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Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen 3 Günter Kutscha Berufsbildungssystem und -politik Seminarskript mit Übungsaufgaben Modulthemenschwerpunkt 2.1 im Modul Berufspädagogik Universität Duisburg-Essen 2007 © guenter.kutscha,@uni-due.de

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Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

3

Günter Kutscha

Berufsbildungssystem und -politik

Seminarskript mit Übungsaufgaben Modulthemenschwerpunkt 2.1

im Modul Berufspädagogik

Universität Duisburg-Essen 2007

© guenter.kutscha,@uni-due.de

Berufsbildungspolitik

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Inhaltsverzeichnis Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen ................................................... 6 

Literaturverzeichnis ............................................................................................. 8 

Über den Autor ................................................................................................... 19 

1  Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte ......... 20 

1.1  Berufsbildungspolitik in Praxis und Wissenschaft ....................................... 20 

1.2  Berufsbildungspolitik im Kontext des Berufsbildungsgesetzes ................... 23 

1.3  Berufsbildungspolitik aus interdisziplinärer Sicht – Theorie und Definitionsangebote .................................................................................... 26 

2  Verfassungsrechtliche Grundlagen und politische Rahmenbedingungen der Berufsbildungspolitik in Deutschland ........ 35 

3  Bildungssystem und bildungspolitische Entwicklungen in Deutschland .............................................................................................. 39 

4  Politikbereich: Berufsausbildung ............................................................ 45 

4.1  Berufsausbildungssysteme in Deutschland – Funktionale Differenzierung und Infrastrukturentwicklung .............................................. 45 

4.2  Berufsausbildung im dualen System ........................................................... 45 

4.2.1 Strukturmerkmale, Regelung und Prinzipien des dualen Systems ........................................................................................... 45 

4.2.2 Ausbildungsordnungspolitik ............................................................. 60 

4.2.3 Ausbildungsmarktpolitik ................................................................... 63 

4.3  Berufsausbildung im Schulberufssystem .................................................... 81 

4.3.1 Funktionen und Formen der Schulberufsausbildung ....................... 81 

5  Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangssystem ..................... 84 

5.1  Berufsvorbereitung – Problemaspekte und begriffliche Bestimmungen ..... 84 

5.2  Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen zwischen berufsbildungs- und arbeitsförderungspolitischen Zielsetzungen ......................................... 85 

5.3  Grenzen der ausbildungsmarktbezogenen Ausgleichspolitik – Entwicklungen und Problemlagen ............................................................... 87 

6  Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeutungszuwachs und politischer Regulierungsbedarf ....................................................... 90 

6.1  Struktur und Arten der beruflichen Weiterbildung in Deutschland .............. 90 

6.2  Empirische Befunde und Problemlagen ...................................................... 94 

6.3  Ordnung der beruflichen Weiterbildung im Spannungsfeld von manpower- und social demand-Ansatz ....................................................... 96 

7  Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik ............................................................................... 98 

Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

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7.1  Von den Römischen Verträgen zum Maastrichter Vertrag – Ansätze zur Europäisierung der Berufsbildungspolitik: Subsidiaritätsprinzip und Harmonisierungsverbot ........................................................................ 98 

7.2  Der Brügge-Kopenhagen-Prozess – Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen ......................................................... 100 

7.3  Zur Diskussion: Das EQF- und ECVET-Konzept aus Sicht der Wirtschaftsverbände und aus gewerkschaftsorientierter Perspektive ...... 102 

8  Entwicklungspfade der Berufsbildungspolitik: Thesen zur Reform des deutschen Berufsbildungssystems ................................. 106 

8.1  Erosionstendenzen des deutschen Ausbildungssystems ......................... 106 

8.2  Alternativen in Europa: Entwicklungen im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden .................................................................................. 108 

8.3  Zur Diskussion: Entwicklungspfad und Modernisierungsperspektiven: Mehr Flexibilität in der beruflichen Erstausbildung – weniger Wildwuchs in der Weiterbildung – „Regulierte Pluralität“ als Voraussetzung für ein Gesamtsystem der beruflichen Bildung in öffentlicher Verantwortung ........................................................................ 110 

9.  Übungsaufgaben .................................................................................... 113 

Berufsbildungspolitik

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Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

Berufsbildungspolitik ist – im Unterschied zu anderen Politikbereichen, wie etwa dem der Wirtschaftspolitik – kein etabliertes Lehrgebiet mit einem festen Kern systematisch ausgewiesener und didaktisch bewährter Inhalte und Strukturen. Als Teil der politischen Praxis und als Thema der Berufsbildungswissenschaft und -forschung ist Berufsbildungspolitik eine Erscheinung jüngster Zeit (vgl. DO-BISCHAT/DÜSSELDORFF 2002). Aber nicht das allein ist der Grund für den Mangel an innerer Konsistenz, der die systematische Vermittlung von Studieninhalten auf diesen Gebieten erschwert. Berufliche Bildung und dementsprechend Berufsbil-dungspolitik sind typische Überschneidungsbereiche einer nach Funktionssyste-men differenzierten Gesellschaft. Sie sind angesiedelt im Spannungsfeld von Bildungs- und Beschäftigungssystem, in Konfliktzonen wirtschafts-, sozial- und bildungspolitischer Interessen. Dies erschwert den Zugang zu dieser auf den ersten Blick spröden Materie. Der vorliegende Kursteil versucht, sich dem Ge-genstand Berufsbildungspolitik durch Wechsel der Beobachtungs- und Beobach-terperspektiven zu nähern. Er führt aus wissenschaftlicher Sicht in grundlegende Probleme und Fragestellungen der Berufsbildungspolitik ein.

Der Kursteil ist nach folgenden Themenschwerpunkten aufgebaut:

Im Kapitel 1 wird der Frage nachgegangen, was überhaupt Berufsbildungspolitik ist. Das wirft zunächst das Problem auf, ob es überhaupt so etwas gibt wie eine Theorie der Berufsbildungspolitik, derer man sich (wie etwa im Fall der Wirt-schaftspolitik) bedienen könnte, um Begriffe zu klären, Inhalte systematisch auf-zuarbeiten und sich gesichertes Wissen anzueignen. Um die Studierenden die-ses Kursteils nicht nur mit Problemen zu konfrontieren, sollen selbstverständlich auch Problemlösungsangebote in Form einer Arbeitsdefinition von „Berufsbil-dungspolitik“ gemacht und einige grundlegende Kenntnisse über die gesetzlichen Grundlagen der Berufsbildungspolitik, soweit sie zur terminologischen Klärung beitragen, vermittelt werden. Im Anschluss an den politikwissenschaftlichen Sprachgebrauch wird ein Analysekonzept von Berufsbildungspolitik vorgeschla-gen, das sich nicht auf die Beschreibung institutioneller Einzelheiten beschränkt, sondern die inhaltlichen Probleme der Berufsbildungspolitik, die sich in den un-terschiedlichen Teilbereichen des beruflichen Bildungssystems stellen („poli-cies“), ebenso umfasst wie die Rahmenbedingungen („polity“) und die Prozesse zwischen den politischen Akteuren („politics“).

Die hier angedeuteten Aspekte des Politikbegriffs (Kap. 1) sind nicht isoliert und unabhängig voneinander zu betrachten. Zwischen ihnen bestehen vielfältige Interdependenzen. Vorangestellt werden im Kapitel 2 einige grundlegende Aus-führungen zu den verfassungsrechtlichen Prinzipien des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb dessen sich das berufsbildungspolitische Steuerungs- und Regulierungssystem etabliert hat. Eine Zwischenstellung zwi-schen der Behandlung des verfassungsrechtlichen Bedingungsrahmens und der Analyse der berufsbildungspolitischen Teilbereiche (Kapitel 4: Berufsausbildung, Kapitel 5: Berufsvorbereitende Maßnahmen im Übergangssystem, Kapitel 6: Be-rufliche Weiterbildung) nimmt Kapitel 3 ein. Es behandelt das Bildungssystem und die Bildungsreform in Deutschland. Das Berufsbildungssystem und zentrale Fragen der Berufsbildungspolitik lassen sich ohne diesen Hintergrund kaum ver-ständlich machen.

Berufliche Bildung und Berufsbildungspolitik als Überschneidungsberei-che

Aufbau des Kursteils

Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

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Berufsbildungspolitik ist von der Bildungs-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik nicht zu trennen. Dies gilt mehr denn je auch im Hinblick auf die Entwicklung der europä-ischen Integration und speziell in Bezug auf die europäische Berufsbildungspolitik, die den thematischen Mittelpunkt von Kapitel 7 bildet. Der Kursteil schließt ab mit einigen grundlegenden Thesen zur Strukturreformpolitik und zum Entwicklungspfad der Berufsbildungspolitik in Deutschland im Vergleich zu ausgewählten Qualifizie-rungssystemen in Ländern der Europäischen Union (England, Niederlande).

Mit dem vorliegenden Kursteil werden folgende Ziele angestrebt: Die Studieren-den

• erwerben ein Verständnis davon, unter welchen Aspekten Berufsbildungspolitik beobachtet, beschrieben und analysiert werden kann;

• verfügen hierzu über die im Text vermittelten begrifflichen, konzeptionellen und theoretischen Grundlagen;

• kennen die für berufsbildungspolitische Entscheidungen und Prozesse wichtigen Rahmenbedingungen und wissen, welche Bedeutung das Grundgesetz als ver-fassungsrechtlicher Rahmen für die Berufsbildungspolitik hat;

• verstehen, nach welchen Grundprinzipien das Bildungssystem in Deutschland aufgebaut ist und welche Fragen und Anforderungen sich daraus für die Berufs-bildungspolitik ergeben;

• können ihr Wissen und Verständnis grundlegender Begriffe, Konzepte und Prinzi-pien auf die Analyse und Beurteilung der Berufsbildungspolitik anwenden und

• beurteilen, welchen Einfluss die Entwicklungen auf dem Weg zur europäischen Einheit auf die nationale Berufsbildungspolitik haben.

Ziele des Kursteils

Berufsbildungspolitik

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Über den Autor Prof. Dr. Günter Kutscha

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Über den Autor Prof. Dr. Günter Kutscha

1. Bildungsgang: geb. 1943; Banklehre und Tätigkeit als Bankkaufmann (1960-62); Abitur (1966); Studium der Wirtschafts- und Sozialwissen-schaften und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit dem Abschluss als Dipl.-Handelslehrer an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. (1966-70); Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Westfalen) und in der Wissenschaftlichen Begleitung Kollegstufe NRW (1970-1975), .Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Westf.) als Doktor der Philosophie (1975).

2. Berufliche Laufbahn: Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Ruhr-Universität Bochum (1976-77); Professor für Berufs- und Wirtschaftspä-dagogik/Schwerpunkt Didaktik der Wirtschaftswissenschaften an der Uni-versität Oldenburg (1977-81); Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufspädagogik/Berufsbildungsforschung an der Ger-hard-Mercator-Universität Duisburg (1981-2005) und im Fachbereich Bil-dungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen (seit 2005); Beru-fungen an die Humboldt-Universität Berlin (1991) und an die Universität Hamburg 1995).

3. Schwerpunkte in Lehre und Forschung; Berufsbildungstheorie; Berufs-bildungspolitik, -planung, -beratung; regionale Berufsbildungsforschung; Curriculumentwicklung und Didaktik der beruflichen Bildung, Vergleichen-de Berufs- und Wirtschaftspädagogik.

Berufsbildungspolitik

20

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

1.1 Berufsbildungspolitik in Praxis und Wissenschaft Bildungspolitik als eigenständiger Politikbereich mit speziell darauf bezogenen Institutionen und Verwaltungsapparaten (Bildungsministerien etc.) etablierte sich in Deutschland erst seit Ende des 18. Jahrhunderts, und zwar begrenzt auf den Bereich des allgemeinen Unterrichtswesens und unter Ausklammerung der beruf-lichen Bildung. Die Institutionalisierung der Berufsbildungspolitik und -planung als relativ eigenständiger Teilbereich der Bildungspolitik ist eine Erscheinung neuerer Zeit. Natürlich hat es Berufsbildungspolitik auch schon in früheren Jahrhunderten gegeben (vgl. STRATMANN 1993). Die Auseinandersetzung der feudalen Territori-alstaaten mit den Zünften um deren Einfluss auf die Berufserziehung ist dafür ein Beispiel, ebenso die Bemühungen des Staates um die allgemeine Förderung des Gewerbefleißes und den Aufbau des beruflichen Fachschulwesens im 18. Jahr-hundert sowie – um ein letztes Beispiel zu nennen – die Fortbildungs- und Be-rufsschulpolitik Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sofern es um die Förderung des Gewerbefleißes ging, waren dafür primär Wirtschafts- und Gewerbepolitik zuständig, und was die Erziehung der berufstätigen Jugend im engeren Sinne betrifft, so galt diese noch Anfang des 20. Jahrhunderts aus staat-licher Sicht eher sozial-präventiven als berufsqualifizierenden Zwecken.

Die enge Verbindung der Berufsbildungspolitik zur Wirtschafts- und Gewerbepoli-tik, Beschäftigungs- und Sozialpolitik prägt auch heute noch die „berufsbildungs-politische Landschaft“. Gleichwohl haben – bei längerfristiger Betrachtung – bil-dungspolitische Akzente deutlich an Gewicht gewonnen. Symptomatisch dafür ist in der (alten) Bundesrepublik Deutschland die Bündelung berufsbildungspoliti-scher Zuständigkeiten in dem seit 1969 bestehenden Bundesministerium für Bil-dung und Wissenschaft (Die Bezeichnung des Bundesministeriums wurde mehr-fach geändert, zuletzt in „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ (BMBF)). Wichtige Planungs- und Verwaltungsaufgaben wurden mit der Regie-rungsbildung 1972 aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Bundes-ministerium für Arbeit und Sozialordnung in die Zuständigkeit des Bildungsminis-teriums verlagert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland der Bund nur für die außerschulische berufliche Bildung zuständig ist, während der Unterricht an berufsbildenden Schulen in die Kulturhoheit der Bundesländer fällt.

Diese wenigen Hinweise mögen genügen um zu demonstrieren, dass wir es bei der Berufsbildungspolitik weder fachlich noch institutionell mit einem klar abge-grenzten Politikbereich zu tun haben. Berufsbildungspolitik hat es mit Zielfragen der beruflichen Bildung ebenso zu tun wie mit Problemen der finanziellen Aus-stattung des beruflichen Bildungssystems, sie regelt die Einhaltung von Quali-tätsstandards der Berufsausbildung durch Ausbildungsordnungen und stellt Res-sourcen für die Einrichtung überbetrieblicher Bildungseinrichtungen zur Verfügung. Ferner muss sie rechtswirksame Entscheidungen über die Bedingun-gen des Erwerbs von Berechtigungen treffen und dabei mehr denn je grenzüber-schreitende Entwicklungen, etwa auf dem Gebiet der europäischen Integration, berücksichtigen, um günstige Rahmenbedingungen für die Anerkennung von

Vorläufer der Berufsbil-dungspolitik

Problembereiche der Berufsbildungspolitik (Beispiele)

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

21

Abschlusszertifikaten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu schaffen.

Wie die berufsbildungspolitische Praxis selbst, so ist auch die Wissenschaft von der Berufsbildungspolitik durch Unübersichtlichkeit und Heterogenität gekenn-zeichnet. Berufsbildungspolitik als Gegenstand wissenschaftlicher Theorie und Forschung hat sich – im Unterschied etwa zur Wirtschaftspolitik – bislang erst in Ansätzen als eigene Forschungsdisziplin etablieren können (vgl. CLEMENT 1999; DAUENHAUER 1996; HILBERT/SÜDMERSEN/WEBER 1990; KUTSCHA 1997; OFFE 1975). Um es klar auszudrücken: Es gibt keine disziplinübergreifende Theorie der Berufsbildungspolitik und -planung, und es ist zu bezweifeln, ob es eine solche überhaupt jemals wird geben können.

Welche Folgerungen sind aus diesen Hinweisen zu ziehen?

• Wenn es auch keine systematisch konsequent durchentwickelte Theorie der Berufsbildungspolitik gibt, so lassen sich doch „Bruchstücke“ wissenschaftli-cher Forschung auf dem Gebiet der Berufsbildungspolitik identifizieren. Diese bedürfen einer sorgfältigen Interpretation im Zusammenhang ihrer jeweiligen theoretischen Prämissen und erkenntnisleitenden Interessen. Hierbei ist u. a. zu prüfen: Von welchen Annahmen geht ein Text und die ihm zugrunde lie-gende Untersuchung aus? Zu welchem Zweck wird die wissenschaftliche Ar-beit durchgeführt? Von welchen Fragestellungen lässt sich der Autor leiten? etc.

• Wissenschaftliche Argumente müssen intersubjektiv kommunizierbar sein. Anders als in der alltäglichen Umgangssprache kommt es darauf an, die in wissenschaftlichen Begründungszusammenhängen verwendeten Aussagen und die den Aussagen zugrunde liegenden Begriffe so zu präzisieren, dass der Aussagegehalt unabhängig von den beteiligten Personen nachvollzogen werden kann. Die Definition von Begriffen ist mithin nicht beliebig, sondern sie dient der Verständigung und ist zugleich Prüfstein für die Konsistenz wis-senschaftlicher Aussagen, auch wenn diese noch nicht – wie es auf dem Ge-biet der Berufsbildungspolitik der Fall ist – dem Anspruch einer in sich stim-migen Theorie genügen mögen. Die Berufsbildungsforschung, die sich u. a. auch mit Problemstellungen der Berufsbildungspolitik befasst, muss sich viel-fach mit Partialtheorien, das heißt mit Beschreibungen, Interpretationen und Erklärungen auf einem theoretischen Niveau „mittlerer Reichweite“ begnü-gen.

• Junge Forschungsbereiche wie die der Berufsbildungsforschung verfügen in der Regel noch nicht über eine belastbare empirische Datenbasis. Ob eine Theorie (zum Beispiel über die Wirksamkeit berufsbildungspolitischer Maß-nahmen) „stimmt“ oder nicht, entscheidet sich letztlich daran, ob sie empiri-schen Daten standhält. Solange dies der Fall ist, gilt die Theorie als „be-währt“. Es gibt gute Gründe dafür, in diesem Zusammenhang nicht von „wahr“ oder „falsch“ zu sprechen. Jedenfalls gilt dies für empirische Sachver-halte, mit denen es die Berufsbildungsforschung in der Regel zu tun hat. Bei der Lektüre wissenschaftlicher Texte über Berufsbildungspolitik sollte darauf geachtet werden, ob die darin enthaltenen Aussagen auf empirischen Daten basieren, von welcher statistischen Qualität diese Daten sind und wie diese Daten ausgewertet werden. Hierbei handelt es sich um grundlegende for-schungsmethodische Fragen, die für die Berufsbildungsforschung in gleicher Weise von Belang sind wie für andere Wissenschaften auch.

Berufsbildungspolitik als Gegenstand wissen-schaftlicher Reflexion und Forschung

Berufsbildungspolitik

22

Um die bisherigen Überlegungen zum Verhältnis von Berufsbildungspolitik und Berufsbildungsforschung und zur kritischen Analyse wissenschaftlicher Texte über Berufsbildungspolitik abzuschließen, soll ein Beispiel aus der Ausbildungs-marktpolitik und -forschung skizziert werden:

Nehmen wir an, das Bundesministerium für Bildung und Forschung hätte einen Forschungsauftrag vergeben, der darauf abzielt, die Berufsbildungspolitik wis-senschaftlich dahin gehend zu beraten, welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsstellenmarkt zweckmäßigerweise zum Einsatz kommen sollten. Die Bearbeitung dieses Problems stellt hohe Ansprüche an die damit beauftragten Wissenschaftler. Gefordert sind u. a.:

1. eine möglichst objektive und präzise Beschreibung der Problemlage (zum Beispiel: Entwicklung des Ausbildungsstellenmarkts und ihrer Einflussgrö-ßen);

2. eine theoretische Modellierung der abhängigen und unabhängigen Variablen des Ausbildungsstellenmarkts (zum Beispiel: Reagibilität des Ausbildungsan-gebots in Abhängigkeit von internen Einflussgrößen, zum Beispiel Kosten, Bedarf an Fachkräften) und externen Einflussgrößen (zum Beispiel Arbeits-marktentwicklungen);

3. eine Bestimmung von intervenierenden Variablen (Instrumenten) zur Beeinf-lussung des Angebots- und Nachfrageverhaltens auf dem Ausbildungsstel-lenmarkt und empirische Prüfung der Wirksamkeit des Instrumenteneinsatzes (zum Beispiel: Wirksamkeit und Effizienz berufsvorbereitender Bildungsmaß-nahmen).

Damit sind nur einige der komplexen Probleme angedeutet, die sich im Zusam-menhang der Berufsbildungsforschung stellen. Sie verweisen darauf, dass Be-rufsbildungspolitik auf der einen Seite und die Wissenschaft von der Berufsbil-dungspolitik (Berufsbildungsforschung) auf der anderen, grundsätzlich unter-schiedliche Ziele verfolgen. Politiker stehen in der Zwangssituation, für andere (Parteimitglieder, Wähler) Alternativen auswählen, also Komplexität reduzieren zu müssen. Ihre Fragen an die Wissenschaft sind deshalb in der Regel entschei-dungsorientiert, verbunden mit der Erwartung, eindeutige Antworten zu erhalten, zum Beispiel auf die Frage: Welche Maßnahmen zur Verbesserung des Ausbil-dungsplatzangebots sollen politisch favorisiert werden? Demgegenüber ist das System der Wissenschaften weitgehend freigesetzt von politischen Handlungs-zwängen; „es ist nicht auf die Produktion von Entscheidungen, sondern auf die Erarbeitung von Wissen und Erkenntnissen ausgerichtet“ (TILLMANN 1991, S. 959). Wissenschaft in Form von Theorie und empirischer Forschung bedeutet nicht in erster Linie Reduktion von Komplexität, sondern Steigerung von Komple-xität durch Aufweisung von Handlungsalternativen und Risiken bei Problemlö-sungen. Aus dieser Differenz von Politik und Wissenschaft resultieren nicht sel-ten Folgeprobleme mit der Konsequenz, Forschung als „praxisfern“ zu diskriminieren. In Wirklichkeit geht es aber darum, Wissenschaft vom Hand-lungsdruck der Praxis zu entlasten, um empirisch belastbare Forschungsergeb-nisse zu erzielen, auf die sich politische Entscheidungen nachhaltig stützen kön-nen. Dies ist der Sinn der Rede davon: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“.

Berufsbildungspolitik und Berufsbildungsfor-schung – unterschiedli-che erkenntnisleitende Interessen

Wissenschaft versus Politik

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

23

1.2 Berufsbildungspolitik im Kontext des Berufsbildungsge-setzes

Gesetzliche Grundlage der Berufsbildung in Deutschland ist das Berufsbildungs-gesetz. Es stammt aus dem Jahre 1969 und wurde zuletzt durch das Berufsbil-dungsreformgesetz (BerBiRefG) vom 23. März 2005 novelliert. Dieses Gesetz ist am 1. April 2005 in Kraft getreten. Wenn im Folgenden von Berufsbildungsgesetz (BBiG) die Rede ist, so ist damit, sofern nichts Genaueres angegeben wird, im-mer das durch das Berufsbildungsreformgesetz 2005 novellierte Berufsbildungs-gesetz (BBiG), in Kraft getreten am 1. April 2005, gemeint. Auf den Inhalt und die Entwicklung dieses Gesetzes wird im vorliegenden Studientext an späterer Stelle näher eingegangen. Hier genügt zunächst der Hinweis, dass das Berufsbil-dungsgesetz das Ergebnis und zugleich die Grundlage berufsbildungspolitischer Entscheidungen ist. An ihm lassen sich Grundzüge dessen, worauf sich Berufs-bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland bezieht, erkennen.

Das Wort ‚Berufsbildungspolitik’ kommt im Berufsbildungsgesetz explizit nicht vor. Ebenso fehlt eine direkte Zielbestimmung für berufsbildungspolitische Entscheidun-gen und Maßnahmen. Allerdings lassen sich bei näherer Analyse durchaus Anhalt-spunkte dafür finden, was nach Auffassung des Gesetzgebers Gegenstand der Be-rufsbildungspolitik zu sein habe und an welchen Zielprioritäten sich die Berufsbildungspolitik zu orientieren hätte. Maßgebend dafür sind § 1 BBiG, der die „Ziele und Begriffe der Berufsbildung“ bestimmt, und § 85 der die „Ziele der Berufs-bildungsplanung“ festlegt.

§ 1 BBiG bildet die Grundlage für das Ordnungssystem der beruflichen Bildung. Das Gesetz beginnt mit einer Legaldefinition des Oberbegriffs „Berufsbildung“:

„Berufsbildung im Sinne des Gesetzes sind die Berufsausbildungsvorbereitung, die Berufs-ausbildung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung.“

Offensichtlich lässt sich der Gesetzgeber von dem Grundsatz leiten, die berufli-che Bildung umfassend zu regeln. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall. Das Be-rufsbildungsgesetz gilt nach § 3 (1) nur für die Berufsbildung, soweit sie nicht in berufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder unterstehen. Außerdem fallen nicht in den Anwendungsbereich des BBiG:

1. die Berufsbildung, die in berufsqualifizierenden oder vergleichbaren Studien-gängen an Hochschulen auf der Grundlage des Hochschulrahmengesetzes und der Hochschulgesetze der Länder durchgeführt wird,

2. die Berufsbildung in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis,

3. die Berufsbildung auf Kauffahrteischiffen, die nach dem Flaggenrechtsgesetz die Bundesflagge führen, soweit es sich nicht um Schiffe der kleinen Hoch-seefischerei oder der Küstenfischerei handelt.

Davon abgesehen, ist für die berufsbildungspolitische Interpretation des BBiG nicht nur wichtig, was im Gesetz explizit zum Ausdruck gebracht wird, sondern auch das, wovon das Gesetz nicht spricht. So fällt beispielsweise auf, dass im BBiG nicht der in der wissenschaftlichen Diskussion gebräuchliche Ausdruck „berufliche Weiterbildung“ vorkommt. Der Grund hierfür ist, dass der Gesetzgeber nur die speziellen Bereiche der beruflichen Fortbildung und Umschulung geregelt wissen will und davon absieht, den weitaus größeren und zunehmend wichtige-ren Bereich der betrieblichen Weiterbildung in den Regelungsbereich des Be-

Berufsbildungsgesetz – Berufsbildungsreform-gesetz

Berufsbildung (§ 1 BBiG) – Grundlage für das Ordnungssystem der beruflichen Bildung

Berufsbildungspolitik

24

rufsbildungsgesetzes einzubeziehen. Implizit geht das BBiG von der ordnungspo-litischen Annahme aus, dass die betriebliche Weiterbildung keiner gesetzlichen Regelung bedürfe.

Die speziellen Bestimmungen über die Berufsausbildungsvorbereitung, die Be-rufsausbildung sowie die berufliche Fortbildung und Umschulung enthalten eine Reihe wichtiger Implikationen. Sie betreffen nicht nur die immanenten Ziele des Berufsbildungssystems, sondern auch diejenigen der Berufsbildungspolitik. Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung der Berufsausbildung auf das Berufsprin-zip. Das BBiG legt fest, dass berufliche Handlungsfähigkeiten in einem anerkann-ten Ausbildungsberuf zu vermitteln seien. Mit dem Berufsprinzip werden berufs-bildungspolitische Leitziele formuliert, die – wie noch auszuführen sein wird – von strukturbildender Bedeutung für das duale Ausbildungssystem in Deutschland sind und die über das nationale Berufsbildungssystem hinaus Markierungspunkte für die deutsche Berufsbildungspolitik im Rahmen der Europäischen Union (EU) prägen.

Weitere Aufschlüsse über berufsbildungspolitische Leitorientierungen lassen sich aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Ziele der Berufsbildungsplanung ableiten. Im § 85 BBiG heißt es:

„(1) Durch die Berufsbildungsplanung sind Grundlagen für eine abgestimmte und den techni-schen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen entsprechende Entwicklung der beruflichen Bildung zu schaffen.

(2) Die Berufsbildungsplanung hat insbesondere dazu beizutragen, dass die Ausbildungsstät-ten nach Art, Zahl und Größe und Standort ein qualitativ und quantitativ ausreichendes Ange-bot an beruflichen Ausbildungsplätzen gewährleisten und dass sie unter Berücksichtigung der voraussehbaren Nachfrage und des langfristig zu erwartenden Bedarfs an Ausbildungsplätzen möglichst günstig genutzt werden.“

Der Gesetzgeber lässt offen, was er unter „Planung“ versteht, welche Akteure und Planungszuständigkeiten in Betracht gezogen werden sollen. Nähere Aus-führungen mit direktem Bezug zur Berufsbildungsplanung gibt es lediglich in den Bestimmungen über den Berufsbildungsbericht (§ 86 BBiG), die Berufsbildungs-statistik (§§ 87, 88 BBiG) und die Aufgabenzuweisung an das Bundesinstitut für Berufsbildung (§ 90 BBiG). Gleichwohl lassen sich im § 85 BBiG durchaus be-rufsbildungspolitisch bedeutsame Zielorientierungen erkennen.

Von der Berufsbildungsplanung zu unterscheiden ist die Berufsbildungsfor-schung. Beide Bereiche stehen in einem engen Zusammenhang zur Berufsbil-dungspolitik, auch wenn es der Gesetzgeber nicht unmittelbar zum Ausdruck bringt. Berufsbildungsplanung und -forschung dienen zunächst der Berufsbil-dungspraxis, indem sie dazu beitragen, Entscheidungen über relevante Sachver-halte des Berufsbildungssystems (zum Beispiel über Maßnahmen zur Verbesse-rung des Ausbildungsstellenangebots) durch wissenschaftliche Daten zu fundieren und in zukunftsweisende Handlungsprogramme zu übersetzen. Eine „Zwitterstellung“ nimmt dabei die Berufsbildungsstatistik ein (vgl. § 87 BBiG). Sie gehört einerseits zum forschungsmethodischen Instrumentarium der Berufsbil-dungsforschung, wird andererseits als Mittel der Berufsbildungsplanung einge-setzt.

Die gesetzliche Bestimmung der Berufsbildungsforschung ist durch die Aufga-benzuweisung nach § 84 BBiG umschrieben. Darin heißt es:

Berufsbildungsplanung (§ 85 BBiG) und berufs-bildungspolitische Impli-kationen

Berufsbildungsforschung (§ 84 BBiG) )m Rahmen der Bildungspolitik der Bundesregierung

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

25

„Die Berufsbildungsforschung soll

1. Grundlagen der Berufsbildung klären,

2. inländische, europäische und internationale Entwicklungen in der Berufsbildung beobach-ten,

3. Anforderungen an Inhalte und Ziele der Berufsbildung ermitteln,

4. Weiterentwicklungen der Berufsbildung in Hinblick auf gewandelte wirtschaftliche, gesell-schaftliche und technische Erfordernisse vorbereiten,

5. Instrumente und Verfahren der Vermittlung von Berufsbildung sowie den Wissens- und Technologietransfer fördern.“

Erstmals werden hiermit die Ziele der Berufsbildungsforschung übergreifend ge-setzlich bestimmt. Bisher war die Berufsbildungsforschung lediglich als gesetzli-che Aufgabe des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in sehr allgemeiner Form durch das Berufsbildungsförderungsgesetz von 1981 geregelt. Offenbar geht der Gesetzgeber (als politischer Akteur) davon aus, dass für die Berufsbil-dungsforschung nicht allein das BIBB zuständig sei. Den Forschungsaufgaben des BIBB zieht der Gesetzgeber mit dem Berufsbildungsgesetz deutliche Gren-zen. Heißt es im § 90 (2) BBiG, das Bundesinstitut für Berufsbildung habe die Aufgabe, „durch wissenschaftliche Forschung zur Berufsbildungsforschung bei-zutragen“, so ist diese Aufgabe begrenzt durch die Vorgabe nach § 90 (1), wo-nach das BIBB seine „Aufgaben im Rahmen der Bildungspolitik der Bundesregie-rung“ durchzuführen habe. Als bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts unterliegt das BIBB nicht nur der formalen Rechtsaufsicht des dafür zuständigen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, vielmehr er-folgt die Durchführung seiner Forschungsaufgaben inhaltlich auf der Grundlage eines jährlichen Forschungsprogramms, das vom Hauptausschuss des Bundes-instituts zu beschließen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zu genehmigen ist.

Aus diesen Regelungen lassen sich für das Verhältnis von Berufsbildungspolitik, Berufsbildungsplanung und Berufsbildungsforschung einige Besonderheiten ab-leiten: Berufsbildungsforschung, Berufsbildungsplanung und Berufsbildungssta-tistik haben im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes eine instrumentelle Funkti-on. Sie sollen im weitesten Sinne dazu beitragen, Berufsbildung zu fördern und Fehlentwicklungen zu verhindern. Die im § 1 BBiG genannten Bereiche der Be-rufsbildung (siehe oben) sind gewissermaßen die gemeinsamen Referenz- oder Bezugspunkte, auf die sich Berufsbildungspolitik, Berufsbildungsplanung und Berufsbildungsforschung arbeitsteilig im Sinne des Berufsbildungsgesetzes be-ziehen. Berufsbildungspolitiker befassen sich mit Entscheidungen über den ge-setzlichen und institutionellen Rahmen der Berufsausbildungsvorbereitung, der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und Umschulung. Über die Ge-setzgebung greifen sie regulativ in das Berufsbildungssystem ein. Demgegenü-ber handelt es sich bei der Berufsbildungsplanung und Berufsbildungsforschung um diejenigen Instanzen, die im Rahmen der Berufsbildungspolitik der Bundes-regierung antizipativ mit der Umsetzung politischer Programme (Planung) bzw. reflexiv und empirisch-analytisch (Forschung) mit der wissenschaftlichen Klärung von Norm- und Sachzusammenhängen der beruflichen Bildung beauftragt sind. Da sich dies im „Rahmen der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung“ zu voll-ziehen hat, bleibt für die gesetzlich geregelte Berufsbildungsforschung des BIBB kaum ein Spielraum dafür, Berufsbildungspolitik, sofern sie nicht mit der Berufs-

Berufsbildungspolitik als Gegenstand der Berufs-bildungsforschung in den Grenzen des Be-rufsbildungsgesetzes

Berufsbildungspolitik

26

bildungspolitik der Bundesregierung kompatibel ist, wissenschaftlich unabhängig zu erforschen.

1.3 Berufsbildungspolitik aus interdisziplinärer Sicht – Theo-rie und Definitionsangebote

Thema des vorangegangen Abschnitts war der Zusammenhang von Berufsbil-dungspolitik, Berufsbildungsplanung und Berufsbildungsforschung nach Maßga-be des Berufsbildungsgesetzes. Es wurde darauf verwiesen, dass die Berufsbil-dungspolitik in der Berufsbildungsforschung des Bundesinstituts für Berufs-bildung nur im engen Rahmen der „Bildungspolitik der Bundesregierung“ Berück-sichtigung findet. Für eine davon unabhängige wissenschaftliche Beobachtung der Berufsbildungspolitik ist dieser Rahmen selbstverständlich viel zu eng ge-setzt. Von erheblicher Bedeutung ist es, die Berufsbildungspolitik der Regierun-gen und der regierungsabhängigen Entscheidungsinstanzen kritisch zu prüfen und die Rahmenbedingungen politischen Handelns in die Berufsbildungsfor-schung einzubeziehen. Hierzu bedarf es eines erweiterten Begriffs der Berufsbil-dungspolitik, der wertneutral und umfassend die wesentlichen Merkmale des mit „Berufsbildungspolitik“ angesprochenen komplexen Sachverhalts erfasst. Der folgende Abschnitt wird dazu in theoretische Grundlagen der Berufsbildungspoli-tik einführen und einen erweiterten Begriff von Berufsbildungspolitik zur Diskussi-on stellen.

Von den wenigen grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten, die sich ausdrück-lich und systematisch mit Berufsbildungspolitik beschäftigen, sollen drei Bücher hervorgehoben werden, an denen sich unterschiedliche Aspekte des wissen-schaftlichen Zugangs zur Berufsbildungspolitik kenntlich machen lassen, und zwar aus berufspädagogischer, sozial- und politikwissenschaftlicher Sicht. Es handelt sich um folgende Texte:

• ERICH DAUENHAUER: Berufsbildungspolitik. Berlin-Heidelberg-New York 1981;

• JOSEF HILBERT, HELMi SÜDMERSEN, HAJO WEBER: Berufsbildungspolitik. Opla-den 1990;

• CLAUS OFFE: Berufsbildungsreform – Eine Fallstudie über Reformpolitik. Frankfurt am Main 1975.

DAUENHAUER charakterisiert Berufsbildungspolitik aus berufspädagogischer Sicht als eine eher nachgelagerte Stellung im Umkreis anderer Politiken. Berufsbil-dungspolitik ist nach Abbildung 1 und den Erläuterungen von DAUENHAUER ein-gebettet in das Werte- und Konfliktenetz der allgemeinen Bildungspolitik, diese wiederum in die allgemeine Politik schlechthin. Als weitere Subsysteme der All-gemeinpolitik nennt DAUENHAUER die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die ihrerseits die Arbeitsmarktpolitik beeinflussen, von der dann wiederum die Berufsbildungs-politik abhängt. Berufsbildungspolitik wurde bereits im Abschnitt 1.1 als „Über-schneidungsbereich“ gekennzeichnet. Aus der Darstellung bei DAUENHAUER geht hervor, dass es sich dabei nicht nur um eine horizontale Politikverflechtung zwi-schen Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik handelt, sondern um vertikale Ab-hängigkeitsverhältnisse. Dies gilt sowohl für das Verhältnis von allgemeiner Bil-dungs- und spezieller Berufsbildungspolitik als auch für den Primat der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gegenüber der Berufsbildungspolitik.

Gründe für einen erwei-terten Ansatz der wis-senschaftlichen Politik-beobachtung

Unterschiedliche Ansät-ze zur wissenschaftli-chen Analyse der Be-rufsbildungspolitik

Der Ansatz von DAUEN-HAUER: Problembereiche und Ungleichgewichte im Berufsbildungssys-tem als Bezugspunkte der Politikanalyse

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

27

Quelle: Dauenhauer, E. (1981), S. 5.

Nachgelagerte Stellung der Berufsbildungspolitikim Umkreis anderer Politiken

Allgemeinpolitik

Wirtschaftspolitik Sozialpolitik Bildungspolitik

Arbeitsmarktpolitik

Berufsbildungspolitik

Abbildung 1

Hierzu einige Beispiele:

• Die Bildungspolitik setzt mit dem Berechtigungssystem Rahmenbedingungen für den Zugang zu Berufskarrieren und regelt, unter welchen Bedingungen Bildungsgänge des Berufsbildungssystems zu anerkannten Abschlüssen als Zugangsvoraussetzung für den Eintritt in das Hochschulsystem führen.

• Die Wirtschaftspolitik setzt Rahmendaten für die gesamtwirtschaftliche Ent-wicklung, von der das Geschehen am Arbeitsmarkt beeinflusst wird und von dem wiederum die Nachfrage nach Art und Menge der beruflichen Qualifika-tionen abhängt, womit es die Berufsbildungspolitik zu tun hat.

• Von der Sozialpolitik schließlich hängt ab, welche finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen, um benachteiligten Personengruppen Chancen beim Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt durch Maßnahmen der Ausbil-dungs- und Weiterbildungsförderung zu eröffnen.

Betrachtet man mit DAUENHAUER als Hauptmerkmal des Politischen „die in Ge-staltungsspielräumen praktizierte Einflussnahme auf die Struktur von Ordnungs-systemen“ (DAUENHAUER 1981, S. 9), so fällt es schwer, der Berufsbildungspolitik ein eigenes Gewicht beizumessen. In allen oben genannten Fällen hat die Be-rufsbildungspolitik eine nachgelagerte Stellung. Ihre Gestaltungsspielräume sind mehr oder weniger stark eingegrenzt durch Vorgaben der Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, die von machtpolitischen Spannungen geprägt sind. DAUEN-HAUER folgt einem Politikverständnis, in dessen Mittelpunkt Konflikte und die Auseinandersetzung um Macht stehen. Dabei würden die inhaltlichen Probleme der Berufsbildungspolitik mehr oder weniger unter den Tisch gekehrt. Diese aber sollten nach DAUENHAUER im Mittelpunkt des berufspädagogischen Erkenntnis-interesses stehen. Dabei konzentriert sich DAUENHAUER auf den Nachweis von

Berufsbildungspolitik

28

Ungleichgewichten bzw. „Gleichgewichtsverfehlungen“ auf den unterschiedlichen Gebieten der Berufsbildungspolitik (Politik beruflicher Lernorte, Curriculumpolitik etc.). Die Berufsbildungspolitik verfehle weitgehend die Herstellung von Gleich-gewichten (zum Beispiel von allgemeiner und beruflicher Bildung, von schuli-schen und betrieblichen Lernorten, von Theorie und Praxis etc.), weil sie an de-ren Lösung inhaltlich nicht interessiert sei. Es ließe sich nicht verdecken, „dass die berufsbildungspolitischen Auseinandersetzungen im Kern ein eher unver-söhnlicher Kampf um Machtvorherrschaft … darstellen“ (DAUENHAUER 1981, S. 10).

