Betriebliche Gesundheitsförderung - Ruhr-Universität … · 5.2.1 Gesundheitsbericht 132 5.2.2...

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Betriebliche Gesundheitsförderung Prof. Dr. Bernhard Zimolong Prof. Dr. Gabriele Elke Ruhr Universität Bochum Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie

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Betriebliche Gesundheitsförderung

Prof. Dr. Bernhard Zimolong Prof. Dr. Gabriele Elke

Ruhr Universität Bochum

Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie

Vorwort 3

Vorwort

Vorwort

Der Vorläufer dieses Studienbriefs erschien 1998 unter dem Titel: Sicherheits- und Gesundheitsmanagement. Seitdem hat die betriebliche Gesundheit in der Öffentlichkeit stark an Bedeutung gewonnen. Durch die Neufassung des § 20 Sozialgesetzbuch V, durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde der Hand-lungsspielraum für die Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärpräven-tion für die Krankenkassen erweitert. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben Grundsätze, Empfehlungen und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und Primärprävention erarbeitet. Zusammen mit den Unfallversicherungsträgern führen die Krankenkassen in den Betrieben wieder verstärkt Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention durch. Gerade im Hinblick auf den Umgang mit psychischen Belastungen sind sowohl organisationale als auch individualpsychologische Konzepte gefragt.

Das betriebliche Gesundheitsmanagement bezieht sich auf die systematische Herangehensweise in Unternehmen und Einrichtungen der öffentlichen Hand zur Umsetzung von gesundheitsförderlichen und präventiven Einzelmaßnahmen. Ma-nagement als Prozess meint die Gestaltung von Systemen und die Koordination, Steuerung und Lenkung von Prozessen. Davon zu unterscheiden ist das persönli-che Gesundheitsmanagement, das sich auf die Pläne und Maßnahmen der einzel-nen Person bezieht. Dafür wird auch der Begriff Selbstmanagement gebraucht

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist ein umfassender Begriff, der sowohl Einzelmaßnahmen als auch die systematische Herangehensweise des Gesund-heitsmanagements einschließt. Daher haben wir uns entschlossen, den neuen Titel „Betriebliche Gesundheitsförderung“ zu wählen. Inhaltlich sind damit sowohl die Maßnahmen der betrieblichen und persönlichen Ressourcenförderung als auch der Präventionsmaßnahmen gemeint. Entsprechend dem Erkenntnisfortschritt und der erweiterten Schwerpunktsetzung ist der neue Studienbrief grundlegend überarbei-tet worden.

Im Kapitel 1 Betriebliche Gesundheitslage fassen wir die Basisdaten zur Arbeit und Gesundheit in Deutschland zusammen. Bereits hier werden erste Verknüp-fungen zwischen Arbeitsbelastungen, Gesundheitsbeschwerden und Erkrankungen aufgezeigt.

Im Kapitel 2 Betriebliche Gesundheitsförderung legen wir die theoretischen und begrifflichen Grundlagen für das Management allgemein und speziell für den Ar-beits- und Gesundheitsschutz (AGS) und stellen die Ergebnisse moderner Mana-gementkonzeptionen vor. Ohne ein allgemeines Verständnis von betrieblicher Gesundheitsförderung und von organisationalen Strukturen, Prozessen und Ver-

Vorwort

4

halten in Organisationen lässt sich keine Organisationsentwicklung im AGS betreiben.

Das Kapitel 3 Personalmanagement führt die Personalsysteme der Personalwirt-schaftslehre ein, knüpft eine Verbindung zu den psychologischen Grundlagen von Führung, Steuerung von Teams und Förderung der Selbstverantwortung auf der Basis evidenzbasierter Ergebnisse und diskutiert die Beiträge der betrieblichen Gesundheitskultur zur Verbesserung der betrieblichen Gesundheitslage.

Im 4. Kapitel Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen werden die Bei-träge der wichtigsten gesundheitsbezogenen Interventionen zur Stabilisierung und Verbesserung der Gesundheit aufgrund vorliegender Reviews und Metaanalysen aufgearbeitet. Im einzelnen stellen wir die Verfahren und die Ergebnisse zur Wirksamkeit gesundheitsförderlicher Arbeitsgestaltung, des Verhaltensmanage-ments und Führung, von Gesundheitszirkeln und Stressbewältigungsprogrammen zusammen.

Das 5. Kapitel Managementsysteme für die betriebliche Gesunbdheitsförderung schließlich widmet sich den systematischen betrieblichen Ansätzen der Gesund-heitsförderung. Darunter fallen sowohl Gesundheitsprogramme als auch umfas-sende Systeme des Gesundheitsmanagements. Am Beispiel der Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems in einem Unternehmen werden Konzepte, Maß-nahmen und Instrumente aus den vorherigen Kapiteln noch einmal aufgegriffen, aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Thematisiert wird die Funktion des Managements für die Gestaltung und Entwicklung organisationaler Lernprozesse im AGS. Gezeigt wird an einem Organisationsentwicklungsprozess, den der Autor und die Autorin über 4 Jahren betreut haben, wie ein integratives Manage-ment des AGS implementiert, gestaltet und entwickelt werden kann. Behandelt werden aber auch die Rückschläge, die sich zwangsläufig einstellen.

Wichtige Daten und Erkenntnisse der vorliegenden Kapitel stammen aus dem Forschungsprojekt GAMAGS: Ganzheitliches Management des Arbeits- und Ge-sundheitsschutzes, das vom Projektträger AuT des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung BMBF, betreut durch Frau Ilona Kopp, gefördert wurde. Ebenfalls beigetragen haben die zahlreichen Organisationsentwicklungsprojekte in Unternehmen und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei den Verantwortlichen und Mitarbeitern für ihre Teil-nahme bedanken.

Bochum, im Oktober 2005 Bernhard Zimolong und Gabriele Elke

Inhaltsverzeichnis 5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 3

Inhaltverzeichnis 5

1 Betriebliche Gesundheitslage 9

1.1 Zur Datenlage 9

1.2 Arbeitsbelastungen 13

1.3 Erkrankungen 17

1.4 Berufskrankheiten, Unfallgeschehen und Verrentung 21

1.4.1 Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen 21

1.4.2 Unfallgeschehen 25

1.4.3 Verrentung wegen Erwerbsminderung 26

1.5 Kosten der Arbeitsunfähigkeit 28

Literaturempfehlung 31

Übungsaufgaben zu Kapitel 1 32

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 33

2.1 Arbeit, Gesundheit und Lebensqualität 33

2.1.1 Gesundheitsverständnis 33

2.1.2 Ressourcen 34

2.1.3 Ziel Gesundheitsförderung 35

2.2 Organisation und Managementaufgaben 37

2.2.1 Merkmale von Organisationen 37

2.2.2 Wandel von Organisationsformen 40

Inhaltsverzeichnis

6

2.3 Umfelder und Vernetzung 44

2.3.1 Politisch-rechtliches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld

44

2.3.2 Präventionsnetzwerke 50

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung 53

2.4.1 Arbeitsgestaltung 55

2.4.2 Verhaltenssteuerung: Kontrollformen 58

2.4.3 Strukturen: Gestaltung von Handlungsräumen 61

2.4.4 Kultur: Gemeinsame Werte und Normen 66

2.5 Gesundheitsmanagementsystem 68

2.5.1 Zielsetzung und Funktion 68

2.5.2 Vorgehen und Gestaltungsfelder 70

2.5.3 Gesundheitsleistungen und ihre Messung 71

Literaturempfehlung 74

Übungsaufgaben zu Kapitel 2 75

3 Personalmanagement 77

3.1 Aufgaben und Funktionen 77

3.2 Strukturelle Führung 79

3.2.1 Gestaltung von Systemen 79

3.2.2 Einsatz von Personalsystemen 83

3.3 Personale Führung 88

3.3.1 Psychologische Grundlagen 88

3.3.2 Direkte und indirekte Führung 93

Inhaltsverzeichnis 7

3.4 Beteiligung 95

3.5 Selbstmanagement 96

3.6 Betriebliche Gesundheitskultur 99

3.6.1 Merkmale und Bedeutung 99

3.6.2 Untersuchungen 101

3.6.3 Förderung einer positiven Gesundheitskultur 103

Literaturempfehlung 105

Übungsaufgaben zu Kapitel 3 106

4 Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 107

4.1 Proaktive und reaktive Präventionsstrategien 107

4.2 Leistungsindikator Gesundheitsquote 110

4.3 Gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung 113

4.4 Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement 114

4.4.1 Führungsverhalten 114

4.4.2 Verhaltensprogramme 117

4.4.3 Fehlzeitengespräche 119

4.5 Gesundheitszirkel 120

4.6 Stressbewältigungsprogramme 122

4.6.1 Begriffliche Abgrenzungen 122

4.6.2 Wirksamkeit von Stressmanagement Trainings 123

Literaturempfehlung 127

Übungsaufgaben zu Kapitel 3 128

Inhaltsverzeichnis

8

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförde-rung

129

5.1 Betriebliche Gesundheitssysteme 129

5.2 Gesundheitsförderung der Krankenkassen 132

5.2.1 Gesundheitsbericht 132

5.2.2 Betriebliche Datenanalysen 136

5.3 Organisationale Gesundheitsprogramme 138

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems 139

5.4.1 Lernen und Organisationsentwicklung 139

5.4.2 Vorgehen 143

5.4.3 Diagnose 145

5.4.4 Interventionen 149

5.4.5 Evaluation 152

5.4.6 Fazit 155

Literaturempfehlung 157

Übungsaufgaben zu Kapitel 5 158

Literaturverzeichnis 159

Lösungen der Übungsaufgaben 179

Betriebliche Gesundheitslage 9

1 Betriebliche Gesundheitslage

1.1 Zur Datenlage

Die folgenden Analysen zu den krankheitsbedingten Fehlzeiten, Berufskrankhei-ten, Unfällen und Verrentungen in der deutschen Wirtschaft basieren auf unter-schiedlichen Datenquellen. Die Statistiken im jährlichen Bericht der Bundesregie-rung „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ (BMWA, 2005) über Arbeitsun-fähigkeit (AU) setzen sich aus den Angaben über Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen zu-sammen. Die Versicherten der privaten Krankenkassen werden nicht erfasst. Im Jahr 2003 betrug die Zahl der Erwerbstätigen 36,172 TSD, die AU-Statistik der Bundesregierung enthält Angaben von 19,234 TSD Versicherten, das sind ca. 53% der Erwerbstätigen.

Datenquellen

Die Datenbasis enthält sämtliche AU-Fälle, die den Krankenversicherungen ge-meldet wurden. Kurzzeiterkrankungen bis zu drei Tagen werden nur soweit er-fasst, als eine ärztliche Krankschreibung vorliegt. Der tatsächliche Anteil der Kurzzeiterkrankungen liegt daher höher, als dies in den Daten zum Ausdruck kommt. Insgesamt liegen daher die Fallzahlen höher und die rechnerische Fall-dauer liegt niedriger. In die Arbeitsunfähigkeitstage gehen auch Wochenenden und Feiertage mit ein. Sie sind mit betriebsinternen Statistiken, bei denen nur die Arbeitstage berücksichtigt werden, nicht vergleichbar. Die Versicherten in den einzelnen Krankenkassen sind nur bedingt repräsentativ für die Gesamt-bevölkerung bzw. die Beschäftigten in den einzelnen Wirtschaftszeigen. Bei-spielsweise waren bei der AOK im Jahr 2003 insgesamt 10,2 Mio. Arbeitnehmer versichert. Das sind rund 36% der Sozialversicherungspflichtigen. Zum Ver-gleich: Vom BKK-Bundesverband wurden 7 Mio., das sind 25% erfasst. Im Ge-gensatz zur AOK gelten die Daten als eher repräsentativ für die Erwerbstätigen. Auf Grund ihrer historischen Funktion als Basiskasse weist die AOK einen über-durchschnittlich hohen Anteil an Versicherten aus dem gewerblichen Bereich auf. Angestellte sind dagegen unterrepräsentiert. Bezogen auf die unterschiedlichen Wirtschaftsgruppen als auch insgesamt weisen die AOK-Mitglieder einen durch-schnittlich höheren Krankenstand als Versicherte aus anderen Krankenkassen auf.

Krankheiten

Die Zahlen des Arbeits- als auch des Wegeunfallgeschehens und der Berufs-krankheiten im Bericht der Bundesregierung basieren auf den Geschäfts-ergebnissen des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und des Bun-desverbandes der Unfallkassen, die „Berufsgenossenschaft“ der öffentlichen Hand. Die Zahlen erfassen das vollständige Unfallgeschehen, allerdings einge-schränkt auf die Arbeits- und Wegeunfälle mit einer Arbeitsunfähigkeitsdauer über drei Tagen. Die absolute Zahl der Arbeits- und Wegeunfälle ist daher deut-lich höher.

Unfälle

Zur Datenlage

10

Arbeitsunfall (ArbU) Ein Unfall, den eine versicherte Person bei der Ausübung ihrer versicherten Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Arbeitsstätte, z. B. auch im Straßen-verkehr erleidet. Ein meldepflichtiger Unfall (Arbeits- oder Wegeunfall) liegt vor, wenn eine Person getötet oder so verletzt wird, dass sie stirbt oder für mehr als 3 Tage völlig oder teilweise arbeitsunfähig ist. In der Statistik der Berufsge-nossenschaft sind nur die meldepflichtigen Unfälle enthalten.

1000-Mann-Quote Anzahl der meldepflichtigen Unfälle pro 1,000 Vollarbeiter pro Jahr.

Arbeitsunfähigkeit (AU) Krankheitsbedingte Fehlzeiten auf der Basis der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen der Versicherten an die Krankenkasse.

AU-Fälle Anzahl der Fälle von Arbeitsunfähigkeit, die den Krankenkassen gemeldet wird. Werden als Prozentzahl der AU-Fälle bezogen auf die Zahl der Versicher-ten der jeweiligen Krankenkasse angegeben.

AU-Tage Anzahl der AU-Tage im Auswertungsjahr. Werden als Prozentzahl auf die Zahl der Versicherten der Krankenkasse bezogen. Arbeitsfreie Zeiten wie Wochen-enden und Feiertage, die in den Krankschreibungsraum fallen, gehen in die Be-rechnung ein.

AU-Tage je Fall Mittlere Krankheitsdauer eines AU-Falls.

Berufskrankheiten Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung festgelegt werden. Die Liste umfasste im Jahr 2005 68 Krankheiten mit deutlicher Domi-nanz im somatischen Bereich.

Erwerbstätige Personen, die als Arbeitnehmer in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis stehen, als Selbständige ein Gewerbe bzw. Landwirtschaft betreiben, einen freien Beruf ausüben oder als mithelfende Familienangehörige tätig sind. Arbeitslose, die eine geringfügige Tätigkeit ausweisen, zählen im Mikrozensus ebenfalls zu den Erwerbstätigen.

International Classification of Diseases (ICD) International übliche Verschlüsselung von Krankheitsdiagnosen. Seit dem Jahr 2000 gilt die 10. Revision. Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine ü-berarbeitete Fassung (ICD-10-SGB V) seit dem 1.Januar 2000 in Kraft gesetzt.

Kasten 1.1: Begriffe und Kennzahlen I

Betriebliche Gesundheitslage 11

Krankenstand Anteil der im Auswertungszeitraum angefallenen Arbeitsunfähigkeitstage im Kalenderjahr bezogen auf die Zahl der Versicherten in Prozent.

Kurzzeiterkrankungen Arbeitsunfähigkeitsfälle mit einer Dauer von 1-3 Tagen. Die wenigsten Arbeit-geber verlangen dafür eine ärztliche AU-Bescheinigung.

Langzeiterkrankungen Arbeitsunfähigkeitsfälle mit einer Dauer von mehr als 6 Wochen (42 Tage). Mit Ablauf der 6. Woche endet in der Regel die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, ab der 7. Woche wird durch die Krankenkasse gezahlt.

Vollarbeiter Eine statistische Größe zur Berechnung der durchschnittlich geleisteten Ar-beitsstundenzahl pro vollbeschäftigte Person. Sie betrug in 2002 1,530 Std; in 2004 1,580 Std. Wird für die Berechnung der 1,000-Mann-Quote eingesetzt.

Kasten 1.2: Begriffe und Kennzahlen II

Um den Zusammenhang zwischen Arbeit und Gesundheit ermitteln zu können, muss erstens eine genaue Beschreibung der Arbeit und ihrer Fehlbelastungen, zweitens eine Darstellung der gesundheitlichen Lage bzw. der Erkrankungen und drittens der Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen, gesundheitsförder-lichen Faktoren und dem Krankheitsgeschehen ermittelt werden.

Über die Arbeitsbelastungen lassen sich nur Vermutungen anstellen. Im Arbeits-schutz ist es versäumt worden, ein flächendeckendes Informationssystem über die Arbeitsbelastungen einzurichten. Es gibt keine repräsentativen Statistiken dar-über, wie viele Beschäftigte gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt sind oder wie hoch das Ausmaß psychosozialer Belastungen ist. "Niemand vermag hierzu-lande genau zu sagen, wie viele Arbeitsplätze der Arbeitsstättenverordnung ent-sprechen oder wie viele Bildschirmarbeitsplätze gemäß den geltenden Richtlinien eingerichtet sind" (LIßNER, 1995). Gelegentliche Sonderaktionen von Gewerk-schaften und Landesämtern für den Arbeitsschutz deuten auf ein Vollzugsdefizit bei kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), aber auch bei größeren Unter-nehmen hin (MAGS, 1997). So ist beispielsweise die bereits vom Arbeits-sicherheitsgesetz 1973 geforderte Untersuchung arbeitsbedingter Erkrankungen bis heute weder bei der Mehrheit der KMU noch bei den Großunternehmen fest-zustellen (ZIMOLONG & KOHTE, 2005).

Arbeitsbelastungen

Für die übergreifende statistische Erfassung der Arbeitsbelastungen und der Ana-lyse ihrer gesundheitlichen Auswirkungen stehen u. a. folgende Datenquellen zur Verfügung:

• Befragungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Insti-tuts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

• Auswertungen des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts

Zur Datenlage

12

• Sondererhebungen von Gewerkschaften, Bundesländern

• Statistiken der Europäischen Gemeinschaft (EUROSTAT).

Die gesundheitliche Lage ist erheblich besser dokumentiert. Aufschlussreich sind vor allem die Statistiken und Analysen, die eine Zuordnung von spezifischen Krankheiten, Diagnosegruppen nach dem ICD-Schlüssel oder Sterblichkeit zu gefährdenden Arbeitssituationen, Tätigkeit, Beruf, Abteilung, Betrieb oder Bran-che ermöglichen. Beispiele sind:

• Erhebungen des Statistischen Bundesamtes, Fachserie Gesundheitswesen

• Statistiken der Europäischen Union (EU)

• Gesundheitsberichterstattungen der Länder (u. a. Krebsregister)

• Arbeitsunfähigkeitsstatistiken der Krankenkassen

• Geschäftsberichte der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen

• Krankheitsstatistik der privaten oder berufsbezogenen Lebens- und Kran-kenversicherer

• Erwerbsminderungs- und Rehabilitationsstatistiken der Rentenversiche-rungsträger und Zusatzversorgungskassen.

Der jährliche Bericht der Bundesregierung über den Stand von „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ in Deutschland enthält eine umfangreiche Zusammen-stellung und Aufbereitung von Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Berei-chen. Er wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit herausgegeben (BMWA). Dokumentiert werden Arbeitsbelastungen, -anforderungen und ge-sundheitliche Beschwerden, Krankenstände, Berufskrankheiten, Unfälle sowie Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wie bereits zu Beginn ausgeführt, setzen sich die Daten über die Krankenstände aus den Angaben über Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen zusammen. Die arbeitsbezogenen Unfalldaten und die Berufskrankheiten basieren auf den Geschäftsberichten des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, den landwirtschaftlichen Berufsgenossen-schaften und den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand (Bundes-verband der Unfallkassen). Die Daten über die Rentenzugänge stammen vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR). Durch das Gesetz zur Re-form der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurde das bisherige Sys-tem der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit durch ein einheitliches und abgestuftes System einer Erwerbsminderungsrente ab 2001 ersetzt. Wer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden arbeiten kann, erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wer noch drei Stunden bis unter sechs Stunden täglich arbeiten kann, erhält eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Darüber hinaus besteht kein Rentenanspruch.

Bericht der Bundesregierung

Betriebliche Gesundheitslage 13

Die Unfalldaten und die Erkrankungen von Kindern, Schülern und Studierenden werden jährlich vom Bundesverband der Unfallkassen e.V. (BUK) zusammenge-stellt. Kinder in Kindergärten, Schüler allgemeinbildender und berufsbildender Schulen sowie Studierende an Hochschulen sind seit 1971 in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Seit 1997 sind auch Kinder in Tageseinrichtungen sowie Schüler an privaten Schulen versichert. Im Gegensatz zu den Bereichen Beruf, Schule und Kindergarten gibt es für die statistische Erfassung der Unfälle im Bereich Heim und Freizeit keine entsprechende Rechtsgrundlage. Bundesweit werden lediglich Statistiken über tödliche Unfälle erstellt, entsprechende Daten über Verletzungen beruhen auf Schätzungen aus repräsentativen Haushaltsbefra-gungen. Die Daten zum Bereich Kindergarten und Schule sowie zum Bereich Heim und Freizeit werden zusammen mit den Daten aus dem Bereich Beruf von der Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) aufbereitet und jährlich im Bericht „Gesundheitsschutz in Zahlen“ publiziert.

Kinder, Schüler, Studierende

Die Verknüpfung von Arbeitsbelastungen, Erkrankungen, Unfällen und Verren-tungen geschieht im Rahmen von Sonderauswertungen, etwa durch die Statistiken der Rentenversicherungsträger, die Gesundheitsberichte der Krankenkassen für Betriebe, Branchen und Berufe, sowie durch epidemiologische und arbeitsmedi-zinische Studien.

1.2 Arbeitsbelastungen

In der deutschsprachigen Arbeitswissenschaft wird zwischen Belastung und Be-anspruchung unterschieden (Rohmert & Rutenfranz, 1975). Nach der ISO 10075-1 resultieren psychische Belastungen aus der Gesamtheit der erfassbaren Einflüs-se, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken. Die Beanspruchung ist die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristi-ge Auswirkung der psychischen Belastung in Abhängigkeit von den individuellen Voraussetzungen und dem Zustand des Menschen. Damit sind sowohl positive als auch negative Auswirkungen wie Freude und Herausforderung oder Unzufrieden-heit und Ärger gemeint. Bezogen auf die Arbeit hängt die Schwere und die Dauer der Belastungen von den objektiven Bedingungen der Arbeit und den Vorausset-zungen des Menschen ab, d. h. den biografischen Merkmalen, Qualifikationen, Kompetenzen und Bewältigungsstrategien. Während Belastung (engl. load) eher als neutraler Begriff verwendet werden soll, kennzeichnet der Begriff Fehlbelas-tung (RICHTER & HACKER, 1998) oder Stressor den negativen Aspekt von Be-lastungen. Die Fehlbeanspruchung oder der erlebte Stress sind die personenspezi-fische Reaktion als Folge der Verarbeitung der Fehlbelastungen.

Die Folgen von Fehlbeanspruchungen können physiologische und emotionale Veränderungen sein, die in der Regel von Veränderungen im Verhalten begleitet werden. Meist wird zwischen kurz- und langfristigen Folgen unterschieden. Zu

Fehlbeanspruchung

Arbeitsbelastungen

14

den kurzfristigen Folgen zählen physiologische Reaktionen, u. a. Erhöhung des Blutdrucks, Adrenalin- und Cortisolaussschüttungen (vgl. Boucsein, 2006); emo-tionale Veränderungen wie Angst, Wut, Ärger, Nervosität oder Unzufriedenheit; Verhaltensveränderungen durch Einschränkungen in der Informationsver-arbeitung, erhöhte Anstrengungen oder Leistungsverschlechterungen, z. B. in Form von Fehlern. Zu den langfristigen Folgen zählen Beschwerden und Erkran-kungen, u. a. Schlafstörungen, mangelnde Erholungsfähigkeit, Herz-Kreislauf-beschwerden, erhöhtes Risiko für Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) und all-gemein eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten, die auf eine Schwächung des Immunsystems hindeuten (Sonnentag & Frese, 2003).

Die Mikrozensus Erhebungen über Wochenend- und Schichtarbeit ergeben seit Jahren ein stabiles Muster (s. Kasten 1): Im Jahr 2003 arbeiteten von 36,17 Mio. Erwerbstätigen 17,26 Mio. in gelegentlicher oder regelmäßiger Wochenend-, Schicht- und/oder Nachtarbeit. Nur in Schichtarbeit waren 4,47 Mio., in Nachtar-beit 2,87 Mio. beschäftigt. Gegenüber 1991 ergeben sich keine deutlichen Verän-derungen. Zugenommen hat die Wochenend-, Schicht- und/oder Nachtarbeit um 5,7 Prozentpunkte. Nacht- und Schichtarbeit ist ein zu Unrecht unterschätztes Risiko. Sie tragen insbesondere zu Risiken des Herz-Kreislaufsystems bei. An ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung besteht kein ernstzunehmender Zweifel.

Mikrozensus

• regelmäßig an Sonn- und Feiertagen 12,5%

• in regelmäßiger Nachtarbeit 7,9% • in regelmäßiger Schichtarbeit 12,4%

• gelegentlich oder regelmäßig in Wochenend-, Schicht- und/oder Nachtarbeit 47,7 %

Im Jahr 2003 arbeiteten von 36,172 Mio. Erwerbstätigen

Kasten 1.3: Wochenend-, Schicht- und Nachtarbeit (Mikrozensus von 2003, Stat. Bundesamt 2004)

Seit 1979 wurden vier repräsentative Befragungen zur Qualifikation und Erwerbs-situation, darunter zu den Arbeitsbelastungen in Deutschland durch das BIBB/IAB (Jansen, 2002) durchgeführt. Die letzte Erhebung fand 1998/99 statt. Eine repräsentative Stichprobe von 0,1% der Erwerbstätigen wurde befragt. Hin-sichtlich der Arbeitsbelastungen wurden physikalische, biomechanische und psy-chische Fehlbelastungen erfragt. In Kasten 2 findet sich ein Auszug aus den Er-gebnissen. Sie lassen sich folgenden Kategorien zuordnen:

– physikalische Fehlbelastungen aus der Arbeitsumgebung: Arbeiten unter Lärm, Kälte und Hitze; unter Rauch, Staub, Gasen und Dämpfen;

– biomechanische Fehlbelastungen: Arbeit im Stehen, Heben und Tragen von Lasten; Arbeit unter Zwangshaltungen, starke Erschütterungen, Stöße und Schwingungen bei der Arbeit;

Betriebliche Gesundheitslage 15

– psychische Fehlbelastungen: starker Termin und Leistungsdruck, ständig wie-derkehrende Arbeitsvorgänge (Monotonie und repetitive Arbeit), gleichzeitiges Betreuen verschiedener Arbeiten, in allen Einzelheiten vorgeschriebene Arbeit (kein oder nur geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum.

Der relativ niedrige Anteil der physikalischen Fehlbelastungen kann einerseits als langfristiger Erfolg des Arbeitsschutzes gebucht werden, andererseits ist er Aus-druck der sich wandelnden Produktionsarbeit zur Dienstleistung. Seit 1979 kam es in den einzelnen physikalischen Belastungsarten zu dauerhaften Reduzierungen, auch wenn zwischen 1985 und 1992 vereinzelte Zunahmen, vor allem beim He-ben und Tragen von Lasten, zu verzeichnen waren.

Fehlbelastungen

Rangfolge von Fehlbelastungen bei der Arbeit

• Arbeit im Stehen 61 % • starker Termin- und Leistungsdruck 50% • ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge 45% • gleichzeitige Betreuung verschiedener Arbeiten 42% • Störungen, Unterbrechung der Arbeit 34% • Arbeit in allen Einzelheiten vorgeschrieben 31% • Heben, Tragen schwerer Lasten (Frauen: >10 kg, Männer >20 kg) 27% • Kälte, Hitze, Nässe, Zugluft 21% • Arbeit unter Lärm 21% • Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit 20% • Arbeit unter Zwangshaltungen 19%

• Rauch, Gase, Staub, Dämpfe 15%

Kasten 1.4: Häufigkeit von physikalischen, biomechanischen und psychischen Fehlbelastungen bei der Arbeit aus einer repräsentativen Umfrage des BIBB/IAB von 1998/99 (JANSEN, 2002).

Dieser Anstieg ist in vielen Berufsbereichen zu beobachten. Ursachen liegen u. a. in der Zunahme an berufsmäßiger Kranken- und Altenpflege, der Zunahme der Warenströme, aber auch – das klingt paradox – dem Einsatz von ergonomischen Hebehilfen, wie z. B. Hebebühnen an Fahrzeugen. Bei genauerer Betrachtung stellt man nämlich fest, dass bei gleichzeitigem Personalabbau die Menge der zu bewegenden Lasten pro Arbeitnehmer deutlich zugenommen hat. Beispielsweise haben die Fuhr- und Transportunternehmen anstelle von 2 Personen nur noch ei-nen Fahrer im Einsatz. Zwar werden die Lasten mit der Hebebühne des LKW auf- und abgeladen, aber die Lasten müssen anschließend immer noch, von jetzt nur noch einer Person, zum Abstellplatz bewegt werden.

Die psychischen Fehlbelastungen stellen die am häufigsten genannten Belas-tungsarten dar, gefolgt von den biomechanischen und physikalischen Fehlbelas-tungen. 50% aller Erwerbstätigen arbeiten unter starkem Termin- und Leistungs-druck, 45% verrichten monotone und repetitive Arbeit, 31% haben keinen oder nur einen geringen Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Nach den Berech-nungen von Bödeker, Friedel, Röttger und Schröer (2002) sind im Jahr 1998 in

Psychische Fehlbelastungen

Arbeitsbelastungen

16

Deutschland 31% aller Arbeitsunfähigkeitsfälle auf psychische Fehlbelastungen, 29% auf biomechanische Fehlbelastungen zurückzuführen. Fehlbeanspruchung oder Stress wird selten von Einzelstressoren ausgelöst. In der Arbeitswelt sind die Mehrfachbelastungen die Normalsituation. Häufig ist die Kombination von ma-schinenbestimmtem Arbeitsrhythmus, fehlender Kontrolle über die Arbeitsaufga-be, hohen Leistungsanforderungen, Schichtarbeit und Arbeitsplatzunsicherheit typisch für industrielle Arbeitsplätze. Die Trias aus hoher Arbeitsintensität, nied-rigem Handlungsspielraum und geringer sozialer Unterstützung lässt die Herz-Kreislauf Mortalität ab dem 50. Lebensjahr bei Industriearbeitern deutlich anstei-gen (KARASEK, RUSSELL & THEORELL, 1982). Vor allem die alltäglichen Mikrostressoren, das sind die kleinen negativen Ereignisse wie Ärgernisse, Ver-zögerungen oder die persönlichen Verletzungen, scheinen weitaus wichtiger für die Beanspruchungsfolgen zu sein als einzelne, deutlich sichtbare Ereignisse.

Aus den Ergebnissen einer Befragung von 535 Arbeitsschutzexperten - Sicherheitsfachkräfte, Aufsichtspersonen, Betriebsärzte, Gesundheitsförderer, Arbeits-& Organisationspsychologen – geht hervor, dass 80% der Meinung sind, dass psychische Fehlbelastungen zugenommen und die Bedeutung der körperli-chen Fehlbelastungen abgenommen haben (PARIDON et al., 2004). Aufgeschlüs-selt nach Lebensbereichen liegen die Quellen für Fehlbelastungen zu 39,2 % im Bereich der Arbeit, zu 60,8% aber in den Bereichen Familie, Freizeit und gesell-schaftlichem Umfeld. Auch wenn die Zuordnung der Fehlbelastungsquellen zu den beiden Bereichen in der Fachwelt umstritten ist, scheinen die Fehlbelastungen aus dem privaten Bereich insgesamt bedeutsamer zu sein. Sowohl für die Analyse der gesundheitlichen Lage als auch für die Gesundheitsförderung zeigt sich hier in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit der Einbeziehung aller Lebensbereiche. Eine Konzentration auf den beruflichen Bereich ist nicht ausreichend. Speziell im Work-Life Balance-Ansatz werden die Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten behandelt (FRONE, 2003).

Quellen psychischer Fehlbelastungen

Eine besondere Risikogruppe stellen Ausländer dar. Sie arbeiten in der Regel un-ter deutlich stärkeren physikalischen und körperlichen Fehlbelastungen als ihre deutschen Kollegen. Die Lärmbelastung ist höher, ebenfalls die Belastungen durch Nässe, Staub und Schmutz und sie sind häufiger in Nachtschichten anzu-treffen. Eines der größten Arbeitsschutzprobleme ist die Verlagerung von Fehlbe-lastungen in Bereiche, die sich gesetzlichen Bestimmungen entziehen. Die IG Bau-Steine-Erden schätzt, dass neben den 2 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bauhauptgewerbe noch 400–500,000 Werkvertragsnehmer und illegal Beschäftigte zu einem Viertel des Tariflohns tätig sind. „Daß diese Arbeit-nehmer in der Regel den höchsten Fehlbelastungen ausgesetzt sind, dürfte zwar sehr wahrscheinlich, aber leider mit offiziellen Statistiken kaum nachweisbar sein“ (LIßNER, 1995, S.87).

Betriebliche Gesundheitslage 17

1.3 Erkrankungen

Der in den letzten Jahren zu verzeichnende Trend zu niedrigen Krankenständen hat sich weiter fortgesetzt. Im Jahr 2004 ist der Krankenstand erneut stark zurück-gegangen und ereichte die Marke von 3,4% mit durchschnittlich 12,1 Krankenta-gen pro Jahr (BMWA, 2005). Bezogen auf die Werktage ergeben sich tatsächliche Fehltage von durchschnittlich acht Tagen. Die Höhe des Krankenstands resultiert aus der Zahl der Krankmeldungen und deren Dauer. Er wird auf der Basis von Stichtagserhebungen der gesetzlichen Krankenkassen ermittelt. Der höchste Stand war 1973 mit 5,9% zu verzeichnen. Seit 1990 gibt es einen kontinuierlichen Rückgang und eine Stabilisierung auf dem 4% Niveau. Im Jahr 2003 unterschritt der Krankenstand mit einem Wert von 3,6% und durchschnittlich 11,8 Ausfallta-gen erstmals die 4% Marke. Allerdings zeigen Hochrechnungen für das Jahr 2005, dass ein leichter Anstieg zu erwarten ist. Für die Betriebe ist diese Entwicklung mit erheblichen Einsparungen verbunden. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA, 2005) betrugen die volkswirt-schaftlichen Kosten des Verlusts an Arbeitsproduktivität (Ausfall an Bruttowert-schöpfung) im Jahr 2003 66,39 Mrd. Euro, im Jahr 2001 waren es noch 70,75 Mrd. gewesen. Der in den letzten Jahren zu beobachtende Rückgang der krank-heitsbedingten Fehlzeiten hat jedoch nicht zu einer Einebnung der teilweise be-trächtlichen Unterschiede zwischen den Branchen und Berufsgruppen geführt. Trotz insgesamt sinkender Krankheitsfälle haben die psychisch bedingten Krank-heitsfälle in den letzten Jahren zugenommen.

Krankenstand

0 20 40 60 80 100 120 140

Fälle je 100 Vers. Tage je Fall

2 4 6 8 10 12

1389

12121

1410912

100

9711

11128

12112

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei

Produzierendes Gewerbe (ohne Bau)

Baugewerbe

Handel, Gastgewerbe und Verkehr

Öffentliche und private Dienstleistungen

Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister

Durchschnitt (12/112)

Abbildung. 1.1: Arbeitsunfähigkeit nach Wirtschaftszweigen (BMWA, 2005 Abb. 15)

Erkrankungen

18

Das produzierende Gewerbe und die öffentlichen und privaten Dienstleister liegen mit 121 bzw. 128 Fällen über dem Durchschnitt von 112 Krankmeldungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 12 Tagen. Die meisten Ausfalltage hat das Baugewerbe mit 14 Tagen gefolgt von der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei mit 13 Tagen (BMWA, 2005).

Eine detaillierte Analyse für die einzelnen Branchen lässt sich auch aus dem Jah-resbericht der AOK entnehmen (VETTER, KÜSGENS & SCHUMANN, 2004). Den höchsten Krankenstand berechnet für die AOK-Mitglieder wiesen im Jahr 2003 wie auch bereits in den Vorjahren mit 5,6% die öffentlichen Verwaltungen auf, den niedrigsten mit 3,3% die Banken und Versicherungen Dabei muss be-rücksichtigt werden, dass ein großer Teil der in diesem Sektor beschäftigten AOK-Mitglieder keine Bürotätigkeit ausübt, sondern in gewerblichen Bereichen mit teilweise sehr hohen Arbeitsbelastungen tätig ist, wie z. B. im Straßenbau, in der Straßenreinigung und Entsorgung. Insofern sind die Daten nicht repräsentativ für die gesamte öffentliche Verwaltung. Die Zahlen dürften deutlich niedriger liegen. Hinzu kommt, dass die beschäftigten AOK-Mitglieder eine im Vergleich zur freien Wirtschaft ungünstige Altersstruktur aufweisen, die zum Teil für die erhöhten Krankenstände mitverantwortlich ist. Schließlich spielt der Anteil der Schwerbehinderten eine erhebliche Rolle im öffentlichen Dienst. Ihr Anteil liegt um etwa 50% höher als in anderen Sektoren. Es wird geschätzt, dass die höhere Zahl von AU-Fällen im öffentlichen Dienst knapp zur Hälfte auf den erhöhten Anteil an schwerbehinderten Arbeitnehmern zurückzuführen ist (MARSTEDT et al., 2002).

AOK-Mitglieder

Auch bei den einzelnen Berufsgruppen gibt es große Unterschiede hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehlzeiten. Die Art der ausgeübten Tätigkeit hat erheblichen Einfluss auf das Ausmaß der Fehlzeiten. Im Bericht der Bundesregierung (BMWA, 2005) weisen die meisten Krankmeldungen Berufsgruppen aus dem gewerblichen Bereich auf, wie beispielsweise Berufe in der Metallerzeugung, Gießerei (151 Fälle), Chemie und Kunststoffberufe (144,6) oder in der Montage (143,3). Einige der Berufsgruppen mit hohen Krankenständen sind auch in beson-ders hohem Maße psychischen Fehlbelastungen ausgesetzt, wie beispielsweise Ordnungs- und Sicherheitsberufe. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt 15 Tage. Die niedrigsten Krankenstände sind bei Selbständigen und Akademikern wie z. B. Naturwissenschaftlern, Hochschullehrern, Apothekern und Ärzten zu verzeichnen. Während auf Akademiker (Ingenieure, Chemiker, Physiker, Mathe-matiker) im Jahr 2003 nur 36 Krankmeldungen pro 100 Versicherten kamen, wa-ren es bei den Metallberufen 151 Krankmeldungen, also mehr als das Vierfache.

Berufsgruppen

Die Höhe des Krankenstands hängt ebenfalls vom Alter der Beschäftigten ab (BMWA, 2005). Die krankheitsbedingten Fehlzeiten nehmen mit steigendem Al-ter deutlich zu. Zwar erreichen sie bei den 15-20 jährigen den Höchststand mit

Alter

Betriebliche Gesundheitslage 19

160 Krankmeldungen pro 100 Fällen, weisen jedoch auch den niedrigsten Stand an einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 5 Tagen auf. Bei den 30-35 jäh-rigen haben die Krankmeldungen den niedrigsten Stand mit 100 Fällen bei durch-schnittlich 10 Ausfalltagen. Die Zahl der Krankmeldungen geht in der Gruppe der 60-65 jährigen wieder zurück, doch erreicht die Krankheitsdauer den höchsten durchschnittlichen Wert mit 27 Krankheitstagen. Ältere Beschäftigte sind also seltener krank als ihre jüngeren Kollegen, fallen aber, wenn sie erkranken, in der Regel wesentlich länger aus. Hinzukommt, dass ältere Arbeitnehmer häufiger von mehreren Erkrankungen gleichzeitig betroffen sind (Multimorbidität). Auch dies kann zu längeren Ausfallzeiten führen.

Da die Krankenstände in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht sehr stark vari-ieren, ist es sinnvoll, beim Vergleich von Krankenständen unterschiedlicher Bran-chen oder Berufsgruppen eine Standardisierung hinsichtlich des Alters und Ge-schlechts durchzuführen. Damit lässt sich berechnen, wie der Krankenstand in den unterschiedlichen Bereichen ausfiele, wenn man eine durchschnittliche Alters- und Geschlechtsstruktur zugrunde legen würde.

Wie bereits in den Vorjahren wurde im Jahr 2003 das Krankheitsgeschehen im Wesentlichen durch sechs große Krankheitsgruppen bestimmt: Muskel- und Ske-letterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Verletzungen, psychischen und Ver-haltensstörungen, Herz/Kreislauferkrankungen sowie Erkrankungen der Verdau-ungsorgane. Das Ergebnis lässt sich über alle Pflichtversicherten der Krankenkas-sen feststellen. Die folgende Analyse basiert auf den Daten der Betriebskranken-kassen (BKK, 2004). Drei Viertel (75%) der AU-Fälle und vier Fünftel (77,6%) der AU-Tage entfallen auf das Konto dieser sechs Krankheitsarten. Der häufigste Anlass für Krankschreibungen waren Atemwegserkrankungen. Nahezu jeder drit-te AU-Fall ging auf diese Krankheitsart zurück. Wegen der relativ geringen durchschnittlichen Krankheitsdauer von sechs bis sieben Tagen betrug der Anteil der Atemwegserkrankungen am Krankenstand nur 16,9% (Tab.1.1). Die mit Ab-stand häufigste Einzeldiagnose ist die akute Infektion der oberen Atemwege mit einem Anteil von 9,3% der Fälle, jedoch nur mit 4,5% der Krankheitstage (6 Tage pro Fall). Auch bei Verdauungserkrankungen beträgt die mittlere Krankheitsdauer sechs bis sieben Tage. Die meisten AU-Tage werden durch Muskel-Skelett- und durch Herz/Kreislauferkrankungen mit durchschnittlichen Fehlzeiten von 19 Ta-gen verursacht, bei Verletzungen (Freizeit-, Sport-, Verkehrs- und Arbeitsunfälle) von 18 Tagen je Fall. An der Spitze stehen Neubildungen (Tumorerkrankungen) mit 31 Tagen und die psychischen Störungen mit 29 Tagen.

6 Krankheitsgruppen

Bei den MSE dominieren nach Fällen (60%) und Tagen (57%) die Wirbelsäulen- und Rückenleiden. Rückenschmerzen stellen die Einzeldiagnose mit dem größten Anteil von 16 AU-Tagen dar. Beschwerden der Lendenwirbelsäule sind eines der größten Probleme in vielen Ländern der Erde. Als konstitutionelle Faktoren wer-den genannt: Alter, Geschlecht, Körpergröße, Kondition und Beweglichkeit sowie psychosoziale Faktoren. Als Risikofaktoren, die aus der Arbeit stammen, werden

MSE

Erkrankungen

20

überwiegend angesehen: Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, einsei-tige Belastungen, z. B. an Computerarbeitsplätzen, Arbeiten in beengten Situatio-nen, Ganzkörpervibration, z. B. bei LKW- oder Gabelstaplerfahrern. Zwischen Männern und Frauen gibt es hinsichtlich der Krankheitsdauer keine wesentlichen Unterschiede, jedoch hinsichtlich der Zahl der Fälle. Während bei Männern die meisten AU-Fälle – nämlich 9,4% – durch Rückenschmerzen verursacht wurden, entfielen bei Frauen auf diese Erkrankungen nur 6,1% der Fälle. Hierbei spielen geschlechtsbezogen unterschiedliche Tätigkeiten eine Rolle: Männer sind häufi-ger in Berufen tätig, die durch schwere körperliche Arbeit wie etwa schweres He-ben und Tragen geprägt sind. Häufigste Erkrankungsursache bei Frauen mit einem Anteil von 9,5 % waren die akuten Infektionen der oberen Atemwege.

Tabelle 1.1: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitstage (AU) in Prozent auf die wichtigsten 6 Krank-heitsgruppen (BKK, 2004)

Diagnosegruppe Anteil

1991

Anteil

2003

Muskel- und Skeletterkrankungen 31,6 26,5

Krankheiten der Atemwege 16,9 16,9

Verletzungen (Unfälle) und Vergiftungen 14,1 15,2

Psychische und Verhaltensstörungen 3,8 7,5

Krankheiten des Verdauungssystems 8,9 6,7

Herz- und Kreislauferkrankungen 7,6 4,8

Während der Anteil der MSE gegenüber 1991 um 5,1 Prozentpunkte abgenom-men hat, hat die Bedeutung der bereits länger zu beobachtende Entwicklung bei den psychischen Erkrankungen für die gesamte Arbeitsunfähigkeit zugenommen. Ihr prozentualer Anteil an den Krankheitstagen beträgt 7,5% , eine Steigerung von 3,7 Prozentpunkten gegenüber 1991. In den letzten 20 Jahren hat sich ihr Anteil sogar verdreifacht. Bei den Frauen liegt der Anteil mit 10% noch höher als bei den Männern (5,6%). Psychische Erkrankungen sind inzwischen die vierthäufigs-te Ursache für krankheitsbedingte Fehltage. Die Gründe für diesen Anstieg sind sowohl in der realen Zunahme der Morbidität, einem wachsenden Frauenanteil bei den Pflichtversicherten sowie auch in veränderten Diagnosestellungen der Ärzte zu vermuten. Im Durchschnitt gehören die psychischen Erkrankungen mit einer Falldauer von über 29 Tagen nach den Neubildungen zu den langwierigsten Krankheiten überhaupt. Bei den Frauen steht die Gruppe der neurotischen Be-lastungs- und somatoformen Störungen mit 42% der psychischen Erkrankungen im Vordergrund, gefolgt von den affektiven Störungen mit 40%. Zu der erstge-nannten Gruppe gehören z. B. Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpas-sungsstörungen. In der letztgenannten Gruppe dominieren die Depressionen, die zu den häufigsten Einzeldiagnosen überhaupt zählen. In beiden Diagnosegruppen weisen Frauen etwa die doppelte Anzahl an Krankheitstagen wie Männer auf.

Anteile und Fehltage

Betriebliche Gesundheitslage 21

Bei Männern kommen als weitere bedeutende Krankheitsgruppe die psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen hinzu. Auf sie entfallen 13% aller gemeldeten Tage. Drei Viertel hiervon stehen im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch. Die meisten Krankenhaustage wurden bei Männern auf Grund von Alkoholmissbrauch verursacht: 41 Tage pro 1,000 Versicherte, bei Frauen durch depressive Episoden 54 Tage (BKK, 2004). Bei Frauen spielt der Alkoholmissbrauch als Diagnosegruppe eine deutlich geringere Rolle. Allerdings scheinen die geschlechtsbezogenen Unterschiede in diesen Diagnosegruppen ab-zunehmen.

Aus den unterschiedlichen Morbiditätsschwerpunkten bei Männern und Frauen lassen sich mit aller Vorsicht folgende Schlüsse ziehen. Während Männer deutlich häufiger durch Krankheiten des Muskel-Skelettsystems sowie durch Verletzungen arbeitsunfähig werden, reagieren Frauen auf Fehlbelastungen häufiger mit psychi-schen Störungen. Allerdings muss betont werden, dass der geschlechtbezogene Einfluss von Tätigkeiten und Aktivitäten in den unterschiedlichen Lebenswelten – Beruf, Familie, Freizeit, Sport – bei dieser Interpretation unberücksichtigt bleibt.

1.4 Berufskrankheiten, Unfallgeschehen und Verrentung

1.4.1 Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen

Berufskrankheiten (BK) werden von der Bundesregierung durch Rechtsverord-nung mit Zustimmung des Bundesrats festgelegt. Die BK-Liste im Jahr 2003 um-fasst 68 Berufskrankheiten. Es wird zwischen dem Anzeigen eines Verdachtes auf das Vorliegen, der Anerkennung und der Entschädigung einer BK in Form von Renten oder anderer Leistungen unterschieden. Die Anerkennung als BK setzt den Nachweis voraus, dass die versicherte Tätigkeit die Ursache für die schädigende Einwirkung war, die zur Erkrankung geführt hat. Zusätzlich müssen für einige Krankheiten besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Da dieser Nachweis vom Erkrankten zu erbringen ist, fordern die Gewerkschaften seit langem eine "Umkehrung der Beweislast". Die Schere zwischen angezeigten und anerkannten BK ist sehr groß. Hinzukommt, dass das System der BK nur mit langen Verzögerungen auf die Entwicklung berufsbedingter Krankheiten reagiert. Das liegt vor allem an der restriktiven Handhabung und den langen Entschei-dungswegen bis zur Anerkennung und Gewährung einer Entschädigung.

