturierung in Kern- und Fachqualifikationen gibt den einzelnen

Berufen ein „Gesicht“. Danach werden die Qualifikationsanforderungen

einer Berufsfamilie zugeordnet. Damit sind die Qualifikationen für die

Ausbildungsordnungen systematisiert, können dargestellt und in einen

verbindlichen Rahmen der Ausbildungsordnungen gepackt werden.

Spezialisierungen bereits in der Erstausbildung sind mit dem gesetzli-

chen Auftrag der Vermittlung umfassender beruflicher Handlungskom-

petenz nicht zu vereinbaren. Die Reduzierung der 346 Ausbildungsberu-

fe zu europäischen Kernberufen ist ein sinnvoller Weg. Sie führt zudem

zu mehr Transparenz im Berufsbildungssystem, erleichtert die Berufs-

wahl und die Bildung von Fachklassen in den Berufsschulen.

· Umfassende Kompetenzentwicklung

Der Ersatz anerkannter Ausbildungsberufe durch Module und Ausbil-

dungsbausteine ist grundsätzlich abzulehnen. Erfahrungen mit Kurzaus-

bildungsgängen zeigen, dass sie den inhaltlichen und organisatorischen

Anforderungen in der Arbeitswelt nicht entsprechen. Bildungsziele wie Kri-

tikfähigkeit, Mitgestaltung und Emanzipation, die über fachliche Qualifika-

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tionen hinaus auch in der Ausbildung vermittelt werden sollen, werden

nicht erreicht. Schmalspur-Ausbildungen und modulare Qualifikationssys-

teme sind keine adäquaten Konzepte für die Erneuerung des dualen

Systems und leisten auch keinen Beitrag zur Erhöhung der Mobilität in

Europa. Sie zerstören das deutsche Berufsbildungssystem, sie schmälern

die nationale Kompetenzbilanz und beeinträchtigen damit langfristig die

ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und den Standort Deutschland.

· Schaffung betrieblicher Wahlmöglichkeiten

Kernberufe, wie z.B. die industriellen Metall- und Elektroberufe mit ihrem

Konzept der Einsatzgebiete, sind leitend für andere Bereiche: Einsatzge-

biete werden in der Ausbildungsordnung genannt und vom Ausbildungs-

betrieb ausgewählt. Es können Einsatzgebiete gewählt werden, die nicht

in der Ausbildungsordnung stehen, wenn die vorgeschriebenen Qualifika-

tionen/Kompetenzen vermittelt werden können.

In den Ausbildungsberufen sind die Inhalte verzahnt mit den Kern- und

Fachqualifikationen sowie den Geschäftsprozessen im Einsatzgebiet zu

erlernen. Die beruflichen Herausforderungen im Betrieb sind damit ganz-

heitlich angelegt. Einzelne Qualifikationen können in der betrieblichen

Wirklichkeit nicht isoliert vermittelt und damit auch nicht ausschließlich

bestimmten zeitlichen Phasen der Ausbildung zugeordnet werden. Durch

den Erwerb einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz

erhöhen sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Einsatz-

möglichkeiten innerhalb der Unternehmen und ihre berufliche Mobilität

zwischen Berufen, Betrieben und Branchen steigt.

· Betrieblichen Sachverstand nutzen – Konsensprinzip beibehalten

Es gilt, den Sachverstand der betrieblichen Experten wieder in den Mittel-

punkt der Erarbeitung von Ausbildungsordnungen zu rücken. Es ist not-

wendig, dass die Bundesregierung bei der Abarbeitung der EU-Vorgaben

den Konsens mit den Sozialparteien sucht und keine Entscheidung ohne

Zustimmung der Sozialparteien trifft. Wenn diese sich geeinigt haben, so

hat es sich über dreißig Jahre erwiesen, werden die inhaltlichen und for-

malen Vereinbarungen auch umgesetzt. Darüber hinaus sollten die

Erkenntnisse der Berufsbildungsforschung stärkere Berücksichtigung in

politischen Entscheidungen finden.

· Nachhaltigkeit von Reformen absichern

Durch die Einrichtung von Berufsfachkommissionen der Sozialparteien in

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den Branchen kann die Neuordnungsarbeit nachhaltig gefördert werden.

Gerade bei der Früherkennung von Qualifikationsbedürfnissen oder bei

der Beobachtung von Entwicklungsprozessen können sie Reformen zeit-

nah anregen. Sie stellen auch sicher, dass in den Branchen und darüber

hinaus allen Akteuren für ihre Entscheidungen relevante Informationen

für die (Neu-)Ordnung von Aus- und Weiterbildungsgängen rechtzeitig zur

Verfügung stehen. Insbesondere gilt es, die Qualifizierungsbedingungen

der kleineren und mittleren Betriebe zu berücksichtigen.