Gegen diese Betrachtung bringen HILBERT, SÜDMERSEN und WEBER (1990) aus soziologischer Sicht eine völlig andere Perspektive ins Spiel. Der Untersu-chungsschwerpunkt dieser Autoren liegt nicht auf der Analyse konfliktträchtiger inhaltlicher Fragen der Berufsbildungspolitik und der Durchsetzung politischer Macht im Interesse einzelner Gruppen. Vielmehr untersuchen sie Prozesse der Berufsbildungspolitik unter dem Gesichtspunkt der Aushandlung von Interessen unter der scheinbar paradoxen Prämisse, dass es im höchsten Eigeninteresse der politischen Akteure liege, den eigenen Interessen nicht den höchsten Rang einzuräumen. Ausgangspunkt der Politikanalyse auf dem speziellen Gebiet der Berufsbildungspolitik ist die Beobachtung, dass der Staat als Träger berufsbil-dungspolitischer Entscheidungen Selbstbeschränkungen in Kauf nimmt und da-bei die Handlungsprobleme und Bedürfnisse konkurrierender Interessen – spezi-ell der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände – beachtet, indem er staatlicherseits „Politik durch Verbände“ fördert. In dem Maße, in dem staatliche Instanzen öffentliche Aufgaben an private Verbände abgeben, so die Leitthese des Autorenkollektivs, werde „die klassische ordnungspolitische Dyade von Markt und Staat über die Mitwirkung der als Verband organisierten sozialen Gruppe um einen zusätzlichen Allokationsmechanismus erweitert und damit zur Triade“ (HIL-BERT/SÜDMERSEN/WEBER 1990, S. 18).

Politische Systeme, in denen organisierte Interessengruppen öffentliche Aufga-ben wahrnehmen und im öffentlichen Interesse Autorität gegenüber ihren Mitg-liedern ausüben, werden in der politikwissenschaftlichen Diskussion als „neokor-porativ“ bzw. „neokorporatistisch“ bezeichnet. Diese Bezeichnung knüpft an den älteren Begriff des „Korporatismus“ an. Er bezog sich auf eine nach Ständen ge-gliederte Ordnung der Gesellschaft und bezeichnete die Übertragung öffentlicher Gewalt auf gesellschaftliche Organisationen („Korporationen“). So waren die Zünfte in der mittelalterlichen Ständegesellschaft u. a. für die Regulierung der Lehrlingsausbildung zuständig, woran seit Ende des 19. Jahrhunderts die Über-tragung staatlicher Ordnungsaufgaben auf die neu geschaffenen Handwerks-kammern und später auf die Industrie- und Handelskammern anknüpft. Nach dem Berufsbildungsgesetz von 1969 und ebenso nach dem Berufsbildungsre-formgesetz von 2005 sind die Kammern als Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft und als Körperschaften des öffentlichen Rechts „zuständige Stellen“ für die Berufsbildung. Entscheidendes Gremium ist der Berufsbildungsaus-schuss, dem in paritätischer Zusammensetzung Beauftragte der Arbeitnehmer und Arbeitgeber angehören. Diese am Beispiel der Kammern demonstrierte „Poli-tik durch Verbände“ findet auf allen Ebenen des Berufsbildungssystems statt, so auch auf der Bundesebene, wo die Bundesregierung in freiwilliger Abtretung ihrer Befugnisse den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer maß-gebliche politische Entscheidungen auf dem Gebiet der Entwicklung von Ausbil-dungsordnungen überlässt.

Der Ansatz von Hilbert, SÜDMERSEN und WEBER: Prozesse der Berufspolitik aus neokorporatistischer Sicht

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

29

HILBERT, SÜDMERSEN und WEBER bezeichnen diesen Sachverhalt als „neokorpo-ratistisches Arrangement“. Mit dem Begriff Neokorporatismus ist die Einbindung („Inkorporierung“) von organisierten Interessen in die Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Ausführung von politischen Entscheidungen gemeint (vgl. hierzu auch VOELZKOW 2003, S. 425). Maßgeblich für die neokorporatistische Politikbetrachtung ist, dass sie sich auf den prozessualen Aspekt der Berufsbil-dungspolitik konzentriert und dabei im Unterschied zu einseitig machtpolitischen Analysekonzepten die Funktionalität und Effizienz des paritätischen Ausgleichs berufsbildungspolitischer Interessen durch eine „Politik der Verbände“ hervor-hebt. In der Berufsbildungspolitik wird dieser Ansatz mit dem eher irreführenden Begriff des „Konsensprinzips“ in Verbindung gebracht.

Aus der neokorporatistischen Beobachterperspektive lassen sich interessante Anregungen für die Analyse der Beziehungen von Staat, Arbeitgeber- und Ar-beitnehmerverbänden (Tripartismus) in Bezug auf das bundesrepublikanische System der beruflichen Bildung ableiten. So wird aus dieser Sicht die These ver-treten, dass der – im Vergleich zu staatlichen und verschulten Systemen der Be-rufsausbildung auf der einen Seite und zu marktwirtschaftlichen Systemen der Allokation von Humankapital auf der anderen – relativ gute Erfolg des deutschen Ausbildungssystems wesentlich dem korporativen Steuerungssystem zu verdan-ken sei. Die gemeinsame Verantwortlichkeit von Staat, Gewerkschaften und (Un-ternehmer-)Verbänden sei ein funktionstüchtiger Weg, auf dem man „Marktver-sagen“ in der Berufsbildung begegnen könne, ohne systematisch „Staatsversagen“ zu produzieren (HILBERT/SÜDMERSEN/WEBER 1990, S. 115).

Mit dem politikwissenschaftlichen Analysekonzept von OFFE, um eine dritte Beo-bachterperspektive einzuführen, werden über den machtpolitischen und neokor-poratistischen Ansatz hinaus weiterreichende Aspekte der wissenschaftlichen Analyse von Berufsbildungspolitik zur Diskussion gestellt. Im Mittelpunkt der Un-tersuchung über die Berufsbildungsreform am Beispiel der Entstehung und der Umsetzung des Berufsbildungsgesetzes von 1969 steht die Frage nach den Be-dingungen und der Wirksamkeit staatlicher Steuerungsmethoden. Um diese Fra-ge zu bearbeiten, beschränkt OFFE sich nicht auf die immanente Analyse des berufsbildungspolitischen Steuerungsinstrumentariums, wie es beispielsweise das Berufsbildungsgesetz mit der Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Qualitätssicherung vorsieht. OFFE setzt sich mit der vorgängigen Problematik staatlicher Politik unter den Rahmenbedingungen spät-kapitalistischer Wirtschaftssysteme auseinander. Wenn man den Staat als dieje-nige Instanz auffasse, so OFFE, die durch ihre Gesetzgebung und Politiken die Organisationsmittel für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Interessen – hier auf dem Gebiet der beruflichen Bildung – bereitstelle, dann ergäbe sich daraus sofort die Frage, wovon denn diese Tätigkeit des Staates gesteuert werde.

An späterer Stelle dieses Kursteils wird auf einzelne Aspekte der hier genannten Ansätze wieder zurückgegriffen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die wissen-schaftliche Analyse der Berufsbildungspolitik unter sehr unterschiedlichen Ge-sichtpunkten und auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden kann. So stehen bei DAUENHAUER vor allem inhaltliche Fragen der Berufsbildungspolitik und die Untersuchung von Ungleichgewichten in den unterschiedlichen Berei-chen des Berufsbildungssystems zur Diskussion. Das Erkenntnisinteresse der neokorporatistisch orientierten Politikanalyse bei HILBERT, SÜDMERSEN und WE-BER hingegen richtet sich auf Prozesse und Institutionen, die im Zusammenspiel von Staat und Verbänden auf Probleme des Berufsbildungssystems gerichtet

Der Ansatz von OFFE: Berufsbildungspolitik im Kontext des spätkapita-listischen Interventions-staates

Dimensionen des Politikbegriffs: policy, politics, polity

Berufsbildungspolitik

30

sind, die ohne überbetriebliche, gesamtwirtschaftlich bindende Regelungen ratio-nal nicht lösbar wären. OFFE schließlich betrachtet die Bedingungen der Möglich-keit staatlicher Berufsbildungspolitik aus der Perspektive des gesamtgesellschaft-lichen Systemzusammenhangs, um von dieser Ebene aus den Einsatz politischer Steuerungsmethoden und derer Funktionalität für die einzelnen Gegenstandsbe-reiche der Berufsbildungspolitik (Steuerung von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage, Qualitätssicherung durch Ausbildungsordnungen etc.) einer kritischen Analyse zu unterziehen.

Abstrahiert man von den theoriespezifischen Besonderheiten der hier genannten Autoren, so kann man verallgemeinernd rekapitulieren, dass wissenschaftliche Politikanalysen sich auf drei Dimensionen politischen Handelns beziehen:

• auf die inhaltlichen Probleme der unterschiedlichen Politikbereiche (der Wirt-schafts-, Sozial- und Bildungspolitik und darunter subsumiert der Berufsbil-dungspolitik),

• auf die Prozeduren und institutionellen Arrangements politischen Handelns und

• auf die konstitutionellen (zum Beispiel verfassungsrechtlichen, ökonomi-schen, sozialen) Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Politikpro-zesse in den unterschiedlichen Politikbereichen vollziehen.

Diese Dimensionierung entspricht der begrifflichen Differenzierung, wie sie im Englischen mit der sprachlichen Unterscheidung nach policies, politics und polity zum Ausdruck gebracht wird und auch Eingang in die deutschsprachige politik-wissenschaftliche Literatur gefunden hat (vgl. MEYER 2000, PILZ/ORTWEIN 1995, ROHE 1994). Der allgemeine Politikbegriff umfasst in dieser Terminologie (vgl. PILZ/ORTWEIN 1995, S. 6):

• die Inhalte und Problembereiche, die Gegenstand politischer Programme, Vereinbarungen und Auseinandersetzungen sind und auf die sich politisches Handeln bezieht (policies),

• die Prozesse, in denen eine Vielzahl von Akteuren politisch agiert (politics) und

• die Formen und Strukturen, in denen Politik abläuft (polity).

Mit Hilfe dieser terminologischen Unterscheidungen lässt sich der Begriff „Be-rufsbildungspolitik“ wertneutral und für analytische Zwecke umfassend wie folgt einführen:

Berufsbildungspolitik wird hier verstanden als ein auf Ordnungs- und Gestal-tungsprobleme der Berufsbildung fachlich spezialisierter Politikbereich. Sie be-zieht sich auf die in betrieblichen und außerbetrieblichen (zum Beispiel schuli-schen) Lernorten organisierte berufliche Bildung im Sinne der Berufs-(ausbildungs)vorbereitung, der beruflichen Erstausbildung und der beruflichen Weiterbildung (‚Policy’-Aspekt). Berufsbildungspolitik ist Teil des gesellschaftli-chen und durch die Verfassung geregelten Ordnungszusammenhangs (‚Polity’-Aspekt), innerhalb dessen staatliche und nicht-hoheitliche Entscheidungsträger durch Einsatz von Mitteln politischer Macht und/oder mit Hilfe konsensorientier-ter Verhandlungssysteme Entscheidungen mit kollektiv bindender Wirkung her-zustellen, zu erhalten oder zu beeinflussen versuchen (‚Politics’-Aspekt). In allen

Definition des Begriffs ‚Berufsbildungspolitik’

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

31

diesen Dimensionen sind nationale, supranationale und internationale Aspekte der Berufsbildungspolitik enthalten.

Definitionen sollten Gütekriterien genügen, die sich als Konventionen des wis-senschaftlichen Sprachgebrauchs bewährt haben. Dazu gehören insbesondere: Wertneutralität, Konsistenz, Angemessenheit sowie Verallgemeinerbarkeit und Anschlussfähigkeit. Wie ist es damit bei der hier eingeführten Definition des Be-griffs „Berufsbildungspolitik“ bestellt?

• Intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Grundlegende Voraussetzung einer wis-senschaftlichen Definition ist, dass die darin enthaltenen Begriffe und Aus-sagen prinzipiell nachvollziehbar und prüfbar sind. Dies kann je nach Komp-lexität der Vorstellungs- und Begriffsinhalte sowie je nach dem bereits vereinbarten Gebrauch und dem Zweck der Zeichenverwendung auf unter-schiedliche Weise geschehen. Zum Beispiel dadurch, dass die einzelnen Vorstellungsmerkmale, die mit einem bestimmten Begriff (zum Beispiel ‚Be-rufsbildungspolitik’) verbunden werden sollen, nach unterschiedlichen Aspek-ten ausdifferenziert (zum Beispiel Policy-, Politics- und Polity-Aspekt) und diese Aspekte dann wiederum mit Hilfe bereits bekannter sprachlicher Aus-drücke näher bestimmt werden.

• Wertneutralität: Der Begriff ‚Berufsbildungspolitik’ ist wertneutral definiert. Po-litik hat es zwar mit Normen und Werten zu tun. Insofern sind Werte und Normen auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, zum Beispiel im Rahmen empirischer Erhebungen (Beispiel: Von welchen Wertorientierun-gen gehen die Akteure politischen Handelns aus?) und theoretisch-systematischer Analysen (Beispiel: Sind die in der politischen Diskussion ver-tretenen Wertvorstellungen in sich konsistent?). Die dabei verwendeten Be-griffe sollten jedoch nicht wertgeladen und von normativen Vorstellungen des Verfassers geprägt sein. Subjektive „Wertungen“ entziehen sich der wissen-schaftlichen Beurteilung und erschweren die intersubjektive Verständigung. Deshalb wird bei der hier eingeführten Definition auf politische Zielvorgaben verzichtet.

• Konsistenz: Die Definition eines Begriffes muss in sich stimmig sein und darf keine (logischen) Widersprüche aufweisen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von Ober- und Unterbegriffen. Der Begriff „Berufsbildungspolitik“ ist in der hier eingeführten Definition abgestimmt auf den allgemeinen Politik-begriff und mit diesem systematisch kompatibel.

• Angemessenheit: Definitionen müssen den Gegenstandsbereich, den sie be-stimmen sollen, hinsichtlich des Begriffsumfangs und der begriffskonstituie-renden Merkmale zutreffend charakterisieren. Häufig werden bei der Definiti-on des Politikbegriffs nur einzelne Aspekte oder Bereiche hervorgehoben (zum Beispiel die durch das Berufsbildungsgesetz geregelte betriebliche Be-rufsausbildung), andere vernachlässigt (zum Beispiel die Berufsausbildung in landesrechtlich geregelten beruflichen Bildungsgängen). Das verführt dazu, dass man den jeweils für sich betrachteten Teil für das Ganze hält. Der hier eingeführte Begriff von Berufsbildungspolitik schließt sämtliche Dimensionen des allgemeinen Politikbegriffs (policies, politics, polity) ein. Es wird ein ganz-heitlicher, aber in sich differenzierter Begriff von Berufsbildungspolitik angest-rebt, um die Zusammenhänge von Politikinhalten, Prozessen und Rahmen-bedingen deutlich hervortreten zu lassen. Vielfach wird der Begriff „Politik“ mit staatlicher Politik gleich gesetzt oder auf Macht reduziert. Dies wird der

Wissenschaftspropädeu-tische Anmerkungen zur Definition des Begriffs ‚Berufsbildungspolitik’

Berufsbildungspolitik

32

Komplexität und den Besonderheiten der Berufsbildungspolitik nicht gerecht. Was die Angemessenheit des Begriffsumfangs und der einzelnen Kompo-nenten einer Definition betrifft, so gibt es dafür keine verbindlichen Regeln. Hierbei kommt es nicht zuletzt auch auf die Zweckmäßigkeit (zum Beispiel im Rahmen von Forschungsprojekten) an, wobei allerdings auf Anschlussfähig-keit und Verallgemeinerungsfähig zu achten ist.

• Verallgemeinerungs- und Anschlussfähigkeit: Nach herkömmlichen Definiti-onsregeln sollten Begriffe nicht zu eng und nicht zu weit gefasst sein. Ein sol-ches Kriterium ist wegen der Relativität der Merkmale „zu eng“ und „zu weit“ wenig hilfreich. Wichtig ist, dass Begriffe nicht in „definitorische Sackgassen“ führen. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn sie nicht an den wissen-schaftlichen Diskurs und an verallgemeinerungsfähige Theorien anschließen. Die hier eingeführte Definition integriert Begriffselemente aus der Theorie so-zialer Systeme nach NIKLAS LUHMANN, einem Systemtheoretiker von interna-tionaler Bedeutung. Nach LUHMANN (1972, S. 160 ff.) sind „politische Syste-me“ funktional auf die Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen (zum Beispiel in Form von Gesetzen) spezialisiert. Hieran knüpft die oben eingeführte Definition direkt an. Der Begriff des „politischen Systems“ ist hierbei nicht gleichzusetzen mit staatlicher Machtausübung sei-tens der dadurch legitimierten staatlichen Entscheidungsträger (Parlament, Regierung etc.). Wie aus neokorporatistischer Sicht dargelegt wurde, voll-zieht sich Politik im Zusammenspiel von staatlichen und nicht-staatlichen Ak-teuren. Im Bereich der Berufsbildungspolitik sind dies insbesondere die Wirt-schafts- und Unternehmensverbände und die Gewerkschaften. Ohne Berücksichtigung dieser Zusammenhänge wäre der hier eingeführte Begriff von Berufsbildungspolitik weder angemessen noch anschlussfähig.

Die inhaltliche Ausdifferenzierung der Berufsbildungspolitik (policies) kann selbstverständlich nach unterschiedlichen Systematisierungsgesichtspunkten erfolgen, so zum Beispiel nach Politikbereichen, die sich auf die Berufs(aus-bildungs)vorbereitung, die berufliche Erstausbildung und die berufliche Weiterbil-dung beziehen. Eine andere Möglichkeit der Dimensionierung und Differenzie-rung sieht Abbildung 2 vor.

1 Berufsbildungspolitik – Problemaspekte und Analysekonzepte

33

Berufsbildungspolitik(policies: Politikbereiche)

nationale Berufsbildungspolitik

internationale Berufsbildungspolitik

Markt-politik

Ordnungs-politik

Struktur-politik

Berufs-bildungs-politik im Rahmen der EU

Bilaterale Berufs-

bildungs-politik

Berufsbildungs-entwicklungs-

hilfe

Quelle: Eigene Darstellung.

Bereiche der Berufsbildungspolitik

Abbildung 2

Erläuterungen zur Abbildung 2: Staatliche Interventionspolitik setzt dort ein, wo als Folge bestimmter Problemlagen (zum Beispiel des Defizits an Ausbildungs-platzangeboten bzw. des Mangels an Ausbildungsplatzbewerbern) die Reputati-on des Staates und dessen Handlungsfähigkeit ernsthaft und nachhaltig in Frage gestellt werden. Unter diesem Gesichtspunkt wurde der beruflichen Erstausbil-dung in der Vergangenheit und wird dieser auch heute noch eine besondere Priorität eingeräumt, und zwar insbesondere auf den Gebieten der Ausbildungs-ordnungspolitik und der Ausbildungsmarktpolitik. Angesichts der besonders dra-matischen Entwicklungen sowohl bei der Ausbildungsversorgung Jugendlicher als auch bei der Sicherstellung des Fachkräftenachwuchses in Teilbereichen des Beschäftigungssystems gewinnen die Strukturpolitik unter Einbeziehung der be-ruflichen Weiterbildung und auch Ansätze der Reformpolitik an Bedeutung, die auf eine Veränderung der bisherigen Grundlagen abzielen. Unter Systematisie-rungsaspekten lassen sich – analog zur Typologie der Wirtschaftspolitik bei TIN-BERGEN (1968) – folgende Ansätze der Berufsbildungspolitik unterscheiden:

• quantitative Politik bei gegebener Struktur des beruflichen Bildungssystems: Interventionen in den Ausbildungsstellenmarkt, zum Beispiel durch politische Ausbildungsappelle, Bereitstellung marktkompensatorischer bzw. subsidiärer Ausbildungsangebote in Form berufsvorbereitender Maßnahmen, finanzielle Ausbildungsanreize für Ausbildungsbetriebe und individuelle Förderungs-maßnahmen für potenzielle Ausbildungsplatzbewerber;

• qualitative Politik bei gegebenen Grundlagen des beruflichen Bildungssys-tems: Veränderung von Strukturmerkmalen und -eigenschaften im Rahmen des bestehenden Berufsbildungssystems, zum Beispiel durch Neuordnung bestehender und Einführung neuer Ausbildungsberufe;

• Strukturreformpolitik als Veränderung der Grundlagen des beruflichen Bil-dungssystems: zum Beispiel Aufhebung und Integration der getrennten Bil-

Gegenstandsbereiche der Berufsbildungspolitik

Berufsbildungspolitik

34

dungssysteme, Entberuflichung der Berufsausbildung durch modularisierte Qualifizierungsformen.

Die Analyse der Berufsbildungspolitik kann sich auf ein „geschlossenes“ oder ein „offenes“ Bildungssystem beziehen; dementsprechend ist die Systematik der Politikbereiche um die internationalen Beziehungen zu ergänzen.

Der Kursteil behandelt – wie eingangs angekündigt – nach Darlegung der be-rufsbildungspolitisch relevanten Rahmenbedingungen (verfassungsrechtliche Grundlagen, Entwicklung des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutsch-land) zunächst die wichtigsten Bereiche der nationalen Berufsbildungspolitik (be-rufliche Erstausbildung, berufliche Weiterbildung, Berufsvorbereitung). Anschlie-ßend wird die Berufsbildungspolitik der Europäischen Union im Hinblick auf ihre Bedeutung für die nationale Berufsbildungspolitik erörtert. Das Schlusskapitel widmet sich Problemen der Strukturreformpolitik angesichts der schwerwiegen-den Funktionsstörungen des Berufsbildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland und der Frage nach dem Entwicklungspfad der künftigen Berufsbil-dungspolitik. Als Anstoß zur kritischen Reflexion und Diskussion werden Thesen vorgetragen, die für eine Pluralisierung des Ausbildungssystems im Interesse einer größtmöglichen Ausschöpfung vorhandener Ressourcen zur Berufsbildung Jugendlicher plädieren. Hierbei werden Vergleiche mit Reformentwicklungen in England und den Niederlanden in die Betrachtung einbezogen. Bei aller Unter-schiedlichkeit der Berufsbildungssysteme innerhalb der EU zeichnet sich euro-paweit eine Übereinstimmung hinsichtlich der folgenden Leitziele ab:

• Entwicklung und Förderung der individuellen Selbstständigkeit und der Fähigkeit, am Leben in der Gesellschaft aktiv teilhaben zu können,

• Sicherung der Humanressourcen der Gesellschaft unter besonderer Berücksichti-gung der hierzu erforderlichen beruflichen Kompetenzen,

• Gewährleistung gleicher Rechte und Chancen beim Zugang zu den beruflichen Bildungsangeboten und bei der Wahrnehmung beruflicher Bildungskarrieren auf allen Stufen der beruflichen Aus- und Weiterbildung im Rahmen eines bis in den Hochschulbereich durchlässigen Bildungssystems.

2 Verfassungsrechtliche Grundlagen und politische Rahmenbedingungen der Berufsbildungspolitik in Deutschland

35

2 Verfassungsrechtliche Grundlagen und politische Rahmenbedingungen der Berufsbildungspolitik in Deutschland

Politik vollzieht sich stets innerhalb eines gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Handlungsrahmens. Dazu gehören auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen des politischen Systems. Diese unterliegen zwar historischen Verän-derungen, stehen aber nicht beliebig und zu jeder Zeit zur Disposition, wenn überhaupt Politik ermöglicht werden soll. Das ist im weitesten Sinne mit dem Poli-ty-Aspekt als Komponente der hier eingeführten Definition von Berufsbildungs-politik (Abschnitt 1.3) gemeint. Der Begriff Polity bezieht sich auf grundlegende Strukturen und Formen, auf Verfassungsgrundlagen und das durch die Verfas-sung legitimierte System staatlicher Organisationsmittel. Dies sind insbesondere die Mittel der Gesetzgebung und der Gerichtsbarkeit sowie die Gestaltungsmittel der Exekutive (zum Beispiel die Möglichkeit, mittels Rechtsverordnungen den politischen Willen der Regierung als unmittelbar geltendes Recht durchsetzen zu können, wovon zum Beispiel bei der Ordnung der Ausbildungsberufe Gebrauch gemacht wird). Eine wichtige Polity-Dimension sind schließlich die internationalen Beziehungen, soweit sie für die Berufsbildungspolitik maßgeblich sind. Hervorzu-heben ist die europäische Zusammenarbeit, wie sie sich seit den Römischen Verträgen und der Gründung der EWG (EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSGEMEIN-SCHAFT, 1957) über die Weiterentwicklung zur EG (EUROPÄISCHE GEMEINSCHAF-TEN, 1965) bis hin zur Unterzeichnung des EU-Vertrags (EUROPÄISCHE UNION, 1992) als Prozess fortschreitender Integration abzeichnet (siehe hierzu Kapitel 7).

Nach Art. 20 des Grundgesetzes (GG) ist die Bundesrepublik ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und wird durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Recht-sprechung ausgeübt. Dabei sind die Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Es handelt sich hierbei um die tragenden Grundsätze des Staatsauf-baus für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BEYME 1991; HESSELBERGER 2003; ANDERSEN/WOYKE 2003). Sie betreffen, gleichsam als „Verfassung in Kurz-form“

• die Entscheidung für den föderativen Bundesstaat,

• die Entscheidung für die demokratische Republik,

• die Entscheidung für den Sozialstaat,

• die Entscheidung für die Gewaltenteilung und

• die Entscheidung für den Rechtsstaat.

Artikel 79 (3) GG legt fest, dass eine Änderung des Grundgesetzes, durch wel-che die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung berührt werden, unzulässig ist. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen des föderalen Systems sowie deren Zuständigkei-ten an gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen angepasst werden können und müssen. So wurde mit Gesetzbeschluss des Bundestages zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.06.2006 und der Zustimmung des

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Verfassungsrechtliche Grundlagen des Berufs-bildungssystems und der Berufsbildungspolitik

Berufsbildungspolitik

36

Bundesrats vom 07. Juli 2006 eine umfassende Änderung der Gesetzgebungs-kompetenzen von Bund und Ländern vorgenommen, mit der die politischen Ver-antwortlichkeiten in Zukunft deutlicher zugeordnet werden können.

Hiervon ist insbesondere auch die Bildungspolitik betroffen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass für den Bereich der Berufsbildung besondere Bedin-gungen gelten. So bindet die Entscheidung für den föderativen Bundesstaat die Berufsbildungspolitik, die Zuständigkeit („Kulturhoheit“) der Länder für den (be-rufs)schulischen Bereich zu beachten, während die betriebliche Berufsausbildung bundeseinheitlich durch Ausbildungsordnungen als Rechtsverordnungen der zu-ständigen Bundesministerien geregelt wird. Dies führt einerseits zu erheblichen Problemen der Abstimmung bei der Regelung der schulischen und betrieblichen Berufsausbildung. Andererseits eröffnete Art. 91b GG bisher Gestaltungsspiel-räume der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Bildungsplanung und der Förderung von Einrichtungen, zum Beispiel durch Mo-dellversuche zur Modernisierung der beruflichen Bildung mit Hilfe der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschung (BLK). Als Ergebnis der Arbeiten der Förderalismuskommission sind Bund und Länder im politischen Vor-feld der Grundgesetzänderung von 2006 darin übereingekommen, derartige Ini-tiativen im schulischen Bereich der Berufsbildung künftig allein durch die Länder zu fördern.

Zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten, die aus dem föderativen System der Bundesrepublik Deutschland resultieren, wurden für die Zusammenarbeit zwi-schen Bund und Ländern in der Vergangenheit eigene Strukturen und Prozedu-ren entwickelt und institutionalisiert, so etwa bei der Abstimmung von Ausbil-dungsordnungen für die betriebliche Berufsausbildung durch Rechtsverord-nungen des Bundes und Rahmenlehrplänen für den Berufsschulunterricht durch Vereinbarungen der Kultusminister und -senatoren der Länder im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK, siehe Abschnitt 4.1.4.2). Solche Formen der Bund-Länder-Politikverflechtung („kooperativer Föderalismus“) gehören ebenso zu den Rahmenbedingungen berufsbildungspolitischen Handelns wie die kompli-zierten Strukturen der Staat-Verbände-Beziehungen, innerhalb derer die inhaltli-chen Probleme der Berufsbildungspolitik verhandelt werden und die Prozesse des „policy making“ ablaufen. Wie bereits im ersten Teil dieses Kursteils ange-deutet wurde, sind in diesem Zusammenhang neokorporatistische Arrangements für die Berufsbildungspolitik von besonderer Bedeutung. Es handelt sich dabei um jenen Typus von Staat-Verbände-Beziehungen, der durch eine institutionali-sierte oder freiwillige Beteiligung von Verbänden (insbesondere von Arbeitgeber-organisationen und Gewerkschaften) an der Formulierung und Umsetzung staat-licher Politik gekennzeichnet ist. Berufsbildungspolitik reduziert sich nicht auf Mehrheitsentscheidungen von Verfassungsorganen, auch nicht auf Entscheidun-gen durch Bundes- und Länderregierungen, sondern findet statt im Rahmen ver-netzter Entscheidungssysteme, zu deren Unterstützung der Staat eigene, auch non-formale Rahmenbedingungen arrangiert. Ein typisches Beispiel hierfür ist der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs (Ausbildungspakt)“ zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-schaft aus dem Jahr 2004. Zweck dieses Pakts ist es, die Verbesserung des An-gebots an Ausbildungsstellen durch politische Verhandlungen und Absprachen anzustreben und damit eine – möglicherweise kontraproduktive – gesetzliche Regelung zur Ausbildungsabgabe (Berufsausbildungssicherungsgesetz) zu ver-meiden.

Politikverflechtung: Kooperativer Föderalis-mus und Staat-Verbände-Beziehungen

2 Verfassungsrechtliche Grundlagen und politische Rahmenbedingungen der Berufsbildungspolitik in Deutschland

37

Verflechtungen im Rahmen von Bund-Länder-Beziehungen und Staat-Verbände-Arrangements prägen maßgeblich den Alltag der Berufsbildungspolitik. Hinzu-kommen die informellen Kontakte zwischen den Akteuren der Politik, die im Hin-tergrund die Voraussetzungen für das Zustandekommen politischer Lösungen schaffen. In der politikwissenschaftlichen Diskussion hat sich dafür der Begriff der „Politik-Arena“ etabliert. Es ist sinnvoll, sich diesen Begriff im Plural vorzustellen. Denn die Verbindung von formalen Prozeduren und non-formalen Kommunikati-onsstrukturen, innerhalb derer sich die Konflikt- und Konsensbildungsprozesse der politischen50

Akteure formieren, unterliegt in den unterschiedlichen Politikfeldern ständigen Veränderungen. Es handelt sich bei den Politik-Arenen um informelle dynami-sche Systeme, die durch ein hohes Maß an pragmatischer Flexibilität gekenn-zeichnet sind. Im Begriff der Politik-Arena spiegelt sich der komplexe Zusam-menhang von formalen und non-fomalen Prozeduren, von institutionellen Strukturen und politisch handlungsrelevanten Akteuren wider, und zwar unter Berücksichtigung der jeweiligen zentralen und dezentralen Politikumwelten. So haben es berufsbildungspolitische Arrangements auf der zentralen Ebene des Bundes mit Bundesministerien sowie Spitzenorganisationen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer zu tun. Sie sind gekennzeichnet durch eine „Kultur hauptberuflicher Funktionäre“. Die auf dieser Ebene zu treffenden berufsbildungspolitischen Ent-scheidungen, zum Beispiel über Gesetze und Rechtsverordnungen zur Ordnung und Finanzierung der beruflichen Bildung, stehen unter dem Anspruch der Ver-allgemeinerbarkeit gesetzlicher Bestimmungen in Bezug auf das gesamte Bun-desgebiet. Dem gegenüber zeichnen sich Politikprozesse auf der regionale Ebe-ne durch engere persönliche Kontakte sowie durch die Nähe zu den Adressaten politischer Entscheidungen (Betrieben, beruflichen Schulen etc.) aus. Berufsbil-dungspolitische Akteure auf der regionalen Ebene müssen einerseits vorgeord-nete Entscheidungen der zentralen Ebene beachten und diese umsetzen, ande-rerseits sind sie es, die aufgrund ihrer Nähe zur Praxis am frühesten und unmittelbarsten mit den Problemen der Berufsbildungspraxis konfrontiert sind und darauf mit Reformansprüchen reagieren. Dies wiederum kann dazu beitra-gen, über die Interessenwahrnehmung der Verbände Einfluss auf zentrale Ent-scheidungsinstanzen auszuüben.

Mit der Unterscheidung zwischen zentralen und dezentralen Politikprozessen ist ein wichtiger Aspekt neuerer Politik-Analysen benannt, nämlich das Konzept der Mehrebenen-Analyse. Mit Hilfe dieses Konzepts lässt sich der Bedingungsrah-men der Berufsbildungspolitik differenzierter beschreiben als dies, wie häufig üblich, bei der Fokussierung auf formale Strukturen der zentralen Politik-Arena auf der Bundesebene der Berufsbildungspolitik der Fall ist. Hierbei wird nicht nur die Interdependenz zwischen EU und Bund vernachlässigt, sondern auch die Verbindung zur regionalen Ebene außer Acht gelassen (vgl. HÖVELS/KUTSCHA 2001). Dies wiegt umso schwerer, als hierbei nicht nur Fragen der politischen Steuerung zur Debatte stehen. Aus Sicht der Mehrebenen-Analyse ist die Art und Weise, wie die politische Steuerung auf den einzelnen Ebenen und zwischen den Ebenen geregelt wird – von oben nach unten (top-down) oder von unten nach oben (bottom-up) – untrennbar mit der Problematik demokratischer Legitimation politischer Entscheidungen verknüpft (vgl. HUGET 2002).

Die Forderung nach Regionalisierung steht damit ebenso im Zusammenhang wie die Bemühungen, die Potenziale der Regionen durch verstärkte Vernetzung der regionalen Akteure intensiver zu nutzen. In der berufsbildungspolitischen Diskus-

Entgrenzung institutio-neller Strukturen: Politik-Arenen und politische Netzwerke

Berufsbildungspolitik

38

sion ist hierfür die Leitidee der „lernenden Region“ entwickelt worden. Damit un-trennbar verbunden ist die Vorstellung, neue Formen der politischen Zusammen-arbeit unter Einbeziehung aller relevanten Akteure der regionalen Politik-Arena zu entwickeln und nachhaltig zu festigen. Dahinter steht die Erwartung, die ver-schärften Probleme auf den regionalen Ausbildungsmärkten und die Versorgung von benachteiligten Personengruppen bewältigen zu können.

Ob die damit verbundenen Hoffnungen realistisch sind, ist umstritten. Als Fazit festzuhalten bleibt jedoch, dass eine sachgerechte Analyse der Berufsbildungs-politik den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen muss. Davon ist die Politikanalyse und deren Begrifflichkeit nicht unberührt geblieben. Von be-sonderer Bedeutung der wissenschaftlichen Polity-Analyse in Bezug auf die Be-rufsbildungspolitik sind vor allen Dingen folgende Aspekte und Konzepte:

• die verfassungsrechtliche Verbindlichkeit der föderalen Zuständigkeiten des Bundes für die betriebliche Berufsbildung und der Länder für den Unterricht an berufsbildenden Schulen (Dualität von Bundes- und Länderkompetenzen auf dem Gebiet der beruflichen Bildung),

• die Einschränkung bislang praktizierter Möglichkeiten, im Rahmen des föde-ralen Systems zwischen Bund und Ländern kooperieren zu können (Bund-Länder-Politikverflechtung, kooperativer Föderalismus),

• die Bedeutung der Staat-Verbände-Beziehungen in Form konsensorientierter Politikstrategien staatlicher und sozialpartnerschaftlicher Akteure (neokorpo-ratistischer Tripartismus),

• die „Entgrenzung“ von formalen und damit die Zuwendung zu non-formalen Strukturen auf allen Ebenen der Berufsbildungspolitik (Betrachtung politischer Prozesse als Politik-Arenen),

• jenseits formaler Organigramme der Politikanalyse: die Entdeckung regiona-ler Vernetzungspotenziale unter Einbeziehung der regional relevanten Akteu-re (regionale Netzwerke, lernende Regionen).

Aspekte der Politikana-lyse

3 Bildungssystem und bildungspolitische Entwicklungen in Deutschland

39

3 Bildungssystem und bildungspolitische Entwick-lungen in Deutschland

Als strukturkonstituierendes Merkmal des Bildungssystems in Deutschland gilt die Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Sie wird bei historischer Betrachtung in engen Zusammenhang gebracht mit den Ideen der neuhumanisti-schen Bildungstheoretiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts, insbesondere den Schulplänen Wilhelm VON HUMBOLDTs (vgl. KUTSCHA 2003a). HUMBOLDT (1809) plädierte für eine strikte Trennung von allgemeiner und spezieller Bildung. Letzte-re sollte nach abgeschlossenem allgemeinem Unterricht erworben werden. HUM-BOLDTs Plan für das nationale Bildungswesen sah eine gesamtschulartige Struk-tur mit den „natürlichen Stadien“ des Elementar-, Schul- und Universitäts-unterrichts vor. Diese Konzeption ließ sich in der ständisch orientierten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts nicht durchsetzen (vgl. HERRLITZ/HOPF/TITZE 2005, S. 33 ff.). Stattdessen bildete sich eine dreisäulige Struktur des niederen, mittleren und höheren Schulwesens heraus (JEISMANN/LUNDGREEN 1987; MÜL-LER 1977). Übertrittsmöglichkeiten von der Volksschule in die höheren Lehrans-talten waren so gut wie ausgeschlossen.

Die Volksschule entließ ihre Schüler in der Regel entweder direkt in die Arbeit oder in die betriebliche Lehre. Letztere wurde ergänzt durch den Unterricht der Fortbildungsschule, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich zur Teil-zeit-Pflichtberufsschule mit folgenden Strukturmerkmalen entwickelte:

• Konzentration auf den Beruf (nach Lehr- bzw. Ausbildungsberufen differen-zierte, aufsteigende Fachklassen),

• Teilzeitform (früher in der Regel 4 bis 6 Stunden wöchentlich ergänzend zur betrieblichen Lehre) und

• gesetzliche Berufsschulpflicht (bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, und zwar unabhängig davon, ob ein betriebliches Ausbildungsverhältnis besteht oder nicht).

Die Grundstruktur des gegliederten Bildungssystems blieb über das Kriegsende 1945 hinaus erhalten und hatte nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) hier weiterhin Bestand. Grundlage ist das so genannte „Hamburger Ab-kommen“ der Ministerpräsidenten der Länder von 1964. Dieses Abkommen ist auch verbindlicher Bestandteil des Vertrags über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag vom 31. August 1990) und gilt bis heute. Das „Hamburger Abkommen“ bestätigte einerseits die Struktur des nach Abschlüssen hierarchisch gegliederten, zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung institu-tionell getrennten Schulwesens, ermöglichte andererseits innerhalb dieser Struk-tur Reformen mit dem Ziel größerer Durchlässigkeit zwischen den Schularten und -stufen des allgemeinen und beruflichen Schulwesens, wie sie insbesondere durch die Empfehlungen und Gutachten des DEUTSCHEN BILDUNGSRATS (1970; 1974) angeregt wurde (vgl. hierzu: ANWEILER U. A. 1992; FRIEDEBURG 1989).

Strukturmerkmal des Bildungssystems

Berufsbildungspolitik

40

Abbildung 3

„Anmerkungen

Schematisierte Darstellung des Bildungswesens. Die Abbildung des Sekundarbereichs orien-tiert sich an der Verteilung der Schülerzahlen in der Jahrgangsstufe 8 für das Jahr 2002 im Bundesdurchschnitt: Hauptschule 22,8 %, Realschule 24,5 %, Gymnasium 29,6 %, integrierte Gesamtschule 8,7 %.

Die Durchlässigkeit zwischen den Schularten und die Anerkennung der Schulabschlüsse ist bei Erfüllung der zwischen den Ländern vereinbarten Voraussetzungen grundsätzlich gewähr-leistet. Die Dauer der Vollzeitschulpflicht (allgemeine Schulpflicht) beträgt 9 Jahre, in 4 Län-dern 10 Jahre, und die anschließende Teilzeitschulpflicht (Berufsschulpflicht) 3 Jahre.

Quelle: In Anlehnung an: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2005).

BERUFSVORBEREITUNGBerufsvorbereitungsjahr (BVJ) Berufsvorb. Bildungsmaßnah-men

Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik

3 Bildungssystem und bildungspolitische Entwicklungen in Deutschland

41

1 In einigen Ländern bestehen besondere Formen des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule (Vorklassen, Schulkindergärten). In Berlin und Brandenburg umfasst die Grund-schule 6 Jahrgangsstufen.

2 Beschulung von Menschen mit Behinderungen entsprechend den Behinderungsarten in Sonderformen der allgemein bildenden und beruflichen Schulen, teilweise auch integrativ zu-sammen mit Nichtbehinderten. Schulbezeichnung nach Landesrecht unterschiedlich (Sonder-schule / Schule für Behinderte / Förderschule).

3 Die Jahrgangsstufen 5 und 6 bilden unabhängig von ihrer organisatorischen Zuordnung eine Phase besonderer Förderung, Beobachtung und Orientierung über den weiteren Bildung-sgang mit seinen fachlichen Schwerpunkten.

4 Die Bildungsgänge der Hauptschule und der Realschule werden auch an Schularten mit mehreren Bildungsgängen mit nach Ländern unterschiedlichen Bezeichnungen angeboten. Hierzu zählen die Mittelschule (Sachsen), Regelschule (Thüringen), Sekundarschule (Bre-men, Sachsen-Anhalt), Erweiterte Realschule (Saarland), Integrierte Haupt- und Realschule (Hamburg), Verbundene Haupt- und Realschule (Hessen) und Regionale Schule (Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern) sowie die Gesamtschule.