BK-Liste

Im Berichtsjahr 2003 wurden bei den Berufsgenossenschaften und Unfallver-sicherungsträgern der öffentlichen Hand 64,856 Verdachtsanzeigen gestellt (BMWA, 2005). Die häufigsten Verdachtsanzeigen bezogen sich auf schwere Hauterkrankungen (26%), bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwir-belsäule (21%) und Lärmschwerhörigkeit (17%, s. Abb. 1). Alle drei Krankheits-gruppen sind seit den neunziger Jahren rückläufig. Die Verdachtsanzeigen für Hautkrankheiten erreichten mit 20,702 Anzeigen im Jahr 1990 ihren Höhepunkt,

Verdachtsanzeigen

Berufskrankheiten, Unfallgeschehen und Verrentung

22

für Rückenerkrankungen waren es 20,797 Anzeigen im Jahr 2000 und für Lärm-schwerhörigkeit 16,256 Anzeigen im Jahr 1980.

Bundesweit wurden 2003 von den Verdachtsanzeigen im Berichtszeitraum 17,425 BK anerkannt (BMWA, 2005). Bezogen auf die gewerblichen Berufsgenossen-schaften wurden im Berichtsjahr 2004 aus den Vorjahren 62,069 (100%) Feststel-lungsverfahren abgeschlossen, davon wurden 38% als BK bestätigt, 25,5% als BK anerkannt und 7,6% der Fälle erhielten eine Rente, Abfindung oder Sterbegeld. Von den 15,832 anerkannten BK waren 40% Erkrankungen auf Grund von Lärm-einwirkungen, 34% wurden durch anorganische Stäube (u. a. Silikose, Asbestose) verursacht und 8% waren Hauterkrankungen. Nur 3 % der Lendenwirbelsäulen-Erkrankungen wurden trotz der vorliegenden häufigen Verdachtsanzeigen aner-kannt (HVBG, 2005). Von vielen Beobachtern wird dies Missverhältnis als Bei-spiel für die restriktive Anerkennungspraxis der Berufsgenossenschaften gewertet.

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

1 2 3 4

Chemische Einwirkungen

Physikalische Einwirkungen

Lunge, Bauchfell, Atemwege

Hautkrankheiten, Infektionen

1,928 Lösungs-

mittel

130 Gase

295 Metalle u.

Metallchloride

556 Strahlen

11,093 Lärm

13,428 Mechanische

Einwirkungen, Rücken

4,701 Atemwegs-

erkrankungen

10,712 Organische und anorga- nische Stoffe

2,086 Sonstige

3,197 Infektionen,

Tropen- krankheiten

16,730 Haut-

krankheiten

Gesamt: 64,856

Abbildung 1.2: Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit nach Krankheitsgruppen in 2003 (BMWA, 2005)

Strahlen

Berufskrankheiten sind nur ein kleiner Teil der Erkrankungen. Einen sehr viel größeren Anteil haben arbeitsbedingte Erkrankungen. Das sind Erkrankungsrisi-ken, für die eine erhebliche Mitverursachung durch die Arbeit angenommen wer-den muss und die in bestimmten Berufsgruppen oder Branchen mit überzufälliger Häufigkeit auftreten. Unabhängig von ihrer Verursachung werden die Kosten für die Entschädigungsleistungen von den gesetzlichen und privaten Krankenkassen getragen. Eine Trennung in beruflich und privat verursachte Erkrankungen findet nicht statt. "Alle Kostenrechnungen arbeitsbedingter Erkrankungen scheitern letztlich daran, dass nicht exakt angegeben werden kann, was eine arbeitsbedingte Erkrankung ist bzw. welchen Anteil die Arbeitswelt an der Entstehung einer Krankheit hat" (KUHN, 1995, S. 96). Die Tatbestände bei den Berufskrankheiten

Arbeitsbedingte Erkrankungen

Betriebliche Gesundheitslage 23

und Unfällen sind dagegen eindeutig. Die Berufsgenossenschaften haben für 2004 Kosten für Entschädigungsleistungen im Umfang von 7,561 Mrd. Euro ausgewie-sen. Einen Versuch zur Berechnung der arbeitsbedingten Anteile von Krankheits-arten hat der Nordische Rat für die Länder Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland unternommen (KUHN, 1995).

Für 9 ausgewählte Diagnosegruppen, die ca. 75-90% aller Krankheitsbilder in Skandinavien umfassen, wurde das Ausmaß der Arbeitsbedingtheit berechnet. Als Grundlage dienten die Ergebnisse nationaler und internationaler Untersuchungen. Nimmt man Dänemark als Vergleichsland, dann ergeben sich die in Tabelle 1.2 dargestellten Schätzungen des arbeitsbedingten Anteils von Erkrankungen.

Tabelle 1.2: Arbeitsbedingter Anteil von Erkrankungen bei 9 Diagnosegruppen (KUHN, 1995)

Diagnosegruppe Anteil in %

Neubildung (Tumor) 4 Psychische Erkrankungen 10 Nervenerkrankungen 20 Herz-Kreislauf-Erkrankungen 20 Erkrankungen der Atmungsorgane 25 Hauterkrankungen 45 Erkrankungen der Bewegungsorgane 33 Unfälle 30 Tödliche Unfälle 8

Zwar lassen sich die Zahlen nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse in Deutsch-land übertragen, trotzdem liefern sie aber Anhaltspunkte für den Anteil arbeitsbe-dingter Erkrankungen und damit für die Schwerpunktsetzung von beruflichen Präventionsmaßnahmen. Insbesondere Hauterkrankungen und Erkrankungen der Bewegungsorgane, darunter fallen auch die muskuloskelettalen Erkrankungen, haben einen größeren, arbeitsbedingten Anteil von 45 bzw. 33%. Auf die arbeits-bedingten Unfälle wird im nächsten Abschnitt eingegangen.

Arbeitsbedingte Erkrankungen sind in der Regel nicht auf eine, sondern auf meh-rere Ursachen zurückzuführen: Die Aufbereitung einschlägiger epidemiologischer Studien zeigt, dass ein enger Zusammenhang zwischen muskuloskelettalen Be-schwerden und Erkrankungen – davon sind 60% Rückenbeschwerden – und phy-sischen Fehlbelastungen am Arbeitsplatz, wie Heben schwerer Lasten oder Ein-nehmen von Zwangshaltungen besteht. Kommen klimatische Faktoren, wie Hitze, Kälte oder Zugluft, oder auch schlechte Arbeitsplatzbeleuchtung und Lärm dazu, dann liegt eine typische Mehrfachbelastungssituation vor, die als Auslöser von MSE gilt (LINTON, 2001). Die Arbeit des Maurers oder des Spediteurs sind zwei Beispiele. Auch psychische Fehlbelastungen wie hohes Arbeitstempo, Zeitdruck, geringe tätigkeitsbezogene Handlungs- und Entscheidungsspielräume oder gerin-ge soziale Unterstützung verstärken die Beanspruchung und tragen dadurch zu

Ätiologie

Berufskrankheiten, Unfallgeschehen und Verrentung

24

Rückenbeschwerden oder -erkrankungen bei (BURDORF & SOROCK, 1997). Der Einfluss von psychischen Fehlbelastungen wird jedoch in neueren Untersu-chungen wieder in Frage gestellt (HARTVIGSEN, LINGS, LEBOEUF & BAKKETEIG, 2004). Zusammengefasst geht die Forschung von einem komple-xen, aber betrieblich beeinflussbaren Entstehungszusammenhang von Rückenbe-schwerden und deren Chronifizierung aus.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie koronare Herzerkrankungen, Bluthochdruck und Schlaganfall, zählen zu den am weitesten verbreiteten chronischen Erkran-kungen in der Gesamtbevölkerung. Sie stehen mit mehr als der Hälfte der Todes-fälle an der Spitze der Todesursachen. Besonders beim Herzinfarkt gelten körper-liche und psychische Fehlbelastungen als Krankheitsrisiken, aber auch falsche Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel und das Rauchen. Herz-Kreislauf-erkrankungen sind durch betriebliche Präventionsmaßnahmen beeinflussbar. Er-gebnisse aus epidemiologischen Längsschnittstudien zeigen den Zusammenhang zwischen bestimmten Belastungsarten aus dem Arbeitsbereich und dem Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen. Beispielsweise konnte in einer repräsentativen schwedischen Längsschnittstudie (THEORELL & KARASEK, 1996) gezeigt werden, dass die Herz-Kreislaufmortalität besonders ab dem 50. Lebensjahr deut-lich ansteigt, wenn die folgenden Belastungsarten gegeben sind: hoher Arbeits- und Zeitdruck; niedriger Handlungsspielraum, wie er typischerweise bei indus-triellen Montagearbeiten vorkommt und geringe soziale Unterstützung durch Kol-legen oder Vorgesetzte. Bei den jüngeren Jahrgängen bei gleichem pathogenen Risiko war noch keine erhöhte Morbiditätsrate nachweisbar. Dieser Befund ist auch deswegen alarmierend, weil sich der Anteil der über 50 jährigen an der Er-werbsbevölkerung laufend erhöht: Lag der Anteil 1992 noch bei 28,06%, so steigt er im Jahr 2010 auf 30,41% und erreicht seinen absoluten Spitzenwert mit 36,84% im Jahr 2020 (s. Abb.1.3). Die nordischen Staaten haben darauf bereits reagiert und ein Schwerpunktprogramm zur Förderung der Gesundheit gerade für ältere Arbeitnehmer aufgelegt (u. a. ASIKAINEN & PALOLAHTI, 1997).

Ältere Erwerbstätige

Prognose der Bevölkerung der BRD

0

5000

10000

15000

20000

25000

30000

35000

40000

45000

< 15 Jahre 15 - 49 Jahre 50 - 64 Jahre > 65 Jahre

in Tausend

199220002010202020302040

Abbildung 1.3: Verteilung der Altersgruppen in der BRD bis zum Jahr 2040. (Quelle: ECKERLE

& SCHLESINGER, 1995)

Betriebliche Gesundheitslage 25

Der Zusammenhang zwischen den psychischen Arbeitsbelastungen und dem Ge-sundheitszustand wurde in einer Reihe von Studien untersucht und zusammenfas-send bewertet (SONNENTAG & FRESE 2003). Mit steigenden Anforderungen, unbefriedigendem Arbeitsinhalt als auch mit abnehmenden Freiheitsgraden neh-men die Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, der Medikamentenverbrauch und die Arbeitsunfähigkeitsdauer zu. Psychosomatische Stressfolgen sind besonders dann zu beobachten, wenn die Handlungsspielräume in der Arbeit klein sind und die soziale Unterstützung fehlt. Diese Arbeitsbedingungen sind nicht nur in der industriellen Massenfertigung, sondern auch im Dienstleistungsbereich, z. B. in Banken und Versicherungen oder in der Finanzverwaltung zu beobachten. Unter der Bedingung erweiterter Handlungs- und Entscheidungsspielräume führen her-ausfordernde, schwierige Anforderungen nicht in dem Maße zu negativen Befin-dens- und Gesundheitsbeeinträchtigungen wie unter der Bedingung eingeschränk-ter Handlungsmöglichkeiten. Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolle-gen kann den erlebten Stress und die Beschwerden mindern.

Die Krankenkassen verfügen in Form der Arbeitsunfähigkeitsdaten in Verbindung mit den medizinischen Krankheitsdiagnosen über die notwendigen Daten, um Schwerpunkte arbeitsbedingter Erkrankungen im Betrieb zu erkennen. Beispiels-weise erstellen die gesetzlichen Krankenkassen auf Anfrage Gesundheitsberichte für Organisationen ab einer Korngröße von 50 Beschäftigten. Die AU-Daten wer-den nach Diagnosearten, Berufsgruppen, Abteilungen oder Tätigkeiten aufge-schlüsselt und analysiert. Die Häufigkeiten von Krankheitsfällen und der Umfang der Krankheitsdauer können mit Referenzbetrieben oder bundesweiten Durch-schnittswerten verglichen werden. Um geeignete Präventionsmaßnahmen durch-zuführen, müssen die AU-Daten mit den betrieblichen Informationen über Bela-stungen, Gefährdungen, aber auch Ressourcen bei der Arbeit abgeglichen werden. Beispielsweise wurden von SCHROER und SOCHERT (1998) die Arbeitsunfä-higkeitsdaten von 940 Beschäftigten mit ihren Ergebnissen aus einer Mitarbeiter-befragung verglichen. Es zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen dem subjektiv erlebtem psychischem Befinden und den Krankheitstagen. Über die zahlreichen Maßnahmen, Methoden und Ergebnisse zur betrieblichen Gesund-heitsförderung in den Unternehmen gibt es regelmäßige Berichte der gesetzlichen Krankenkassen, u. a. vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen (2001). Eine wissenschaftliche Studie zur Wirkung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Bereich Sicherheit und Gesundheit wurde von ELKE & ZIMOLONG (2005) er-stellt.

Gesundheitsbericht

1.4.2 Unfallgeschehen

An dritter Stelle der Ursachen für die Arbeitsunfähigkeit steht das Unfallgesche-hen (Verletzungen), wenn man die Freizeit-, Haushalts-, Verkehrs-, Arbeits- und Schulunfälle zusammenzählt. Eine einheitliche Erfassung aller Unfälle gibt es nicht. Für die einzelnen Lebensbereiche werden die publizierten Unfallzahlen aus unterschiedlichen Statistiken zusammengestellt bzw. hochgerechnet. Überschnei-dungen und Doppelzählungen spielen eine erhebliche Rolle (BAUA, 1997). Nach

Lebensbereiche

Berufskrankheiten, Unfallgeschehen und Verrentung

26

der Todesursachenstatistik des Jahres 2000 (s. Abb. 1.4) starben 14,874 Personen (100%) durch einen Unfall. Davon ereigneten sich 7,588 im Straßenverkehr (51%), 5,944 im Haushalt (40%), 1,153 bei der Arbeit (8%) und 189 bei Sport und in der Freizeit (1%) (HAHN, KLOß & STAMM, 2004).

Im jährlichen Bericht der Bundesregierung „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ (BMWA, 2005) werden die Angaben über die Arbeits- und Wegeunfälle sowie die Berufskrankheiten aus den Geschäftsergebnissen des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, des Bundesverbandes der landwirt-schaftlichen Berufsgenossenschaften und des Bundesverbandes der Unfallkassen zusammengefasst. Im Jahr 2003 wurden 1,143 Mio. Arbeitsunfälle (ArbU) ange-zeigt. Bezogen auf alle Arbeitsunfähigkeitsfälle sind 10% auf ArbU zurückzufüh-ren. Sie waren für 15% der AU-Tage verantwortliche. Die durchschnittliche Fall-dauer eines ArbU betrug 18 Tage (BKK, 2004).

Arbeitsunfälle8%

Sport- und Freizeitunfälle

1%

Verkehrsunfälle51%Haushaltsunfälle

40%

Sport- und Freizeitunfälle

(1%)

Haushalts- unfälle (40%)

Arbeitsunfälle (8%)

Verkehrsunfälle(51%)

Abbildung 1.4: Anteil der verschiedenen Lebensbereiche an den tödlichen Unfällen in Deutsch-land im Jahr 2000 (HAHN et al., 2004)

Seit Beginn der sechziger Jahre gehen die meldepflichtigen Arbeitsunfälle konti-nuierlich zurück. Waren es 1961 noch 2,871 Mio. ArbU oder 110 ArbU je 1,000 Vollarbeiter, so sind es im Jahr 2003 noch 1,143 Mio. oder 31 ArbU pro 1,000 Vollarbeiter (BMWA, 2005). Ebenfalls sind die tödlichen ArbU von 5,446 im Jahr 1962 auf 1,029 im Jahr 2003 gesunken. Zusammen mit den tödlichen Wege-unfällen beträgt ihre Zahl 1,724. Die Schwerpunkte der ArbU verteilen sich auf die Bauwirtschaft (73 ArbU), die Holzwirtschaft (68 ArbU) und die Landwirt-schaft (55 ArbU je 1,000 Vollarbeiter). Der Bergbau mit seinen traditionell hohen Unfallzahlen liegt aufgrund erfolgreicher Unfallverhütungsmaßnahmen inzwi-schen unter dem Durchschnitt aller Branchen (26 ArbU). Diesem positiven Trend folgt das Wegeunfallgeschehen nur bedingt. Die meldepflichtigen Wegeunfälle gingen zwar von 283 TSD im Jahr 1960 auf 203 TSD im Jahr 2003 zurück, doch ist der Umfang des Rückgangs nicht mit den Arbeitsunfällen zu vergleichen. Da-gegen gingen die tödlichen Wegeunfälle deutlich von 1,891 (1961) auf 695 (2003) zurück.

Rückgang der Unfälle

1.4.3 Verrentung wegen Erwerbsminderung

Mit Beginn des Jahres 2001 wurde das bisherige System der gesetzlichen Renten wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit durch ein einheitliches und

Betriebliche Gesundheitslage 27

abgestuftes System einer Erwerbsminderungsrente abgelöst. Dabei wird die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung lediglich als Zuschuss zum Erwerbs-einkommen angesehen, weil der Erwerbsgeminderte noch in der Lage ist, mit der verbliebenen Leistungsfähigkeit Arbeitsverdienst zu erzielen. Wer nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten kann, erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminde-rung. Die Rente wegen Erwerbsminderung wird bis zur Vollendung des 65. Le-bensjahres geleistet. Im Übrigen gelten weitere versicherungsrechtliche Bedin-gungen (VDR, 2004).

Immer noch gilt, dass nur ein Drittel der Beschäftigten ganz regulär wegen Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente bezieht. Das durchschnittliche Ren-teneintrittsalter wegen Erwerbsminderung liegt bei den Männern bei 51 Jahren, bei den Frauen bei 49 Jahren. Über ein Drittel aller Erwerbstätigen wird schon vor dem Erreichen der Altersgrenze erwerbsunfähig. Das sog. "Berentungsgeschehen" wegen Erwerbsminderung wird beherrscht von den psychischen und Verhaltens-störungen, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, Herz-Kreislauferkrankungen und den Neubildungen (Tumore). In Abbildung 1.5 sind die Diagnosegruppen der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dokumentiert.

21 19

25

36

16

7

1416

2522

0

5

10

15

20

25

30

35

40

1 2 3 4 5

Männer Frauen

Muskel-Skelett-System

Psychische/Ver-haltensstörungen

Herz-Kreislauf Tumor Übrige

Abbildung 1.5: Die Ursachen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei Männern und Frauen 2003 (Quelle VDR, 2004)

Im Jahr 2003 sind in der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt 174,387 neue Erwerbsminderungsrenten zugegangen, 82% wegen teilweiser Erwerbsmin-derung und 18% wegen voller Erwerbsminderung. An erster Stelle stehen bei den Frauen und Männern die psychischen Erkrankungen, gefolgt von den Erkrankun-gen des Muskel-Skelett-Systems. Gegenüber 1991 ist eine Steigerung bei den psychischen Erkrankungen um rund 10 Prozentpunkte zu verzeichnen; bei den Frauen von 26,4 auf 36%, bei den Männern von 15 auf 25%. Die Frauen haben das größte Erkrankungsrisiko. Die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungssys-

Ätiologie

Kosten der Arbeitsunfähigkeit

28

tems (MSE) betragen bei den Männern 21%, bei den Frauen 19%. Gegenüber 1991 ist das eine Reduzierung von 9 Prozentpunkten bei den Männern. Ein großer Unterschied im Erkrankungsrisiko zwischen den Geschlechtern ist auch bei den Herz-Kreislauferkrankungen zu finden: Männer haben ein um 9 Prozentpunkte höheres Erkrankungsrisiko, das zu einer vorzeitigen Erwerbsminderung führt. Die dominierende Einzelerkrankung bei den verschleißbedingten Erkrankungen des Stütz- und Bewegungssystems sind Schmerzen und Schädigungen der Lenden-wirbelsäule.

Im Vergleich mit den Angaben über die Ursachen von Arbeitsunfähigkeitsfällen (s. Tab. 1.1) vertauschen die Diagnosegruppen ihre Rangplätze. Zwar nimmt die Gruppe ‚Psychische und Verhaltensstörungen’ bei der Zahl der Krankheitsfälle „nur“ den vierten Rangplatz ein, bei den Ursachen für die Rentenzugänge infolge verminderter Erwerbsfähigkeit dominiert sie inzwischen eindeutig die übrigen Diagnosegruppen. Die Gründe für den seit Jahrzehnten kontinuierlichen Anstieg der psychischen Störungen sind sowohl in der realen Zunahme der Morbidität aufgrund der wachsenden psychischen Fehlbelastungen, einem wachsenden Frau-enanteil bei den Pflichtversicherten sowie auch in veränderten Diagnosestellungen der Ärzte zu vermuten.

Psychische Störungen

In den Zahlen über die Rentenzugänge spiegeln sich die gesundheitlichen Auswir-kungen aller Lebensbereiche, Arbeits- und Umweltbedingungen wider. Eine di-rekte Verknüpfung einzelner Ursachenkomplexe mit dem Rentengeschehen ist nicht möglich. Dennoch können Zusammenhänge aufgrund von epidemiologi-schen Untersuchungen hergestellt werden. Schwere körperliche Arbeit, Fließ-bandarbeit, Schicht- und Nachtarbeit führen bei Männern und bei Frauen häufiger zu Frühverrentungen (IG METALL, 1998).

1.5 Kosten der Arbeitsunfähigkeit

Die Schätzung der Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit gibt volkswirt-schaftlich gesehen ein mögliches Präventionspotential und ein mögliches Nutzen-potential an. Sie werden anhand der Lohnkosten, des Verlusts an Arbeitsprodukti-vität (Bruttowertschöpfung) und anhand der ausgefallenen Erwerbsjahre ermittelt. Ausgehend von den Arbeitsunfähigkeitstagen legt die BAUA jährlich eine Schät-zung vor. Sie basiert für 2003 (BAUA, 2005) auf 31,49 Mio. Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Produkti-onsausfälle beziffern sich auf 42,55 Mrd. Euro oder 2,01% vom Bruttonational-einkommen (BN). Der Ausfall an Bruttowertschöpfung wird auf 66,39 Mrd. Euro beziffert, das sind 3,14% des BN. Die Zahlen nach Diagnosegruppen getrennt sind in Tabelle. 1.3 dargestellt.

Betriebliche Gesundheitslage 29

Die volkswirtschaftlichen Kosten für die Muskel-Skelett Erkrankungen liegen mit Abstand an der Spitze, gefolgt von den Kosten der Erkältungskrankheiten und Infekte (Atmungssystem). An dritter Stelle liegen die jährlichen Kosten der Unfäl-le. Will man die gesundheitsbezogenen Kosten senken, lohnt sich vor allem eine Reduzierung der Rückenbeschwerden und -erkrankungen, der Krankheiten des Atmungssystems, insbesondere der Erkältungskrankheiten, sowie der Unfälle.

MSE

Tabelle 1.3: Produktionsausfälle und Ausfall an Bruttowertschöpfung nach Diagnosegruppen für 2003 (BAUA, 2005)

Produktionsausfall Ausfall an Brutto-

Wertschöpfung Krankheitsgruppen in

Mrd. € vom BN in %

in Mrd. €

vom BN in %

Muskel-Skelett System 10,60 0,50 16,53 0,78

Erkrankungen des Atmungssystems

6,01 0,28 9,37 0,44

Verletzungen, Vergiftungen

5,55 0,26 8,66 0,41

Psychische und Verhaltensstörungen

4,14 0,20 6,46 0,31

Verdauungssystem 2,74 0,13 4,27 0,20

Herz-Kreislauf System 2,69 0,13 4,19 0,20

Übrige 10,82 0,51 16,89 0,80

BN: Bruttonationaleinkommen

Die Kosten aufgrund von Produktionsausfällen sind für die Branchen unterschied-lich. Auf der Basis der Hochrechnungen der AOK (VETTER et al., 2005) für 2003 liegen die Kosten für einen Betrieb mit 100 Mitarbeitern zwischen 262 TSD (Energie, Wasser, Bergbau), 230 TSD (Baugewerbe), 211 TSD (Öffentliche Ver-waltung) und 93 TSD Euro (Land- und Forstwirtschaft.

Herz/Kreislauf Magen/Darm Muskel-Skelett

Sonstige 35%

5% 11% 16%

33%

Krankheitsdauer: 1 - 4 Tage

Atemwegsinfekt

Herz/Kreislauf

Magen/Darm

Sonstige

20% 4%

17% 29%

30%

Krankheitsdauer: mehr als 10 Tage

Atemwegsinfekt

Muskel-Skelett

Kosten der Arbeitsunfähigkeit

30

Abbildung 1.5: Verteilung der AU-Tage in einem mittelständischen Betrieb

Einer öffentlichen Einrichtung mit 100 Mitarbeitern entstehen demnach durch-schnittliche Kosten in Höhe von 211,280 Euro aufgrund von Produktionsausfäl-len. Zugrunde gelegt ist ein Krankenstand von 5,6% und durchschnittliche Krank-heitstage pro Fall von 20,5 Kalendertagen (AOK-Versicherte). Liegt der Kran-kenstand um zwei Prozentpunkte höher bei 7,6%, dann entstehen dadurch Mehr-kosten von 75,457 Euro oder von 36%. Will ein Betrieb oder eine öffentliche Ein-richtung den Krankenstand erfolgreich senken, muss bei den Erkrankungen mit einer Dauer von mehr 10 Tagen angesetzt werden (Abb. 1.5). Obwohl fast 50% aller AU-Fälle sich auf die erste Erkrankungswoche beziehen, machen diese Krankschreibungen aber nur ca. 12% der gesamten AU-Tage aus.

Auf die ersten 3 Tage, die sog. Karenztage, entfallen nur 3% des gesamten AU-Tage. Alle Maßnahmen, die an den ersten 3 Tagen ansetzen wollen, dürften damit kaum die tatsächlichen Probleme erfassen und schon lange nicht in der Lage sein, den Betrieben oder Einrichtungen größere Einsparungspotentiale zu erschließen. Beispiele für Kostenberechnungen und Maßnahmen zur Reduzierung krank-heitsbedingter Fehlzeiten sind in MARR (1996) näher dargestellt.

Karenztage

Betriebliche Gesundheitslage 31

Literaturempfehlung

Badura, B., Litsch, M. & Vetter, C. (Hrsg.). (2001). Fehlzeiten-Report 2000. Zu-künftige Arbeitswelten: Gesundheitsschutz und Gesundheitsmanagement. Berlin: Springer.

Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) (Hrsg.). (2005). Sicher-heit und Gesundheit bei der Arbeit 2003. Unfallverhütungsbericht Arbeit (Bd. Sonderschrift S 82). Bremerhafen: Wirtschaftsverlag NW. Verlag für neue Wissenschaft GmbH.

Kosten der Arbeitsunfähigkeit

32

Übungsaufgaben zu Kapitel 1

1. Nennen Sie die Quellen im Bericht der Bundesregierung „Sicherheit und

Gesundheit bei der Arbeit“ für die arbeitsbedingten Erkrankungen, die

Berufserkrankungen und die Arbeits- und Wegeunfälle.

2. Entscheiden Sie über die Richtigkeit der folgenden Aussagen und geben

Sie die Prozentzahlen an:

„Im Straßenverkehr gab es im Jahr 2000 mehr Unfalltote als bei der Er

werbsarbeit oder im Freizeitbereich.“

3. Bestimmen Sie die Rangfolge von arbeitsbedingten Erkrankungen anhand

der Arbeitsunfähigkeitstage in den folgenden Kategorien:

Atemwege

Herz- und Kreislauf

Psychische und Verhaltensstörungen

Muskel -Skelett

Verletzungen und Vergiftungen

Verdauungsorgane

4. Welchen Anteil haben Rückenschmerzen an Muskel-Skelett-

Erkrankungen? Nennen Sie die Einflussfaktoren.

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 33

2 Betriebliche Gesundheitsförderung

2.1 Arbeit, Gesundheit und Lebensqualität

2.1.1 Gesundheitsverständnis

Einerseits führt Erwerbsarbeit in vielen Fällen zu einer Beeinträchtigung und Schädigung der Gesundheit, andererseits fördert sie aber auch die Gesundheit und das Wohlbefinden. Dieser Doppelcharakter gilt auch für anspruchsvolle Tätigkei-ten: Sie können Menschen im positiven Sinne fordern, aber auch unter- bzw. ü-berfordern und damit eine krankheitsfördernde Wirkung haben. Gesundheit ist im Sinne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als das Freisein von Krank-heiten und Gebrechen. Gesundheit ist ein aktiver Gestaltungsprozess, der auf Le-bensqualität ausgerichtet ist. Er umfasst sowohl das Engagement für eine gesunde Umwelt, gesundheitsförderliche Arbeits- und Lebensbedingungen als auch ein wirtschaftlich und sozial aktives Leben sowie lebenslanges Lernen. Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, Eigeninitiative und Selbstverantwortung im privaten wie beruflichen Bereich sind Aspekte des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und damit von Gesundheit.

Doppelcharakter von Arbeit

Insofern ist es wenig erstaunlich, dass eine hohe Übereinstimmung zwischen Kon-zepten moderner Unternehmens- und Personalführung und der Gesundheitsförde-rung im Sinne der Ottawa-Charta festzustellen ist: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“. Gefördert werden soll auch „das aktive anwaltschaftliche Eintreten“ für gesundheitsförderliche Umwelten und Verhaltensfaktoren. „Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und indi-vidueller Ressourcen für Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Menschen können ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss neh-men können“ (WHO, 1986). Selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Han-deln bilden gleichermaßen die Grundlage für das psychische und physische Wohl-befinden als auch für die Zusammenarbeit und Aufgabenbewältigung in dezentra-len Arbeitsstrukturen.

Unternehmensführung Ottawa-Charta

Fehlende intellektuelle Anforderungen fördern den Abbau kognitiver Fähigkeiten, mangelnde körperliche Anstrengungen verschlechtern das Wohlbefinden, einge-schränkter sozialer Umgang kann zur Vereinzelung und zum Rückzug von der Umwelt führen. Welchen Einfluss die Arbeitswelt dabei hat ist umstritten. Aus den Ergebnissen einer Befragung von 535 Arbeitsschutzexperten – Sicherheits-fachkräfte, Aufsichtspersonen, Betriebsärzte, Gesundheitsförderer, A&O Psycho-logen – geht hervor, dass die Quellen für Fehlbelastungen zu 39,1 % im Bereich der Arbeit, zu 60,8% aber in den Bereichen Familie, Freizeit und gesellschaftli-chem Umfeld gesehen werden (Paridon, et al., 2004). Die Fehlbelastungen aus

Einfluss von Arbeit

2.1 Arbeit, Gesundheit und Lebensqualität

34

dem privaten Bereich scheinen um mehr als die Hälfte bedeutsamer zu sein. Ähn-lich verhält es sich mit dem Einfluss der Arbeit auf die Persönlichkeitsentwick-lung. Das der Inhalt der Arbeit einen Einfluss auf die persönliche Entwicklung hat scheint unumstritten. Jedoch ist die Stärke des Einflusses von vielen weiteren Faktoren abhängig, wie z. B. der Dauer der spezifischen Arbeitstätigkeiten in Le-bensjahren, vom Alter und Geschlecht, von den weiteren Aktivitäten im Familien und Freizeitbereich (KOHN, 1985; ULICH 2005).

2.1.2 Ressourcen

Zu welchen Beanspruchungen und Folgen es aufgrund von Anforderungen im Arbeitsalltag kommt, hängt zum einen von der Höhe und dem zeitlichen Verlauf der Belastungsarten und zum anderen von den Merkmalen und Verarbeitungsstra-tegien der Person ab. Zahlreiche Modelle erklären diesen Sachverhalt. Auf sie wird hier nicht eingegangen, aktuelle Darstellungen finden sich in SONNENTAG und FRESE (2003) sowie ZAPF und SEMMER (2004). Als besonders fruchtbar für die Gesundheitsförderung hat sich das Ressourcen Modell von HOBFOLl (2001) herausgestellt. Ressourcen sind Mittel, die eingesetzt werden können, um das Auftreten von Stressoren zu vermeiden, ihre Ausprägung zu mildern oder ihre Wirkung zu verringern.

Beanspruchungen und Folgen

Zu den internen Ressourcen zählen berufliche Qualifikationen, Selbstwirksamkeit und Kontrollkognitionen. Auch Bewältigungsstrategien (Coping, d. h. mit den Belastungen aktiv umzugehen) sind hier zu nennen. Als personale Risikofaktoren gelten Feindseligkeit und Neurotizismus oder auch Merkmale des sog. Typ-A-Verhaltens (SIEGRIST, 1996). Vielfach untersucht wurde der gesundheits-stabilisierende Einfluss des Kohärenzerlebens (Vorhersehbarkeit, Machbarkeit, Sinnhaftigkeit), der optimistischen Selbstwirksamkeitsüberzeugung und die psy-chische Widerstandsfähigkeit (Hardiness). Die Überzeugung der wahrge-nommenen Kontrolle, selbst wenn sie illusionär ist, scheint krankheits- und stressmildernd zu wirken (KAHN & BYOSIERE, 1992).

Interne Ressourcen

Unter den externalen Ressourcen oder unterstützenden Arbeitsbedingungen wer-den die organisationalen und sozialen Bedingungen verstanden. Sie werden von der Umwelt bereitgestellt und betreffen vor allem die jeweilige Arbeitsorganisati-on, die Aspekte der sozialen Beziehungen sowie die betrieblichen und gesell-schaftlichen Rahmenbedingungen. Von psychologischer Bedeutung sind die Kon-trollmöglichkeiten der Person, d. h. Möglichkeiten der Beteiligung und Einfluss-nahme, der Selbstorganisation und der Kontrolle in der Arbeit durch Partizipati-ons- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Soziale Unterstützung, z. B. durch Kol-legen, Vorgesetzte und Familie kann den Stress mindern. Unterschieden werden instrumentelle, emotionale, affirmative Aspekte sozialer Unterstützung (VIS-WESVARAN, SANCHEZ & FISCHER, 1999). Soziale Unterstützung muss auch als ein Prozess gesehen werden, in dem eine Person Hilfeleistungen mobilisieren, gewinnen oder auch verlieren kann. Insofern kann soziale Unterstützung auch als eine interne Ressource verstanden werden, die man entwickeln oder verlernen

Externale Ressourcen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 35

kann (UDRIS & FRESE, 1999). Die unterstützende Wirkung einer positiven Ge-sundheitskultur auf die gesundheitsbezogene Verhaltensabsicht und die Zahl der berichteten Rückenbeschwerden konnte von ZIMOLONG und STAPP (2001) gezeigt werden.

Ressourcen können ihre Wirkung direkt entfalten und das Wohlbefinden erhöhen. Bei den meisten Ressourcen ist ein positiver Zusammenhang mit Variablen der Gesundheit und des Wohlbefindens wie Arbeitszufriedenheit, Selbstwertgefühl oder dem Gefühl persönlicher Leistungserfüllung sowie ein negativer Zusammen-hang mit Variablen psychischer und körperlicher Befindensbeeinträchtigungen mehrfach belegt (SONNENTAG & FRESE, 2003). Ressourcen können die Ge-sundheit indirekt beeinflussen, indem sie Stressoren reduzieren, z. B. indem die Person auf berufliche Anforderungen selbst Einfluss nehmen kann. Negative Kor-relationen zwischen Ressourcen wie Handlungsspielraum oder sozialer Unterstüt-zung und Befindensbeeinträchtigungen wurden ebenfalls vielfach berichtet (VIS-WESVARAN et al., 1999). Ressourcen können auch eine Moderatorwirkung ent-falten, d. h. bei geringer Ausprägung kann der Zusammenhang zwischen Stressor und Stressfolgen hoch, bei hoher Ausprägung niedrig sein. Auch kurvilineare Be-ziehungen sind möglich. Derartige Moderatoreffekte konnten für die Kontrolle bei der Arbeit, soziale Unterstützung und z. T. für einige Bewältigungsstile gefunden werden (SONNENTAG & FRESE, 2003) ZIMOLONG und STAPP (2001) konn-ten zeigen, dass die beste Vorhersage der gesundheitlichen Beschwerden durch die Arbeitsschwere und durch eine Kombination aus personalen und externalen Ressourcen erzielt wird. Die Daten stammen aus größeren Unternehmen, eine Replikation des Modells und der Varianzaufklärung konnte auch für Daten aus kleinen und mittleren Unternehmen erzielt werden (ZIMOLONG & KOHTE, 2005).

Wirkungen

2.1.3 Ziel Gesundheitsförderung

Die zunehmende Bedeutung des Betriebes als Handlungsfeld für die Förderung von Gesundheit steht in engem Zusammenhang mit dem potentiellen Einfluss der Arbeit, ihren Bedingungen und ihrer Gestaltung auf das psychische und physische Wohlbefinden. Betriebliche Gesundheitsarbeit ist nach HACKER (1991) nicht nur das Beseitigen beeinträchtigender Merkmale. Im Gegenteil: Ohne Herausforde-rungen, Anstrengungen und Training sind körperliche und psychische Gesundheit und Wohlbefinden nicht möglich.

Betriebliche Gesund-heitsarbeit

Wir werden den Begriff der Gesundheitsförderung sowohl als Oberbegriff benutzen, der die Ressourcenförderung als auch die Präventionsmaßnahmen einschließt, als auch im eigentlichen Sinn als Ressourcenförderung. Das organisationale Gesund-heitsmanagement bezieht sich auf die Maßnamen in Betrieben, Verwaltungen und Einrichtungen zur Umsetzung von gesundheitsförderlichen als auch präventiven Ein-zelmaßnahmen. Davon zu unterscheiden ist das persönliche Gesundheits-management, das sich auf die Pläne, Schritte und Maßnahmen der einzelnen Person bezieht. Dafür wird auch der Begriff Selbstmanagement gebraucht.

Definition

Kasten 2.1: Definition

2.1 Arbeit, Gesundheit und Lebensqualität

36

Betriebliche Gesundheitsförderung (s. Kasten 2.1) zielt nach der Luxemburger Deklaration darauf ab, Gesundheitspotenziale zu stärken, Krankheiten am Ar-beitsplatz vorzubeugen und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu verbessern. Die Ziele sollen durch eine Verknüpfung der Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen, der Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung und der Stärkung der persönlichen Kompetenzen erreicht werden.

Die Funktion der Gesundheitsförderung und Prävention wird u. a. im Entwurf eines deutschen Präventionsgesetz 15/4833 beschrieben:

Funktion

– Gesundheitsförderung bezieht sich auf die Unterstützung beim Aufbau sowie der Stärkung individueller gesundheitsbezogener Ressourcen und Fähigkeiten sowie von gesundheitsförderlichen Strukturen in den Lebenswelten Arbeiten, Wohnen, Lernen und Freizeitgestaltung,

– Primärprävention wird verstanden als Vorbeugung des erstmaligen Auftretens von Krankheiten und Verletzungen, d. h. Senkung der Eintrittswahrscheinlich-keit von Krankheiten und Unfällen sowie im Falle des Eintretens deren Schwe-regrad,

– Sekundärprävention umfasst die Früherkennung von Krankheitsvor- und –frühstadien sowie von Gesundheitsrisiken,

– Tertiäre Prävention bezieht sich auf die Verhütung der Verschlimmerung von Erkrankungen und Behinderungen sowie Vorbeugung von Folgeerkrankungen. Hierunter fallen sowohl therapeutische als auch Beratungsleistungen.

Gesundheitsförderung trägt nicht nur indirekt durch ein erhöhtes Motivations- und Leistungspotential der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg bei, sondern führt langfristig auch zur Einsparung direkter Kosten: Das FITNESS-Research-Center der Universität von Michigan schätzt das Nutzen-Kosten-Verhältnis von Gesund-heitsförderungsprogrammen auf 2,5:1. Über einen Zeitraum von sieben Jahren ist der Nutzen 2,5 mal höher als die eingesetzten Kosten. Im Vergleich zu betriebli-chen Angaben handelt es sich hierbei um eine sehr konservative Schätzung: Die Getränkefirma COORS schätzt den Nutzen ihres ganzheitlichen Gesundheits-förderungsprogramms auf den Faktor 6,1 und der Flugzeughersteller McDonnel-Douglas beziffert das Nutzen-Kosten-Verhältnis mit dem Faktor 4 (KUHN, 1995, S. 98).

Nutzen

Betriebliche Gesundheitsförderung beinhaltet sowohl für das Unternehmen als auch die Beschäftigten Chancen. Unter Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunk-ten sind der zu erwartende Nutzen für die Beteiligten, potentielle Synergieeffekte und darüber hinausgehend die Reichweite und Ökonomie betrieblicher Gesund-heitsarbeit hervorzuheben: „Ohne Zweifel bietet der Arbeitsplatz wie kaum ein anderer Ort die Möglichkeit, ein umfangreiches, langfristiges Präventionspro-gramm mit großen, relativ konstanten Personengruppen durchzuführen, die dar-über hinaus eine aus präventivmedizinischer Sicht besonders günstige Altersstruk-

Chancen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 37

tur aufweisen“ (KIRSCHNER, RADOSCHEWSKI & KIRSCHNER, 1995, S. 46).

Die Nutzung dieser Chancen erfordert, dass die Sicherung und Förderung der Ge-sundheit als betriebliche Leistungen aufgefasst werden, deren Erbringung genauso wie alle anderen betrieblichen Leistungen, sei es die Servicequalität oder die Pro-duktivität, organisiert und gemanagt werden müssen und vor allem nicht isoliert betrachtet werden können.

2.2 Organisation und Managementaufgaben

2.2.1 Merkmale von Organisationen

Wir verbringen nicht nur einen großen Teil unseres Lebens in Organisationen, angefangen mit dem Kindergarten, der Schule, Vereinen, dem Betrieb bis hin zum Altersheim, sondern auch die meisten Leistungen, die wir in Anspruch nehmen, werden von Organisationen erbracht. Das Spektrum reicht von der Herstellung unserer Nahrung, Kleidung, Transportmittel bis hin zu den Dienstleistungen, wie der Abwicklung unserer Geldgeschäfte, der Übernahme von Risiken durch Versi-cherungen, der Unterhaltung, der Vermittlung von Informationen, der Versorgung im Krankheitsfall, dem Haarschnitt und der Regelung unserer Beerdigung.

Das Überleben von Organisationen ist wiederum abhängig von der Inanspruch-nahme ihrer Leistungen oder dem Verkauf ihrer Produkte. Für die Herstellung der Produkte benötigen sie Ressourcen in Form von Kapital, Rohstoffen, Informatio-nen, Technologie und vor allem Menschen. Organisationen sind somit keine iso-lierten Zweckgemeinschaften, sondern ihre Leistungserbringung ist in vielfältige Austauschbeziehungen mit verschiedenen Umwelten eingebunden (s. Abb. 2.1; Kasten 2.2).

Soziotechnische Systeme

Das Leistungsangebot einer Organisation basiert auf der Zusammenarbeit einer Vielzahl von Personen, die zumeist über ganz unterschiedliche Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsteilung oder Spezialisierung ist für die Leistungserbringung in Organisationen charakteristisch: „Organisationen gliedern die zur Erreichung ihrer Ziele notwendigen Aktivitäten auf und verteilen sie auf die einzelnen Mit-glieder“ (KIESER & KUBICEK, 1992, S. 75). Aus der Arbeitsteilung resultiert zugleich ein Koordinationsbedarf, denn die einzelnen Teilaufgaben sind nicht unabhängig voneinander, sondern bilden notwendige Einzelaktivitäten zur Errei-chung des übergeordneten Organisationsziels. Arbeitsteilung und Koordination stellen strukturelle Grundprinzipien der Organisationslehre dar. Sie können im betrieblichen Alltag ganz unterschiedlich realisiert werden. Beispielsweise kann die Arbeit einer Gruppe von Mitarbeitern durch persönliche Anweisungen eines Vorgesetzten, durch vorgegebene Verfahrensrichtlinien, Pläne oder durch Selbst-abstimmung der Gruppe bei Vorgabe der Ziele koordiniert werden. Aber nicht nur

Arbeitsteilung und Koordination

2.2 Organisation und Managementaufgaben

38

die Prozesse innerhalb einer Organisation, sondern auch die Aktivitäten im Rah-men der Austauschbeziehungen, wie z.B. mit den Zulieferern, Partnerfirmen oder den Kunden müssen organisiert und koordiniert werden.

EingangsgrößenPersonen

Technologie

Information

Ergebnisse

Güter

Dienstleistungen

Gesundheit

TransformationsprozessAufgaben - Leistungen

Interne Koordination

Informations-technologien

Mitarbeiter

SozialeInteraktion

Arbeitssystem

TechnischesSystem undBetriebsmittel

UmfelderExterne Einflüsse

Organisation

Abbildung 2.1: Organisationen als offene soziotechnische Systeme

Aufgabe des Managements und der Führungskräfte einer Organisation ist es, die Aufgaben, Prozesse und das Verhalten der Organisationsmitglieder und ihrer ex-ternen Austauschpartner so zu organisieren, zu koordinieren und zu unterstützen, dass die angestrebten Leistungen erbracht werden und die Ziele, wie Produktivi-tät, Qualität, Flexibilität oder Innovationsleistungen erreicht werden. Konkret müssen nicht nur Ressourcen erworben, Produkte entwickelt, die Arbeit geplant, Aufgaben verteilt und koordiniert, die Leistungsprozesse überwacht und die Er-gebnisse überprüft werden, sondern zugleich ist die Arbeit in der heutigen Zeit so zu gestalten, dass die Mitarbeiter eigenverantwortlich Lösungen entwickeln und umsetzen können.

Management und Führung

Organisationen sind offene soziotechnische Systeme, die über einen Zeitraum be-stimmte Ziele verfolgen. Die Lenkung und Gestaltung der Leistungserbringung er-folgt durch explizite Regelungen, wie Strategien, Strukturen, Pläne und Programme, durch die Arbeitsgestaltung und durch implizite Regeln, wie Normen, Werte, Kom-munikations- und Kooperationsstile.

Definition

Die Gestaltung und Regeln beziehen sich auf – die Verteilung der Ressourcen, Kompetenzen und Aufgaben – die Koordination der Entscheidungs- und Leistungsprozesse mit Ausrichtung auf die Zielerreichung sowie – die Entwicklung und Förderung von motivationalen und qualifikatorischen Potentialen.

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 39

Organisationen sind Teile von organisationalen Netzwerken und stehen in vielfältigen Austauschbeziehungen mit den Umwelten. (vgl. SCHREYÖGG, 2003 Kap. 1)

Kasten 2.2: Definition von Organisationen

Das Management eines Krankenhauses muss nicht nur dafür sorgen, dass eine Auslastung der Betten gesichert ist, sondern auch, dass die Arbeit in und zwischen den einzelnen Abteilungen innerhalb des Krankenhauses, wie Stationen, Laborato-rien, Ambulanz und Verwaltung koordiniert wird. Ebenfalls ist die Abstimmung mit Lieferanten oder externen Dienstleistern, wie Apotheken, technischen Diensten, Ent-sorgungsbetrieben, Wäschereien oder Großküchen zu organisieren. Die Arbeit muss den verschiedenen Berufsgruppen, wie Medizinern, Pflegepersonal, Technikern, In-formatikern und Verwaltungspersonal zugeteilt und innerhalb der Tätigkeitsbereiche aufgeteilt werden. Die Tätigkeiten müssen aufeinander abgestimmt und auf das Or-ganisationsziel hin ausgerichtet werden. Die Funktionsverteilung zwischen den Be-rufsgruppen und innerhalb von Tätigkeitsfeldern sowie zwischen den Menschen und der Technik bestimmt die Art der Arbeitsgestaltung (ULICH, 2005).

Beispiel „Krankenhaus“

In Abhängigkeit von der Art der Pflegeorganisation verändern sich nicht nur die Qualifikationsanforderungen an das Pflegepersonal, sondern auch die Aufgaben-schwerpunkte der Führung. Bei der traditionellen Funktionspflege werden vom Per-sonal vornehmlich Einzeltätigkeiten wie z.B. Körperpflege oder technische Dienst-leistungen für alle Patienten auf einer Station verlangt (Spezialistenrolle). Für die Stationsleitung ist die Planung, Koordination und Überwachung der Tätigkeiten des Pflegepersonals von vorrangiger Bedeutung. Demgegenüber verrichten die Pflege-kräfte in einer ganzheitlichen Bezugspflege viele Tätigkeiten an einer kleinen Gruppe von Patienten (Generalistenrolle). In diesem Fall übernimmt die Stationsleitung eine mit den Beteiligten abgestimmte Aufgabenkoordinierung mit dem Schwerpunkt der Förderung und Unterstützung der einzelnen Pflegekräfte, so dass sie selbständig und eigenverantwortlich die Pflege der Patienten übernehmen können. Voraussetzung ist eine entsprechende höhere Qualifizierung der Stationsleitung und des Pflegeperso-nals.

Arbeitsorganisation Arbeitstätigkeiten

Bei genauer Betrachtung geht es in Organisationen nicht um das Erreichen eines Zieles, sondern eher um ein Bündel von Zielen. Die einzelnen Menschen, die in einer Organisation zusammenarbeiten, verfolgen ganz unterschiedliche Ziele mit ihrer Arbeit, wie die Sicherung des Lebensunterhalts, die Ausübung einer interes-santen Tätigkeit, die Erzielung eines hohen Einkommens, die persönliche Weiter-qualifizierung und viele Dinge mehr. Ziele aus Sicht der Organisation können, wie im Falle des Krankenhauses, sowohl die optimale medizinische Versorgung der Patienten als auch die Erbringung einer kostengünstigen Dienstleistung sein (ELKE, MACHLEIT & ZIMOLONG, 1991).