Die Einarbeitung von strukturellen und inhaltlichen Veränderungen in

die Aus- und Fortbildungsverordnungen wäre damit nicht mehr ein

punktueller Vorgang, der alle fünf bis zehn Jahre ansteht, sondern ein

Prozess, der auf Dauer angelegt ist. Die Ergebnisse der Berufs- und Qua-

lifikationsforschung können so zügiger für die Praxis genutzt werden.

· Berufliches Curriculum aus einem Guss – Transparenz und

Durchlässigkeit

In der beruflichen Bildung müssen Aus- und Weiterbildung stärker mit-

einander verzahnt, in den Neuordnungsprojekten die Strukturen für

beide Bereiche gemeinsam festgelegt werden. Im IT-Sektor ist dies

bereits gelungen: Hier gibt es neben vier Grundberufen ein entwickeltes

System der Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung. Dieses Modell kann

als vorbildhaft gelten und ist auch in anderen Branchen zu entwickeln.

Für die beruflichen Weiterbildungsabschlüsse müssen in den Studiengän-

gen an den Hochschulen erkennbare Schnittstellen ausgewiesen werden.

Den Zugang zu den Hochschulen für Absolventen beruflicher Bildungs-

gänge gilt es zu verbessern. Ebenso die Anerkennung und Anrechnung

von beruflich erworbenen Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge.

· Internationalen Qualitätsvergleich unterstützen

Der von der Bundesregierung angestrebte internationale Qualitätsver-

gleich in der beruflichen Bildung (Berufsbildungs-PISA) sollte unterstützt

werden. Die erstmals damit mögliche internationale Debatte um die Stan-

dards in der Ausbildung wird wichtige Impulse auch für die deutsche Qua-

litätsdebatte erbringen. Wichtig ist, dass die Vergleichsstudie von wis-

senschaftlichem Sachverstand erstellt wird, der die Besonderheiten des

deutschen dualen Systems berücksichtigt, der sich in den beruflichen

Handlungsfeldern auskennt und die erworbenen Handlungskompetenzen

in den Mittelpunkt der Vergleichsmessung stellt.

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Herausgeber:

Vorstand ver.diBereich BerufsbildungspolitikPaula-Thiede-Ufer 1010179 Berlin

Vorstand IG MetallRessort Bildungs- und QualifizierungspolitikWilhelm-Leuschner-Straße 7960329 Frankfurt am Main

Redaktion:Mechthild Bayer, Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann

Gestaltung:Werbeagentur Zimmermann GmbHFrankfurt am Main

Druck:Henrich Druck+Medien GmbH,Frankfurt am Main

Berlin/Frankfurt am Main, April 2008

Prof. Dr. Peter Faulstich

Universität Hamburg

Dr. Dieter Gnahs

Deutsches Institut für

Erwachsenenbildung, Bonn

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Phil-Theol. Hochschule

Sankt Georgen, Frankfurt/Main

Prof. Dr. Joachim Ludwig

Universität Potsdam

Prof. Rita Meyer

Universität Trier

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Universität Kassel

Prof. Dr. Oskar Negt

Universität Hannover

Dr. Edgar Sauter

Bundesinstitut für

Berufsbildung, Bonn

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Bundesinstitut für

Berufsbildung, Bonn

Dr. Hartmut Seifert

Hans-Böckler-Stiftung, Wirt-

schafts- und Sozialwissenschaft-

liches Institut, Düsseldorf

Otto Semmler

Vizepräsident der Bundesanstalt

für Arbeit a. D., Nürnberg

Prof. Dr. Georg Spöttl

Institut für Technik und

Bildung, Universität Bremen

Dr. Reinhard Bahnmüller

Forschungsinstitut für Arbeit,

Technik und Kultur, Universität

Tübingen

Der Wissenschaftliche Beraterkreis

Dr. Axel Bolder

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Gerhard Bosch

Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Helmut-Schmidt-Universität,

Hamburg

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Universität Duisburg-Essen

Mechthild Bayer

ver.di, Berlin

Dr. Klaus Heimann

IG Metall, Frankfurt/M.

Dr. Roman Jaich

Wissenschaftler, Berlin

Koordinierung und Leitung des

Wissenschaftlichen Beraterkreises:

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Solidarität und gemeinsame Verantwortung

Bildungspolitik zwischen falschem Zentralismus und falschem Föderalismus

Vorgelegt vom WissenschaftlichenBeraterkreisder Gewerkschaften IG Metall und ver.di

Berufs-Bildungs-Perspektiven 2008

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicherZusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik der Gewerkschaften

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