5 Der Bildungsgang des Gymnasiums wird auch an Gesamtschulen angeboten. In der koope-rativen Gesamtschule sind drei Bildungsgänge (der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums) pädagogisch und organisatorisch zusammengefasst, in der integrierten Ge-samtschule bilden sie eine pädagogische und organisatorische Einheit. Die Einrichtung von Gesamtschulen ist nach dem Schulrecht der Länder unterschiedlich geregelt.

6 Die allgemein bildenden Schulabschlüsse nach Jahrgangsstufe 9 und 10 tragen in einzel-nen Ländern besondere Bezeichnungen. Der nachträgliche Erwerb dieser Abschlüsse an Abendschulen und beruflichen Schulen ist möglich.

7 Zugangsvoraussetzung ist die formelle Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstu-fe, die in der Regel nach Jahrgangsstufe 10 erworben wird. Der Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife erfolgt zur Zeit in den meisten Ländern noch nach Jahrgangsstufe 13 (9-jähriges Gymnasium). Gegenwärtig findet jedoch in den meisten Ländern die Umstellung auf das 8-jährige Gymnasium statt, in dem die Allgemeine Hochschulreife bereits nach Jahr-gangsstufe 12 erworben wird. Einige Länder haben die Umstellung auf das 8-jährige Gymna-sium bereits vorgenommen.

8 Die Berufsoberschule besteht bisher nur in einigen Ländern und bietet Absolventen mit Mitt-lerem Schulabschluss und abgeschlossener Berufsausbildung bzw. fünfjähriger Berufstätig-keit die Möglichkeit zum Erwerb der Fachgebundenen Hochschulreife. Bei Nachweis von Kenntnissen in einer zweiten Fremdsprache ist der Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife möglich.

9 Die Fachoberschule ist eine 2-jährige Schulart, die aufbauend auf dem Mittleren Schulab-schluss mit Jahrgangsstufe 11 und 12 zur Fachhochschulreife führt. Für Absolventen mit Mitt-lerem Schulabschluss und einer beruflichen Erstausbildung ist der unmittelbare Eintritt in Jahrgangsstufe 12 der Fachoberschule möglich.

10 Berufsfachschulen sind berufliche Vollzeitschulen verschiedener Ausprägung im Hinblick auf Zugangsvoraussetzungen, Dauer und Abschlüsse. In ein- oder zweijährigen Bildungsgän-gen kann eine berufliche Grundausbildung, in zwei- oder dreijährigen Bildungsgängen eine Berufsausbildung erworben werden. In Verbindung mit dem Abschluss eines mindestens zweijährigen Bildungsgangs kann unter bestimmten Voraussetzungen die Fachhochschulreife erworben werden.

11 Zusätzlich zum berufsqualifizierenden Abschluss ggf. Erwerb des Hauptschulabschlusses oder des Mittleren Schulabschlusses.

12 Fachschulen dienen der beruflichen Weiterbildung (Dauer 1-3 Jahre) und setzen grund-sätzlich den Abschluss einer einschlägigen Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbil-

Berufsbildungspolitik

42

dungsberuf und eine entsprechende Berufstätigkeit voraus. Unter bestimmten Voraussetzun-gen ist zusätzlich der Erwerb der Fachhochschulreife möglich.

13 Einschließlich Hochschulen mit einzelnen universitären Studiengängen (z. B. Theologie, Philosophie, Medizin, Verwaltungswissenschaften, Sport).

14 An Pädagogischen Hochschulen (nur in Baden Württemberg) wird für verschiedene Leh-rämter ausgebildet. Im Einzelfall ist auch ein Studium für Berufe im außerschulischen Bil-dungs- und Erziehungsbereich möglich.

15 Die Berufsakademie ist eine Einrichtung des tertiären Bereichs in einigen Ländern, die eine wissenschaftsbezogene und zugleich praxisorientierte berufliche Bildung durch die Ausbil-dung an einer Studienakademie und in einem Betrieb im Sinne des dualen Systems vermittelt“ (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2005, S. 3 f.).

Formal betrachtet kann heute von jeder Schulart der Sekundarstufe I (Haupt-schule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule) unter bestimmten Vorausset-zungen der Übergang in die dreijährige gymnasiale Oberstufe oder in die stu-dienqualifizierenden Bildungswege des beruflichen Schulwesens (höhere Berufsfachschule, Fachoberschule u. a.) realisiert werden. Nach Erwerb des ent-sprechenden Schulabschlusses ist von da aus jeweils der Übergang in die Stu-diengänge der Universitäten, der Gesamt- und Fachhochschulen formal möglich (vgl. CORTINA u. a. 2003). Das Berechtigungswesen mit seinen Allokations- und Selektionsfunktionen in Referenz auf das Bildungs- und Beschäftigungssystem (vgl. KELL 1982) hat sich gewissermaßen gegenüber den Differenzierungen des Bildungssystems verselbständigt und sein Steuerungspotential erweitert. Das gilt auch im Hinblick auf den Erwerb allgemeiner Bildungsabschlüsse an beruflichen Schulen. Bereits Ende der 1970er Jahre stellte der Berufsbildungsexperte Gustav GRÜNER fest:

„Heute können in den meisten Bundesländern alle im allgemeinen Schulwesen zu erwerben-den Berechtigungen (Hochschulreife, Fachhochschulreife, mittlerer Schulabschluss, Haupt-schulabschluss) auch im beruflichen Schulwesen erworben werden“ (GRÜNER 1979, S. 357).

Reformpläne zur Strukturveränderung des Bildungswesens wie die des DEUT-SCHEN BILDUNGSRATS (1970; 1974) oder ambitionierte Modellversuche zur Integ-ration von allgemeiner und beruflicher Bildung wie der des Kollegstufenversuchs mit doppelt qualifizierenden Bildungsgängen in Nordrhein-Westfalen (KULTUSMI-NISTER DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN 1972) gerieten dadurch ins bildungs-politische Abseits bzw. verloren angesichts der Forderung nach Gleichberechti-gung berufsqualifizierender Abschlüsse im Hinblick auf die Zulassung zum Hochschulstudium an Attraktivität. Erwarben 1960 fast drei Viertel aller Schulab-gänger als höchsten Abschluss den der Hauptschule, so waren es 1995 weniger als ein Drittel. Bereits Anfang der 1980er Jahre konstatierte BLANKERTZ (1982, S. 329) „Die Hauptschule tendierte also zur „Rest“-Schule, das Gymnasium zur „Haupt“-Schule“. Damit einher geht die Entwertung der Abschlüsse, und zwar primär zu Lasten der Hauptschulabsolventen, was den Druck zum Besuch von Bildungsgängen mit höherwertigen Abschlusszertifikaten innerhalb des vertikal gegliederten Bildungswesens noch weiterhin verstärkt. Kritisch engagierte Beo-bachter der Bildungsreform (u. a. BAETHGE 1975; FRIEDEBURG 1989; LEMPERT 1974) sehen darin die „gesellschaftlichen Grenzen“ staatlicher Reformpolitik, zei-ge doch die Geschichte des Bildungswesens, „dass über ihren Fortgang nicht pädagogische Einsichten und organisatorische Konzepte, sondern gesellschaftli-che Machtverhältnisse entscheiden“ (FRIEDEBURG 1989, S. 476).

Durchlässigkeit: Getrennt, aber gleichwertig

3 Bildungssystem und bildungspolitische Entwicklungen in Deutschland

43

Hauptschulen

Realschulen

Gymnasien

Integrierte Gesamtschulen

1960 1970 1980 1990

63,9 55,4 40,3 34,2

15,6 21,5 28,2 28,8

20,5 23,1 27,5 30,8

4,0 6,2

100 100 100 100

Schüler im 7. bis 9. Schuljahrgang in der Bundesrepublik Deutschland nach Schularten

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Grund- und Strukturdaten. Eigene Darstellung.

Abbildung 4

Fazit: Insgesamt folgte die Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland der bildungspolitischen Logik „getrennt, aber gleichwertig“. Im Vergleich zu den meisten wirtschaftlich hoch entwickelten Länder der Welt (OECD-Staaten) domi-niert in Deutschland bis in die Gegenwart hinein die Auffassung, dass die Erfolge des Bildungssystems – gemessen an den schulischen Leistungen der Schüler und Schülerinnen – am ehesten durch ein nach Niveauunterschieden differen-ziertes Schulwesen zu gewährleisten sind und dass sich mit der konsequenten Umsetzung des Prinzips der Durchlässigkeit innerhalb dieses Systems Ungleich-heiten der Bildungschancen vermeiden lassen. Insbesondere die Ergebnisse der ersten OECD-Vergleichsstudie PISA (Programme for International Student As-sessment; vgl. DEUTSCHES PISA-KONSORTIUM 2001) haben Zweifel an diesen Annahmen aufkommen lassen und erneut eine heftige bildungspolitische Diskus-sion über Strukturreformen des Bildungssystems ausgelöst. Die PISA-Studie kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei den Basiskompetenzen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften im internationalen Vergleich unterdurchschnittli-che Leistungen vorzuweisen hat. Darüber hinaus erbrachte die nationale Erweite-rung der PISA-Studie nach Ländern (PISA-E) und die Analyse des möglichen Einflusses von äußeren Faktoren wie dem Schulsystem des jeweiligen Bundes-landes, der Lehrplangestaltung sowie des Migrationshintergrunds der Schüler-schaft, der Zusammensetzung nach sozialer Herkunft und des familiären Milieus der Schüler(innen) den Befund, dass das Schulsystem in Deutschland hochgra-dig selektiv ist. Die PISA-E-Studie 2003 kam zu dem Ergebnis, dass die Wahr-scheinlichkeit von Akademikerkindern gegenüber Facharbeiterkindern bei glei-cher Lese- und Mathematikkompetenz mehr als viermal so hoch sei, ein Gymnasium zu besuchen (in Bayern knapp sieben mal so hoch). Betrachtet man nicht die Kinder aus Facharbeiterfamilien, sondern von Eltern, die sozioökono-misch und kulturell noch schlechter gestellt sind, so zeichnet sich eine signifikant höhere Benachteiligung ab (vgl. PISA-KONSORTIUM DEUTSCHLAND 2005).

Fazit: Bildungsreform

Berufsbildungspolitik

44

Die PISA-Ergebnisse haben in Deutschland nicht nur die Diskussion über die Neubestimmung moderner Allgemeinbildung „angeheizt“, sondern auch das zent-rale Thema der Chancengleichheit aus der Reformphase der 1970er Jahre wie-der auf die bildungspolitische Tageordnung gebracht, „ohne dass allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkte bereits feste Konturen einer neuen Bildungs- und Schulpolitik fixiert worden wären“ (LESCHINSKY/CORTINA 2003, S. 20). Für das Berufsbildungssystem sind die Fragen der Reform des allgemeinen Bildungswe-sens von größter Bedeutung. Denn sowohl die Leistungsfähigkeit der Schulab-solventen als auch die Kanalisierung der Absolventenströme durch das geglie-derte Schulsystem und die unzureichende Ausschöpfung vorhandener Humankapitalressourcen kann längerfristig zu erheblichen Engpässen bei der Versorgung des Beschäftigungssystems mit qualifizierten Fachkräften führen.

4 Politikbereich: Berufsausbildung

45

4 Politikbereich: Berufsausbildung

4.1 Berufsausbildungssysteme in Deutschland – Funktionale Differenzierung und Infrastrukturentwicklung

Was ist ‚Berufsausbildung’? Bestimmungsmerkmale in Abgrenzung von Berufs-vorbereitung und beruflicher Weiterbildung: Wichtige Bestimmungsmerkmale in Anlehnung an den internationalen Sprachgebrauch: 1. „initial traininung“ = beruf-licher Erstausbildung, 2. „employabilität“, Qualifikation zur Erwerbsfähigkeit, 3. spezifisch für das deutsche System: berufliche Handlungsfähigkeit („Berufsfähig-keit“).

Vertikale Differenzierung zwischen akademischer und nicht-akademischer Be-rufsausbildung

Segmentierung der nicht akademischen Berufsausbildung mit je spezifischen Regelsystemen und damit verbundenen Formen der Inklusion und Exklusion:

• Berufsausbildung im dualen System (Dominanz der betrieblichen Zustän-digkeit und der Marktabhängigkeit),

• Berufsausbildung im Schulberufssystem (Dominanz der schulischen Zu-ständigkeit und Schulträgerabhängigkeit)

• Berufsausbildung im Rehabilitationssystem (institutionelle Segration der Ausbildung)

• Berufsausbildung im informellen Sektor

4.2 Berufsausbildung im dualen System

4.2.1 Strukturmerkmale, Regelung und Prinzipien des dualen Sys-tems

Strukturmerkmale und Regelungssystem

Als „Kernstück“ des beruflichen Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutsch-land gilt aus bildungspolitischer Sicht bis heute das so genannte „duale System“. Rund 60 % eines Altersjahrgangs absolviert innerhalb dieses Systems eine Aus-bildung in einem der 350 staatlich anerkannten Ausbildungsberufe, die in ver-bindlicher Abstimmung zwischen den zuständigen Bundesministerien sowie den Tarifpartnern und Wirtschaftsverbänden durch bundeseinheitliche Rechtsverord-nungen, den „Ausbildungsordnungen“, reguliert werden. Der Abschluss eines Ausbildungsvertrags genießt den Schutz der Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 des Grundgesetzes und obliegt demzufolge dem freien Willen der vertragsschließen-den Parteien, das heißt den Anbietern von Ausbildungsplätzen, also den Ausbil-dungsbetrieben, und den Bewerbern um Ausbildungsplätze (gegebenenfalls mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter). Die Überwachung der ordnungsgemä-ßen Durchführung der Ausbildung erfolgt nicht durch staatliche Instanzen, son-dern in der überwiegenden Mehrheit der Fälle durch die Selbstverwaltungsein-richtungen der Wirtschaft, insbesondere durch die Handwerkskammern sowie die Industrie- und Handelskammern. Unter Steuerungs- und Regelungsaspekten

Duales Ausbildungssys-tem als Mischsystem mit marktwirtschaftlichen, staatlichen und kopora-tiven Steuerungsele-menten

Berufsbildungspolitik

46

betrachtet, handelt es sich beim dualen Ausbildungssystem mithin um ein Misch-system mit staatlichen, marktwirtschaftlichen und korporativen Komponenten.

Gesetzliche Grundlagen hierfür sind vor allem das Berufsbildungsgesetz bzw. die Handwerksordnung für den Bereich der betrieblichen Berufsausbildung und die Schulgesetze der einzelnen Bundesländer für die Berufsschule. Die gesetzliche Regelungskompetenz für die betriebliche Berufsausbildung obliegt dem Bund. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) ist ein Bundesgesetz. Dessen Anwendungsbe-reich ist demzufolge auf die Berufsausbildung begrenzt, soweit sie nicht in be-rufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder un-terstehen (§ 3 Abs. 1 BBiG). Im Hinblick auf die Regelung der betrieblichen Berufsausbildung sieht das BBiG vor:

• Der Staat (Bund) legt durch das Berufsbildungsgesetz und die auf seiner Grundlage zu erlassenden Ausbildungsordnungen die Rahmenbedingungen für die Berufsausbildung fest (staatliche Regelung).

• Die Ausbildungsbetriebe bieten auf dem Ausbildungsstellenmarkt Ausbil-dungsplätze an; sie entscheiden über den Abschluss von Berufsausbildungs-verträgen und führen im Rahmen der ordnungsrechtlichen Vorgaben sowie auf der Grundlage des betrieblichen Ausbildungsplans die Ausbildung durch (marktwirtschaftlich-vertragsrechtliche Regelung).

• Die Kammern überwachen als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft die Einhaltung der gesetzlichen und ordnungsrechtlichen Nor-men für die Berufsausbildung; sie regeln innerhalb ihres Zuständigkeitsbe-reichs im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Berufsausbildung, in-sbesondere die Durchführung der Abschlussprüfungen, und sie fördern die Berufsausbildung durch Beratung (korporative Regelung).

• Auf allen Ebenen dieses Mischsystems staatlicher, betrieblicher und korpora-tiver Regulierung sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen gleichbe-rechtigt beteiligt. Den speziellen Fall der auf Konsensfindung abzielenden, mehr oder weniger stark institutionalisierten Zusammenarbeit von Staat und Sozialpartnern bezeichnet man als Tripartismus.

4 Politikbereich: Berufsausbildung

47

Abbildung 5

Prinzipien des dualen Systems

Von den vielen Möglichkeiten, das duale Ausbildungssystem hinsichtlich seiner charakteristischen Merkmale zu kennzeichnen, soll hier die Entschließung des Deutschen Bundestags anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz – BerBiRefG) vom 27. Ja-nuar 2005 hervorgehoben werden. Darin heißt es (DEUTSCHE BUNDESTAG (2005, S. 2):

„Der Deutsche Bundestag verabschiedet … ein modernisiertes Berufsbildungsgesetz auf der Grundlage bewährter Prinzipien:

• Das duale Prinzip vermittelt durch die Verbindung von Lernen im Arbeitsprozess und in der Berufsschule wie kein anderes Ausbildungssystem berufliche Lern-kompetenz bei gleichzeitigem Erwerb beruflicher Erfahrung in kompetenter Be-rufsausübung.

• Das Berufsprinzip sichert durch eine mehrjährige Berufsausbildung in breit ange-legten bundeseinheitlichen Ausbildungsberufen die Möglichkeit, eine Vielzahl von konkreten beruflichen Tätigkeiten wahrzunehmen.

• Das Konsensprinzip gewährleistet durch die möglichst einvernehmliche Erarbei-tung der nationalen Ausbildungsstandards durch Sozialpartner und Bundesregie-rung und die Abstimmung mit den Ländern die Arbeitsmarktnähe und Transpa-renz der Ausbildungsberufe und ihre breite Akzeptanz in der Wirtschaft“.

Der Wortlaut dieser Entschließung ist aus berufsbildungspolitischer Sicht insofern von besonderem Interesse, als hiermit vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht wird, welche Grundsätze aus seiner Sicht für das duale Ausbildungssystem von konstitutiver Bedeutung sind. Offenbar sollen damit bildungspolitische „Essen-

Dualitätsprinzip, Berufs-prinzip, Konsensprinzip

Berufsbildungspolitik

48

tials“ markiert werden, die aus Sicht des Gesetzgebers nicht zur Disposition ste-hen. Auffällig ist hierbei, dass die drei genannten Prinzipien unterschiedliche Sys-temdimensionen des dualen Systems betreffen:

• Das an erster Stelle genannte „duale Prinzip“ bezieht sich auf die für den be-ruflichen Kompetenzerwerb wichtige Verbindung von berufspraktisch-kasuis-tischem Lernen im Arbeitsprozess und schulbasiert-systematischem Lernen in der Berufsschule. Es rekurriert auf unterschiedliche Modi beruflichen Ler-nens und auf die damit zusammenhängende Lernortfrage. Beachtenswert ist hierbei, dass der Verfasser nicht lernortorganisatorische Aspekte der Ausbil-dung in Betrieben und Berufsschulen in den Vordergrund stellt, sondern das Dualitätsprinzip primär unter Kompetenzaspekten betont.

• Mit dem „Berufsprinzip“ wird angedeutet, dass die Ausbildung auf eine komp-lexe und deshalb eine relativ lange Ausbildungszeit erfordernde Qualifikation abzielt, die nicht nur für einen eng begrenzten Bereich von Arbeitstätigkeiten taugt, sondern die Grundlage für ein breites Spektrum qualifizierter Erwerbs-tätigkeiten bietet. Damit sind vor allem ordnungspolitische und curriculare Aspekte der Gestaltung von Ausbildungsberufen angesprochen.

• Das „Konsensprinzip“ schließlich betrifft – im Unterschied zum „Dualitätsprin-zip“ und „Berufsprinzip“ – nicht die Ebene der Ausbildung selbst (policy-Aspekt), sondern die Strategie des berufsbildungspolitischen Entscheidungs-(findungs)prozesses (politics-Aspekt). Kennzeichnend und (auch vom Ge-setzgeber) politisch favorisiert sind Verhandlungsstrategien, die auf „Einver-nehmen“ der politischen Verhandlungspartner, nicht auf Abstimmungsmacht (Mehrheitsbeschlüsse) abzielen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Zusammen-arbeit zwischen staatlichen Akteuren und Vertretern der Sozialparteien (zum Beispiel bei der Entwicklung von Ausbildungsordnungen) als auch in Bezug auf die Kooperation der Länder miteinander (z. B. bei der Entwicklung von Rahmenlehrplänen) und die Abstimmung von Bund und Ländern (z. B. bei der Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen).

Sieht man davon ab, dass die Systematik des Entschließungstextes und der dar-in genannten Prinzipien (duales Prinzip, Berufsprinzip, Konsensprinzip) nicht wis-senschaftlichen Anforderungen entspricht (es handelt sich schließlich nicht um einen wissenschaftlichen Text), so spiegeln sich darin einflussreiche Traditionen der Entwicklung des dualen Ausbildungssystems wider. Sie gehören zu den maßgeblichen Referenzpunkten der berufsbildungspolitischen Diskussion und ihrer Kontroversen um die Strukturreform der Berufsausbildung in Deutschland. Darauf wird im Einzelnen näher einzugehen sein.

Das Berufsprinzip

Die Struktur des beruflichen Bildungswesens (vgl. BAETHGE 2003; HARNEY 2004; GREINERT 1998; 2004; KUTSCHA 2003b; PÄTZOLD/WAHLE 2003) und des Beschäf-tigungswesens in Deutschland ist maßgeblich geprägt von der Form beruflich organisierter Arbeitsprozesse. Sie geht zurück auf die Tradition handwerklicher Zünfte. Abweichend von vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern erlag der Beruf in Deutschland unter dem Einfluss handwerksfreundli-cher Mittelstandspolitik nicht dem Bedeutungsverlust infolge zunehmender In-dustrialisierung. Vielmehr vollzog sich hierzulande ein Prozess der Verberufli-chung von nationalen Ausmaßen: Seit Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich das Berufskonzept als Konstruktionsprinzip auch für die Ordnung der industriel-

Berufsprinzip

4 Politikbereich: Berufsausbildung

49

len Lehrberufe (vgl. HESSE 1968) sowie für die Umwandlung der allgemeinen Fortbildungsschule in die seit 1920 auch von der Schuladministration so benann-te Berufsschule durch (vgl. GREINERT 1995; GREINERT 1999; MÜLLGES 1970). Typisch für das deutsche System der Berufsausbildung ist die Differenz zwischen beruflich standardisierten und betriebsspezifischen Qualifikationsanforderungen (HARNEY 1990, S. 81 ff.). Ausgebildet wird nicht ausschließlich für die betriebs-spezifischen Anforderungen, ausgebildet wird für den Beruf!

Um die Bedeutung des Berufs im Ausbildungs- und Beschäftigungssystem der Bundesrepublik Deutschland richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, sich die unterschiedlichen Dimensionen des Qualifikations-, Sozialisations- und Allo-kationszusammenhangs beruflich organisierter Arbeit zu vergegenwärtigen (vgl. hierzu: BECK/BRATER/DAHEIM 1980). Schlosser(in) bzw. – wie der Folgeberuf heute heißt – Metallbauer(in) im Sinne des in Deutschland tradierten Berufsver-ständnisses ist man beispielsweise noch nicht, wenn man ein Metallstück per Hand feilen oder mit Hilfe einer CNC-Maschine bearbeiten kann, sondern erst dann, wenn man das Feilen im Kontext einer komplexen Kombination mit be-stimmten anderen Fachqualifikationen beherrscht. Das Charakteristische des beruflichen Qualifikationsbündels ist nicht die isolierte Teilqualifikation oder die Summe der Einzelqualifikationen, sondern die jeweilige Struktur der Qualifikati-onszusammensetzung. So fertigen oder montieren die handwerklich ausgebilde-ten Metallbauer(innen) in der Fachrichtung Metallgestaltung manuell sowie ma-schinell Bauteile mit schmückendem Charakter, zum Beispiel Gitter, Geländer, Leuchten und Gebrauchsgegenstände. Industriemechaniker(innen), vormals In-dustrieschlosser(innen), sind in der industriellen Produktion und Instandhaltung tätig und sorgen dafür, dass Maschinen, Fertigungs- und Betriebsanlagen be-triebsbereit sind. Außerdem können sie u. a. in der Fertigung arbeiten, wo Bautei-le aus Metall und Kunststoffen hergestellt und traditionelle Techniken wie Dre-hen, Fräsen, Feilen etc. nach wie vor erforderlich sind, auch wenn diese Tätigkeiten zunehmend computerunterstützt ausgeführt werden. Berufe in die-sem Sinne lassen sich mit BECK/BRATER/DAHEIM (1980, S. 20) definieren als „re-lativ tätigkeitsunabhängige, gleichwohl tätigkeitsbezogene Zusammensetzungen und Abgrenzungen von spezialisierten, standardisierten und institutionell fixierten Mustern von Arbeitskraft, die u. a. als Ware am Arbeitsmarkt gehandelt und ge-gen Bezahlung in fremdbestimmten, kooperativ-betrieblich organisierten Arbeits-zusammenhängen eingesetzt werden.“

Der Zugang zu den Berufen über eine qualifizierte Berufsausbildung hatte für die Erwerbs- und Sozialbiografie des Einzelnen bis in die jüngste Vergangenheit weit reichende Folgen, und zwar in folgender Hinsicht:

• Im Beruf sind materielle Reproduktionsinteressen und soziale Ansprüche der Erwerbspersonen auf „gute Arbeit“ manifestiert. Die Zuordnung zu einem Be-ruf entscheidet maßgeblich darüber, welche mehr oder weniger privilegierten Aufgaben der Berufsinhaber relativ dauerhaft ausübt und unter welchen Be-dingungen (Anforderungen, Belastungen u. a.) er arbeitet. Berufswahl und -ausbildung legen fest, für welche Aufgaben jemand seine Arbeitsfähigkeiten entwickeln und später einsetzen kann (vgl. STOOß 1990).

• Mit der Berufsausbildung und der Wahl des Ausbildungsberufs sind Status-passagen der Erwerbsbiographie präformiert, innerhalb derer sich unter Ver-wertung erworbener Qualifikationen und auf dem Wege der Weiterbildung Positionsverbesserungen erreichen lassen (Aufstiegschancen). Sie beeinf-

Berufsbildungspolitik

50

lussen Art und Umfang der Teilhabe an materiellen und immateriellen Gütern der Gesellschaft, prägen zu wesentlichen Teilen die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz und in der Freizeit (vgl. HEINZ 1995).

• Einen Beruf zu erlernen und auszuüben, heißt schließlich – über Sicherung der Erwerbschancen und Daseinsvorsorge hinaus – seine berufliche und persönliche Identität zu finden und zu entfalten. Berufe sind in dieser Hinsicht „Entwicklungs- und Äußerungsschablonen subjektiver Fähigkeiten, Orientie-rungen und Interessen“ (BECK/BRATER/DAHEIM 1980, S. 200 ff.). Sie ermögli-chen, aber behindern auch die persönliche Entwicklung und erweisen sich so als „Entwicklungsbarrieren“.

Das Dualitätsprinzip

Verweist das Merkmal der Beruflichkeit auf die beschäftigungs- und sozialstruktu-relle Dimension des Berufsbildungssystems, so bezieht sich das Merkmal der Dualität primär auf dessen Lernortkonfiguration. Soweit ersichtlich, taucht der Begriff des dualen Systems erstmals 1964 in einem Gutachten des DEUTSCHEN AUSSCHUSSES FÜR DAS ERZIEHUNGS- UND BILDUNGSWESEN auf. Der DEUTSCHE AUSSCHUSS verstand darunter das „System der gleichzeitigen Ausbildung in Be-trieb und Berufsschule“ (DEUTSCHER AUSSCHUß FÜR DAS ERZIEHUNGS- UND BIL-DUNGSWESEN 1965, S. 57). Diese Definition ist zwar einprägsam, aber ungenau und sogar irreführend (hierzu u. a.: GREINERT 1998; STRATMANN/SCHLÖSSER 1990). Richtig daran ist, dass Betrieb und Berufsschule die Hauptträger der frü-heren Lehrlingserziehung waren und es unter den gegenwärtigen Bedingungen der Berufsausbildung immer noch sind. Aber was heißt „gleichzeitig“, und was „System“? Obwohl der Deutsche Ausschuss mit der Bezeichnung „dual“ vermut-lich nur hatte andeuten wollen, dass der Lehrling während seiner zwei- bis dreieinhalbjährigen Ausbildungszeit alternierend in Betrieb und Berufsschule (in diesem Sinne „gleichzeitig“) ausgebildet wird, konnte bei Nichtinformierten leicht der Eindruck entstehen, Betrieb und Berufsschule seien auch gleichwertig und gleichgewichtig an der Berufsausbildung beteiligt. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil bis in die Gegenwart hinein von der wöchentlichen Ausbildungszeit auf den Berufsschulunterricht sehr viel weniger Stunden entfallen als auf die betrieb-liche Ausbildung und für die Berufsabschlussprüfung nicht die Berufsschulen, sondern die Kammern als Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft zustän-dig sind. Überwiegend wird der Berufsschulunterricht in Teilzeitform durchgeführt, das heißt: im periodischen Wechsel von ein bis zwei Tagen Berufsschulunterricht und drei bis vier Tagen betrieblicher Ausbildung. Andere Formen der Periodisie-rung sind möglich und werden auch praktiziert, so im Fall des Blockunterrichts, bei dem der Berufsschulunterricht in mehrwöchigen Vollzeitblöcken gebündelt wird. Im Teilzeit-Unterricht besuchen die Auszubildenden nach der von den Kul-tusministern vereinbarten, aber längst noch nicht überall realisierten Zielnorm bis zu zwölf Stunden pro Woche die Berufsschule (KULTUSMINISTERKONFERENZ 1991). Während der übrigen Ausbildungszeit werden die Auszubildenden im Be-trieb – oder besser gesagt: im Zuständigkeitsbereich des Ausbildungsbetriebs (zur betrieblichen Ausbildung gehört auch die überbetriebliche Ausbildung) – ausgebildet.

Auch unter einem anderen Aspekt ist die Bezeichnung „dual“ im Zusammenhang mit der Berufsausbildung in Deutschland, wie sie sich gegenwärtig darstellt, missverständlich. Ausbildungsbetrieb und Berufsschule sind höchst komplexe Konfigurationen unterschiedlicher Lernorte (MÜNCH u. a. 1981; PÄTZOLD/WALDEN

Dualitätsprinzip

4 Politikbereich: Berufsausbildung

51

1995). Sowohl die betriebliche Ausbildung als auch der Berufsschulunterricht finden heute – wie auch schon früher – an mehreren Lernorten statt. In der ge-werblichen Ausbildung industrieller Großbetriebe dominiert die innerbetriebliche Ausbildungswerkstatt. Zwar hat die Berufsausbildung nach den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes (§ 1) Berufserfahrungen am Arbeitsplatz zu ermögli-chen, jedoch wurde die arbeitsplatzgebundene Ausbildung seit den sechziger Jahren immer mehr zugunsten der lehrgangsartig organisierten Ausbildung in der Lehrwerkstatt reduziert. Demgegenüber überwiegt in der Handwerkslehre die Ausbildung am Arbeitsplatz. Sie wird verstärkt seit Mitte der siebziger Jahre er-gänzt durch Lehrgänge überbetrieblicher Berufsbildungsstätten. Darüber hinaus besteht in allen Fällen die Pflicht zum Besuch der Berufsschule. Und auch hier gibt es unterschiedliche Lernorte: den Klassenraum für den fachtheoretischen und den berufsübergreifenden („allgemeinbildenden“) Unterricht, das Schullabor für die Fachpraxis in den gewerblich-technischen Berufen, das Lernbüro für die kaufmännische Berufsausbildung etc. Das duale System der Berufsausbildung hat sich längst schon vom dualen zum pluralen System der Lernorte entwickelt (KUTSCHA 1985, 1999).

Wegen seiner Vieldeutigkeit ist der Begriff des dualen Systems in der berufspä-dagogischen Diskussion auf Kritik und Ablehnung gestoßen. Zum einen wurde aufgezeigt, dass das Merkmal der Dualität ein viel zu grober und ungenauer Indi-kator sei, um das berufliche Ausbildungswesen in der Bundesrepublik Deutsch-land hinsichtlich seiner Konstruktionsprinzipien kennzeichnen zu können, zum anderen wurde die mit dem Begriff „System“ suggerierte Vorstellung in Frage gestellt, dass Ausbildungsbetrieb und Berufsschule zu einer in sich gefügten Ganzheit mit klarer Funktionsbestimmung ihrer Teile koordiniert wären (zur Dis-kussion des Begriffs „duales System“ sowie zu dessen theoretischen und politi-schen Implikationen vgl. KELL/FINGERLE 1990; STRATMANN/SCHLÖSSER 1990). Davon kann auch heute noch nicht die Rede sein. Das duale System ist nicht das Ergebnis eines geplanten Systemfindungsprozesses. Vielmehr ist es historisch gewachsen aus der bereits im 18. Jahrhundert offenkundig gewordenen Ergän-zungsbedürftigkeit der rein betrieblichen Berufsausbildung. Die Einführung schu-lischer Elemente in die Lehrlingsausbildung ist von STRATMANN (1967) als „päda-gogische Antwort“ auf die Krise der Zunftlehre und in politischer Hinsicht als Überschreitung partikularer Interessen zugunsten öffentlicher Verantwortung ge-deutet und beschrieben worden: „Die Berufsschule bricht den geschlossenen Rahmen der alten Berufserziehung auf, ermöglicht es damit aber auch, die Aus-bildung auf Ziele zu richten, die über die erlebte Werkstatt hinausweisen“ (STRATMANN 1977, S. 118).

Ohne Zweifel hat die Einführung und Verbreitung der Fortbildungsschule und deren Umwandlung in die moderne Teilzeit-Pflichtberufsschule entscheidend dazu beigetragen, die Lehrlingsausbildung zu systematisieren und dafür öffentli-che Verantwortung zu übernehmen. Allerdings stoßen Systematisierung des Ler-nens und öffentliche Verantwortung als die für Verschulung zentralen Prinzipien im Fall der dualen Berufsausbildung auf enge Grenzen (vgl. KUTSCHA 1990). Hierbei ist in Betracht zu ziehen, dass die Ausbildungschancen für die aus der Vollzeitschulpflicht entlassenen Jugendlichen aufgrund der verfassungs- und vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen des dualen Systems unmittelbar den Einflüssen des Ausbildungsstellenmarktes unterworfen sind. Ein Berufsausbil-dungsverhältnis im dualen System wird gemäß dem verfassungsrechtlichen Prin-zip der Berufsfreiheit durch einen privaten Ausbildungsvertrag zwischen Ausbil-

Berufsbildungspolitik

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denden und Auszubildenden begründet. Unabdingbarer Bestandteil des Aus-bildungsvertrags sind die aus dem Berufsbildungsgesetz und den bundeseinheit-lich geltenden Ausbildungsordnungen abgeleiteten Rechte und Pflichten für die betriebliche Berufsausbildung. Ob jedoch und in welcher Menge Ausbildungsver-träge abgeschlossen werden, ist indes der freien Übereinkunft von Ausbildungs-platzanbietern und -nachfragern überlassen. Anstelle des im öffentlichen Schul-wesen bestehenden Rechts auf formale Gleichbehandlung beim Zugang zu den allgemeinen und berufsbezogenen vollzeitschulischen Bildungsgängen gilt für die betriebliche Berufsausbildung weitgehend das Gesetz des Marktes. Die Chancen des Zugangs zu Ausbildungsplätzen variieren mit der jeweiligen regionalen Wirt-schaftsstruktur im Wohn- und Arbeitsbereich der Ausbildungsplatzbewerber. Selbst zu Zeiten der Hochkonjunktur und des globalen Überschusses an Ausbil-dungsplätzen trifft man in strukturschwachen Regionen auf erhebliche Defizite an Ausbildungsmöglichkeiten.

Der Versorgungsproblematik auf der Nachfrageseite des Ausbildungsstellen-markts stehen auf der Angebotsseite zunehmende Schwierigkeiten bei der Be-setzung offener Ausbildungsplätze gegenüber. Neben demographischen Ein-flussfaktoren sind dafür Gründe ausschlaggebend, die mit dem veränderten Bildungsverhalten, speziell mit der verstärkten Nachfrage nach studienqualifizie-renden Abschlüssen zusammenhängen. Infolge der Trennung von allgemeinem und beruflichem Bildungswesen hat das duale Ausbildungssystem im Vergleich zu den gymnasialen Bildungsgängen mit ihren privilegierten Berechtigungen an Attraktivität verloren. „Verlierer“ sind insbesondere die mittleren und kleineren Betriebe des Handwerks, deren Ausbildungs- und Beschäftigungsangebote von den Inhabern mittlerer und höherer Bildungsabschlüsse als relativ wenig attraktiv angesehen werden. Angesichts der weiterhin ansteigenden Quote des Über-gangs der Schulabsolventen in den Hochschulbereich wird mit einer ernsthaften „Facharbeiterlücke“ gerechnet (vgl. LUTZ 1991). Überlagert wird diese Entwick-lung von sektoralen Verschiebungen innerhalb des Beschäftigungssystems zu-gunsten des Dienstleistungsbereichs bei tendenziell ansteigendem Niveau des Qualifikationsbedarfs (TESSARING 1994).

Fazit: Das duale Ausbildungssystem sieht sich mit Problemlagen konfrontiert, die einerseits aus den strukturellen Bedingungen des Bildungssystems resultieren (Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung und der unterschiedlichen Wertigkeit der damit verbundenen Abschlüsse (vgl. BLANKERTZ 1982)); und die andererseits die mit dem Dualitätsprinzip zusammenhängende enge Abhängig-keit der Berufsausbildung von der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und den Bedingungen des Beschäftigungssystem betreffen (vgl. TESSARING 1993; GREI-NERT 1994). Letzteres gilt sowohl im Hinblick auf die quantitativen Komponenten des Ausbildungsstellenmarkts (Versorgungsproblematik) als auch in Bezug auf die qualitativen Aspekte des Qualifikationsbedarfs unter dem Einfluss technologi-schen und ökonomischen Strukturwandels. Die daraus resultierenden Ungleich-gewichte und damit korrespondierende Abstimmung zwischen Bildungs- und Be-schäftigungssystem scheinen ein „säkulares Dauerproblem zu sein, das mit erstaunlicher Regelmäßigkeit das politisch-administrative System (insbesondere des Bildungssektors), die Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen, die Bildungs-nachfrager und die Beschäftigen in Atem hält“ (TIMMERMANN 1988, S. 25). Offen bleibt bis heute, welcher Anteil an den Diskrepanzen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem exogenen Globaleinflüssen wie demographischen Wellen, Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im ökonomischen Kon-

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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junkturzyklus und damit einhergehenden Arbeitskräftebedarfswellen und dem Wandel der Bildungswerte zukommt.

Das Konsensprinzip

Der Staat besitzt das Monopol der gesetzgebenden Gewalt (Legislative), der vollziehenden Gewalt mit Hilfe der Ministerialbürokratie und anderer staatlicher Verwaltungsinstanzen (Exekutive) und der rechtsprechenden Gewalt (Judikative). Dieses Monopol zeichnet den Staat gegenüber allen gesellschaftlichen Institutio-nen aus. Es verleiht ihm eine Sonderstellung als diejenige Instanz, die über Or-ganisationsmittel verfügt, mit denen er gesellschaftliche Interessen auf legalem Weg (durch Gesetze) gegenüber partikularen Interessen zur Geltung bringen kann. Bei der Wahrnehmung dieser Befugnisse bezieht der Staat nicht-hoheitliche Entscheidungsträger und Akteure in den Entscheidungsprozess mit ein, entweder aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder infolge von Vereinba-rungen mit den politisch maßgeblichen Verbänden und Organisationen. Das sind im Fall der betrieblichen Berufsausbildung auf nationaler Ebene die Spitzenorga-nisationen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sowie der Selbstver-waltungseinrichtungen der Wirtschaft (Kammern). Aber auch auf Länderebene und in den Kammerbezirken sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter an den Entscheidungs- und Planungsprozessen in Bezug auf die betriebliche Berufs-ausbildung beteiligt (vgl. auch Kursteil Berufsbildungsrecht).

Korporativer Tripartismus

Von besonderer Bedeutung ist die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Gesetzliche Grundlage hierfür ist das Berufsbildungsgesetz. Das Bun-desinstitut ist eine bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts unter Rechtsaufsicht des zuständigen Bundesministeriums (heute: Bun-desministerium für Bildung und Forschung). Arbeitgeber, Gewerkschaften und Länder haben weitgehende Entscheidungsrechte in der Programm- und Haus-haltsgestaltung des Instituts, obwohl die Finanzierung ausschließlich aus Bun-desmitteln erfolgt. Zentrales Beschlussorgan des BIBB ist der Hauptausschuss. Er setzt sich mit paritätischer Stimmenzahl zusammen aus Beauftragten der Ar-beitgeber und Arbeitnehmer sowie aus Beauftragten des Bundes und der Länder (Vier-Bänke-Prinzip).