Zielbündel

Im vorliegenden Zusammenhang stehen Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten als Ziele von Organisationen im Vordergrund. Sicherheit und Gesundheit sind nicht nur aus humanen und rechtlichen Gründen anzustreben, sondern sie stellen die Vor-

Sicherheit und Gesundheit als Organisationsziele

2.2 Organisation und Managementaufgaben

40

aussetzung für ein langfristig hohes Leistungsniveau eines Unternehmens oder einer Institution dar. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind die wichtigsten Leistungsträger jeder Organisation. Ihre Führung und Entwicklung beeinflussen nicht nur, ob die Beschäftigten zufrieden sind, sich engagieren, weniger von der täglichen Arbeit fern bleiben oder die Organisation verlassen, sondern auch, wie in einer Vielzahl von Studien gezeigt werden konnte, den Erfolg eines Unternehmens, gemessen anhand von Produktivitätskennzahlen, des finanziellen Gewinns, dem Marktwert oder der Qualität (vgl. Metaanalyse von HARTER, SCHMIDT & HAYES, 2002).

Bezogen auf unsere Beispielorganisation „Krankenhaus“ steht das Management vor einem gravierenden Problem: Wie können angesichts der hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten, sie liegen im Durchschnitt bei 17,6 Tagen pro Beschäftigten pro Jahr (VETTER, 2005) die Gesundheitsrisiken reduziert und die Attraktivität der Tätigkeit erhöht werden? Ein besonderes Problem stellen hierbei die Gesundheitsbeschwerden der älteren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dar. Die Menschen sind die wichtigste Ressource einer Organisation. Sie sind die internen Kunden. Die Berücksichtigung ihrer Gesundheit ist für den betrieblichen Erfolg ebenso wichtig wie das Eingehen auf die Wünsche der externen Kunden, im vorliegenden Fall, der Patienten. Die Tä-tigkeit des Pflegepersonals ist in vielen Fällen nicht nur mit erheblichen körperlichen Belastungen, wie schweres Heben und Tragen, oder Gesundheitsgefährdungen in Form von Infektionsgefahren verbunden, sondern die Pflegetätigkeit hat z. T. auch hohe psychische Beanspruchungen zur Folge. Diese Beanspruchungen können u. a. resultieren aus: Belastungen aufgrund der Arbeitsorganisation, der Schicht- und Nachtarbeit, der zunehmenden Arbeitsverdichtung, fehlender Unterstützung durch die Vorgesetzten, schlechten Betriebsklimas oder auch aus der mit der Tätigkeit ver-bundenen Verantwortung und dem hohen Anteil an Emotionsarbeit. Die Arbeit mit Menschen erfordert in vielen Fällen die eigenen Gefühle bewusst zu kontrollieren. Diese Emotionsarbeit führt vor allem dann zu einer hohen Beanspruchung, wenn die Gefühle, die gezeigt werden sollten, nicht mit den erlebten Gefühlen übereinstim-men, z. B. freundlich zu sein, obwohl man sich über das Verhalten eines Patienten ärgert. Man spricht in einem solchen Fall von emotionaler Dissonanz. (zur Emoti-onsarbeit s. ZAPF, 2002). Einen guten Überblick über Stand und Wandel der Tätig-keiten, Belastungen und Beanspruchungen im Pflegebereich liefert der Sammelband von KORUNKA und HOFFMANN (2005), der im Andenken an die Forschungsar-beiten des Arbeits- und Organisationspsychologen André Büssing herausgegeben wurde.

Beispiel „Krankenhaus“

2.2.2 Wandel von Organisationsformen

„Wir sind gewohnt, uns Unternehmen als abgeschlossene, integrierte Gebilde vor-zustellen. Sie sind physisch in Bürogebäuden und Fabrikanlagen untergebracht, in denen sich die Mitglieder der Unternehmung normalerweise aufhalten und in de-nen sich die erforderlichen Materialien, Betriebsmittel und Informationen befin-den. Die physischen Standortstrukturen und die arbeits- bzw. gesellschaftsrechtli-chen Vertragsbeziehungen zwischen den Unternehmensmitgliedern definieren im Bewusstsein der meisten Menschen die Grenzen einer Unternehmung.

Traditionelle Vorstellung

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 41

Weite Teile der Wirtschaft entsprechen diesem Lehrbuchmodell nicht mehr. Mo-dulare Organisationen, Netzwerke und Kooperationsgeflechte, elektronische Märkte, Telekooperationen und virtuelle Organisationsstrukturen sind schon heute Realität. Die klassischen Grenzen der Unternehmung beginnen zu verschwimmen, sich nach innen und nach außen zu verändern, teilweise sich aufzulösen. An die Stelle tief gestaffelter Unternehmenshierarchien, die primär nach Befehl und Ge-horsam funktionieren, treten zunehmend dezentrale, modular zerlegte Gebilde, die von Autonomie, Kooperation und indirekter Führung geprägt sind.“ Mit dieser Kennzeichnung beschreiben PICOT, REICHWALD und WIGAND (1998, S. 7) die heute vorherrschende Organisation, d. h. "Die grenzenlose Unternehmung".

Neue Organisations- formen

Unternehmen werden immer seltener gegenüber der Umwelt als relativ gut ab-grenzbar, dauerhafte, integrierte und raum-zeitlich klar definierte Gebilde aufzu-fassen sein. Neue Formen und Konzeptionen wirtschaftlicher Arbeitsteilung in-nerhalb und zwischen den Unternehmen entwickeln sich. Sie drücken sich in neu-en Formen modularisierter, teilweise virtualisierter Unternehmungen aus, die problemabhängig und flexibel in Netzwerken mit vor- und nachgelagerten Part-nern kooperieren (s. Kasten 2.3).

In hierarchisch-strukturierten Organisationen ist die Verteilung von Verantwortlich-keiten, Kompetenzen und Aufgaben, die Gestaltung von Abläufen und Vorgehens-weisen sowie die Koordination in Form eines Systems von abgestuften Zuständigkei-ten durch eindeutige Über- und Unterordnungen explizit geregelt. In Abhängigkeit von der Anzahl der Hierarchieebenen wird von flachen versus steilen Hierarchien o-der zentralen versus dezentralen Organisationsstrukturen gesprochen.

Organisationsformen

SIFA Betriebsarzt

SIBA

Meister

Ab teilungsle iter

Hauptabte ilungsleiter

Betriebsleiter

In flachen Organisationen übernehmen relativ kleine und überschaubare Einheiten in Form von dauerhaften Arbeitsgruppen oder zeitlich befristeten Projektteams die ei-genständige Bewältigung von Aufgaben. Sie bestimmen ihre Ziele im vorgegebenen Rahmen selbst, tragen die Verantwortung für Entscheidungen und Ergebnisse. Die Koordination der Aktivitäten innerhalb und zwischen den Modulen erfolgt durch Selbstabstimmung und Selbstorganisation sowie durch Heterarchie, d.h. in Abhän-gigkeit vom Bedarf ändern sich die hierarchischen Beziehungen zwischen Individuen oder Systemen (Projektorganisationen). PICOT et al. (1998) sprechen von modularen Organisationen. Netzwerke können sich auf die Zusammenarbeit innerhalb oder zwischen Organisati-onen beziehen. Sie zeichnen sich durch nicht genau definierte Grenzen aus: Autono-me Personen, Gruppen oder Systeme handeln unabhängig voneinander. Verantwor-tung, Entscheidungsprozesse und Macht sind über das ganze Netzwerk verteilt. Per-sonen innerhalb von Netzwerken nehmen mannigfaltige Rollen wahr: Sie sind entwe-der Schlüsselstellen oder Verbindungsknoten. Es findet eine Balance zwischen indi-viduellem und kollektivem Interesse statt. Der Zusammenhalt der Netzwerke erfolgt vor allem durch gemeinsame Interessen, Normen und Werte (vgl. HARRIS, 1985, S.254). Virtuelle Organisationen stellen ein dynamisches Netzwerk unabhängiger Unterneh-men, Unternehmenseinheiten oder Aufgabenträger dar, die sich temporär für einen bestimmten Zweck zusammenschließen. Es handelt sich um eine geschäftsorientierte Partnerschaft auf Zeit. Virtuell bezieht sich auf die zeitliche und räumliche Verteilt-heit der Zusammenarbeit. Globale Rechnernetzwerke erlauben die Bündelung von Aktivitäten über beliebige Entfernungen und Zeiträume hinweg. (vgl. FÜSER, 1997, S. 160)

2.2 Organisation und Managementaufgaben

42

Kasten 2.3: Organisationsformen

Kunden verlangen individuelle, speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Pro-dukte und Problemlösungen. In vielen Bereichen bestimmt nicht mehr alleine die Produktqualität über den Kauf eines Konsumgutes, sondern die gleichzeitig ange-botenen Dienstleistungen. Beispielsweise können technisch wenig versierte Kun-den den Kauf ihres Computers u. a. von dem Beratungsangebot des Computer-händlers abhängig machen. Für sie ist neben der Leistungsfähigkeit des Compu-ters wichtig, ob sie bei der Implementierung und Konfiguration diverser Soft-warepakete beraten und unterstützt oder sie auch nach dem Kauf zuverlässige und schnelle Hilfe bei Problemen erhalten werden. Der Kunde möchte mit Hilfe des Computers seine Kommunikationsmöglichkeiten optimieren und nicht nur ein technisch hochwertiges Produkt kaufen. Die Zufriedenheit des Kunden wird, wie in vielen Studien gezeigt werden konnte, zum Teil stärker durch die Qualität der Serviceleistungen als durch die Leistungsfähigkeit des Produktes beeinflusst. Der Kunde macht die Qualität vor allem daran fest, ob der Service zuverlässig und kompetent erbracht wird, auf den Kunden individuell und freundlich eingegangen und er schnell bedient wird (vgl. Forschungsarbeiten ZEITHAML, PARASU-RAMAN & BERRY u. a. 1990). Die Servicemitarbeiter und ihr Verhalten im direkten Kundenkontakt werden damit zentral für die Leistung und den Erfolg eines Unternehmens. Bereits heute haben nach vorliegenden amtlichen Statistiken bereits 70% aller Erwerbstätigen in ihrem Arbeitsalltag Dienstleistungstätigkeiten zu erbringen (Überblick s. ELKE & ZIEMECK, 2006; speziell zur Kundenorien-tierung s. NERDINGER, 2003).

Zunehmende Bedeutung von Dienstleistungen

Flexibilität und Innovationsfähigkeit sind zu den neuen Leitbildern unternehmeri-schen Handeln geworden. Die strategischen Potentiale zur Erzielung von Wett-bewerbsvorteilen verschieben sich von den traditionellen Faktoren, wie z.B. Pro-dukt- und Prozesstechnologie, finanziellen Ressourcen, geschützte bzw. regulierte Märkte zunehmend in Richtung auf einen adäquaten Einsatz und das Management der Ressource Mensch. Sie zwingen die Unternehmen dazu, die Entwicklung und Ausschöpfung der Fähigkeiten und Potentiale der Mitarbeiter als wichtiges Wett-bewerbspotential zu erkennen. Damit geraten die tayloristisch und stark hierar-chisch gegliederten Organisations- und Produktionskonzepte unter Druck. Team-orientierte Organisationsmodelle, die eine flexible und problemabhängige Vernet-zung und Zusammenarbeit ermöglichen, bilden die Voraussetzung damit sich die Kreativitäts- und Leistungspotenziale der Menschen entfalten können, der Mitar-beiter als "Unternehmer im Unternehmen" handeln kann (PICOT, REICHWALD & WIGAND, 2003).

Neue Leitbilder

Im Rahmen dezentraler und vernetzter Unternehmen lassen sich verschiedene Typen dezentraler Arbeitsformen unterscheiden, angefangen mit autarken Einzel-arbeitsplätzen bis hin zu Teamkonzepten und teilautonomen Arbeitsgruppen (ZI-MOLONG & SAURWEIN, 1995). Grundsätzlich zeichnen sich Gruppenkon-zepte, wie u. a. auch die ganzheitliche Bezugspflege im Beispiel Krankenhaus, durch eine zunehmende Integration von managementbezogener und ausführender

Dezentrale Arbeitsformen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 43

Arbeit aus. Damit verschieben sich Entscheidungskompetenzen von den Füh-rungskräften zu den Mitarbeitern. Die volle Leistungsentfaltung der Mitarbeiter setzt deren Einbeziehung in Entscheidungsprozesse voraus. Das kann nicht zuletzt deshalb sinnvoll sein, weil die Mitarbeiter häufig durch ihre Kunden- und Pro-zessnähe über ein großes Wissenspotential bezüglich der Optimierung von Ar-beitsprozessen und der Erfüllung von Kundenwünschen verfügen.

Einen Gestaltungsvorschlag für die Koordination der Aktivitäten in Netzwerk-strukturen liefert das von LIKERT (1967) auf der Grundlage empirischer Studien entwickelte „System 4“, das als Grundmodell aller modernen Teamorganisationen angesehen wird (s. Kasten 2.4; vgl. SCHREYÖGG, 2003, S. 252ff).

System 4

Das System 4 beruht im Wesentlichen auf den folgenden drei Basiskonzepten: 1. Prinzip unterstützender Beziehungen: Die Führung und andere Prozesse in der Or-

ganisation sind so einzurichten, dass alle Interaktionen und Beziehungen von Or-ganisationsmitgliedern als unterstützend und wertschätzend erlebt werden.

2. Gruppenentscheidungen, Gruppensupervision und überlappende Gruppen als Or-ganisationsform: Im Mittelpunkt des Managementhandelns und der Organisations-strukturen steht die Gruppe. Obwohl der Vorgesetzte für alle Entscheidungen, ihre Umsetzung und Ergebnisse verantwortlich ist, sind die Entscheidungen gemeinsam mit der Gruppe zu fällen und das Führungsverhalten durch die Gruppe zu supervi-dieren. Charakteristisch für die Aufbauorganisation ist, das jede Arbeitsgruppe ei-ner Organisation durch eine Person, die mehr als einer Gruppe angehört, mit dem Rest der Organisation verbunden ist. Personen, die über eine überlappende Grup-penmitgliedschaft verfügen, bilden die sogenannten „linking pins“.

3. Hohe organisationale Leistungsziele: Organisationen des Systems 4 setzen sich Ziele, die möglichst optimal sind. Die Bedürfnisse und Wünsche der Organisati-onsmitglieder, Aktionäre, Kunden, Zulieferer und anderen Personengruppen, die ein Interesse an dem Unternehmen haben, integrieren. Das System 4 führt zu hohen Leistungszielen der Organisation, jeder Organisationseinheit und bei jedem Orga-nisationsmitglied. Das Fehlen hoher Leistungsziele verweist auf Schwachstellen in den organisationalen Interaktionsprozessen und/oder auf Fehler hinsichtlich des Erkennens der situativen Erfordernisse (vgl. LIKERT, 1967, p. 47 ff).

Kasten 2.4: Basiskonzepte des Systems 4

Das System schafft in Form überlappender Gruppen die strukturellen Bedingun-gen für eine hierarchie- und/oder funktionsbereichübergreifende Zusammenarbeit. Der lateralen Vernetzung durch so genannte „cross-linking-groups“ entspricht die heutige Matrix-Projektorganisation mit ihren Projektteams. Sie wird im System 4 überall dort vorgeschlagen, wo die vorhandenen Kommunikationskanäle zu um-ständlich sind.

Während das Nachfolgemodell, System 5, bereits von dezentralen Organisations-strukturen ausgeht, handelt es sich bei dem System 4 um einen Ansatz zur Umges-taltung von hierarchisch-strukturierten zu modularen Organisationen.

Flachere Organisationen und die im Rahmen von Gruppenkonzepten erfolgende Aufgabenintegration führen zu einer verstärkten Verlagerung von Verantwortung, Handlungs- und Entscheidungsspielraum auf die Mitarbeiter. In gleichem Maße

Verlagerung von Verantwortung

2.3 Umfelder und Vernetzung

44

werden die Führungskräfte von ihren traditionellen Managementaufgaben entbun-den. Dies führt zu einem neuen Aufgaben- und damit Anforderungsspektrum für die Führungskräfte.

Die Prozesse haben zur Folge, dass die Mitarbeiter über mehr Macht verfügen. In diesem Zusammenhang verwendet man den Begriff "Empowerment" der Mitar-beiter. Den Mitarbeitern wird das Vertrauen entgegengebracht, dass sie ihre Ar-beit im Sinne der Unternehmensziele ausführen und das Gefühl vermittelt, dass ihr Einsatz, ihre Kompetenz und Kreativität maßgeblich zum Erfolg des Unter-nehmens beitragen.

In hierarchischen Organisationen gestalten Führungskräfte Arbeit und ordnen sie einzelnen Mitarbeitern zu. Ebenso beaufsichtigen, kontrollieren und überprüfen sie die Arbeit, die von einem Mitarbeiter zum nächsten weitergegeben wird. Gruppen sind unter Umständen in der Lage, dies alles selbst zu tun. Statt vorran-gig Überwachungsfunktionen auszuüben, fördern jetzt die Manager im Rahmen von Gruppenkonzepten die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten, damit sie in die Lage versetzt werden, die Prozesse eigenverantwortlich durchzuführen. Das Manage-ment trägt daher die Verantwortung dafür, Prozesse so zu konzipieren und zu ko-ordinieren, dass die Mitarbeiter die erforderlichen Aufgaben erfüllen können und durch die Gestaltung von Leistungsbewertungs- und Vergütungssystemen die Mo-tivation der Mitarbeiter gefördert wird. Die Rolle der Führungskraft wandelt sich zunehmend vom traditionellen Arbeitsanweiser und Arbeitskontrolleur hin zum Berater und Coach, um die Kreativität und Arbeitsleistung der Mitarbeiter zu för-dern. Wesentliche Aufgabe der Manager wird es sein, Mitarbeiter und Teams zu koordinieren, unterstützend zu beraten und zur Selbstführung zu befähigen.

Neue Führungsaufgaben

2.3 Umfelder und Vernetzung

2.3.1 Politisch-rechtliches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld

Zwischen Organisationen und ihren Umfeldern bestehen wechselseitige Abhän-gigkeiten: Unternehmen gestalten durch ihre Geschäftspolitik, strategische Ko-operationen oder betriebliches Handeln ihre Umwelt mit und die Umwelt beein-flusst das Geschehen in den Organisationen. Das flexible und schnellere Reagie-ren der Unternehmen auf die Anforderungen des Umfeldes in Form von kürzeren Lieferzeiten, kurzfristiger Berücksichtigung von individuellen Kundenwünschen oder der präventive Schutz vor neuen Gesundheitsrisiken oder potentiellen Um-weltgefährdungen erfordern auf der einen Seite neue Formen der Arbeitsgestal-tung und der Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens und auf der anderen Seite neue Formen überbetrieblicher Kooperationen und des Managements von Netzwerken.

Überbetriebliche Kooperationen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 45

Nachfolgend werden beispielhaft einige für das Management des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes (AGS) wichtige externe Einflussgrößen aus den Umfeldern: „Politik“, „Wirtschaft“ und „Gesellschaft“ skizziert sowie auf über-greifende Kooperationen zwischen den Akteuren aus den unterschiedlichen Fel-dern eingegangen.

Politisch-rechtliches Umfeld Im Grundgesetz (§ 2) ist die Pflicht des Staates verankert, das Leben und die Ge-sundheit der Beschäftigten zu schützen. Konkretisiert wird diese staatliche Schutzpflicht durch weitergehende Gesetze, u. a. im Sozialgesetzbuch (SGB), im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), und durch die Vorschriften für die Gestaltung, Umsetzung und Kontrolle des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes (AGS).

Gesetze

Im letzten Jahrzehnt hat sich ein grundlegender Perspektivenwechsel im Arbeits- und Gesundheitsschutz vollzogen. Während der klassische Arbeitschutz in Deutschland durch Aufsichtsmaßnahmen, eine technische Orientierung und eine passive Rolle der Beschäftigten geprägt war, zielen die neueren Gesetze, wie das ArbSchG von 1996, auf einen nachhaltigen, präventiven Arbeits- und Gesund-heitsschutz. Kennzeichen sind eine frühzeitige und präventive Erfassung von ar-beitsbedingten Gesundheitsgefahren, Einbeziehung aller betrieblichen Akteure in die Prävention und ein auf der Organisationsebene ansetzendes, systematisches Management der Gesundheitsgefahren. Durch eine Gesundheitsförderung sollen prospektiv die Gesundheitspotenziale gestärkt werden.

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben haben nicht nur eine Reihe von innerbetrieb-lichen Akteuren, sondern auch eine Vielzahl von außerbetrieblichen Institutionen und Akteuren bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Zu den im politischen Kon-text wichtigsten Institutionen, die von außen einen Einfluss auf den innerbetrieb-lichen AGS haben, sind die Berufsgenossenschaften, die Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz und die Krankenkassen zu zählen. Eine Skizzierung ihrer zentralen Aufgaben findet sich im Kasten 2.5.

Außerbetriebliche Institutionen des AGS

Die vom Arbeitsschutzgesetz seit August 1996 geforderte Durchführung von Ge-fährdungsbeurteilungen an allen Arbeitsplätzen erfordert auf Seiten der Unter-nehmen ein neues systematisches Vorgehen bei der Ableitung und Überprüfung ihrer AGS-Maßnahmen. Konkret müssen die mit jeder Tätigkeit verbundenen Sicherheits- und Gesundheitsgefährdungen unter Beteiligung der Mitarbeiter be-urteilt werden. Die Betriebe sind nicht nur aufgefordert, Instrumente zur Erfas-sung, Beurteilung und Dokumentation von Gefährdungen zu beschaffen oder zu entwickeln, sondern sie müssen auch genau planen, wie die Analysen abgestimmt und möglichst ohne zusätzliche Kosten im normalen Arbeitsalltag durchgeführt werden können. Zudem sind die Mitarbeiter entsprechend zu qualifizieren. Für Großunternehmen stellt sich aufgrund der Anzahl der verschiedenen Arbeitsplätze oder Tätigkeiten ebenso wie für kleinere Betriebe die Frage nach den personellen

Gefährdungs-beurteilungen § 5 ArbSchG

2.3 Umfelder und Vernetzung

46

und zeitlichen Ressourcen. In beiden Fällen kann das Problem die Heranziehung externer Berater bzw. Beratungsunternehmen notwendig machen.

Staatliche Arbeitsschutzbehörden: Sie tragen in den verschiedenen Bundesländern ver-schiedene Namen (z.B. NRW: Staatliche Ämter für Arbeitsschutz; Bayern: Gewerbeauf-sichtsämter; Brandenburg: Ämter für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik). Ihre Funkti-onen und Aufgaben sind aber im Wesentlichen gleich. Die traditionelle Funktion der staatlichen Arbeitsschutzbehörden liegt in der Überwachung des staatlichen Arbeits-schutzrechts. Sie wurde mit dem ArbSchG um einen Auftrag zur Beratung des Arbeitge-bers bei der Umsetzung des Arbeitsschutzrechts ergänzt (§ 22 Abs. 1 ArbSchG). Berufsgenossenschaften: Die für die Privatwirtschaft wichtigsten Unfallversicherungs-träger sind die Berufsgenossenschaften (BGn). Die einzelnen BGn sind für bestimmte Branchen oder Regionen mit der Arbeitsunfallversicherung betraut. Es gibt insgesamt 35 gewerbliche und 20 landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften. Daneben gibt es beson-dere Unfallversicherungsträger für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes oder öf-fentlicher Unternehmen (z. B. die Landesunfallkasse, die Feuerwehrunfallkassen etc.). In ihrer Funktion als Unfallversicherungsträger haben die BGn Arbeitsunfälle und Be-rufskrankheiten (d.h. Krankheiten, die auf der Berufskrankheitenliste stehen und die auf die ausgeübten Tätigkeiten des versicherten Arbeitnehmers zurückführen sind) durch die Zahlung von Renten oder Abfindungen zu entschädigen. Darüber hinaus sind die Be-rufsgenossenschaften verpflichtet, im Versicherungsfall (d.h. nach einem Arbeitsunfall oder im Falle einer Berufskrankheit) die Kosten der Heilbehandlung und der Rehabilita-tion zu tragen sowie Verletztengeld bzw. Übergangsgeld zur wirtschaftlichen Absiche-rung des Verletzten zu zahlen. Die genannten Aufgaben und Leistungen der Berufsgenos-senschaften setzen erst an, wenn ein Versicherter (Arbeitnehmer) durch die Arbeit ge-schädigt worden ist. Primäre Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung ist es aber, derartige Versicherungsfälle zu vermeiden, d.h. Prävention (§ 1 Nr. 1 SGB VII) zu bet-reiben. Umgesetzt wird dieser gesetzliche Auftrag von den BGn u. a. durch den Erlass von Unfallverhütungsvorschriften (§ 15 SGB VII), das Angebot von Aus- und Fortbil-dung der betrieblichen Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (§ 23 SGB VII) sowie die Überwachung und Beratung der Unternehmen durch ihre Aufsichtspersonen. Krankenkassen: Aufgabe der Krankenkassen (KK, z.B. AOK, BKK oder Ersatzkassen) als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist es, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 Abs. 1 SGB V). Zu ihren wesentlichen Leistungen zählt die Krankenbehandlung (ärztliche Be-handlung, Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln, Krankenhausbehandlung etc.) und die Zahlung von Krankengeld zur Kompensation des Ausfalls von Entgeltansprüchen, insbe-sondere nach dem Auslaufen der 6-wöchigen Lohnfortzahlung des Arbeitgebers. Die KK tragen damit einen wesentlichen Teil der Kosten für die so genannten arbeitsbedingten Erkrankungen, d.h. für Krankheiten, die nicht von den Berufsgenossenschaften als Be-rufskrankheiten entschädigt werden, gleichwohl aber im Zusammenwirken mit anderen Faktoren auch auf die Arbeit zurückzuführen sind. Die Rolle der KK reduziert sich nicht auf die Rolle eines Kostenträgers. Nach § 20 Abs. 1 SGB V haben sie mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsge-fahren zusammenzuarbeiten und diese über Erkenntnisse, die sie über die Zusammenhän-ge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen gewonnen haben, zu unterrichten (s. Kap. 5.2.1). Die Befugnisse und Möglichkeiten der KK auf die versicherten Risiken ein-zuwirken sind deutlich geringer als bei den BGn ausgeprägt. Sie haben keine Rechte zur Überwachung und zur Formulierung von verbindlichen Anforderungen an eine gesund-heitsgerechte Arbeitsgestaltung analog den Unfallverhütungsvorschriften der BGn.

Kasten 2.5: Außerbetriebliche Institutionen des AGS und ihre gesetzlichen Aufgaben

Eine Studie, die vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS, 1997) durchgeführt wurde, macht den Unterstüt-

Informationsbedarf von KMU

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 47

zungs- und Informationsbedarf im AGS vor allem von kleinen und mittleren Un-ternehmen (KMU) sehr deutlich. Die 349 befragten Unternehmen bis 250 Be-schäftigte aus dem produzierenden Gewerbe gaben an, dass betriebliche Informa-tionsmängel besonders zu wirtschaftlichen Aspekten des AGS, zur Belastungs-/Gefährdungsermittlung, zu Rechtsvorschriften, zu psychischen Belastungen und zu Umgebungsbelastungen bestehen. Weitere Mängel wurden zum Heben und Tragen, zur persönlichen Schutzausrüstung, zum Brand- und Explosionsschutz sowie zu Gefahrstoffen und zur Gestaltung von Maschinen und Anlagen festge-stellt.

Dienstleistungen zur Unterstützung der Betriebe bei der Umsetzung der gesetzli-chen Forderungen werden sowohl von den öffentlich-rechtlichen Institutionen, wie den Berufsgenossenschaften, Bundesanstalten, Ämtern für Arbeitsschutz, Umweltbehörden und den Krankenkassen als auch von den Industrie- und Han-delskammern, den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften und natürlich auch von privatwirtschaftlichen Organisationen angeboten. Diese Beratungsangebote, die auch Zertifizierungen umfassen können, stellen wichtige externe Einflussgrö-ße des betrieblichen AGS dar. Sie steuern durch das Angebot inhaltlicher Lösun-gen bzw. die Setzung von bestimmten Standards. Allerdings ist die Inanspruch-nahme der Dienstleistung nicht nur von der Information, sondern vor allem von der Akzeptanz, von dem Verhältnis der Kosten zu dem Nutzen aus Sicht der Un-ternehmen abhängig.

Externe Dienstleister

Wirtschaftliches Umfeld Der Wettbewerb in einer Branche wird durch neue Konkurrenten, dem Angebot von Ersatzprodukten, den Lieferanten und Abnehmern, d.h. den Beschaffungs- und Absatzmärkten beeinflusst. Die „Verschlankung“ der Produktion, die in vie-len Fällen mit der Auslagerung („outsourcing“) von betrieblichen Leistungen, wie Wartung und Instandhaltung, betriebliche Qualifizierung bzw. der Vergabe dieser Aufgaben an Partnerfirmen oder Kontraktoren einhergeht, hat insgesamt zu einer Erhöhung des Einflusses der Lieferanten geführt. Für das Management des AGS ergeben sich aus diesen Veränderungen grundlegend neue Herausforderungen. Die bisher auf den einzelnen Betrieb begrenzte Arbeitsteilung und die damit zugleich wiederum notwendige Koordination werden durch die Strategie des „outsourcing“ auf die überbetriebliche Ebene ausgedehnt. Konkret stellt sich für viele Großunternehmen, denen es gelungen ist, die Arbeitsunfälle auf ein Mini-mum zu reduzieren, die Frage: Wie können die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Partnerfirmen oder Kontraktoren, die für sie zumeist nur eine begrenzte Zeit arbeiten, ebenfalls den eigenen hohen Sicherheitsstandards gerecht werden?

Beschaffungs- und Absatzmärkte

Beispielsweise arbeiten bei der jährlichen einwöchigen Instandhaltung in einer großen Raffinerie der Shell AG über 200 Arbeitnehmer aus unterschiedlichen Kontraktorfirmen auf dem Betriebsgelände. Neben täglichen Unterweisungen, Sicherheitsgesprächen, Kontrollen vor Ort und vielen anderen Aktivitäten ver-

Kontraktoren

2.3 Umfelder und Vernetzung

48

sucht das Unternehmen, das Problem langfristig durch eine Eingangskontrolle in Form einer gezielten Auswahl der Kontraktoren zu lösen.

Die Shell AG entwickelte gemeinsam mit anderen Mineralöl- und Chemieunter-nehmen in Deutschland und den Niederlanden ein einheitliches und gegenseitig anerkanntes Auditierungssystem, das SCC (Sicherheits-Certifikat-Contraktoren). Das SCC stellt eine umfangreiche Checkliste zur Beurteilung der betrieblichen Leistungen im Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz, einschließlich der Füh-rung, zur Verfügung und liefert damit ein einheitliches Bewertungsraster, einen Standard oder Maßstab zur Beurteilung der Qualität der Sicherheitsleistungen der Kontraktorfirmen und ihrer Mitarbeiter (s. Tab. 2.1). Das über den deutschen Mi-neralölwirtschaftverband in der BRD eingeführte SCC stellt für die beteiligten Unternehmen ein überbetriebliches Steuerungsinstrument zum Erhalt des eigenen z. T. sehr hohen Niveaus im AGU dar. Sie arbeiten nur mit Partnerfirmen zusam-men, die ebenfalls hohe AGU-Standards im Alltag umsetzen. Für die Kontrakto-ren stellt die SCC-Zertifizierung die Erfüllung einer Kundenforderung und damit ein Wettbewerbsvorteil dar.

Sicherheits-Certifikat-Contraktoren SCC

Tabelle 2.1: Fragenbereiche des SCC und ihre Gewichtung (WILMERS, 2005).

Inhaltliche Bereiche Fragen Punkte

SGU*-Politik und Organisation 10 25

Gefährdungsermittlung und -bewertung 4 5

Personalauswahl 3 10

Information und Ausbildung 6 30

SGU*-Kommunikation 4 15

Regeln, Vorschriften, Projektsicherheitsplan 9 45

SGU*-Inspektionen / Beobachtungen 2 10

Betriebliches Gesundheitswesen 4 5

Einkauf und Prüfung der Materialien, Geräte und Leitungen 6 30

Meldung, Registrierung und Untersuchung von Zwischenfällen und unsicheren Situationen 6 35

* Sicherheit, Gesundheit, Umwelt

Andere Formen der marktbezogenen Steuerung zur Verbesserung des betriebli-chen AGS setzen auf Abnehmerseite bei der Beschaffung und auf Anbieterseite beim Marketing an. Erreicht werden soll, im Sinne eines präventiven AGS, eine frühzeitige Kontrolle von Risiken. Beispielsweise können im Metall verarbeiten-den Gewerbe durch den Einkauf von gesundheitsverträglichen Arbeitsstoffen (Schmierstoffe, Reinigungsmittel etc.) und sicheren Arbeitsmitteln (Maschinen, Werkzeugen, Leitern etc.) die Gesundheitsgefahren am Arbeitsalltag vorbeugend ausgeschaltet oder verringert werden. Ein präventiver Umweltschutz kann u. a.

Marktbezogene Steuerung

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 49

durch die Auswahl von Entsorgungsdienstleistern forciert werden. Aus Perspekti-ve der Anbieter von entsprechenden Arbeitsstoffen und –mitteln oder Entsor-gungsleistungen können präventionsorientierte Angebote als zusätzliche Profilie-rung auf dem Markt genutzt werden.

Eine Untersuchung, an der 62 Betriebe mittlerer Größe aus der Metallbranche teilgenommen haben, unterstreicht sowohl die Bedeutung als auch den Hand-lungsbedarf zur Unterstützung eines präventiven AGS durch Marktpartner bzw. in Geschäftsbeziehungen (KOTHE, ZIMOLONG & ELKE, 2005). Ein großer Teil der befragten KMU setzt präventionsorientierte Anforderungen bei der Beschaf-fung um. In ihrer Beschaffungsprogrammpolitik stehen Sicherheit, Gesundheits- und Umweltverträglichkeit als präventionsorientierte Grundanforderungen gleich-berechtigt neben wirtschaftlichen Kriterien wie Leistungsfähigkeit und Preis. Auch die Unterstützung bei der Arbeitsstoffwahl wurde als produktbegleitende Dienstleistung von vielen Betrieben gefordert. Allerdings weisen die Ergebnisse auch auf Verbesserungspotenziale hin.

Prävention in Marktbeziehungen

Neben der strategischen Beschaffungsentscheidung und der Beschaffungspolitik wurde auch das präventionsorientierte Leistungsangebot am Markt untersucht. Eine präventionsorientierte Beschaffungspolitik setzt voraus, dass den Anforde-rungen bei der Beschaffung auch ein entsprechendes Angebot von Produkten und Dienstleistungen auf der Seite der Anbieter gegenübersteht. Im Marketing der untersuchten Arbeitsstoffanbieter wurden sowohl wirtschaftliche als auch Um-weltaspekte stark betont. Für die Arbeitsstoffanbieter hatten allerdings Ergebnisse der rechtlich vorgeschriebenen Ersatzstoffprüfungen und verständliche Sicher-heitsdatenblätter als Anforderungen an die Arbeitssicherheit und Gesundheit ei-nen geringeren Stellenwert als für die Abnehmerseite. Auch die Dienstleistungs-angebote der Arbeitsstoffanbieter hätten die Abnehmer stärker unterstützen kön-nen. Im Marketing der Maschinenanbieter wurde in erster Linie die Leistungsfä-higkeit der Maschinen betont. Der AGS hatte hier einen geringeren Stellenwert.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass insgesamt in der untersuch-ten Stichprobe neben wirtschaftlichen auch den präventionsorientierten Kriterien für die Beschaffung eine wichtige Rolle zukommt. Für das Marketing der Anbie-ter stehen dagegen in Übereinstimmung mit anderen Studien überwiegend wirt-schaftliche Anforderungen im Vordergrund. Die präventionsorientierten Anforde-rungen der KMU werden nicht vollständig erfüllt. Daraus lässt sich schließen, dass einiges Marktpotenzial in präventionsorientierten Produktverbesserungen und Dienstleistungsangeboten liegt, wodurch auch der AGS in den KMU stärker marktseitig unterstützt werden könnte. Insbesondere im verstärkten Angebot von präventionsorientierten, produktbezogenen Dienstleistungsbündeln dürfte für die Anbieter ein großes wirtschaftliches Potenzial liegen (KOHTE et al., 2005).

Marktpotenzial von präventionsorientierten Angeboten

Neben den Einflüssen des Beschaffungs- und Absatzmarktes wirkt sich auch die jeweilige Arbeitsmarktlage auf den betrieblichen AGS aus. In vielen Fällen spielt

Arbeitsmarktlage

2.3 Umfelder und Vernetzung

50

die Gesundheit, wenn die materielle Existenzsicherung in Frage gestellt ist, eine nachgeordnete Rolle. Beispielsweise haben Kurzarbeit und der Abbau von Ar-beitsplätzen einen signifikanten Einfluss darauf, ob in einem Betrieb die Reduzie-rung von Arbeitsbelastungen überhaupt angesprochen wird. Andere empirische Befunde verweisen auf extrem hohe Arbeitsbelastungen der „Neuen Selbständi-gen“, und die Gesundheitsrisiken von Kraftfahrern, von Beschäftigten im Bauge-werbe, in Versicherungen und Kaufhäusern, die aus Gründen des Arbeitsplatzer-halts einen (pro forma-) Vertrag als selbständige Unternehmer eingegangen sind. In einer Vielzahl von Zulieferbetrieben ist eine massive Zunahme problematischer Beschäftigungsverhältnisse, wie befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit, kurzfristi-ge Einsätze von Fremdfirmen, bei einer gleichzeitig deutlichen Erhöhung der Ar-beitsbelastungen in Form eines zunehmend verschärften Leistungsdruckes, der Arbeit auf Abruf sowie Nacht- und Wochenendarbeit, zu beobachten (MARSTEDT & MERGNER, 1995, S. 76f; KASTNER et. al., 2001).

Gesellschaftliches Umfeld Das Gesundheits- und Umweltbewusstsein in unserer Gesellschaft ist in den letz-ten Jahren gestiegen. Diese Entwicklung wurde vor allem durch die Aktivitäten der Medien, einzelner Gruppen, wie Greenpeace, Bürgerinitiativen, Verbraucher-verbänden, Parteien und auch durch das Erziehungswesen, wie Kindergarten und Schule, vorangetrieben. Nicht zuletzt war es die Arbeit der Berufsgenossenschaf-ten, der Betriebsräte und der Gewerkschaften, die mit ihren Aktivitäten in den Betrieben, den überbetrieblichen Gremien und Verbänden und durch die Medien-arbeit das Gesundheitsbewusstsein sowie die Einstellung zur Qualität der Arbeit entscheidend beeinflusst haben (u. a. Broschüre der IG METALL (1998), das Pro-jekt „Gute Arbeit“ (IGM, 2005); Thesen des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG, 1997). Zugleich ist ein zunehmender Einfluss der Öffentlichkeit auf die Unternehmen und ihr Management des AGS zu beo-bachten. Gesetzliche Vorgaben, wie die vorgeschriebene Anhörung von Betroffe-nen im Rahmen von Genehmigungsverfahren, stützen ebenso wie die Einführung des Öko-Audits die Einflussnahme der Öffentlichkeit. Umweltschädigendes Han-deln von Unternehmen kann sich, wie die Aktionen im Zusammenhang mit der Entsorgung der Ölplattform „Brent Spar“ in 1995 gezeigt haben, in erheblichen Gewinneinbußen für einzelne Unternehmen niederschlagen (SPIEGEL 25/1995). Umgekehrt können Umweltverträglichkeit und Gesundheitsförderlichkeit in be-stimmten Marktsektoren auch zu Wettbewerbsvorteilen führen, wie die Zunahme von alternativen Produkten im Bereich der Reinigungsmittel, der Bekleidungsin-dustrie oder Kosmetikartikel zeigen. Zugleich nehmen Angebot und Nachfrage von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen zu. Beispielsweise gibt es immer mehr ambulante Pflegedienste oder auch Hotels, die auf Wellness als Leistungs-angebot setzen (NEFIODOW, 1999).

Öffentlichkeit Gruppen Verbände

2.3.2 Präventionsnetzwerke

In den unterschiedlichen Feldern sind nicht nur viele Akteure und Institutionen mit dem Gut „Gesundheit“ beschäftigt, sondern es gibt auch eine Fülle von In-

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 51

formationen und Ressourcen für eine nachhaltige Sicherung und Förderung unse-rer Gesundheit. Die entscheidende Herausforderung besteht allerdings darin wie z. B. auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene ein Zugang zu diesem Wissen und seine Umsetzung erreicht werden können. Die zu beobachtenden Lösungsan-sätze weisen in allen drei zuvor skizzierten Feldern in Richtung von Netzwerkbil-dung.

Die gemeinsame Entwicklung des Auditverfahrens SCC und damit die Vereinba-rung von einheitlichen Bewertungs- und Auswahlkriterien von Kontraktoren zwi-schen verschiedenen Unternehmen ist eine Strategie, die in Zeiten eines hohen Konkurrenzdruckes verstärkt eingesetzt wird. Unternehmen versuchen die Un-wägbarkeiten der Umwelten aktiv durch Kooperation mit den konkurrierenden Un-ternehmen abzumildern. Sie bilden Netzwerke, die sowohl für Flexibilitäts- als auch Größenvorteile sorgen. REISS (1997) formuliert: „In einem wohl organisier-ten Netzwerk bewahren einzelne Netzwerkknoten - als Davids - ihre Stärken, wäh-rend der Verbund im ganzen über die Stärke eines Goliath verfügt“.

Betriebliche Netzwerke

Netzwerkansätze gewinnen in zunehmendem Maß auch in der Prävention empi-risch an Bedeutung (Beispiele s. Kasten 2.5). Die meisten Ansätze, die aus geför-derten Projekten hervorgegangen sind, befinden sich mittlerweile in einer Phase, in der sie sich ohne Förderung bewähren müssen. HAMACHER (1999) unter-scheidet insgesamt fünf Formen von Netzwerken im Bereich des AGS. Regionale Netzwerke pflegen die Zusammenarbeit im AGS von lokal ansässigen Unterneh-men und Institutionen, d.h. die Mitglieder dieser Netzwerke sind räumlich auf bestimmte Gebiete begrenzt (z.B. „Runder Tisch Siegen“ (RTS), „Gesünder arbei-ten mit System“ (GAMSYS), Arbeitsschutz Partnerschaft in Hamburg). Bran-chennetzwerke sind auf eine bestimmte Zielgruppe beschränkt und viele haben ihren Ursprung in § 20 GRG bzw. SGB V. Beispiele sind die Gesundheitsförde-rung im Kfz-Handwerk der Innungskrankenkasse Düsseldorf (PIEPER, 2002) sowie gesunde Betriebe und gesunde Mitarbeiter im Bäckerei-Handwerk (HAUSS & KUHN, 2000) oder das Kompetenz Service-Center der öffentlichen Verwaltung (VER-T-iCall). Institutionsunabhängige Kompetenznetzwerke der KMU haben ihren Ursprung oft in der sicherheitsfachlichen und arbeitsmedizinischen Betreu-ung nach dem Arbeitssicherheitsgesetz. Aus der Problemstellung der KMU wird dann mit Unterstützung des Dienstleisters eine Verknüpfung und Zusammenarbeit mit anderen Akteuren vorangetrieben. Informationsnetzwerke oder virtuelle Kom-petenznetzwerke bieten über den Rückgriff auf moderne IuK-Technologien eine nachfrageorientierte Informations- und Beratungsstruktur für den Bereich des AGS (z.B. Prävention-Online, KomNet, ARGEPLAN, bg-praevention).

Spezifische Netzwerke

Übergreifende Netzwerke zielen auf den Informationsaustausch und die gegensei-tige Unterstützung insbesondere zwischen Institutionen auf überregionaler und internationaler Ebene ab. Dazu zählen die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz; das Europäische Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförde-rung, KOPAG als Kooperation zwischen Unfallversicherungsträgern, Kranken-

Übergreifende Netzwerke

2.3 Umfelder und Vernetzung

52

kassen und weiteren Partnern sowie PräNet als Projekt des DGB, des arbeitsmedi-zinischen und sicherheitstechnischen Dienstes BAD und weiterer Kooperations-partner. Genauere Angaben zu den genannten und weiteren Netzwerkprojekten im AGS finden sich u. a. bei PRÖLL (1998) sowie FROMM und PRÖLL (2000).

Prävention Online hat zum Ziel, die Vielzahl der Angebote im Bereich des AGS wie Online-Datenbanken und Online-Netzwerke, Informationen von Dienstleistern, Her-stellern, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, staatlichen Organisationen und Einrichtungen sowie anderen zu bündeln und in Form eines Wissensportals abrufbar zu machen. Prävention online erstellt daher nicht selbst Inhalte, sondern macht Vor-handenes sichtbar. Es richtet sich in erster Linie an Unternehmer und Führungskräfte, Betriebsräte und Mitarbeiter, Präventionsdienstleister und Hersteller, aber auch priva-te Internet-Nutzer sind angesprochen. Prävention Online unterstützt die Orientierung im Rahmen der Vielfalt von Informationen zu den Themenfeldern: Sicherheit, Ge-sundheit und Umwelt, vernetzt Angebote aus unterschiedlichen Quellen zu einem Thema, ermöglicht die Kooperation und Kommunikation zwischen Akteuren, liefert spezifisch aufbereitete Informationen und gibt Hinweise für eine zielgerichtete Suche in Prävention Online. (www.praevention-online.de) ARGEPLAN erlaubt den Nutzern auf einen großen Informationsbestand im Arbeits- und Gesundheitsschutz in betrieblichen Entwicklungs- und Planungsbereichen über eine Internet-Datenbank schnell und zuverlässig zuzugreifen zu können. Die Informa-tionen sind nach Wirtschaftszweigen bis hin zu konkreten Arbeitstätigkeiten, nach Entwicklungs- und Planungsprozessen sowie nach unterschiedlichen Informationsar-ten systematisiert. (www.argeplan.de) KomNet: Das Kompetenznetz Arbeitsschutz NRW stellt Beiträge zur Beantwortung von konkreten betrieblichen Fragen bereit, macht effiziente Lösungen verfügbar und soll so sukzessiv und systematisch zur Sammlung lösungsrelevanter Antworten bei-tragen. KomNet besteht aus vier verbundenen Ebenen: (a) Wissensbestand; (b) Kom-petenz-Center; (c) Call-Center; (d) Kunde. Die Kunden kontaktieren das Call-Center als Ansprechstelle unter einer bestimmten Telefon- oder Fax.-Nr. und werden an das Kompetenz-Center weitergeleitet. Das Kompetenz-Center verfügt über eine umgang-reiche und systematisierte Datenbank mit allen bereits geführten KomNet-Dialogen. Bei fehlenden Informationen im Kompetenz-Center wird die Anfrage an Experten mit entsprechendem personellem und/oder institutionellem Fachwissen im Arbeitsschutz, wie Unfallversicherungsträger, Fachinstitute, staatliche Arbeitsschutzeinrichtungen, Verbände, Universitäten und andere, weitergeleitet. Ihre Antworten werden dem Nachfrager über die Ansprechstelle im Call-Center übermittelt. (www.komnet.nrw.de) GeSiNe: Das Gesundheits- und Sicherheitsnetzwerk wurde als Dienstleistungscenter für Selbstständige/Freiberufler gegründet und soll auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Angebote bereitstellen. Es umfasst ein „Call Center“, das u. a. Kun-denanfragen bearbeitet, ein „Counseling Center“, das u. a. Beratung vor Ort oder in Sprechstunden, Vernetzung von Interessengruppen durchführt, und ein „Competence Center“, das u. a. Workshops, Seminare, Qualitätssicherung/Zertifizierung anbietet. Abgedeckt werden folgende Themenbereiche: Gesundheit, Arbeitsrecht, Gründungs-beratung, Versicherungen und Steuerrecht. Einzelne Kooperationspartner, wie z.B. Krankenkassen, Versicherungen, Anwälte, Physiotherapeuten und Ernährungsberater, können über das Netz ihre speziell auf Selbstständige/Freiberufler zugeschnittenen Dienstleistungen anbieten. Die Netz-werkmitglieder bekommen die Möglichkeit, diese speziellen „Servicepakete“ zu günstigeren Konditionen zu nutzen. (www.gesine.net)

Kasten 2.6: Beispiele für Präventionsnetzwerke

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 53

In der zuvor skizzierten Untersuchung in der Metallbranche lieferten klassischer-weise Institutionen der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht und überbetriebliche Dienste in den Präventionsnetzwerken die meisten Informationen zur Umsetzung eines präventionsorientierten Beschaffungsansatzes. Neben den Berufsgenossen-schaften und staatlichen Aufsichtsämtern waren Arbeitsstofflieferanten, Maschi-nenlieferanten, Entsorgungsunternehmen und Versicherer wichtige Informations-quellen bei präventionsorientierten Auswahlprozessen. Die Ergebnisse zeigen, dass auf den Beschaffungsmärkten neben Leistungen auch Informationen ausge-tauscht werden, die für die Prävention relevant sind. Auch vor dem Hintergrund der Literatur lässt sich vermuten, dass Berufsgenossenschaften und staatliche Auf-sichtsämter zwar allgemeine Informationen bereitstellen, doch spezifische Infor-mationen zu benötigten Produkten und Dienstleistungen aufgrund der Informati-onsasymmetrie nur von den Anbietern geliefert werden können. Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Präventionsnetzwerke eine wichtige Rolle u. a. bei der Informationsversorgung für die präventionsorientierte Beschaffung spielen und sie belegen die gleichermaßen große Bedeutung von institutionellen und marktlichen Partnern in den Präventionsnetzwerken der KMU (KOHTE et al. 2005, S. 26ff).