Bezogen auf seine Stellung und Funktion im Prozess der Berufsbildungspolitik und -planung ist das BIBB in das duale System fest eingebunden als ein „Forum funktionaler Repräsentation“, in welchem unterschiedliche gesellschaftliche Inter-essen miteinander streiten und kooperieren. Durch die Mitarbeit in diesem Forum werden den Verbänden und Gewerkschaften Regelungsaufgaben übertragen, die sonst nur von staatlichen Einrichtungen wahrgenommen werden könnten. Die Interessenorganisationen wachsen dadurch in einen quasi öffentlichen Status hinein und tragen zur Entlastung des Staates bei (HILBERT/SÜDMERSEN/WEBER 1990).

Damit sind am Beispiel des BIBB einige wesentliche Merkmale korporatistischer Arrangements angedeutet. Allgemeiner formuliert und steuerungstheoretisch betrachtet entspricht dieses System dem Muster dezentraler Kontextsteuerung. Rechtsförmlich erfolgt die Steuerung der Kontextbedingungen zwar zentral durch den Staat (zum Beispiel in Form von Gesetzen und Rechtsverordnungen), dabei wird jedoch vorausgesetzt, dass die inhaltliche Festlegung der Kontextbedingun-

Konsensprinzip und korporatistische Arran-gements

Bundesinstitut für Berufsbildung

Berufsbildungspolitik

54

gen aus einem Aushandlungsprozess relativ autonomer Verhandlungsinstanzen hervorgegangen ist, also dem Typ einer dezentralen Praxis gesellschaftlicher Ordnungsbildung folgt. Die Beteiligung von Verbänden und Gewerkschaften an der Bestimmung der kontextuellen Parameter („Eckdaten“) zielt darauf ab, Selbstbindung über Partizipation zu erreichen.

Die Einbeziehung der Verbände und Gewerkschaften hat für die staatliche Be-rufsbildungspolitik eine Reihe von Vorteilen: Der Sachverstand der Ausbildungs-experten kann zur Fundierung staatlicher Entscheidungen genutzt werden. Die Übertragung öffentlicher Regulierungsfunktionen auf die Interessenorganisatio-nen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer entlastet den Staat von schwierigen Aufgaben der Kompromissfindung und der Konsensbeschaffung. Dem Staat bleibt durch verbands- und gewerkschaftsinterne Abstimmungen weitgehend das politisch riskante Unterfangen erspart, zwischen unterschiedlichen Vorschlägen entscheiden oder einen Kompromiss aushandeln zu müssen. Am weitesten reicht die Delegation von Regelungsaufgaben dort, wo der Staat bei der Ordnung von Ausbildungsberufen den Konsens zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerk-schaften zur Voraussetzung staatlicher Regulierung macht (vgl. STREECK u. a. 1987).

Das bedeutet aber auch, dass der Staat politische Kompetenzen an die „privaten Regierungen“ der Verbände abtreten und Anreize für Kooperation schaffen muss. Die darin implizierte Legitimationsproblematik betrifft im Kern die Frage nach den normativen Gehalten des demokratischen Verfassungsstaates und der legitimatorischen Relevanz seiner Institutionen, speziell der Parlamente, im Pro-zess der Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen (vgl. OFFE 1984). So ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass korporatisitsche Arrange-ments verfassungsmäßig und gesetzlich legitimierte Entscheidungsinstanzen entwerten und deren Zuständigkeiten unterlaufen („Herrschaft der Verbände“). Die daraus abgeleitete Forderung nach mehr staatlicher Verantwortung und Zu-ständigkeit überzeugt allerdings kaum. Sie lenkt davon ab, dass in hochkomple-xen, funktional differenzierten Gesellschaften nicht nur nicht der Staat, sondern auch kein anderes Teilsystem allein die erforderlichen Integrations- und Steue-rungsleistungen erbringen kann. Unter diesem Gesichtspunkt entspricht das Poli-tikmuster vom Typ korporatistischer Arrangements, wie es in der Berufsbildungs-politik und -planung praktiziert wird, vom Ansatz her und bei aller Reformbedürftigkeit im Detail den Modernisierungserfordernissen entwickelter Gesellschaften (vgl. WILLKE 1993; NEUMANN 1996).

Kooperativer Föderalismus

Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe erfüllen gemäß den Vereinbarungen der Kultusminister der Länder in der dualen Berufsausbildung einen „gemeinsamen Bildungsauftrag“ (KULTUSMINISTERKONFERENZ 1991). Über die berufsbezogene Grund- und Fachbildung hinaus hat die Berufsschule die Aufgabe, die vorher erworbene allgemeine Bildung ihrer Schüler und Schülerinnen zu erweitern. Während die betriebliche Berufsausbildung bundeseinheitlich durch Ausbil-dungsordnungen des zuständigen Bundesministers geregelt wird, sind für die Lehrpläne der Teilzeit-Berufsschule im dualen System die einzelnen Bundeslän-der verantwortlich. Verfassungsrechtlich unterliegt das gesamte Schulwesen – also auch die Teilzeit-Berufsschule – der Aufsicht des Staates (Art. 7 (1) GG). Der Begriff ‚Schulaufsicht’ umfasst nach geltender Rechtsprechung des Bundes-verwaltungsgerichts die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation,

„Herrschaft der Verbände“

Kooperativer Föderalismus

4 Politikbereich: Berufsausbildung

55

Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens. Die Abstimmung von Berufsschulunterricht und betrieblicher Berufsausbildung basiert auf Vereinba-rungen zwischen Bund und Ländern. Bereits 1972 haben sich Beauftragte der Bundesregierung und der Kultusminister (-senatoren) in einem „Gemeinsamen Ergebnisprotokoll“ auf ein Verfahren verständigt, das die Koordinierung von be-trieblicher und schulischer Berufsausbildung gewährleisten soll (BEN-NER/PÜTTMANN 1992). Demnach werden – unbeschadet der gesetzlichen Zu-ständigkeiten von Bund und Ländern – bei jedem Ausbildungsordnungsverfahren die Ausbildungsordnung für die betriebliche Berufsausbildung und der Rahmen-lehrplan für den berufsbezogenen Berufsschulunterricht aufeinander abgestimmt. Ausgenommen davon ist der allgemeine Unterricht an Berufsschulen, der länder-unterschiedlich geregelt wird.

Rahmenlehrpläne basieren auf einstimmigen Beschlüssen der Kultusministerkon-ferenz (KMK); sie sind ein wesentliches Instrument zur Vereinheitlichung der schulischen Berufsausbildung und Grundlage für die Abstimmung mit den Aus-bildungsordnungen des Bundes. Das Abstimmungsverfahren betrifft also nicht nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern setzt die Abstimmung zwischen den Kultusministern (-senatoren) der Länder voraus. Dies geschieht im Rahmen der Kultusministerkonferenz, einer Koordinierungsinstanz des föderalen Staates. Sie besteht bereits seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland.

Nach der Präambel ihrer Geschäftsordnung hat die Ständige Konferenz der Kul-tusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland – so ihre amtliche Be-zeichnung – die Aufgabe, Angelegenheiten der Kulturpolitik von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer gemeinsamen Willensbildung und zur Vertretung gemeinsamer Anliegen zu behandeln. Entscheidungen über bildungspolitische Sachfragen bedürfen der Einstimmigkeit. Die Beschlüsse der KMK haben rech-tlich den Charakter von Empfehlungen. Rahmenlehrpläne der KMK müssen also – trotz Einstimmigkeit – in jedem Einzelfall durch die Länder „ratifiziert“ werden. Dabei steht es den einzelnen Bundesländern frei, die Rahmenlehrpläne unve-rändert zu übernehmen oder sie zu modifizieren und zu konkretisieren.

Berufsbildungspolitik

56

AO RLP

Vorgespräche der Sozialparteien

Verfahren zur Abstimmung von Ausbildungs-ordnungen und Rahmenlehrplänen

Forschung

Vorv

erfa

hren

Verfahren zur Erarbeitung und Abstimmung von AO und RLP

Antragsgespräch: Festlegung bildungspolitischer Eckwerte

Erarbeitung Projektantrag

Projektbeschluss im Koordinierungsausschuss

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Sitzungen der Sachverständigen des Bundes

Entwurf der Aus-bildungsordnung(Text und ARP)

Sitzungen der Sachverständigen der Länder

Entwurf des Rahmenlehrplanes

Gemeinsame Sitzungen

Abstimmung der EntwürfeAO und RLP

Zustimmung durch den BIBB-Hauptausschuss

Vereinbarung in der Kultus-ministerkonferenz (KMK)

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BMBFErlass als Rechtsverordnung und Veröffentlichung

Kultusministerien d. Länder

Erlass als Lehrplan und Veröffentlichung

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Vorlagen des Bundesinstitutsfür Berufsbildung (BIBB).

Abbildung 6

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Bildungspolitik und -planung wurden im Jahr 1969 durch die Einfügung des Artikels 91b in das Grundgesetz geschaffen: „Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen bei der Bildungspla-nung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftli-chen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken ...“. Das erfolgt zum Beispiel mit Hilfe von Modellversuchen zur Förderung der beruflichen Bil-dung. Die dafür zuständige Einrichtung ist die Bund-Länder-Kommission für Bil-dungsplanung und Forschungsförderung (BLK). Obwohl sich die anfangs hohen

4 Politikbereich: Berufsausbildung

57

Ansprüche an die BLK, speziell im Zusammenhang mit der Entwicklung und Fortschreibung eines Bildungsgesamtplans, nicht erfüllen ließen, markieren die zitierte Grundgesetzänderung und die Einrichtung der BLK in gewisser Hinsicht den Abschluss einer schon in den fünfziger Jahren einsetzenden Weiterentwick-lung des Prinzips der Kulturhoheit der Länder zum System eines „kooperativen Kulturföderalismus“ (CORTINA u. a. 2003, S. 167). Mit Gesetzbeschluss des Bun-destages zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.06.2006 und der Zustim-mung des Bundesrats vom 07. Juli 2006 ist dieses System, soweit es die Zu-sammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Bildungspolitik betrifft, in Frage gestellt. Eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern wird auch weiterhin nötig sein, allerdings ist zu erwarten, dass speziell die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung auf dem Gebiet der „Bildungsplanung“ ihre Zuständigkeiten und Aufgaben wird einbüßen müssen.

Die regionale Politik-Arena

In Deutschland haben sich typische Qualifikationsbereiche mit spezifischen Insti-tutionen und unterschiedlichen Formen der Vernetzung ausdifferenziert und segmentiert: die Berufsvorbereitung benachteiligter Jugendlicher, die schulische und betriebliche Berufsausbildung im dualen System und die berufliche Weiter-bildung. Die auf regionaler Ebene relevanten Akteure (Jugendämter und Freie Träger der Jugendberufshilfe, Schulträger, Schulaufsicht und berufliche Schulen, Kammern und Ausbildungsbetriebe, Arbeitsämter und Weiterbildungsanbieter etc.) sind deutlich voneinander separiert und operieren im Rahmen unterschiedli-cher System- und Handlungslogiken.

Von einem „System“ der Berufsbildung kann deshalb –wie oben schon ausge-führt- kaum die Rede sein. Das gilt auch für das „duale System“. Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe folgen sehr unterschiedlichen, aus der jeweiligen Orga-nisationsstruktur resultierenden Handlungslogiken. Betriebliche Entscheidungen basieren auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit und der eigenverantwortlichen Dis-position über Eigentums- und Verfügungsrechte. Sie orientieren sich am Markt. Entscheidungen über Investitionen in Humankapital sind eingebunden in das übergeordnete gesamtbetriebliche Zielsystem.

Die Kammern als zuständige Stellen für Regelungs- und Aufsichtsfunktionen res-pektieren die Eigenständigkeit ihrer Mitglieder. Sofern sie die Rechtsaufsicht in der Funktion „mittelbarer Staatsverwaltung“ wahrnehmen, bleibt diese Aufgabe rückgebunden an das Selbstverständnis der Kammern als Selbstverwaltungsein-richtungen der Wirtschaft, die in einem Dienstleistungsverhältnis zu den kammer-zugehörigen Unternehmen stehen. Kammern haben nach dem Berufsbildungs-gesetz bzw. der Handwerksordnung als „zuständige Stelle“ für die betriebliche Berufsausbildung die Aufgaben,

• die Durchführung der Berufsausbildung auf der Grundlage des Berufsbil-dungsgesetzes zu überwachen (das betrifft insbesondere die persönliche und fachliche Eignung des Ausbildungspersonals und die Eignung der Ausbil-dungsstätte);

• die Ausbildung in den Betrieben durch Beratung der an der Berufsbildung be-teiligten Personen zu fördern (dazu gehört zum Beispiel die Beratung der Auszubildenden und Ausbildenden durch Ausbildungsberater/-innen, die In-formation über neue Berufe oder die Schlichtung in Konfliktfällen);

• die Zwischen- und Abschlussprüfungen durchzuführen und

Regionale Politik-Arena

Kammern

Berufsbildungspolitik

58

• Regelungen zu erlassen, soweit übergeordnete Vorschriften und Rechtsver-ordnungen, etwa des Bundes, nicht bestehen (das gilt zum Beispiel für den Erlass von Prüfungsordnungen).

Darüber hinaus sind die Kammern für die Überwachung der Berufsausbildungs-vorbereitung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung zu-ständig. Sie fördern diese durch die Beratung der an der Berufsbildung beteilig-ten Personen. Zu den Aufgaben der Kammern gehören in diesem Zusammen-hang u. a.:

• die Erfassung der im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung durchge-führten Maßnahmen;

• die Entwicklung wirtschaftsnaher Fortbildungsprofile;

• die Regelung, Organisation und Durchführung von anerkannten Fortbil-dungsprüfungen (zum Beispiel für Handwerks- und Industriemeister oder für Fachwirte);

• die Organisation und Durchführung der Ausbildungseignungsprüfung;

• die Durchführung von Seminaren, Kursen und Vorträgen für Aufstieg und An-passung im Berufsleben und schließlich

• die Beratung und Information (zum Beispiel mit Hilfe von Datenbanken).

Insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung der auf Bundes- und Lan-desebene beschlossenen Maßnahmen und Aktivitäten zur Verbesserung des Angebots an Ausbildungsstellen (zum Beispiel im Rahmen des „Ausbildungs-pakts“) wirken Kammern als „Politik-Transformatoren“ in die regionale Ebene hinein. Aufgrund ihres engen Kontakts zu den Betrieben nehmen sie Möglichkei-ten der Lehrstellenakquisition wahr, die sie in der Regel mit intensiver Beratung und Unterstützung der Betriebe verbinden und in Form partnerschaftlicher Koo-peration praktizieren.

Demgegenüber ist das Verhältnis der Berufsschule zur Schulaufsicht bis heute noch eher geprägt durch ein hierarchisch strukturiertes Abhängigkeitsverhältnis. Die beruflichen Schulen bilden als Teil des staatlich beaufsichtigten Schulwesens und in der Rechtsform einer unselbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts die unterste Einheit in der Verwaltungshierarchie. Öffentliche Schulen haben in der Regel weder Verwaltungs- noch Satzungsautonomie. Sie unterliegen der Rechts- und Fachaufsicht der obersten und oberen Schulaufsichtsbehörden und arbeiten weisungsgebunden. Die Marktlogik betrieblichen Handelns und das Bürokratie-konzept der staatlich beaufsichtigten Schule konstituieren das chronische Koope-rationsdefizit dieser „ungleichen Partner“ im dualen System. Kooperation und Netzwerkbeziehungen entstehen nur dann, wenn die Akteure sich von den wechselseitigen Austauschprozessen Vorteile versprechen und diese Aus-tauschprozesse tendenziell als gleichwertig empfunden werden (vgl. HANFT 1997, S. 283). Die empirischen Befunde der Lernortforschung deuten darauf hin, dass dies im Verhältnis von Berufsschule und Ausbildungsbetrieben offenbar nicht der Fall ist (vgl. PÄTZOLD/WALDEN 1995). Vielfach werden die Interessen der jeweils anderen Seite als Behinderung der eigenen Belange und als Beeint-rächtigung der jeweils für prioritär gehaltenen Aktivitäten in Bezug auf das ge-meinsame Ziel der Berufsausbildung angesehen.

Berufliches Schulwesen

4 Politikbereich: Berufsausbildung

59

Ganz anders stellt sich die Problematik der Zusammenarbeit mit den Arbeits-agenturen. Diese sind zum einen Anlaufstelle für die Betriebe bei der Akquirie-rung von Ausbildungsplatzbewerbern, zum anderen Kooperationspartner der nicht-betrieblichen Bildungsträger, und zwar sowohl für den Bereich der von der Bundesagentur für Arbeit finanzierten Weiterbildung als auch für die berufsvorbe-reitenden Maßnahmen. Die gesetzlich vorgeschriebene Zielsetzung, den „Aus-gleich am Arbeitsmarkt“ zu unterstützen, verpflichtet die Arbeitsagenturen auf eine regionalorientierte Problemstellung. Die relative Autonomie, mit der sie im Rahmen der neuen Regionalisierungs- und Dezentralisierungskonzepte ihre Auf-gaben wahrnehmen, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeiten des Marktausgleichs in den Bezirken der Arbeitsagenturen nicht primär eine Frage der Kooperationsfähigkeit und -willigkeit intermediärer Organi-sationen ist, sondern von regionalwirtschaftlichen Faktoren und dem durch sie bedingten Ausbildungsverhalten der Betriebe abhängt.

Die funktionale Differenzierung der Akteure geht einher mit einer Heterogenität der räumlichen Zuständigkeitsbereiche. Kammernbezirke, Arbeitsagenturbezirke, die Zuständigkeitsbereiche der kommunalen Gebietskörperschaften etc. sind hinsichtlich ihrer Größe, ihrer regionalen Einbindungen und Orientierungen auße-rordentlich vielfältig. Sie lassen sich nicht durch staatliche Gesetze oder Organi-sationserlasse zu einer wie immer gearteten Einheit zusammenfügen. Die Politik-fähigkeit der einzelnen Regionen wird sich in Zukunft daran zeigen, ob und wie nachhaltig es gelingt, die regionalen Akteure in ihrer Eigenständigkeit und spezi-fischen Verantwortung, aber auch als Kooperationspartner miteinander konkurrie-render Individuen und Organisationen an der regionalen Strukturentwicklung und -erneuerung zu beteiligen. Kooperation und Wettbewerb dürfen sich nicht aus-schließen, sondern müssen als komplementäre Bestandteile einer aktiven Re-gionalpolitik und -planung verstanden und entwickelt werden. Regionale Entwick-lungspolitik lässt sich nicht „von oben“ herab delegieren. Sie gelingt nur, wenn die Akteure in ihrem eigenen Interesse nicht nur auf sich selbst bezogen planen und handeln, sondern die Region als Handlungsfeld erfolgreicher Wirtschafts-, Be-schäftigungs- und Bildungspolitik ganzheitlich im Auge behalten und – daran orientiert – den Prozess der regionalen Selbstorganisation und Selbstverantwor-tung „von unten“ in Gang setzen. Im regionalpolitischen Diskurs hat sich hierfür der Begriff der Lernenden Region durchgesetzt (vgl. HÖVELS/KUTSCHA 2001).

Agentur für Arbeit

Heterogenität der Handlungslogiken regionaler Akteure

Berufsbildungspolitik

60

Abbildung 7

4.2.2 Ausbildungsordnungspolitik Nach § 1 (3) BBiG hat die Berufsausbildung „die für die Ausübung einer qualifi-zierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähig-keit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln.“ Die Forderung nach einer planmäßigen und geordneten Berufsausbildung wurde aus gewerkschaftli-cher Sicht bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts gestellt. Sie fand schließlich im Berufsbildungsgesetz von 1969 (zuletzt novelliert durch das Berufsbildungsre-formgesetz im Jahre 2005) ihren gesetzlichen Niederschlag. Das BBiG verwen-det im § 1 (3) den Ausdruck des „geordneten Ausbildungsgangs“ und verweist damit auf die „Ordnung“ der Berufsausbildung als staatlichen Regulierungsbe-reich. Dazu gehören insbesondere die Anerkennung oder Aufhebung von Ausbil-dungsberufen. Hierzu heißt es in § 4 BBiG:

„(1) Als Grundlage für eine geordnete und einheitliche Berufsausbildung kann das Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Arbeit oder das sonst zuständige Fachministerium im Einverneh-men mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Ausbildungsberufe staatlich anerkennen und hierfür Ausbildungsordnungen nach § 5 erlassen.

(2) Für einen anerkannten Ausbildungsberuf darf nur nach der Ausbildungsordnung ausgebil-det werden.“

Die im Gesetz vorgeschriebene Rechtsform der Ausbildungsordnung wie auch der Ausschließlichkeitsgrundsatz unterstreichen, dass die Ausbildungsordnungs-politik eine zwingende berufsbildungspolitische Aufgabe des Staates ist. Ausbil-dungsordnungspolitik genießt eine hohe Priorität. Ausbildungsordnungen sind – im Unterschied zu den (Rahmen-)Lehrplänen für den Berufsschulunterricht als Rechtsverordnungen unmittelbar geltendes Recht. Sie regeln die Berufsausbil-

Ausbildungsordnungen/ Ausbildungsordnungs-politik

4 Politikbereich: Berufsausbildung

61

dung, soweit diese in die Zuständigkeit der Betriebe fällt. Dafür ist die Bundesre-gierung zuständig.

Seine inhaltliche Bestimmung erfährt der Begriff Ausbildungsordnung durch § 5 (1) BBiG. Danach hat die Ausbildungsordnung festzulegen:

1. die Bezeichnung des Ausbildungsberufes, der anerkannt wird,

2. die Ausbildungsdauer; sie soll nicht mehr als drei und nicht weniger als zwei Jahre betragen,

3. die beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die mindestens Ge-genstand der Berufsausbildung sind (Ausbildungsberufsbild),

4. eine Anleitung zur sachlichen und zeitlichen Gliederung der Vermittlung der beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (Ausbildungsrahmenp-lan),

5. die Prüfungsanforderungen.

Seit Mitte der 1980er Jahre steht nicht nur die Schaffung neuer Ausbildungsberu-fe, sondern auch die Entwicklung neuer Ordnungskonzepte im Zentrum berufs-bildungspolitischen Interesses. Anstoß hierfür waren die neuen Herausforderun-gen des wirtschaftlichen und technischen Wandels. Als Megatrends sind hervorzuheben (vgl. BUTTLER 1992):

• die Internationalisierung und Globalisierung der Geschäftsbeziehungen ver-bunden mit verschärftem Wettbewerb, der zu flexibler Produktgestaltung, Kunden-, Markt- und Kostenorientierung führt;

• arbeitsorganisatorische Veränderungen infolge der allgemeinen Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere die Zu-sammenlegung früher getrennt ausgeführter Tätigkeiten, der Abbau von Hierarchieebenen durch veränderte Schneidung von zentralen und dezentra-len Zuständigkeiten und nicht zuletzt

• der globale Trend zum höheren Anteil des Dienstleistungssektors.

Die hier angedeuteten Entwicklungen führten während der 1980er Jahre zur Neuordnung der industriellen Metall- und Elektroberufe, orientiert am Prototyp des für die „neuen Produktionskonzepte“ (KERN/SCHUMANN 1984) qualifizierten, selbständig handelnden Facharbeiters. Was die Schneidung der Berufe betrifft, galt es den hohen Spezialisierungsgrad der industriellen Berufsausbildung frühe-rer Zeiten zu vermeiden. Gab es vor der Neuordnung 37 zum Teil hoch speziali-sierte Metallberufe, so waren es nach der Neuordnung der Metallberufe nur noch 6, und statt der ursprünglich 12 industriellen Elektroberufe verblieben nach der Neuordnung 4 Elektroberufe. Die Ausbildungsdauer betrug einheitlich dreieinhalb Jahre. Die Ausbildung wurde in eine berufsfeldbreite Grundbildung von einem Jahr und eine darauf aufbauende berufliche Fachbildung von zweieinhalb Jahren gegliedert.

Infolge der dynamischen Entwicklungen mussten die Metall– und Elektroberufe zwischenzeitlich erneut überarbeitet und geändert werden. Es erwies sich als notwendig, auch neue Berufe zu schaffen, um den integrierten Produktionskon-zepten Rechnung zu tragen. Typisch dafür ist der neue Ausbildungsberuf des Mechatronikers/der Mechatronikerin. Unabhängig davon erwies sich die Neuord-nung der Elektro- und Metallberufe als Einstieg in einen neuen Typus des Fach-

Megatrends/ Neuordnung der Metall- und Elektroberufe

Neues Leitbild der Facharbeiterberufe

Berufsbildungspolitik

62

arbeiterberufs. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die in den Ausbildungsordnun-gen vorgesehen Ausbildungsstrukturen, sondern vor allem auch in Bezug auf das neue Leitbild des Facharbeiterberufs. Dieses neue Leitbild zeichnete sich durch die Abkehr vom tayloristischen Konzept des arbeitsteilig hoch spezialisierten und in hierarchisch tief gegliederten Arbeitsregimen streng weisungsgebunden täti-gen Arbeiters aus. Dazu hieß es in den neuen Ausbildungsordnungen: Durch die Berufsausbildung sollen die Auszubildenden zu einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt werden, „die insbesondere selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren einschließt".

Die genannten Komponenten sind Referenzpunkte vollständiger Handlungen. Handlungsorientiert auszubilden heißt, den künftigen Facharbeiter zu befähigen, Arbeitsvollzüge ganzheitlich zu bewältigen. Dieses Konzept war bahnbrechend für die nachfolgende Ausbildungsordnungspolitik, u. a. auch im Bereich der kaufmännischen und sonstigen Dienstleistungsberufe. Heute schreiben alle Aus-bildungsordnungen vor, dass über fachspezifische Qualifikationen hinaus persön-lichkeitsbezogene und soziale Kompetenzen vermittelt werden. Sie sollen ge-währleisten, dass die Zusammenarbeit im Arbeitsprozess den Erfordernissen der Aufgabenstellung und den Bedürfnissen der Beteiligten gleichermaßen ent-spricht, ein wechselseitiger Informationsaustausch konstruktiv und kontinuierlich stattfindet sowie die einzelnen Tätigkeiten und die Entscheidungen über Arbeits-inhalte, -abläufe und -ziele verantwortungsbewusst vorbereitet und vollzogen werden.

Die jüngsten Entwicklungen der Ausbildungsordnungspolitik sind von neuen He-rausforderungen geprägt. Sie betreffen zum einen die Frage, wie die hohen Standards der Berufsausbildung gesichert und zugleich durch mehr als bisher „dynamisierte“ und „flexibilisierte“ Ausbildungsordnungen dem beschleunigten Wandel der Qualifikationsanforderungen im Beschäftigungssystem angepasst werden können. Und sie sind zum anderen mit dem Problem konfrontiert, dass das Angebot an qualifizierten Ausbildungsplätzen rückläufig ist und darüber hi-naus viele Jugendliche den hohen Anforderungen der neuen Ausbildungsord-nungen nicht gewachsen sind; sie laufen Gefahr, in die Sackgassen berufsvorbe-reitender Bildungsmaßnahmen oder in marginalisierte Beschäftigungsverhältnisse ohne Berufsausbildung zu geraten (siehe Kapitel 6). Daraus erwachsen insbesondere folgende Anforderungen an die Ausbildungs-ordnungspolitik (vgl. zum Folgenden: SAUTER 2003, S. 74 ff).:

• Dynamische Beruflichkeit und Gestaltungsoffenheit: Die Gestaltungsoffenheit der Berufsbilder, die sich bisher vor allem auf das Prinzip der Mindeststan-dards sowie der Technik- und Verfahrensoffenheit stützte, muss deutlich ver-stärkt werden, indem das Prinzip der Dynamik in die Berufskonstruktion in-tegriert wird (Beispiel: Ausbildungsordnung für IT-Berufe).

• Flexibilität durch vielfältige Strukturmodelle: Bis Mitte der 90er Jahre gab es nur wenige Möglichkeiten, Ausbildungsberufe differenziert zu strukturieren (Positive Beispiele: Elektro- und Metallberufe). Inzwischen sind im Zusam-menhang mit der Neuordnung und Modernisierung von Ausbildungsberufen vielfältige Strukturierungsmöglichkeiten entstanden. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die modulare Strategie, die Ausbildung durch Pflicht- und Wahlpflichtqualifikationen zu strukturieren. Betrieben und Auszubildenden soll ermöglicht werden, aus vorgegebenen Auswahlangeboten eine bestimm-te Anzahl von Modulen zu wählen und so betriebsspezifische und individuelle

Neue Herausforderun-gen: Gestaltungsoffene und dynamische Beruf-lichkeit

4 Politikbereich: Berufsausbildung

63

Ausprägungen des Gesamtprofils zu erreichen (Beispiel: Ausbildungsord-nung für Mediengestalter/Mediengestalterin für Digital- und Printmedien).

• Flexibilität durch aus- und weiterbildungsübergreifende Zusatzqualifikationen: Hierbei handelt es sich um zertifizierbare (Teil-)Qualifikationen, die über das hinausgehen, was die Ausbildungsordnungen fordern, wie zum Beispiel be-rufsorientierte Sprachkenntnisse.

• Neue Verfahren und Instrumente für die Entwicklung von Ausbildungsord-nungen: Bundesregierung als Verordnungsgeber und Sozialpartner haben sich im Rahmen ihrer Beschlüsse zur „Modernisierungsoffensive“ darauf ver-ständigt, die Neuordnungsverfahren zu beschleunigen. Verfahren zur Moder-nisierung von Ausbildungsberufen sollen nicht länger als 12 Monate, Verfah-ren zur Entwicklung neuer Ausbildungsberufe nicht länger als 24 Monate in Anspruch nehmen.

Kontrovers ist die Frage, wie marktbenachteiligten Jugendlichen und Jugendli-chen mit vergleichsweise geringem Leistungsvermögen die Teilhabe an der Be-rufsausbildung und an regulärer Arbeit im Beschäftigungssystem ermöglicht wer-den kann. Zur Diskussion stehen u. a. Ausbildungsberufe mit verkürzten Ausbildungszeiten und geminderten Leistungsanforderungen, aber auch Versu-che, die oben angesprochenen Modularisierungsansätze für den Erwerb zertifi-zierter Teilqualifikationen zu nutzen. Dies geschieht beispielsweise im Rahmen der Berufsausbildungsvorbereitung. Nach § 1 (2) BBiG dient die Berufsausbil-dungsvorbereitung dem „Ziel, durch die Vermittlung von Grundlagen für den Er-werb beruflicher Handlungsfähigkeit an eine Berufsausbildung in einem aner-kannten Ausbildungsberuf heranzuführen.“ Ergänzend hierzu heißt es im § 69 (1) BBiG: „Die Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Hand-lungsfähigkeit (§ 1 (2)) kann insbesondere durch inhaltlich und zeitlich abge-grenzte Lerneinheiten erfolgen, die aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsbe-rufe entwickelt werden (Qualifizierungsbausteine).“ Über die vermittelten Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit stellt der Anbieter der Berufsausbildungsvorbereitung eine Bescheinigung aus.

Über Konsequenzen und Erfolg der genannten Maßnahmen liegen noch keine empi-risch gesicherten Daten vor. So sinnvoll es ist, berufsvorbereitende Maßnahmen an eine reguläre, an Qualitätsstandards der Ausbildungsordnungen orientierte Ausbil-dung heranzuführen, um nicht in Warteschleifen des Segments berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen zu geraten (vgl. Kapitel 6) und berufsbiografische Hürden aus-bildungsferner Bildungsangebote zu vermeiden, so wenig können damit die struktu-rellen Probleme des Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkts gelöst werden (siehe 4.1.5.2).

4.2.3 Ausbildungsmarktpolitik Was ist ein ‚Ausbildungsmarkt’? – Begriffliche Bestimmungen und Klä-rungsansätze

Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland orientierte sich nach Gründung der Bundesrepublik am Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Die Leit-idee dieses Konzepts besteht darin, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicher-ten sozialen Fortschritt zu verbinden (vgl. MÜLLER-ARMACK 1966). Primat hat demnach die Steuerung durch den Markt vor den Eingriffen und Interventionen

Ausbildungsmarkt/ Aus-bildungsmarktpolitik

Berufsbildungspolitik

64

des Staates. Das gilt auch für den Bereich der Berufsausbildung. Sie basiert auf dem Grundrecht der freien Berufswahl.

Die Berufsfreiheit gehört zu den Freiheits- bzw. liberalen Grundrechten, die dem einzelnen einen Anspruch auf Unterlassung staatlicher Eingriffe in seine persön-liche Rechtssphäre geben. Zugleich ist sie eine Funktionsvoraussetzung der Wettbewerbswirtschaft und der damit angestrebten optimalen Allokation der Res-sourcen. Allerdings gebietet es das Sozialstaatsprinzip, dass der Staat mit kom-pensatorischen bzw. subsidiären Maßnahmen eingreift, wenn die Funktionsfähig-keit des Marktes in Frage gestellt ist und soziale Härten für die davon betroffenen Personengruppen zu erwarten sind. Dieses Prinzip unterliegt seit Ende der 1990er Jahre einer durchgreifenden Korrektur und Neuinterpretation. Darauf wird an anderen Stellen der Kurseinheit näher eingegangen.

Nach den Prinzipien der klassisch-liberalistischen Markttheorie erfüllt der Markt die Funktion, Güterangebot und -nachfrage optimal zu koordinieren. Bei voll-kommenem Wettbewerb werden Angebot und Nachfrage über den Gleichge-wichtspreis in Übereinstimmung gebracht. Indes sind nicht überall die Vorausset-zungen für die Funktionsfähigkeit des Marktes gegeben. Das gilt zum Beispiel für den Ausbildungsstellenmarkt. Angebotsseitig ist dieser Markt u. a. mit dem Kol-lektivgüter-Dilemma behaftet, das heißt: Ausbildungsbetriebe erzeugen mit der beruflichen Qualifizierung ein „öffentliches Gut“, von dessen Nutzen nicht ausbil-dende Betriebe nicht ausgeschlossen werden können („externe Effekte“). Unter sonst unveränderten Bedingungen kann eine solche Konstellation zur Unterin-vestition in Ausbildung führen (was nicht zwangsläufig der Fall sein muss, vgl. SADOWSKI 1980). Nachfrageseitig resultieren Probleme des Ausbildungsstellen-markts u. a. aus demografischen Zyklen und dadurch bedingten Nachfragever-änderungen, aus Veränderungen des Bildungsverhaltens (steigende Quoten des Übergangs in studienqualifizierende Bildungsgänge), aus dem Reagibilitäts- und Mobilitätsverhalten der Marktteilnehmer.

Um die Probleme des Ausbildungsmarkts und die daraus resultierenden Fragen an die Ausbildungsmarktpolitik richtig nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, zuerst einmal zu klären, was überhaupt ein ‚Ausbildungsmarkt’ ist? Daran schlie-ßen sich die Fragen an, wodurch Angebot und Nachfrage beeinflusst werden, wie und ob es überhaupt zum Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kommen kann und welche Möglichkeiten es gibt, Ungleichgewichte zu vermeiden. Markt-politische Interventionen zielen darauf ab, Bedingungen herzustellen, unter de-nen der Markt funktioniert bzw. unter denen sich Funktionsstörungen des Markts vermeiden bzw. beheben lassen. Diese Fragen gehören zu den schwierigsten Problemen nicht nur der praktischen Ausbildungsmarktpolitik, sondern auch der Ausbildungsmarkttheorie. Im Folgenden sollen und können nur einige grundle-gende Fragen und Konzepte angesprochen werden.

Als erstes wird auf den Begriff des „Markts“ eingegangen, der bekanntlich dem Bereich der Wirtschaft entstammt. Üblicherweise definieren Ökonomen den Markt kurz und bündig als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfra-ge von und nach Gütern. Stimmen Angebot und Nachfrage nach einem Gut über-ein, so spricht man vom Marktgleichgewicht. Es ist charakterisiert durch den Gleichgewichtspreis und die durch ihn bestimmte gleichgewichtige Menge, bei der Angebot und Nachfrage zum Ausgleich kommen und niemand auf dem Markt Grund hat, seine Dispositionen zu ändern. Da Anbieter und Nachfrager unab-hängig von einander sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche

Marktbegriff

4 Politikbereich: Berufsausbildung

65

Güter zu welchen Preisen, Mengen und Qualitäten sie am Markt kaufen oder verkaufen wollen, lautet die zentrale Frage: Welcher Mechanismus sorgt dafür, dass das Angebot an und die Nachfrage nach Gütern sich ausgleichen. Die klas-sische Ökonomie ging davon aus, dass es das Beste sei, die Märkte sich selbst zu überlassen. Gleichsam wie von einer „unsichtbaren Hand“ gesteuert, reguliere der Markt sich selbst. So formulierte es ADAM SMITH, der Verfasser eines der grundlegendsten Werke der Nationalökonomie (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776). Nach diesem Ansatz sorgen marktendo-gene Prozesse dafür, dass ein Preis zustande kommt, bei dem sich Angebot und Nachfrage genau ausgleichen. Dies ist der so genannte „Gleichgewichtspreis“.

Gibt es in diesem Sinne überhaupt einen ‚Ausbildungsmarkt’? Die erste Voraus-setzung für die Existenz von Märkten ist, das Anbieter und Nachfrager frei ent-scheiden können, dass und zu welchen Bedingungen sie Güter austauschen. Anstelle der kollektiven Bewirtschaftung von Gütern herrscht auf dem Markt Ver-tragsfreiheit. Diese Bedingung ist in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Berufsausbildung weitgehend erfüllt. Ihr zugrunde liegt das Prinzip der Berufsfreiheit. Es gehört zu den verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrech-ten (und musste gegen die Ständegesellschaft hart erkämpft werden!). Maßgeb-lich hierfür ist Artikel 12 (1) des Grundgesetzes. Darin heißt es:

„Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“

Nach Auslegung dieses Artikels durch das Bundesverfassungsgericht erstreckt sich der im zweiten Satz formulierte Regelungsvorbehalt sowohl auf die Berufs-ausübung als auch auf die Berufswahl, allerdings nicht mit gleicher Intensität. Nach der vom Bundesverfassungsgericht im so genannten „Apothekenurteil“ entwickelten Auslegung des Art. 12 (1) kann die Freiheit der Berufsausübung beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es erfor-derlich erscheinen lassen. Eine Einschränkung der Berufswahl kommt nur in Be-tracht, wenn es der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erfordert (vgl. Bundesverfassungsgericht 1958, S. 397 ff.).

Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist für die betriebliche Berufsausbildung von größter Bedeutung. Es schützt nicht nur das Recht der Nachfrager nach Ausbil-dungsplätzen, ihren Beruf frei zu wählen, sondern auch das Recht der Unter-nehmen, auszubilden oder nicht auszubilden. „Für die Unternehmer gehört die Berufsausbildung in den Bereich ihrer grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit“ (RICHTER 1970, S. 18). Als so genanntes Individualrecht schützt Art. 12 GG ge-gen ungerechtfertigte Eingriffe des Staates in die persönliche Freiheit, sich nach eigener Wahl ausbilden zu lassen (Berufsausbildung als Teil der Berufswahl des Auszubildenden) oder andere auszubilden (Berufsausbildung als Teil der Berufs-ausübung des Ausbildenden). Wenn sich jedoch Anbieter von und Nachfrager nach Ausbildungsplätzen auf dem Markt „getroffen“ und sich darauf verständigt haben, ein Ausbildungsverhältnis einzugehen, dann allerdings müssen sie be-stimmte gesetzlich vorgeschriebene Bedingungen einhalten. So zum Beispiel schreibt das BBiG im § 10 (1) vor, dass derjenige, der andere zur Berufsausbil-dung einstellt (Ausbildender), mit den Auszubildenden einen Berufsausbildungs-vertrag zu schließen hat. Die sich daraus ergebenden Aufgaben wiederum ver-pflichten den Ausbildenden die für die Berufsausbildung geltenden staatlichen Ausbildungsordnungen einzuhalten etc.

Ausbildungsmarkt und Berufsfreiheit

Berufsbildungspolitik

66

Unter dem diskutierten grundrechtlichen Rahmen liegen also wesentliche Vor-aussetzungen vor, von einem Ausbildungsmarkt im oben definierten Sinne zu sprechen. Die Ausbildungsstellen werden nicht staatlich und zentral bewirtschaf-tet. Dies war ansatzweise in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) der Fall, wo durch planwirtschaftliche Maßnahmen der Rahmen dafür festgelegt wurde, welche Ausbildungsstellen in welchen Bereichen und in wel-cher Menge angeboten und verteilt werden sollten. Wie die Erfahrungen mit planwirtschaftlichen Systemen zeigen, sind damit die staatlichen Planungsinstan-zen überfordert. Es wird nicht nur am Bedarf der Wirtschaft vorbei entschieden, sondern das individuelle Recht der Berufsfreiheit zunichte gemacht bzw. stark eingeschränkt.

Wie steht es nun mit dem marktwirtschaftlich orientierten System der Berufsaus-bildung? Unter der Voraussetzung, dass Ausbildungsplatzanbieter und –nachfrager frei entscheiden und ihren Bedarf am Markt „anmelden“ können, stel-len sich insbesondere folgende Fragen:

• Wodurch werden Art und Menge der Ausbildungsnachfrage und des Ausbil-dungsplatzangebots bestimmt?

• Welche institutionellen Vorkehrungen gibt es, damit Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage miteinander in Verbindung gebracht werden können? Oder anders gefragt: Wie sind die Ausbildungsmärkte organisiert?

• Welche Mechanismen sorgen dafür, dass es zu einem Ausgleich von Ange-bot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt kommt, was sind die Gründe dafür, dass es zu kurzfristigen und dauerhaften Ungleichgewichten kommt?

• Welche Politikakteure können bzw. sollen im Fall von Marktungleichgewich-ten und Funktionsstörungen des Ausbildungsmarkts in den Ausbildungsmarkt regulierend eingreifen? Welche Instrumente stehen ihnen dazu zur Verfü-gung?

• Wie wirksam sind staatliche und nicht-staatliche Interventionen in den Ausbil-dungsmarkt, und welche Folgeprobleme können solche Interventionen auslö-sen?

Für die Vertiefung dieser komplexen Materie sei der vom BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG herausgegebene Band „Der Ausbildungsmarkt und seine Ein-flussfaktoren“ (2005a) empfohlen. Bei den darin enthaltenen Beiträgen handelt es sich um die Ergebnisse eines Expertenworkshops über die anhaltend schwie-rigen Entwicklungen am Ausbildungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland. Bevor auf diese Entwicklungen und einige ausbildungsmarktpolitische Fragen eingegangen wird, soll abschließend zu den begrifflichen Überlegungen auf eine Besonderheit des Ausbildungsmarkts und der damit verbundenen Terminologie hingewiesen werden. Der BIBB-Ausbildungsmarktexperte Joachim Gerd ULRICH beschreibt diese Besonderheit in seinem einführenden Beitrag zu dem oben zi-tierten Band wie folgt (ULRICH 2005, S 6 ff.):

„Wer sich mit den Begriffen „Angebot“ und „Nachfrage“ im Zusammenhang mit dem Ausbil-dungsstellenmarkt beschäftigt, muss sich zunächst umgewöhnen: Denn die Begriffsbestim-mungen weichen vom in der Ökonomie sonst üblichen Schema ab (vgl. Übersicht 1). Betrach-ten wir zunächst die herkömmliche Begriffsverwendung auf den Märkten der Waren und Dienstleistungen und auf dem Arbeitsmarkt:

Problemaspekte des Ausbildungsmarkts

Besonderheiten des Ausbildungsmarkts im Vergleich zum Güter- und Arbeitsmarkt

4 Politikbereich: Berufsausbildung

67

• Auf den Märkten der Waren und Dienstleistungen bezeichnet das Angebot aus Sicht des einzelnen Marktteilnehmers – die volkswirtschaftliche Perspektive wollen wir zu-nächst unberücksichtigt lassen – die Bereitschaft zur Lieferung einer Ware oder einer Dienstleistung unter bestimmten Bedingungen. Die wichtigste Bedingung ist dabei in der Regel eine bestimmte Geldmenge, die der Kunde im Gegenzug der Lieferung zahlen soll. Die Nachfrage ist umgekehrt definiert als die Bereitschaft zum Kauf einer Ware oder Dienstleistung. Sie bestimmt sich zum einen durch die Bedürfnisse des Nachfragenden, zum anderen durch seine Kaufkraft. Reicht diese nicht aus, bleibt auch die Nachfrage aus, trotz des allgemeinen Interesses, die Ware oder Dienstleis-tung zu erwerben.

• Auf dem Arbeitsmarkt ist mit dem Angebot in individueller Hinsicht die Bereitschaft eines Erwerbswilligen gemeint, seine Arbeitskraft unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen die Arbeitsbedingungen vor allem aber auch die Entlohnung.

Die Nachfrage ist wiederum die Bereitschaft, eine Arbeitskraft einzustellen, sie zu nutzen und dafür zu bezahlen. Auch hier bestimmt sich die Nachfrage nicht allein durch die spezifischen Bedürfnisse, sondern vor allem auch durch die finanziellen Ressourcen des an der Nutzung einer Arbeitskraft Interessierten.

Die Angebots- und Nachfragedefinition auf dem Güter- und Arbeitsmarkt sind weitgehend vergleichbar; denn in beiden Sektoren wird mit der Nachfrage das Marktinteresse desjenigen gleichgesetzt, der das zur Disposition stehende Gut erwerben möchte und hierfür das Entgelt zu entrichten hat.

Dies ist auf dem Ausbildungsmarkt anders. Hier wird mit dem Nachfrager nicht derjenige gleichgesetzt, der zahlt (dies ist der Ausbildungsbetrieb), sondern derjenige, der ein Entgelt empfängt (also der Auszubildende). Mit dieser Umkehrung verbindet sich eine etwas eigenar-tige Perspektive: Der am Gut Interessierte fragt nach, und dafür wird er auch noch zusätzlich entlohnt. Und der Anbieter bietet nicht nur ein bestimmtes Gut an, nein, er zahlt auch noch da-für, wenn er es „loswird“. Zu verstehen wäre ein solches Verhalten aus dem herkömmlichen Begriffsverständnis eigentlich nur, wenn es sich bei dem nachgefragten Gut nicht um ein Gut, sondern um ein Ungut handeln würde, wie es sich beispielsweise bei zu entsorgenden, gifti-gen Produktionsabfällen oder sonstigem Müll um solche „Ungüter“ handelt. Dies ist natürlich bei der Ausbildung nicht der Fall, auch wenn die Lehrlinge in Österreich nach § 17 (1) des Be-rufsausbildungsgesetzes ganz offiziell für ihren Aufenthalt im Betrieb keine Vergütung, son-dern eine „Entschädigung“ erhalten, nämlich die so genannte „Lehrlingsentschädigung“.

Gleichwohl stellt sich die Frage, weshalb für den Ausbildungsmarkt diese Begriffsumkehrung vorgenommen wurde. Es dürfte hierfür mehrere Gründe geben. Dass es bis in das letzte Jahrhundert hinein tatsächlich die Ausbildungsplatznachfrager waren, die ihrem Lehrherren ein Lehrgeld zu entrichten hatten und damit diejenigen waren, die bezahlten, ist als gleichsam historischer Grund weniger bedeutsam. Entscheidender dürfte sein, dass sich die Bildungs-fachleute der sechziger bzw. siebziger Jahre in ihrem Begriffsverständnis mehr oder weniger bewusst vom Bildungsbedarfsansatz („social demand approach“) und weniger vom Arbeits-kräftebedarfsansatz („manpower requirement approach“) leiten ließen: Der Bildungsbedarf orientiert sich demnach primär an den gesellschaftlichen Bildungswünschen bzw. der aus der Gesellschaft stammenden Bildungsnachfrage und nicht etwa an der Nachfrage der Betriebe nach qualifizierter Arbeitsleistung. Dieses Bildungsverständnis war ihnen offenbar wichtiger, als den Nachfragebegriff an die Entlohnungspraxis anzupassen, die sich seit der Einführung der „Ausbildungsvergütungen“ (Deutschland), „Lehrlingslöhne“ (Schweiz) bzw. „Lehrlingsent-schädigungen“ (Österreich) und der Abschaffung des Lehrgeldes umgekehrt hatte.“

Die folgende Abbildung, ebenfalls dem zitierten Beitrag von ULRICH (2005, S. 7) entnommen, gibt einen Überblick über die Bestimmungsmerkmale des Begriffs ‚Ausbildungsmarkt’ – in Abgrenzung vom Markt für Waren und Dienstleistungen

Typologie der Märkte im Vergleich

Berufsbildungspolitik

68

und dem Arbeitsmarkt, und zwar jeweils aus der Perspektive der Marktteilnehmer und aus volkswirtschaftlicher Perspektive:

4 Politikbereich: Berufsausbildung

69

Markt der Waren und Dienstleistun-

gen Arbeitsmarkt Ausbildungsmarkt

Aus der Perspektive der einzelnen Marktteilnehmer:

● Angebot die Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen (Ver-kaufspreis) eine Ware oder einer Dienstleis-tung zu liefern

die Bereitschaft eines Erwerbswilli-gen, seine Arbeits-kraft unter bestimm-ten Bedingungen (Arbeits-bedingungen, Ent-lohnung) zur Ver-fügung zu stellen

die Bereitschaft, einen zur Ausbildung geeigne-ten Ausbildungswilligen einzustellen, ihn auszubil-den und eine Vergütung zu zahlen

● Nachfrage die Bereitschaft, eine Ware oder eine Dienstleistung zu erwerben und dafür einen Preis zu ent-richten

die Bereitschaft, eine Arbeitskraft einzustellen, sie zu nutzen und dafür eine Entlohnung zu zahlen

die Bereitschaft eines zur Ausbildung geeigneten Jugendlichen, sich zu bestimmten Bedingungen (u. a. Ausbildungsvergü-tung) ausbilden zu lassen

Aus volkswirtschaftlicher Perspektive:

● Angebot die Menge an Waren und Dienstleistun-gen, die Verkäufer zu einem bestimmten Preis absetzen wollen

die Zahl der Perso-nen, die bereit sind, ihre Arbeitskraft anderen gegen ein entsprechendes Entgelt zur Verfü-gung zu stellen

die Zahl der Ausbil-dungsplätze, die poten-tielle Arbeitgeber beset-zen möchten und bereit sind, dafür eine bestimmte Vergütung zu zahlen

● Nachfrage Menge an Waren und Dienstleistun-gen, die Käufer zu einem bestimmten Preis zu erwerben bereit sind

die Zahl der Ar-beitsplätze, die potenzielle Arbeit-geber besetzen möchten und bereit sind, dafür eine bestimmte Vergü-tung zu zahlen

die Zahl der Personen, die bereit sind, sich gegen ein entsprechendes Ent-gelt ausbilden zu lassen

Abbildung 8

Berufsbildungspolitik

70

Entwicklung des Ausbildungsstellenmarkts in der Bundesrepublik Deutsch-land – Begriffbestimmungen und Daten nach der amtlichen Ausbildungs-marktstatistik und dem Berufsbildungsbericht

Ausbildungsmarktpolitik orientiert sich in der Regel an den Begriffen und Daten der amtlichen Ausbildungsmarktstatistik. Auch hierbei zeigt sich – wie mehrfach in diesem Kursteil angesprochen – dass allein schon die Begriffsbestimmungen, derer sich die Berufsbildungspolitik bedient, das Ergebnis politischer „Vorent-scheidungen“ ist. Die Berufsbildungspolitik muss sich auf statistisch erfassbare und auswertbare Daten stützen können. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie immer nur einen bestimmten Realitätsausschnitt repräsentieren. Auf eine Kurzformel gebracht und zugegebenermaßen verkürzt: Politisch relevant ist das, was nach den Bestimmungen der Politik als relevant dokumentiert wird. Das gilt auch und in besonderer Weise für die Ausbildungsmarktpolitik. Grundlage hierfür ist das Berufsbildungsgesetz und der nach diesem Gesetz gemäß § 86 der Bundesregierung jährlich vorzulegende Berufsbildungsbericht. Hierzu folgen nun einige Hintergrundinformationen, wie es überhaupt zu dieser Berichtspflicht und der damit verbundenen Berufsbildungsstatistik gekommen ist. Nicht nur der Inhalt, auch die Geschichte des Berufsbildungsgesetzes gehört zu den Beson-derheiten der Berufsbildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland.

Das Berufsbildungsgesetz von 1969 sah eine regelmäßige Beobachtung des Ausbildungsmarkts und eine entsprechende Berichtspflicht nicht vor. Die Aufga-ben des damals so bezeichneten Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung waren im Gesetz vage umschrieben. Das Institut habe, wie es im § 60 hieß, „die Gegebenheiten und Erfordernisse der Berufsbildung ständig zu beobachten, zu untersuchen und auszuwerten.“ Die wesentlichen Ergebnisse seien zu veröffent-lichen. Ein Bezug auf den Ausbildungsmarkt war nicht vorgesehen.

Bereits Anfang der 1970er Jahre wurden angesichts zunehmender Probleme am Ausbildungsmarkt Forderungen nach einer Erweiterung der gesetzlichen Be-richts- und Regelungsaufgaben laut. Im Juni 1975 schließlich legte die Bundes-regierung dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines neuen Berufsbildungs-gesetzes vor. Damit sollte insbesondere auf ein genügendes Angebot an Ausbildungsplätzen hingewirkt werden, um die Jugendarbeitslosigkeit zu be-kämpfen und eine qualifizierte berufliche Bildung der Jugendlichen zu gewähr-leisten. Die Lösung dieser Probleme erschien besonders dringlich, weil zuneh-mend geburtenstarke Jahrgänge die Schule verließen und ins Berufsleben eintraten. Der ansteigenden Nachfrage stand ein stagnierendes betriebliches Angebot gegenüber. Die Ausbildung eines nicht unerheblichen Teils der jungen Generation schien damit in den Jahren ab 1977 nicht mehr gewährleistet zu sein.

Der Regierungsentwurf eines neuen Berufsbildungsgesetzes wurde vom Bundes-tag angenommen; der Bundesrat versagte dem Gesetz jedoch die Zustimmung. Darauf legten die Fraktionen der SPD und FDP. den „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Angebots an Ausbildungsplätzen in der Berufsausbildung (Ausbil-dungsplatzförderungsgesetz“ (APlFG)) vor, von dem angenommen wurde, dass er nicht der Zustimmung durch den Bundesrat bedürfte. Der Bundespräsident schloss sich dieser Auffassung an und fertigte das Gesetz aus. Es wurde am 9. September 1976 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I S. 2658). Das Gesetz sah vor, dass zur Sicherung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden An-gebots an Ausbildungsplätzen finanzielle Hilfen gewährt werden könnten (§ 1 APlFG). Der zuständige Bundesminister sollte nach den Bestimmungen des

Entwicklung des Berufs-bildungsgesetzes im Hinblick auf die Entwick-lung des Ausbildungs-markts

Berufsbildungsgesetz (1969)

Entwurf eines neuen Berufsbildungsgesetzes (1975)

Ausbildungsplatzförde-rungsgesetz (1976)

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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APlFG der Bundesregierung bis zum 1. März jeden Jahres einen Berufsbildungs-bericht vorlegen, in dem die voraussichtliche Weiterentwicklung des Ausbil-dungsplatzangebotes der kommenden Jahre darzustellen sei (§ 5 (3) bis (5) APlFG). Stellte die Bundesregierung aufgrund dieses Berichtes fest, dass die bis zum 30. September des vergangenen Kalenderjahres insgesamt angebotenen Ausbildungsplätze die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen um weniger als 12,5 v. H. überstiegen und dass eine wesentliche Verbesserung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage für das laufende Kalenderjahr nicht zu erwarten sei, so seien nach Maßgabe einer Rechtsverordnung der Bundesregierung finanzielle Hilfen aus Mitteln der Berufsausbildungsabgabe zu gewähren. Mit der Verab-schiedung des APlFG wurde die bis heute geltende gesetzliche Berichtspflicht in Form des jährlichen Berufsbildungsberichts eingeführt.

Gegen das APlFG wurde beim Bundesverfassungsgericht (BVerG) ein Normen-kontrollverfahren eingeleitet. Mit Urteil des BVerG vom 10.12.1980 wurde das APlFG schließlich für nichtig erklärt (BVerfG 2 BvF 3/77). Nach der Urteilsbe-gründung des BVerG galt die im APlFG vorgesehene Berufsausbildungsabgabe als verfassungsrechtlich zulässige Sonderabgabe und in diesem Sinne als ein nicht zustimmungsbedürftiges Gesetz. Allerdings enthielt das APlFG Vorschrif-ten, die das Verwaltungsverfahren regelten. Hierzu hätte es nach Art.84 (1) des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrats bedurft.

Um die entstandenen Lücken möglichst schnell zu schließen, brachte die Bun-desregierung im Januar 1981 den Entwurf des Berufsbildungsförderungsgeset-zes im Parlament ein. Es wurde nach den Beratungen im Bundestag, den Durch-gängen im Bundesrat und dem Vermittlungsverfahren gemäß Anrufungsbe-gehren des Bundrats schließlich vom Bundespräsidenten am 23.12.1981 ausgefertigt und trat seit dem 1.1.1982 als „Gesetz zur Förderung der Berufsbil-dung durch Planung und Forschung“ (BerBiFG) in Kraft. Bis auf die aus ver-schiedenen Gründen nicht wieder aufgenommene Finanzierungsregelung ent-sprach das BerBiFG im Wesentlichen dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz von 1976. Es übernahm hieraus die Teile Planung und Statistik sowie Bundesin-stitut für Berufsbildung. Damit sollte die notwendige jährliche Berufsbildungsbe-richterstattung wiederhergestellt, der Berufsbildungsstatistik die gesetzliche Grundlage gegeben und die Weiterarbeit des BIBB in seiner durch das APlFG geschaffenen Konzeption gesichert werden. Zusammen mit dem nach wie vor geltenden Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 und der darauf abgestimmten Handwerksordnung bildete es bis zum Jahre 2005 den gesetzlichen Rahmen für die Gestaltung der Berufsbildung sowie der Berufsbildungspolitik und -planung in der Bundesrepublik Deutschland.

Mit dem Berufsbildungsreformgesetz aus dem Jahre 2005 wurden das Berufsbil-dungsgesetz von 1969 und das Berufsbildungsförderungsgesetz erneut novelliert und zusammengeführt. Aus Sicht der Bundesregierung, die mit ihrer Gesetzesini-tiative einer entsprechenden Aussage in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen nachkam, sollten mit diesem Gesetz und den damit angestrebten Reformmaßnahmen

„… mehr jungen Menschen eine berufliche Erstausbildung ermöglicht, die internationale Wett-bewerbsfähigkeit gesichert, die regionale Verantwortung gefördert, die Durchlässigkeit zwi-schen den Bildungssystemen erhöht und die Kooperation der beiden Lernorte Betrieb und Schule gestärkt werden. Dabei soll die Flexibilität der dualen Ausbildung ausgebaut werden, Qualität und Verlässlichkeit aber erhalten bleiben. Die Verschlankung von Gremien soll zu Bü-rokratieabbau führen“ DEUTSCHER BUNDESSTAG 2004, S. 1).

Berufsbildungsförde-rungsgesetz (1981)

Berufsbildungsreform-gesetz (2005)

Berufsbildungspolitik

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Hinsichtlich der Bestimmungen zur ständigen Beobachtung des Ausbildungsmarkts und der gesetzlichen Berichtspflicht knüpft das Berufsbildungsgesetz in der Fassung von 2005 direkt an das APlFG von 1976 an, allerdings ohne die Verknüpfung mit den Regelungen zur Ausbil-dungsplatzabgabe. Hierzu heißt es im § 86 BBiG unter der Überschrift „Berufsbildungsbe-richt“:

„(1) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Entwicklungen in der beruflichen Bildung ständig zu beobachten und darüber bis zum 1. April jeden Jahres der Bundesregie-rung einen Bericht (Berufsbildungsbericht) vorzulegen. In dem Bericht sind Stand und voraus-sichtliche Weiterentwicklungen der Berufsbildung darzustellen. Erscheint die Sicherung eines regional und sektoral ausgewogenen Angebots an Ausbildungsplätzen als gefährdet, sollen in den Bericht Vorschläge für die Behebung aufgenommen werden.

(2) Der Bericht soll angeben

1. für das vergangene Kalenderjahr

a) auf der Grundlage von Angaben der zuständigen Stellen die in das Verzeichnis der Beruf-sausbildungsverhältnisse nach diesem Gesetz oder der Handwerksordnung eingetragenen Berufsausbildungsverträge, die vor dem 1. Oktober des vergangenen Jahres in den vorange-gangenen zwölf Monaten abgeschlossen worden sind und am 30. September des vergange-nen Jahres noch bestehen, sowie

b) die Zahl der am 30. September des vergangenen Jahres nicht besetzten, der Bundesagen-tur für Arbeit zur Vermittlung angebotenen Ausbildungsplätze und die Zahl der zu diesem Zeitpunkt bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Ausbildungsplätze suchenden Perso-nen;

2. für das laufende Kalenderjahr

a) die bis zum 30. September des laufenden Jahres zu erwartende Zahl der Ausbildungsplät-ze suchenden Personen,

b) eine Einschätzung des bis zum 30. September des laufenden Jahres zu erwartenden An-gebots an Ausbildungsplätzen.“

Aus § 86 wird einer der wichtigsten Indikatoren der Ausbildungsmarktentwicklung und der jährlichen Berufsbildungsberichterstattung abgeleitet: die so genannte Angebots-Nachfrage-Relation (ANR). Sie ist wie folgt definiert:

Berufsbildungsbericht/ Ausbildungsplatzbilanz

Angebots-Nachfrage-Relation (ANR)

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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Quelle: Eigene Darstellung.

Angebots-Nachfrage-Relation gemäß § 86 (2) BBiG

x 100ANR =Neu abgeschlosseneAusbildungsverträge

UnbesetzteStellen+Noch nicht vermittelte Bewerber

+Neu abgeschlosseneAusbildungsverträge

Abbildung 9

Komponenten der ANR sind: die Zahl der vom 1. Oktober eines Jahres bis zum 30. September des folgenden Jahres neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge („Neuabschlüsse“), die Zahl der zum Stichtag 30. September unbesetzten Aus-bildungsplätze („unbesetzte Stellen“) sowie die Zahl der am 30. September noch nicht vermittelten Bewerber(innen). Statistische Grundlagen sind für die Neuab-schlüsse die Daten aus der Kammernstatistik sowie die Daten der Ausbildungs-marktstatistik der Bundesagentur für Arbeit in Bezug auf die offenen Stellen und die unvermittelten Bewerber(innen) („Unversorgte“).

Für das Berichtsjahr 2004/2005 (Stichtag 30.09.2005) wurde nach dieser Defini-tion folgende ANR berechnet:

x 100ANR (2005) = 550.180 + 12.636

550.180 + 40.900

x 100 = 95,2ANR (2005) = 562.816

591.080

Angebots-Nachfrage-Relationfür die Bundesrepublik Deutschland 2005

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung (2006a).

Abbildung 10

Berufsbildungspolitik

74

Die ANR ist als Indikator und Messkonzept für die Beurteilung der Ausbildungs-marktentwicklung nur unter Vorbehalt und nur bei vorsichtiger Interpretation der zugrunde liegenden Daten geeignet. Unter Hinzuziehung der unten eingefügten Tabelle der Bundesagentur für Arbeit über die Ausbildungsmarktentwicklung von 1994 bis 2004 sollen die wichtigsten Erfassungs- und Interpretationsprobleme kurz angesprochen werden:

Die ANR gibt als Quote nicht unmittelbar die Entwicklung der neu abgeschlossen Ausbildungsverträge wieder. Die Zahl der Neuabschlüsse aus den Kammernsta-tistiken ist relativ zuverlässig, da alle neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, die innerhalb eines Bezirks abgeschlossen worden sind, in das bei den Kammern geführte Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (§ 34 BBiG) einzutragen sind. Die Entwicklung der Neuabschlüsse spiegelt am ehesten das tatsächliche Ausbildungsverhalten der Betriebe wider. Nicht hingegen die Nachfrage nach Ausbildungsstellen. Es ist davon auszugehen, dass der Rückgang der Neuab-schlüsse nicht auf eine verminderte Nachfrage nach Ausbildungsstellen zurück-zuführen ist. Wie den Zahlen zur Ausbildungsmarktentwicklung der Bundesagen-tur für Arbeit zu entnehmen ist, war die Zahl der Neuabschlüsse während der vergangenen Jahre stark rückläufig, während bei den gemeldeten Bewerbern ein Anstieg zu verzeichnen war.

Erhebliche Erfassungsprobleme gibt es bei den unvermittelten Bewerbern und den unbesetzten Ausbildungsstellen. Erfasst werden nur die bei den regionalen Agenturen für Arbeit registrierten Bewerber(innen) und Anbieter(innen). Die so genannte Einschaltquote der regionalen Agenturen ist unterschiedlich, so dass regionale Vergleiche nur bedingt möglich sind. Schwerwiegender ist: Bei der Be-rechnung der Angebots-Nachfrage-Relation werden auf der Nachfrageseite sol-che Ausbildungsstellenbewerber nicht mit eingerechnet, die nach Informationen der Bundesagentur für Arbeit wegen fehlenden Bewerbungserfolgs auf Alternati-ven und in Warteschleifen ausgewichen sind. Sie gelten erst einmal als „ver-sorgt“, obwohl sie weiterhin in eine Ausbildungsstelle vermittelt werden möchten. Ihre Zahl belief sich nach Angaben des BIBB im Jahr 2005 auf rund 50 Tausend. Die Zahl der Jugendlichen, die nach Verlassen der allgemein bildenden Schulen berufsvorbereitende Maßnahmen an berufsbildenden Schulen (Berufsvorberei-tungsjahr) oder bei freien Trägern im Rahmen der Arbeitsförderung besuchen (siehe Teil 6), ist seit den 1990er Jahren massiv gestiegen. Für 2005 wird vermu-tet, dass der Anteil dieser Jugendlichen sogar erstmals höher ausfällt als die Einmündungsquote in das duale System (vgl. ULRICH u. a. 2006, S. 7).

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Abbildung 11

Betrachtet man die Zahlen der amtlichen Ausbildungsmarktstatistik im längeren Zeitablauf, so kristallisieren sich – bei allem Vorbehalt gegenüber dem Messkon-zept der Angebots-Nachfrage-Relation – einige typische Merkmale heraus (siehe Abb. 12). Von grundlegender Bedeutung ist hierbei die Abhängigkeit des Ausbil-dungssystems von konjunkturellen und regionalen Einflüssen. Die Chance, eine qualifizierte Berufsausbildung zu absolvieren, hängt in hohem Maße davon ab, in welcher konjunkturellen Lage und in welcher Region jemand die Schule verlässt und den Ausbildungsmarkt betritt.

Ausbildungsmarktent-wicklung im Zeit- und Regionalvergleich

Berufsbildungspolitik

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Im Unterschied zum allgemeinen Schulwesen, das gesetzlich verpflichtet ist, bei der regionalen Schulentwicklungsplanung ein vollständiges und auch wohnortna-hes Bildungsangebot zu sichern, variieren die Chancen des Zugangs zu betrieb-lichen Ausbildungsplätzen mit konjunkturellen Schwankungen des Beschäfti-gungssystems und der jeweiligen regionalen Wirtschaftsstruktur im Wohn- und Arbeitsbereich der Ausbildungsplatzbewerber. Selbst zu Zeiten der Hochkonjunk-tur und des globalen Überschusses an gemeldeten Ausbildungsstellen trifft man in strukturschwachen Regionen auf einen erheblichen Mangel an Ausbildungs-plätzen.

Besonders dramatisch entwickelte sich die Ausbildungssituation in den neuen Bundesländern nach Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland. Das frühere Nord-Süd-Gefälle regionaler Disparitä-ten in Westdeutschland ist in abgeschwächter Form auch heute noch vorhanden, wird aber überlagert von dem deutlich stärkeren Gefälle zwischen west- und ost-deutschen Ländern.

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Ausbildungsplatz-Angebots-Nachfrage-Relation in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und im Bundesgebiet 1980-2004

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die Berufsbildungsberichte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Abbildung 12

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Arbeitsmarkt und Ausbildungs-stellenmarkt. Bundesländer mit relativ niedrigen Arbeitslosenquoten, wie schon in den 1980er Jahren Baden-Württemberg und Bayern, weisen die höchsten Ange-bots-Nachfrage-Relationen auf dem Ausbildungsstellenmarkt aus. Demgegenü-ber sind Länder mit der höchsten Arbeitslosenquote, so seit den 1980er Jahren die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg und nach der Vereinigung noch ausgeprägter die neuen Bundesländer, am stärksten von den Einbrüchen auf dem Ausbildungsstellenmarkt betroffen.

Die Varianz der länderspezifischen Abweichungen vom Bundesdurchschnitt der Angebots-Nachfrage-Relationen auf den Ausbildungsstellenmärkten verändert sich in Abhängigkeit von der Arbeitsmarktlage. Sinkende Arbeitslosenquoten ge-hen einher mit zunehmenden Differenzen der Ausbildungsversorgungslage zwi-

Zusammenhang von Ausbildungs- und Arbeitsmarkt

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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schen den Bundesländern (und Arbeitsagenturbezirken) und umgekehrt. Privile-gierte Regionen zeichnen sich aus durch eine vergleichsweise hohe Reagibilität des Ausbildungsstellenmarkts in Abhängigkeit von der Entwicklung des Arbeits-markts. Tendenziell schlecht versorgte Ausbildungsmarktregionen verbessern ihre Ausbildungsmarktsituation bei konjunkturellem Aufschwung weniger stark als gut versorgte.

Das Niveau der Arbeitslosigkeit ist seit 1991 bei zunehmender Spreizung der regionalen Arbeitslosenquoten rapide gestiegen (vgl. Abb. 13). Im internationalen Vergleich gehörte die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosenquote der Jugendlichen unter 25 Jahren. Dies wurde insbesondere als ein Erfolg des dualen Ausbildungssystems angese-hen. Inzwischen hat sich die Arbeitslosigkeit als Problem für Jugendliche seit Beginn der 1990er Jahre deutlich verschärft, und zwar stärker als bei Erwachse-nen. Ingesamt ist der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht nur durch eine sehr hohe Unterbeschäftigung gekennzeichnet, sondern auch dadurch, dass sich das Ni-veau der Arbeitslosigkeit seit Anfang der siebziger Jahre schubweise und dauer-haft erhöhte. Das heißt: „es ist zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit gekom-men“ (SACHVERSTÄNDIGENRAT ZUR BEGUTACHTUNG DER GESAMTWIRT-SCHAFT-LICHEN ENTWICKLUNG 2005, S. 132). Zusätzliche Erkenntnisse über die Ver-festigung der Arbeitslosigkeit liefert die Betrachtung der qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten. Die Quoten ergeben sich, indem man für jede einzelne Qua-lifikationsebene die Zahl der Arbeitslosen auf die Gesamtzahl der Erwerbsperso-nen dieser Qualifikation bezieht. Die Spreizung der Arbeitslosigkeit zwischen Personen ohne Berufsausbildung und denen mit Ausbildung vergrößert sich so-wohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern. Im früheren Bundesge-biet (mit West-Berlin) kam es zwischen den Jahren 1991 und 2004 zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote von Personen ohne berufliche Qualifikation von 12,8 % auf 21,7 %. In Ostdeutschland nahm die entsprechende Quote sogar von 31,1 % auf 51,1 % zu (SACHVERSTÄNDIGENRAT ZUR BEGUTACHTUNG DER GE-SAMTWIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG 2005, S. 133 f.).

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Arbeitslosenquoten in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und im Bundesgebiet 1980 - 2004

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die Bundesanstalt/Bundesagentur für Arbeit.

Abbildung 13

Konsequenzen für die Ausbildungsmarktpolitik

In einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland, in der die Verteilung von Lebenschancen so eng an die Stellung im Beruf gebunden ist, kann der frei-willige oder erzwungene Verzicht auf Berufsausbildung irreversible Folgen ha-ben. Wie die Befunde der westdeutschen Lebensverlaufsstudien am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung belegen (vgl. BLOSSFELD 1988), gilt das nicht nur für den Einzelfall, sondern für ganze Geburtskohorten. Es ist deshalb nicht ers-taunlich, dass die Versorgung Jugendlicher mit Ausbildungsplätzen höchsten Stellenwert in der arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Diskussion hat. Die Be-rufsausbildung im dualen System gilt als beste Voraussetzung dafür, eine qualifi-zierte Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Doch diese Annahme kollidiert mehr und mehr mit den harten Fakten des Arbeitsmarkts; sie behält allenfalls im Sinne des von MERTENS (1984) formulierten „Qualifikationsparadoxon“ ihre Berechti-gung: Lernen und Qualifizierung sind als Teilnahmebedingung für den berufli-chen Wettbewerb fast unerlässlich; sie sind aber keine hinreichende Garantie mehr für den individuellen Erfolg.

Höchste Priorität der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung hat das Ziel „Ausbildung für alle“ (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2000, S. 1). Allerdings lässt sich dieses Ziel nicht unmittelbar durchsetzen. Denn für die Ausbildung im deutschen System gilt nach dem verfassungsrechtlichen Grund-satz der „Berufsfreiheit“ (Art. 12 des Grundgesetzes) die Vertragsfreiheit: Kein Unternehmen kann gezwungen werden, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Die Ausbildungsbereitschaft und das Ausbildungsvolumen der Betriebe orientieren sich primär am Personalbedarf der einzelnen Unternehmen und damit letztlich am Markt. Hinzu kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein föderaler Bundesstaat ist, in dem die politischen und administrativen Zuständigkeiten für die Berufsausbildung auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt sind.

Ansätze der Ausbil-dungsmarktpolitik

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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Ungleichgewichte am Ausbildungsmarkt können angebots- und nachfragebedingt sein. Zeitgleich mangelt es in vielen Ausbildungsberufen an Ausbildungsplätzen (gemessen an der Nachfrage), während demgegenüber – insbesondere im Handwerk – offene Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Neben kon-junkturellen und demografischen Einflussfaktoren spielen hierbei strukturelle Gründe eine Rolle, auf die die Ausbildungsmarktpolitik selbst keinen Einfluss nehmen kann und die sich kurzfristig nicht verändern lassen. So hat die Schulre-form mit der Verbesserung der Durchlässigkeit bei Konstanthalten des dreigliede-rigen Schulwesens (siehe Kapitel 3) nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ganze Bereiche der Berufsausbildung vom „Austrocknen“ bedroht sind (LUTZ 1991), weil sie nicht mehr die Möglichkeit haben, qualifizierte Ausbildungsbewer-ber aus der Hauptschule zu rekrutieren. An diesem Beispiel zeigt sich, wie eng Entwicklungen des allgemeinen Schulwesens mit denen des beruflichen Bil-dungssystems zusammenhängen.

Aber auch das Ausbildungssystem selbst weist Verkrustungen auf, die das Aus-bildungsplatzangebot und die Nachfrage nach Ausbildungsstellen negativ beeinf-lussen können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Inflexibilität des Sys-tems bei der Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen. Darauf soll im Kapitel 8 näher eingegangen werden. Darin geht es um Strukturreformen des Berufsbildungssystems. Ausbildungsmarktpolitik beschränkt sich, wie im Ab-schnitt 1.3 dieses Kursteils bei der Klassifizierung der Politikbereiche angemerkt wurde, auf politische Maßnahmen innerhalb des vorgegebenen Bedingungsrah-mens.

Voraussetzung jeder rationalen Ausbildungsmarktpolitik ist die Frage nach den Einflussfaktoren von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage. Dies sei am Bei-spiel der angebotsorientierten Ausbildungsmarktpolitik verdeutlicht. Von beson-derer Bedeutung ist hierbei die Frage, warum Betriebe trotz Berechtigung nicht ausbilden. Diese Frage wurde im Jahr 2000 in den Fragenkatalog des IAB-Panels – einer regelmäßigen Wiederholungsbefragung des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung – aufgenommen (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR BIL-DUNG UND FORSCHUNG 2002, S.114). Als wichtigste Gründe wurden schwer-punktmäßig sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern genannt, dass die Ausgebildeten nach der Ausbildung nicht übernommen werden könnten und dass die Ausbildung entweder zu aufwendig oder zu teuer sei. Nahezu die Hälfte der betroffenen Betriebe in den neuen Ländern gab an, nicht auszubilden, weil die Übernahme der Absolventen nicht von vornherein gewährleistet werden könnte. Dies galt in den alten Ländern nur für ein Viertel als Hindernis, Auszubil-dende einzustellen. Hier stand die Kostenfrage im Vordergrund der Entscheidung für oder wider die Aufnahme der eigenen betrieblichen Berufsausbildung. Diese Begründung spielte allerdings auch für die Betriebe in den neuen Ländern eine beachtliche Rolle. Immerhin gab rund ein Fünftel der Betriebe in den westlichen Ländern an, die Auszubildenden seien zu viel in der Berufsschule, während dies wiederum bei den Betrieben in den neuen Ländern einen eher untergeordneten Stellwert einnahm.

Betrachtet man vor dem Hintergrund solcher Untersuchungsbefunde die ausbil-dungsmarktpolitische Diskussion, so sind die vielfach extrem einseitig geprägten „Patentrezepte“ kaum nachzuvollziehen. Der Unterschiedlichkeit der Gründe da-für, nicht auszubilden, kann nur mit einem abgestimmten Konzept differenzierter Maßnahmen begegnet werden. Für Betriebe, die durchaus einen Bedarf an Aus-zubildenden, aber für eine Investition in Ausbildung keine finanziellen Mittel ver-

Berufsbildungspolitik

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fügbar haben, kann eine Entlastung bei den Ausbildungskosten – etwa bei den Ausbildungsvergütungen – durch Zuwendungen aus Mitteln der Arbeitsförderung nach dem Sozialhilfegesetz (SGB III) oder eine steuerliche Abzugsfähigkeit durchaus ein Anreiz sein, neue Auszubildende einzustellen. Bei Betrieben, die infolge branchenbedingter Restrukturierungsmaßnahmen den Bestand an Fach-kräften abbauen müssen, würde eine subventionierte Ausbildung strukturelle Anpassungen möglicherweise verzögern, ganz abgesehen davon, dass die Aus-zubildenden bei Nichtübernahme und bei Absorptionsproblemen der jeweiligen Branche das Risiko eingingen, die erworbenen Qualifikationen nicht verwerten zu können. In diesem Fall wäre es ratsamer durch eine gezielte Innovationspolitik neue Beschäftigungsfelder mit neuen Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen.

Ein anderer Aspekt betrifft die im Kursteil schon mehrfach angesprochene Frage nach den Akteuren der Ausbildungsmarktpolitik. Zur Diskussion steht hierbei die Kontroverse zwischen Vertretern staatlicher Interventionspolitik und Anhängern korporatistischer Arrangements. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Auseinan-dersetzung über die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe durch das von der Bundesregierung 2004 vorgesehene Ausbildungsplatzsicherungsgesetz. Dieses Gesetz ist nicht verabschiedet worden. Es orientierte sich am Ausbildungsplatz-förderungsgesetz von 1976 (siehe oben), das zwar zustande gekommen war, aber bis zu seiner Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht nie umge-setzt wurde, obwohl die Voraussetzungen dafür vorlagen. Entscheidend dafür war und ist, dass allein die Form einer gesetzlichen Bestimmung kontraprodukti-ve Effekte auslösen kann, die zu einer Verschlimmerung der Ausbildungs-marktmisere führen würden. Aufgrund der verfassungsrechtlich gesicherten Be-rufsfreiheit (Rahmenbedingung für politics und policies!) lässt sich auf die Unternehmen kein gesetzlicher Zwang zur Berufsausbildung anderer ausüben. Notfalls könnten sich die Unternehmen mit einer Ausbildungsabgabe von Ausbil-dungsaufgaben „freikaufen“.

Über Vor- und Nachteile eines Ausbildungsplatzsicherungsgesetzes vertraten die beteiligten Akteure der Bundesregierung, der Arbeitgeberverbände und Wirt-schaftsorganisationen sowie der Gewerkschaften konträre Auffassungen (vgl. hierzu die Stellungnahmen zum Entwurf des Berufsbildungsberichts 2004 in: BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2005, S. 25 ff.). Anstelle des Gesetzes schlossen die Bundesregierung und die Spitzenverbände der deut-schen Wirtschaft am 16. Juni 2004 den auf drei Jahre befristeten „Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“. Dieser Pakt trug dazu bei, dass es noch gelang, den Bewerberüberhang, der am Ende des Be-rufsberatungsjahres 2003/2004 bei den Arbeitsagenturen vorhanden war, nach-träglich – das heißt im vierten Quartal 2004 – deutlich zu reduzieren. Im Berichts-jahr 2004/05 kam es trotz des Nationalen Pakts nur zu einer leichten Reduktion des Bewerberüberhangs gegenüber dem Vorjahr. Wie bereits oben dargelegt, sank die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung. Die Gründe hierfür sind offenbar wirtschaftli-cher Art. Die ökonomischen Rahmenbedingungen waren im Berufsberatungsjahr 2004/05 nach Angaben des Sachverständigenrats zur Begutachtung der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung noch schwieriger als ein Jahr zuvor. Dies be-stätigt im Grunde die These von der nachgelagerten Stellung der Berufsbil-dungspolitik (vgl. Abschnitt 1.3; DAUENHAUER 1981, S. 5).

Angesichts dieser Entwicklungen gewinnen vollzeitschulische Ausbildungsmaß-nahmen an Bedeutung. In seiner Stellungnahme zum Entwurf des Berufsbil-

4 Politikbereich: Berufsausbildung

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dungsberichts 2005 widmete der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Be-rufsbildung diesem Ansatz zur Entspannung des Ausbildungsmarkts eine auffal-lend wohlwollende Kommentierung (vgl. Berufsbildungsbericht 2005, S. 28 f.). Aus Sicht der Länder, so der Hauptausschuss, dem auch die Ländervertreter angehören, seien berufsqualifizierende schulische Bildungsgänge in enger Ab-stimmung mit der Wirtschaft so weiter zu entwickeln, dass sie mit einer Orientie-rung an Ausbildungsordnungen oder gleichwertigen Standards und einer Orien-tierung der Ausbildung an der unternehmerischen Praxis zu Kammernprüfungen führen können, um anschließend den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu gewährleis-ten. In Anbetracht der kontinuierlich steigenden Anzahl der Jugendlichen ohne abgeschlossene Berufsausbildung müssen nach Auffassung des Hauptaus-schusses vielfältige Maßnahmen ergriffen werden, um die Chancen zum Erwerb eines qualifizierten Berufsabschlusses zu verbessern. Inwieweit daran die Be-rufsfachschule ihren Anteil hat, soll im nächsten Abschnitt besprochen werden.