Informationsversorgung

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

Zu den klassischen Aufgaben des Managements zählen Planung, Lenkung, Kon-trolle und Sicherung der Leistungserbringung in einer Organisation. Die Bewälti-gung dieser Aufgaben erfordert vom Management vor dem Hintergrund der zu-nehmenden Dynamik auf den Absatzmärkten und den Veränderungen auf den Arbeitsmärkten (u. a. aufgrund des demografischen Wandels), der Beschleuni-gung technischer Entwicklungen, zunehmenden weltweiten Abhängigkeiten der Unternehmen untereinander, der zentralen Bedeutung von Wissen und Kommuni-kation etc. zunehmend eine Verlagerung der Handlungsschwerpunkte. Das Über-leben auf dem Markt wird immer stärker davon abhängig, inwieweit es dem Ma-nagement eines Unternehmens gelingt, die Organisation und die Arbeit so zu ges-talten, das sie auch zukünftig den externen Anforderungen, z. B. den Kunden oder Netzwerkpartnern, gerecht werden kann. Soll dieses Ziel erreicht werden, genügt es nicht, die Auswahl, den Einsatz der Mitarbeiter zu planen, zu steuern und zu überwachen, sondern immer wichtiger wird es, die Entwicklung der Potenziale der Mitarbeiter, einschließlich ihrer Gesundheit, zu unterstützen und zu fördern.

Managementaufgaben

Bezogen auf die Aufgaben des Managements und der Führung eines Unterneh-mens lassen sich zusammenfassend zwei Aufgabenschwerpunkte abgrenzen: Ers-tens das Management der Anforderungen aus den Umfeldern und dem externen Netzwerk sowie zweitens die Gestaltung, Lenkung und Förderung der unterneh-mensinternen Prozesse, Ressourcen und Bedingungen. Nachfolgend liegt der Schwerpunkt auf dem Management der internen Aufgaben.

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

54

Sicherheit und Gesundheit stellen auf der einen Seite ebenso wie das Erreichen des Unternehmensziels „Gewinnmaximierung“ Leistungsergebnisse dar. Auf der anderen Seite sind Sicherheit und Gesundheit Voraussetzungen oder Bestandteile betrieblicher Leistungen, wie Produktivität oder Qualität. Das bedeutet, dass zur Erreichung eines hohen Sicherheits- und Gesundheitsniveaus in einer Organisati-on dieselben Managementstrategien, Steuerungsmechanismen oder Führungsver-haltensweisen wie zur Förderung jedes Leistungsverhaltens eingesetzt und genutzt werden können. Darüber hinausgehend stellen Sicherheit und Gesundheit keine isolierten Leistungen dar, sie sind untrennbar mit der betrieblichen Leistungs-erbringung verbunden und ihr Management muss in die Steuerung und Koordina-tion der Geschäfts- und Arbeitsprozesse integriert werden (ZIMOLONG, 2001a; ELKE, 2000).

Leistungen durch Sicherheit und Gesund-heit

Bezogen auf das Managementhandeln wird zwischen der normativen, strategi-schen und operativen Ebene unterschieden (vgl. BLEICHER, 1992). Visionen, Leitbilder und Unternehmenspolitik legen die allgemeine Ziel- und Ausrichtung des Handelns einer Organisation fest. Die Förderung von Gesundheit und Um-weltressourcen wird von einer Vielzahl von Unternehmen in den Unternehmens-grundsätzen als Norm festgeschrieben. Bezogen auf die Strategie, wie das erreicht werden soll, unterscheiden sich die Unternehmen z. T. erheblich. Manche Betrie-be delegieren z. B. die Gesundheitsförderung an den Betriebsarzt als Stabsstelle oder externen Dienstleister. Andere Unternehmen gehen davon aus, dass die Si-cherung und Förderung der Gesundheit nachhaltig nur durch eine gesundheitsför-derliche Führung und die Förderung von Eigenverantwortung erreicht werden kann. Auf der operativen Ebene sind die normativen und strategischen Vorgaben im Arbeitsalltag zu realisieren. Für die konkrete Umsetzung steht eine Vielzahl von Vorgehensweisen und Maßnahmen zur Verfügung.

Normatives und strate-gisches Management

Beispielsweise kann das Management bei der Technik- und Arbeitsgestaltung, den übergreifenden Organisationsstrukturen, den Prozessen auf Gruppenebene, wie u. a. Teams, Abteilungen oder Hierarchieebenen, oder direkt bei dem Verhal-ten der Mitarbeiter auf individueller Ebene ansetzen, um das Verhalten der ein-zelnen Organisationsmitglieder oder Einheiten aufeinander abzustimmen und auf das Ziel Sicherheit und Gesundheit auszurichten. Das kann auf der individuellen Ebene z.B. durch persönliche Zielabsprachen, Beurteilungen oder Trainings, auf Gruppenebene durch die Bildung von Arbeitsgruppen, Vorgabe von Zielen, ge-meinsame Besprechungen, Gruppenprämien und auf der Organisationsebene durch die Regelung von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, die Festlegung von Arbeitsabläufen durch Betriebsanweisungen, Vorschriften oder Programme, die Einführung von Managementsystemen, wie Führung durch Zielsetzung, einen computerunterstützten Informationsaustausch oder eine auf Selbstverantwortung und Selbstorganisation abzielende Arbeitsgestaltung erreicht werden.

Operatives Management

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 55

2.4.1 Arbeitsgestaltung

Die Arbeitswissenschaften betrachten Organisationen unter dem Aspekt von Ar-beitssystemen. Darunter sind Teilsysteme mit eindeutig abgegrenzten Teilaufga-ben zu verstehen, die von Personen oder Arbeitsgruppen erledigt werden. Der Zweck eines Arbeitssystems liegt in der Lösung einer Arbeitsaufgabe (LUCZAK, 1998). In einem Arbeitssystem gibt es einen Arbeitsablauf, der Teil der Ablaufor-ganisation ist. Der Arbeitsablauf wird durch die räumliche Anordnung und die zeitliche Folge des Zusammenwirkens von Menschen und Arbeitsmitteln be-stimmt. Dem liegen eine Arbeitsteilung und eine Arbeitsstrukturierung von Tätig-keiten und Funktionen durch Arbeitsplätze zugrunde. Mehrere Personen sind zu Arbeitsgruppen oder Abteilungen zusammengefasst und bearbeiten Aufträge, die betriebsorganisatorisch in Funktionsbereiche untergliedert sind, z.B. in die Ferti-gung, Qualitätssicherung und Instandhaltung.

Arbeitssystem

Grundsätzlich gehören zur Arbeitsstrukturierung alle Maßnahmen, die eine Ges-taltung der Arbeitsinhalte und der Handlungs- und Entscheidungsspielräume betreffen. Zu ihnen zählen die Arbeitserweiterung, die Arbeitsbereicherung und der Arbeitswechsel sowie die Gestaltung von Formen der Gruppenautonomie (ULICH, 2005).

Die Gestaltungsziele sind die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsprozesse und die menschengerechte Arbeitsgestaltung. Sie betrifft vor allem Verbesserungen der technischen (ergonomische Arbeitsgestaltung), der personalen (Kenntnisse und Fähigkeiten) und der sozialen Aspekte (Arbeitsteilung und Arbeitsbedingungen) des Arbeitslebens. Die Maßnahmen sind Schritte auf dem Weg zur gesundheits-förderlichen Gestaltung der Arbeit. Die wichtigsten Aspekte der Gestaltung von sozialen Arbeitsbedingungen sind die Arbeitszeitgestaltung, die Frage der Entloh-nungsformen und die persönliche Arbeitsplatzsicherheit im Gegensatz zur dro-henden Arbeitslosigkeit.

Gestaltungsziele

Die Forschungsarbeiten zur Humanisierung der Arbeit (HdA) machten vor allem auch für die Unternehmen deutlich, welche Flexibilisierungsmöglichkeiten durch die Aufhebung tayloristischer Arbeitsformen realisierbar sind. Die Einführung unterschiedlicher Formen der Gruppenarbeit wird heute von den Unternehmen unter Rationalisierungsgesichtspunkten durchgeführt, weil durch die Selbstregula-tion in den Gruppen zum einen die Meisterebene verkleinert und andererseits Ab-stimmungsprozesse in der Gruppe optimiert werden. Aber auch Funktionen von vor- und nachgelagerten Bereichen können integriert werden. Ein Beispiel ist die Fertigungsinsel mit einer teilautonomen Arbeitsgruppe. In die Arbeitsgruppe kön-nen z. T. Tätigkeiten aus der Planung, Arbeitsvorbereitung, Qualitätssicherung sowie Wartung und Instandhaltung integriert werden (ZIMOLONG, 1996).

Humanisierung der Arbeit

Die Auswirkungen der Gruppenarbeit auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten sind nicht unumstritten: Zum einen kann die Gruppe den Ein-zelnen besser fordern und fördern, zum anderen können Entwicklungschancen

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

56

vertan und durch unzureichende Konfliktregelungen zusätzliche Belastungen und Beanspruchungen entstehen (WINDEL & ZIMOLONG, 1997). Der Umfang der Autonomie der Gruppe ist nicht gleichbedeutend mit dem Umfang der Autonomie des Einzelnen. Durch den Einsatz als Rationalisierungsinstrument kommt es zu zusätzlichen Belastungen durch die Arbeit, die nur zum Teil durch eine bessere Abstimmung in der Gruppe wieder aufgefangen werden können. Eine weitere Folge ist die Selektion von besonders leistungsfähigen Bewerbern und Bewerbe-rinnen und die Zusammenstellung zu so genannten „olympiareifen Mannschaf-ten“, in denen für ältere oder leistungsgeminderte Mitarbeiter kein Platz mehr ist.

Eine gesundheitsförderliche integrative Arbeitsgestaltung nutzt die belastungs-reduzierende Wirkung von potenziellen Ressourcen der Gestaltung der Ar-beitsaufgabe, ihren Ausführungsbedingungen und der Arbeitsorganisation. Ein Überblick über Interventionsmaßnahmen einer gesundheitsförderlichen Arbeits-gestaltung und ihrer Effekte ist in ULICH und WÜLSER (2004) zu finden. Sie berücksichtigt im Gegensatz zu dem Vorgehen der rein technisch ausgerichteten Gestaltung bereits bei der Planung der Arbeitssysteme die Ziele Sicherheit und Gesundheit. Kennzeichen einer technischen Arbeitsgestaltung ist die Dominanz der Planung und Implementierung technischer Gestaltungsoptionen, beispielswei-se die Einführung neuer Fertigungsmittel oder eines computergestützten Produk-tions-, Planungs- und Steuerungssystems. Erst später, manchmal erst nach der Implementierungsphase, beginnen die Überlegungen, welche Anforderungen die neuen Technologien an das soziale System, die Menschen stellen. Das Ergebnis sind häufig genug monotone, dequalifizierende Arbeitsplätze oder Arbeit mit ge-sundheitsschädlicher Mehrfachbelastung. Häufig kommt es auch zur Einrichtung von Restarbeitsplätzen, z.B. wenn Restfunktionen an der Schnittstelle von auto-matisierten Prozessen durch einen Menschen erledigt werden müssen. Beispiele für technisch dominierte Maßnahmen im Sicherheitsbereich sind die Einführung von Lichtschranken, Absperrungen oder Verriegelungen, die ohne eine Beteili-gung der Betroffenen durchgeführt und nicht selten unterlaufen werden, oder so-gar zu zusätzlichen Gefährdungen bei der Überwachung, Wartung und Instandhal-tung führen. Integrierte Gestaltungsansätze berücksichtigen die technischen und humanen Gestaltungsziele in einem iterativen Prozess. Bereits in der Planungs-phase einer Restrukturierungsmaßnahme werden technische, arbeitsorganisatori-sche, ergonomische und gesundheitliche Aspekte und Ziele durch die Beteiligung verschiedener Fachleute eingebracht (VDI 1989).

Integrative versus technische Arbeitsgestaltung

Im Rahmen der GAMAGS-Studie (ELKE, 2001b; vgl. Kasten 3.1) wurden die betrieblichen Planungsprozesse in 10 ausgewählten Betrieben der chemischen Industrie dahingehend untersucht, inwieweit und wie Unternehmen mit unter-schiedlich hohen Sicherheits- und Gesundheitsniveau die Arbeits- und Gesund-heitsschutzziele bei der Planung von neuen Anlagen integrieren. Die Ergebnisse wurden in Form von Qualitätskriterien gebündelt und stehen der Praxis als Leitfa-den „Förderung sicheren und gesundheitsförderlichen Arbeitshandels bei der An-lagenplanung“ zur Verfügung (STADLER & BEER, 1999). Die ersten vier der

Betriebliche Planungs-strategien

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 57

insgesamt sieben Qualitätskriterien sind methodischer Natur und definieren An-forderungen an das systematische Vorgehen und die Organisation von Planungs-prozessen (Tab. 2.2). Die restlichen Kriterien betreffen die Ausgestaltung der Schnittstelle Mensch-Anlage-Prozess und die Vorbereitung der Operateure auf die neuen und geänderten Anforderungen (Tab. 2.3).

Tabelle 2.2: Qualitätskriterien für die Beurteilung von Planungsprozessen zur Förderung des si-cheren und gesundheitsförderlichen Arbeitshandelns (STADLER & BEER, 2001)

Plansystematik und Planorganisation

Qualitätskriterium Aspekte

Verankerung von Arbeits- und Gesundheitsschutzzie-len in Planungsprozessen

Umfang, in dem sich die Planung nicht nur an bestehen-den Normen, Gesetzen und Richtlinien orientiert, son-dern auch inwieweit firmeneigene Standards entwickelt wurden, die festlegen, in welchen Phasen der Planung und bei welchen Planungsgegenständen der AGS mit einzubeziehen ist

Kooperation und Rück-kopplung zwischen Pla-nung und Betrieb

Art und Umfang der Einbindung von den Akteuren aus dem Betrieb (Leiter, Assistenten, Techniker) in die Pla-nungsprozesse

AGS-orientierte Planungs-systematik

Umfang, indem das Pflichtenheft für die Planungs-ingenieure folgende Aspekte berücksichtigt:

- AGS in allen Lebenszyklusphasen - prospektive Analyse aller menschlichen

Tätigkeiten und Eingriffe - Überprüfung aller Stadien auf mögliche Unfall-

und Gesundheitsgefahren Integration von AGS-Experten

Art und Umfang der Einbindung von AGS-Experten (SIFA, SIBA, Betriebsarzt) in die Planungsprozesse

In der Studie konnten drei Planungsstrategien voneinander abgegrenzt werden. Die reaktive Planungsstrategie zeichnet sich dadurch aus, dass das Planungsvor-gehen gar nicht oder nur in geringem Umfang die Qualitätskriterien berücksich-tigt. Die Sicherheit und Gesundheit spielen im Planungsprozess nur eine rudimen-täre Rolle. Die zu Tage getretenen Planungsmängel waren demgemäß gravierend und betrafen auch elementare sicherheitstechnische Vorkehrungen. Die Unter-nehmen mussten nachbessernd die aufgetretenen Gefährdungen reduzieren, da sie es versäumt hatten, sie vorbeugend im Planungsprozess zu kontrollieren. Die Un-ternehmen aus der Studie, die diese Planungstechnik einsetzten, waren zugleich auch die Unternehmen mit den höchsten Unfallzahlen. Unternehmen, die eine technikzentrierte Planungsstrategie umsetzen, stellen zur vorbeugenden Risiko-kontrolle technische Lösungen im Vordergrund, d. h. es werden vorrangig techni-sche Schutzmaßnahmen bei gleichzeitiger Minimierung der menschlichen Eingrif-fe entwickelt. Die Unternehmen mit einem hohen Leistungsniveau im AGS setz-ten bei der Planung ihrer Anlagen eine ganzheitliche Strategie ein. Diese Strategie zielt auf die Erfüllung aller Qualitätskriterien, neben den technischen Anforde-rungen des Arbeitsschutzes wird auch die Förderung sicheren und gesundheitsför-

Drei Planungsstrategien

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

58

derlichen Arbeitshandelns explizit bei der Planung berücksichtigt (vgl. STADLER & BEER, 2001).

Tabelle 2.3: Qualitätskriterien für die Beurteilung der Planung von der Schnittstelle Mensch-Anlage-Prozess (STADLER & BEER, 2001)

Planung der Schnittstelle Mensch-Anlage-Prozess (MAP)

Qualitätskriterium Aspekte

AGS - orientierte Gestaltung der MAP

Art und Umfang der Einbeziehung des Arbeitshandelns der zukünftigen Stelleninhaber beim Betrieb der Anlage in die Planungsüberlegungen:

- sicherheitsbezogene Anforderungen - sicherheitskritische und –förderliche Bedingun-

gen der Arbeitstätigkeit - gesundheitsförderliche Maßnahmen durch die

Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Arbeitsmittel, Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation

Entwicklung einer systematischen Qua-lifizierungsstrategie

Inwieweit gibt eine Strategie zur: - Qualifizierung für den sicheren Umgang mit

der Anlage - Entwicklung und Aktivierung des Gefahren-

und Risikobewusstseins der Operateure - Förderung sicheren Arbeitshandelns bei Routi-

ne und Gefahr - Motivierung zur Übernahme von Verantwor-

tung Planungsbeteiligung von Meistern und Mitarbeitern

Art und Umfang, in dem die Erfahrungen und Kennt-nisse der ausführenden Meister und Mitarbeiter bei der Planung genutzt werden

2.4.2 Verhaltenssteuerung: Kontrollformen

Die Lenkung und Koordination des Arbeitshandelns in einer Organisation u. a. mit dem Ziel, Sicherheit und Gesundheit zu fördern, können an unterschiedlichen Stellen des Prozesses der Leistungserbringung ansetzen: Den Eingangsgrößen (Input), dem Prozess bzw. dem Leistungsverhalten (Transformation) und/oder dem Ergebnis (Output). Das skizzierte SCC-Zertifikat ist ein Beispiel, wie Unter-nehmen durch eine Eingangskontrolle ihre AGS-Leistungen steuern. Regelmäßige Begehungen oder die Registrierung von Abweichungen im Prozess sind Möglich-keiten der kontinuierlichen Prozesskontrolle. Zur Kontrolle von Ergebnissen wer-den z. B. Umsatzvolumen, Stückzahlen, Unfallstatistiken etc. herangezogen. Die Eingangs-, Prozess- oder Ergebniskontrollen werden im betrieblichen Alltag so-wohl zur Lenkung und Koordination des menschlichen Leistungsverhaltens als auch zur Steuerung der materiellen Arbeitsprozesse genutzt. Welche Kontrollform eingesetzt wird, hängt zum einen von den Organisations- und Produktionskonzep-ten ab, zum anderen davon, inwieweit die Leistungsergebnisse überprüfbar sind und wie genau die Prozesse, die zu einem gewünschten Ergebnis führen, bekannt und damit gezielt beeinflussbar sind (vgl. SNELL, 1992; Abb. 2.1; Kasten 2.7).

Eingangs-, Verhaltens- und Ergebniskontrolle

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 59

Eine wissenschaftliche Einrichtung sichert die Qualität ihrer Forschung über die Eingangskontrolle, indem nur Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit einer ausgezeichneten Qualifikation eingestellt werden. Zur Überprüfung der Leistung durch eine Ergebniskontrolle können die Anzahl der Veröffentlichungen, die ein ge-worbenen Projekte oder erhaltenen Preise herangezogen werden. Die Lenkung der wissenschaftlichen Leistungen durch eine Verhaltenskontrolle ist dagegen mit erheb-lichen Schwierigkeiten verbunden. Selbst wenn die Leitung der Institution täglich die Mitarbeiter in ihren Arbeitsräumen aufsuchen oder die Anzahl der geschriebenen Sei-ten festhalten würde, ist es fraglich, ob damit wichtige Indikatoren für den Leistungs-fortschritt beobachtet werden könnten. Die kontinuierliche Leistungsüberwachung, auch anhand anderer Kriterien, kann sogar zu gegenteiligen Effekten führen: die Mit-arbeiter und Mitarbeiterinnen fühlen sich überwacht, reglementiert und in ihrer Krea-tivität eingeschränkt.

Vor- und Nachteile

Dagegen erwies sich die Verhaltenskontrolle bezogen auf das Tragen der Schutzbrille bei einer einwöchigen Instandhaltung einer Raffinerie als äußerst erfolgreich. Bei der Instandhaltung waren alle Führungskräfte und AGS-Funktionsträger sowie Kollegen aus anderen Werken mit vor Ort. Sie hatten die Aufgabe, jeden Beschäftigten sofort anzusprechen, wenn keine Brille getragen wurde. Sie warteten jeweils, bis er/sie die Brille ordnungsgemäß aufgesetzt hatte. Wenn den Mitarbeitern einer Kontraktorfirma keine angemessene Persönliche Schutzausrüstung (PSA), wie Kleidung, Helm, Brille etc. zur Verfügung gestellt worden war, musste die Firma die PSA innerhalb einer kurzen Frist für ihre Arbeiter beschaffen. Geschah das nicht, musste der Kontraktor seine Arbeit einstellen. Diese konsequente und umfassende Verhaltenskontrolle führ-te dazu, dass bereits im nächsten Jahr nur noch selten Verstöße gegen die Tragepflicht von PSA beobachtet werden konnten. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Arbeit ist das Tragen einer Brille relativ einfach zu beobachten und zu kontrollieren. Allerdings ist der Aufwand der Verhaltenskon-trolle bei ca. zweihundert Mitarbeitern extrem hoch und konnte im beschriebenen Fall auch nur aufgrund der hohen Anzahl der anwesenden Führungskräfte und der kurzen zeitlichen Spanne erfolgreich umgesetzt werden. Bezogen auf die wissen-schaftliche Arbeit ist die Verhaltenslenkung durch eine Ergebniskontrolle in Form der Überprüfung, ob ein Artikel zum vereinbarten Termin fertig ist und zugleich die gesetzten Kriterien erfüllt, vorteilhafter. Sie eröffnet zum einen den Mitarbeitern ei-nen Handlungsspielraum, in dem er/sie z.B. das tägliche Schreibpensum selber bestimmen kann. Zum anderen spart die Leitung Zeit und kann ihre Ressourcen an-derweitig nutzen. Ein weiterer Vorteil der Ergebniskontrolle liegt auch darin, dass die ausdrückliche Beachtung der erbrachten Leistung für die Mitarbeiter und Mitarbeite-rinnen ein Anreiz sein kann. Ihr Verhalten wird im Sinne des operanten Lernens „ver-stärkt“ und belohnt. Sie werden in Zukunft noch motivierter arbeiten. Die Eingangskontrolle garantiert zwar, dass hoch qualifiziertes Personal eingestellt wird, aber nicht, dass diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch motiviert sind, die gewünschten Leistungen zu erbringen. Den Vorteilen der Ergebniskontrolle steht der zeitliche Nachteil gegenüber. Sie stellt eine reaktive Kontrollform dar. Entspricht das Ergebnis nicht den Anforderungen, entstehen Kosten für die Nachbesserung. Hinzu kommt, dass durch ihren verstärkenden Charakter einzelne Leistungsaspekte ein Ü-bergewicht gegenüber dem Ganzen erhalten können. Werden z.B. in einem Unter-nehmen nur die Unfallstatistiken als eine Form der Ergebniskontrolle für die betrieb-lichen Leistungen im AGS herangezogen, so kann das zur Vernachlässigung anderer wichtiger Aspekte der Gesundheit in einem Betrieb, wie den physischen und psychi-schen Belastungen und damit den arbeitsbedingten Erkrankungen führen. Im Alltag werden zur Kompensation der Vor- und Nachteile die drei prinzipiellen Kontrollmöglichkeiten zumeist kombiniert eingesetzt.

Kasten 2.8: Vor- und Nachteile der Eingangs-, Verhaltens- und Ergebniskontrolle

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

60

Führungskräfte in stark hierarchisch gegliederten Organisationen gestalten Arbeit und ordnen sie einzelnen Mitarbeitern zu. Ebenso beaufsichtigen, kontrollieren und überprüfen sie die Arbeit, die von einem Mitarbeiter zum nächsten weiterge-geben wird. Gruppen sind unter Umständen in der Lage, dies alles selbst zu tun. An die Stelle von verhaltensorientierter Führung tritt die ergebnisorientierte Füh-rung. Die Führung durch Zielvereinbarung oder -setzung, gestützt durch den Ein-satz von Personalinstrumenten und -systemen, erlaubt eine teilweise Substitution des direkten Führungsbedarfs. Inwieweit eine Koordination unter Verzicht auf eine direkte persönliche Führung gelingen kann, hängt dabei in entscheidendem Maße von der Vertrauensbasis zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, der Mo-tivationsstruktur der Mitarbeiter sowie der Art der Aufgabenplanung und Aufga-benstrukturierung ab (vgl. GODEHARDT, 1994).

Verhaltens- und ergebnisorientierte Führung

In der nachfolgenden Tabelle 2.4 sind beispielhaft einige Personalinstrumente den drei Kontrollformen zugeordnet.

Tabelle 2.4: Beispiele für Instrumente und Maßnahmen der Eingangs-, Verhaltens- und Ergebnis-kontrolle

Kontrollform Personalinstrumente

Eingangskontrolle

Personalauswahl und -einsatz Qualifizierung Vorgabe von Zielen Allgemeine Arbeitsanweisungen

Verhaltens-/ Prozesskontrolle

Verhaltensorientierte Führung: - Beaufsichtigen - Kontrollieren - Überprüfen - Rückmelden (Mitarbeitergespräche)

Personalentwicklung Computergesteuerte Prozessüberwachung Computergestützte Rückmeldungen

Ergebniskontrolle

Ergebnisorientierte Führung - Zielvereinbarung/ -setzung - Beurteilung und Anreize

Leistungsbezogene Vergütung

Ein wesentliches Element der Führungsaufgabe liegt in der sachbezogenen Beein-flussung aufgabenbezogener Gruppenaktivitäten (Lokomotionsfunktion), ein wei-teres in der persönlichen Interaktion, d.h. im Aufbau und in der Pflege persönli-cher Beziehungen (Kohäsionsfunktion). Lokomotionsorientiertes Führungsverhal-ten ist mit der Leistung der Gruppe, kohäsionsorientierte Führungsmuster sind mit der Arbeitszufriedenheit korreliert (GROTE, 1994).

In modularen und Netzwerkorganisationen, dazu gehören u. a. auch Telearbeits-plätze, ist die soziale Präsenz der Gruppenmitglieder und ihrer Vorgesetzten stär-ker oder schwächer ausgeprägt. Elektronische Kommunikationsmedien werden

Führung in Netzwerk- organisationen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 61

nicht für alle Aufgaben im Führungsbereich als geeignet angesehen. Während die Telekommunikationsmedien zur Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern relativ gut geeignet sind, um die Aufgaben- und Zielorientie-rung von Gruppen (Lokomotion) zu unterstützen, erweisen sich computergestützte Kommunikationsformen wie E-Mail in empirischen Untersuchungen bislang als weniger geeignet, um soziale Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern und Führungskräften (Kohäsion) zu fördern. Aus diesem Grund werden regelmäßige Face-to-face Treffen vorgeschlagen, z.B. in so genannten Satellitenbüros (U-LICH, 2005).

2.4.3 Strukturen: Gestaltung von Handlungsräumen

Zur Ordnung und Regelung der Arbeitsabläufe, der Aufgabenverteilung und der inner- und interorganisationalen Zusammenarbeit entwickeln Unternehmen Struk-turen. Das sind explizite und formale Regeln, die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Organisationsmitglieder verbindlich festlegen. Die Form und Dichte der Re-gelungen variieren in einzelnen Organisationsformen. Beispielsweise zeichnen sich stark hierarchisch strukturierte Organisationen im Gegensatz zu modularen Organisationen durch eine hohe Regelungsdichte, eine enge funktionale und per-sonale Kopplung, ein hohes Ausmaß an Fremdkontrolle, dem Vorrang der Amts- vor der Fachautorität sowie einen hohen Formalisierungsgrad aus (s. Kasten 2.2). In modularen Organisationen werden die Zuständigkeiten und Abläufe weder im Einzelnen noch dauerhaft festgelegt, sondern es wird ein Handlungsrahmen vor-gegeben, der den Organisationsmitgliedern oder Gruppen ermöglicht, eigenver-antwortlich u. a. die Arbeit im Team, im Organisationsnetzwerk oder mit anderen externen Partner zu organisieren und zu koordinieren. Das Gesamt der expliziten Regelungen und ihr Beziehungsgefüge bildet die Ablauf- und Aufbauorganisation eines Unternehmens. Im Kasten 2.9 sind einige Merkmale von Orga-nisationsstrukturen definiert.

Aufbau- und Ablauforganisation

Nach dem Gesetz trägt der Unternehmer die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (s. Abb. 2.2). Er kann diese Verantwortung auf seine Führungskräfte delegieren und sie so in die Verantwortung nehmen. Notwendig ist allerdings neben einer klaren Aufgabenabgrenzung und -zuteilung, die Etablie-rung und Dokumentation einer AGS-Organisation, deren Wirksamkeit kontinuier-lich zu überwachen, zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen ist. Auf das Management des AGS wird nachfolgend ausführlich eingegangen.

Verantwortung

Führungskräfte haben so genannte Linienfunktionen: Sie sind zum einen berech-tigt, Arbeitsanweisungen an ihre Mitarbeiter zu geben und zum anderen haben sie die Pflicht, die Arbeit der Mitarbeiter zu beaufsichtigen. Sie sind für die ord-nungsgemäße Erledigung der Aufgaben ihrer Mitarbeiter verantwortlich: Sie müs-sen ihre Mitarbeiter anweisen, sie informieren, betreuen und kontrollieren. Diese Verantwortung bezieht sich auch auf die von der Unternehmensleitung an die Führungskräfte delegierten AGS-Leistungen. Nach den gesetzlichen Vorgaben ist

Linienfunktionen

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

62

die AGS-Arbeit in der Linie durch Spezialisten, wie u. a. der Fachkraft für Ar-beitssicherheit und den Betriebsarzt, zu unterstützen.

Organisationsstrukturen sind explizite und formale Regeln, die von Seiten der Orga-nisation, die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Organisationsmitglieder auf Dauer und verbindlich festlegen und damit einen Ordnungsrahmen für die Arbeit in Organi-sationen schaffen.

Definition und Merkmale von Organisationsstrukturen

Spezialisierung ist eine Form der Teilung und Zuweisung von Aufgaben; sie kann sich an den Verrichtungen, wie Einkauf, Vertrieb (funktionale Struktur) oder an den Endprodukten (divisionale Struktur) orientieren. Koordination ist die Abstimmung arbeitsteiliger intra- und interorganisationaler Pro-zesse und die Ausrichtung von Aktivitäten auf die Organisationsziele. Konfiguration ist das Gesamt der standardisierten Prozesse und Stellen und ihr „Be-ziehungsgefüge“. Stelle ist die dauerhafte Festlegung der grundsätzlichen Anforderungen und Hand-lungsregeln bezüglich der Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Rechte und Pflichten, die eine Person hat, die diese Stelle einnimmt oder künftig einnehmen soll. Instanzen sind Stellen mit besonderen Rechten und Pflichten, wie Entscheidungs- und Weisungsbefugnissen und Verantwortung. Abteilung ist die Zusammenfassung einzelner Stellen zu einer größeren organisatori-schen Einheit. Linie sind die Stellen, die unmittelbar mit der Erfüllung der Hauptaufgaben einer Or-ganisation befasst sind. Stab sind unterstützende Stellen ohne formale Entscheidungs- und Weisungsbefugnis sowie ohne vertikale Verbindung mit den ausführenden Stellen. Entscheidungsbefugnis bezieht sich auf das Recht, für die Organisation nach innen oder außen verbindliche Entscheidungen zu fällen. Weisungsbefugnis bezieht sich auf das Recht, anderen Stelleninhabern vorzugeben, welche Aktivitäten im Rahmen ihrer jeweiligen Stellenaufgaben konkret durchzufüh-ren sind. Formalisierung bezieht sich auf den Einsatz schriftlich fixierter organisatorischer Re-geln in Form von Organisationsschaubildern, -handbüchern, Richtlinien oder Be-schreibungen, die schriftliche Fixierung des Informationsflusses sowie der Leistungs-erfassung und -beurteilung der Organisationsmitglieder im Sinne der Aktenmäßigkeit. (vgl. KIESER & KUBICEK, 1992)

Kasten 2.9: Definition und Merkmale von Organisationsstrukturen

Da die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASI) und der Betriebsarzt beratende Auf-gaben und keine Aufsichtspflicht haben, sind ihre Funktionen als Stabsstellen (s. Kasten 2.9) strukturell in einem Unternehmen verankert. Ihre Stellung in der Hie-rarchie wurde vom Gesetzgeber ganz oben, als Stabsstellen oder Abteilungen für Arbeitssicherheit bzw. als betriebsärztlicher Dienst, bei der Betriebsleitung, ange-siedelt. Aufgaben der AGS-Funktionsträger bilden neben der Beratung der Füh-rungskräfte sowie der Beobachtung und Untersuchung der Sicherheits- und Ge-sundheitsbedingungen auch die Förderung des sicheren bzw. gesundheitsgerech-ten Verhaltens durch Belehrungen und Schulungen. Zur Unterstützung und Ge-währleistung der Arbeit der AGS-Funktionsträger hat der Gesetzgeber die Unter-nehmen verpflichtet, pro ca. zwanzig Mitarbeiter einen Sicherheitsbeauftragten zu bestellen. Der Sicherheitsbeauftragte (SIBA) ist ein regulärer Beschäftigter. Er

Stabsfunktionen

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 63

übernimmt die Beratung und Beobachtung der Sicherheitsarbeit vor Ort als ehren-amtliche Zusatzfunktion (SCHLIEPHACKE, 2003, S. 137 ff).

Während die einzelnen Arbeitnehmer, deren Sicherheit und Gesundheit ja ge-schützt und vor allem gefördert werden soll, im traditionellen deutschen Arbeits-schutzrecht eine eher passive Rolle hatte, fordert das Arbeitsschutzgesetz von den Beschäftigten, dass sie sich aktiv an der Gestaltung einer sicherheits- und gesund-heitsförderlichen Arbeit beteiligen. Konkret haben sie das Recht, dem Arbeitgeber Vorschläge zur Optimierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu machen (§ 17 Abs. 1 ArbSchG), was z.B. im Rahmen kooperativer Formen der Gefähr-dungsbeurteilung geschehen kann.

Rolle des Arbeitsnehmers

Qualitäts-sicherung

Produkt-bereich I

Produkt-bereich II

Produkt-bereich III

Produkt-bereiche

Abteilungen

TeilautonomeArbeitsgruppen

Meister Meister

Bereichsleiter

Sicherheits-teams SiS TS

TS

SiSTS

SiBa

Führungskräfte

Arbeitgeber

SIBA

FASI, BetriebsarztUmweltbeauftragte

KoordinationInformationBeratung

Gremienz. B. ASA

Umwelt-ausschuss

Gesundheits-Zirkel

Arbeitnehmer

ProfitcenterAGU-Dienstleistungen

FASI = Fachkraft für Arbeitssicherheit; SIBA = Sicherheitsbeauftragter; SIS =Sicherheitssprecher; TA = Teamsprecher; ASA = Arbeitsschutzausschuß

Qualitäts-sicherung

Produkt-bereich I

Produkt-bereich II

Produkt-bereich III

Produkt-bereiche

Abteilungen

TeilautonomeArbeitsgruppen

Meister Meister

Bereichsleiter

Sicherheits-teams

Sicherheits-teams SiS TSSiS TSTS

TSTS

SiSTS SiSSiSTSTS

SiBaSiBa

FührungskräfteFührungskräfte

ArbeitgeberArbeitgeber

SIBASIBA

FASI, BetriebsarztFASI, BetriebsarztUmweltbeauftragteUmweltbeauftragte

KoordinationInformationBeratung

Gremienz. B. ASAGremienz. B. ASA

Umwelt-ausschussUmwelt-

ausschussGesundheits-

ZirkelGesundheits-

Zirkel

ArbeitnehmerArbeitnehmer

ProfitcenterAGU-Dienstleistungen

FASI = Fachkraft für Arbeitssicherheit; SIBA = Sicherheitsbeauftragter; SIS =Sicherheitssprecher; TA = Teamsprecher; ASA = Arbeitsschutzausschuß

Abbildung 2.2: Akteure und Austauschformen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes

Auf betrieblicher Ebene gibt es verschiedene Gremien und Zusammenkünfte, die einen organisatorischen Rahmen für die Koordination der Tätigkeiten der ver-schiedenen Akteure des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes schaffen. Wichtigstes Gremium des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist der im Arbeitssicherheitsgesetz rechtlich verankerte Arbeitsschutzausschuss. Seine Aufgabe ist es, in mindestens vier Sitzungen pro Jahr die betrieblich relevanten Fragen des Arbeitsschutzes zu beraten. Mitglieder sind auf jeden Fall der Arbeit-geber, zwei Betriebsratsmitglieder, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Sicherheitsbeauftragte. Es ist darüber hinaus möglich und oftmals auch sinnvoll, weitere Akteure in den Ausschuss zu integrieren (z.B. Umweltbeauftrag-te, Schwerbehindertenvertreter usw.).

Betriebliche Kooperationsstrukturen

Des Weiteren kann die Thematisierung von Fragen der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in Ausschüssen (z. B. Wirtschaftsausschuss) oder auch Betriebs- und Abteilungsversammlungen dazu beitragen, die betrieblichen Aktivitäten und Probleme sowie die unterschiedlichen Interessenlagen einer breiteren betriebli-

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

64

chen Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen sowie den Erfahrungsaustausch zu fördern. In der GAMAGS-Studie (s. Kasten 3.1) zeigte sich, dass Unternehmen, die ihre Leistungen im AGS verbessern konnten, nicht weitere AGS bezogene Austauschforen einrichteten, sondern sie machten Fragen der Sicherheit und Ge-sundheit in alltäglichen Zusammenkünften, wie Team- Abteilungs- oder Füh-rungsbesprechungen zum Thema (ELKE & ZIMOLONG, 2001).

Auch wenn die gesetzlichen Regelungen von einer hierarchisch-strukturierten Organisationsform ausgehen und die KMU nicht berücksichtigen, wird sich das Rollen- und Aufgabenverständnis der Funktionsträger im AGS im Anbetracht alternativer Organisationsstrukturen verändern. Die neuen Formen der Arbeitsor-ganisation, mit deren Einführung zum einen eine Verlagerung und/oder Verände-rung der Gesundheitsbelastungen einhergehen kann, eröffnen zum anderen auch Chancen für den Arbeitsschutz. Da sie auf Eigenverantwortung und Selbstorgani-sation ausgelegt sind, erfordern sie auf Seiten der Mitarbeiter neben einer fachli-chen Kompetenz auch ein besonderes Ausmaß an sozialen und methodischen Kompetenzen. Diese Qualifikationen und ein erhöhtes Motivationspotential lassen Synergieeffekte für einen präventiv ausgerichteten Arbeits- und Gesundheits-schutz erwarten. Auf Seiten der Führungskräfte und der Funktionsträger des AGS rücken die Unterstützung und Förderung von Eigeninitiative und Motivation für gesundheitsförderliches Handeln in den Vordergrund. Funktionsträger wie Füh-rungskräfte müssen ebenfalls verstärkt neben fachlichen auch soziale und metho-dische Kompetenzen entwickeln, um die immer komplexer werdenden Koordina-tionsaufgaben in dezentralen Strukturen im Sinne eines präventiven AGS mitzu-gestalten.

Veränderte Rollen- und Aufgaben

In der Praxis werden bereits neue Modelle der strukturellen Einbindung des AGS, die mit einem veränderten Selbstverständnis der Funktionsträger einhergehen, geprüft. Im Rahmen einer vernetzten Organisation werden Leistungen zwischen Unternehmensbereichen oder Abteilungen wie in einer Kunden-Lieferanten-Beziehung abgerechnet. Die AGS-Abteilung stellt dem Unternehmensbereich die angeforderte Arbeitsschutzleistung in Rechnung. Ziel ist, das Kostenbewusstsein zu schärfen und die Kundenorientierung, d.h. die Anpassung der Leistung der AGS-Abteilung an die spezifischen Belange des jeweiligen Unternehmens-bereiches zu erhöhen. Gleichzeitig soll der durch die AGS-Abteilung erwirt-schaftete Deckungsbetrag verdeutlicht werden. Derzeit sind die Unternehmens-bereiche noch verpflichtet, die AGS-Leistungen von der internen AGS-Abteilung einzukaufen. In Zukunft kann man sich vorstellen, dass die AGS-Abteilung mit externen Anbietern konkurrieren muss, da die Unternehmensbereiche dann auch andere Angebote am Markt auswählen können.

Arbeitsschutz als Dienstleistung

Im Hinblick auf eine präventive Ausrichtung des AGS und seine Integration in die betrieblichen Abläufe stellt sich allerdings die Frage, wie diese Zielsetzungen durch den Einsatz externer AGS-Experten unterstützt, gefördert und erreicht wer-den können. Die vorbeugende medizinische Versorgung der Mitarbeiter setzt eine

Externe Beratungsdienste

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 65

Kenntnis der betrieblichen Abläufe und Gegebenheiten voraus. Es ist fraglich, ob ein Betriebsarzt, der nur einzelne Stunden für die Erbringung spezifischer Leis-tungen im Betrieb ist, die Möglichkeit hat bzw. motiviert ist, sich das notwendige Wissen anzueignen. Die zeitlich begrenzte Anwesenheit des externen Betriebsarz-tes schränkt die Möglichkeit zur Kommunikation mit den betrieblichen Entschei-dungsträgern und damit die Entwicklung von Kooperationsbeziehungen ein. Zu-dem setzt die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ebenso wie die Annahme von Rat-schlägen ein Vertrauensverhältnis voraus, dessen Basis sich entwickeln muss. Betriebsärzte kennen die Mitarbeiter in ihrem Unternehmen z. T. seit Jahren. Sie wissen über ihre Krankengeschichten Bescheid, können eine Verbindung zwi-schen Beschwerden und ihre Ursachen herstellen und so effizienter im Sinne des Mitarbeiters und des Betriebes helfen.

Viele Betriebe (KMU) sind zu klein, um einen Arzt Teil- oder Vollzeit zu be-schäftigen. Sie müssen auf überbetriebliche Dienste zurückgreifen. In größeren Unternehmen ist die notwendige Integration des Betriebsarztes in den betriebli-chen Alltag nicht immer vorhanden. Sie kann z.B. dadurch erreicht werden, dass der Betriebsarzt zusammen mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit in die Struk-turen und Prozesse der Gesundheitsorganisation eingebunden wird, wie durch die geforderte Zusammenarbeit in Gremien, Planungsverfahren, im Rahmen der re-gelmäßigen Begehungen und den Auditverfahren. Die Integration des Betriebsarz-tes ist auch dann gegeben, wenn Programme, wie eine von der Krankenkasse or-ganisierte Herzwoche, eine Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Medizini-schem Dienst fordern.

Einbindung des Betriebsarztes

Sowohl die internen als auch die externen AGS-Beratungsleistungen sind nur dann effektiv, wenn durch die Organisation des AGS eine Integration von Sicher-heit und Gesundheit in die Geschäftsprozesse gewährleistet ist, d.h. die Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter ihre AGS-Aufgaben wahrnehmen.

Qualifizierte Beratung kann durch Zertifizierungen, u. a. in Form von überbetrieb-lichen Vereinbarungen, oder durch Festlegung von Qualifikationsprofilen gesi-chert werden. Gute Leistungen sind, wie nachfolgend ausführlicher beschrieben wird, davon abhängig, inwieweit sich ein Mitarbeiter den Leistungszielen ver-pflichtet fühlt. Bisher stand die Identifikation mit den betrieblichen Zielen im Vordergrund. Da sich Grenzen von Organisationen immer mehr auflösen, und sich damit die Standards einzelner Betriebe immer weniger als Bezugssysteme eignen, wird in der Literatur diskutiert, inwieweit ein leistungsbezogenes Com-mitment durch die Bindung an die Qualitätsstandards einer Berufsgruppe geför-dert und unterstützt werden kann (ROUSSEAU, 1997). Die gesetzlich vorge-schriebene regelmäßige Fortbildung von Ärzten und von psychologischen Psy-chotherapeuten oder die Verpflichtung einzelner Berufsverbände zur lebenslängli-cher Fortbildung sind neben der Mitgliedschaft in einem Berufsverband entspre-chende Maßnahmen zur Förderung professionsbezogener Qualitätsstandards und Wertorientierungen.

Qualitätsstandards

2.4 Organisationsgestaltung und Verhaltenssteuerung

66

Neben der Frage nach der generellen Einbindung externer Dienstleister stehen die Unternehmen vor dem Problem, wie sie den AGS in die dezentralen Teamstruktu-ren einbinden können. BULLINGER, KERN und SCHINDHELM (1996, S. 70ff) berichten von einem Beispiel für die Koordination der Sicherheitsarbeit im Rah-men teilautonomer Arbeitsgruppen. Die unternehmensweite Einführung der Grup-penarbeit hatte in dem Unternehmen die Zahl der weitgehend autonom arbeiten-den Gruppen ohne gruppeninternen Vorgesetzten erhöht. Es stellte sich die Frage nach einem verfügbaren Ansprechpartner für den Arbeitsschutz. Man entschied sich für die Einführung eines Sicherheitssprechers (SiS) pro Gruppe. Er wird von der Gruppe gewählt und nimmt vornehmlich Moderatorfunktionen wahr. Ausge-bildet wird er von der Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASI) und von dem Si-cherheitsbeauftragten (SIBA). Das Sicherheitsteam, an dem die SiS eines Berei-ches und der SIBA teilnehmen, trifft sich wöchentlich, um über Arbeitsschutzfra-gen zu beraten. In manchen Gruppen besteht eine Personalunion zwischen Si-cherheits- und Teamsprecher (TS). Der rotierende Wechsel der Funktion des SI-BA und des SiS zwischen den Mitarbeitern der Gruppe ist eine weitere explizite Regelung zur Koordinierung der Sicherheitsleistungen in teilautonomen Arbeits-gruppen (s. Abb. 2.2).

Einbettung des AGS in Teams

Dennoch stellt sich bei dezentralen Strukturen, wie Gruppenarbeit, die flexibles Verhalten ermöglichen, verstärkt die Frage: Wie können Unternehmen sichern, dass die Freiräume auch im Sinne der Unternehmensziele genutzt werden? Eine Antwort, die wir bereits erörtert haben, ist die Delegation von Entscheidungen in Arbeitsgruppen und eine leistungs- und lernbezogene Vergütung; damit werden auch die Kontrollmaßnahmen der Führungskraft an die Gruppe delegiert. Die Antwort von OUCHI (1980) lautet: „clan control“. Ein Clan lässt sich als eine verwandtschaftsähnliche Gemeinschaft umschreiben. Ein Clan hält zusammen und ist charakterisierbar durch ähnliche Verhaltensweisen. Das Verhalten der Mitglieder eines Clans orientiert sich an denselben Standards und Regeln. Clan-kontrolle meint die Lenkung und Entwicklung von Verhaltensweisen durch eine gemeinsame Kultur.

„Clan Control“

2.4.4 Kultur: Gemeinsame Werte und Normen

In Organisationen entwickelt sich im Verlauf der Zeit ein gemeinsames Bewusstsein, das u. a. steuert, wie organisatorische Vorschriften zu verstehen oder Probleme anzugehen sind. Die Grundgesamtheit gemeinsamer Wert- und Normvorstellungen sowie geteilter Denk-, Problemlösungs- und Verhaltensmuster, durch die das Handeln in Organisationen indirekt koordiniert und ausgerichtet wird, stellt die Kultur eines Unternehmens dar (s. Kasten 2.10).

Sie bildet den impliziten Verhaltenscode. Im Zentrum stehen die grundlegenden Werte und Annahmen, die sich auf die Grundthemen menschlicher und betriebli-cher Existenzbewältigung beziehen, wie z.B. die Annahmen über die Natur des Menschen und seines Handelns, über das Wesen von Organisationen und ihrer Steuerung. Diese Basisannahmen, die für die Existenz eines Unternehmens und

Impliziter Verhaltensscode

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 67

seiner Mitglieder richtungweisend sind, stehen nicht isoliert nebeneinander, son-dern bilden ein kohärentes Muster, ein Weltbild oder eine Unternehmenskultur.