4.3 Berufsausbildung im Schulberufssystem

4.3.1 Funktionen und Formen der Schulberufsausbildung Berufsfachschulen haben in Deutschland eine lange Tradition. Sie reichen bis ins 18. Jahrhundert, wenngleich sie sich unter dieser Bezeichnung erst in den dreißi-ger Jahren schulrechtlich konsolidierten. Maßgeblich hierfür ist der Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 29 Okto-ber 1937 zur „Vereinheitlichung der Benennung der Berufs- und Fachschulen“. Dieser Erlass ordnete die berufsbildenden Schulen drei Schultypenkategorien zu: ‚Berufsschule’, ‚Berufsfachschule’ und ‚Fachschule’ (vgl. hierzu: HARNEY u. a. 2006). Diese Grundtypen sind bis heute konstitutiv für das berufsbildende Schul-wesen. Wie bereits ausgeführt, ist die Berufsschule Teil des dualen Ausbildungs-systems; sie ergänzt die betriebliche Ausbildung alternierend in Form des Teil-zeitunterrichts oder des Blockunterrichts. Die Fachschule dient der beruflichen Fortbildung nach Abschluss der Berufsausbildung und dem Erwerb berufsprakti-scher Erfahrungen. Die Berufsfachschulen waren in dem oben zitierten Erlass definiert als „Schulen, die, ohne eine praktische Berufsausbildung vorauszuset-zen, freiwillig in ganztägigem Unterricht, der mindestens ein Jahr umfasst, zur Vorbereitung auf einen handwerklichen, kaufmännischen oder hauswirtschaftli-chen Beruf besucht werden“ (zitiert nach KÜMMEL 1980, S. 197).

Die Berufsfachschulen haben während der vergangenen Jahrzehnte quantitativ, aber auch qualitativ einen nachhaltigen Bedeutungszuwachs erfahren. Nach wie vor dienen sie der Vorbereitung auf einen Beruf. Sie vermitteln eine berufsfeld-breite Grundbildung, die im Sinne des Berufsgrundbildungsjahrs auf die Ausbil-dungszeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf angerechnet werden kann, und sie bieten auch die Möglichkeit, außerhalb des dualen Ausbildungssystems eine berufliche Erstausbildung nach Landesrecht zu absolvieren. Abgesehen davon bieten sie Schulabschlüsse auf mittleren und studienqualifizierenden Ni-veaus und tragen damit zur Verbesserung der Durchlässigkeit bei. Entsprechend dieser Multifunktionalität werden Aufgabe und Ziel der Berufsfachschulen nach der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz über Berufsfachschulen vom 28.02.1997 i.d.F. vom 22.10.2004 wie folgt bestimmt:

„Die Berufsfachschulen haben das Ziel, Schülerinnen und Schüler in einen oder mehrere Be-rufe einzuführen, ihnen einen Teil der Berufsausbildung (zum Beispiel berufliche Grundbil-

Berufsfachschulen

Ziele und Arten der Berufsfachschule

Berufsbildungspolitik

82

dung) in einem oder mehreren anerkannten Ausbildungsberufen zu vermitteln oder sie zu ei-nem Berufsausbildungsabschluss in einem Beruf zu führen. Sie erweitern die vorher erworbe-ne allgemeine Bildung und können einen darüber hinausgehenden Bildungsstand vermitteln“ (KULTUSMINISTERKONFERENZ 2004, S. 3).

traditionell, mit Schulabschluss undGleichstellung zum

dualen System

Berufliche Ausbildung im Sekundarbereich

Duales System Beamtenausbildung (ohne höheren Dienst)

Schulen des Gesund-heits- und Sozial-

wesens (Bundesrecht)

voll qualifizierend nicht voll qualifizierend

außerhalb BBiG/HwO(Landesrecht) gemäß BBiG/HwO

Technische Assistenten

Wirtschafts-assistenten

personen-bezogene

Dienstleistungs-berufe

„kooperativ“, mitBetriebsphase(n)

undKammerprüfung

Quelle: Feller (2001), S. 5.

Berufsfach-schulen

Position der voll qualifizierenden Berufsfachschulenim beruflichen Bildungssystem

Abbildung 14

Der Bedeutungszuwachs der Berufsfachschulen wird aus berufsbildungspoliti-scher Sicht als ambivalent eingeschätzt. Dies hängt damit zusammen, dass die Berufsfachschule aufgrund veränderter Rahmenbedingungen auf dem Ausbil-dungsstellenmarkt Ausgleichsfunktionen für marktbenachteiligte Personengrup-pen übernehmen musste, und zwar sowohl als Ersatz für den Rückgang an be-rufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit nach dem SGB III (siehe Kapitel 6) als auch in Bezug auf die berufliche Erstausbildung unter dem Druck des Mangels an betrieblichen Ausbildungsstellen. Davon unabhängig hat die Berufsfachschule ihre originären Aufgaben. Diese sind in der oben zitierten Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz angesprochen. Auch gibt es Berufe, die traditionell nicht im dualen Ausbildungssystem angeboten wurden und den Berufsfachschulen vorbehalten waren, wie z. B. die so genannten Assis-tentenberufe oder der Beruf des Erziehers/der Erzieherin. Allerdings hat sich im „kommunizierenden System“ der betrieblichen und vollzeitschulischen Berufs-ausbildung eine Gemengelage ergeben, die eine klare Beurteilung des Aufga-benspektrums erheblich erschwert, zumal sich die Zusammensetzung der Schü-lerschaft unter diesen Bedingungen nach kulturellen Milieus und Leistungspotenzialen gravierend verändert hat.

Empirische Befunde zur Ausbildung an Berufsfachschulen sowie jahrzehntelange Erfahrungen dokumentieren, dass sich die Berufsfachschule unter bestimmten Voraussetzungen durchaus als anerkannter „Schulweg zum Beruf“ und als be-rufsqualifizierender „Teil des deutschen Berufsbildungssystems“ (FELLER 2001) hat bewähren können. Hierbei ist allerdings zwischen den unterschiedlichen Mo-dalitäten der vollzeitschulischen Ausbildung an Berufsfachschulen ebenso zu

Berufsvorbereitende Funktionen der Berufs-fachschule

Berufsfachschule als „Schulweg zum Beruf“

4 Politikbereich: Berufsausbildung

83

differenzieren (siehe Abbildung 14) wie nach der Einbindung dieser Bildungswe-ge in das Beschäftigungssystem und der Verknüpfung mit weiterführenden Quali-fikationskarrieren im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Nach Einschätzung der Berufsbildungsforscherin HELGA KRÜGER zeigt sich die Ambivalenz der Schulberufsausbildungen darin, dass

• „Schulberufsausbildungen Berufsbildungspfade bieten, die hinsichtlich der Bedarfssteuerung und Qualitätssicherung, der Finanzierung und der An-schlussfähigkeit an Berufspositionen sowie an zweite Bildungswege von de-nen des dualen Systems abweichen;

• Schulberufsausbildungen gerade wegen ihrer vom dualen System abwei-chenden Verknüpfung zwischen allgemein bildendem System und Arbeits-markt am ehesten Übergangswegen in anderen europäischen Staaten ent-sprechen …“ (KRÜGER 2004, S. 143).

Was den zuletzt angesprochenen Punkt betrifft, so ist nicht auszuschließen, dass den vollqualifizierenden Berufsfachschulen unter den neuen Rahmenbedingun-gen der europäischen Berufsbildungspolitik eine weitere Bedeutung zukommt (siehe Kapitel 7).

Nicht zuletzt eröffnet die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes von 2005 den Berufsfachschulen neue Möglichkeiten der Anrechnung schulisch erworbener Qualifikationen auf die Ausbildungszeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf nach BBiG (§ 7 BBiG) sowie der Zulassung zu den Abschlussprüfungen der Kammern (§ 43 BBiG). Die Landesregierungen können nach Anhörung des Lan-desausschusses für Berufsbildung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass der Besuch eines Bildungsganges berufsbildender Schulen – dies gilt insbesondere für die berufsqualifizierenden Bildungsgänge der Berufsfachschule – oder die Berufsausbildung in einer sonstigen Einrichtung ganz oder teilweise auf die Aus-bildungszeit einer Berufsausbildung im dualen System angerechnet wird. Diese Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung auf oberste Landesbehörden weiter übertragen werden. Zur Abschlussprüfung ist außer den bei den Kammern regist-rierten Auszubildenden im dualen System ferner zuzulassen, wer in einer berufs-bildenden Schule oder sonstigen Berufsbildungseinrichtung ausgebildet worden ist, wenn dieser Bildungsgang der Berufsausbildung in einem anerkannten Aus-bildungsberuf entspricht. Die §§ 7 und 43 BBiG bieten den Berufsfachschulen mithin die Möglichkeit zur Anrechnung vollzeitschulischer Bildungsgänge auf eine Berufsausbildung sowie zur Zulassung der Absolventen vollzeitschulischer Bil-dungsgänge mit entsprechender Affinität zu einem anerkannten Ausbildungsbe-ruf zur Berufsabschlussprüfung. Diese Regelungen kommen den Forderungen der Lehrerverbände entgegen, die seit Jahren eine stärkere Berücksichtigung und Anerkennung schulisch vermittelter Qualifikationen in der Berufsausbildung und in den Abschlussprüfungen des dualen Ausbildungssystems einklagen.

Berufsbildungspolitik

84

5 Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangs-system

5.1 Berufsvorbereitung – Problemaspekte und begriffliche Bestimmungen

Als Überschneidungsbereich zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem ist das Berufsbildungssystem spezialisiert auf die möglichst optimale Versorgung des Beschäftigungssystems mit den dort benötigten Humanressourcen. Für die damit verbundenen Qualifikations- und Allokationsfunktionen werden der berufli-chen Aus- und Weiterbildung formalisierte berufsqualifizierende Bildungsgänge von unterschiedlicher Art und auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus ange-boten. Der Ausgleich zwischen dem Bedarf an Qualifikationen und der Nachfrage nach betrieblich und außerbetrieblich organisierten Ausbildungsplätzen und Wei-terbildungsmöglichkeiten hängt von vielen Faktoren ab: von der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung, aber auch von den Wettbewerbsverhältnissen und den sozialen Standards der Arbeitsbeziehungen einerseits, von der demogra-phisch bedingten Zahl der Absolventen aus dem allgemeinen Schulsystem und der Zusammensetzung dieser Absolventen nach Bildungsabschlüssen anderer-seits. Angesichts dieser komplexen Zusammenhänge ist es unwahrscheinlich davon auszugehen, dass sich zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem quasi automatisch ein Gleichgewicht herstellt. Der Allokationsmechanismus des Ausbildungsstellenmarkts funktioniert schon deshalb nicht, weil er eng an die Absorptionsfähigkeit des Beschäftigungssystems gebunden ist, das anderen Ge-setzmäßigkeiten unterliegt als beispielsweise Demographie und Bildungsverhal-ten. Es stellt sich mithin die Frage, wie jener Teil der heranwachsenden Genera-tion, der nicht vom Ausbildungs- und Beschäftigungssystem absorbiert wird, in das Gesellschaftssystem integriert werden kann.

Die daraus resultierenden Übergangsprobleme sind Thema der Berufsbildungs-vorbereitung. Im Bildungssystem der Bundsrepublik Deutschland wird „Berufs-vorbereitung“ in zwei völlig unterschiedlichen Problemzusammenhängen thema-tisiert.

Berufsvorbereitung im Sinne der vorberuflichen Bildung zielt darauf ab, junge Menschen schon während des Besuchs der allgemein bildenden Schulen (so zum Beispiel im Fach Arbeitslehre an Hauptschulen) beim Einstieg in die Berufs-ausbildung und in das Berufsleben zu unterstützen und zu fördern. Insbesondere sollen im Rahmen der vorberuflichen Bildung die Berufswahl und Berufsfindung durch berufsorientierende Informationsangebote und berufspraktische Erfahrun-gen vorbereitet werden (Berufswahlvorbereitung) (vgl. Decker 1981; Dib-bern/Kaiser/Kell 1974).

Berufsvorbereitung im Sinne berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen bezieht sich im Besonderen auf die Zielgruppe von Jugendlichen, die aufgrund von Be-nachteiligungen am Arbeits- und/oder Ausbildungsstellenmarkt einen besonderen Förderbedarf haben. Die Benachteiligungen können individueller Art (Lernbehin-derungen, Verhaltensauffälligkeiten etc.) und/oder das Ergebnisse marktselekti-ver Prozesse sein. So können Geschlecht, Nationalität, Schulabschluss etc. Merkmale sein, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein Übergang in ein regulä-res Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsverhältnis gelingt oder nicht. Da die Ursa-

Abstimmungs- und Allo-kationsprobleme am Ausbildungsmarkt

Definitionen zum Begriff Berufsvorbereitung

5 Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangssystem

85

chen für strukturelle, konjunkturelle und marktbedingte „Produktion“ von Misser-folgen und Devianz beim Berufseinstieg vielfach den davon betroffenen Jugend-lichen zugeschrieben werden, führt dies tendenziell zur Stigmatisierung und Mar-ginalisierung der „Benachteiligten“ (vgl. ULRICH 2003). Der Lebensführung der davon betroffenen Jugendlichen wird unter diesen Bedingungen abverlangt, die „Vermengung“ der ihnen zugeschriebenen Devianzfaktoren („marktbenachteiligt“, „sozial benachteiligt“, „lern- und leistungsbeeinträchtigt“) durch biografische Konstruktionen außerhalb der regulären Ausbildungs- und Berufskarrieren zu bewältigen. Dies geschieht zu einem nennenswerten Teil mit Unterstützung eines vielfältigen Angebots an staatlich geförderten Maßnahmen zur Berufsvorberei-tung Jugendlicher mit besonderem Förderbedarf.

5.2 Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen zwischen be-rufsbildungs- und arbeitsförderungspolitischen Zielset-zungen

Unter rechtssystematischen Gesichtspunkten und den damit verbundenen „För-derlogiken“ lassen sich insbesondere folgende – vielfach miteinander verknüpfte – Ansätze der Berufsvorbereitung Jugendlicher mit besonderem Förderbedarf unterscheiden (vgl. KUTSCHA 2005; 2006):

• Berufsvorbereitung im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahrs (BVJ) an Be-rufsschulen nach den Schulgesetzen der Länder,

• Berufsausbildungsvorbereitung gemäß Änderung des Berufsbildungsgeset-zes (BBiG) nach Art. 9 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002,

• Berufsvorbereitung im Sinne der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BvB) gemäß § 61 dem dritten Sozialgesetz-buch über Arbeitsförderung (SGB III),

• Berufsvorbereitung im Rahmen der Jugendberufshilfe und der Jugendsozial-arbeit nach § 13 des achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII, Kinder- und Ju-gendhilfe) und

• Berufsvorbereitung für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen gemäß § 33 (3) Ziffer 2 des neunten Sozialgesetzbuches über Rehabilitation (SGB IX).

BvB der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 61 (1) SGB III zielen darauf ab, Ju-gendlichen und jungen Erwachsenen die Aufnahme einer beruflichen Erstausbil-dung oder die berufliche Eingliederung zu ermöglichen. Die Maßnahmen sollen die Berufswahlentscheidung unterstützen, die berufliche und soziale Handlungs-kompetenz stärken und dazu beitragen, die individuellen Chancen für eine mög-lichst dauerhafte Integration in das Berufs- und Arbeitsleben zu verbessern. Zu den wesentlichen Zielen und Aufgaben gehören:

• die Erweiterung des Berufswahlspektrums,

• die Förderung der Motivation zur Aufnahme einer Ausbildung,

• die individuelle lehrgangsbegleitende Beratung, insbesondere bei der Ent-scheidungsfindung und der Planung bzw. Vorbereitung des Überganges in Ausbildung, in andere Qualifizierungsmaßnahmen oder Beschäftigung,

Ansätze der Berufsvor-bereitung Jugendlicher mit besonderem Förder-bedarf

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BvB) und ihre Zielsetzungen

Berufsbildungspolitik

86

• die Vermittlung fachpraktischer und fachtheoretischer Grundkenntnisse und -fertigkeiten,

• der Erwerb betrieblicher Erfahrungen und die Reflexion betrieblicher Realität,

• die Förderung und Einübung von Einstellungen und Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Bewältigung einer Ausbildung oder einer Arbeitnehmertätigkeit notwendig sind,

• die Verbesserung der Bildungsvoraussetzungen zur Ausbildungsaufnahme (Erwerb des Hauptschulabschlusses), die Stärkung der sozialen Kompetenz und Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen.

Für die Realisierung dieser Ziele steht ein differenziertes Angebot an Maßnah-men zur Verfügung. Dies war in der Vergangenheit nach bestimmten Maßnahme-typen eingeteilt: Förderlehrgänge (F), Lehrgänge zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE), Grundausbildungslehrgänge (G) und Lehrgänge zum Testen, Informieren und Probieren (tipp) sowie Maßnahmen im Eingangsverfahren und Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte und blindentechnische und vergleichbare Grundausbildung.

Die Zahl der Teilnehmer(innen) an BvB der Bundesanstalt bzw. Bundesagentur für Arbeit entwickelte sich von rund 78 Tausend im Jahr 1998 auf 108 Tausend im Jahr 2003; das war ein Fünftel der Ausbildungsabschlüsse in den anerkann-ten Ausbildungsberufen des dualen Systems. Rechnet man für das Jahr 2003 die schulstatistisch erfassten Schüler(innen) des Berufsvorbereitungsjahres in Höhe von rund 80 Tausend sowie die rund 35 Tausend bei der Agentur für Arbeit re-gistrierten noch nicht vermittelten Bewerber(innen) hinzu, so ergibt sich eine Ge-samtzahl von 223 Tausend Jugendlichen ohne reguläre Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf, denen 557 Tausend Jugendliche gegenübers-tanden, die einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten. Nicht berücksichtigt sind dabei jene Jugendlichen ohne Ausbildung und Arbeit, die bei der Arbeits-agentur nicht gemeldet sind (Dunkelziffer).

Mit Runderlass der BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT zum „Neuen Fachkonzept“ für BvB vom 12. Januar 2004 sind die bisherigen Maßnahmekategorien durch eine flexiblere Angebotsstruktur abgelöst worden. Diese Maßnahme ist Teil einer um-fassenden Neuorientierung im Rahmen der Gesetze für moderne Dienstleistun-gen am Arbeitsmarkt („Hartz-Gesetze“). Wesentliche Eckpunkte der damit ver-bunden Weiterentwicklung der BvB sind (vgl. BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2004):

• Ablösung der bisherigen Maßnahmekategorien,

• inhaltliche Gliederung der BvB in Qualifizierungsebenen, die auf den Einzel-fall abgestimmt werden,

• Förder- und Qualifizierungssequenzen,

• Eignungsanalyse als Grundlage für eine erfolgreiche Qualifizierungsplanung,

• Bildungsbegleitung,

• Stellenakquise und Vermittlung in Ausbildung und Arbeit,

• Qualifizierungsvereinbarung als Bestandteil der Eingliederungsvereinbarung,

• Förderung von kooperativen Qualifizierungsangeboten,

Arten der BvB und quan-titative Entwicklung

Ausrichtung der BvB nach dem „Neuen Fach-konzept“ der Bundes-agentur für Arbeit

5 Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangssystem

87

• flächendeckende Implementierung betriebs- und wohnortnaher Qualifizie-rungskonzepte.

Das „Neue Fachkonzept“ und die damit verbundene „Neue Förderstruktur“ zielt ab auf eine Verbesserung der beruflichen Handlungsfähigkeit sowie eine Erhö-hung der Eingliederungschancen der Jugendlichen in Ausbildung und Arbeit. Als Voraussetzung dafür werden kooperative, binnendifferenzierte und betriebsnahe Qualifizierungsangebote angestrebt. Im Hinblick auf die „Kunden“, das heißt die (potenziellen) Maßnahmeteilnehmer(innen), sollen verstärkt Eigenbemühungen, passgenaue Angebote sowie eine Erhöhung der Kontaktdichte gefördert werden. Förderkonzepte sollen in Zukunft an den Teilnehmer(inne)n der BvB ausgerich-tet, flexibel und individuell gestaltet und an den beruflichen und betrieblichen An-forderungen orientiert sein. Angebote der Berufsausbildungsvorbereitung (nach BBiG) und der BvB (nach SGB III) sollen aufeinander abgestimmt und kooperati-ve Qualifizierungsangebote regionaler Träger unterstützt werden.

5.3 Grenzen der ausbildungsmarktbezogenen Ausgleichspo-litik – Entwicklungen und Problemlagen

Die Fördermöglichkeiten für Benachteiligte wurden in den vergangenen Jahr-zehnten in alle Richtungen ausgebaut und an Stellen geschaffen, an denen Risi-ken der berufsbiografischen Entwicklung statistisch signifikant und unter Ge-sichtspunkten politischer Legitimität staatlicher Intervention opportun wurden. Daraus erwuchs ein Fördersystem, für das die Orientierung am Maßstab der Ein-gliederung in das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem in der Öffentlichkeit als „Markenzeichen“ chancengleichheitsbezogener Berufsbildungspolitik in Ans-pruch genommen wird („Ausbildung für alle!“), das tatsächlich aber kompensato-rische Funktionen zum Ausgleich von Defiziten im regulären Ausbildungssystem übernahm, deren Ursachen letztlich in den Entwicklungen des Beschäftigungs-systems unter dem Einfluss der Globalisierung liegen.

Die Binnendifferenzierung dieses Systems in Bezug auf Berufsausbildungsvorbe-reitung, Arbeitsförderung und Jugendberufshilfe (im Überschneidungsbereich von Arbeitsförderung und Jugendhilfe) ist von hoher Selektivität geprägt. Sie gestattet dem System, den Schein zu erwecken, jeder Jugendliche unter den Benachteilig-ten habe die Möglichkeit, mit Hilfe eines differenzierten Förderangebots, seine berufsbiografische Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten (Individualisierung). Damit werden strukturell verursachte „Misserfolgskarrieren“ und die daraus resultierenden Fehlentwicklungen den davon betroffenen Indivi-duen zugeschrieben.

Niemand wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt das quantitative Ausmaß der „Be-rufsnot“ Jugendlicher voraussagen können. Doch es gibt ernst zu nehmende An-haltspunkte dafür, dass sich die Koordinaten der Lebensführung in Zukunft stark verändern werden und sich nicht mehr allein auf Arbeit und Beruf zentrieren las-sen. Dies gilt vor allem für die Gruppe der Benachteiligten. Darauf deuten folgen-de Megatrends hin, die hier gewissermaßen hypothetisch zu einem „Krisensze-nario“ verdichtet werden:

• Kapital fließt dahin, wo die höchste Produktivität und Rendite erwartet wird. Wissen, Technologie und Kapital sind immer weniger standortgebunden. Wirtschaftsunternehmen finden ihre Standorte weltweit. Nur Weniges wird in Zukunft bleiben, wie und wo es ist. Die neuen Informations- und Kommunika-

Berufsvorbereitungs- und Arbeitsförderungs-politik angesichts struk-tureller Arbeitslosigkeit

Entwicklungen des Be-schäftigungssystems unter dem Einfluss der Globalisierung

Berufsbildungspolitik

88

tionstechniken und deren weltweite Vernetzung ermöglichen es immer mehr, Wissen und praktische Erfahrung in Maschinen und Systeme zu integrieren und für den Prozessablauf an jedem Ort verfügbar zu machen. Selbst komp-lizierte Fertigungstechniken können heute an vielen Orten auf unserem Glo-bus betrieben werden; Kosten und Marktvorteile entscheiden über den Standort. Wissen ist heute weltweit vorhanden und durch die internationale Vernetzung auch jederzeit verfügbar.

• Die Folgen der Globalisierung für den Arbeitsmarkt sind immer stärker zu spüren: Nach der amtlichen Arbeitslosenstatistik suchen rund fünf Millionen Menschen in Deutschland eine bezahlte Erwerbstätigkeit, nach vorsichtiger Schätzung der latenten Nachfrage übersteigt die tatsächliche Zahl der Ar-beitslosen die der amtlichen Statistik um weitere Millionen. Immer weniger, dafür aber besser ausgebildete Menschen können immer mehr Leistungen und Dienste erbringen. Wirtschaftswachstum setzt nicht den Abbau von Ar-beitslosigkeit in Gang, sondern umgekehrt den Abbau von Arbeitsplätzen voraus. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Informati-onsgesellschaft schafft neue und andere Arbeitsplätze. Doch diese substi-tuieren bei weitem nicht die Zerstörung und den Wegfall alter Arbeitsplätze in der Industrie. Alle Industriebranchen in den entwickelten Ländern werden auch in den kommenden Jahren verstärkt Personal abbauen. Damit bleibt die Sockelarbeitslosigkeit in Europa nicht nur hoch, es ist zu erwarten, dass sie weiter wächst. Letzteres betrifft insbesondere die Gruppe der bereits längerf-ristig Arbeitslosen, deren Zahl auch Verbesserung der konjunkturellen Lage nicht sinkt, sondern tendenziell steigt.

• Im Prozess der Globalisierung verlieren nationale Regierungen und Institutio-nen an Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen. In dem Maße, wie Unter-nehmen aus nationalstaatlich begrenzten Regimen auswandern können, die sie mit international wettbewerbswidrigen und unakzeptablen Verpflichtungen zu belasten drohen, werden Staat und Gewerkschaften dazu tendieren, sich anstelle der Auferlegung und Durchsetzung bindender Regeln mit flexibel aushandelbaren Arrangements zu begnügen. Damit büßen Qualitätsstan-dards (z. B. in Form von Ausbildungsordnungen) tendenziell ihre Verbindlich-keit und damit auch die im Berufskonzept implizierte soziale Schutzfunktion ein. Die Berücksichtigung der Interessen sozial schwacher Gruppen, insbe-sondere der jungen Benachteiligten auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, nimmt in dem Maße ab, in dem einfach qualifizierten Tätigkeiten in Hochlohn-ländern wie Deutschland nur noch ein marginale Bedeutung spielen.

Angesichts dieser Entwicklungen wird die Frage virulent, ob der Ausgleich auf dem Ausbildungsmarkt mit Hilfe der Kompensationsleistungen in Form berufs-vorbereitender Bildungsmaßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des Fördersystems des Sozialgesetzbuches III noch angemessen ist. Wie bereits angesprochen, orientiert sich das Fördersystem der Bundesagentur für Arbeit prioritär an dem Ziel der Eingliederung in den Ausbildungs- und Ar-beitsmarkt. Dafür werden Versicherungsleistungen der sozialversicherungspflich-tig Beschäftigten in Anspruch genommen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen das Beschäftigungssystem aus strukturellen Gründen für eine wachsenden Zahl markbenachteiligter Jugendlicher keine Integrationsmöglichen mehr bereit hält.

Bei der berufsbildungs- und förderpolitischen Beurteilung der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen ist darauf zu verweisen, dass bei Einführung des Arbeitsförde-

Kritische Aspekte zur kompensatorischen Funktion berufsvorberei-tender Bildungsmaß-nahmen angesichts der Entwicklungen des Be-schäftigungssystems

5 Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangssystem

89

rungsgesetzes im Jahr 1969 nicht geplant war, ein eigenes Segment staatlich geför-derter Berufsvorbereitung und ausbildungsbezogener Förderung durch die damalige Bundesanstalt für Arbeit zu etablieren. Wie Jennifer NEUBAUER (2006) in ihrer grund-legenden und statistisch fundierten Studie über die Kompensationsleistungen der ausbildungsbezogenen Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit im Einzelnen belegt, entwickelte sich erst mit zunehmender Verschlechterung der Situation am Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland auf der Grundlage des Arbeitsförde-rungsrechts ein eigenständiges Angebot der Ausgleichspolitik. Dies diente primär der Entlastung des Ausbildungsmarkts. Daneben übernahm die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit in erheblichem und zunehmendem Maße „Ausfallbürg-schaften“ gegenüber vergleichbaren Angeboten, die von den Ländern im Rahmen der schulischen Berufsbildung und der befristeten Programmförderung auf den un-terschiedlichen Ebenen der Gebietskörperschaften zur Verfügung gestellt wurden.

Welche berufsbildungs- und förderpolitischen Thesen resultieren aus diesen Be-funden? Hierzu das Resümee bei NEUBAUER (2006, S. 300 f.):

Zum einen begünstige die fortgesetzte Ausweitung der ausbildungsmarktbezo-genen Ausgleichsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsrecht eine politische Vermeidungsstrategie, die daraus bestehe, wirksame Reformen des Arbeits-markts, aber auch des Bildungs- und Berufsbildungssystems zu unterlassen. Anstelle einer konsequenten Reformpolitik führe dies zu einem Strukturkonserva-tismus, der zwar allen Beteiligten ein Höchstmaß an Bestandsschutz garantiere, aber den absehbaren berufsbildungspolitischen Herausforderungen nicht gerecht werde. Zum anderen verschärfe sich die Frage, ob die Leistungs- und Finanzie-rungsträgerschaft der Bundesagentur für Arbeit ordnungspolitisch angemessen sei. Diese Frage betrifft insbesondere die Förderung von Jugendlichen, die nicht in das Beschäftigungssystem integrierbar sind und bei denen eine ausbildungs-bezogene Arbeitsförderung aus individuellen oder strukturellen Gründen nicht ihr Ziel erreichen kann. Aus ordnungspolitischen Gründen, aber auch angesichts der Tatsache, dass die Arbeitslosenversicherung so stark unter Druck geraten sei, dass die Akzeptanz des gesamten Leistungssystems der Arbeitsförderung und die Zahlungsbereitschaft zu schwinden drohe, werden von NEUBAUER (2006, S. 301) gleichermaßen steuer- und umlagefinanzierte Alternativen zur Diskussion gestellt.

Die Eingliederung in das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem gilt als „Mar-kenzeichen“ der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Je weniger aber berufsvorbereitende Maßnahmen die ihr zugewiese-nen Funktion als „Brücke“ ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystem erfüllen oder erfüllen können, um so mehr wird die langfristige Finanzierung der inzwi-schen als Daueraufgabe etablierten Ausgleichspolitik „die alles entscheidende ‚Gretchenfrage’ bleiben“ (ECKERT 2006). Hiermit verbunden ist die offene Frage, was an die Stelle der Ausbildungs- und Arbeitsmarktfixierung berufsvorbereiten-der Bildungsmaßnahmen treten soll, wenn die „Brücke zur Arbeitswelt“ nicht mehr trägt und neue Lösungen gefunden werden müssen, um lebenslaufförder-ende Lernprozesse für Jugendliche ohne Berufsausbildung und Arbeit zu organi-sieren (vgl. GALUSKE 1998, S. 550).

Berufsbildungspolitik

90

6 Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeu-tungszuwachs und politischer Regulierungsbe-darf

6.1 Struktur und Arten der beruflichen Weiterbildung in Deutschland

Im Rahmen des deutschen Gesamtbildungssystems stellt die berufliche Weiter-bildung den tertiären bzw. quartären Bereich dar, wobei die Abgrenzung zwi-schen allgemeiner und beruflicher Weiterbildung nicht immer eindeutig ist. Der DEUTSCHE BILDUNGSRAT definierte in seinem „Strukturplan für das Bildungswe-sen“ (1970, S. 197) Weiterbildung als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme orga-nisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“. Diese Begriffsbestimmung hat in der bildungspolitischen Diskus-sion weite Verbreitung gefunden. Sie entspricht jedoch nicht dem Bedeutungs-zuwachs der nicht organisierten betrieblichen Weiterbildung am Arbeitsplatz. In Abbildung 15 dient die Bezeichnung „berufliche Weiterbildung“ als Oberbegriff für die berufliche Fortbildung (in Form von Kursen, Lehrgängen, Fernunterricht etc.), die berufliche Umschulung und die betriebliche Weiterbildung am Arbeitsplatz (zum Beispiel durch Einarbeitung mit Hilfe von Kollegen und Vorgesetzten, Selbstlernen gegebenenfalls mit computerunterstützten Lernprogrammen (vgl. BAETHGE/BUSS/LANFER 2003, S. 88 ff.).

politischeWeiterbildung

allgemeineWeiterbildung

Weiterbildung

berufliche Weiterbildung

nicht berufliche Weiterbildung =Erwachsenenbildung

Fortbildung Umschulung Lernen am Arbeitsplatz/Einarbeitung

in anerkannte Aus-bildungsberufe

in Erwerbsberufe/berufliche Tätigkeiten

Anpassungs-fortbildung

Aufstiegsfortbildung (z. B. Meister, Techniker)

organisiertes Lernen (z. B.Anlernen/Qualitätszirkel)

informellesLernen

Quelle: Baethge, M./Buss, K.-P./Lanfer, C. (2003), S. 88.

Struktur der Weiterbildung in Deutschland

Abbildung 15

Die Begriffe „berufliche Fortbildung“ und „berufliche Umschulung“ werden im Be-rufsbildungsgesetz (i.d.F. von 2005) wie folgt definiert:

Begriff und Arten der Weiterbildung

Berufliche Fortbildung und Umschulung

6 Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeutungszuwachs und politischer Regulierungsbedarf

91

• „Die berufliche Fortbildung soll es ermöglichen, die berufliche Handlungsfä-higkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern und beruflich aufzu-steigen“ (§ 1 (4) BBiG).

• „Die berufliche Umschulung soll zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befä-higen“ (§ 1 (4) BBiG).

Das BBiG differenziert deutlich zwischen der Anpassungsfortbildung und der Aufstiegsfortbildung. Während erstere die berufliche Handlungsfähigkeit erhalten und an gewandelte Erfordernisse der Arbeitswelt anpassen soll, zielt die Auf-stiegsfortbildung darauf ab, die berufliche Handlungsfähigkeit im Hinblick auf qualitativ höherwertige Berufstätigkeiten zu erweitern und dadurch beruflich auf-zusteigen.

Während sich die Bildungsgänge der beruflichen Erstqualifizierung durch ein ho-hes Maß an Formalisierung der Abschlüsse und Standardisierung der Ausbil-dungsinhalte auszeichnen, ist der Bereich der beruflichen Weiterbildung durch eine Vielfalt teils geregelter, überwiegend aber nicht geregelter Bildungsangebote gekennzeichnet. Der Vorzug dieses Systems liegt in seiner Flexibilität, der Nach-teil in der Intransparenz des Bildungsangebots und dessen Qualität sowie in der Selektivität des Zugangs zu den Weiterbildungsmöglichkeiten (vgl. ARNOLD/-SCHIERSMANN 2004; BAETHGE/BUSS/LANFER 2003; BUNDESMINISTERIUM FÜR BIL-DUNG UND FORSCHUNG 2006b; DOBISCHAT/HUSEMANN 1995). Entsprechend kompliziert und unübersichtlich ist das Zertifikats- und Berechtigungswesen in diesem Bereich. Im Zusammenhang mit dem Berechtigungswesen ist unter den zahlreichen Möglichkeiten, das Weiterbildungsangebot zu klassifizieren, die im BBiG implizierte Unterscheidung nach abschlussbezogener und nichtabschluss-bezogener Weiterbildung von Belang. Die Aufstiegsfortbildung betrifft jedoch nicht nur den Geltungsbereich des BBiG, sondern im weiteren Sinne auch die schulbasierten Formen nach den Schulgesetzen der Länder. Die wichtigsten Ab-schlüsse im Bereich der beruflichen Aufstiegsfortbildung sind:

• Abschluss als Meister/Meisterin: Der erfolgreiche Abschluss der Meisterprü-fung verleiht nach der geltenden Handwerksordnung die Berechtigung, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen und Lehrlinge ordnungsgemäß aus-zubilden. Die Meisterprüfung wird durch Meisterprüfungsausschüsse als staatliche Prüfungsbehörden am Sitz der Handwerkskammer abgenommen. Der Prüfungskandidat hat nachzuweisen, dass er die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten kann und die notwendigen Fachkenntnisse sowie die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmänni-schen, rechtlichen und berufserzieherischen Kenntnisse besitzt. Die Weiter-bildung zum Meister wurde zunächst im Handwerk entwickelt (vgl. SCHURER 1983) und diente später als Modell für die anderen Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel der Industrie oder der Land- und Hauswirtschaft (vgl. SCHOLZ 1983). Neue Impulse erhielt die Regulierung der Fortbildung zum Industriemeister durch die vom zuständigen Bundesminister erlassene Rechtsverordnung „Geprüfter Industriemeister – Fachrichtung Metall“. Sie trat 1978 bundesweit in Kraft und galt als Musterverordnung für alle weiteren noch zu regulieren-den Fachrichtungen. Inzwischen sind weitere bundeseinheitliche Fortbil-dungsregelungen für den geprüften Industriemeister/die geprüfte Industrie-meisterin erlassen worden, so zum Beispiel für die Fachrichtung Mechatronik im Jahr 2005.

Abschluss- und nicht-abschlussbezogene Weiterbildung

Abschlussbezogene Weiterbildung nach BBiG: Meister / Meiste-rin

Berufsbildungspolitik

92

• Weiterbildungsabschlüsse an Fachschulen nach den Vereinbarungen der KULTUSMINISTERKONFERENZ (KMK): Nach der Rahmenvereinbarung der KUL-TUSMINISTERKONFERENZ über Fachschulen vom 07.11.2002

„… führen diese zu qualifizierten Abschlüssen der beruflichen Weiterbildung und haben zum Ziel, Fachkräfte mit in der Regel beruflicher Erfahrung zu befähigen,

• Führungsaufgaben in Betrieben, Unternehmen, Verwaltungen und Einrichtungen zu übernehmen und/oder

• selbstständig verantwortungsvolle Tätigkeiten auszuführen“ (KULTUSMINISTERKONFE-

RENZ 2002, S. 4).

Zu den Abschlüssen gehören u. a. die des staatlich geprüften Technikers/der staatlich geprüften Technikerin sowie des staatlich geprüften Betriebswirts/der staatlich geprüften Betriebswirtin. Die Ausbildung erfolgt nach Landesrecht an Fachschulen, differenziert nach Fachbereichen (Agrarwirtschaft, Gestaltung, Technik, Wirtschaft, Sozialwesen). Der Fachschulbildungsgang kann in Teilzeit- oder Vollzeitform durchgeführt werden und umfasst ca. 2400 Unterrichtsstunden (das sind bei Vollzeitunterricht etwa zwei Jahre). Er endet mit einer Abschluss-prüfung vor einem staatlichen Prüfungsausschuss. Der erfolgreiche Abschluss berechtigt die Absolventen, die Bezeichnung „Staatlich geprüfter …“ bzw. „Staat-lich geprüfte …“ (zum Beispiel Techniker/Technikerin mit Angabe der Fachrich-tung) zu führen. Die Länder können mit der Versetzung in das zweite Jahr eines Vollzeitbildungsganges einen mittleren Schulabschluss erteilen. Bildungspolitisch steht die Frage zur Diskussion, ob auf längere Sicht und in Verbindung mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (siehe Kapitel 7) auf dem Weg über die be-rufliche Aufstiegsfortbildung (dies gilt auch für die Weiterbildung zum Meister/zur Meisterin) der Zugang in den (Fach-)Hochschulbereich und damit zu den Bache-lor- und Master-Abschlüssen eröffnet werden soll. Den Fachschulen könnte in diesem Fall eine wichtige Funktion als Gelenkstelle bei der Förderung der Durch-lässigkeit im Bildungswesen zufallen. Gegenläufig dazu verhält sich der enorme Rückgang der Fortbildungsprüfungen, bedingt durch die Reduzierung staatlicher Fördermittel. Seit 1992 verringerte sich die Zahl der Weiterbildungsprüfungen insgesamt von 171.135 Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf 125.174 im Jahr 2004. Bei den Handwerksmeistern und -meisterinnen ging die Teilnehmer-(innen)zahl – beeinflusst durch die Novellierung der Handwerksordnung – inner-halb dieses Zeitraums um weit mehr als die Hälfte von 57.119 auf 23.497 zurück (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, Abschnitt 4.1.3: Fort-bildungsprüfungsstatistik).

Außerhalb der nach BBiG und den Schulgesetzen der Länder regulierten ab-schlussbezogenen Weiterbildung gibt es eine große Heterogenität von Weiter-bildungsanbietern mit unterschiedlicher Trägerschaft, divergierenden organisato-rischen Strukturen sowie einer Vielfalt an gesetzlichen Regelungen und Finanzierungsmodalitäten.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Förderung der Weiterbildung nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsrechts (vgl. zum Folgenden DO-BISCHAT 2004). Grundlegend hierfür waren bzw. sind das Arbeitsförderungsge-setz (AFG) von 1969, dessen Überführung in das dritte Sozialgesetzbuch (SGB III) durch das Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG) zum 1.1.1998 und die No-vellierungen dieses Gesetzes im Anschluss an die „Gesetze über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ („Hartz-Gesetze“). Das AFG von 1969 wurde in der Legislaturperiode der damaligen großen Koalition von CDU/CSU und SPD

Abschlussbezogene Weiterbildung an Fach-schulen: Techniker / Technikerin, Betriebswirt / Betriebswirtin

Weiterbildung im Rah-men der Arbeitsförde-rung

6 Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeutungszuwachs und politischer Regulierungsbedarf

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ungefähr zeitgleich mit dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) verabschiedet. Hinter-grund war die Wirtschafts- und Strukturkrise 1966/1967, die zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik die Arbeitslosenzahlen auf über eine Million ansteigen ließ. Kerngedanke war das Prinzip der aktiv-vorausschauenden Ar-beitsmarktpolitik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung. Dabei wurden nicht nur die Vermeidung von Arbeitslosigkeit und die Sicherstellung eines hohen Beschäfti-gungsstandes, sondern auch die Verhinderung unterwertiger Beschäftigung an-gestrebt.

Die Expansion der AFG-geförderten beruflichen Weiterbildung nach Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik Deutschland führte zu massiver Kritik nicht nur am quantitativen Umfang der aus Mitteln der damaligen Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Weiterbildungsmaßnahmen, sondern auch an deren Qualität und Eignung zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Mit dem AFRG von 1998 wurde unter dem Leitprinzip „Fordern und Fördern“ ein Paradigmenwechsel der Arbeitsförde-rung und in diesem Zusammenhang der Weiterbildungsförderung eingeleitet, der schließlich in den Hartz-Gesetzen über moderne Dienstleistungen am Arbeits-markt seinen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Hierzu urteilt ROLF DOBISCHAT, Professor für Wirtschaftspädagogik und berufliche Aus- und Weiterbildung an der Universität Duisburg-Essen:

„Das Prinzip „Fordern und Fördern“ betont den Übergang von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Dahinter steht die Annahme, dass der traditionelle Sozialstaat mit seinen passiven Alimentierungsleistungen als Mitverursacher der hohen Arbeitslosigkeit angesehen wird. Die Stärkung der individuellen Eigenverantwortung und Flexibilität bildet die Vorausset-zung für den arbeitsmarktlichen Erfolg. In der Konsequenz werden Leistungs- und Schutz-rechte reduziert und die soziale Verantwortung des Staates zurückgenommen“ (DOBISCHAT 2004, S. 200).

Festzuhalten ist: Berufliche Weiterbildung umfasst abschlussbezogene und nicht abschlussbezogene Weiterbildungsangebote in der Zuständigkeit von Betrieben, berufsbildenden Schulen (Fachschulen) sowie freien Bildungsträgern. Sie dient unterschiedlichen Zwecken, insbesondere der Anpassung an wirtschaftliche und technische Veränderungen, des individuellen beruflichen Aufstiegs (Fortbildung) und der Befähigung zu anderen beruflichen Tätigkeiten (Umschulung) sowie der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Gesetzliche Grundlagen sind vor allem das Berufsbildungsgesetz (BBiG), das Sozialgesetzbuch (SGB) III (Arbeitsförderung) sowie die Schulgesetze der Länder. Ergänzend hierzu gibt es besondere gesetz-liche Bestimmungen für Menschen mit Behinderungen, insbesondere im Rahmen des SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen). Während ei-nerseits verstärkte Bemühungen zu beobachten sind, das Weiterbildungsge-schehen mittels empirischer Forschung und Daten transparent zu machen (vgl. BAETHGE/BUSS/LANFER 2003; KUWAN 2004; BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2006b), zeichnen sich andererseits Entwicklungen ab, die eher auf eine Verstärkung der Unübersichtlichkeit hinwirken. Als Trends sind zu nen-nen (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2006b, S. 8): (1.) der Wandel von der Angebots- zur Nachfrageorientierung auf dem „Markt“ der Wei-terbildung, (2.) eine zunehmend stärkere Verschränkung von organisierter und informeller Weiterbildung und (3.) die zunehmende Verlagerung der Weiterbil-dungsplanung und -finanzierung in die Verantwortung und Zuständigkeit des Ein-zelnen (Individualisierung).

Zusammenfassung und Ausblick auf weitere Entwicklungen

Berufsbildungspolitik

94

6.2 Empirische Befunde und Problemlagen Angesichts dieses heterogenen Bedingungsrahmens kann von einer integrierten Berufsbildungspolitik auf dem Gebiet der beruflichen Weiterbildung nicht die Re-de sein. Die Probleme beginnen bereits damit, dass es an einer nachhaltig ver-lässlichen Datenbasis auf der Grundlage kontinuierlicher empirisch repräsentati-ver Erhebungen mangelt (vgl. hierzu KUWAN 2004). Anders als zum Beispiel für die Berufsausbildung nach BBiG und den Schulbereich gibt es für die Weiterbil-dung keine umfassende, in sich abgestimmte Weiterbildungsstatistik. Deshalb stützen sich Informationen über Weiterbildung und die daran anschließenden berufsbildungspolitischen Urteile auf verschiedene Datenquellen. Vereinfacht lassen sich unterscheiden:

• Amtliche Statistiken (zum Beispiel: Mikrozensus, SGB-III-Statistik, Fach-schulstatistik),

• Trägerstatistiken (Statistiken der Kammern, der freien Träger, der Volkshoch-schulen etc.),

• Einzeluntersuchungen (u. a. Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und des Instituts für Berufsbildung (BIBB/IAB-Erhebungen), IAB-Betriebspanel, Sozio-Ökonomisches Panel (SOEP).

Eine Sonderstellung kommt dem „Berichtssystem Weiterbildung“ (BSW) zu. Als einzige Datenquelle zielt es auf eine kontinuierliche Beobachtung des gesamten Weiterbildungsgeschehens in Deutschland ab. Der jüngste Bericht ist im Jahr 2006 vom BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) unter dem Titel „Berichtssystem Weiterbildung – Integrierter Gesamtbericht zur Weiterbil-dungssituation in Deutschland“ veröffentlicht worden. Darin befindet sich auch eine Zusammenstellung und Beschreibung der wichtigsten Datenquellen für den Weiterbildungsbereich (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2006b, Glossar).

Als wichtige Ergebnisse lassen sich nach den Befunden des jüngsten BSW fes-thalten (hierzu: BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2006b):

• Das BSW zeigt in Übereinstimmung mit anderen Erhebungen im Weiterbil-dungsbereich seit Ende der 1980er Jahre einen deutlichen Rückgang in der Weiterbildungsteilnahme. Dabei gehen nicht nur die Teilnahmequoten zu-rück. Auch der Durchschnittswert der für berufliche Weiterbildung aufgewen-deten Zeit sinkt deutlich. Der durchschnittliche Zeitaufwand für berufliche Weiterbildung erreicht 2003 den niedrigsten Wert seit 1991. Als Ursache für diesen Rückgang wird vermutet, „dass die Kombination aus einer verstärkten Sparpolitik öffentlicher Haushalte und des gestiegenen Kostendrucks in den Betrieben zu weniger förderlichen Rahmenbedingungen für eine Expansion der formal-organisierten beruflichen Weiterbildung geführt hat“ (BUNDESMI-NISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2006b, IV).

• Die bereits in früheren Erhebungen beobachteten großen gruppenspezifi-schen Unterschiede der Weiterbildungsbeteiligung mit Blick auf soziografi-sche und beschäftigungsbezogene Merkmale bestehen fort. Dies gilt für die formal organisierte Weiterbildung und für die informelle berufliche Weiterbil-dung in ähnlicher Weise. Unterrepräsentiert sind vor allem Personen mit niedriger schulischer und beruflicher Qualifikation, Personen im Alter von über 50 Jahren, Arbeiter und Ausländer.

Datenquellen zur Wei-terbildung

Ergebnisse aus dem „Berichtssystem Weiter-bildung“ 2006

6 Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeutungszuwachs und politischer Regulierungsbedarf

95

• Nach wie vor beteiligen sich Nichterwerbstätige deutlich seltener an der be-ruflichen Weiterbildung als Erwerbstätige. Erwerbsbeteiligung ist der stärkste Einflussfaktor für die berufliche Weiterbildung. Erwerbstätige beurteilen den Nutzen beruflicher Weiterbildung positiv. Etwa drei von vier Erwerbstätigen geben an, als Folge der Weiterbildungsteilnahme ihre Arbeit besser erledigen zu können und rund 60 % sehen eine Verbesserung ihrer beruflichen Chan-cen.

• Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des 1. Gesetzes für moderne Dienst-leistungen am Arbeitsmarkt (siehe oben) wird unter den Teilnehmern der SGB-III-geförderten Maßnahmen ein deutlicher Rückgang in der durch-schnittlich für berufliche Weiterbildungsmaßnahmen aufgewendeten Zeit er-sichtlich.

• Bezogen auf das Bildungsniveau der Teilnehmer(innen) berufsbezogener Weiterbildung hat sich der Abstand in der Weiterbildungsbeteiligung zwi-schen Personen mit niedrigem Bildungsstand und höher gebildeten Personen verstärkt. Vor allem bei Personen mit niedriger Schulbildung und mit Lehre ist ein Beteiligungsrückgang zu verzeichnen.

• Getrennt nach Staatsangehörigkeit nehmen Ausländer wesentlich seltener an Weiterbildung teil als Deutsche.

• Eine differenzierte Betrachtung nach Weiterbildungsarten verdeutlicht die große Bedeutung des informellen beruflichen Lernens. Die Beteiligung in die-sem Sektor liegt wesentlich höher als die an beruflicher Weiterbildung in Lehrgängen oder Kursen.

• Die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung unterscheidet sich zwischen Er-werbstätigen aus verschiednen Bereichen. Erwerbstätige im öffentlichen Dienst nehmen sehr viel häufiger an beruflicher Weiterbildung teil als Er-werbstätige in der Privatwirtschaft. In der zuletzt genannten Gruppe sind be-sonders weiterbildungsaktiv Beschäftigte in den Bereichen Banken und Ver-sicherungen, Medizin, Gesundheitswesen und in qualifizierten Dienstleistungsberufen. Unterdurchschnittliche Teilnahmequoten weisen vor allem die Erwerbstätigen wirtschaftlich rückgängiger Branchen (zum Beispiel Leder-, Textil- und Bekleidungsgewerbe) auf. Ähnliche Unterschiede hatten sich bereits in früheren Erhebungen abgezeichnet.

• Nach den Ergebnissen der BSW-Erhebung beteiligen sich Beschäftigte in Großbetrieben deutlich häufiger an beruflicher Weiterbildung als Erwerbstäti-ge in Kleinbetrieben. Im Zeitverlauf haben sich diese Unterschiede noch ver-größert.

• Die Teilnahmequoten beruflicher Weiterbildung und an informellem berufli-chem Lernen variieren stark mit der von den Erwerbstätigen antizipierten Entwicklung der Qualifikationsanforderungen. Die Beteiligung an beruflicher Weiterbildung liegt bei den Erwerbstätigen, die über stark steigende Qualifi-kationsanforderungen berichten, fast dreimal so hoch wie bei denen, die kei-ne Veränderungen sehen.

• Institutionalisierung und Planung von Weiterbildung scheinen einen positiven Einfluss auf die Teilnahme Erwerbstätiger an beruflicher Weiterbildung zu haben. Regelmäßige Weiterbildungsplanung in der Zuständigkeit spezieller betrieblicher Organisationseinheiten, Betriebsvereinbarungen zur Weiterbil-

Berufsbildungspolitik

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dung, betriebliche Weiterbildungsangebote u. a. begünstigen die Weiterbil-dungsteilnahme der Beschäftigten.

• Die BSW-Ergebnisse stützen die These, dass arbeitsplatzbezogene Rah-menbedingungen einen sehr großen Einfluss auf die Teilnahme an Lehrgän-gen oder Kursen, aber auch an informeller beruflicher Weiterbildung haben können.

6.3 Ordnung der beruflichen Weiterbildung im Spannungs-feld von manpower- und social demand-Ansatz

Diese Befunde bedürften im Einzelnen einer sachbezogenen Diskussion darüber, welche Konsequenzen zu ziehen und welche Maßnahmen zur Problembearbei-tung getroffen werden könnten oder müssten. Über alle Einzelaspekte hinweg stellt sich die ordnungspolitische Grundsatzfrage, ob die berufliche Weiterbildung allein dem freien Markt überlassen oder durch staatliche Eingriffe reguliert wer-den sollte. Vertreter der liberal-marktwirtschaftlichen Position bringen insbeson-dere zur Geltung, dass Weiterbildung als Investition in Humankapital eine Ange-legenheit unternehmerischer Entscheidungsfreiheit zu sein habe, um den optimalen Einsatz knapper Ressourcen und die Flexibilität der am betrieblichen Qualifikationsbedarf und an den Markterfordernissen orientierten Weiterbildung sicherstellen zu können. Ein solcher Standpunkt wird dezidiert in den „Grundposi-tionen der Wirtschaft zur beruflichen Weiterbildung“ des Kuratoriums der deut-schen Wirtschaft für Berufsbildung vertreten. Darin heißt es (KURATORIUM DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT FÜR BERUFSBILDUNG 1999, S. 2):

„Damit sich die Unternehmen auch in Zukunft umfassend in der beruflichen Weiterbildung engagieren, müssen folgende Prinzipien gewahrt bleiben:

• Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen für Erhalt und Weiterentwicklung der Quali-fikationen ihrer Mitarbeiter und für die Gestaltung der betrieblichen Weiterbildung,

• Verantwortung des Einzelnen, Weiterbildungschancen wahrzunehmen, und die Be-reitschaft zu Eigenleistungen,

• Selbstregulierung des Weiterbildungsmarktes durch freie Konkurrenz der Träger und Angebote über- und außerbetrieblicher Weiterbildung,

• Orientierung staatlicher Aufgaben am Subsidiaritätsprinzip.“

Staatliche Weiterbildung, so im weiteren Wortlaut des Positionspapiers, sollte sich zum einen auf die Verbesserung der Weiterbildungsvoraussetzungen und -motivation, zum anderen auf die arbeitsmarktbezogene Förderung von Arbeits-losen konzentrieren. Staatliche Regulierungsbestrebungen in der beruflichen Weiterbildung lähmten die Flexibilität und Effizienz und führten zu Fehlsteuerun-gen in der Bildungsarbeit der Wirtschaft insgesamt. Für erfolgreiche Qualifizie-rungsstrategien der Unternehmer, so die politische Quintessenz dieser Stellung-nahme der Spitzenorganisationen der Wirtschaft, sei von entscheidender Bedeu-tung, dass die Weiterbildung von staatlichen Eingriffen wie auch von tariflichen Vereinbarungen frei bleibe.

Dagegen wird von Kritikern der liberal-marktwirtschaftlich Position eingewendet, dass die Prinzipien der Marktsteuerung, der Subsidiarität und der Selbstregulie-rung eine hohe Intransparenz in Verbindung mit stark ausgeprägter Selektivität zur Folge habe. Im Grunde geht es bei dieser Kontroverse um den konzeptionel-len Gegensatz von manpower-Ansatz und social demand-Ansatz (vgl. WEBER

Grundpositionen der Spitzenverbände der Wirtschaft

Manpower Ansatz ver-sus social demand-Ansatz

6 Politikbereich: Berufliche Weiterbildung – Bedeutungszuwachs und politischer Regulierungsbedarf

97

2006). Der manpower-Ansatz stellt die einzelwirtschaftlichen Bedarfsaspekte in den Vordergrund, während der social demand-Ansatz stärker an sozialpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen interessiert ist. Das daraus resultierende Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Gerechtigkeit, zwi-schen nachfrage- und bedarfsorientierten Interessen wirft mithin die zentrale Fra-ge des Interessenausgleichs und der Abstimmung zwischen den unterschiedli-chen (politisch organisierten) Verhandlungspositionen auf.

Eine vermittelnde, gleichwohl ihrerseits kontrovers diskutierte Position wird mit dem in die wissenschaftliche Diskussion eingeführten Konzept der „mittleren Sys-tematisierung“ eingenommen (vgl. TEICHLER 1997; FAULSTICH 1993). Es handelt sich hierbei um ein Strategiekonzept, welches darauf abzielt, das „weiche“ Sys-tem der Weiterbildung in einen Entwicklungspfad zu überführen, der unter Beibe-haltung der Besonderheiten der Weiterbildung wie z.B. der Flexibilität, Vielfalt und Spontaneität die spezifische Funktionalität und Leistungsfähigkeit des Sys-tems erhöht. Netzwerken als dezentralen Formen der Problemlösung und Ent-scheidungsfindung werden hierbei im Kontext „lernender Regionen“ Aufgaben der kooperativen und intermediären Steuerung zugewiesen (vgl. DOBISCHAT/-KUTSCHA 2000). Darüber hinaus werden neue Finanzierungsmodelle zur Diskus-sion gestellt sowie die Einführung gesetzlicher Rahmenvorgaben für die berufli-che Weiterbildung gefordert (hierzu im Überblick: DOBISCHAT 2005). Im Mittel-punkt steht dabei das Konzept des „lebenslangen Lernens“ als bildungspolitische Leitperspektive für die Modernisierung der Weitbildung in der Europäischen Uni-on. Normativer Bezugsrahmen ist der Ausgleich zwischen folgenden Zielvariab-len: Entwicklung der individuellen Regulationsfähigkeit (Autonomie), Sicherung der gesellschaftlich erforderlichen Humanressourcen und – last but not least – Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit. Pointiert zu-sammengefasst findet diese Perspektive in folgender These Ihren Niederschlag:

„Nur wenn es gelingt, gesetzliche Rahmenvorgaben wie ein Bundesgesetz für Weiterbildung zu schaffen, das eine stärkere Verzahnung in den Instrumentarien verschiedener staatlicher Teilpolitiken herstellt und zugleich neue Schnittfelder zur betrieblichen Personalpolitik wie auch zur Tarif- und Arbeitszeitpolitik eröffnet, um damit integrierte Konzepte von Lernen und Arbeiten wie auch von Aus- und Weiterbildung zu realisieren und gleichzeitig flexible Über-gangszonen zwischen Bildung und Beschäftigung abzusichern, wird die Umsetzung des Le-benslangen Lernens ein Stück mehr Realität werden“ (DOBISCHAT 2005, S. 168).

Konzept der „mittleren Systematisierung“

Berufsbildungspolitik

98

7 Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik

7.1 Von den Römischen Verträgen zum Maastrichter Vertrag – Ansätze zur Europäisierung der Berufsbildungspolitik: Subsidiaritätsprinzip und Harmonisierungsverbot

Wesentlich für das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist die Tatsache der Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Im Grunde handelt es sich dabei nicht um eine externe Rahmenbedingung, sondern um einen konstitutionel-len Bestandteil des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Dies wird deutlich, wenn man sich den Artikel 23 des Grundgesetzes (GG) vor Augen führt. Darin heißt es im Absatz 1:

„Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen die-sem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen …“

Dieser Artikel ist durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 in das GG eingefügt worden und hat nach der deutschen Vereinigung den früheren Artikel 23 außer Kraft gesetzt. Mit der Grundgesetzänderung wurde die „Verwirklichung eines ver-einten Europas“ zum Staatsziel bestimmt, nachdem die Bundesrepublik Deutsch-land bereits 1991/92 den Maastrichter Vertrag unterzeichnet und damit nicht nur der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion zugestimmt hatte, sondern auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine zentrale Innen- und Justizpolitik anstrebte.

Die Staatszielbestimmung eines vereinigten Europas enthält eine Struktursicher-heitsklausel. Danach muss die EU den bereits oben genannten Grundsätzen eines demokratischen, sozialen und föderativen Rechtsstaates verpflichtet sein und einen dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten. Außerdem gilt das Prinzip der Subsidiarität, das heißt: die EU darf nur tätig werden, soweit Maßnahmen auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten nicht ausreichen und die entsprechenden Länder entsprechende Unterstützungsmaßnahmen einfor-dern (vgl. auch Kursteil Berufsbildungspolitik in Europa).

Welche Bedeutung hat die EU unter diesen Voraussetzungen als Bedingungs-rahmen für die nationale Berufsbildungspolitik? Um diese Frage beantworten zu können, ist es erforderlich, einen Rückblick auf die unterschiedlichen Entwick-lungsphasen des Verhältnisses von EU und Mitgliedstaaten – hier: unter beson-derer Berücksichtigung der Berufsbildungspolitik – zu werfen (vgl. MÜNK 2003, 2004; FROMMBERGER 2005; SEYR 2005).

Bereits mit den Römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirt-schaftsgemeinschaft (EWG) vom 25. März 1957 und ihrem Wirksamwerden am 1. Januar 1958 war mit dem primär angestrebten Ziel einer wirtschaftlichen Har-monisierung auch die Berufsbildungspolitik tangiert. Damit konnte der Eindruck erweckt werden, die Berufsbildung der damals sechs Mitgliedstaaten sollte „har-monisiert“ werden.

Die Verwirklichung des vereinten Europas als verfassungsrechtliches Staatsziel

Von der Harmonisie-rungsidee zum Harmo-nisierungsverbot – Pa-radigmenwechsel der europäischen Berufsbil-dungspolitik

7 Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik

99

Die Gründung der EWG zielte auf vier wesentliche Ziele ab: auf die Freiheiten des Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Für das Bil-dungswesen bedeutete dies die Gewährleistung der Mobilität und als Vorausset-zung dazu der Transfer erworbener beruflicher Qualifikationen. Angesichts der großen Bedeutung, die man der Berufsbildung für die ökonomische Entwicklung der Mitgliedstaaten unterstellte, wurde das Politikfeld der beruflichen Bildung im § 128 der römischen Verträge eigens erwähnt. Dabei handelte es sich jedoch lediglich um eine politische Willenserklärung. Im Anschluss daran beschloss der Rat der EWG 1963 zehn „Allgemeine Grundsätze für die Durchführung einer ge-meinsamen Berufsausbildung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemein-schaft“. Die einleitenden Worte betonen ausdrücklich, dass sich die Notwendig-keit solch bildungspolitischer Leitlinien auf der Basis von Art. 128 EWG-Vertrag „aus den engen Verbindungen zwischen der Wirtschaftspolitik unter allen ihren Aspekten und der Sozialpolitik sowie vor allem der Politik auf dem Gebiet der Berufsausbildung“ ergäbe (EUROPÄISCHE KOMMISSION 1971, S. 7 f.).

Mit diesen Absichtserklärungen waren indes keine konkreten Umsetzungsschritte in Richtung auf eine aktive Berufsbildungspolitik verbunden. Der wesentliche Grund für diese Zurückhaltung lag offenbar darin, dass die Mitgliedstaaten eine Angleichung und Harmonisierung der Bildungssysteme und damit die Einschrän-kung der nationalen Souveränität auf dem Gebiet der Bildungspolitik befürchte-ten. Anstelle einer Strategie direkter regulierender Eingriffe favorisierte die EU Kommission seit der ersten Hälfte der 1970er Jahre eine politikverträgliche Posi-tion der strikten Beachtung nationaler Souveränitätsrechte auf dem Gebiet der (Berufs-)Bildungspolitik. Statt Harmonisierung der Bildungs- und Berufsbildungs-systeme hieß das europapolitische Leitmotiv: Einheit in der Vielfalt. Auf der be-rufsbildungspolitischen Tagesordnung standen „weiche Politikziele“ und Themen wie u. a.: Ausbau und Optimierung der Bildungsstatistik, flankierende Aktionen zur Förderung des lebenslangen Lernens, Entwicklung von Informations- und Dokumentationsprogrammen sowie die Gründung eines Europäischen Zentrums der Berufsausbildung in Berlin im Jahr 1975 (CEDEFOP: CENTRE EUROPÉEN POUR LE DÉVELOPPEMENT DE LA FORMATION PROFESSIONELLE, seit 1996 in Thessa-loniki).

Der Logik des „Harmonisierungsverbots“ folgten letztlich auch die Maastrichter EU-Verträge von 1992. Maßgeblich hierfür ist der folgende Artikel 127 des Ver-trags über die Europäische Union (Maastricht 1992):

„1. Die Gemeinschaft führt eine Politik der beruflichen Bildung, welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für Inhalt und Gestaltung der beruflichen Bildung unterstützt und ergänzt.

2. Die Tätigkeit der Gemeinschaft hat folgende Ziele:

• Erleichterung der Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse, insbesondere durch Bildung und Umschulung;

• Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt;

• Erleichterung der Aufnahme einer beruflichen Bildung sowie Förderung der Mobilität der Ausbilder und der in beruflicher Bildung befindlichen Personen, insbesondere der Jugendlichen;

• Förderung der Zusammenarbeit in Fragen der beruflichen Bildung zwischen Unter-richtsanstalten und Unternehmen;

Art. 127 des EU-Vertrags von Maastricht (1992)

Berufsbildungspolitik

100

• Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustauschs über gemeinsame Probleme im Rahmen der Berufsbildungssysteme der Mitgliedstaaten.

• …

• …“

Es soll hier nicht im Einzelnen dargestellt werden, durch welche Aktionen dieser Zielkatalog in die Praxis umgesetzt wurde. Festzuhalten bleibt: Der politische und rechtliche Rahmen für die Entwicklung der Berufsbildungspolitik in der Europä-ischen Union ist von zwei Grundprinzipien bestimmt: dem Subsidiaritätsprinzip und dem Harmonisierungsverbot. Beide Prinzipien ergänzen sich. Auf die Bil-dungs- und Berufsbildungspolitik der EU übertragen bedeutet das Subsidiaritäts-prinzip, dass von der EU nur Aufgaben übernommen werden dürfen, die die Staaten allein nicht zufrieden stellend wahrnehmen können. Das Harmonisie-rungsverbot legt fest, das die Übertragung dieser Aufgaben in jedem Fall unter Wahrung der nationalen Souveränität und der Kompetenzen der zuständigen Regionen (zum Beispiel der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) zu erfol-gen hat.

7.2 Der Brügge-Kopenhagen-Prozess – Auf dem Weg zu ei-nem Europäischen Qualifikationsrahmen

Eine neue Form der politischen Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung hat sich seit dem Jahr 2000 entwickelt. Sie wird als Brügge-Kopenhagen-Prozess bezeichnet und gilt unter Experten als einschneidende Zäsur in der europäischen Berufsbildungspolitik (vgl. hierzu: FAHLE 2002; FROMMBERGER 2005; GOCKE 2005; MÜNK 2004). Was ist geschehen, und welche Konsequenzen sind für die nationale Berufsbildungspolitik und für die Gestaltung eines europäischen Bildungsraums zu erwarten?

Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist nicht Brügge, sondern Lissabon. Dort hat der Europäische Rat, eine Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs aus damals 15 EU-Mitgliedstaaten, im Jahr 2000 das Ziel gesetzt, die EU bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt“ zu machen (EUROPÄISCHER RAT 2000). Im Rahmen dieser beschäftigungs-politischen Strategie werden zahlreiche politische Aktivitäten zusammengefasst, die zum Teil mit konkreten Fristen zur Umsetzung versehen sind. Verbindlicher Teil dieses Programms ist die Forderung, die Erziehungs- und Ausbildungssys-teme an die Bedingungen der Informationsgesellschaft anzupassen, womit sich die Forderung nach einem substanziellen jährlichen Wachstum der Investition in Humankapital ebenso verbindet wie die Halbierung der Zahl der Jugendlichen (18 bis 24 Jahre) mit unzureichendem Schulabschluss bis zum Jahre 2010. Im Anschluss daran legte der EUROPÄISCHE RAT von 2001 in Stockholm drei strate-gische Ziele fest, die ebenfalls bis 2010 erreicht werden sollen:

• Erhöhung der Qualität und Wirksamkeit der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in der EU,

• leichterer Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung für alle,

• Öffnung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung gegenüber der Welt.

Der Brügge-Kopenhagen-Prozess – Offene Koordinierung als Konvergenzstrate-gie?

7 Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik

101

Diese Ziele mögen noch sehr allgemein erscheinen. Indes sind sie – und das ist das Neue – mit der Vereinbarung verknüpft, jährlich die Umsetzung der Strategie und deren Ergebnisse zu kontrollieren und voran zu bringen. Nie zuvor hat der Rat die Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung so eng und so nach-drücklich als Faktor einer Strategie der Beschäftigungsfähigkeit herausgestellt. Durch Investitionen in das Humankapital, also die Förderung des Ausbildungs-standes und der beruflichen Fähigkeiten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-nen, sollen mögliche Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bekämpft und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit an den technischen Wandel und die Produktivität erhöht werden.

Vor diesem Hintergrund trafen sich die Generaldirektoren Berufliche Bildung der EU-Mitgliedstaaten im Oktober 2001 auf einer Tagung in Brügge, um sich auf Kernpunkte einer zukünftig stärkeren berufsbildungspolitischen Zusammenarbeit in der EU zu verständigen. Diese Brügge-Initiative stellte einen Grundstein für die Unterzeichnung der „Erklärung von Kopenhagen“ durch die Bildungsminister der Länder, die europäischen Sozialpartner und die EU Kommission sowie für das anschließende Gipfeltreffen der Regierungschefs in Kopenhagen dar (November 2002). Dabei wurden folgende Maßnahmenschwerpunkte vereinbart (vgl. FROMMBERGER 2005; GOCKE 2005):

• Förderung der Europäischen Dimension, insbesondere durch Mobilität, inter-kulturelle Kompetenzen sowie Zusammenarbeit und Öffnung der Lehrpläne und Ausbildungsordnungen;

• Förderung der Transparenz von Qualifikationen und Kompetenzen durch Zu-sammenführung der Instrumente Europäischer Lebenslauf, Diploma-Supplement und EUROPASS sowie durch Ausbau und Weiterentwicklung der Bildungs- und Berufsberatung;

• Schaffung eines europäischen Rahmens für die Anerkennung von erworbe-nen Kompetenzen und Qualifikationen auf der Grundlage vereinbarter ge-meinsamer Prinzipien (EQF: European Qualifications Framework) sowie Auf-bau eines Leistungspunkte-Transfersystems für die berufliche Bildung (ECVET: European Credit System for Vocational Education and Training);

• Anrechnung und Übertragung von Leistungen, Schaffung gemeinsamer Grundsätze für die Bewertung des nicht-formalen und informellen Lernens und lebenslange Beratung und Orientierung;

• Qualitätssicherung beruflicher Bildung durch Förderung der Zusammenarbeit mit besonderem Schwerpunkt auf dem Austausch von Modellen und Metho-den sowie auf gemeinsamen Qualitätskriterien und Grundsätzen für die be-rufliche Bildung.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfolgt im Rahmen der so genannten „Offe-nen Koordinierungsmethode“. Auch für sie gilt das Subsidiaritätsprinzip. Jedoch kommen jetzt Wettbewerbsmethoden nach dem Benchmark-Prinzip zum Tragen, dem sich die beteiligten Länder nicht entziehen können. Die Offene Koordinie-rungsmethode stützt sich dabei auf Indikatoren und Richtwerte sowie auf die Er-gebnisse regelmäßiger Beobachtungen, Evaluierungen und gegenseitiger Be-wertungen.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Europäische Quali-fikationsrahmen (EQF). Kern des EQFs sind acht neu entwickelte Referenzni-

Berufsbildungspolitik

102

veaus (reference levels), die auf der Grundlage von Lernergebnissen (learning outcomes) definiert werden. Insofern handelt es sich bei diesem Instrument nicht um einen „Qualifikationsrahmen“, sondern um einen Kompetenzrahmen. Mit ihm sollen sich Niveaus von Tätigkeitsanforderungen und Kompetenzprofilen unab-hängig von Bildungsabschlüssen typisieren und somit Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt präzise abgleichen lassen. Bezogen auf die nationalen Bildungssysteme besteht das Ziel darin, Bildungsangebote abschlussneutral dar-zustellen und aufeinander zu beziehen, Lernergebnisse qualifikations- und bil-dungsbereichsübergreifend anzurechnen sowie Lernprozesse und Lernwege kompetenzbezogen zu organisieren. Bei der Interpretation des Qualifikations- bzw. Kompetenzrahmens wird durch das Bundesinstitut für Berufsbildung her-vorgehoben, dass die gesetzten Ziele nur dann zu erreichen seien, wenn die Orientierung an Kompetenzen (learning outcomes) umfassend und konsequent durchgehalten und nicht mit Input- und Abschlusskategorien bestehender berufli-cher Bildungsgänge, zum Beispiel der Berufsausbildung im deutschen dualen Ausbildungssystem, „konterkariert“ werde (BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG 2005b).

Eng in Verbindung mit dem EQF steht das ECVET. Wie andere Leistungspunkte-systeme folgt das ECVET dem Kernprinzip, dass durch die Definition eines „ge-meinsamen Dritten“ in unterschiedlichen Bereichen oder Systemen erworbene Kompetenzen vergleichbar, übertragbar und/oder anrechenbar werden. Ein Leis-tungspunktesystem kann folglich mit dem Bild einer gemeinsamen Währung um-schrieben werden (vgl. GOCKE 2005, S. 18). Das gängigste Prinzip ist derzeit die Werteinheit „Zeit“, die als „workload“ bezeichnet wird. Der Workload umfasst das auf Durchschnittswerte basierte Arbeitspensum, das für den Erwerb bestimmter Kompetenzen auf den unterschiedlichen Referenzniveaus erforderlich ist. Beim ECVET steht zur Diskussion, über die Zeiteinheiten hinaus auch die unterschied-lichen Wertigkeiten von Kompetenzen einzubeziehen. Wie immer auch diese Frage entschieden wird, von Bedeutung ist, dass im Zuge des Brügge-Kopenhagen-Prozesses ein Weg eingeschlagen wird, der erhebliche Konse-quenzen für die nationalen Berufsbildungssysteme haben könnte und die Frage aufwirft, ob dieser Prozess nicht auf längere Sicht das „Harmonisierungsverbot“ außer Kraft setzt und die bestehenden Systeme auf dem indirekten Wege des Wettbewerbs und Benchmarking einem Druck zur „Europäisierung“ der nationa-len Bildungssysteme aussetzt. Wie dieser Vorgang politisch auch immer bewertet werden mag, das deutsche, am Berufsprinzip orientierte duale System der Be-rufsausbildung und die mit diesem System in der Vergangenheit eng verbundene nationale Berufsbildungspolitik wird angesichts der Veränderungen der hier skiz-zierten Rahmenbedingengen mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die die Struktur des Bildungssystems insgesamt nachhaltig verändern könnten.

7.3 Zur Diskussion: Das EQF- und ECVET-Konzept aus Sicht der Wirtschaftsverbände und aus gewerkschaftsorien-tierter Perspektive

Welche längerfristigen Einflüsse von dem Brügge-Kopenhagen-Prozess auf die Entwicklung der nationalen Berufsbildungssysteme und auf die Berufsbildungs-politik der Mitgliedstaaten ausgehen werden, ist schwer abzuschätzen. Die Ein-schätzungen und Stellungnahmen der Politikakteure dazu sind selbst ein Politi-kum. Politische Entscheidungen basieren in der Regel auf Urteilen unter

Einschätzungen des EQF- und ECVET-Konzepts als Politikum

7 Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik

103

Ungewissheit. Dabei ist weniger von Bedeutung, wie diese Urteile begründet sind, sondern wer mit welchem politischen Gewicht die politische Diskussion zu beeinflussen in der Lage ist und wer sich damit als durchsetzungsfähig erweist.

Zur Veranschaulichung des Spektrums an politischen Einschätzungen des EQF-Konzept sollen hier zwei Positionen zur Diskussion gestellt werden: diejenige des Kuratoriums der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung (KWB), in dem die Spit-zenverbände der Wirtschaft zusammengeschlossen sind, und jene aus dem wis-senschaftlichen Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di.

Kuratorium der deutschen Wirtschaft:

„Die Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft begrüßen die Fortschreibung des Ko-penhagenprozesses und die Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens. Sie ha-ben sich daher an seiner Entwicklung konstruktiv beteiligt. Die Zustimmung zu bzw. das Ge-lingen eines EQF in Europa hängt entscheidend von seiner Ausrichtung am Bedarf der Wirtschaft und am Nutzen für die Unternehmen ab“ (KURATORIUM DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT

FÜR BERUFSBILDUNG 2005, S. 2).

Wissenschaftlicher Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di:

„Die auf europäischer Ebene konzipierte Berufsbildungspolitik gewinnt erheblich an Durchset-zungsfähigkeit und Dynamik. Gemeinsam ist ihren zentralen Projekten EQR und ECVET, dass sie auf Outcome-Orientierung, Modularisierung von Bildungsgängen und Fragmentie-rung von ganzheitlichen Qualifikationen in schmale Qualifikationspartikel zielen; damit sind sie nicht kompatibel mit dem das deutsche Berufsbildungssystem bestimmenden Berufsprinzip“ (VORSTAND VER.DI/VORSTAND IG METALL 2006, S. 62).

Auf den ersten Blick scheinen sich die Positionen der – um es vereinfacht aus-zudrücken – arbeitgeber- und arbeitnehmerorientierten „Fraktionen“ klar zu un-terscheiden: Das KWB „begrüßt“ ausdrücklich, wenngleich unter dem Vorbehalt der Ausrichtung am Bedarf der Wirtschaft und am Nutzen für die Unternehmen, die EQF-Initiative im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses. Es wird Zu-stimmung und konstruktive Zusammenarbeit signalisiert, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, dass das KWB es nicht nur bei einer Stellungnahme be-lässt, sondern eigene Vorstellungen zur Ausarbeitung des europäischen und zur Umsetzung in Form eines nationalen Qualifikationsrahmens zur Diskussion stellt.

Demgegenüber ist die Position des Wissenschaftlichen Beirates der IG Metall und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auf Ablehnung fokussiert. Bei der Textinterpretation ist zwar zu berücksichtigen, dass es sich bei dem hier zitierten Textausschnitt um die Stellungnahme eines einzelnen Mitglieds des Beraterkrei-ses handelt, gleichwohl erscheint das Zitat an markanter Stelle der von den bei-den Gewerkschaften unter dem Motto „Bildung ist keine Ware“ herausgegebenen Streitschrift. Man darf also eine gewisse Identifizierung der Herausgeber mit der wissenschaftlichen Beratung unterstellen. Der Schlüssel zum Verständnis des Zitatinhalts liegt in der Behauptung EQR (Europäischer Qualifikationsrahmen = EQF) und ECVET seien im Ansatz nicht „mit dem für das deutsche Berufsbil-dungssystem bestimmenden Berufsprinzip“ kompatibel.

Hier stoßen wir in der berufsbildungspolitischen Diskussion wieder einmal auf das Berufsprinzip. Ein ganzes Bündel von Fragen ist aufgeworfen:

• Trifft es zu, dass das EQF-Konzept mit dem Berufsprinzip nicht vereinbar ist?

• Was sind die Gründe dafür, dass aus gewerkschaftlicher bzw. gewerkschafts-freundlicher Sicht beharrlich am Berufsprinzip festgehalten wird?

Position des Kurato-riums der deutschen Wirtschaft für Berufsbil-dung

Streitschrift des IG-Metall-ver.di- Bera-terkreises

Vergleich der Positionen

Berufsbildungspolitik

104

• Ist aus der prinzipiellen Befürwortung der EQF-Strategie seitens des KWB zu schließen, dass sich die Wirtschaftsverbände vom Berufsprinzip verabschie-den wollen und deshalb auf die europäische Karte EQF und ECVET setzen?

• Gibt es zwischen den Positionen beider Seiten argumentative Schnittmen-gen, die auf eine „nationale Partnerschaft“ im Sinne einer gemeinsamen be-rufsbildungspolitischen Leitlinie der deutschen Akteure bei den Verhandlun-gen über EQF und ECVET hindeuten?

Diese Fragen können und sollen hier nicht im Einzelnen geklärt werden. Dazu wäre es unerlässlich, die hier zitierten Positionen im Gesamtzusammenhang der Dokumente und unter Berücksichtigung der politischen Kontexte, auf die die Stel-lungnahmen bezogen sind, zu prüfen. Es soll hier nur der im vierten Fragen-komplex angesprochene Aspekt der „gemeinsamen berufsbildungspolitischen Leitlinie“ angesprochen werden. Diese liegt, was aus den zitierten Textstellen nicht unmittelbar hervorgeht, in der weitgehenden Übereinstimmung mit den drei Grundprinzipien des dualen Ausbildungssystems: dem Berufsprinzip, dem Duali-tätsprinzip und dem Konsensprinzip.

Weder die Spitzenverbände der Wirtschaft noch die beiden größten Einzelge-werkschaften in der Bundesrepublik Deutschland stellen die Leitprinzipien des dualen Ausbildungssystems grundsätzlich in Frage. So heißt es ausdrücklich in der Stellungnahme des KWB:

„Die Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft vertreten dabei folgende Grundsätze:

• …

• Verantwortlichkeit für die Einordnung einzelner Abschlüsse und Qualifikationen bei den Mitgliedstaaten belassen, und den Berufsbildungsakteuren eine besondere Rolle geben

• EQF soll so angelegt sein, dass sich die verschiedenen nationalen Systeme darin wieder finden können…

• Der für EQF notwendige modulare Zuschnitt von Bildungsgängen muss das Berufs-prinzip wahren…“

Stellt man das KWB-Positionspapier der IG Metall-ver.di-Streitschrift gegenüber, so stellt man fest, dass beide Dokumente zwar dem Berufsprinzip zustimmen, aber dieses Prinzip unterschiedlich gewichten und vor allem: dass beide Seiten eine unterschiedliche Sicht damit verbinden. Wie es bei abstrakten Prinzipien in der Regel der Fall ist, ist das Berufsprinzip auslegungsbedürftig. Das muss kein Mangel sein; denn politische Prinzipien sind nicht auf spezielle Situationen oder Sachverhalte fixiert, sondern haben eine Orientierungsfunktion. Sie markieren Entwicklungspfade und fungieren dabei als Leitlinien. Wegen der Auslegungsbe-dürftigkeit von Prinzipien entzünden sich politische Auseinandersetzungen nicht nur an prinzipiell unterschiedlichen Auffassungen, sondern auch an unterschied-lichen Auslegungen ein und desselben Prinzips.