Unternehmenskultur kann in Anlehnung an SCHEIN (1990) definiert werden als: ein Muster von grundlegenden Annahmen,

Definition

a) das von einer Gruppe entdeckt, entwickelt und gelebt wird, um b) die Probleme der Anpassung an die Anforderungen aus den in- und externen

Umwelten zu lösen, das c) sich zur Problembewältigung bewährt hat und deshalb d) an neue Mitglieder weitergegeben wird als e) die korrekte Art und Weise Dinge wahrzunehmen, zu denken und zu fühlen.

Kasten 2.10: Definition von Unternehmenskultur

Den Kern der Sicherheits- und Gesundheitskultur einer Organisation macht ein Muster von grundlegenden gesundheitsbezogenen Annahmen und Werten aus. Diese Überzeugungen haben sich im Laufe der Zeit im Umgang mit Fragen der Gesundheit und Sicherheit in der Organisation als bedeutsam erwiesen. Sie wer-den von der Mehrheit der Organisationsmitglieder geteilt und als nicht zu hinter-fragende Selbstverständlichkeiten angesehen. Jedes Unternehmen hat eine Si-cherheits- und Gesundheitskultur entwickelt, aber es lassen sich große Unter-schiede im Hinblick auf eine umfassende Verpflichtung zum Schutz und Förde-rung von Gesundheit beobachten. Nicht in jedem Unternehmen ist es selbstver-ständlich, dass sicheres Verhalten auch geschätzt wird. Zwischen jungen Kollegen kann es z.B. als besonders sportlich gelten, wenn man sich bewusst riskant ver-hält: Drei Treppenstufen auf einmal nimmt oder von der Rampe springt. Kulturen können sich, wie eine Studie von LORSCH (1986) zeigt, auch potentiell blockie-rend auswirken.

Sicherheits- und Gesundheitskultur

Von Bedeutung ist nicht nur die inhaltliche Ausrichtung, sondern auch die Frage nach dem Stellenwert, d.h. der Stärke und Reichweite der betrieblichen Gesund-heitskultur. Ihre Entwicklung stützt sich vornehmlich auf das Wirken einflussrei-cher Kulturträger. Die potentiellen „Kulturpromotoren“ einer förderlichen Ge-sundheitskultur sind neben der Unternehmensleitung vor allem die Führungskräfte (ELKE, 2001a). Mittlerweile konnte der bedeutende Einfluss der Sicherheits- und Gesundheitskultur für einen erfolgreichen AGS vielfach empirisch belegt werden. Im nächsten Kapitel wird ausführlich auf die Funktion der Kultur und ausgewähl-te Forschungsergebnisse eingegangen (s. Kap. 3.6).

Kulturpromotoren

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

68

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

Eine erfolgreiche Gesundheitsförderung ist kein Ergebnis, das ein Unternehmen zu einem Zeitpunkt erreicht, sondern Gesundheit und Sicherheit sind beständig zu erbringende und zu verbessernde Leistungen. Die zentrale Herausforderung be-zieht sich auf die Frage, wie Gesundheit unternehmensweit aufeinander abge-stimmt gesichert und gefördert werden kann.

2.5.1 Zielsetzung und Funktion

Eine Antwort stellen Gesundheitsmanagementsysteme dar. Sie liefern den vom Arbeitschutzgesetz geforderten organisationalen Rahmen und unterstützen als formale Führungssysteme die Leitung und Entscheidungsträger eines Unterneh-mens, ihre Aktivitäten zur Sicherung und Förderung von Sicherheit und Gesund-heit systematisch und organisationsübergreifend zu bündeln und zu steuern (ZIMOLONG, 2001b).

Managementsysteme

Management heißt organisiertes, planvolles Führen. Management als Prozess be-zieht sich auf die Gestaltung von Systemen und die Koordination, Steuerung und Lenkung von Prozessen. Managementsysteme sind formalisierte und institutiona-lisierte Führungssysteme. Es handelt sich um allgemeine Hinweise und Regeln, wo und wie die verantwortlichen Manager erfolgreich ihr Unternehmen managen können. Managementsysteme legen Verantwortung, Zuständigkeiten und Aufga-ben fest und dienen dazu, die konsequente Umsetzung der Unternehmensziele im Hinblick auf einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess dauerhaft zu gewähr-leisten.

Ziel eines integrativen betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems (GMS) ist es, Unternehmen so zu führen, dass Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit als unternehmenspolitische Zielsetzungen dem vorrangigen, ertragsorientierten Un-ternehmensziel zugeordnet und mindestens gleichwertig neben anderen Zielset-zungen, wie Umsatz, Qualität und Umweltschutz gestellt und konsequent umge-setzt werden. Mit der Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems ist auf der einen Seite die Schaffung eigener Strukturen und Prozesse für die Sicherung und Förderung von Sicherheit und Gesundheitsschutz und auf der anderen Seite eine Integration von Sicherheit und Gesundheitsschutz in alle Strukturen und Pro-zesse des Unternehmens verbunden (vgl. ZIMOLONG, 2001b).

Gesundheits-managementsystem

Um der Forderung nach Prävention und Gesundheitsförderung (s. Kap. 2.1.3) nachzukommen braucht ein betriebliches Gesundheitsmanagement zwei strategi-sche Ansätze: Die Kontrolle arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und die Stär-kung der Ressourcen der Mitarbeiter. Die Kontrolle der Gesundheitsgefahren er-folgt durch die bewährten Strategien und Methoden des klassischen Arbeitsschut-zes. Allerdings müssen für die „neuen“ Risikoarten psychische Belastungen, schlechte Ergonomie oder Strahlungsarten auch neue Analyse- und Bewertungs-methoden entwickelt und eingeführt werden. Die Gesundheitsförderung muss

Strategische Ansätze

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 69

durch Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz, durch Förderung aktiver Mitarbeiterbeteiligung und durch eine Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen umgesetzt werden.

Abbildung 2.3: Prozessdarstellung eines integrativen Betrieblichen Gesundheits-Managementsystems mit den Teilsystemen der Risikokontrolle und Gesundheits-förderung

In Abbildung 2.3 sind die Teilsysteme, Strukturen und Prozesse eines integrativen betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems Anlehnung an den britischen Leit-faden (HSE, 1997) aufgeführt, der für die Prävention von Gesundheitsrisiken ent-worfen wurde. Die Erweiterung um die Gesundheitsförderung wurde im Rahmen des Managementsystems GAMAGS (Ganzheitliches Management des Arbeits- und Gesundheitsschutzes) von ZIMOLONG (2001b) mit der Einführung der Be-teiligung und Ressourcenförderung vorgenommen. Die Prozessgestaltung orien-tiert sich an dem Deming-Rad der systematischen Verbesserung (Plan-Do-Check-

Teilsysteme Strukturen Prozesse

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

70

Act-Cycle). Betriebliche Gesundheitsförderung durch ein GMS reicht über den eigentlichen Betrieb hinaus in das betriebliche Umfeld hinein. Damit sind Aspekte berufsbedingter Mobilität als auch weitere Lebensbereiche berührt. (ZIMOLONG, ELKE & TRIMPOP, 2006). Hier liegt der Schwerpunkt auf dem betrieblichen Bereich.

2.5.2 Vorgehen und Gestaltungsfelder

Ein integratives betriebliches GMS greift die Unterscheidung des normativen, strategischen und operativen Managementhandelns auf. Es ist dem Lebenszyklus-konzept verpflichtet. Politik, Ziele und Strategiewahl liefern den Rahmen und die Ausrichtung eines Unternehmens auf die Ziele Gesundheit und ihrer Integration in die betrieblichen Abläufe. Alle betrieblichen Funktionen müssen zur Erreichung dieser strategischen Zielsetzung beitragen. Gesundheitsschutz und -förderung sind nicht nur Aufgabe der betrieblich bestellten Funktionsträger (Fachkraft für Ar-beitssicherheit, Betriebsarzt, Umweltschutzbeauftragter), sondern der Führungs-kräfte und Mitarbeiter aller Abteilungen und auf allen Ebenen.

Politik, Ziele und Strategiewahl

Mit der Organisation, insbesondere der Arbeitsorganisation, soll die Vorausset-zung für die Umsetzung der Strategie und der systematischen Risikokontrolle und Gesundheitsförderung geschaffen werden. Es müssen Strukturen und Prozesse entwickelt werden, die u. a. die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, die Kommunikation und Zusammenarbeit im AGS regeln, aber auch die Integration der Mitarbeiter durch Beteiligung und Stärkung der Eigenverantwortung unter-stützen. Sie können unterteilt werden in die Personal-, Informations- und Kom-munikations- (IuK)Systeme und in die Maßnahmen und Programme zur Stärkung des Integration und der Selbstverantwortung der Beschäftigten. Durch die struktu-relle Verankerung in Personalsystemen sollen Führungsverantwortung und -verhalten, Personalentwicklung und Verhaltensprogramme durch die Organisati-on gefördert und angepasst werden. Das Ziel ist die Entwicklung einer positiven Gesundheitskultur, die als Führungssubstitut für die interaktive Führung dient und die Förderung eigenverantwortlichen Handelns unterstützt. Aufgabe des IuK-Managements ist die bedarfsgerechte Bereitstellung von Informationen sowie die Schaffung, Pflege und Optimierung des inner- und überbetrieblichen Kommuni-kationsnetzwerkes. Formen der Entscheidungsbeteiligung setzen auf der Arbeits-platzebene mit der Erweiterung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums an, weitere Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen sind die Einrichtung von Teamarbeit, Gesundheitszirkel und Ideenmanagement.

Organisation

Die Planung und Umsetzung der Risikokontrolle ist Teil des operativen Manage-ments. Eingesetzt werden die Instrumente der Gefährdungsermittlung und –bewertung und die Kontrolle der Gefährdungen durch technische, organisationale und personale Präventionsmaßnahmen. Sie setzen bei der Auswahl der materiellen wie personellen Ressourcen, den Prozessen und ihren betrieblichen Bedingungen an. Nach dem Arbeitsschutzgesetz setzt die Planung von Maßnahmen die Durch-führung von Gefährdungsanalysen voraus. Das Wissen über die Gefährdungen

Risikokontrolle

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 71

und Belastungen auf der Arbeitsplatzebene bildet eine wichtige Grundlage für die systematische Ableitung der betrieblichen AGS-Ziele und Standards. Die Umset-zung der AGS-Maßnahmen muss überwacht und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Die systematische Überwachung und Bewertung mündet in die Ableitung weiterer Ziele, Maßnahmen oder Konsequenzen z.B. für die Arbeits-gestaltung, den Einkauf von Arbeitsmitteln, den Führungsstil und Maßnahmen der Personalentwicklung, wie Beurteilung oder Qualifizierung.

Konsequenzen

Setzen vonStandards

Beobachten

Messen

Bewerten

Ableiten vonZielen

Dieses systematische Vorgehen wird als Steuerungszyklus mit den Phasen: Ablei-ten und Setzen von Zielen oder Standards, Beobachten und Messen der Um-setzung, Bewerten der Ergebnisse und Ableiten von Konsequenzen, beschrieben. Der Zyklus spielt nicht nur im betriebswirtschaftlichen Kontext in Form des „Controllings“ eine bedeutende Rolle für die Leistungssteuerung, sondern er wird auch in den Normen EN ISO 9000ff und EN ISO 14001 als ein wichtiges Instru-ment zur Qualitätssicherung bzw. zur Optimierung des Umweltmanagements vor-gegeben.

Die Gesundheitsförderung hat das Ziel, durch Förderung von personalen und Un-terstützung durch externale Ressourcen das eigenverantwortliche Handeln der Be-schäftigten zu fördern und die Gesundheits- und Handlungskompetenz zu stärken. Das geschieht vor allem durch Information, Beteiligung und Entwicklung einer positiven Gesundheitskultur. Die Wirksamkeit der Risikokontrolle und Gesund-heitsförderung wird durch die Leistungsmessung und –überprüfung mit proaktiven und reaktiven Kennzahlen gesichert. Für die Überprüfung des Gesamtsystems sind regelmäßige Systemkontrollen in Form von Audits erforderlich.

2.5.3 Gesundheitsleistungen und ihre Messung

Gesundheitsleistungen werden im betrieblichen Gesundheitsmanagement als Leis-tungsgrößen wie Qualität, Umsatz oder Kundenzufriedenheit behandelt. Die Aus-wahl der Messgrößen für die Leistungsüberprüfung ist abhängig von den Zielen und Steuerungsebenen. Zur Leistungsmessung können auf allen Steuerungsebe-nen, d. h. auf der individuellen, Abteilungs- und Organisationsebene, reaktive und proaktive Indikatoren herangezogen werden. Beispiele für reaktive Daten sind die der Krankenkassen über das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen und über Arzneimit-telverordnungen, Daten der Unfallversicherungsträger über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen oder betriebsärztlichen Untersuchungen zu Belastungen, Gesundheitsbeschwerden und Krankheiten. Wei-tere Indikatoren sind in Tabelle 2.5 aufgeführt. Reaktive Indikatoren sind auch für eine präventive Gesundheitsförderung unverzichtbare Leistungsindikatoren. Sie reichen aber als Datenbasis für die Gestaltung und Optimierung eines GMS nicht aus. Vorbeugendes Handeln erfordert ein Frühwarnsystem mit proaktiven Indika-toren. Dazu gehören die Analyse und Bewertung potenzieller Gefährdungen und Fehlbelastungen, die Erhebung ihrer Ursachen und die Förderung personaler und externaler Ressourcen.

Leistungsgrößen

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

72

Die integrative Analyse und Bewertung von Gefährdungen, Erkrankungen und Arbeitsbedingungen bilden nicht nur die Grundlage für eine Risikobewertung, sondern auch für die systematische Ableitung von Maßnahmen. Die von den Krankenkassen in den „Gesundheitsberichten“ erstellten quantitativen Angaben über Krankheitsdiagnosen und Arbeitsunfähigkeiten (AU) für einzelne Betriebe erlauben die Analyse und Beurteilung des AU-Geschehens nach Mitarbeiter-gruppen, Abteilungen und Krankheitsarten. Das AU-Geschehen auf Gruppen- und Abteilungsebene lässt sich mit den Werten des Unternehmens im Branchen- und Bundesvergleich vergleichen und bewerten.

Integrative Analyse

Tabelle 2.5: Beispiele für reaktive und proaktive Sicherheits- und Gesundheitsindikatoren ( s. ELKE & ZIMOLONG, 2001)

Gesundheitsindikatoren

Reaktive Indikatoren Proaktive Indikatoren

Riskantes Verhalten Gesundheitspolitik und -klima

Unsichere Bedingungen Kommunikation einer Sicherheitsstrategie

Kritische Ereignisse und Beinahe-unfälle

Benennung eines leitenden Arbeitsschutz-koordinators

Unfälle ohne Personenschaden Häufigkeit und Effektivität von Gesundheits-zirkeln

Anzeigepflichtige Unfälle Zahl der Mitarbeitervorschläge zur Verbesserung der Gesundheit

Fehlzeiten, Krankheitsgeschehen Umfang der Beteiligung und Einbindung der Beschäftigten

Berufskrankheiten Häufigkeit von Gefährdungs- und Belastungs-analysen

Durchsetzungsmaßnahmen der regelsetzenden Behörde

Verwendung persönlicher Schutzausrüstungen

Beschwerden z. B. seitens der Öffentlichkeit

Berichte über Vorsorgeuntersuchungen

Für die Erhebung von Gesundheitsindikatoren steht eine Vielzahl von Verfahren zur Verfügung. So können zur Analyse und Bewertung des aktuellen Leistungs-standes z. B. systematische Arbeitsplatzbegehungen anhand von Kontrolllisten, Sicherheitsrundgänge, Sicherheitsprüfung von Anlagen, Maschinen und elektri-schen Geräten, Immissions- und Emmissionsüberprüfungen, Befragungen zu Ge-sundheits-Einstellungen der Mitarbeiter, zur Führung oder der Gesundheitskultur durchgeführt werden. Mit der Fragebogenfamilie zum Arbeits- und Gesundheits-schutz (FAGS) liegt ein standardisiertes Analyse- und Bewertungsverfahren für das individuelle Sicherheits- und Gesundheitsverhalten, das Führungsverhalten und die Sicherheits- und Gesundheitskultur vor. Der Einsatz des FAGS ermög-

Erhebung

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 73

licht eine prozessnahe und proaktive Überwachung und Überprüfung der gesund-heitlichen Leistungserbringung auf der Verhaltens- und Organisationsebene (EL-KE & STAPP, 2001).

Eine Zusammenstellung von Checklisten und Verfahren ist bei KOHSTALL und LERCH (1999), von Arbeitsanalyseverfahren bei DUNCKEL (1999) zu finden. Hier finden sich auch Verfahren zur Analyse und Bewertung der arbeitsorganisa-torischen Ressourcen, u. a. der Autonomie und der Lern- und Persönlichkeitsför-derlichkeit in der Arbeit. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (http://www.baua.de/prax/toolbox.htm) bietet als Dienstleistung eine Online-Toolbox mit Verfahren zur Analyse psychomentaler und psychosozialer Belas-tungen und Beanspruchungen an, die ständig ergänzt wird.

Verfahren

Die auf der Organisationsebene stattfindenden Audits können zwei Zielsetzungen haben: Erstens den Abgleich zwischen Standards und den Umsetzungspraktiken im Alltag, wie z. B. mit gesetzlichen Regelungen, Vorschriften oder betrieblichen Zielen und zweitens die Überprüfung der Wirksamkeit des GMS und seiner In-strumente (SCHUBERT, LITTINSKI & LUDBORZS, 1997).

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

74

Literaturempfehlung

Elke, G. (2000). Management des Arbeitsschutzes. Wiesbaden: Deutscher Univer-sitäts-Verlag. (Kap. 1-4)

Picot, A., Reichwald, R. & Wigand, R. T. (2003). Die grenzenlose Unterneh-mung. Information, Organisation und Management. Lehrbuch zur Unterneh-mensführung im Informationszeitalter. (5. Auf.). Wiesbaden: Gabler.

Schreyögg, G. (2003). Organisation. Grundlagen moderner Organisations-gestaltung. (4. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.

Zimolong, B. (Hrsg.). (2001). Management des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – Die erfolgreichen Strategien der Unternehmen. Wiesbaden: Gabler. (Kap. 1, 2 und 9)

Zimolong, B., Elke, G. & Trimpop, R. (2006) Gesundheitsmanagement. In B. Zimolong & U. Konradt (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie Themenbe-reich D Praxisgebiete, Serie III Wirtschaft-, Organisations- und Arbeitspsy-chologie, Band 2 Ingenieurpsychologie (S. 633-668). Göttingen: Hogrefe.

2 Betriebliche Gesundheitsförderung 75

Übungsaufgaben zu Kapitel 2

1. Skizzieren Sie die zunehmende Bedeutung von Präventionsnetzwerken und

nennen Sie mindestens drei Beispiele.

2. Stellen Sie sich vor, Sie sind Leiter einer Baustelle. Welche prinzipiellen

Möglichkeiten haben Sie, um das Verhalten der Arbeiter auf der Baustelle

so zu steuern, dass sie sich sicherheitsgerecht verhalten. Nennen Sie min-

destens ein konkretes Beispiel für die jeweilige Kontrollform.

3. Skizzieren Sie nachfolgend die Rolle und Aufgaben der verschiedenen Ak-

teure im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz:

Unternehmer:

Führungskräfte:

Arbeitnehmer:

Fachkraft für Arbeitssicherheit:

Betriebsarzt:

Sicherheitsbeauftragter:

4. Wie kann die Sicherheit und Gesundheit in einem Unternehmen nachhal-

tig gesichert und gefördert werden?

2.5 Gesundheitsmanagementsystem

76

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 77

3 Gesundheitsbezogenes Personalmanagement

3.1 Aufgaben und Funktionen

Das Personalmanagement gehört zu den Kerngestaltungsfeldern des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BECKMANN, ZIMOLONG, STAPP & ELKE, 2001). Es bezieht sich neben der Steuerung und Koordination des Leistungsverhaltens, einschließlich sicherheits- und gesundheitsgerechten Verhaltens, auch auf die Un-terstützung, Förderung und Entwicklung der menschlichen Ressourcen und damit ihrer Gesundheitspotenziale.

Kerngestaltungsfeld

Prinzipiell lassen sich zwei Strategien zur Verhaltenssteuerung und Förderung in einem Unternehmen abgrenzen: die direkte Personalführung durch persönliche Interaktion und die strukturell-systemische Führung (WUNDERER, 2000). Bei der strukturellen Führung steht die Entwicklung und Umsetzung von Rahmen-bedingungen zur verhaltenssteuernden Situationsgestaltung im Vordergrund. Ziel ist die Gestaltung optimaler Leistungsbedingungen und die Förderung selbststän-digen und eigenverantwortlichen Handelns, z. B. durch eine gesundheitsförder-liche Arbeitgestaltung (s. Kap 2.3.1) oder gesundheitsförderliche Unternehmens-kultur (s. Kap. 2.3.4; Kap. 3.6). Die strukturelle Führung kann teilweise als Sub-stitution direkter Führung eingesetzt werden. Die personale Führung dient der individuellen und situativen Umsetzung der Gestaltungsziele durch einzelne Mit-arbeiter oder Teams, d. h. letztendlich der Feinsteuerung des Verhaltens. Die Füh-rungskraft kann durch ganz unterschiedliche Verhaltensweisen − wie Anweisen, An-leiten, Delegieren, Motivieren, Ziele setzen oder vereinbaren, Beaufsichtigen, Kon-trollieren, Überprüfen, Rückmelden und Sanktionieren − versuchen, das Verhalten der Mitarbeiter auf die Unternehmensziele auszurichten oder aufeinander abzustim-men. Gleichzeitig stehen einer Führungskraft, vor allem in größeren Unternehmen, Instrumente und Systeme für die Personalführung, wie Beurteilungs-, Anreiz- oder Entlohnungssysteme, ebenso wie Instrumente zur Personalauswahl und -entwicklung zur Verfügung. In größeren Organisationen kann die Führungskraft auf Personal-Managementsysteme zurückgreifen. Das sind kombinierte Systeme, mit denen Einstellungen, Versetzungen und Fortbildungen von Personal geplant, entschieden und kontrolliert werden. Beispiele sind aufeinander bezogene Personalbeurtei-lungs- und –entwicklungssysteme, die Verknüpfung von Beurteilungs- und Quali-fizierungssystemen sowie Personalführungssysteme z. B. MbO (Management by Objectives), die mit einem Beurteilungs- und Anreizsystem verbunden sein kön-nen.

Strategien

Das Führungsverhalten selber wird in vielen Unternehmen strukturell durch Füh-rungsgrundsätze und –zielvorgaben sowie den Einsatz von Personalsystemen ge-steuert.

Aufgaben und Funktionen

78

Stichprobe: Insgesamt nahmen 18 Betriebe aus 16 Unternehmen an der Feldstudie teil. 14 Betriebe kamen aus der Branche Chemie und jeweils zwei Betriebe aus den Bran-chen Kohle- und Papierverarbeitung. Die Produktpalette reichte von organischen und anorganischen Grundchemikalien über die Produktion von Ruß, Kosmetika, Wasch-pulvern und Pharmazeutika bis hin zur Produktion von Kunststoffen, Chemiefasern oder der Verarbeitung von Steinkohle. In allen an der Untersuchung beteiligten Be-trieben arbeiteten mehr als 200 Mitarbeiter in der Produktion. Durchführung und Beteiligung: Die Datenerhebung fand im Zeitraum von Juni 1996 bis Oktober 1997 statt. Die Datenbasis der Feldstudie bilden neben Gefährdungsanaly-sen an 34 typischen Produktionsarbeitsplätzen und umfangreichen Dokumenten-analysen insgesamt 1536 Fragebogen und 686 Interviews. Befragt wurden sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter. Leistungsgruppen: Um den Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Management-systeme und dem betrieblichen Leistungsniveau im AGS zu untersuchen wurden die Unternehmen in vier Leistungsgruppen eingeteilt. Für die Bestimmung der betriebli-chen Sicherheits- und Gesundheits-Leistungen wurden, ausgehend von den Unfallhäu-figkeiten und krankheitsbedingten Fehlzeiten, gewichtete Risikokennzahlen ermittelt, die branchenspezifische Gefahrtarife berücksichtigen. Überdurchschnittliche Betriebe wiesen in den letzten vier Jahren zum Zeitpunkt der Untersuchung geringe Risikokennwerte und unterdurchschnittliche Betriebe hohe Risikokennwerte auf. Gleichzeitig gab es Betriebe, die in den letzten vier Jahren ihre Risikowerte senken konnten, die so genannten Fortschrittsbetriebe und die Rück-schrittbetriebe, deren Leistungen sich verschlechtert hatten. Repräsentativität: Insgesamt handelt es sich um keine repräsentative Stichprobe, son-dern um eine Positiv-Auslese. Die überdurchschnittlichen Unternehmen weisen eine Spannbreite von 1,5 bis 13,1 Unfällen pro 1000 Vollarbeiter (TMQ) auf, die unter-durchschnittlichen Unternehmen von 13,7 bis 125,4. Die durchschnittlichen TMQ der chemischen Industrie lag 1996 bei 23,54 (BG Chemie, 1996), für alle Wirtschafts-zweige bei 40 (HVBG, 1997). Literatur: Eine ausführliche Darstellung der Studie und ihrer Ergebnisse ist bei ZIMOLONG (2001a) zu finden. * Das GAMAGS-Projekt wurde vom Projektträger „Arbeit und Technik“ des Bundesminis-teriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie von 1995 bis 1998 gefördert. Am dem von der Ruhr-Universität Bochum geleiteten Forschungsverbund waren die Katholi-sche Stiftungsfachhochschule München und das Institut für Angewandte Psychologie „Dia-gnose und Transfer“ München beteiligt.

Fragestellung: Den Untersuchungsschwerpunkt der ersten empirischen Studie zum ganzheitlichen Management des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (GAMAGS)* bil-deten Fragen nach der Struktur, den Prozessen und der Bedeutung einzelner Elemente und Gestaltungsfelder eines Arbeitsschutz-Management-Systems für die Sicherheits-und Gesundheitsleistungen eines Unternehmens. Untersucht wurden insbesondere die Planungs- und Arbeitsgestaltungsprozesse, das Personal-, Informations- und Kommu-nikationsmanagement sowie die Sicherheits- und Gesundheitskultur.

GAMAGS-Studie

Kasten 3.1: Die GAMAGS-Studie

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 79

3.2 Strukturelle Führung

3.2.1 Gestaltung von Systemen

BERTHEL und BECKER (2003) unterscheiden im Hinblick auf die Aufgaben des Personalmanagements zwischen der „Direkten Personalführung“ und der „Gestal-tung von Systemen“ (s. Tab. 3.1). Die Funktion der Systemgestaltung ist in gro-ßen Unternehmen Aufgabe der Personalabteilung. Systeme der Personal-entwicklung, Personalführung und Anreizsysteme werden in der Regel für den Gesamtbetrieb, nicht nur für die einzelnen Funktionsbereiche wie z. B. Einkauf, Produktion und Verkauf geschaffen. Zur Systemgestaltung gehören auch die Sys-tempflege und die kontinuierliche Optimierung der Systeme in Abhängigkeit von veränderten internen oder externen Bedingungen. Die Entwicklung, Einführung, Pflege und Anpassung von Systemen, z. B. zur betrieblichen Fortbildung, zählen nicht zu den direkten Führungsaktivitäten und werden in der Regel von der Perso-nalabteilung verantwortet. Dagegen gehört der Vorschlag eines Vorgesetzten, seinem Mitarbeiter die Teilnahme an einem Seminar zur Gefährdungsbeurteilung und -bewertung zu empfehlen, zu seinen Führungsaktivitäten und ist den Maß-nahmen der Mitarbeiterqualifikation bzw. der Personalentwicklung zuzuordnen.

Funktionsübergreifende Personalführung

Tabelle 3.1: Aufgabenfelder des Personalmanagements nach BERTHEL UND BECKER (2003)

Direkte Personalführung Gestaltung von Systemen Mitarbeiterführung sowie Koordination und Moderation kooperativer Arbeit

- durch persönliche Interaktion und Kommunikation und/oder

- durch Einsatz (Handhabung) von Personalsystemen

Personalsysteme: Beschaffung, Auswahl, Personalbeur-teilung und Personalentwicklung, Freiset-zung, Personalführung, Anreizsysteme, Personal-Managmentsysteme Gestaltung der Arbeitsbedingungen

Die Entwicklung und Anpassung der Systeme sowie die Überwachung und Überprü-fung ihrer Wirksamkeit müssen auf der Grundlage einer systematisch entwickelten Konzeption betrieben werden, damit das Personalmanagement sein volles Potenzial entfalten kann. Sie umfasst die Gestaltungsfelder der Personalbedarfsermittlung, Personalbeschaffung bzw. -freisetzung, des Personaleinsatzes und der Personal-entwicklung. Die Personalplanung baut auf den Anforderungsprofilen der Ar-beitsplätze und den Qualifikationsprofilen der Mitarbeiter auf, aus denen der Per-sonalbedarf abgeleitet werden kann. Als Grundlagen dienen die Ergebnisse von Arbeitsplatzanalysen und Mitarbeiterbeurteilungen, ergänzt um Qualifikations-prognosen für neu einzurichtende Arbeitsplätze. Die Daten müssen miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt werden.

Systematische Konzeption

Bezogen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz erfasst die Personalbestands-analyse, als Teil der Personalbeschaffung, wie viele Mitarbeiter mit Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes betraut sind sowie deren gegenwärtigen Aus-

Personalbeschaffung

Strukturelle Führung

80

bildungsstand und Qualifikationsausprägungen. Zu dem Personenkreis gehören neben den Funktionsträgern im AGS auch die Führungskräfte und deren Mitarbei-ter. Die Informationen über die Qualifikation und die Fähigkeiten der Mitarbeiter liefert das Qualifikationsprofil. Die Qualifikationen umfassen sowohl kenntnisbe-zogene Merkmale, wie Ausbildung, Fach- und Sachkenntnisse im AGS als auch soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, vorbildli-ches Verhalten und angemessener Umgang mit Mitarbeitern.

Hat ein Unternehmen sich die umfassende Verbesserung von Sicherheit und Ge-sundheit zum Ziel gesetzt, so können über eine Personalbedarfsbestimmung quan-titativ und qualitativ der zukünftige Personalbestand und das Qualifikations- und Fähigkeitsprofil der Mitarbeiter als Sollgröße definiert werden. Die Ermittlung des Personalbedarfs ist Voraussetzung für eine Reihe von weiteren Teilplänen, u. a. dem Personalbeschaffungs- und -einsatzplan. Dieser wird wiederum aus Ergeb-nissen anderer Teilpläne gespeist, wie dem Personalentwicklungssystem. Ande-rerseits ist die Personalplanung wiederum ein Teil der Unternehmungsplanung (BERTHEL & BECKER, 2003).

Personal-bedarfsermittlung

Die notwendige Berücksichtigung der unterschiedlichen betrieblichen Bedarfe erfor-dert u. a. eine enge Zusammenarbeit der Personalabteilung mit anderen Funk-tionsbereichen. Sollen z. B. die Leistungen im AGS durch ein neues Fortbildungssys-tem oder durch die Einführung von Sicherheit und Gesundheit als Beurteilungskrite-rien verbessert werden, sind tätigkeitsbezogene Anforderungs- und Qualifikations-profile sowie die Leistungskriterien in Zusammenarbeit mit den AGS-Funktions-trägern und den Führungskräften zu entwickeln.

Um den unternehmensweiten Einsatz von Personalsystemen zu gewährleisten, werden Steuerungs- und Kontrollstrukturen eingeführt, die den Einsatz kontrollie-ren. Dazu gehören die Überwachung des Einsatzes durch die Personalabteilungen oder Führungskräfte, die Zusammenfassung der Ergebnisse und die Änderung infolge einer Bewertung. In dezentralen oder kleineren Unternehmen übernehmen gewöhnlich Abteilungsleiter oder Sachbearbeiter die Überwachung und Pflege. Die Systematik des Vorgehens entspricht dem Steuerungszyklus (s. Kap. 2.4.2).

Steuerungsyklus

Am Beispiel der Kontrolle des Einsatzes eines formalisierten Beurteilungs-verfahrens für Führungskräfte soll der Steuerungs- und Kontrollzyklus näher er-läutert werden. Die Beobachtung der Umsetzung eines eingeführten Beurteilungs-verfahrens erfolgt durch den Sachbearbeiter in der Personalabteilung oder die Fachvorgesetzten, z. B. durch die Ablage der ausgefüllten Beurteilungsbögen. Die Messung beinhaltet die schriftliche Zusammenfassung der Ergebnisse von Abtei-lungen. Dies geschieht in der Regel durch eine Berichtsstatistik. In der Bewertung erfolgt ein Ist-Soll-Vergleich der tatsächlich durchgeführten mit den geforderten Beurteilungen. Abweichungen können verschiedene Gründe haben. Eine Konse-quenz kann die Aufforderung an die entsprechende Führungskraft sein, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, warum die Beurteilung nicht durchgeführt

Beispiel

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 81

wurde. Werden häufiger Gründe angeführt, dass das Verfahren nicht praktikabel sei, können sie zu einer Veränderung des Beurteilungsverfahrens selbst führen.

In der Praxis findet man in den Unternehmen mehr oder weniger systematisierte Formen der Verhaltensbeeinflussung und -steuerung, d. h. es werden Personen eingestellt, versetzt, befördert und fortgebildet mit und ohne Personalsysteme. In den wenigsten Fällen dürfte die Personalarbeit auf der Grundlage einer systema-tisch entwickelten und ausgefeilten Konzeption geschehen, wie man sie in den Lehrbüchern des Personalmanagements (u. a. SCHULER, 2001) findet.

In der GAMAGS-Studie (s. Kasten 3.1) wurde die systematische Überwachung und Bewertung der Personalsysteme im AGS untersucht. Es wurde erhoben, in-wieweit die Phasen des Steuerungszyklus in den Betrieben umgesetzt wurden. Gefragt wurde, ob der Einsatz der einzelnen Systeme beobachtet, gemessen und bewertet wird. Es zeigte sich zum einen, dass der Einsatz der Systeme zumeist beobachtet und bewertet wurde, und zum anderen, dass die Überwachung und Bewertung des Einsatzes von Personalsystemen zugleich den Einsatz der Systeme im Alltag fördert. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung zentral über die Personalabteilung oder über die Vorgesetzten erfolgt.

Ergebnisse der GAMAGS-Studie

Mit der Bildung kleinerer, selbständiger Organisationseinheiten kommt es zu ei-ner stärkeren Verlagerung der Verantwortlichkeiten für das Personalmanagement auf die Führungskräfte und die Projekt- und Arbeitsgruppen. Die Bildung von Profit-Centern ist verbunden mit Bildung selbständiger Betriebseinheiten und einem dezentralen Personalmanagement. In teilautonomen Arbeitsgruppen orga-nisieren die Mitarbeiter den Arbeitsablauf weitgehend selbst. Die Führungskraft oder der Gruppensprecher kann den Gruppenprozess moderieren, wenn nicht an-dere Gruppenmitglieder diese Funktion alternierend übernehmen. Ebenfalls müs-sen die Gruppen untereinander koordiniert und die Voraussetzungen für die Über-nahme von Verantwortung für sicheres und gesundheitsgerechtes Arbeiten ge-schaffen werden. Personalsysteme können dazu wichtige Unterstützungen leisten, müssen aber den neuen Bedingungen angepasst werden, um eine erfolgreiche Selbstregulation der Gruppe ermöglichen.

Dezentrales Personalmanagement

Das betriebliche Gesundheitsmanagement (s. Abb. 2.3) fordert ebenso wie der An-satz des Human Resource Managements (BEAUMONT, 1993) nicht nur eine syste-matische Entwicklung und Überwachung der eingesetzten Personalsysteme im AGS, sondern auch eine explizite Verknüpfung des Personalmanagements mit den Ge-schäftszielen und -strategien.

Unternehmens- und Personalpolitik

Inwieweit die Ziele des Personalmanagements von den Unternehmenszielen und umgekehrt beeinflusst werden, hängt von der grundlegenden Orientierung der Un-ternehmungspolitik ab. Bei einer wechselseitigen Beziehung zwischen Unterneh-mens- und Personalpolitik werden die Unternehmens- und Personalstrategien in-teraktiv entwickelt. Sie beginnen bei strategischen Entscheidungen über Perso-nalmanagement-Systeme und ihre Gestaltung bis hin zu operativen Entscheidun-

Strukturelle Führung

82

gen über Einzelheiten der täglichen Personalarbeit. Hinweise für den Stellenwert von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb liefern die Unternehmensleitlinien. Beispiele sind im Kasten 3.2 aufgeführt.

Umweltschutz und Arbeitssicherheit gelten bei der DGW als wesentliches Ziel der Unternehmenspolitik und werden von der Geschäftsführung als herausragende Auf-gabe gesehen, die gleichberechtigt neben den Zielen der Qualitätsstrategie steht. (Auszug aus dem QM-Handbuch der Deutschen Gasrußwerke GmbH & Co, 1997)

Arbeitsschutz ist ein Unternehmensziel höchster Rangstufe. Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen sind vermeidbar. Die Verwirklichung des Arbeitsschutzes ist Aufgabe aller Mitarbeiter. Sicheres und gesundheitsbewußtes Arbeiten erfordert regelmäßiges Training. Aus Erfahrungen lernen. (Auszug aus den Arbeitsschutzleitlinien der Sachtleben Chemie GmbH, 1996)

Führungsleitlinien: Führen bedeutet Ziele vermitteln Führen bedeutet informieren Führen bedeutet delegieren Führen bedeutet kontrollieren Führen bedeutet anerkennen und kritisieren Führen bedeutet kooperieren Führen bedeutet Mitarbeiter qualifizieren (Auszug aus der Unternehmenskonzeption, Dalli Werke, Mäurer + Wirtz, 2. überar-beitete Ausgabe, 1988) Jeder Vorgesetzte hat durch regelmäßige Prüfungen der Arbeitsabläufe vor Ort dafür zu sorgen, dass Gefährdungen vermieden werden und die Mitarbeiter ihre Arbeit si-cher ausführen können. (Auszug aus den Sicherheits-Leitlinien der Rheinischen Olefin Werke, ROW 1993)

Unternehmensleitlinien:

Kasten 3.2: Beispiele für Leitlinien zur Personalführung im Arbeits- und Gesundheitsschutz (BECKMANN et. al., 2001, S. 54)

In der GAMAGS-Studie (s. Kasten 3.1) zeigte sich, dass nur in den besten der beteiligten Unternehmen betriebliche Führungsrichtlinien, in denen Führungs-aufgaben zum AGS ausdrücklich genannt wurden, sowie entsprechende Kontroll- und Steuerungszyklen beobachtet werden konnten. Das bedeutet, dass in den schlechten Betrieben mit unterdurchschnittlichen Leistungen im AGS organi-satorische Grundlagen fehlen, die eine systematische Steuerung und Kontrolle der Führungsaufgaben im AGS strukturell unterstützen (BECKMANN et. al., 2001).

Führungsrichtlinien

Allerdings werden die Leitlinien in den anderen Betrieben in der alltäglichen Ar-beit auf die Nagelprobe gestellt. Nicht die auf Hochglanzpapier gedruckten Vor-stellungen bestimmen die Sicherheits- und Gesundheitskultur eines Unterneh-mens, sondern die Summe der Problemlösungen, Entscheidungen, Aktivitäten und Wertvorstellungen der Führungskräfte und der Mitarbeiter im alltäglichen Ar-beitsablauf. Die Unterscheidung zwischen öffentlich verkündeter und realisierter, d.h. gelebter Personalarbeit wird nachfolgend weitergehend thematisiert werden (s. Kap. 3.2.2). Eine detaillierte Einführung in das Personalmanagement findet

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 83

sich u. a. in BEAUMONT (1993), BERTHEL und BECKER (2003) oder SCHU-LER (2001).

3.2.2 Einsatz von Personalsystemen Personalsysteme im AGS

Auf die Unterstützung und Förderung von Sicherheit und Gesundheit ausgerich-tete Personalsysteme verknüpfen Versetzungs- und Beförderungssysteme bei der Personalbeschaffung und –auswahl mit Sicherheits- und Gesundheitsstandards. Im Rahmen der Personalentwicklung finden systematische Qualifizierungsmaßnah-men im Arbeitsschutz statt. Sie zielen darauf ab, dass Mitarbeiter Sicherheits-risiken erkennen, mögliche Konsequenzen verstehen und sicherheitsgerechtes Verhalten zeigen können. In den Personalführungssystemen können präventions-orientierte Zielsetzungen verankert sein. Bei der Personalbeurteilung können Si-cherheits- und Gesundheitsleistungen herangezogen und mit korrespondierenden Anreizsystemen und Prämien gekoppelt werden (s. Kasten 3.3).

Anreizsysteme können direkte leistungsbezogene Belohnungen umfassen, die mate-rieller und immaterieller Natur sein können. Unter materiellen Belohnungen werden Gewinnbeteiligungen, Gehaltserhöhungen sowie Geld- und Sachprämien zusammen-gefasst. Immaterielle Belohnungen entsprechen einer persönlichen Anerkennung oder einer offiziellen Würdigung für erbrachte Leistungen. Daneben existiert eine Vielfalt indirekter leistungsbezogener Belohnungen. Beispiele dafür sind persönliche Freihei-ten bei der Aufgaben- und Zeiteinteilung, unternehmerische Freiräume und Verant-wortungsübernahme.

Zu den finanziellen oder materiellen Anreizsystemen zählen die Entgeltsysteme, ins-besondere die variablen Anteile, wie z.B. Zusatzprämien, Prämien, Tantiemen, Jah-resbonus oder Ausschüttungen im Rahmen von Erfolgsbeteiligungssystemen. Einen größeren Gestaltungsspielraum hat die Unternehmung auch bei den tariflichen und freiwilligen Sozialleistungen.

Einen Überblick gibt das Handbuch der Anreizsysteme von SCHANZ (1991).

Anreizsysteme sind die Summe aller bewusst gestalteten Arbeitsbedingungen, die bestimmte Verhaltensweisen durch positive Anreize verstärken, die Wahrscheinlich-keit unerwünschter Verhaltensweisen dagegen mindern. Strukturelle Anreizsysteme sind verknüpft mit Karriereangeboten, wozu insbesondere horizontale und vertikale Versetzungen, aber auch Aufstiegsmöglichkeiten in Fachlaufbahnen zählen. Bedingt durch die Abflachung von Hierarchieebenen in Unternehmen gewinnt die Besetzung von Projektgruppen an Bedeutung.

Was sind Anreizsysteme?

Kasten 3.3: Anreizsysteme

Die Führungskräfte sind verantwortlich für die Sicherheit und Gesundheit in ih-rem Arbeitsbereich (s. Kap. 2.3.3). In einer Reihe von Unternehmen werden mit den Führungskräften im Rahmen ihrer Jahresgespräche auch Ziele und Leistungen im AGS vereinbart. Die Zielerreichung wird überprüft und beurteilt. Die AGS-Leistungsbeurteilung kann mit den variablen, leistungsbezogenen Bestandteilen der Vergütung verknüpft werden. Die Kenntnis und die Bewertung von Leistun-gen und Defiziten im AGS ergibt sich aus der Entwicklung der AGS-Indikatoren, wie Fehlzeiten, Verletzungen, Durchführung von Programmen, Unterweisungen, aber auch aus Mitarbeitergesprächen und Mitarbeiterbefragungen (s. Kap. 2.4.3).

Führungskräfte

Strukturelle Führung

84

Aufgrund des festgestellten Entwicklungsbedarfs können Entwicklungsmaßnah-men vereinbart werden, u. a. betriebliche und außerbetriebliche Qualifizierungs-maßnahmen. Der Entwicklungsbedarf dient auch zur Planung von Karrierewegen von Führungskräften, die sowohl eine funktionsgebundene Rotation innerhalb eines Funktionsbereichs, als auch eine funktionsübergreifende Rotation vorsehen kann. Beispielsweise muss sich die Führungskraft in einer Phase ihrer Karriere-laufbahn in der AGS-Arbeit bewähren.

Die Einbeziehung der Leistungen in die regelmäßigen Beurteilungen oder Mitar-beitergespräche gibt allen Beschäftigten Rückmeldung und unterstreicht zugleich den hohen Stellenwert von Gesundheit und Sicherheit als Handlungsstandards in einem Betrieb. Anreize in Form von Prämien oder die Übernahme anderer Aufga-ben verstärken die Motivation und den Einsatz von Führungskräften und Mitar-beitern für mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (BECKMANN et al., 2001).

Sicherheit und Gesundheit als Handlungsstandards

Die Ergebnisse der GAMAGS-Studie geben Aufschluss darüber, welche Perso-nalsysteme denn in der Praxis und vor allem in den besten Unternehmen, zur För-derung der Umsetzung von Sicherheit und Gesundheit im Arbeitsalltag genutzt werden. Nach den Aussagen der Personalabteilungen waren in über der Hälfte aller Betriebe Beurteilungs- und Versetzungssysteme zu finden, gefolgt von An-reizsystemen und Qualifizierungssystemen, in denen AGS-Leistungen oder Krite-rien berücksichtigt werden (s. Tab. 3.2). Gruppenarbeit mit Verantwortung im AGS war in 5 der 17 Betriebe eingeführt. Schriftliche Führungsgrundsätze gab es in 11 (64,7%) der Betriebe, mit direktem Bezug zum AGS allerdings nur in 4 (23,5%) Betrieben.

Dokumentierte Systeme

Fragt man allerdings die Führungskräfte, ob diese Personalsysteme auch in ihrem Alltag eingesetzt werden, so zeigt sich ein anderes Bild. In Tabelle 3.2 ist neben den Angaben der Personalabteilungen auch der Anteil der insgesamt 100 Füh-rungskräfte wiedergegeben, die bestätigten, dass die entsprechenden Systeme für die Förderung und Unterstützung ihrer eigenen persönlichen Leistungen im AGS genutzt werden. Als Beispiel: Von 26 % der befragten Führungskräfte wurde der Einsatz von Versetzungs-/Beförderungssystemen im AGS angegeben. Dagegen müssten nach Angabe der Personalabteilungen bei durchschnittlich gleicher An-zahl der Führungskräfte 53 % den Einsatz angegeben haben. Die Differenz beträgt 27 %.

Gelebte Systeme

Die Anreizsysteme weisen von den AGS-bezogenen Systemen mit 34% die höchste Einsatzquote auf, gefolgt von den Beurteilungssystemen (31%) und den Versetzungs-/Beförderungssystemen (26%). Systematische Qualifizierungsmaß-nahmen (5 x in 5 Jahren) folgen an letzter Stelle mit 24%. Die größten Unter-schiede ergeben sich bei den Versetzungssystemen für den AGS (26%), den Füh-rungsleitlinien (24%) und bei den Beurteilungssystemen (22%). Die geringsten

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 85

Unterschiede finden sich zwischen den dokumentierten und eingesetzten Anreiz-systemen (6%).

Die Dokumentation von Personalsystemen und -instrumenten ist nicht gleichzu-setzen mit ihrer Anwendung. Das ist kein neues Ergebnis und hat verschiedene Gründe. Zum einen erfolgt ihre Umsetzung auf der operationalen Ebene nicht oder nicht mehr, wie etwa bei den Beförderungen und Anreizsystemen vor allem in den unterdurchschnittlichen Betrieben. Zum anderen werden aber auch abtei-lungsspezifische oder gar führungskraftspezifische Personalinstrumente einge-setzt, die nicht betriebsübergreifend dokumentiert und daher auch nicht allgemein eingeführt sind. Das gilt vor allem für Führungsaufgaben und Anreizsysteme im AGS.

Tabelle 3.2: Vergleich der eingesetzten mit den dokumentierten Personalsystemen

Leitlinien und eingesetzte Personalsysteme

Dokumentierte Systeme1

Einsatz der Systeme2

Differenz Dokumentiert Eingesetzt

Führungsleitlinien (Allg.) 65 % 42 % 23 %

Anreizsysteme (AGS) 41 % 34 % 7 %

Beurteilungssysteme (Allg.) 73 % 63 % 10 %

Beurteilungssysteme (AGS) 53 % 31 % 22 %

Versetzungs-/Beförderungs-systeme (AGS) 53 % 26 % 27 %

Qualifizierungssysteme (AGS) 47 % 24 % 23 %

1Angaben der Personalabteilung N=17; 2Angaben der befragten Führungskräfte N=100

Anzahl der eingesetzten Personalsysteme

Die untersuchten Betriebe unterscheiden sich auf der einen Seite hinsichtlich der Anzahl der eingesetzten Personalsysteme. Von den 100 Führungskräften aus den 17 Betrieben berichten knapp dreiviertel (74 %) über den regelmäßigen Einsatz mindestens eines Personalsystems, 52 % vom Einsatz von zwei und mehr Perso-nalsystemen. Die Leistungsgruppen unterscheiden sich nach der Häufigkeit des Einsatzes: In den Fortschrittsbetrieben setzen 87 % zwei und mehr Systeme ein, gefolgt von den überdurchschnittlichen Betrieben (50 %), den Rückschritts-betrieben (42 %) und den unterdurchschnittlichen Betrieben mit 31 %.