Dies lässt sich seit Ende des letzten Jahrhunderts in der berufsbildungspoliti-schen Diskussion beobachten. Aufgrund des beschleunigten wirtschaftlichen und technischen Wandels hat sich das Berufskonzepts in der konkreten Ausgestal-tung der Ausbildungsordnungen flexibilisiert. Wie bereits ausgeführt, gibt es An-sätze der Modularisierung innerhalb des Berufskonzepts (zum Beispiel bei den neuen IT-Berufen) und vielfältige Versuche, das traditionelle Monoberufskonzept durch dynamische Beruflichkeit und Gestaltungsoffenheit abzulösen. Das Berufs-

Berufsbildungspolitische Berührungspunkte und Differenzen am Beispiel des Berufsprinzips

7 Einflüsse der europäischen Integration auf die nationale Berufsbildungspolitik

105

konzept unterliegt einem Bedeutungswandel, der es erschwert, berufsbildungs-politische Stellungnahmen bestimmten Positionen eindeutig zuzuordnen. Auffällig ist bei den hier präsentierten Stellungnahmen, dass die Streitschrift der Gewerk-schaften in Bezug auf das Berufsprinzip deutlich andere Akzente setzt als die Spitzenverbände der Wirtschaft. So lautet eine der Empfehlungen in der Streit-schrift unter dem Slogan „Wir verteidigen das Berufsprinzip“:

„Verteidigt das Berufsprinzip, das die Menschen in die Lage versetzt, Handlungs- und Gestal-tungskompetenz für ihren Berufsweg, für ihre Arbeit und ihr Leben zu gewinnen ...“ (VORSTAND

VER.DI/VORSTAND IG METALL 2006, S. 5).

Und anderer Stelle heißt es:

„Die Verankerung von Berufsbildern im gesellschaftlichen Bewusstsein, ihre Tauglichkeit für die Orientierung bei der Berufswahl sowie das identitätsstiftende Potenzial eines Berufes für Auszubildende hängen entscheidend von der Stabilität der Berufe ab… (ebenda, S. 39).

Der Berufsbegriff hat in der Gewerkschaftsstreitschrift den Charakter eines ge-sellschaftspolitischen Kampfbegriffs. Hier wird deutlich, dass der Beruf aus ge-werkschaftlicher Sicht mehr ist als nur eine ausbildungsdidaktische und –organi-satorische Kategorie. Abweichend von der eher pragmatischen und betont offenen Sicht der Wirtschaftsverbände gegenüber dem EQF- und ECVET-Konzept, stehen aus gewerkschaftlicher Sicht offenbar grundlegende Fragen der gesellschaftlichen Ordnung, der staatlichen Verantwortung und letztlich auch des Menschenbildes, von dem sich Politik leiten lässt, zur Diskussion. Hierzu sei ein letztes Mal aus der Streitschrift zitiert:

„Als Kern des Sozialstaatsprinzips gilt die Aufgabe des Staates, sich um eine solidarische Ab-sicherung der Lebensrisiken der Menschen zu kümmern. Eine Gesellschaft, die die Postulate von Gerechtigkeit und Solidarität auf ihre Fahnen schreibt, muss die sozialen Sicherungen er-halten und das Bildungssystem, auch die berufliche Bildung, nachhaltig gestalten“ (ebenda, S. 8).

Ohne die beiden hier „exemplarisch“ vorgestellten Positionen bewerten zu müs-sen, lässt sich in der Diskussion um das EQF- und ECVET-Konzept und die ihr zugrunde liegende Auseinandersetzung in der Kontroverse Berufsprinzip kontra Modularisierung ein Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichen Flexibilitätserfordernis-sen einerseits und sozialen Sicherungsansprüchen andererseits erkennen. Das Kernproblem dieses Zielkonflikts betrifft die Frage, in welcher Qualität und in wel-chen Formen berufliche Bildung unter globalen Wettbewerbsbedingungen zur Wohlfahrt der Gesellschaft und des Einzelnen durch Verbesserung der wirt-schaftlichen Effizienz bei gleichzeitiger Berücksichtigung sozialer Belange wie Solidarität und Gerechtigkeit beitragen kann.

Auch andere Länder der Europäischen Union sind mit diesem Zielkonflikt konf-rontiert. Soweit die Berufsbildungspolitik davon betroffen ist, gibt es auf die He-rausforderungen der Globalisierung unterschiedliche nationale Antworten und Entwicklungspfade. Darauf wird im abschließenden Kapitel 8 näher eingegangen.

Zielkonflikt zwischen Flexibilisierung und sozialer Sicherheit unter Bedingungen des globa-len Wettbewerbs

Berufsbildungspolitik

106

8 Entwicklungspfade der Berufsbildungspolitik: Thesen zur Reform des deutschen Berufsbil-dungssystems

8.1 Erosionstendenzen des deutschen Ausbildungssystems Attraktivität und Stabilität des dualen Systems in der Bundesrepublik Deutschland wurden in der Vergangenheit im Wesentlichen mit folgenden Strukturmerkmalen in Verbindung gebracht (vgl. SCHMIDT 1997):

• Die Berufsförmigkeit der Ausbildung galt, wenn auch nicht als Garant, so doch als entscheidende Voraussetzung für eine relativ kontinuierliche Erwerbsbiografie. Sie bot Arbeitnehmern und Arbeitgebern Orientierungshilfen am Arbeitsmarkt, ver-ringerte die betrieblichen Transaktionskosten bei der Beschaffung von Fachkräf-ten und fügte der tariflichen Sicherung des Erwerbseinkommens den sozialen Schutz des jeweils erreichten Status hinzu. Über die Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf wurden nicht bloß Chancen des Einkom-menserwerbs verteilt. Verteilt wurden Lebenslagen. Der Zugang zur Berufsausbil-dung in einer auf den Beruf zentrierten Sozialordnung war die Voraussetzung da-für, dem Einzelnen ein ökonomisches und soziales Existenzminimum zu sichern, ganz abgesehen von den identitätsstiftenden Potenzialen, die dem Beruf für die Persönlichkeitsentwicklung auch heute noch zugesprochen werden (was sicher-lich eines differenzierten Nachweises bedürfte).

• Die Dualität von betrieblicher Praxiserfahrung und schulisch organisierten Formen systematischen Lernens gehörte zu den unverzichtbaren Errungenschaften des deutschen Ausbildungssystems. Sowohl unter Qualifikationsaspekten als auch unter Gesichtspunkten beruflicher Sozialisation ist die Verbindung von Arbeiten und Lernen in betrieblich und schulisch organisierten Lernfeldern im Vergleich zu monostrukturierten Systemen ein herausragendes Qualitätsmerkmal der Berufs-ausbildung im dualen System. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Dualität der Lernorte schon seit Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes (1969) in vielen Bereichen den Anforderungen der Ausbildungsordnungen nicht mehr gerecht wird und einer Ergänzung durch überbetriebliche und außerschuli-sche Berufsbildungsstätten bedarf.

• Die Steuerung des dualen Systems auf sozialpartnerschaftlicher Konsensbasis in Form tripartistisch-korporatistischer Arrangements (Staat, Spitzenverbände der Wirtschaft und der Gewerkschaften) trug wesentlich dazu bei, einer Polarisierung der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften entgegenzuwirken, Risiken des Markt- und Staatsversagens zu begrenzen, informationelle Ressourcen zu vernet-zen sowie Blockaden bei der Umsetzung berufsbildungspolitischer Entscheidun-gen in die betriebliche Ausbildungspraxis zu vermeiden (vgl. HIL-BERT/SÜDMERSEN/WEBER 1990; KOCH/REULING 1994). Das System der staatlich-korporativen Berufsbildungsplanung setzt Rahmenbedingungen für das Ausbil-dungsengagement der Betriebe und die kontraktuelle Ausgestaltung der Ausbil-dungsverhältnisse. Es trug in der Vergangenheit wesentlich dazu bei, dass über den Einfluss der Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Kammern auf die zu-ständigen betrieblichen Entscheidungsträger wie auch in der politischen Öffent-lichkeit der einzelwirtschaftliche Nutzen mit den gesamtwirtschaftlichen Erforder-nissen zur Geltung gebracht werden konnte. Ohne dieses komplexe Arrangement

Erosionstendenzen des dualen Ausbildungssys-tems

8 Entwicklungspfade der Berufsbildungspolitik: Thesen zur Reform des deutschen Berufsbildungssystems

107

von staatlichen, korporativen und marktwirtschaftlich-betrieblichen Steuerungs-komponenten wäre das am Berufskonzept ausgerichtete und in erheblichen Antei-len privatwirtschaftlich finanzierte Ausbildungssystem sehr wahrscheinlich schon längst an den Rationalitätsdilemmata individuellen und kollektiven Handelns ge-scheitert.

Berufskonzept, Dualität der Lernorte, korporatistische Steuerungsarrangements unterliegen seit Jahren einem anhaltenden Erosionsprozess (vgl. BAETH-GE/BAETHGE-KINSKY/HENRICH 1996). Vor diesem Hintergrund scheint es gerech-tfertigt zu sein, von einer „Krise“ des dualen Systems zu sprechen (GEIßLER 1991, 1995), sofern man darunter eine existenzbedrohliche Entwicklungsphase versteht, in der Zerfall und Restitution gewissermaßen auf der Kippe stehen. Be-drohlich ist der gegenwärtige Zustand des dualen Systems deshalb, weil nicht eine einzelne Komponente isoliert betroffen ist, sondern das systemische Gefüge zu kollabieren droht: Das Konzept der Ausbildungsberufe kann in vielen Berei-chen nicht mehr Schritt halten mit der Dynamik des Qualifikati-ons(struktur)wandels, die Dualität der Lernorte wird durch das unzureichende Angebot an Ausbildungsplätzen praktisch in Frage gestellt, und die stabilisieren-de Funktion industrieller Beziehungen in der Berufsbildungspolitik schwindet mit der Einbuße an Verhandlungsstärke der beteiligten staatlichen Akteure, der Wirt-schaftsverbände und Gewerkschaften. Auswege aus dieser Krise sind durch Ap-pelle an den guten Willen der Beteiligten ebenso wenig zu erwarten wie von kura-tiven Übergangsmaßnahmen, so hilfreich und unverzichtbar letztere im Einzelfall sein mögen. Marktkompensierende Maßnahmen als typische Form der sozial-staatlichen Bearbeitung strukturell verursachter Abweichungen vom Regelfall muten den davon Betroffenen die Fähigkeit und Bereitschaft zu, Systemprobleme mit dem Risiko dauerhaften Scheiterns zu privatisieren. Wer darin keine sozial-verträgliche Lösung strukturell bedingter Problemlagen zu sehen vermag, gleich-wohl die Vorzüge einer dezentralen Regulierung wirtschaftlicher Entscheidungen durch den Markt zu würdigen weiß, muss nach Steuerungsinstrumenten Aus-schau halten, die geeignet sind, Regulierung und Flexibilität unter dem Anspruch sozialer Marktwirtschaft miteinander zu verbinden (vgl. KUTSCHA 1996a).

Berufsausbildung in der Sozialen Marktwirtschaft war verwiesen auf Markt- und Sozialverträglichkeit und damit auf die Ausbalancierung ökonomischer und sozia-ler Interessen im prinzipiell nicht auflösbaren Spannungsfeld von öffentlicher und privatwirtschaftlicher Verantwortung. Der Versuch, Flexibilität gegen die Interes-sen der Arbeitnehmer zu missbrauchen, ist ebenso kurzsichtig und riskant wie die Ignoranz gegenüber den Flexibilitätserfordernissen einer exportorientierten und von internationalen Interdependenzen stark betroffenen Wirtschaft. Das Ver-hältnis von Regulierung und Selbstverantwortung muss auch für den Bereich der Berufsausbildung neu bedacht und vor allem neu verhandelt werden. Von zentra-ler Bedeutung ist dabei die Regelung der Verhandlungsmodalitäten und die kont-raktuelle Absicherung der Verhandlungsergebnisse in den Beziehungen zwi-schen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die bisher praktizierte Trennung zwischen Tarifpolitik und Berufsbildungspolitik erweist sich als nicht mehr zweckmäßig. Ausbildungs- und beschäftigungspolitische Entscheidungen müssen zu kompromissfähigen Verhandlungspaketen gebündelt werden, die über bislang tradierte Grenzen hinweg neue Verhandlungsoptionen zulassen, zum Beispiel durch Verbindung von Flexibilisierung der beruflichen Erstausbil-dung und Regulierung der Weiterbildung.

Berufsbildungspolitik

108

Zur Diskussion steht nicht die spekulative Frage, ob das duale System seine Zu-kunft hinter sich oder noch vor sich habe, sondern die Frage nach dem Entwick-lungspfad des dualen Systems, nach den Eigenschaften und Modalitäten, die es haben müsste, um entwicklungsfähig bleiben zu können (vgl. EULER 1998; EU-LER/SLOANE 1997). Dieser Entwicklungspfad lässt sich übrigens weltweit durch den Trend zur Pluralisierung der nationalen Qualifizierungssysteme charakterisie-ren. Vormals vollzeitschulische Ausbildungssysteme, wie etwa in Frankreich, werden ergänzt und bereichert durch Elemente alternierenden Lernens (vgl. RO-THE 1995). Ehedem marktorientierte Formen betrieblicher Ausbildung, etwa im Vereinigten Königreich, sehen sich mit der Regulierung von Abschlussqualifika-tionen bei einem diversifizierten Angebot alternativer Ausbildungswege konfron-tiert (vgl. KOCH/REULING 1997). Unter dem Einfluss der Globalisierung geraten die tragenden Pfeiler des dualen Systems zunehmend mehr unter Modernisie-rungsdruck.

Nicht nur unter lernortorganisatorischen Aspekten, sondern auch und vor allem in steuerungspolitischer Hinsicht wird sich das Ausbildungssystem in Deutschland auf den Übergang vom dualen System zu einem pluralen System heterogen re-gulierter und organisierter Qualifizierungs- und Karrierewege einzurichten haben. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass das „tripartistische Kartell“ der Berufsbil-dungspolitik und -planung unter dem Einfluss der Globalisierung tendenziell ei-nen Bedeutungsverlust wird hinnehmen müssen. Nicht nur die nationalen Regie-rungen, sondern auch die damit verkoppelten Institutionen und Verhandlungs-systeme sowie die industriellen Beziehungen traditionellen Zuschnitts verlieren an Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen. In dem Maße, wie Unternehmen aus nationalstaatlich begrenzten Systemen auswandern können (allein die Mög-lichkeit dazu kann wirksam sein), werden Gewerkschaften damit konfrontiert, sich informellen Zugeständnissen an die normative Kraft des Faktischen öffnen zu müssen. Solche informellen Zugeständnisse können zum Beispiel darin beste-hen, dass vorhandene formelle Regelungen, etwa die der Ausbildungsordnun-gen, modifiziert werden bzw. nicht mehr auf deren Einhaltung bestanden wird und die Ordnungsmittel de facto ihren Ausschließlichkeitsanspruch, wie ihn das Berufsbildungsgesetz vorschreibt, verlieren (vgl. STREECK 1996; 1998). Im Er-gebnis läuft diese Entwicklung darauf hinaus, dass die bisherigen Ausbildungs-standards weniger institutionell als durch den Markt bestimmt werden und die besonderen Bedingungen des Einzelfalls in der berufsbildungspolitischen Arena ein deutlich stärkeres Gewicht erhalten. Soll diese Entwicklung nicht sich selbst überlassen bleiben, wird darüber nachzudenken sein, anstelle informeller, nicht kontrollierbarer Flexibilität die Möglichkeiten regulierter Pluralität zu erweitern.

8.2 Alternativen in Europa: Entwicklungen im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden

Als Beispiel „regulierter Pluralität“ verdient das niederländische Ausbildungssys-tem auf der Grundlage des Gesetzes über Erwachsenenbildung und Berufsbil-denden Unterricht von 1996 hervorgehoben zu werden. Es grenzt sich ab vom Modularisierungskonzept englischer Provenienz auf der einen Seite und dem Konzept der Einheitsberufe in Deutschland auf der anderen Seite. Die genannten Qualifikationssysteme präsentieren in der Europäischen Union unter Pluralisie-rungsaspekten betrachtet gewissermaßen das ordnungspolitische Spektrum un-ter Außerachtlassung vollzeitschulisch organisierter Ausbildungssysteme:

Entwicklungspotenziale

8 Entwicklungspfade der Berufsbildungspolitik: Thesen zur Reform des deutschen Berufsbildungssystems

109

• Im Fall der Modularisierung nach dem englischen NVQ-System (NVQ = National Vocational Qualifications) werden zur Zertifizierung der nach einheitlichen Prinzi-pien gestalteten Module und Qualifikationen allein die zu erreichenden Lerner-gebnisse festgelegt, so dass im Prinzip für den einzelnen Bildungsträger die Mög-lichkeit besteht, auf den einzelnen Lerner zugeschnittene modularisierte Ausbildungsangebote zu entwickeln (vgl. DEIßINGER 1996; REULING 1996, 1998). Als besonderer Vorteil der modularen Struktur von Qualifikationen wird von Ver-fechtern dieses Konzepts hervorgehoben, dass ein Lernender einzelne Module oder auch einzelne Bestandteile davon an institutionell unterschiedlichen Lernor-ten erwerben bzw. seine entsprechende Kompetenz nachweisen kann. Die theo-retisch mögliche Flexibilität im Erwerb von Modulen und Qualifikationen wird in der Praxis häufig jedoch sehr eingeschränkt (vgl. hierzu HAYWARD 2005; REULING 1996; SCHMIDT 2003). Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Arbeitsplätze, an denen die für den Erwerb von NVQ-Zertifikaten erforderlichen Qualifikationen er-worben werden, relativ eng geschnitten sind und der Kandidat nicht den Zugang zur vollen Breite von Arbeitssituationen hat. Dies behindert die Möglichkeiten der flexiblen Akkumulation von Modulen auf höheren Niveaus und des offenen Zu-gangs zu ihnen. Positive Ergebnisse liegen vor bei der Nachqualifizierung von Fachkräften, die noch keine formalen Qualifikationsabschlüsse haben und denen über das NVQ-System eine Zertifizierung ihrer Berufserfahrungen ermöglicht wur-de, und zwar durchaus auf dem Niveau deutscher Ausbildungsberufe.

• Im Unterschied zum englischen NVQ-Systems basiert das duale Ausbildungssys-tem auf dem Prinzip der präskriptiven Berufsbildlehre (vgl. KUTSCHA 1995), wo-nach berufliche Qualifikationen auf der Grundlage eines einheitlich festgelegten Ausbildungsberufsbilds „in einem geordneten Ausbildungsgang“ (§ 1 (3) BBiG) vermittelt und dezentral – durch die zuständigen Stellen – geprüft und zertifiziert werden. Die Flexibilität dieses zentral geregelten Einheitsberufskonzepts wird da-durch eingeschränkt, dass berufliche Qualifikationselemente jeweils nur im Zu-sammenhang einer standardisierten Kollektion von Kenntnissen und Fertigkeiten angeboten werden („Berufsbildfixierung“, vgl. BRATER 1981) und die Prozedur des Erwerbs von Qualifikationen in einer vergleichsweise starren Arbeitsteilung zwi-schen Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen reguliert wird. Das Gesamtregle-ment der beruflichen Qualifizierung in Ausbildungsberufen und das damit korres-pondierende Bildungsgang-Prinzip restringiert nicht nur die Möglichkeiten der betrieblichen Personalentwicklung, sondern gerät auch in Widerspruch zur Hete-rogenität der Ausbildungsklientel in Bezug auf schulische Herkunft, berufliche Kar-riereaspirationen und betriebliche Anforderungssituationen angesichts relativ lan-ger Diffusionszeiträume bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Produktions- und Qualifikationskonzepte (Gleichzeitigkeit ungleicher Qualifikationsanforderun-gen in den einzelnen Branchen und Berufsbereichen). Der Trend „von der Meis-terschaft zur Qualifikations-Collage“ (GEIßLER 1994) verändert nicht nur den Quali-fikationsbedarf der Betriebe, sondern beeinflusst nachhaltig die Einstellung der Jugendlichen zu Arbeit und Beruf. Kompetenzerwerb und berufliche Identitätsent-wicklung sind aus Sicht der Jugendlichen nicht an der Gleichförmigkeit beruflicher Bildungsgänge orientiert, sondern hängen wesentlich davon ab, ob sich der oder die Auszubildende mit den Ausbildungsinhalten im Hinblick auf die komplexen An-forderungssituationen seiner Arbeits- und Lernumgebung auch tatsächlich identifi-zieren kann. Was und wie gelernt wird, ist nicht primär eine Frage von Ordnung-skonstrukten und Lehrplänen, sondern wird beeinflusst von den konkreten Ereignissen und Bedingungen der jeweiligen Lernorte und insbesondere von den Beziehungen zwischen den Lernorten, so wie der einzelne Auszubildende sie er-

Das englische Modul-system (NVQ)

Berufsbildfixierung im deutschen Ausbildungs-system

Berufsbildungspolitik

110

lebt. Das in der Vergangenheit mehr oder weniger als bewährt angesehene Ab-stimmungsverfahren zur Koordinierung von Ausbildungsordnungen für die betrieb-liche Ausbildung und Rahmenlehrplänen für den Berufsschulunterricht behindert vielfach den Aufbau von Lernerfahrungen in subjektiv bedeutsamen Kontexten. Es zementiert die zentrale Aufgabenzuweisung an eine fiktive Allgemeinheit von Be-trieben und Berufsschulen, die es in der Praxis nicht gibt.

• Eine konstruktive Alternative zum Modularisierungskonzept des englischen NVQ-Systems und der Berufsbildfixierung dual geregelter Ausbildungsgänge in Deutschland zeichnet sich in den Niederlanden nach Einführung des Anfang 1996 in Kraft getretenen Gesetzes über Erwachsenenbildung und Berufsbildenden Un-terricht ab (Wet Educatie en Beroepsonderwijs – WEB; vgl. VAN LIESHOUT 1997). Mit diesem Gesetz sollen die verschiedenen Formen des berufsbildenden Unter-richts und der Erwachsenenbildung zusammenhängender gestaltet werden. Das WEB ist konzipiert als ein selbstregulierendes System, wobei die unterschiedli-chen Akteure einander Gleichgewicht halten, wesentlich unterstützt durch ein er-gebnisorientiertes Finanzierungssystem. Als Politikziele lassen sich drei Leitkrite-rien benennen: Verwirklichung einer Startqualifikation für jedermann, berufliche Bildung nach Maß (entsprechend den Wünschen und Möglichkeiten der einzelnen Auszubildenden, den Bedürfnissen des Staates und der Wirtschaft) und System-transparenz (orientiert an Nutzen und Effizienz für die beteiligten Akteure). Neben der landesweit einheitlichen Qualifikationsstruktur nehmen im neuen WEB vor al-lem die so genannten „Regionalen Ausbildungszentren“ einen wichtigen Platz ein. Einerseits geht es dabei um die institutionelle Integration der Akteure in ein regio-nales Netzwerk der Qualifikationsstrukturentwicklung, andererseits um die gegen-seitige inhaltliche wie organisatorische Abstimmung von Ausbildungsgängen „vor Ort“. Als Referenzrahmen für diese Aktivitäten wurde eine landesweit einheitliche Qualifikationsstruktur für die berufliche Bildung entwickelt, und zwar auf vier Quali-fikationsniveaus mit jeweils zwei Ausbildungswegen pro Niveau. Bei den Ausbil-dungswegen handelt es sich um unterschiedliche Varianten dual organisierter Qualifizierungsformen mit 60 % oder mehr berufspraktischer Ausbildung bzw. mit 20 bis 60 % berufspraktischer Ausbildung. Die Qualifikationsniveaus beziehen sich auf einfache ausführende Tätigkeiten (0,5- bis 1-jährige Assistentenausbil-dung), auf ausführende Tätigkeiten (2- bis 3-jährige Grundausbildung), auf voll-ständig selbständige Durchführung von Facharbeitertätigkeiten (2- bis 4-jährige Fachausbildung) und auf mittlere Führungstätigkeiten mit breiter Einsatzmöglich-keit (3- bis 4-jährige Ausbildungsdauer) bzw. Spezialisierung (1- bis 2-jährige Ausbildungsdauer). Die öffentliche Verantwortung wird staatlicherseits darin ge-sehen, dafür zu sorgen, dass über einzelwirtschaftliche Anforderungsprofile hi-naus auch betriebsübergreifende Entwicklungen berücksichtigt werden, also das Prinzip der „Beruflichkeit“ zur Geltung kommt.

8.3 Zur Diskussion: Entwicklungspfad und Modernisie-rungsperspektiven: Mehr Flexibilität in der beruflichen Erstausbildung – weniger Wildwuchs in der Weiterbil-dung – „Regulierte Pluralität“ als Voraussetzung für ein Gesamtsystem der beruflichen Bildung in öffentlicher Verantwortung

Wenn es in der vergleichenden Berufsbildungsforschung einen Konsens bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen über Vor- und Nachteile der Berufsbil-

Die niederländische Bildungsreform: zwi-schen Flexibilität und Sicherheit (flexicurity)

„Regulierte Pluralität“ als Reformperspektive

8 Entwicklungspfade der Berufsbildungspolitik: Thesen zur Reform des deutschen Berufsbildungssystems

111

dungssysteme gibt, so ist es die Einsicht, dass Struktur und Funktion nationaler Qualifikationssysteme einen immanent systemischen Charakter haben und es eben deshalb unmöglich sei, Ausbildungssysteme von einem in ein anderes Land zu übertragen, selbst wenn ein Transfer wünschenswert wäre (vgl. SOSKI-CE/HANCKÉ 1996). Die Reform des dualen Ausbildungssystems in der Bundesre-publik Deutschland kann nicht ein Kahlschlag gewachsener Ausbildungsstruktu-ren sein. Zur Diskussion steht die Frage nach Entwicklungspfaden, an denen Reformmaßnahmen zu orientieren sind. Hierfür sind unter Pluralisierungsaspek-ten und im Hinblick auf die eingangs erörterten Strukturmerkmale des dualen Systems folgende Optionen von Bedeutung (vgl. KUTSCHA 2003b):

• Auf das Berufsprinzip und das Konzept der Modularisierung angewandt bedeutet Pluralisierung: die Vorteile höherer Freiheitsgrade sowohl auf der Makro-Ebene berufsbildungspolitischer Regulierungen (zum Beispiel nach dem Konzept der of-fenen Koordination bei der Einführung des EQF-Konzepts) als auch auf den Mik-ro- und Meso-Ebenen berufsbildungspolitischer Entscheidungsträger (zum Bei-spiel durch mehr Autonomie regionaler Entscheidungsinstanzen und der Ausbildungsinstitutionen) zu verknüpfen mit dem sozialen Schutz gesellschaftlich anerkannter Beruflichkeit. Modularisierung darf kein Tabu sein, wenn und soweit die Dynamik der Arbeitsanforderungen in einzelnen Bereichen des Beschäfti-gungssystems ein hohes Maß an Flexibilisierung erfordert. Allerdings muss Mo-dularisierung gegen Missbrauch geschützt sein, zum Beispiel durch verbindliche Anwartschaften auf den Erwerb weiterer Module im Rahmen der Weiterbildung. Mit der Anerkennung und Förderung der Beruflichkeit des Arbeitsvermögens gin-gen Politik und Wirtschaft in der Bundesrepublik einen „dritten Weg“ der sozialen Integration verhandlungsschwacher Marktteilnehmer. In diesem Sinne plädiert der Verfasser dieses Kursteils für einen sozialverträglichen Pluralismus als ordnungs-politischen Bezugsrahmen, innerhalb dessen unter dem Anspruch öffentlicher Verantwortung eine regulierte Pluralität flexibel gestalteter Qualifikationsformen möglich sein sollte. Das notwendige Pendant zur Pluralisierung des Ausbildungs-systems wäre die Regulierung der Weiterbildung auf der Ebene „mittlerer Syste-matisierung“ (vgl. TEICHLER 1997), nicht zuletzt auch als Voraussetzung dafür, die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung im Kontext eines Ge-samtsystems beruflicher Aus- und Weiterbildung herzustellen und die Berechti-gung zum Hochschulzugang verantwortbar zu erweitern (DYBOWSKI u. a. 1994).

• Was das Dualitätsprinzip betrifft, so ist daran zu erinnern, dass sich das duale System schon seit Jahrzehnten auf dem Weg zur Pluralisierung der Lernorte be-findet, und zwar sowohl im schulischen als auch im betrieblichen und überbetrieb-lichen Bereich. Insgesamt herrscht eine Pluralität der Lernorte vor. Das Dogma von der Dualität der Lernorte behindert vielfach das Denken in Systemzusam-menhängen. Benötigt wird eine innovative Theorie und noch wichtiger eine inno-vative Praxis der vielfältigen Gestaltung, Kombination und Kooperation von Ler-norten. Weltweit befinden sich die Bildungsorganisationen auf dem Entwicklungspfad zur Pluralisierung verteilter Lernsysteme, deren Ressourcen wie im Fall multimedialer Netzsysteme zeitgleich unterschiedlichen Adressatengrup-pen zur Verfügung stehen. Pluralisierung bei gleichzeitiger Vernetzung verteilter Systeme ist die informationelle Infrastruktur für gestaltungsoffene und flexible Bil-dungssysteme der Zukunft (vgl. KUTSCHA 1996b). Nicht auf die Bewahrung beste-hender Bildungsinstitutionen kommt es an, sondern auf den Beitrag der Institutio-nen für die Bildung von Menschen in einer Welt von Institutionen, die rasantem und oftmals radikalem Wandel unterworfen sind.

Berufsbildungspolitik

112

• Das Konsensprinzip als Strukturmerkmal des dualen Systems ist fester Bestand-teil korporatstischer Verhandlungsarrangements und bei allen Erfolgen, die ihm zuzusprechen sind, zugleich das wohl wichtigste Instrument zur Konservierung des berufsbildungspolitischen Establishments. Es ist reduziert auf den Konsens der Verwalter gesellschaftlich privilegierter Arbeit und blockiert durch Exklusivität zugunsten des korporativen Tripartismus die Entwicklung alternativer Formen ge-sellschaftlich nützlicher und notwendiger Arbeit. Die Modernisierung des Ausbil-dungssystems erfordert die Reform und Öffnung bestehender Verhandlungssys-teme; sie bedarf über die vorhandenen korporatistischen Arrangements hinaus neuer Partner und neuer Verhandlungsprozeduren unter verstärkter Berücksichti-gung dezentraler Netzwerke, um daraus wiederum neue Kraft für die Politikgestal-tung auf zentraler Ebene schöpfen zu können. Zentrale Kontextsteuerung und Dezentralisierung sind zwei Seiten einer Medaille; das gilt ebenso für das Verhält-nis von Regulierung und Deregulierung mit dem Ziel politischer Modernisierung, um die Strategie- und Innovationsfähigkeit der Berufsbildungspolitik in Abstim-mung mit der Beschäftigungspolitik zu stärken. Berufsbildungspolitik ist immer auch Beschäftigungspolitik, und Beschäftigungspolitik ist eingebunden in Gesell-schaftspolitik. So betrachtet steht nicht nur die berufliche Qualifizierung in privile-gierten Ausbildungsberufen zur Diskussion, sondern ganzheitlich die Aus- und Weiterbildung in Verbindung mit einer „neuen Politik der Vollbeschäftigung“ (GIA-RINI/LIEDTKE 1998). Hierbei geht es um ein komplexes Arrangement von marktab-hängiger Erwerbstätigkeit im Wettbewerbssektor, von Non-Profit-Tätigkeiten in öf-fentlicher Verantwortung und last but not least von nicht bezahlter, aber neu zu bewertender Arbeit im privaten Bereich. Pluralisierung der Ausbildung muss sich auf alle Bereiche beziehen, wenn ‘Bildung’ zu verstehen ist als „Ausstattung zum Verhalten in der Welt“ (ROBINSOHN 1975) und das Arbeitsleben in der Welt von Morgen nur noch zu einem geringen Teil aus Vollzeit-Erwerbsberufen besteht.

Die Vielfalt von Normen und Lebensformen gehört zu den manifesten Merkmalen moderner Gesellschaften (vgl. HEYTING/TENORTH 1994). Es wäre unwahrschein-lich, dass das berufliche Ausbildungssystem sich ohne Schaden den Anforde-rungen der pluralen Gesellschaft zu entziehen vermag. Selbstverständlich verur-sacht Pluralität im Allgemeinen und die Vielfalt der Berufsausbildung im Besonderen viele Probleme und Sorgen. Politiker und Funktionäre fürchten die Einbuße an Einflussmöglichkeiten; Ausbilder und Lehrer machen sich Sorgen um die Überforderung der ihnen anvertrauten Jugendlichen, insbesondere der lern-schwächeren; die Bildungsforschung prognostiziert neue Unübersichtlichkeiten und dadurch mitbedingte neue Formen der Ungleichheit. Beliebigkeit gilt als un-vermeidbare Kehrseite der Pluralität. Richtig ist: Vielfalt der beruflichen Ausbil-dung verlangt eigene Anstrengungen, theoretisch und vor allem praktisch. Letz-tlich ist es eine Frage politischer Klugheit, ob man sich dafür engagiert, den Trend zur Pluralisierung des Ausbildungssystems zu blockieren, indem man alles auf die Karte des zum Idealmodell stilisierten „dualen Systems“ setzt und die Realität damit überfordert, oder ob man den Weg der Pluralisierung konstruktiv begleitet und unterstützt, indem man neue Ausbildungswege auch außerhalb des dualen Systems entwickelt, erprobt, ja, auch den Wettbewerb der Systeme för-dert, und zwar mit dem Ziel – dies ist das entscheidende Kriterium! – alle Res-sourcen und Kapazitäten zu nutzen, um der nachwachsenden Generation ein vielfältiges und qualifiziertes Angebot an Entwicklungsmöglichkeiten für ein ebenso vielfältiges Angebot an individuell sinnvollen und gesellschaftlich nützli-chen Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten.

9. Übungsaufgaben

113

9. Übungsaufgaben

Kapitel 1: Problemaspekte und Analysekonzepte

Übungsaufgabe 1:

Interpretieren Sie den Satz: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“ am Beispiel der Berufsbildungspolitik!

Übungsaufgabe2:

Auf welche Regelungsbereiche der Berufsbildung bezieht sich das Berufsbil-dungsgesetz?

Übungsaufgabe 3:

Die gesetzlichen Bestimmungen zum Begriff „Berufsbildungsplanung“ gemäß § 85 BBiG beinhalten einige zentrale berufsbildungspolitische Zielvorstellungen. Nennen und erläutern Sie diese!

Übungsaufgabe 4:

Wie lassen sich ‚Berufsbildungsforschung’ und ‚Berufsbildungsplanung’ unter-scheiden? Nennen Sie einige wesentliche Merkmale, die sich aus den hier zitier-ten Bestimmungen des novellierten Berufsbildungsgesetzes von 2005 ergeben!

Übungsaufgabe 5:

Welche der folgenden Aussagen lassen sich a) der Berufsbildungsforschung, b) der Berufsbildungsplanung und c) der Berufsbildungspolitik zuordnen? Begrün-den Sie Ihre Entscheidung!

„2004 kann dank des großen Engagements der Wirtschaft und der ande-ren Partner trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine positive Bilanz auf dem Ausbildungsstellenmarkt gezogen werden.“

„Der Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland sieht vor, während der dreijährigen Dauer des Ausbildungspakts jährlich 30.000 neue Ausbildungsplätze einzuwerben und zusätzlich 25.000 Plätze für ei-ne betriebliche Einstiegsqualifizierung bereit zu stellen.“

„Nach den hier vorgenommenen Berechnungen hat im Jahr 2004 die Zahl der rein betrieblichen Neuabschlüsse um 21.663 Plätze bzw. +4,4% zu-genommen.“

Berufsbildungspolitik

114

Übungsaufgabe 6:

Erläutern Sie die These: Die Berufsbildungspolitik hat eine nach gelagerte Be-deutung im Umkreis anderer Politikbereiche!

Übungsaufgabe 7:

Mit welchen Schwerpunkten und Betrachtungsebenen haben es die Analysean-sätze zur Berufsbildungspolitik von DAUENHAUER, HILBERT/SÜDMERSEN/WEBER und OFFE zu tun? Ordnen Sie diese Ansätze den folgenden Aspekten zu:

Rahmenbedingungen der Berufsbildungspolitik, Inhalte, Probleme und Ungleichgewichte des Berufsbildungssystems, Prozesse und Akteure der Berufsbildungspolitik.

Übungsaufgabe 8:

Definieren Sie den Begriff ‚Neokorporatismus’ im Kontext der Berufsbildungspoli-tik!

Übungsaufgabe 9:

Erläutern Sie kurz die 3 Bestimmungsmerkmale/Aspekte des Begriffs „Berufsbil-dungspolitik“ und zeigen Sie beispielhaft, auf welche Bereiche der Berufsbil-dungspolitik sich diese Bestimmungsmerkmale/Aspekte beziehen!

Übungsaufgabe 10:

Was ist unter dem Begriff „Definition“ zu verstehen, und wovon hängt die Qualität wissenschaftlicher Definitionen ab? Nennen und begründen Sie drei Kriterien Ihrer Wahl!

Kapitel 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen

Übungsaufgabe 11:

Was bedeutet ‚Föderalismus’ im politischen System der Bundesrepublik Deutsch-land, und welche Konsequenzen hat der föderale Staatsaufbau für die Regulie-rung der Berufsausbildung?

9. Übungsaufgaben

115

Übungsaufgabe 12:

Was ist unter Politikverflechtung zu verstehen? Erläutern Sie diesen Begriff an-hand von drei ausgewählten berufsbildungspolitisch relevanten Beispielen!

Kapitel 3: Bildungssystem und bildungspolitische Entwicklungen

Übungsaufgabe 13:

Was sind die typischen Merkmale des deutschen Bildungssystems?

Übungsaufgabe 14:

Was bedeutet ‚Durchlässigkeit’ im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutsch-land?

Übungsaufgabe 15:

Wie beurteilen Sie die Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das Ziel der Durchlässigkeit? Nehmen Sie zu zwei der folgenden Thesen Stellung!

Durchlässigkeit erhöht den Verdrängungswettbewerb im Bildungswesen. Durchlässigkeit stellt Chancengleichheit für alle Schüler und Schülerinnen

her. Kapitel 4: Politikbereich: Berufsausbildung

Übungsaufgabe 16:

Bund, Länder sowie Verbände und Gewerkschaften spielen bei der Regulierung des dualen Ausbildungssystems eine herausragende Rolle.

Was sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Funktionen dieser Politikakteure? Nennen Sie jeweils eine typische Funktion!

Welche institutionellen Vernetzungen sind vorhanden, um berufsbil-dungspolitische Aktivitäten auf Bundesebene zu koordinieren?

Was bedeutet in diesem Zusammenhang ‚Konsensprinzip’? Nennen Sie Vor- und Nachteile dieses Prinzips!

Berufsbildungspolitik

116

Kapitel 5: Politikbereich: Berufsvorbereitendes Übergangssystem

Übungsaufgabe 17:

Was ist unter ‚Berufsvorbereitung’ zu verstehen? Differenzieren Sie bei Ihren Ausführungen zwischen Berufsvorbereitung im Rahmen der vorberuflichen Bil-dung zum einen und berufsbildenden Fördermaßnahmen für benachteiligte Prob-lemgruppen am Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt!

Übungsaufgabe 18:

Was sind die Zielsetzungen der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, und welche Zielkonflikte resultieren aus den dauerhaf-ten strukturellen Problemen Arbeits- und Ausbildungsmarkts?

Kapitel 6: Politikbereich: Berufliche Weiterbildung

Übungsaufgabe 19:

Durch welche grundlegenden Probleme ist der Bereich der beruflichen Weiterbil-dung gekennzeichnet? Stellen Sie unter Berücksichtigung der Befunde des „Be-richtssystems Weiterbildung“ (BSW) drei solcher Probleme dar!

Übungsaufgabe 20:

Kennzeichnen Sie die liberal-marktwirtschaftliche Position der Weiterbildungspo-litik, und nennen Sie die wichtigen Prinzipien dieser Position.

Übungsaufgabe 21:

Kritiker der liberal-marktwirtschaftlichen Weiterbildungspolitik vertreten den Standpunkt, dass eine einseitig am Prinzip der Marktsteuerung orientierte Aus-richtung der Weiterbildung weder unter ökonomischen noch unter sozialpoliti-schen Gesichtspunkten zu befriedigenden Lösungen führe. Welche Argumente gibt es für diese Auffassung, und welche politischen Forderungen werden daraus abgeleitet?

Kapitel 7: Einflüsse der europäischen Integration

9. Übungsaufgaben

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Übungsaufgabe 22:

Die Berufsbildung in den Ländern der Europäischen Union ist einerseits gekenn-zeichnet durch ihre Einbindung in die jeweiligen besonderen sozioökonomischen, kulturellen und rechtlich-organisatorischen Rahmenbedingungen der einzelnen Mitgliedstaaten, andererseits durch gemeinsame Modernisierungsbemühungen mit der Zielsetzung, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dy-namischsten Wirtschaftsraum der Welt zu gestalten und Europas Bildungssyste-me bis 2010 zur Referenz im Weltmaßstab zu entwickeln.

Welche Zielsetzungen werden in diesem Zusammenhang mit dem Brüg-ge-Kopenhagen-Prozess angestrebt?

Was sind die Merkmale des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQF), und welche Ziele bzw. Funktionen werden mit dem EQF angestrebt?

Nehmen Sie Stellung zu der These, dass der EQF nicht mit dem Berufs-prinzip des deutschen Ausbildungssystems kompatibel sei. Wägen Sie Pro- und Kontra-Argumente ab!

Kapitel 8: Entwicklungspfade und Thesen zur Reform

Übungsaufgabe 23:

Worin unterscheidet sich das deutsche System der Berufsausbildung in wesentli-chen Merkmalen vom englischen und vom niederländischen System? Nennen Sie mindestens zwei solcher Merkmale.