Auf der anderen Seite gibt es auch große Unterschiede, welche Systeme im Alltag genutzt werden. Aus Abbildung 3.1 sind die Anteile der Führungskräfte pro Leis-tungsgruppe dargestellt, die angeben, dass das jeweilige Personalsystem in ihrem Unternehmen eingesetzt wird.

Über die ganze Stichprobe gesehen werden von über der Hälfte aller Führungs-kräfte (53 %) Aufgaben im AGS vom Vorgesetzen gefordert. Mit 65,2 % liegen

Unterschiede im Einsatz

Strukturelle Führung

86

die Fortschrittsbetriebe an erster Stelle, gefolgt von den überdurchschnittlichen (58,3 %) sowie den unterdurchschnittlichen Betrieben (48,3 %) und der Gruppe der Rückschrittsbetriebe (41,7 %). Zwar finden wir hier Unterschiede im Umfang der geforderten Aufgaben im AGS an die Führungskräfte, doch trennen sie die Leistungsgruppen nicht statistisch signifikant. Die Anreiz- und die Beurteilungs-systeme folgen auf den Rangplätzen 2 (34 %) und 3 (31 %). Hinsichtlich beider Systeme gibt es die größten Unterschiede zwischen den Leistungsgruppen. Die stärksten Ausprägungen bei den Anreizsystemen erzielen die Fortschritts-, über-durchschnittlichen und Rückschrittsbetriebe. Bei den Beurteilungssystemen do-minieren klar die Fortschrittsbetriebe, gefolgt von den überdurchschnittlichen Betrieben. Das Versetzungs-/Beförderungssystem (26 %) liegt in den Häufig-keiten noch vor den systematischen Qualifizierungsmaßnahmen (24 %) im AGS. Die Gruppenarbeit mit Verantwortung im AGS (insgesamt 18 %) findet man am häufigsten in den überdurchschnittlichen Betrieben (41,7 %).

Unter Durchschnitt

Fortschritt Über Durchschnitt

Rückschritt

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

Qualifizierung

(5 in 5 J.)

Anreizsysteme

Prämien

Versetzung Beförderung Beurteilungs -

systeme

Gruppenarbeit AGS

Führungsaufgaben

Über Durchschnitt: N = 24 FK Fortschritt: N = 23 FK Unter Durchschnitt: N = 29 FK Rückschritt: N = 24 FK

Abbildung 3.1: Einsatz der Personalsysteme und Führungsaufgaben im AGS nach Angabe der Führungskräfte FK aus den vier Leistungsgruppen (Quelle: BECKMANN et al., 2001, S. 68)

Als Schlüsselsysteme erweisen sich Anreiz- und Beurteilungssysteme. Sowohl die besten Betriebe als auch die Betriebe, die ihre Leistungen in den letzten Jahren verbessert haben, setzen häufiger als die Betriebe mit unterdurchschnittlichen Leistungen Anreiz- und Beurteilungssysteme im AGS ein.

Erfolgssysteme

Ein Vergleich der Kombinationen der eingesetzten Personalsysteme zeigt, dass in der Praxis nahezu alle möglichen Kombinationen zum Einsatz kommen. Einzelne Personalsysteme wie Anreiz- oder Qualifizierungssysteme kommen aber häufiger mit anderen Systemen vor. Setzen Unternehmen Anreizsysteme ein, dann ver-knüpfen sie die Anreize mit Beurteilungs- und/oder Versetzungssystemen. Die

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 87

Zuweisung von Führungsaufgaben erfolgt häufiger mit dem Einsatz einer syste-matischen, langfristigen Qualifizierung. Unternehmen entwickeln also typische Kombinationen von Personalsystemen, die als Personal-Managementsysteme in der Einleitung eingeführt wurden.

Zusammenfassend können vier typische Profile bezogen auf den Einsatzes von Personalsystemen im AGS unterschieden werden (vgl. BECKMANN et al., 2001 S. 73ff).

In der Gruppe der besten Betriebe setzt die überwiegende Mehrzahl der Füh-rungskräfte (75 %) auf den Leitungsebenen für die Mitarbeiterführung standardi-sierte Personalsysteme ein. Anreiz- und Beurteilungssysteme für Führungskräfte bilden die Schwerpunkte. Qualifizierungssysteme kommen kaum zum Einsatz. Die Gruppenarbeit mit AGS-Verantwortung ist am stärksten ausgeprägt, d. h. dem Mitarbeiter wird ein großer Verantwortungs- und Handlungsspielraum zugestan-den. Der Einsatz von Beurteilungssystemen ist meist verbunden mit Qualifizie-rungs- und/oder Versetzungs- und Beförderungssystemen. Absolut gesehen spie-len sie aber eine untergeordnete Rolle. Die Führungskräfte berichten in der Mehr-heit von einer Überwachung und Bewertung des Einsatzes von Personalsystemen.

Beste Betriebe

Im Gegensatz dazu ist die unterdurchschnittliche Gruppe gekennzeichnet durch den geringsten Einsatz von Personalsystemen (63 %). Hauptsächlich über persön-liche Anforderungen an die Führungsaufgaben im AGS wird versucht, die Füh-rungskräfte anzuleiten. Hilfestellung durch standardisierte Personalsysteme gibt es nur wenig. Die für die Gruppe typische Kombination zwischen Beurteilungs-system und Anreizsystem kann bei der geringen absoluten Auftretenshäufigkeit beider Systeme vernachlässigt werden. Die Führungsaufgaben werden von den Vorgesetzten in einem hohen Maß überwacht und bewertet. Es gibt aber kaum organisatorische Vorkehrungen, die Überwachung zu kontrollieren. Die Güte der Beobachtung und Bewertung hängt vom Einsatz des einzelnen Vorgesetzten ab.

Schlechte Betriebe

Die Fortschrittsbetriebe setzen absolut gesehen die größte Anzahl an Personalsys-temen ein. 87 % der Führungskräfte berichten über den gelebten Einsatz von zwei und mehr Personalsystemen. Anreiz- und Beurteilungssysteme bilden auch hier den zahlenmäßigen Schwerpunkt. Jedoch kommen auch Kombinationen mit den übrigen Systemen vor. In der Gruppe lassen sich keine typischen Kombinationen von Personalsystemen nachweisen. Die Anforderungen an die Führungsaufgaben und der Einsatz von Beurteilungssystemen wird am stärksten überwacht und be-wertet. Man gewinnt den Eindruck, dass es den Fortschrittsbetrieben durch den Einsatz von Personalsystemen bei ihren Führungskräften und ihre Überwachung und Bewertung erfolgreich gelungen ist, ihren AGS zu verbessern. Es haben sich jedoch in der Gruppe noch keine eindeutigen Profile für den Einsatz von Perso-nalsystemen gebildet, wie man sie in der Gruppe der überdurchschnittlichen oder Rückschrittsbetriebe findet.

Fortschrittsbetriebe

Eine äußerst interessante Gruppe stellen die Rückschrittsbetriebe dar. Ursprüng-lich zu den besten Betrieben gehörend, haben sie sich innerhalb von vier Jahren verschlechtert. Bezogen auf den quantitativen Einsatz an Personalsystemen (67

Rückschrittbetriebe

Personale Führung

88

%) sind sie vergleichbar mit den unterdurchschnittlichen Betrieben. Sie setzen aber häufiger Anreizsysteme ein. Dieser Einsatz ist bei ihnen, im Gegensatz zu den besten Betrieben, mit einer Kombination von Führungsaufgaben, Beurtei-lungssystemen, Qualifizierungs- und Versetzungs-/Beförderungssystemen ver-bunden. Die Wichtigkeit der Führungsaufgaben wird dadurch unterstrichen, dass diese Betriebe die höchste Quote in der Überwachung der Führungsaufgaben auf-weisen. In der Überwachung der Beurteilungssysteme liegen sie aber auf dem letzten Rangplatz, eine Bewertung des Einsatzes findet nicht statt. Das organisato-rische Kontrollsystem scheint am geringsten ausgeprägt zu sein.

3.3 Personale Führung

Die Personalsysteme sind eine standardisierte Form der direkten Personalführung, die letztendlich in der direkten Interaktion mit den Mitarbeitern umgesetzt wer-den. Die Verhaltenssteuerung und Zusammenarbeit in Organisationen ist viel zu komplex und mit so vielen Unsicherheiten behaftet, als dass sie allein durch struk-turelle Maßnahmen gesichert werden können. Strukturen müssen gelebt und auf die Erfordernisse im konkreten Arbeitsalltag angepasst genutzt werden. Die per-sonale Führung dient vor allem der Feinsteuerung von Verhaltensweisen bei der eigentlichen Aufgabenerfüllung. Sie hat in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die strukturellen Gestaltungsziele situationsabhängig und individuell für die ein-zelnen Mitarbeiter sowie für die Organisationseinheiten in förderlicher Weise umzusetzen (WUNDERER, 2000).

Funktion

3.3.1 Psychologische Grundlagen

Effiziente Führung bedeutet letztlich die empirisch fundierten Erkenntnisse der Psychologie für die systematische Steuerung und Koordination des Verhaltens in Organisationen zu nutzen. HECKHAUSEN (1989) hat mit seinem Handlungs-phasenmodell ein motivationspsychologisches Rahmenmodell entwickelt, das die Einordnung einer Vielzahl von Ansätzen und Untersuchungsergebnissen ermög-licht und zudem den Prozesscharakter von Handeln in den Vordergrund stellt (s. Abb. 3.2; ELKE, 2000, S. 54ff; NERDINGER, 1995).

Den Kern des Handlungsphasen- oder Rubikonmodells von Heckhausen (1989) bildet die Unterscheidung zwischen zwei Bewusstseinslagen, der Motivation und der Volition. Während die Motivation im engeren Sinne die Bildung von Verhal-tensabsichten beinhaltet, bezieht sich die Volition auf die Umsetzung der Absich-ten in Handeln. Das eigentliche Modell beschreibt in Form von vier Phasen einen idealtypischen Ablauf von Handlungen, die im Alltag nicht oder noch nicht ge-wohnheitsmäßig erfolgen. In der ersten, der prädezisionalen Motivationsphase steht das Abwägen, was man tun soll und welche Konsequenzen zu erwarten sind, im Vordergrund. Die Phase wird der Bildung einer Verhaltensabsicht abgeschlos-sen und man hat den Rubikon überschritten, d. h. ein Zurück wird schwierig. In

Handlungsphasenmodell

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 89

der folgenden präaktionalen Phase geht um die Umsetzung der Absicht in die Tat und anschließend in der aktionalen Phase darum, das Verhalten auch zum erfolg-reichen Abschluss zu bringen. Den Abschluss der Handlungsfolge bildet die postaktionale Motivationsphase. In dieser Phase findet eine Auseinandersetzung mit der zurückliegenden Handlung statt und zwar einerseits, in dem deren Ergeb-nis Ursachen zugeschrieben und bewertet werden. Andererseits werden Lehren aus den gemachten Erfahrungen für künftige Bewährungsproben gezogen. (vgl. HECKHAUSEN, 1989, S. 212).

Wählen Handeln BewertenZiele setzen

Motivationprädezisional

Motivationpostaktional

Volitionaktional

Volitionpräaktional

Inte

ntio

nsbi

ldun

g

Inte

ntio

nsde

aktiv

ieru

ng

Inte

ntio

nsin

itiie

rung

Rubikon

Erwartungs-mal-Wert-Theorien

Risikowahl Atkinson, 1957

VIE-ModellValenz,

Instrumentalität, Erwartung

Vroom, 1964

Zielsetzungs-theorie

Locke & Latham, 1990

Theorie der HandlungskontrolleHandlungs- / Lage-

OrientierungKuhl, 1987

Theorie der SelbstregulationKanfer & Kanfer,

1991

AttributionstheorienHeider, 1958Weiner, 1992

Gerechtigkeits-theorien

Verfahrens-/ Verteilungs-gerechtigkeitAdams, 1965

MODELL

THEORIEN

Wählen Handeln BewertenZiele setzen

Motivationprädezisional

Motivationpostaktional

Volitionaktional

Volitionpräaktional

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Rubikon

Erwartungs-mal-Wert-Theorien

Risikowahl Atkinson, 1957

VIE-ModellValenz,

Instrumentalität, Erwartung

Vroom, 1964

Erwartungs-mal-Wert-Theorien

Risikowahl Atkinson, 1957

VIE-ModellValenz,

Instrumentalität, Erwartung

Vroom, 1964

Zielsetzungs-theorie

Locke & Latham, 1990

Zielsetzungs-theorie

Locke & Latham, 1990

Theorie der HandlungskontrolleHandlungs- / Lage-

OrientierungKuhl, 1987

Theorie der SelbstregulationKanfer & Kanfer,

1991

Theorie der HandlungskontrolleHandlungs- / Lage-

OrientierungKuhl, 1987

Theorie der SelbstregulationKanfer & Kanfer,

1991

AttributionstheorienHeider, 1958Weiner, 1992

Gerechtigkeits-theorien

Verfahrens-/ Verteilungs-gerechtigkeitAdams, 1965

MODELL

THEORIEN

Abbildung 3.2: Handlungsphasenmodell (HECKHAUSEN, 1989) und Theorien (NERDINGER, 1995)

Die Steuerung und Koordination des Handelns in Organisationen kann verstärkt auf die Erhöhung der Motivation und/oder die Kontrolle des Handelns ausgerich-tet sein. Beide Bewusstseinslagen werden beispielsweise unterstützt, wenn sowohl die Vorgaben des normativen Managements, abzielend auf die Setzung von Wert-präferenzen, als auch die Systematiken, die vom strategischen Management zur Handlungskontrolle vorgegeben werden, auf der operativen und damit auf der Verhaltensebene umgesetzt werden. Da sich die Informationsaufnahme in den Phasen der Motivation und Volition unterscheiden, sind je nach Schwerpunkt u. a. die zur Verfügung stehenden oder zu stellenden Informationen und situativen Be-dingungen anders zu gestalten. In den Phasen der Motivation stehen Abwägen und Bewerten im Vordergrund. Man ist nicht nur offener für mehr und für unter-schiedliche Informationen, sondern kann auch mehr Informationen speichern. In den Umsetzungsphasen konzentriert sich man sich auf die Informationen, die für die Handlungsrealisierung wichtig sind. Informationen werden sehr selektiv auf-genommen.

Motivation und Kontrolle

Aus funktionaler Perspektive betrachtet, impliziert das Rubikon-Modell auch die beiden zentralen Steuerungsmechanismen, die respondente und operante Konditi-

ABC - Rahmenkonzept

Personale Führung

90

onierung, die sich u. a. dahingehend voneinander abgrenzen lassen, ob das Ver-halten durch vorausgehende oder nachfolgende Stimuli gesteuert wird. Der Ab-gleich des Handlungsergebnisses mit der Absicht verstärkt das Verhalten, wenn positive Erwartungen, z.B. in Form von Wohlbefinden oder Anerkennung erfüllt werden. Gleichzeitig werden auf kognitiver Ebene die mit dem Verhalten verbun-denen anreizbezogenen Gedanken erhöht. Beide Mechanismen werden im ABC-Rahmenkonzept der operanten Konditionierung (Antecedents-Behavior-Conse-quences) kombiniert. Sie werden auch als Organizational Behavior Management (OBM) bezeichnet. Verhaltensprogramme, die auf diesem Konzept basieren, ha-ben sich für gezielte Verhaltenssteuerung in der Praxis als sehr erfolgreich erwie-sen (s. Kap. 4.4.2).

In der Organisationsforschung wurden hauptsächlich zwei Arten von Antezeden-zien – Training und Zielsetzung - sowie drei Arten von Konsequenzen untersucht: Feedback, Anreize und soziale Anerkennung. Meistens wurden positive, relativ selten negative Konsequenzen wie z.B. Bestrafungen oder Lohnabzüge eingesetzt Meistens wurden positive, relativ selten negative Konsequenzen wie z. B. Bestra-fungen oder Lohnabzüge eingesetzt (Sulzer-Azaroff, Harris & McCann, 1994). In der Praxis werden die Antezedentien und Konsequenzen den unterschiedlichen Ansätzen zur Personalführung, Teamsteuerung und in Programmen eingesetzt. Nach den Ergebnissen der Metaanalyse von Stajkovic und Luthans (2003) führt der kombinierte Einsatz von finanziellen Anreizen, Feedback und sozialer Aner-kennung zu der stärksten Leistungsverbesserung von 45% (d = 1.481). Für sich allein genommen verbesserten finanzielle Anreize die organisatorischen Leistun-gen um 23% (d = .68), soziale Anerkennung um 17% (d = .51) und Feedback um 10% (d = .29). (Forschungsstand s. ZIMOLONG, ELKE & TRIMPOP, 2006).

Die Zielsetzungstheorie von LOCKE und LATHAM (2002) ist eine der am häu-figsten untersuchten Theorien in der psychologischen Forschung. Einzelne Teilas-pekte und Beziehungen zwischen den Faktoren sind nicht nur in Laborexperi-menten, sondern auch durch Feldstudien empirisch untersucht und bestätigt wor-den. Die Ergebnisse werden von den Autoren in dem sogenannten Hochleistungs-zyklus gebündelt (s. Abb. 3.2). Dieser Zyklus setzt bei der präaktionalen Voliti-onsphase und der postaktionalen Motivationsphase an.

Zielsetzungstheorie

Ziele können partizipativ vereinbart oder durch den Vorgesetzten gesetzt werden. Aus der Literatur ergeben sich widersprüchliche Ergebnisse über die Auswirkun-gen, in der Praxis scheint sich eher die partizipative Zielvereinbarung durchzu-setzen. Eindeutig sind dagegen die Ergebnisse über den Zusammenhang von Schwierigkeit und Leistung für die Zielsetzung: Schwierige Ziele, die konkret

Spezifische herausfordernde Ziele

_________________________________________________

1 Der Koeffizient d ist ein standardisiertes Maß für die Bedeutsamkeit eines Effekts im Verhältnis zu einer Kontrollgruppe. Eine Standardabweichung von 1 entspricht einer Verbesserung von d = 1 (Bortz & Döring, 2002).

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 91

formuliert werden, führen zu höheren Leistungen als leichte oder allgemein for-mulierte Ziele. Die leistungssteigernde Wirkung von herausfordernden Zielen wird direkt über die Richtung, Ausdauer und Anstrengung des Verhaltens sowie indirekt, vor allem bei komplexen Aufgaben durch Handlungsstrategien oder Plä-ne vermittelt.

Der Zusammenhang zwischen Zielsetzung und Leistung wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst und moderiert. Eine ganz wichtige Rolle kommt der Rückmeldung zu. Durch das Geben von Rückmeldung kann die leistungs-steigernde Wirkung von Zielen entscheidend erhöht werden, was eine Vielzahl von Untersuchungen bestätigt. In Abbildung 3.4 sind beispielhaft die Ergebnisse einer klassischen Studie zur Verbesserung des sicherheitsgerechten Verhaltens in einem Betrieb dargestellt (CHHOKAR & WALLIN, 1984).

Rückmeldung

Moderatoren

Mediatoren

Moderatoren• Commitment• Selbstwirksamkeit• Feedback• Aufgabenkomplexität• Fähigkeit/Fertigkeiten• Situationale Zwänge• Persönlichkeitsmerkmale

Mediatorendirekt• Ausrichtung• Anstrengung• Ausdauerindirekt• Pläne / Strategien

ZUFRIEDENHEITZIELE LEISTUNG BELOHNUNG(direkt)

BELOHNUNG(indirekt)

MerkmaleZielinhalt• Schwierigkeit• SpezifitätZielintensität• Commitment

KonsequenzenKonsequenzen• Bindung an die

Organisation• Bereitschaft zu

neuen Heraus-forderungen

ModeratorenModeratoren

MediatorenMediatoren

Moderatoren• Commitment• Selbstwirksamkeit• Feedback• Aufgabenkomplexität• Fähigkeit/Fertigkeiten• Situationale Zwänge• Persönlichkeitsmerkmale

Moderatoren• Commitment• Selbstwirksamkeit• Feedback• Aufgabenkomplexität• Fähigkeit/Fertigkeiten• Situationale Zwänge• Persönlichkeitsmerkmale

Mediatorendirekt• Ausrichtung• Anstrengung• Ausdauerindirekt• Pläne / Strategien

Mediatorendirekt• Ausrichtung• Anstrengung• Ausdauerindirekt• Pläne / Strategien

Mediatorendirekt• Ausrichtung• Anstrengung• Ausdauerindirekt• Pläne / Strategien

ZUFRIEDENHEITZUFRIEDENHEITZIELEZIELE LEISTUNGLEISTUNG BELOHNUNG(direkt)

BELOHNUNG(direkt)

BELOHNUNG(indirekt)

BELOHNUNG(indirekt)

MerkmaleZielinhalt• Schwierigkeit• SpezifitätZielintensität• Commitment

KonsequenzenKonsequenzen• Bindung an die

Organisation• Bereitschaft zu

neuen Heraus-forderungen

Hochleistungszyklus

Abbildung 3.3: Hochleistungszyklus (LOCKE & LATHAM, 2002)

Durch das Setzen von Zielen wurde das Auftreten sicheren Verhaltens im Durch-schnitt um ca. 15% gegenüber der Grundrate (Baseline) erhöht. Erhielten die Mit-arbeiter regelmäßig Rückmeldung über ihr Verhalten, so verhielten sie sich in über 95% der Fälle, d. h. durchgängig, sicherheitsgerecht. Die Rücknahme der Rückmeldung ging erwartungsgemäß mit einer Verringerung der Verhaltensrate einher.

Die Rückmeldung über den Stand der erreichten Ziele oder Zwischenziele ist eine genauso wichtige Information wie die Zielsetzung selbst. Sie kann unterschiedli-che Funktionen haben: Sie wirkt als positiver bzw. negativer Verstärker bei Erfolg bzw. Misserfolg oder als Zielsetzung (Antezedens), wenn durch Rückmeldung die spezifischen Bedingungen markiert werden, mit denen Anreize verbunden sind. Rückmeldung kann persönlich, aber auch formalisiert und automatisiert erfolgen. Beispiele für Rückmeldungssysteme sind Informationstafeln oder computer-gestützte Anzeigen mit der Zahl der Unfälle, den krankheitsbedingten Fehlzeiten

Beispiele

Personale Führung

92

oder den bislang abgearbeiteten Maßnahmen im Rahmen von Gefährdungsanaly-sen. Damit aus Daten Informationen und damit Rückmeldungen für die Betroffe-nen werden, müssen sie entsprechend abteilungs- oder gar nutzerspezifisch aufbe-reitet werden.

In welchem Ausmaß die Setzung oder Vereinbarung von herausfordernden Zielen zu einer Steigerung des Leistungsverhaltens führt, ist darüber hinausgehend u. a. auch von den Fähigkeiten, der erlebten Verpflichtung gegenüber den zu errei-chenden Zielen und der Selbstwirksamkeit abhängig.

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1. Phase: Baseline 2. Phase:Training undZielsetzung

3. Phase:mit Rückmeldung einmal pro 14-tägigWoche

4. Phase:ohneRückmeldung

5. Phasemit Rückmeldung14-tägig

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2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42Wochen

1. Phase: Baseline 2. Phase:Training undZielsetzung

3. Phase:mit Rückmeldung einmal pro 14-tägigWoche

4. Phase:ohneRückmeldung

5. Phasemit Rückmeldung14-tägig

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Abbildung 3.4: Steigerung sicheren Verhaltens durch Zielsetzung und Rückmeldung (CHHOKAR & WALLIN, 1984)

Unter der Selbstwirksamkeit wird die Einschätzung der Person verstanden, eine Aufgabe erfolgreich durchzuführen (BANDURA, 1986). Ähnliche Konzepte sind die Selbstsicherheit oder die Überzeugung, Prozesse und Abläufe beeinflussen zu können. Die Selbstwirksamkeit ist keine Persönlichkeitsvariable, sondern ist durch die bisherigen Erfahrungen der Person mit ihrer Umwelt geprägt. Insofern leisten die Personalentwicklung und die Gestaltung von Handlungs- und Ent-scheidungsmöglichkeiten in der Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Selbstwirksamkeit. Ein Beispiel ist die Übertragung von Verantwortung im AGS durch die Einführung von kooperativen Gefährdungsanalysen mit den Teilschrit-ten Ableitung, Anstoß und Überwachung von Maßnahmen (s. Kap. 3.4; 3.5).

Selbstwirksamkeit

Die Zielsetzungstheorie von LOCKE und LATHAM (1990) ist eine der am häu-figsten untersuchten Theorien in der psychologischen Forschung. Einzelne Tei-laspekte und Beziehungen zwischen den Faktoren sind nicht nur in Laborexperi-menten, sondern auch durch Feldstudien empirisch untersucht und bestätigt wor-den. Mit den Aussagen über die Art und Richtung der Zielsetzung oder Zielver-einbarung hinsichtlich der Leistung und Zufriedenheit knüpft das Modell drekt an

Bedeutung der Zielsetzungstheorie

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 93

die Rolle der Führungskraft als Koordinator und Motivator an. Es berücksichtigt die kritischen Faktoren Qualifikation, Selbstwirksamkeit, Arbeitsmotivation und Anreize, die für dauerhafte hohe Leistungen die notwendigen Voraussetzungen sind. Es lassen sich direkte Konsequenzen für den Führungsalltag ableiten. Die Zielsetzungstheorie ist die psychologische Begründung für das MbO-Konzept Management by Objectives (ODIORNE, 1986), auch wenn beide Ansätze ge-trennt entwickelt wurden.

Von den Kritikern wird die Theorie in ihrem Anwendungsbereich auf einfache Aufgaben eingeschränkt (u. a. ROUSSEAU, 1997). Meist sind die Untersuchun-gen mit einfachen, überschaubaren und zeitlich befristeten Aufgaben durchgeführt worden. Für komplexe und eigenverantwortlich durchzuführende Aufgaben, wie sie z.B. Außendienstmitarbeiterinnen von Pharma-Unternehmen oder Teleheimar-beiter zu verrichten haben, müssen noch weitere Faktoren, wie das Selbstmana-gement des Einzelnen herangezogen werden. Auf der anderen Seite zeigen die Verbindungen von Zielsetzungen, Beurteilungen und Anreizsystemen in den Per-sonalmanagementsystemen, dass sich mit diesen Systemen die Koordinationsauf-gaben der Organisation mit dem Anspruch auf gruppeninterne Selbstregulation und persönlicher Eigenverantwortung und -initiative lösen lassen, wie nachfol-gend näher ausgeführt wird.

Einschränkungen

3.3.2 Direkte und indirekte Führung

Aus den Ergebnissen der überwiegend lerntheoretisch orientierten Führungs-forschung (KOMAKI, 1998) und der Zielsetzungsforschung (LOCKE & LATHAM, 2002) geht hervor, dass erfolgreiche Vorgesetzte im Wesentlichen zwei Strategien verfolgen: die leistungsorientierte Beobachtung des Verhaltens und die rechtzeitige Kommunikation der Konsequenzen. Im Einzelnen vermitteln sie kontinuierlich Ziele und Teilziele, fördern und qualifizieren ihre Mitarbeiter durch Rückmeldung und Trainingsmaßnahmen und verteilen soziale und/oder materielle Anreize. Sie beobachten den Arbeitsfortschritt hauptsächlich durch direkte Beobachtungen vor Ort und reagieren umgehend. Ergänzt wird das direkte Führungsverhalten durch die indirekte Führung, die sich auf die Kommunikation von Normen, Symbolen, durch Rollenverhalten und Kommunikations- und Ko-operationsstile bezieht.

Strategien erfolgreicher Führungskräfte

Die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Führungsverhalten nimmt die von BASS (1990) getroffene Einteilung in einen transaktionalen und trans-formationalen Führungsstil auf. Einige neuere Studien deuten daraufhin, dass in-direktes Führungsverhalten, der so genannte transformationale Führungsstil, unter bestimmten Bedingungen zu besseren Sicherheitsleistungen in der Arbeitsgruppe führt als ein direkter, transaktionaler Führungsstil (u. a. ZOHAR, 2002a). Betont wird aber, dass beide Führungsstile zu einem Zuwachs an Leistungen führen und sich insofern eher ergänzen als ersetzen. Aus den bisher durchgeführten Metaana-lysen ist bekannt, dass beide Führungsstile hoch miteinander korrelieren, insbe-sondere der Führungsstil „kontingente Belohnung“ – eine Skala der transaktiona-

Transaktionaler und transformationaler Führungsstil

Personale Führung

94

len Führung – mit dem transformativen Führungsstil (JUDGE & PICCOLO, 2004).

In der GAMAGS-Studie (s. Kasten 3.1) wurde gleichermaßen das direkte und in-direkte Führungsverhalten aus Selbst- und Fremdsicht untersucht. Betrachtet man die Höhe der Mittelwerte, dann liegt der Schwerpunkt der Mitarbeiterführung auch in den GAMAGS-Betrieben auf der indirekten Steuerung durch Vorbildver-halten, Unterstützung und Förderung der Mitarbeiter. Im Vergleich zu den Unter-nehmen mit hohen Unfallzahlen verhalten sich die Vorgesetzten aus den besten Betrieben häufiger vorbildhaft oder ermuntern ihre Mitarbeiter häufiger, mehr auf Sicherheit und Gesundheit zu achten. Gleichzeitig gehen sie die AGS-Probleme systematischer an, indem sie Ziele setzen oder vereinbaren, die Leistungserbrin-gung überwachen und vor allem ihren Mitarbeitern sowohl Rückmeldung über gute wie auch über schlechte Leistungen geben. Als wichtig für den Erfolg im AGS erweist sich auch die Partizipation (s. Kap. 3.4). In erfolgreichen Unterneh-men werden die Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten als Partner und Experten be-handelt, z. B. indem man sich gemeinsam mit Fragen des AGS auseinandersetzt, das Wissen der Mitarbeiter und ihre Vorstellungen in Entscheidungen und bei der Gestaltung von Maßnahmen berücksichtigt.

Ergebnisse der GAMAGS-Studie

Fragt man allerdings die Führungskräfte, wie sie ihre Mitarbeiter führen, so unter-scheiden sich die Selbsteinschätzungen der Führungskräfte nicht voneinander. Bemerkenswert ist aber, dass sich die Selbsteinschätzungen der Führungskräfte von den Fremdbeurteilungen ihrer Mitarbeiter um den Faktor 2 bis 4 unter-scheiden. Während die Differenzen zwischen den Selbst- und Fremd-einschätzungen zwischen 20% und 30% in den besten Betrieben betragen, liegen sie in den unterdurchschnittlichen Betrieben zwischen 70% und 80 %. Der Befund korreliert mit der insgesamt als schlechter eingeschätzten Information und Kom-munikation in den unterdurchschnittlichen Betrieben. Die Wirksamkeit der Ver-haltenssteuerung ist maßgeblich davon abhängig, ob das Führungsverhalten von den Mitarbeitern auch so wahrgenommen wird oder werden kann, wie es von den Vorgesetzten beabsichtigt ist. Das scheint in den schlechten Betrieben deutlich weniger der Fall zu sein als in den besten Betrieben (s. BECKMANN et al., 2001, S. 76ff; s. auch Kap. 3.3).

Selbst- und Fremdeinschätzung

Der Einfluss sowohl der direkten als auch der indirekten Führung auf das si-cherheits- und gesundheitsgerechte Verhalten und damit auf das betriebliche Leis-tungsniveau im AGS kann aufgrund der Vielzahl der vorliegenden empirischen Befunde als gesichert angenommen werden. Die neuere Führungsforschung im AGS konzentriert sich mittlerweile verstärkt auf die Untersuchung der vermitteln-den Mechanismen zwischen Führungsverhalten und Leistungen im AGS sowie das Zusammenspiel des Führungsverhaltens auf den unterschiedlichen Hierar-chieebenen in einer Organisation (s. Kap. 4.4.1). Die vorliegenden Ergebnisse machen deutlich, dass vor allem der Sicherheitskultur oder dem Sicherheitsklima als Mediator zwischen Führung und verbesserter Sicherheitsleistung eine zentrale

Neuere Führungsforschung

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 95

Rolle zukommt. Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand liefern KRÄMER und ZIMOLONG (2005); WEGGE (2004) sowie ZIMOLONG et al. (2006).

Beteiligung

96

3.4 Beteiligung

Beteiligung und Einbindung werden generell und speziell im Rahmen von Mana-gementkonzepten zur Sicherheit als bedeutsame Führungsprinzipien angesehen (ELKE, 2000, S. 83ff). In einer Vielzahl von Studien vor allem aus dem skandi-navischen Raum konnte wiederholt gezeigt werden, dass partizipatives Führungs-verhalten und partizipative Verhaltensprogramme zuverlässig Verbesserungen von Sicherheitsleistungen in der Arbeitsgruppe erzielen.

Effekte von Partizipation

Nach der Metaanalyse von SPECTOR (1986), basierend auf ca. 100 Unter-suchungen zur Autonomie und Partizipation am Arbeitsplatz, ist in allen Studien ein positiver Zusammenhang zwischen der erlebten Kontrolle und u. a. dem Com-mitment, der Einbindung, der Arbeitszufriedenheit und Leistung sowie niedrigen Fehlzeiten und Fluktuationsraten zu beobachten. Die Höhe des Commitments hat wiederum einen Einfluss auf die leistungssteigernde Wirkung von Zielsetzung. Die zentralen Steuerungsmechanismen für das Commitment bilden Partizipation und Einbindung.

SIMARD und MARCHAND (1994) untersuchten die Zusammenhänge zwischen dem Führungsverhalten und den Unfallraten. Führung wurde als Kontrolle des Verhaltens der Mitarbeiter, als Analysieren sicherheitskritischer Aufgaben und Arbeitsmethoden, von Unfällen sowie als Training neuer Mitarbeiter verstanden. Als Ergebnis zeigte sich, dass der Zusammenhang zwischen Führung und Unfall-raten durch Sicherheitsprogramme der Betriebe und vor allem durch selbst ge-steuerte Sicherheitsinitiativen der Mitarbeiter vermittelt wurde. In einer Folgestu-die (SIMARD & MARCHAND, 1997) wurde die Bedeutung kooperativer Bezie-hungen von Vorgesetzten und Arbeitsgruppen untersucht. Kooperatives Füh-rungsverhalten, wie z. B. die Einbeziehung von Mitarbeitern um Produktionsziele zu erreichen oder ein gutes Arbeitsklima zu schaffen sowie das „partizipative“ Management, waren die wichtigsten Prädiktoren für das Sicherheitscommitment der Arbeitsgruppe. Kooperative Arbeitsbeziehungen zwischen der Gruppe und ihrem Vorgesetzten verstärkte die Befolgung von Sicherheitsregeln durch die Ar-beitsgruppe und machte es einfacher, sie im Unternehmen durchzusetzen.

Partizipation und Einbindung

Während nach vorliegenden Ergebnissen von einem Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Partizipation auszugehen ist, stützen die Ergebnisse nicht durchgängig einen Zusammenhang zwischen Produktivität und Partizipation. Ebenso führt auch die partizipative Zielvereinbarung, verglichen mit gesetzten Zielvorgaben, nicht zu größeren Leistungsverbesserungen. Partizipation und Einbindung reduzieren aber die mit Veränderungen einhergehende Verunsicherung und Widerstände. Sie fördern die Akzeptanz von und Identifikation mit Neuerungen (s. ELKE, 2000, S. 86ff). Darüber hinausgehend stellen Partizipation und Einbindung angesichts der heute geforderten Flexibilität von Unternehmen, auf Veränderungen des Marktes bzw. der Kundenanforderungen immer schneller zu reagieren, zugleich

Wirkung

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 97

eine notwendige Bedingung für die Bewältigung der Herausforderungen dar (s. Kap. 2.2).

Da langfristig greifende inhaltliche Lösungen nicht vorgegeben werden können und Prävention aus sozialer und inhaltlicher Sicht die Zusammenarbeit aller Gruppen in einem Unternehmen erfordert, liegt der Schwerpunkt expliziter Regelungen im AGS, wie im Arbeitsschutzgesetz, auf der Vorgabe einer Methodik, die ein systematisches und partizipatives Vorgehen erfordert. Ein solches Vorgehen ermöglicht die Berücksichtigung des Erfahrungswissens vor Ort. Es steuert den inhaltlichen Problemlösungsprozess im AGS ohne die Setzung oder Vorgabe von Inhalten. Durch die Einbindung des Know-hows der Experten vor Ort sollen effiziente und auf die jeweilige Situation abgestimmte Lösungen gefunden werden. Die Einbindung der Mitarbeiter unterstützt einerseits ihre Bindung an die betrieblichen Regelungen und bildet andererseits die Grundlage für inhaltliche Lösungen. Der Aufgabenschwerpunkt der Führungskräfte verlagert sich damit auch im AGS hin zur Moderation von Problemlösungsprozessen.

Systematisches und partizipatives Vorgehen

In der betrieblichen Praxis lässt sich eine Vielfalt von Beteiligungsmustern beo-bachten. Die Übernahme von Verantwortung durch die Mitarbeiter und die Stär-kung des Empowerments, d. h. ihrer Befähigung Dinge zu managen, kann vor allem durch Formen der Arbeitsgestaltung, die einen großen Handlungsspielraum ermöglichen, wie Teamarbeit, Arbeitsanreicherung etc. gefördert werden (s. Kap. 2.3.1). Projektarbeit oder die Mitarbeit in Gesundheitszirkeln sind weitere Bei-spiele für Maßnahmen, die strukturell die Einbindung der Mitarbeiter unterstützen können (s. Kap. 4.5). Sie schaffen einen institutionellen Rahmen oder Raum, in dem die Mitarbeiter ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können. Beteili-gung heißt vor allem: miteinander kommunizieren. Das ist übrigens ein weiteres Erfolgsrezept der Unternehmen aus der GAMAGS-Studie, die ihre Leistungen im AGS deutlich verbessern konnten. Generell zeigt sich, dass die Kommunikation sowohl zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitern als auch innerhalb von Arbeitsgruppen den Erfolg im AGS maßgeblich beeinflusst (ELKE & ZIMOLONG, 2001b).

Beteiligung in der Praxis

3.5 Selbstmanagement

Mit der Bildung modularer Organisationen, der Erweiterung des Aufgaben- und Verantwortungsspektrums der Mitarbeiter rücken die Selbstregulation der Ar-beitsgruppe und das Selbstmanagement des Einzelnen in den Vordergrund. Ziel-setzung und Selbstmanagement sind nach dem Handlungsphasenmodell (s. Abb. 3.2) die zentralen Steuerungsmechanismen, damit das Handeln erfolgreich umge-setzt und zum Abschluss gebracht wird. Aufgabe der Führung ist es durch die Arbeitgestaltung und Zielabsprachen Bedingungen zu schaffen, die für die Selbst-regulation und das Selbstmanagement, d. h. die Selbstkontrolle und Selbstverstär-kung der Teams und des Einzelnen förderlich sind.

Selbstregulation

Selbstmanagement

98

Um selbstregulatorische Prozesse zu unterstützen und die Motivation der Mitar-beiter zu fördern entwickelte PRITCHARD (1990) das „Productivity Measure-ment and Enhancement System“ (ProMES), mit dem versucht wird, das komplexe Zusammenspiel verschiedener Produktivitätsfaktoren wie Qualität und Quantität abzubilden und den Mitarbeitern über kontinuierliche Feedbackschleifen zurück-zumelden (s. Kasten 3.5). In deutscher Form liegt dieses System unter dem Titel „Partizipatives Produktivitätsmanagement“ (PPM; PRITCHARD, KLEINBECK & SCHMIDT; 1993) vor. Der Vorteil des Systems liegt darin, dass die Mitarbeiter die Einflussmöglichkeiten ihrer Leistung auf die betriebsbezogene Bewertung erfahren, was unmittelbare Auswirkungen auf ihre Motivation hat. Weiterhin wer-den Wechselwirkungen zwischen konkurrierenden Leistungen transparent. Inzwi-schen liegt eine Fülle von positiven Ergebnissen vor (HOLLING, LAMMERS & PRITCHARD, 1999).

ProMES

Ausgangspunkt von ProMES sind die Aufgabenbereiche, die das Aufgabenspektrum und die Arbeitsaufträge einer Arbeitsgruppe beschreiben. Typische Aufgabenbereiche nach PRITCHARD et al. (1993, S. 23f) sind: - Aufgabenbereich 1: Aufrechterhaltung des Mengenausstoßes - Aufgabenbereich 2: Einhaltung des Qualitätsstandards der gefertigten Geräte - Aufgabenbereich 3: Korrekte Befolgung der Wartungs- und Arbeitssicherheits-vorschriften. Jeder dieser Aufgabenbereiche kann über einen oder mehrere Indikatoren messbar gemacht werden. Ein Indikator stellt dabei eine Messgröße der Leistung dar, die von den Mitarbeitern beeinflussbar ist. Die Auswahl der Indikatoren erfolgt über eine Konsensbildung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. PRITCHARD et al. (1993) schlagen z. B. für den Aufgabenbereich 3 folgenden Indi-kator vor: Indikator: Vorschriftenverletzung, d.h. Anzahl von Verletzungen der Vorschriften, nach denen die Wartungs- und Arbeitssicherheitsaufgaben ausgeführt werden müs-sen. Im dritten Schritt wird für jeden Indikator der Aufgabenbereiche eine Bewertungs-funktion erstellt. Die Bewertungsfunktion gibt für jeden Indikator an a) In welchem Ausmaß bestimmte Leistungsergebnisse wie z. B. eine geringe Anzahl

von Verletzungen der Vorschriften zur Effektivität beitragen b) Ob eine weitere Verbesserung der Qualität noch einen Beitrag zu Effektivität leis-

tet c) Wie wichtig der einzelne Indikator für die Gesamtproduktivität der Gruppe ist. Die Gesamtproduktivität entspricht dabei der Summe aller Effektivitätswerte der In-dikatoren. Die Übersetzung der Leistungsergebnisse in Effektivitätswerte macht die Einzelleistungen vergleichbar und liefert ihren Beitrag zur Gesamteffektivität der Gruppe. Diese Effektivitätswerte werden im vierten Schritt kontinuierlich an die Gruppe zurückgemeldet und erlauben der Gruppe bei Vorliegen von Effektiviäts-einbußen gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um diese zu kompensieren.

Kasten 3.5: Productivity Measurement and Enhancement System (ProMES)

Das Managementsystem ProMES/PPM ist als ein Instrument konzipiert, das nach einer Einführungsphase die kontinuierliche Rückmeldung durch die Gruppe selbst ermöglicht. Damit wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Instrument in die Hand gegeben, das die Selbstbewertung und -kontrolle fördert. Die gemein-

Instrument zur Selbstkontrolle

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 99

same Entwicklung von Indikatoren und Bewertungsfunktionen durch Vorgesetzte und Mitarbeiter garantiert einen hohen Akzeptanzgrad. Über die Bewertungsfunk-tionen lassen sich unternehmenspolitische Schwerpunkte steuern und zunächst als unvereinbar erscheinende Kriterien gemeinsam optimieren. Dies wird dadurch erreicht, dass etwa Arbeitssicherheit und Qualität höher gewichtet werden als der quantitative Mengenausstoß. Dies hätte als unmittelbare Folge höhere Effektivi-tätswerte in den beiden gewünschten Bereichen und würde einer unternehmens-politisch unerwünschten Schwerpunktbildung nur auf Quantität entgegenwirken. ProMES wurde bisher als System dargestellt, das die Produktivität und damit die Leistungen von Arbeitsgruppen in Unternehmen optimiert. Im Sinne eines Total Quality Management lässt es sich auch auf Kunden–Lieferantenbeziehungen an-wenden.

Zwischen Kunden und Lieferanten werden ebenfalls Vereinbarungen getroffen, die sich in Aufgabenbereiche übersetzen lassen und für die dann Indikatoren ent-wickelt werden können, welche dem Lieferanten ein wirksames Selbstkon-trollinstrument in die Hand geben. Außendienstmitarbeitern, einzelnen Handwer-kern, Mitarbeitern von Kontraktoren und teilautonomen Arbeitsgruppen würde damit ein Instrument zur Selbstkontrolle zur Verfügung gestellt, das sicherheits- und gesundheitsgerechtes Verhalten auch dann fördert, wenn keine zentral vorge-gebenen Personalinstrumente vorliegen und eine direkte personale Führung nur geringen Einfluss auszuüben vermag. Damit geraten aber auch die Aktivitäten des individuellen Selbstmanagements in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Kunden-Lieferanten-Beziehungen

KANFER und HAGERMAN (1987) unterscheiden drei Phasen eines indivi-duellen Selbstregulationsprozesses. Die Selbstbeobachtung registriert das eigene Verhalten. Die Selbstbewertung führt einen Vergleich zwischen eigenen An-sprüchen und Zielen und dem tatsächlichen Verhalten durch. Entsprechen Verhal-ten bzw. Verhaltensergebnis den eigenen Ansprüchen und Zielen, so kommt es zu einer positiven Selbstbekräftigung. Werden die Ziele nicht erreicht, so kommt es zu einer negativen Selbstbekräftigung. Sie kann zu einer Änderung des Verhal-tens, aber auch zur Aufgabe unrealistischer Ziele führen.

Selbstmanagement

Die Verfolgung von Zielen, das Aufrechterhalten bzw. die Änderung von Verhal-ten ist Gegenstand der Handlungskontrolltheorie von KUHL (1987; s. Abb. 3.2). Er unterscheidet zwei Typen von Handlungskontrolle: Die Lageorientierung und Handlungsorientierung. Handlungsorientierung beschreibt die Fähigkeit, sich si-tuationsangemessen und zielorientiert zu verhalten und Störeinflüsse aktiv zu be-wältigen. Sie ist mit bestimmten Verhaltensweisen verbunden, die für die Zieler-reichung überflüssigen oder ablenkenden Informationen auszublenden.

Handlungs- und Lageorientierung

Diese Erfahrung hat vermutlich schon jeder gemacht: Liegt viel Arbeit an, kon-zentriert man sich nur auf sein Ziel, vernachlässigt Familie, Freunde und Bekann-te und sorgt dafür, dass man nur noch für wenige zu sprechen ist. Die individuel-len Strategien sind sehr vielfältig, aber auch unterschiedlich effektiv. Lageorien-

Betriebliche Gesundheitskultur

100

tierung führt dagegen zur Beibehaltung unrealistischer Ziele und der Akzeptanz situativer Hindernisse (HECKHAUSEN, 1989, S. 197). In späteren Arbeiten hat Kuhl die beiden Faktoren auch als Ergebnis von Sozialisationsprozessen aufge-fasst (KUHL & BECKMANN, 1994). Zu einer Lageorientierung kann es durch langjährige externe Kontrollen, monotone Tätigkeiten und Routinearbeiten kom-men. Unrealistische Ziele, Kontrollverlust, Furcht vor Fehlern und extrinsische Belohnungen führen zu zögerlichem und vorurteilsbeladenem Verhalten. Die Fol-gen sind Fehlen von Eigeninitiative, rigides regelbasiertes Verhalten und Ent-fremdung. Ein solches Verhalten verhindert entscheidend die Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

Mit der Unterscheidung der Handlungs- und Lageorientierung in den Selbstmana-gementprozessen wird die Aufmerksamkeit auf die Verhaltensweisen und Strate-gien von Personen gelenkt, die mehr oder weniger erfolgreich ihre Arbeit und ihren Alltag koordinieren können. Allerdings erfordern bestimmte Arbeitsplätze, wie z. B. autarke Einzelarbeitsplätze im Außendienst oder in der Telearbeit und auch die Arbeit in teilautonomen Arbeitsgruppen, ein hohes Ausmaß an selbstän-diger Arbeitskoordination. Durch den Einsatz von ergebnisorientierten Personal-managementsystemen, wie die Verknüpfung von Beurteilungs-, Anreiz- und Qua-lifizierungssystemen, lässt sich das Selbstmanagement auf diesen Arbeitsplätzen unterstützen, doch müssen die entsprechenden Prozesse der Selbstbeobachtung, Selbstbewertung und Selbstbekräftigung erst noch in entsprechende praktische Verfahren umgesetzt werden.

Arbeitsanforderung

3.6 Betriebliche Gesundheitskultur

3.6.1 Merkmale und Bedeutung

Die Gesundheitskultur eines Betriebes stellt den impliziten Handlungscode für den Umgang mit Sicherheits- und Gesundheitsrisiken im Alltag dar. Ist es z. B. in einem Unternehmen selbstverständlich, sich an bestimmte Sicherheitsvorgaben zu halten oder ist es „normal“, dass Gesundheit bei der Arbeitsgestaltung mitgedacht wird, fühlen sich die Führungskräfte für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verant-wortlich oder ist Gesundheit ein Tabuthema, da sie als Privatangelegenheit ange-sehen wird etc.

Implizite Handlungsnormen

Beobachtbare Selbstverständlichkeiten liefern Hinweise auf die Gesundheitskultur eines Unternehmens. Die zugrunde liegenden Basisannahmen, die den Kern einer Kultur bilden, sind nicht direkt beobachtbar und zumeist unbewusst. Sie manifes-tieren sich in Form von Handlungsrichtlinien, Regeln, Normen und Standards, die ebenfalls nur zum Teil beobachtbar und bewusst sind (s. Abb. 3.5). Auch die kon-kreteren Ausdrucksformen von Kulturen wie Sprache, Rituale, Umgangsformen oder materielle Symbole bedürfen der Interpretation und müssen entschlüsselt werden.

Kulturebenen

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 101

Jeder betrieblichen Gesundheitskultur liegen Annahmen zugrunde, die mit einem bestimmten Menschenbild und Gesundheitsverständnis einhergehen (s. Kap. 2.3.4). Während der klassische Arbeitsschutz im einzelnen Menschen eher jeman-den sah, den es zu schützen galt, geht das Arbeitsschutzgesetz (1996) vom Ar-beitnehmer als einem Partner aus, der nicht nur in die Entscheidungen und Maß-nahmen des AGS einzubeziehen ist, sondern der auch in seinem Rahmen Verant-wortung trägt. Zugleich korrespondiert der präventive Ansatz des Arbeitsschutz-gesetzes mit einem erweiterten Gesundheitsverständnis, das sowohl das physische als auch das psychosoziale Wohlbefinden einschließt. Der Schwerpunkt, der im klassischen Arbeitsschutz auf Maßnahmen der sekundären und tertiären Präventi-on lag, wird mit dem Arbeitsschutzgesetz auf Maßnahmen der Primärprävention verlagert. Betriebliche Gesundheitsförderung bzw. das betriebliche Gesundheits-management geht darüber hinaus. Schutz und Vorbeugung bleiben wichtig, aber vorrangig wird die Förderung von individuellen und betrieblichen Ressourcen forciert. Gesundheitsförderung bezieht sich auf die Unterstützung des Aufbaus und der Stärkung individueller gesundheitsbezogener Ressourcen und Fähigkeiten sowie die Förderung gesundheitsförderlicher Strukturen in den Lebenswelten Ar-beiten, Wohnen, Lernen und Freizeitgestaltung (s. Kap. 2.4.1).

SymbolsystemSprache, Rituale, Kleidung,

Umgangsformen

unsichtbar,meist unbewusst

Normen und StandardsMaximen, Richtlinien, Verbote teils sichtbar,

teils unbewusst

sichtbar, aber interpretationsbedürftig

Basisannahmenüber: Umweltbezug Wahrheit, Zeit, Menschen, menschliches Handeln, soziale Beziehungen

Abbildung 3.5: Kulturebenen nach Schein (1984, S. 4; 2003, S. 31)

Eigenverantwortung setzt auf betrieblicher wie individueller Ebene das Vorhan-densein von Gestaltungsspielräumen voraus. Entsprechend gewährt auch das Ar-beitsschutzgesetz dem Arbeitgeber einen relativ großen Handlungsspielraum. Es fordert vom ihm zwar ein systematisches Management des AGS, schreibt aber nicht vor, wie die konkrete Umsetzung auszusehen hat. Dasselbe gilt für die im Gesetz festgelegten Aufgaben und Befugnisse der betrieblichen Akteure im AGS. Arbeitgeber, Führungskräfte, Sicherheitsfachkraft, Sicherheitsbeauftragter, Be-triebsarzt, Betriebsrat und Beschäftigte können und müssen bei der Aufgabener-füllung den jeweiligen betrieblichen Bedingungen Rechnung tragen. Es wird, ver-gleichbar mit dem Management in dezentralen Organisationsformen, nur ein

Eigenverantwortung und Handlungsspiel-raum

Betriebliche Gesundheitskultur

102

Rahmen vorgegeben, in dem die Akteure ihr Handeln im Sinne der Leitideen des Gesetzes oder der Geschäftspolitik selbst organisieren. Es handelt sich um eine „regulierte Autonomie“. WATERMAN (1996) spricht im Rahmen der Untersu-chung von erfolgreichen Managementstrategien von „gesteuerter Autonomie“ und meint damit, dass in erfolgreichen Unternehmen bei wichtigen Dingen per Vorga-ben straff zentralisiert vorgegangen wird und bei allem anderen hingegen radikal dezentralisiert.

Die Steuerung eigenverantwortlichen Handelns im AGS stellt für das Manage-ment eine große Herausforderung dar. Einerseits brauchen Führungskräfte wie Mitarbeiter einen Freiraum, um eigenverantwortlich handeln zu können, anderer-seits muss die Arbeit und ihre Bedingungen so gestaltet sein, dass auch das selbst gesteuerte Handeln in einem Team sich an den betrieblichen AGS-Vorgaben ori-entiert, und zwar ohne dass eine durchgängige explizite Reglementierung des Verhaltens stattfindet. An dieser Stelle wird die Bedeutung der impliziten Hand-lungssteuerung in Organisationen offenkundig. In einem Unternehmen, in dem eine positive Gesundheitskultur gelebt wird, ist es selbstverständlich, dass Sicher-heit und Gesundheit im Alltagshandeln mitgedacht werden. Führungskräfte und Mitarbeiter haben Sicherheit und Gesundheit als Handlungsstandard verinnerlicht.

Herausforderung für das Management

3.6.2 Untersuchungen

In den vorliegenden Untersuchungen wird durchgängig nicht von Gesundheits- sondern Sicherheitskultur oder Sicherheitsklima gesprochen. Ausgehend von TURNERs (1978) Katastrophen-Entwicklungsmodell gewann das Konzept und die Untersuchung der Sicherheitskultur bzw. des Sicherheitsklimas zur Erklärung und Gestaltung der Sicherheit in komplexen soziotechnischen Systemen in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung und Verbreitung (PIDGEON & O´LEARY, 2000; ZOHAR, 2003). Die OECD Nuklear Agentur stellte im Jahr 1987 in ihrem Bericht zur Tschernobyl Reaktorkatastrophe fest, dass die Fehler und Verletzungen von Sicherheitsvorschriften Ausdruck einer schlecht entwickel-ten Sicherheitskultur sowohl im Werk als auch bei den Aufsichtsbehörden der ehemaligen Sowjetunion waren.

Sicherheitskultur und Sicherheitsklima

Als theoretisches Konstrukt wird die Sicherheitskultur zur Erklärung und Voraus-sage von betrieblichen Sicherheitszuständen und -leistungen herangezogen, die auf ein Bündel indirekter oder impliziter organisationaler Einflüsse und Entwick-lungen zurückzuführen sind. Bislang hat sich noch keine Übereinstimmung in den Definitionen von Sicherheitskultur und -klima und ihrer Beziehung untereinander gefunden. Die meisten Definitionen der Sicherheitskultur beziehen sich auf die von Organisationsmitgliedern gemeinsam geteilten Normen, Werte und Einstel-lungen. Insofern bildet die Gruppe oder die Abteilung das Aggregationsniveau für die Messung.

Theoretisches Konstrukt

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 103

In einem Übersichtsartikel zu diesem Thema schlägt GULDENMUND (2000) vor, Sicherheitsklima als sichtbaren Ausdruck der Sicherheitskultur im Verhalten und in den Einstellungen der Organisationsmitglieder zu verstehen.

Der erwartete Zusammenhang zwischen einem positiven Sicherheitsklima und guten Sicherheits- und Gesundheitsleistungen konnte vielfach bestätigt werden (s. Kasten 3.6). In neueren Übersichtsartikeln wurde versucht, Ordnung in die bislang gefundenen Facetten des Sicherheitsklimas zu bringen. FLIN, MEARNS, O’CONNOR und BRYDEN (2000) fanden 19 Faktoren in den von ihnen analy-sierten Studien, während LEE und HARRISON (2000) 28 Faktoren zusammen-stellten. Die Vielzahl der Faktoren resultiert nicht nur aus der unterschiedlichen Zahl von Dimensionen, die für die Fragebogenkonstruktion verwendet wurden, sondern auch aus den unterschiedlichen Faktorladungen und Faktoren, die bei wiederholter Anwendung desselben Fragebogens an Stichproben aus unterschied-lichen Unternehmen und Branchen ermittelt wurden (GLENDON & LITHER-LAND, 2001).

Facetten

Ergebnisse In einer Vielzahl von Untersuchungen konnten negative Korrelationen zwischen ei-nem unterstützenden Sicherheitsklima und Unfällen, Verletzungen oder Fehlzeiten gefunden werden. Einen Überblick liefern GLENDON und LITHERLAND (2001).

In der GAMAGS-Studie wurden u. a. als ein Indikator für die Ausprägung einer posi-tiven Gesundheitskultur die Wertorientierungen der Mitarbeiter untersucht. Erfragt wurde, welche Rolle Sicherheit und Gesundheit in ihrem Betrieb zukommt und für sie selber spielt, inwieweit sie bereit sind, Verantwortung für die eigene Sicherheit und Gesundheit und die ihrer Kollegen am Arbeitsplatz zu übernehmen und aktiv zu wer-den. Die Profile der Mitarbeiter aus den über- und unterdurchschnittlichen Unterneh-men unterscheiden sich deutlich in ihren Ausprägungen. Die Werte der Mitarbeiter aus den besten Betrieben liegen auf allen Skalen über denen ihrer Kollegen aus den schlechteren Betrieben. Aus Sicht der Mitarbeiter ist die Sicherheits- und Gesund-heitskultur in den besten Betrieben deutlich positiver und man ist auch überzeugter, auf die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz Einfluss nehmen zu können (EL-KE, 2001a, S. 198f).

In einer Vielzahl von Strukturgleichungsmodellen kommt dem Sicherheitsklima eine Prädiktorfunktion für sicheres bzw. sicherheitswidriges Verhalten oder für die Zahl der Unfälle zu (u. a. BROWN, WILLIS & PRUSSIA, 2000).

Beispielsweise ermittelten CHEYNE, COX, OLIVER und TOMAS (1998) für fünf Faktoren des Sicherheitsklimas eine positive Beziehung zum sicheren Verhalten: Für Sicherheitsmanagement, Kommunikation, persönliche Verantwortung, Sicherheits-standards und –ziele sowie persönliches Engagement.

Die Ergebnisse der Modellierungsansätze weisen in die von HOFMANN und STET-ZER (1996) aufgezeigte Richtung, dass das Sicherheitsklima als Mediator die Sicher-heitsleistungen über die Arbeits- und Organisationsbedingungen beeinflusst. Wie be-reits zuvor (s. Kap. 3.3.2) gezeigt wurde, hat das Sicherheitsklima eine Mediatorfunk-tion für die Beziehung zwischen dem Führungsverhalten und den Sicherheits- und Gesundheitsleistungen.

Kasten 3.6: Ausgewählte Ergebnisse zur Sicherheitskultur und zum Sicherheitsklima

Betriebliche Gesundheitskultur

104

Bleibt auch die Zahl der Faktoren und deren Inhalte umstritten, so tauchen doch häufig dieselben Indikatoren für die Sicherheitskultur auf, wie das Commitment des Managements und der Führungskräfte, die Kompetenz und das Führungsver-halten der direkten Vorgesetzten oder die SG-Kommunikation. Ebenso wie das Verhalten der leitenden Führungskräfte und der Vorgesetzten vor Ort direkte Auswirkungen auf das Sicherheitsklima am Arbeitsplatz hat, beeinflusst auch das Sicherheitsmanagement das Sicherheitsklima (MEARNS, WHITAKER & FLIN, 2003). Von einem funktionalen Standpunkt aus betrachtet, stellt die Sicherheits-kultur somit eine implizite Steuerungsform vergleichbar der beruflichen Sozialisa-tion dar, die von expliziten Steuerungsformen, wie dem Sicherheitsmanagement und dem direkten Führungsverhalten abgegrenzt werden müssen. Beide Steue-rungsformen bedingen sich jedoch wechselseitig (ELKE, 2000; 2001a).

Indikatoren und Funktion

3.6.3 Förderung einer positiven Gesundheitskultur

Die Ergebnisse (s. Kasten 3.6) sind vor allem für die Gestaltung von Gesundheits-managementsystemen von Bedeutung (s. Kap. 2.5). Die Qualifizierung für und die Umsetzung spezifischer Führungsstile in einer Organisation kann zwar unter be-stimmten Bedingungen einen direkten, positiven Einfluss auf die Sicherheits- und Gesundheitsleistungen von Arbeitsgruppen haben, ist aber in den meisten Fällen von den Prioritäten des Managements, d. h. der Sicherheits- und Gesundheits-politik eines Unternehmens und der Gesundheitskultur der Organisation abhängig. Auch das Gesundheitsklima in einer Arbeitsgruppe wird von den sichtbaren Akti-vitäten des Managements geprägt und steht damit nicht allein unter der Kontrolle der unmittelbaren Vorgesetzten (s. Kap. 3.3.2). Infolgedessen ist das Führungs-verhalten oder das Training des gewünschten Führungsstils allein nicht ausrei-chend für eine dauerhafte Verbesserung von Sicherheits- und Gesundheitsleistun-gen in der Arbeitsgruppe oder der Abteilung. Es muss eingebettet sein in ein Ma-nagementsystem, in dem die geforderten Sicherheits-, Gesundheits- und Produkti-onsleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, Sicherheits- und Ge-sundheitsleistungen von den nächst höheren Vorgesetzten gefordert und unter-stützt und durch eine positive Sicherheits- und Gesundheitskultur getragen wird (ZIMOLONG & ELKE, 2001a).

Rolle des Managements

Die Entwicklung einer positiven Gesundheitskultur kann zwar durch Strukturen und Maßnahmen unterstützt und gefördert werden, aber sie ist nicht durchweg rational steuerbar. Sie ist geprägt durch Prozesse der Selbststeuerung und Selbst-organisation. Kulturentwicklung bedeutet vor allem die Gestaltung von Sozialisa-tionsprozessen. Die Vermittlung und Entwicklung von Selbstverständlichkeiten sind eingebunden in komplexe, soziale Interaktionsprozesse. Kultur setzt Kom-munikation im Sinne von wechselseitigem Verstehen voraus (vgl. ELKE, 2000). Insofern fördert die verstärkte Einbindung der Mitarbeiter in Maßnahmen und Entscheidungen des AGS, die in den besten Betrieben der GAMAGS-Studie zu beobachten ist, die Entwicklung einer positiven Kultur und die Erhöhung des Commitments mit den explizit gesetzten oder vereinbarten hohen AGS-Standards (s. Kap. 3.4). In allen untersuchten Betrieben wird zudem den Führungskräften

Selbstorganisation

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 105

bzw. ihrem vorbildhaften Verhalten eine wichtige Rolle für einen erfolgreichen AGS zugeschrieben. Umso erstaunlicher ist es, dass in einem Viertel der Betriebe die Führungskräfte nicht durch den Einsatz von Personalsystemen explizit in der Ausübung ihrer Rolle als Kulturpromotoren unterstützt werden.

Das Handeln der wichtigsten Akteure im betrieblichen AGS, wie Geschäfts-leitung, Führungskräfte, AGS-Funktionsträgern oder Betriebsrat, ist nicht nur ge-prägt von unterschiedlichen Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnissen, sondern auch von unterschiedlichen Interessen, Zielsetzungen und Erfahrungen. Einen wichtigen Einfluss übt die Berufsausbildung aus. In Abhängigkeit von der jewei-ligen professionellen Sozialisation werden z. B. ein Ingenieur, ein Jurist oder ein Betriebswirt andere Lösungen eines AGS-Problems präferieren. Insofern gibt es bei genauer Betrachtung in einem Betrieb nicht die eine Gesundheitskultur, son-dern es handelt sich immer um das Zusammenwirken von mehreren Subkulturen. Entscheidend sind zwei Fragen: Erstens, inwieweit ein Austausch zwischen den Akteuren der Subkulturen stattfindet und eine implizite Einigkeit hinsichtlich be-stimmter Basisannahmen, wie z. B. von Prävention als Leitbild für das Handeln, im AGS erreicht wurde. Zweitens muss gefragt werden, ob eine Auseinanderset-zung mit den unterschiedlichen Perspektiven der Akteure stattfindet oder stattfin-den kann, da die Entwicklung einer Kultur weitgehend von Prozessen der Selbst-steuerung und Selbstorganisation vorangetrieben wird. Der inner- und überbe-triebliche Austausch über Fragen der Sicherheit und Gesundheit kann strukturell durch ein gezieltes Informations- und Kommunikationsmanagement im AGS oder auch durch Präventionsnetzwerke (s. Kap. 2.3.2) gefordert und gefördert werden (ELKE & ZIMOLONG, 2001).

Subkulturen

Betriebliche Gesundheitskultur

106

Literaturempfehlung

Berthel, J. & Becker, F. G. (2003). Personal-Management. (7. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Elke, G. (2000). Management des Arbeitsschutzes. Wiesbaden: Deutscher Univer-sitäts-Verlag (Kap. 4).

Nerdinger, F. W. (1995). Motivation und Handeln in Organisationen. Stuttgart: Kohlhammer.

Schuler, H. (2001) (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogre-fe/Verlag für Angewandte Psychologie.

Zimolong, B. (Hrsg.). (2001). Management des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – Die erfolgreichen Strategien der Unternehmen (Kap. 3, 5, 7 u. 8). Wiesba-den: Gabler.

Gesundheitsbezogenes Personalmanagement 107

Übungsaufgaben zu Kapitel 3

1. Begründen Sie, warum die Personalbeurteilung der strukturellen oder der

personalen Führung zuzuordnen ist?

2. Welche Phasen des Handlungsphasenmodells sind besonders wichtig, wenn

Mitarbeiter motiviert und unterstützt werden sollen, sich sicherheits- und

gesundheitsgerecht zu verhalten? Was sind konkrete Maßnahmen?

3. Welche der nachfolgenden Aussagen sind zutreffend?

A Die besten Unternehmen der GAMAGS-Studie setzen die meisten Perso-

nalsysteme ein.

B Sie setzen am häufigsten Beurteilungs- und Anreizsysteme, um die AGS

bezogenen Leistungen der Führungskräfte zu fördern.

C Die Abweichungen zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung des Füh-

rungsverhaltens sind in den besten Betrieben wesentlich geringer als in

den schlechten Betrieben

D Die Fortschrittsbetriebe der GAMAGS-Studie zeichnen sich dadurch aus,

dass sie am innovativsten sind und besonders kreative Lösungen einer ge-

sundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung entwickelt haben.

4. Was versteht man unter „Gesundheitskultur“ und begründen Sie, warum

die folgende Aussage nicht korrekt ist.

„Die Firma Meier & Co hat keine Gesundheitskultur.“

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 107

4 Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventio-nen

In diesem Kapitel werden gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, das gesundheitsbezogene Verhaltensmanagement, Programme zur Stress-bewältigung sowie Rückkehrgespräche und Gesundheitszirkel ausführlicher be-handelt. Eine Systematik der gesundheitsbezogenen Interventionsarten findet sich in Tab. 4.1. Sie folgt in ihrem Aufbau der Systematik ausgewählter Teilsysteme eines integrativen Betrieblichen Gesundheits-Managementsystems (s. Abb. 2.3 aus Kap.2.5). Maßnahmen der Tertiärprävention werden nicht erörtert. Zunächst erfolgt eine Einordnung der Interventionsarten in die proaktive und reaktive Prä-ventionsstrategie. Der Stellenwert des Indikators Gesundheitsquote für die Wirk-samkeitsmessung der beiden sich ergänzenden Strategien wird herausgearbeitet.

4.1 Proaktive und reaktive Präventionsstrategien

Arbeitsbedingte Gesundheits- und Verletzungsgefahren stellen potentielle Risiko-quellen für das Personal, die technischen Einrichtungen und die Umwelt dar. Me-chanische oder elektrische Risiken wie Bewegungsenergien oder Strom-spannungen haben einen sofortigen Effekt auf den Organismus und können zu Verletzungen unterschiedlicher Art und Schwere führen. Toxische Substanzen, wie sie in Lösemitteln oder bleihaltigen Verbindungen vorkommen, haben meis-tens keine sofortige erkennbare Wirkung, können sich aber im Körper akkumulie-ren und zu Langzeitschäden der Organe führen. Die Entwicklung der Lärm-schwerhörigkeit über Jahre als Folge einer kontinuierlichen Exposition ist ein weiteres Beispiel für akkumulative Wirkungen. Auf der anderen Seite können Rückenbeschwerden durch Fehlbelastungen – zu langes Sitzen, keine Erholungs-pausen, einseitige Tätigkeiten – trotz einer ergonomischen Gestaltung des Ar-beitsplatzes auftreten (TVEITO, HYSING & ERIKSEN, 2004).

Risikoquellen

Unter einer soziotechnischen Perspektive betrachtet führen diese Gefahren, wenn sie nicht verhindert, entdeckt und korrigiert werden, zu Schäden der Systemele-mente (Menschen, Einrichtungen, Material) und/oder der soziotechnischen Sys-temumgebung. Gesundheitsgefahren in einem soziotechnischen System und seiner Umwelt werden als Abweichungen von einem Sollzustand oder einer als normal definierten Situation aufgefasst (KJELLÉN, 1984). Die Kontrolle der Gefahren (Prävention) und die Ressourcenförderung setzen bereits in der Umwelt und bei beiden Teilsystemen und ihrer Interaktion an (ZIMOLONG & KOHTE, 2005). Die Verhältnisprävention strukturiert die Bedingungen und realisiert damit den nach dem Arbeitsschutzgesetz zu bevorzugenden kollektiven Gefahrenschutz. Maßnahmen der betrieblichen Verhaltensprävention zielen auf Veränderungen der Einstellung, der Motivation, der Fähigkeiten, des Wissens oder des Verhaltens von Personen.

Proaktive und reaktive Präventionsstrategien

108

Tabelle 4.1: Gesundheitsförderliche und präventionsorientierte Interventionsarten. Fettgedruckt sind die im Text behandelten Interventionen

Politik und Strategie Entwicklung/Förderung einer unterstützenden be-trieblichen Gesundheitskultur

Gestaltung der Arbeit Gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung - Ergonomische Gestaltung

- Arbeitsorganisation (u. a. Teamarbeit, Projektarbeit, Telearbeit, Gesundheitszirkel)

- Soziale Arbeitsgestaltung (Entlohnung, Arbeitszeiten, Erholung)

Personalmanagement Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement - Führungskräftetrainings und -entwicklung

- Verhaltenstrainings und -programme (u. a. Anwe-senheit, sicheres und gesundheitsförderliches Verhalten, Zuverlässigkeit, Sauberkeit und Ordnung)

Stressbewältigungsprogramme

- Kompetenztrainings (Selbstsicherheits-, Konflikt-, Problemlöse-, Zeitmanagementtrainings)

- Stressmanagementtrainings (Entspannungstrainings, kognitiv/behaviorale Verfahren)

Information und Kommunikation

Mitarbeitergespräche, Arbeitskreise, Rückkehrgespräche Aufklärung, Beratung u. a. zu Ernährung, Sucht; psy-chosoziale Beratung zu speziellen Risiken, u. a. Rü-ckenschmerzen, Herz-Kreislauf Krankheiten

Beteiligung der Mitarbeiter

Befragungen, Gesundheitszirkel, Arbeitsautonomie, Ideen- und Beschwerdemanagement, Organisations-entwicklung

Medizinische und psycho-soziale Betreuung

Früherkennung, Drogen- und Suchtberatung, Gesundheitsbeurteilungen

Gesundheitsprogramme und -aktivitäten

Zeitlich befristete Programme zur Förderung der körper-lichen und psychosozialen Gesundheit, z. B. Arbeit-Familien Workshops, körperliche Fitness, Ernährungswoche, Entspannungstraining

In Abhängigkeit von der Ausrichtung der Maßnahmen auf die vorbeugende Aus-schaltung oder Reduzierung von Gefährdungen oder die Minimierung der Risiko-folgen umfasst die betriebliche Gesundheitsförderung drei Strategien der Risiko-kontrolle:

3 Strategien der Risikokontrolle

– Proaktive Strategie (Primärprävention): Mögliche Gefahren und Risiken sollen rechtzeitig erkannt und verhindert werden, am besten in der Planungsphase ei-nes Systems, Produkts oder einer Dienstleistung (LEHDER & SKIBA, 2005),

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 109

– Reaktive Strategie (Sekundärprävention):Vorhandene Gefahren, Gefährdungen und Fehlbelastungen sollen entdeckt und korrigiert werden. Wenn das nicht möglich ist, soll der Mensch vor ihnen geschützt werden, z. B. durch eine Grip-peschutzimpfung, durch Stärkung der Widerstandskräfte im Fall von psychi-schen Belastungen oder durch Information und Qualifizierung,

– Kurative Strategie (Tertiärprävention): Hierunter fallen sowohl therapeutische als auch Beratungsleistungen, um Beschwerden, Krankheiten und Verletzungen zu heilen bzw. nicht weiter zu verschlimmern. Sie wird hier nicht behandelt.

Die proaktive Förderung von Gesundheit und Sicherheit setzt bereits in der Pla-nungsphase eines Systems, Produkts oder einer Dienstleistung an. Eine proaktive Strategie umzusetzen heißt, in den einzelnen Phasen der Planung und Entwick-lung die anthropometrischen, ergonomischen, gesundheits- und sicherheitsbezo-genen Regeln und Vorschriften, wenn möglich unter Beteiligung der Betroffenen, umzusetzen (STADLER & BEER, 2001). Hinzutreten arbeitwissenschaftliche Forderungen der Lern- und Persönlichkeitsförderung (LUCZAK & VOLPERT, 1997). Sie sind Teil der Maßnahmen der Ressourcenförderung. Die mit der proak-tiven Strategie verbundenen Aktivitäten sind:

Proaktive Risikokontrolle

– die proaktive Identifizierung von möglichen Gesundheits- und Sicherheits-risiken,

– die rechtzeitige Einbindung von GS-orientierten Gestaltungs- und Verfahrens-vorschriften, -vorkehrungen und -kriterien,

– die frühzeitige Bewertung von Planungen, Entwürfen und Verfahren hinsicht-lich ihrer Vereinbarkeit mit GS-Anforderungen,

– die regelmäßige Überwachung aller Sicherheits- und Gesundheitsaspekte wäh-rend der Lebenszyklusphasen von Arbeitssystemen, Produkten und Verfahren, einschließlich der Entsorgungsphase.

Eine proaktive Strategie umzusetzen ist schwierig und kostenintensiv, setzt sie doch voraus, aus der Vielzahl der Gefahren und Belastungsfaktoren diejenigen herauszusuchen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Unfällen oder Er-krankungen führen. Einige häufig eingesetzte Instrumente für die proaktive Iden-tifizierung sind HAZOPs (HAZard and OPerability studies), FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) und Fehlerbaumanalysen (LEHDER & SKIBA, 2005).

Ebenfalls müssen die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, die Gefähr-dungen erst entstehen oder latent vorhandene Ursachen zu Auslösern von Ereig-nissen werden lassen. Das ist die Kernaussage des von Reason aufgestellten TRI-POD-Modells1. Latente Fehler sind Entscheidungen von Planern, Entwicklern, Managern und direkten Vorgesetzten, aber auch von Überwachungsbehörden, die das Auftreten von Unfällen und Krankheiten begünstigen. Als aktive Fehler wer-

TRIPOD

_________________________________________________

1TRIPOD ist ein Kunstname

Leistungsindikator Gesundheitsquote

110

den die Entscheidungs- oder Handlungsfehler bezeichnet, die unmittelbar zu Schadensereignissen führen (WAGENAAR, GROENEWEG, HUDSON & REA-SON, 1994). Noch zu häufig werden nur die aktiven Fehler analysiert und nicht die latenten Fehler, welche die aktiven Fehler erleichtern oder befördern.

Gefährdungs- und Belastungsanalysen sind die wichtigsten Instrumente der reak-tiven Risikokontrolle. Die Art und der Umfang der Gefährdungsanalyse hängen vom Umfang der Schadenshöhe und -konsequenzen ab. Bei kleineren Risiken, z. B. Ausrutschen, Stolpern oder Hinfallen, genügt in der Regel eine qualitative Ge-fährdungsanalyse, am besten in Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Die Ver-einbarung von Verfahren und Verhaltensregeln, Einhaltung von Ordnung und Sauberkeit, Entwicklung des Sicherheitsbewusstseins und Trainingsprogramme sind die wichtigsten präventiven Maßnahmen, um diese Risiken zu kontrollieren (VISSER, 1998). Ein kleinerer Teil der Verletzungen resultiert aus Arbeiten mit besonderem Gefährdungspotential. Die Berufsgenossenschaften stellen Gefähr-dungsanalysen und Präventionskataloge für unterschiedliche Risikoarten zur Ver-fügung, z. B. für das Arbeiten auf erhöhten Standorten oder für psychische Fehl-belastungen. Vor allem bei „neueren“ Arten von Gesundheitsgefahren ist oft der Einsatz von technisch aufwendigen Verfahren notwendig, um die Konzentration von Gefahrstoffen, Strahlungen oder die Zusammensetzung von biologischen und chemischen Arbeitsstoffen zu bestimmen. Auch die Risikoerkennung und -bewer-tung von psychischen Belastungen gilt als komplex und verlangt nach besonderen Verfahren.

Reaktive Risikokontrolle

Ein mit der Risikokontrolle zusammenhängender Sachverhalt ist die Wahr-nehmung und Beurteilung von Risiken, die das Verhalten steuern. Darauf kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, Übersichten finden sich in HOYOS und RUPPERT (1993), MUSAHL (1997), TRIMPOP und ZIMOLONG (1998).

4.2 Leistungsindikator Gesundheitsquote

Gesundheitsleistungen werden in einem betrieblichen Gesundheitsmanagement-system als Leistungsgrößen wie Qualität, Umsatz oder Kundenzufriedenheit be-handelt. Wie bereits im Abschnitt 2.4.3 ausgeführt wurde, ist die Auswahl der Messgrößen für die Leistungsüberprüfung abhängig von den Zielen und Steue-rungsebenen. Zur Leistungsmessung können auf allen Ebenen, d. h. auf der Per-sonen-, Abteilungs- und Organisationsebene reaktive und proaktive Indikatoren herangezogen werden. Im betrieblichen Kontext standen und stehen vor allem die Fehlzeiten im Mittelpunkt der Diskussion. Der durchschnittliche Krankenstand betrug im Jahr 2004 3,4%, das sind 112 Krankmeldungen pro 1,000 Versicherte mit 12,1 Krankentagen pro Jahr (BMWA, 2005). Bezogen auf die Werktage erge-ben sich tatsächliche Fehltage von durchschnittlich acht Tagen. Zwischen den Branchen und innerhalb der Branchen zeigen sich große Unterschiede. Das pro-

Thema Fehlzeiten

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 111

duzierende Gewerbe und die öffentlichen und privaten Dienstleister lagen mit 121 bzw. 128 Fällen über dem Durchschnitt von 112 Krankmeldungen. Die Gründe für das schlechte Abschneiden der öffentlichen Verwaltungen bei der bran-chenbezogenen Auswertung der Arbeitsunfähigkeitsdaten wurden in Kap. 1 erör-tert. Vor allem die branchenspezifischen Zahlen dienen als Grundlage

Krankheitsbedingte Fehlzeiten sind vornehmlich aus drei Perspektiven für den betrieblichen Alltag von Bedeutung: als Kosten, Störungen und Frühwarnsignale. Fehlzeiten führen zu betrieblichen und volkswirtschaftlichen Kosten. Sie werden anhand der Lohnkosten, des Verlusts an Arbeitsproduktivität oder des Verlusts an Bruttowertschöpfung ermittelt. Neben der Störung der Arbeitsabläufe oder einem Produktionsausfall bedeutet das Fehlen eines Kollegen in vielen Fällen Mehrar-beit für die anderen. Für den Vorgesetzten oder die Gruppe ergibt sich ein zusätz-licher Aufwand durch die notwendige Umverteilung von Arbeit. Letztlich resul-tieren auch aus den Störfaktoren wiederum zusätzliche Kosten.

Durch die Erhöhung der Gesundheitsquoten1 um 1% - Punkt lassen sich viele Kosten in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens sparen. Wie in Kap.1 ausgeführt, entstanden im Jahr 2003 einer öffentlichen Einrichtung mit 100 Mit-arbeitern bei einer Gesundheitsquote von 92,4% durchschnittliche Kosten in Höhe von 286,737 Euro aufgrund von Produktionsausfällen. Eine Erhöhung der Ge-sundheitsquote um zwei Prozentpunkte auf 94,4% würde 75,457 Euro einsparen. Die Kosten für größere Unternehmen sind entsprechend höher. Zwischen 1988 und 2004 erhöhte sich die Gesundheitsquote bei der Volkswagen AG von 92% auf über 97%. Allein durch die Erhöhung um 1% - Punkt sparte das Unternehmen 45 Mio. Euro jährlich. Die Volkswagen AG nimmt im Hinblick auf die Gesundheits-quote einen Spitzenplatz in der Automobilindustrie ein (BRANDENBURG, 2000).

Höhe von Einsparungen

Allerdings ist die Frage zu stellen, inwieweit die Anwesenheits- bzw. Gesund-heitsquote den Gesundheitszustand der Beschäftigten in einem Betrieb widerspie-gelt. Im Hinblick auf den Krankenstand wird zwischen medizinisch notwendigen und motivationsbedingten Fehlzeiten unterschieden. Die Schätzungen des Anteils der motivationsbedingten Fehlzeiten gehen weit auseinander und liegen zwischen 30% (MARR, 1996) und 60% (JEITER, 1998). Motivation und psychische Bean-spruchungen resultieren zu einem großen Ausmaß aus den Belastungen am Ar-beitsplatz und fehlenden Ressourcen, wie z. B. geringer Handlungsspielraum oder soziale Unterstützung. Insofern erscheint es zutreffender, von einem hohen Anteil arbeitsbedingter Fehlzeiten zu sprechen.

Medizinisch- und motivationsbedingte Fehlzeiten

Im Jahr 2003 lag der Anteil der AU-Fälle mit einer Abwesenheitsdauer von ein bis drei Tagen mit 36% deutlich über den 4% der Fälle mit einer Abwesenheit von

_________________________________________________

1 Die Berechnung der Gesundheitsquote basiert auf der Differenz zwischen 100% und dem pro-zentualen Anteil der krankheitsbedingten Ausfallzeiten an der Sollarbeitzeit.

Leistungsindikator Gesundheitsquote

112

mehr als sechs Wochen. Auf die ersten drei Tage, die sog. Karenztage, entfallen aber nur 6% der gesamten AU-Tage im Gegensatz zu 40% der Tage für die Lang-zeitfälle (BKK, 2004). Bei Maßnahmen zur Erhöhung der betrieblichen Gesund-heitsquote sind beide Gruppen von Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen. Nach KUHN (1998) lassen sich in der Praxis Maßnahmen abgrenzen, die vorrangig auf die Verstärkung der Anwesenheit abzielen: z. B. durch verfahrensrechtliche Maß-nahmen, wie die Einführung von Karenztagen, oder durch Fehlzeitengespräche, die eine Reduzierung der motivationsbedingten Abwesenheit zum Ziel haben. Um langfristig die Gesundheitsquote zu erhöhen, wird man vornehmlich bei den Langzeitfällen ansetzen, z. B. durch geeignete Wiedereingliederungsmaßnahmen und durch „Vorkehrungsgespräche“. Der Vorgesetzte oder Betriebsarzt kann be-reits im Vorfeld der Erkrankung geeignete Maßnahmen wie Umsetzungen vor-schlagen.

Die Einschätzung von Personalverantwortlichen und Führungskräften, dass ein Drittel der gemeldeten Arbeitsunfähigkeit unberechtigt erfolgt, wirft damit zwei Fragen auf: erstens nach den Ursachen des hohen Anteils motivationsbedingter Fehlzeiten und zweitens nach dem Krankheits- der Gesundheitsverständnis im Alltag.

Abwesenheit vom Arbeitsplatz hat eine Signalfunktion für Probleme oder Miss-stände in einer Organisation. Beispielsweise zeigte sich in einer Untersuchung in einem metallverarbeitenden Betrieb, dass das Abwesenheits- und Fluktuationsver-halten der Produktionsarbeiter im wesentlichen von ein und derselben Dimension des Vorgesetztenverhaltens beeinflusst wird, nämlich der Bereitschaft, den Mitar-beitern Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen (SCHMIDT, 1996). Das Fernbleiben vom Arbeitsplatz als Folge fehlender Ar-beitsmotivation, hoher Beanspruchungen oder subjektiver Befindlichkeitsstörun-gen geht im Sinne der WHO ebenfalls auf eine Beeinträchtigung der Gesundheit, verstanden als physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden, zurück. Maß-nahmen zur Verbesserung der betrieblichen Gesundheitsquote werden nur dann greifen, wenn sie alle Aspekte von Gesundheit und ihre multifaktorielle Bedingt-heit berücksichtigen.

Frühwarnsignale

Auf der anderen Seite können Beschäftigte zwar am Arbeitsplatz physisch anwe-send sein, aber dennoch nicht die geforderte Leistung oder das notwendige Enga-gement aufgrund der Beeinträchtigung des psychischen und sozialen Wohlbefin-dens am Arbeitsplatz zeigen. Der durchschnittliche Anteil der Mitarbeiter in Deutschland, die innerlich gekündigt haben, wird auf ca. ein Viertel geschätzt (KRYSTEK, BECHERER & DEICHELMANN, 1995).

Innere Kündigung

Gesundheitliche Beeinträchtigungen müssen nach den Erfahrungen der AUDI AG nicht notwendigerweise zu erhöhten Fehlzeiten und zur Arbeitsunfähigkeit füh-ren: „Langjährige, flächendeckende arbeitsmedizinische Untersuchungen zeigen auf, dass rund 40% der untersuchten Belegschaftsmitglieder aufgrund verschiede-

Leistungsminderung

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 113

ner gesundheitlicher Probleme nicht mehr in jeder Hinsicht voll leistungsfähig und damit allen Anforderungen gewachsen sind, wobei die Anforderungen für gesunde Mitarbeiter definiert werden […] und auch der MAK-Wert1 nur für ge-sunde Personen im erwerbstätigen Alter gilt. Für die meisten dieser Personen, die nicht über ein volles Leistungsvermögen verfügen, ist ein problemloser Ar-beitseinsatz möglich. Durch eine entsprechende arbeitsmedizinische (Arbeitsein-satz-)Beratung, ggf. arbeitsplatzbezogene Maßnahmen und nicht zuletzt durch ein geändertes Verhalten und gesundheitsförderliche Maßnahmen kann der größte Teil dieser Mitarbeiter so eingesetzt werden, dass keine arbeitsbedingten Gesund-heitsbeeinträchtigungen befürchtet werden müssen und ein Leistungswandel sich nicht in einer Leistungsminderung oder einer Arbeitsunfähigkeit niederschlägt“ (TILLER, 1998, S. 172).

Abschließend ist mit BRANDENBURG (2000) die Frage nach einer „natürli-chen“ Gesundheitsquote zu stellen: Inwieweit ist die Stabilisierung oder gar Ver-besserung einer Gesundheitsquote von 97% möglich und erstrebenswert? Generell wird von einem unvermeidbaren oder medizinisch normalen Krankenstand in Hö-he von 5% bis 3% ausgegangen. Damit rückt die Frage nach dem Handlungsbe-darf und dem Grenznutzen von Maßnahmen in Abhängigkeit vom erreichten Leis-tungsniveau in den Vordergrund. Zumal zu berücksichtigen ist, dass Kurzfehlzei-ten auch produktivitätsförderlich sein können, indem sie zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit und Motivation beitragen.

„Natürliche“ Gesundheitsquote

4.3 Gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung

Eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung umfasst ergonomische, arbeitsor-ganisatorische und soziale Aspekte. Die ergonomischen Prinzipien und Regeln für die Gestaltung von Mensch-Maschine Systemen einschließlich computergestütz-ter multimedialer Systeme werden ausführlich in der Ingenieurpsychologie be-handelt (ZIMOLONG, 2006). Die Gestaltung der Arbeit nach Prinzipien der Auf-gabenvollständigkeit, der sozialen Interaktion und des arbeitsimmanenten Lernens werden von ULICH (2005) beschrieben. Eine gesundheitsförderliche Arbeitsges-taltung nutzt die belastungsreduzierende Wirkung von potenziellen Ressourcen der Gestaltung der Arbeitsaufgabe, ihren Ausführungsbedingungen und der Ar-beitsorganisation. Maßnahmen wie die Rotation im Arbeitsbereich, die Anreiche-rung der Arbeitstätigkeit oder die Einführung teilautonomer Gruppenarbeit erhö-hen die Anforderungsvielfalt, die Autonomie und Eigenverantwortung. Sie bergen aber auch Risiken der Überforderung und von sozialen Konflikten. Ein Überblick über Interventionsmaßnahmen einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung und ihrer Effekte ist in ULICH und WÜLSER (2004), Perspektiven einer zukünf-

_________________________________________________

1 Maximale Arbeitsplatzkonzentration für Gefahrstoffe

Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement

114

tigen gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung sind in WIELAND und SCHER-RER (2000) zu finden.

Entsprechend fanden FRIELING und BUCH (1998), dass die Einführung qualifi-zierter Gruppenarbeit, bei der Mitarbeiter Verantwortung für ihren Produktions-prozess übernehmen und selbständig Entscheidungen treffen können, mit einer Reduktion der Fehlzeiten, quasi als erwünschte Nebenwirkung, einherging. Bele-ge für die positiven, gesundheitsförderlichen Potentiale von Erwerbsarbeit gene-rell liefern sowohl die Studien zu einer größeren Morbidität von Hausfrauen im Vergleich zu erwerbstätigen Frauen als auch Untersuchungen zu einem ver-stärkten Auftreten von Beschwerden und Befindensbeeinträchtigungen bei Er-werbslosen verglichen mit Erwerbstätigen (METZ, 1998).

Gruppenarbeit

Die von SONNENTAG und FRESE (2003) und SEMMER und ZAPF (2004) re-ferierten Untersuchungen zur Wirksamkeit der gesundheitsförderlichen Arbeits-gestaltung führen allerdings zu uneinheitlichen Ergebnissen. Ob die Maßnahmen greifen, scheint im Wesentlichen von den betrieblichen und externen Rahmenbe-dingungen abhängig zu sein, insbesondere aber vom Commitment des Manage-ments und der Ausprägung der Gesundheitskultur. Arbeitsstrukturierungen oder die Einführung von Gruppenarbeit haben im besten Fall eine gesundheitliche und eine Rationalisierungsfunktion, in der Regel dominiert die Rationalisierungsfunk-tion. Daher muss die Arbeitsgestaltung als Teilsystem eines integrativen BGM aufgefasst werden, in dem sich Rationalisierungsgewinne und Ressourcenförde-rung ausgleichen können.

Wirksamkeit

4.4 Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement

4.4.1 Führungsverhalten

Wie bereits im Kap. 3.3.2 herausgearbeitet wurde, verfolgen erfolgreiche Vorge-setzte im Wesentlichen zwei Strategien: die leistungsorientierte Beobachtung des Verhaltens und die rechtzeitige Kommunikation der Konsequenzen. Sie kommu-nizieren Ziele und Teilziele, fördern und qualifizieren ihre Mitarbeiter durch Rückmeldung und Trainingsmaßnahmen und äußern Anerkennung oder Kritik bei der Beurteilung von Prozessen und Ergebnissen. Ergänzt wird das direkte Füh-rungsverhalten durch die indirekte Führung, die sich auf die Kommunikation von Normen, Symbolen, durch Rollenverhalten und Kommunikations- und Kooperati-onsstile bezieht (ELKE, 2000). Einige neuere Studien deuten daraufhin, dass indi-rektes Führungsverhalten, der so genannte transformationale Führungsstil, unter bestimmten Bedingungen zu besseren Sicherheitsleistungen in der Arbeitsgruppe führt als ein direkter, transaktionaler Führungsstil (ZOHAR, 2002a). Wie Bass und AVOLIO (1997) betonen, sollten beide Führungsstile zu einem Zuwachs an Leistungen führen und sich insofern eher ergänzen als ersetzen. Die Ergebnisse der bisher durchgeführten Metaanalysen zeigen, dass insbesondere der Führungs-

Direktes und indirektes Führungsverhalten

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 115

stil „kontingente Belohnung“ – eine Skala der transaktionalen Führung – mit dem transformativen Führungsstil hoch korreliert (JUDGE & PICCOLO, 2004). Inso-fern kommt der eine Führungsstil ohne den anderen nicht aus.

Die Arbeitsgruppe um Zohar analysierte in ihren Interventionsstudien erfolg-reiches direktes Führungsverhalten auf verschiedenen Hierarchieebenen. Trotz der relativ großen Freiheitsgrade von Führungskräften in der Durchführung ihrer Auf-gaben beeinflussen die Erwartungen der nächst höheren Vorgesetzten und des oberen Managements sehr stark das Verhalten. ZOHAR (2002a) führte eine Un-tersuchung auf verschiedenen Hierarchieebenen in einem Instandhaltungswerk für Militärgüter in Israel durch. Die Vorgesetzten der Arbeitsgruppen in dem Werk erhielten ein wöchentliches Feedback über die Häufigkeit ihrer sicherheitsbezo-genen Interaktionen mit den Mitarbeitern. Die Abteilungsleiter auf der nächst hö-heren Ebene wurden über die Interaktionshäufigkeiten jedes ihrer Gruppenleiter durch Protokolle informiert. Sie nutzten die Informationen, um den Gruppenlei-tern die Bedeutung der Arbeitssicherheit zu kommunizieren. Es konnte in der Ex-perimental- gegenüber der Kontrollgruppe gezeigt werden, dass die Mitarbeiter der Experimentalgruppe weniger leichte Verletzungen hatten, häufiger persönli-che Schutzausrüstungen trugen und das Sicherheitsklima höher einschätzten. ZO-HAR & LURIA (2003) präsentierten als Folgestudie insgesamt drei Interventions-studien. In diesen Studien erhielten nicht nur die Führungskräfte der zweiten, son-dern auch der dritten Führungsebene Rückmeldung über die Häufigkeit der si-cherheitsorientierten Interaktionen der unteren Führungskräfte mit ihren Mitarbei-tern und über das sicherheitsgerechte Verhalten der Mitarbeiter. In allen Unter-nehmen stiegen die sicherheitsrelevanten Interaktionen der Abteilungsleiter mit ihren Mitarbeitern an, wodurch das sicherheitsgerechte Verhalten deutlich verbes-sert wurde. Auch wenn die Ergebnisse im Rahmen der Zielsetzungstheorie oder des operanten Verhaltensansatzes zu erwarten waren, zeigen sie

Hierarchieebenen

– erstens eine von vielen Realisierungsmöglichkeiten in der Ausgestaltung der operanten Prinzipien im Kommunikationsaustausch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und es wird

– zweitens die Bedeutung eines hierarchieübergreifend abgestimmten Führungs-verhaltens.

Sowohl direktes als auch indirektes Führungsverhalten spielt eine wichtige Rolle für die Förderung der Gesundheit im Betrieb. Personale Führung wirkt zum einen direkt auf das Verhalten der Mitarbeiter und wird zum anderen vermittelt über die Veränderung des Sicherheitsklimas. Diese Führungsprinzipien gelten grund-sätzlich für alle Leitungsebenen. Trotzdem ist die konkrete Ausgestaltung des Führungsverhaltens und die Wirkung abhängig von der Hierarchieebene der Füh-rungskräfte (vgl. Abb. 4.1).

Für die Beschäftigten symbolisieren die Führungskräfte auf der operativen Ebene durch ihr Rollenverhalten viel stärker als das Management das Commitment der Organisation mit der Gesundheit, in diesen Beispielen mit der Arbeitssicherheit.

Sicherheitsklima

Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement

116

Die untere Führungsebene setzt die betrieblichen Richtlinien und Prozesse in der Arbeitssicherheit unmittelbar um. Führungsverhalten wie Ziele setzen, Rück-meldung geben und Belohnen von sicherem bzw. Bestrafen von unsicherem Ver-halten beeinflusst insbesondere auf der unteren Führungsebene über das Verhalten der Mitarbeiter die Zahl der Unfälle. Diese direkte Führung nutzt operante Lern-prinzipien und sorgt verlässlich für sicherheitsgerechtes Verhalten der Mitarbei-ter. Der Vorgesetzte kann auf diesem Weg z. B. das Tragen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) oder die Benutzung des Handlaufs beim Treppensteigen wirksam unterstützen. Die indirekte Führung ist dagegen durch eine wertebasierte und persönliche Interaktion gekennzeichnet, die zu einer höherwertigen Bezie-hungsqualität führt. Mit einer guten Beziehungsqualität wächst das Interesse am Wohlergehen der Mitarbeiter. Mitarbeiter schließen aus der wertebasierten Kom-munikation der Führungskräfte bei Fragen der Gesundheit, wie wichtig Gesund-heits- und Sicherheitsziele im Verhältnis zu Produktionszielen sind. Allerdings vermitteln diesbezügliche Informationen häufig widersprüchliche Botschaften. Wenn ehrgeizige Produktionsziele nur unter großer Kraftanstrengung, Einsatz der Gesundheit oder gar Verletzung von Sicherheitsvorschriften erreicht werden kön-nen, wird das Commitment der Führung für Gesundheit und Sicherheit als Lip-penbekenntnis abgetan und das Sicherheitsklima nimmt Schaden (THOMPSON, HILTON & WITT, 1998).

obere Führungsebene

mittlere Führungsebene

untere Führungsebene

Sicherheitsklima

Verhalten Verletzungen

Abbildung. 4.1: Zusammenhänge zwischen Führung und betrieblicher Gesundheit auf verschiede-

nen Ebenen

Die Beziehung zwischen der Qualität der Interaktionen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und den Sicherheitsleistungen wurde von HOFMANN und MORGESON (1999) untersucht. Wie von den Autoren erwartet beeinflusste das Führungsverhalten nicht direkt das Unfallgeschehen, sondern wurde über die Si-cherheitskommunikation und das Sicherheitscommitment vermittelt. Auch die Selbstverantwortung der Mitarbeiter für die Arbeitssicherheit und Gesundheit kann durch das Führungsverhalten gesteigert werden. Als Ergebnis vieler der jün-geren Studien lässt sich festhalten, dass nicht das Führungsverhalten selbst oder die Interaktion zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter die Unfallereignisse direkt beeinflussen, sondern über das Sicherheitsklima, das Sicherheitsbewusstsein oder die Kommunikation von Gefährdungen vermittelt wird. Auch Kontext-

Moderatoren

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 117

bedingungen beeinflussen das Verhalten der Mitarbeiter und damit die Unfaller-eignisse (zusammenfassend KRÄMER & ZIMOLONG, 2005).

Die Erwartungen der nächst höheren Vorgesetzten beeinflussen maßgeblich das Verhalten der unteren Führungsebene und das Sicherheitsklima in den Arbeits-gruppen. Die mittlere Führungsebene spielt eine entscheidende Rolle in der Ü-bermittlung von Zielen, Informationen und Rückmeldungen sowie als Förderer oder Bremser von Initiativen. Wenn die mittlere Führungsebene durch direktes Führungsverhalten kontrolliert, ob die ihnen unterstellten Führungskräfte z. B. das Tragen persönlicher Schutzausrüstung bei den Mitarbeitern fordern und überprü-fen, dann stößt das stärkeres Engagement bei den unteren Führungskräften für die Arbeitssicherheit an (ZOHAR, 2002a; ZOHAR & LURIA, 2003).

Indirektes Führungsverhalten als eingeräumte Priorität der mittleren Führungs-ebene beeinflusste bei ZOHAR (2002b) das Sicherheitsklima auf Gruppenebene. TOMÁS et al. (1999) konnten umgekehrt zeigen, dass das Sicherheitsklima auf Gruppenebene wiederum Einfluss auf das Verhalten der unteren Führungsebene hat.

Das obere Management steuert Gesundheit und Sicherheit besonders über die Richtlinien der Gesundheitspolitik, über die Gestaltung von übergreifenden Struk-turen und Prozesse und über die Verteilung von Ressourcen. MEARNS, WHI-TAKER und FLIN (2003) haben aufgrund der Ergebnisse ihrer Literaturübersicht über Erfolgsfaktoren im Arbeitsschutzmanagement auch sicherheitsförderliches Führungsverhalten für das obere Management identifiziert. Persönliche Teilnah-me an Arbeitssicherheitstreffen und -ausschüssen sowie die Betonung der Ar-beitssicherheit in der informellen, aber auch formellen Kommunikation, mit Füh-rungskräften und Mitarbeitern waren wichtige Elemente der sicherheitsförderli-chen Führung auf dieser Ebene.

Leitendes Management

4.4.2 Verhaltensprogramme

Verhaltensprogramme sind zeitlich befristete Aktionen zu Schwerpunktthemen. Sie wurden in der Praxis vielfach mit Erfolg zur systematischen Förderung des sicherheits- und gesundheitsgerechten Verhaltens eingesetzt. Nach der Meta-analyse von KRAUSE, SEYMOUR und SLOAT (1999) variierte die Reduzierung von Unfällen durch die Einführung von Verhaltensprogrammen zwischen 26% nach einem und 69% nach fünf Jahren.

Die Verhaltensprogramme nutzen in der Regel vier Schritte: Vorgehen

1. Identifizierung von kritischen Verhaltensweisen und Ableitung von beobacht-baren Indikatoren, z. B. für riskantes Sicherheitsverhalten,

2. Erstellung einer Baseline durch Beobachtung der Gesundheitsindikatoren über einen längeren Zeitraum, z. B. mit Verhaltensstichproben,

Gesundheitsbezogenes Verhaltensmanagement

118

3. Einführung der Verhaltensintervention in Form von Trainings, Zielsetzung, Rückmeldung, durch Verknüpfung von Zielen mit Anreizsystemen,

4. Regelmäßige betriebsöffentliche Rückmeldung der Veränderungen in den Ge-sundheitsindikatoren im Vergleich zur Baseline (im 1-2 Wochen Abstand).

Die Durchführung der Verhaltensinterventionen erfolgt durch die Vorgesetzten oder durch die Leiter von Arbeitsgruppen meist mit Unterstützung von externen Beratern. Je nach Beteiligung der Beschäftigten können partizipative von direkti-ven Ansätzen unterschieden werden (s. Kasten 4.1). Speziell für den Bereich Ar-beitssicherheit dokumentierten McAFEE und WINN (1989) die in 24 Einzelstu-dien bestätigten positiven Zusammenhänge zwischen Anreizen, Feedback und Sicherheitsleistungen. Eine weiterentwickelte Form eines OBM-Ansatzes ist das Partizipative Produktivitätsmanagement, das erfolgreich in Unternehmen und Verwaltung zur Verbesserung der Produktivität, aber auch der Gesundheitsleis-tungen eingesetzt wird (HOLLING, LAMMERS & PRITCHARD, 1999).

COOPER, PHILLIPS, SUTHERLAND und MAKIN, (1994) führten ein partizipativ ausgerichtetes Verhaltensprogramm ein. Die Sicherheitsziele wurden mit den Be-schäftigten und der Geschäftsführung gemeinsam vereinbart. Der aktuelle Leis-tungsstand wurde wöchentlich für jede der Abteilungen getrennt grafisch aufbereitet. Erwartungsgemäß verbesserte sich das Sicherheitsverhalten, jedoch stellte sich kein paralleler, sondern ein zeitlich verzögerter Rückgang in den Unfallhäufigkeiten ein. Arbeiten unter einem erhöhten Gefährdungspotential und die geringe Personalstärke aufgrund von Krankheitsausfällen führten in einigen Abteilungen zu deutlich erhöh-ten Verletzungsraten. Beide Prädiktoren, die Art der Aufgabe und die Fehlzeiten, klärten 70% der Varianz der Verletzungsunfälle auf.

Kasten 4.1: Ein beteiligungsorientiertes Verhaltensprogramm zur Verbesserung der Arbeitssicherheit

Die praktischen Implikationen aus den Ergebnissen der über 30 jährigen For-schung zur Wirkung von Verhaltensprogrammen in Organisationen sind eindeu-tig. Sie führen zuverlässig zu einer Beeinflussung des Verhaltens in die ge-wünschte Richtung, allerdings nur, wenn die organisationalen Rahmen-bedingungen stimmen. Führungskräfte müssen qualifiziert sein, die ABC Regeln in die richtigen Verfahren und Techniken umzusetzen. Management und Füh-rungskräfte müssen eingebunden sein, sonst verhindern Motivationsprobleme auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen die konsequente Umsetzung der Pro-gramme. Aber auch Organisations- und Kulturfragen spielen eine Rolle: Verhal-tensbeobachtungen, Rückmeldungen über das Verhalten und Anreizsysteme für Sicherheits- und Gesundheitsleistungen lassen sich nicht in jeder Organisation durchführen oder passen nicht hinein. Hinzukommt, dass Sicherheitsprobleme nicht nur auf das sicherheitswidrige Verhalten allein zurückzuführen sind, son-dern durch Managemententscheidungen und technische Vorgaben unterstützt werden.

Wirksamkeit

Gespräche, insbesondere Fehlzeitengespräche, Qualifizierungs- und Trainings-maßnahmen dürften die am häufigsten eingesetzten Maßnahmen der Verhaltensin-

Gespräche

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 119

tervention sein. Die Wirksamkeit von Trainingsmaßnahmen liegt zumeist im mitt-leren bis hohen Bereich (d = .60 – .63; ARTHUR, BENNETT, EDENS & BELL, 2003). Die Effektstärken nehmen jedoch rapide ab, wenn als Kriterien das berufli-che Leistungsverhalten oder gar organisationale Leistungsparameter herangezo-gen werden. Diese Ergebnisse verweisen auf das Problem des Trainingstransfers (u. a. FORD, QUINONES, SEGO & SPEER SORRA, 1992).

Unter Kompetenztrainings werden Trainings zusammengefasst, welche die inter-nen Ressourcen der Person stärken, sich erfolgreich mit Stresssituationen ausei-nanderzusetzen. Zu ihnen zählen Selbstwirksamkeits-, Konflikt-, Problemlöse- oder Zeitmanagementtrainings (u. a. QUICK & TETRICK, 2002). Meistens wer-den die Ansätze als Kombinationen mit bewährten Motivations- und Lerntechni-ken wie Zielsetzung, Rückmeldung, Verknüpfung mit sozialen Anreizen, Simula-tions- und Verhaltenstrainings eingesetzt. Beispielsweise konnten LATHAM und FRAYNE (1989) durch ein Selbstwirksamkeitstraining die Anwesenheit von Be-schäftigten in einem kommunalen Versorgungsbetrieb um 13,8% erhöhen.

4.4.3 Fehlzeitengespräche

Mitarbeitergespräche stellen nach wie vor die häufigsten im betrieblichen Alltag eingesetzten Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten dar. Ihr Einsatz führte in den letzten Jahren zu kontroversen Diskussionen. Auf der einen Seite stellen die Rückkehr- oder Fehlzeitengespräche zentrale Instrumente im Rahmen von erfolgreichen Ansätzen zur Reduzierung der Fehlzeiten bzw. Erhöhung der Ge-sundheitsquote z. B. bei den der Automobilunternehmen Opel und Volkswagen AG dar. Auf der anderen Seite besteht die Befürchtung, dass die Rückkehrgesprä-che nach einer Arbeitsunfähigkeit vornehmlich als Kontroll- und Disziplinie-rungsinstrument eingesetzt werden.

Ähnlich wie bei Opel und VW stellen die Mitarbeitergespräche in vielen Firmen nur ein Instrument zur Reduzierung der Fehlzeiten dar, dessen Einsatz eingebun-den ist in ein übergreifendes Gesundheitsmanagement oder einen Anwesenheits-verbesserungsprozess (AVP). Die Erhöhung des Gesundheitsstandes ist eine per-sonalpolitische Prämisse von VW, deren Verfolgung sowohl auf der Fürsorge-pflicht des Arbeitgebers als auch handfesten ökonomischen Interessen beruht. Das Vorgehen wird durch den Betriebsrat getragen. Zugleich wird aber auch von die-ser Seite der potentielle Nutzen für das Unternehmen aufgrund einer stärkeren fürsorglichen Betreuung der Beschäftigten durch das Personalwesen höher einge-schätzt als der Nutzen „der derzeit praktizierten Fehlzeitengespräche und der spontanen Krankenbesuche, die eher Kontrollcharakter haben“ (SUDHOLT, 1998).

Die Durchführung von formalisierten und dokumentierten Gesprächen nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit orientiert sich in beiden Unternehmen an einem abgestuften Vorgehen, ausgehend von fürsorglichen Rückkehr- oder Motivations-gesprächen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter nach jeder Arbeitsunfähig-

Vierstufige Gesprächsführung

Gesundheitszirkel

120

keit, über Gespräche, in denen der Mitarbeiter die „gelbe Karte“ erhält, bis hin im Falle häufigerer Arbeitsunfähigkeit zu „Fehlzeiten- und/oder Personalgesprächen“ mit der „roten Karte“, d. h. mit Hinweisen auf arbeitsrechtliche Konsequenzen und deren Umsetzung.

Hinter dem Begriff „Rückkehr- oder Fehlzeitengespräch“ verbirgt sich tatsächlich eine Vielzahl unterschiedlicher Mitarbeitergespräche. Einerseits hängen Formen und Funktionen vom Gesprächsanlass und Ziel ab, andererseits auch vom betrieb-lichen Gesundheitskonzept und der Kultur des Miteinander-Umgehens. Fürsorgli-che Gespräche wird es in mitarbeiterorientierten Unternehmen eher als in reinen gewinnorientierten Unternehmen geben, auf der anderen Seite gehören disziplina-rische Fehlzeitengespräche in beiden Unternehmenstypen zum Repertoire der Per-sonalinstrumente.

Skepsis

Die von der AOK-Rheinland entwickelte Gesprächskonzeption betont einerseits das Recht sowohl des Vorgesetzten als auch des rückkehrenden Erkrankten auf ein Rückkehrgespräch. Beide Seiten haben die Möglichkeit, notwendige Informa-tionen auszutauschen, z. B. im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit des Mitarbeiters oder den Stand der betrieblichen Arbeit. Andererseits sind die Gespräche des AOK-Konzeptes im Gegensatz zur üblichen Praxis nicht ausschließlich reaktiver Natur, sondern sie schlagen Gespräche mit Mitarbeitern nicht nur nach, sondern auch vor und während einer Arbeitsunfähigkeit vor. Bei Anzeichen hoher Bean-spruchung führt der Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter so genannte „Vorkehr-Gespräche“: Er spricht die Beanspruchung oder andere Signale für eine mögliche Arbeitsunfähigkeit an und überlegt gemeinsam vorab was getan werden kann, damit eine Arbeitsunfähigkeit erst gar nicht auftritt. Während der Arbeitsunfähig-keit und im Anschluss sind weitere Gespräche zu führen, in denen u. a. abzuklä-ren ist, inwieweit die Erkrankung durch die Arbeit (mit-)verursacht worden ist. Diese Konzeption von „Vor- und Rückkehrgesprächen“ wird sowohl vom DGB als auch dem Arbeitgeberverband NRW mitgetragen. Wie KOWALSKI und TAUBERT (1998) betonen, ist ihre Umsetzung im betrieblichen Alltag mit inten-siven Schulungen der Führungskräfte verbunden.

AOK-Konzept

4.5 Gesundheitszirkel

Als ein Schlüsselelement erfolgreicher Gesundheitsförderung und Prävention kennzeichnen LENHARDT und ROSENBROCK (1998) die partizipative Orien-tierung. Dazu zählen Maßnahmen der Information und Kommunikation und der Beteiligung der Mitarbeiter, u. a. die Förderung von Einfluss- Entscheidungs- und Gestaltungsspielräumen.

In einer Vielzahl von Studien vor allem aus dem skandinavischen Raum konnte wiederholt gezeigt werden, dass partizipatives Führungsverhalten und partizipati-ve Verhaltensprogramme zuverlässig Verbesserungen von Sicherheitsleistungen

Wirksamkeit partizipativer Führung

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 121

in der Arbeitsgruppe erzielen. Durch Zielvereinbarung, Leistungsfeedback, Parti-zipation der Beschäftigten und Unterstützung durch das Management konnten beispielsweise in einer Studie von LAITINEN, SAARI und KUUSELA (1997) die Sauberkeit und Ordnung und die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung verbes-sert sowie Verletzungshäufigkeiten und Fehlzeiten reduziert werden. Ebenfalls fanden O’DEA und FLIN (2001) einen engen Zusammenhang zwischen einem partizipativen im Vergleich zu einem autoritären Führungsverhalten.

Die von WAGNER und GOODING (1987) durchgeführte Metaanalyse über die Effekte der Beteiligung an der Entscheidungsfindung auf die Leistung ergaben jedoch nur niedrige Effektgrößen. Der eigentliche Vorteil in der Beteiligung von Mitarbeitern an der Entscheidungsfindung scheint neben der Erhöhung des Com-mitments vor allem ein kognitiver Gewinn zu sein). Die Beteiligung verstärkt den Informationsaustausch und führt zu einer besseren Informationsbasis, auf der sich geeignete Handlungsstrategien effizienter entwickeln lassen (LOCKE & LATHAM, 2002).

Gesundheitszirkel (GZ) haben die Aufgabe, Analysen und problemorientierte Lö-sungen für Gesundheitsfragen auszuarbeiten und dem Management vorzuschla-gen. In GZ beteiligen sich Mitarbeiter an Problemlösungen und verbessern da-durch ihre Selbstverantwortung und ihr Commitment mit der Gesundheitsförde-rung. GZ leisten einen Beitrag zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbstver-antwortung von Mitarbeitern, allerdings nur, wenn sich das Management mit den erarbeiteten Maßnahmen begründet auseinandersetzt. Konkret handelt es sich um zeitlich begrenzte Projektgruppen mit unterschiedlicher Teilnehmerzusammenset-zung und organisationaler Verankerung. Rechtlich betrachtet haben sie ein Vor-schlagsrecht, denn die Zuständigkeit der Maßnahmenumsetzung liegt beim Mana-gement. Es handelt sich um Teams von Mitarbeitern, Führungskräften und be-trieblichen Funktionsträgern des AGS, die sich mit den Gesundheitsbelastungen, Beanspruchungen und ihren Folgen im eigenen Arbeitsbereich auseinandersetzen: Sie analysieren ausgehend von ihren Erfahrungen, den betrieblichen Daten und Gesundheitsberichten die Belastungsschwerpunkte und erarbeiten Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Zirkelarbeit ermöglicht eine aktive Einbeziehung der Beschäftigten in die betriebliche Gesundheitsarbeit. Die Zirkel können auf Dauer oder bedarfsspezifisch eingerichtet werden. Die regel-mäßigen Treffen finden im Regelfall in der Arbeitszeit statt.

Gesundheitszirkel

Wesentlich ist die Frage der Zusammensetzung und organisationalen Einbindung der Zirkel: Während sich nach dem Konzept der BKK, dessen Grundlage das „ex-pertenorientierte“ Düsseldorfer Modell bildet, ein Zirkel aus vier bis fünf ge-wählten Beschäftigten aus einem Arbeitsbereich, dem zuständigen Vorgesetzten und Bereichsleiter, professionellen Experten und dem Betriebsrat sowie zwei ge-schulten Moderatoren der BKK zusammensetzt, besteht ein Gesundheitszirkel nach dem Berliner Modell aus Mitarbeitern einer Hierarchieebene und einem ex-ternen Moderator. Im Berliner Modell wird der Gesundheitszirkel durch ein Steu-

Modelle

Stressbewältigungsprogramme

122

erungsgremium, dem so genannten Arbeitskreis Gesundheit, ergänzt, in dem ein Vertreter der Werksleitung, der Betriebsarzt, ein Vertreter der Personalabteilung, der Arbeitssicherheit und des Betriebsrates vertreten sind. Aufgabe des Arbeits-kreises ist die Durchführung vertiefender Analysen, die Initiierung und Koordina-tion von Maßnahmen sowie die Überprüfung ihrer Wirksamkeit (vgl. SOCHERT, 1998; WESTERMAYER, 1998).

In beiden Konzepten erfolgt eine Konzentration auf arbeitsbereichsspezifische Gesundheitsbelastungen und die Einbeziehung der Beschäftigten als Experten in eigener Sache. Die unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissensbestände der Zir-kelteilnehmer schaffen eine breite Basis sowohl für die Analyse vorliegender oder potentieller Auslöser arbeitsbedingter Gesundheitsbeschwerden als auch der vor-handenen Ressourcen. Vorrangiges Ziel ist die Ableitung von vorbeugenden Maß-nahmen. Eine Integration der Entscheidungsträger aller Hierarchieebenen in die Zirkelarbeit erleichtert die Realisierung der gemachten Vorschläge. Sie fördert gleichermaßen das gemeinsame Engagement der Führungskräfte und ihrer Mitar-beiter für eine gesundheitsgerechtere Arbeit in ihrem Bereich als auch die Zusam-menarbeit mit den professionellen Experten des Arbeits- und Gesundheitsschut-zes.

Vorteile

SOCHERT (1998) berichtet, dass ca. 60% der von den GZ vorgeschlagenen Maß-nahmen auch realisiert wurden. In anderen Unternehmen fiel die Umsetzungsquo-te z. T. deutlich geringer aus. Insgesamt schätzten die Beteiligten sowohl die Ar-beit im GZ als auch die Ergebnisse durchweg positiv ein. In anderen Studien konnte mit der Einführung von Gesundheitszirkeln ein Rückgang der krankheits-bedingten Fehlzeiten im Umfang von 2% bis zu 10% beobachtet werden (BAM-BERG, DUCKI & METZ, 1998). Umfangreiche Evaluationsstudien wurden u. a. von SLESINA (2001) durchgeführt. Insgesamt muss aber berücksichtigt werden, dass die methodische Qualität der meisten Evaluationsstudien nicht sehr hoch ist und zudem durchgängig eine theoretisch fundierte Einordnung des Vorgehens und der Ergebnisse fehlt.

Einsatz in der Praxis

4.6 Stressbewältigungsprogramme

4.6.1 Begriffliche Abgrenzungen

In der deutschsprachigen Arbeitswissenschaft wird zwischen Belastung und Be-anspruchung unterschieden (ROHMERT & RUTENFRANZ, 1975). Nach der ISO 10075-1 resultieren psychische Belastungen aus der Gesamtheit der erfassba-ren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken. Die Beanspruchung ist die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung in Abhängigkeit von den in-dividuellen Voraussetzungen und dem Zustand des Menschen. Damit sind sowohl positive als auch negative Auswirkungen wie Freude und Herausforderung oder

Belastung und Beanspruchung

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 123

Unzufriedenheit und Ärger gemeint. Bezogen auf die Arbeit hängt die Schwere und die Dauer der Belastungen von den objektiven Bedingungen der Arbeit und den Voraussetzungen des Menschen ab, d. h. den biografischen Merkmalen, Qua-lifikationen, Kompetenzen und Bewältigungsstrategien. Während Belastung (engl. load) eher als neutraler Begriff verwendet werden soll, kennzeichnet der Begriff Fehlbelastung (RICHTER & HACKER, 1998) oder Stressor den negativen As-pekt von Belastungen. Die Fehlbeanspruchung oder der erlebte Stress sind die personenspezifische Reaktion als Folge der Verarbeitung der Fehlbelastungen.

Die Folgen von Fehlbeanspruchungen können physiologische und emotionale Veränderungen sein, die in der Regel von Veränderungen im Verhalten begleitet werden. Meist wird zwischen kurz- und langfristigen Folgen unterschieden. Zu den kurzfristigen Folgen zählen physiologische Reaktionen, u. a. Erhöhung des Blutdrucks, Adrenalin- und Cortisolaussschüttungen, emotionale Veränderungen wie Angst, Wut, Ärger, Nervosität oder Unzufriedenheit; Verhaltensveränderun-gen durch Einschränkungen in der Informationsverarbeitung, erhöhte Anstren-gungen oder Leistungsverschlechterungen, z. B. in Form von Fehlern. Zu den langfristigen Folgen zählen Beschwerden und Erkrankungen, u. a. Schlafstö-rungen, mangelnde Erholungsfähigkeit, Herz-Kreislaufbeschwerden, erhöhtes Risiko für Muskel-Skelett Erkrankungen (MSE) und allgemein eine erhöhte An-fälligkeit für Krankheiten, die auf eine Schwächung des Immunsystems hindeuten (SONNENTAG & FRESE, 2003).

Stress wird selten von Einzelstressoren ausgelöst. In der Arbeitswelt sind die Mehrfachbelastungen die Normalsituation. Häufig ist die Kombination von ma-schinenbestimmtem Arbeitsrhythmus, fehlender Kontrolle über die Arbeitsauf-gabe, hohen Leistungsanforderungen, Schichtarbeit und Arbeitsplatzunsicherheit typisch für industrielle Arbeitsplätze. Die Trias aus hoher Arbeitsintensität, nied-rigem Handlungsspielraum und geringer sozialer Unterstützung lässt die Herz-Kreislauf Mortalität ab dem 50. Lebensjahr bei Industriearbeitern deutlich anstei-gen (KARASEK, RUSSELL & THEORELL, 1982). Vermutlich kann eine stärke-re soziale Unterstützung das höhere koronare Erkrankungsrisiko reduzieren, wäh-rend eine geringe oder keine Unterstützung das Risiko erhöht (HEMINGWAY & MARMOT, 1999). Vor allem die alltäglichen Mikrostressoren, das sind die klei-nen negativen Ereignisse wie Ärgernisse, Verzögerungen oder die persönlichen Verletzungen, scheinen weitaus wichtiger für die Beanspruchungsfolgen zu sein als große, seltene negative Ereignisse (UDRIS & FRESE, 1999).

Mikrostressoren

4.6.2 Wirksamkeit von Stressmanagement Trainings

Persönliche Stressbewältigungsprogramme helfen Personen, eine Situation nicht als belastend, sondern als herausfordernd zu erleben. Sie vermitteln Techniken, die eigenen Bewältigungsstrategien zu verbessern und die Beanspruchung durch Entspannungstechniken oder Stress-Immunisierung zu reduzieren. Sie werden auch als Stress-Management (Verhaltensprävention) bezeichnet.

Stressbewältigungsprogramme

124

Programme zur Stressbewältigung konzentrieren sich auf die Verbesserung der Interpretation von Stress-Situationen oder der Änderung von Stress-Reaktionen. Programme zur Vermeidung oder Veränderung von Stressfaktoren und zur Stär-kung der organisationalen Ressourcen wirken auf eine Veränderung der belasten-den Situation hin, z. B. durch veränderte Restrukturierung der Arbeit und Arbeits-umgebung, Einführung flexibler Arbeitszeiten, faire Beschäftigungspolitik und Entlohnung, unterstützendes Personalmanagement. Sie gehören zu den Maßnah-men der Verhältnisprävention und sind in Tab. 4.1 unter ihren funktionalen Be-zeichnungen zu finden (z. B. Personalmanagement).

Vorgehen

Zu den persönlichen Stressbewältigungsprogrammen gehören meistens die fol-genden Komponenten (SEMMER & ZAPF, 2004):

– Information über die Entstehung von Stress, die Auswirkungen und Bewälti-gungsmöglichkeiten,

– Spannungsreduktion zur Kompensation von Stressreaktionen durch Entspan-nungstrainings, Meditation, autogenes Training, Biofeedback, aber auch durch körperliche Aktivität oder angemessene Ernährung,

– Stress(um)bewertung und Vermittlung von kognitiven und behavioralen Bewäl-tigungsstrategien. Kognitiv/Behaviorale (KB) Verfahren haben den Schwer-punkt auf kognitiven Stressbewertungsprozessen und der Vermittlung von kog-nitiven und behavioralen Bewältigungsstrategien. Zu ihnen zählen das Stress-Impfungstraining (MEICHENBAUM, 1993), kognitive Ansätze zur Interpreta-tion von Stresssituationen (SCHELP, GRAVEMEIER & MALUCK, 1997), a-ber auch spezifischere Ansätze wie etwa der Umgang mit Ärger (GERZINA & DRUMMOND, 2000).

Kompetenztrainings gehören ebenfalls zu den Stressbewältigungsverfahren. Sie sollen die persönlichen Ressourcen zur Stressbewältigung verbessern und haben unterschiedliche Schwerpunkte, u. a. Selbstsicherheits-, Selbstwirksamkeits- Kon-flikt-, Problemlöse- oder Zeitmanagementtrainings. Sie helfen, sowohl aktuelle als auch längerfristige Stressoren zu reduzieren (QUICK & TETRICK, 2002).

Kompetenztraining

Entspannungstechniken dürften die am häufigsten eingesetzten Verfahren zur ak-tuellen Stressreduktion sein. Sie basieren auf der progressiven Muskelent-spannung von JACOBSON (1938), auf Meditation oder Biofeedback. Muskelent-spannung ist vor allem effektiv, wenn physiologische Parameter als Indikatoren für die Tiefe der Entspannung genutzt werden, für Verhaltensindikatoren wie der persönlichen Beurteilung der Entspannung ist die Wirkung von kognitiven Ver-haltenstechniken besser (VAN DER KLINK, BLONK, SCHENE & VAN DIJK, 2001). KB-Verfahren stützen sich auf kognitive Therapien und Stress-Immunisierungs-techniken. Sie haben sich in Metaanalysen als effektiv in der Kombination von kognitiver und rational-emotiver Therapie (Selbst-Instruktionen) erwiesen (u. a. VAN DER KLINK et. al., 2001).

Entspannungstechnik

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 125

Stress-Immunisierungsprogramme vermitteln zunächst ein kognitives Konzept über Stressfaktoren und -reaktionen, danach werden eigene Strategien für den Umgang mit Stress entwickelt und eingeübt. Schließlich werden die Strategien mit der Realität konfrontiert und versucht, gegenüber inneren und äußeren Wider-ständen zu immunisieren (s. Kasten 4.2).

Über die Wirkung von Stress-Managementtrainings (SMT) liegen mehrere Meta-analysen und Reviews vor. In der jüngsten Metaanalyse (VAN DER KLINK et al., 2001) zeigten sich über alle Indikatoren hinweg eine Effektstärke von d = .44 für alle Programme, d. h. Gruppen mit Trainings erzielen eine halbe Standard-abweichung (44%) bessere Werte auf den Indikatoren als die jeweilige Kontroll-gruppen. Wie Tab. 4.2 zeigt, ergaben sich die besten Werte für kognitiv-behaviorale SMT (d = .68), die geringsten für reine Entspannungstrainings (d = .35). Multimodale Trainings, die mehrere Techniken einsetzten (passive und akti-ve Bewältigungsverfahren), lagen dazwischen (d = .51)

Wirksamkeit

Das Stress-Impfungstraining enthält drei Phasen:

1. In der Konzeptphase werden typische Stressfaktoren und -reaktionen erarbeitet. Persönlichen Stressfaktoren und eigene Reaktionsweisen werden analysiert.

2. In der Phase der Aneignung geht es um den Erwerb von Fertigkeiten im Umgang mit Stress. Strategien werden erarbeitet, in Rollenspielen und/oder mentales Trai-ning eingeübt.

3. In der Praxisphase geht es um die abgestufte Konfrontation mit tatsächlichen Stresssituationen und dem Aufbau von Strategien gegen Rückfälle.

Kasten 4.2: Stressimpfungstraining nach MEICHENBAUM (1993)

Hinsichtlich der Einzelindikatoren erzielten die kognitiven Programme die stärks-ten Effekte bis auf die physiologischen Indikatoren. Die KB-Trainings zeigten starke Wirkungen im Hinblick auf die Veränderung von Angstreaktionen (d =. 70) und von psychologischen Reaktionen und Antworten (d = .65), womit persönliche Bewertungen des Selbstwertgefühls, von Kontrollüberzeugungen und Bewälti-gungsstrategien gemeint sind. Die Entspannungstechniken und die multimodalen Ansätze erzielten mittlere Effekte (d = .31 bzw. .36) auf den physiologischen In-dikatoren, während für die beiden KB-Studien nur ein d = .11 ermittelt wurde. Hinsichtlich der Beschwerden über Symptome von Stress, Burnout und psycho-somatischen Reaktionen weisen die KB- und die multimodalen Trainings mittlere Effektstärken auf (d = .52 bzw. .48). Für die Einschätzung der Qualität des Ar-beitslebens (Arbeitszufriedenheit und andere) ergab sich mit d = .59 ein starker Effekt für die multimodalen Ansätze, der auch noch bemerkenswert hoch bei den KB-Programmen (d = .48) ist.

Andere Autoren (BAMBERG & BUSCH, 1996; SAUNDERS, DRISKELL, JOHNSTON & SALAS, 1996) berichten von vergleichbaren Effektstärken. Die Trainings finden meist in Gruppen statt und umfassen in der Regel 5–8 Sitzungen. Nach SAUNDERS et al. (1996) und VAN DER KLINK et al. (2001) verbessern

Stressbewältigungsprogramme

126

längere Interventionen die Effekte in der Regel nicht. KALUZA (1997) kommt allerdings zu einem gegenteiligen Befund.

Die Effektstärken für das Befinden lagen für einen Zeitraum zwischen einem und sechs Monate bei d = .54, für 6 bis 18 Monate bei d = .82. Zusammenfassend be-einflussen KB-Trainings vor allem psychische und psychosomatische Symptome, die stärksten Effekte für die physiologischen Indikatoren liegen bei den multimo-dalen und den Entspannungstrainings. In den verschiedenen Metaanalysen wurden kleine bis mittlere Effekte berichtet (d = .20 bis .82). Insofern haben die SMT eine moderate bis gute Wirkung. Positive Effekte von SMT für die Verlängerung der Lebenserwartung von koronaren Herzpatienten (34% Reduzierung der Mortali-tätsrate) werden u. a. in der Metaanalyse von DUSSELDORP, VAN ELDEREN, MACS, MEULMAN und KRAAJ (1999) berichtet. Spezifische Programme gegen das mit Herzerkrankungen zusammenhängende Typ A Verhalten erwiesen sich ebenfalls als effektiv (NUNES, FRANK & KORNFELD, 1987).

Tabelle 4.2: Metaanalyse zur Wirksamkeit stressreduzierender Interventionen (1977 – 1996, 48 Studien, VAN DER KLINK et al., 2001)

Ergebnisse Kognitive Programme

d k

Entspannungs-techniken d k

Multimodale Programme d k

Alle Indikatoren

Qualität Arbeitsleben

Psychologische Reaktio-nen und Antworten

Physiologische Indikatoren

Verhalten Beschwerden Angst Abwesenheit

.68 18

.48 7

.65 10

.11 2

.52 14 .70 7 –.18 1

.35 17

.29 8

.26 5

.31 10 .31 14

.25 7 –.09 2

.51 8

.59 2

.22

.36 3 .48

.50 4

k = Zahl der Studien; d = mittlere standardisierte Differenz (Cohens d Effektgröße); Qualität der Arbeitslebens: u. a. Arbeitsanforderungen, Arbeitsdruck, Autonomie in der Arbeit (Kontrolle), soziale Unterstützung, Arbeitszufriedenheit; Psychologische Reaktionen und Antworten: Selbst-wert, Kontrollüberzeugungen, Bewältigungsstrategien; Physiologische Indikatoren: Anspannung, elektromyographische Aktivitäten, (Nor)Adrenalin und Cholesterol Spiegel

Methodisch sind bessere Evaluationsdesigns mit Längsschnittstudien, Prozess-messungen und vor allem die Berücksichtigung der Randbedingungen, die sog. Moderatoren notwendig. Eine Kombination der KB-Ansätzen mit Entspannungs-verfahren scheint viel versprechend zu sein, vor allem weil letztere für somatische Indikatoren besonders effektiv zu sein scheinen (SEMMER & ZAPF, 2004).

Wirksamkeit gesundheitsbezogener Interventionen 127

Literaturempfehlung

Bamberg, E., Ducki, A. & Metz, A.-M. (Hrsg.) (1998). Handbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.

Sonnentag, S. & Frese, M. (2003). Stress in organizations. In W. C. Borman, D. R. Ilgen, R. J. Klimoski & Weiner I. B. (Eds.), Industrial and Organizational Psychology (Vol. 12, pp. 453-491). Hoboken, New Jersey: J. Wiley & Sons.

Ulich, E. & Wülser, M. (2004). Gesundheitsmanagement in Unternehmen. Wies-baden: Gabler.

Zimolong, B., Elke, G. & Trimpop, R. (2006). Gesundheitsmanagement. In B. Zimolong & U. Konradt (Hrsg.), Ingenieurpsychologie. Enzyklopädie der Psychologie (Bd. D-III-2, S. 633-668). Göttingen: Hogrefe.

Stressbewältigungsprogramme

128

Übungsaufgaben Kapitel 4

1. Grenzen Sie die proaktive von der reaktiven Präventionsstrategie ab und

nennen Sie Einsatzbereiche und die wichtigsten Maßnahmen.

2. Durch welche Führungsmaßnahmen lässt sich das Sicherheitsklima auf

den verschiedenen Managementebenen beeinflussen?

3. Welche Funktionen haben Gesundheitszirkel?

4. Welche Wirkungen haben kognitiv-behaviorale Trainings, multimodale

Ansätze und Entspannungstechniken? Nennen Sie die Einsatzgebiete.

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

129

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesund-heitsförderung

Während im vierten Kapitel einzelne gesundheitsbezogene Interventionen in Or-ganisationen im Vordergrund standen, geht es in diesem Kapitel erstens um die Frage der unternehmensweiten Abstimmung: Wie können die Aktivitäten und die Gesundheitssysteme der verschiedenen Funktionsbereiche im Sinne der Gesund-heitsförderung und -prävention möglichst optimal gebündelt werden? Eine erfolg-reiche Gesundheitsförderung ist kein Ergebnis, das ein Unternehmen zu einem Zeitpunkt erreicht, sondern Gesundheit und Sicherheit sind beständig zu erbrin-gende und zu verbessernde Leistungen. Verbesserung bedeutet Lernen. In diesem Kapitel werden zweitens Antworten u. a. auf die Fragen gegeben, wie Organisati-onen durch Gesundheitsberichte lernen und wie organisationale Lernprozesse durch die Strategie der Organisationsentwicklung unterstützt werden können. Anhand einer Evaluationsstudie am Ende des Kapitels wird aufgezeigt, wie ein Gesundheitsmanagementsystem mit Erfolg in den Unternehmensalltag eingeführt wurde.

Vorausblick

5.1 Betriebliche Gesundheitssysteme

Aufgrund der vielfältigen positiven wie negativen wechselseitigen Abhängigkei-ten von Erwerbsarbeit und Gesundheit umfasst betriebliche Gesundheitsarbeit ein weites Feld an Aktivitäten, dessen Spektrum von einzelnen Instrumenten, Kursen, wie „Raucherentwöhnung“, „Richtiges Heben und Tragen“, über persönliche Ge-sundheitsprogramme zur Herz-Kreislauf- oder Alkoholismusprävention, gesund-heitsförderlicher Arbeitssystemgestaltung und Personalführung bis hin zu über-greifenden Managementansätzen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes reicht.

Wie im zweiten Kapitel begründet wurde, basiert der langfristige Erfolg betriebli-cher Gesundheitsarbeit nicht auf dem Einsatz einzelner Instrumente, Systeme oder Programme, sondern auf der Umsetzung eines Systemkonzeptes. Gesundheit wird als integraler Bestandteil unternehmerischer Leistungen und als organisationaler Lern- und Entwicklungsprozess aufgefasst. Gesundheitsförderung wird damit zu einer Teilaufgabe des betrieblichen Managements und stellt einen wichtigen As-pekt im Rahmen der Entwicklung motivationaler und qualifikatorischer Potentiale dar. In Kapitel 2.5 wurde ein integrativer Managementansatz vorgestellt. Das skizzierte integrative Gesundheitsmanagementsystem (GMS) setzt zum einen bei der expliziten Steuerung durch Strukturen und zum anderen bei der Förderung einer positiven Gesundheitskultur an. Grundlegend sind Strukturen, die die Ver-antwortung regeln, Entscheidungsabläufe und Informationsflüsse steuern und Maßnahmen zur Prozesskontrolle festlegen. Alle Abläufe, die dem Erreichen des definierten Organisationsziels dienen, sind zudem systematisch zu erfassen und ständig zu verbessern. Darüber hinausgehend ist vor allem durch das sichtbare Verhalten des Managements und durch die Führungskräfte die Entwicklung einer

Gesundheits-managementsystem GMS

5.1 Betriebliche Gesundheitssysteme

130

positiven Gesundheitskultur zu fördern. Explizite und implizite Steuerungsformen ergänzen und unterstützen sich wechselseitig. So kann durch die Einführung kla-rer Verantwortlichkeiten im AGS, das Setzen von Zielen im AGS oder Regelun-gen, die den Austausch zwischen AGS-Experten und Führungskräften verbindlich festlegen, die Entwicklung einer positiven Gesundheitskultur gefördert werden. Auf der anderen Seite werden Strukturen im Alltag nur dann langfristig auch ge-lebt, wenn es gelingt, die entsprechenden Wertorientierungen und Gesundheits-normen zu entwickeln oder zu pflegen. Den Fokus bilden zum einen die Gesamt-heit der systematisch aufeinander bezogenen Maßnahmen zum Erhalt und der Förderung von Gesundheit und zum anderen die Integration von Sicherheit und Gesundheit in die betriebliche Zielsetzung, Strukturen und Prozesse.

Die VOLKSWAGEN AG praktiziert seit über 15 Jahren sehr erfolgreich ein Ge-sundheitsmanagementsystem. Sie nimmt im Hinblick auf die Gesundheitsquote von über 97% einen Spitzenplatz in der deutschen Automobilindustrie ein. In-wieweit die Anwesenheits- bzw. Gesundheitsquote den Gesundheitszustand der Beschäftigten in einem Betrieb widerspiegelt, wurde im Kapitel 4.2 behandelt. In Kasten 5.1 sind die zugrunde liegende Philosophie, Ziele und Grundsätze des Managementansatzes der VW AG wiedergegeben.

Gesundheitsmanagement der VW AG

Kasten 5.1: Gesundheitsmanagement bei der VOLKSWAGEN AG (1999)

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

131

Das Gesundheitsmanagementsystem der VW AG ist modulartig aufgebaut und ermöglicht durch die Auswahl und unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten von Teilsystemen ein problem- und zielgruppenbezogenes Vorgehen. Nachfol-gend sollen die einzelnen Module bzw. Gesundheitssysteme erläutert werden (s. Abb. 5.1).

Die Hauptansatzpunkte betrieblicher Gesundheitsförderung liegen in der gesund-heitsgerechten Gestaltung der Arbeit, d. h. in der angemessenen arbeitsorganisato-rischen, ergonomischen und sozialen Gestaltung. Aufgrund des engen Zusam-menhangs zwischen der Arbeitssystemgestaltung, gesundheitlichen Belastungen und Ressourcen bildet die gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt als Verhältnisprävention die Grundvoraussetzung für eine hohe Gesundheitsquote. Information und Kommunikation sollen durch Arbeitskreise, Mitarbeiter- und Rückkehrgespräche gefördert werden. Zum Teilsystem Mitarbeiterbeteiligung gehören u. a. Befragungen, Teamarbeit, Ideenmanagement und Gesundheitszirkel. Sie stellen einerseits organisatorische Maßnahmen dar, andererseits fördern sie die individuelle Beteiligung, Einbindung und die Eigenverantwortung für die Ge-sundheitsförderung. Zum System der Rückfallverhütung und Rehabilitation gehört u. a. ein individueller Eingliederungsplan, bei Bedarf eine Umgestaltung des Ar-beitsplatzes oder eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz.

Hauptansatzpunkte

Module

Abbildung 5.1: Systeme des Gesundheitsmanagements bei der VW AG (VOLKSWAGEN AG, 1999; BRANDENBURG, 2000)

5.2 Gesundheitsförderung der Krankenkassen

132

Im Rahmen der Wiedereingliederung und beruflichen Rehabilitation von leis-tungsgewandelten Mitarbeitern spielt die Zusammenarbeit zwischen dem Vorge-setzten und dem Betriebsarzt eine wichtige Rolle. So gelang es z.B. dem Unter-nehmen AUDI AG, unterstützt durch die betriebsärztliche Beratung und Maß-nahmen der Arbeitsgestaltung, „75% der betroffenen leistungsgewandelten Mitar-beiter im Jahre 1996 in ihrem Arbeitsbereich und im gewohnten Kollegenkreis zu belassen (529 von 705 Mitarbeitern). Gerade durch die betriebsärztliche Beratung wird der leistungsgewandelte Mitarbeiter wie auch der Vorgesetzte in dem ge-meinsamen Bemühen unterstützt, gesundheits- und anforderungsgerecht den Mit-arbeiter zu integrieren“ (TILLER, 1998, S. 172).

Systeme/Module

Die Verhaltensprävention setzt demgegenüber beim individuellen Verhalten und seinen Bedingungen an. Zur Lenkung und Koordination gesundheitsgerechten Verhaltens können auf der einen Seite prinzipiell alle Personalsysteme, wie Beur-teilungs- und Anreizsysteme, Mitarbeiter- oder Fehlzeitengespräche eingesetzt werden (s. Kap. 3.2.2). Auf der anderen Seite gibt es spezifische verhaltensorien-tierte Gesundheitssysteme in Form von betriebsärztlicher Aufklärung, Beratung und Betreuung. Darunter fallen Maßnahmen der Ernährungs- und Suchtberatung, Früherkennung und Gesundheitsbeurteilungen für spezielle Zielgruppen. Zu den Gesundheitsförderungsprogrammen gehören Angebote zur körperlichen und psy-chischen Fitness.

Verhaltensprävention

Auffällig an den Teilsystemen des Gesundheitsmanagements bei VW ist das Feh-len des Personalmanagements und der personalen Führung. Zwar werden einzelne Personalsysteme wie z.B. Mitarbeiter- und Fehlzeitengespräche einbezogen, ein schlüssiges Konzept ist jedoch nicht auszumachen. Hier wirkt sich die Trennung zwischen den betrieblichen Funktionen Gesundheitsförderung und Personalwesen nachteilig aus. Im Gegensatz zu dem skizzierten Gesundheitsmanagementsystem in Kapitel 2.5 fehlt zudem eine Vorgehenssystematik im Sinne des Steuerzyklus, die zum einen auf eine kontinuierliche Verbesserung der Gesundheitsförderung und zum anderen auf die Integration der Ziele Sicherheit und Gesundheit in den betrieblichen Alltag ausgerichtet ist.

5.2 Gesundheitsförderung der Krankenkassen

5.2.1 Gesundheitsbericht

Eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitsförderung erfordert ein systematisches und gezieltes Vorgehen. Ausgehend von der Analyse der betrieblichen Situation werden Maßnahmen abgeleitet. Ihre Umsetzung ist nach dem Arbeitschutzgesetz zu überwachen und im Hinblick auf die angestrebte Wirksamkeit zu überprüfen. Gesundheitsförderung kann somit als ein iterativer Prozess des Ineinandergreifens von Analyse und Intervention in Form von Maßnahmen umschrieben werden. Zur gezielten Ableitung von Gesundheitsmaßnahmen ist z.B. die Kenntnis der Fehl-

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

133

zeiten oder anderer Indikatoren und ihrer Entwicklung notwendig, aber nicht aus-reichend. Veränderungen setzen neben dem Wissen über den erreichten Leis-tungsstand Kenntnisse über die betriebsspezifischen verursachenden Bedingungen und Einflussgrößen voraus.

Durch die Neufassung des § 20 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde der Handlungsspielraum für Maßnahmen der Primärprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung für die Krankenkassen erweitert. Die Krankenkassen können zum Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betriebli-chen Gesundheitsförderung durchführen. Originäre Aufgaben des Arbeitsschutzes fallen nach dem Arbeitsschutzgesetz jedoch in die alleinige Zuständigkeit des Arbeitgebers und werden nicht von den paritätisch finanzierten Krankenkassen durchgeführt (KOHTE, 2001).

Neufassung des § 20 SGB V

Die Krankenkassen sind zur Zusammenarbeit mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren ver-pflichtet. Dies setzt die Richtung, die 1997 mit dem Abschluss der Rahmenver-einbarung zur Kooperation zwischen den Spitzenverbänden der Unfall- und Kran-kenversicherungen eingeschlagen wurde, fort. Die Spitzenverbände der Kranken-kassen haben unter Beteiligung unabhängiger Sachverständiger den Leitfaden „Gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien der Spitzenverbän-de der Krankenkassen zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 und 2 SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 27. Juni 2001“ erarbeitet. Der Leitfaden enthält neben Grundsätzen und Empfehlungen sowie Maßnahmen der Primärprävention nach § 20 Abs. 1 SGB V auch Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung nach § 20 Abs. 2 SGB V. Die in dem Leitfaden festgelegten hauptsächlichen Hand-lungsfelder und Kriterien gelten verbindlich.

Das Gesundheitsförderungskonzept der gesetzlichen Krankenkassen und der Be-rufsgenossenschaften verbindet den Einsatz des Gesundheitsberichtes mit einem beteiligungsorientierten Vorgehen durch Gesundheitszirkel und verschiedenen weiteren Interventionsmaßnahmen in Abhängigkeit von der Ausgangslage. Die AOK versteht den Gesundheitsbericht als Einstiegsleistung oder Erstmaßnahme für die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. Die Kranken-kassen haben mit der Gesundheitsberichtserstattung ein Analyseinstrument für die Betriebe entwickelt, das ein möglichst umfassendes, präzises und zuverlässiges Bild der Gesundheitssituation im Betrieb unter Einschluss der hierfür relevanten Wirkfaktoren liefert. Allerdings ist die Korngröße der Analysen aus Datenschutz-gründen auf betriebliche Einheiten von mindestens 50 Beschäftigten beschränkt. Als alternative oder ergänzende Verfahren bieten sich betriebliche Datenanalysen an.

Konzept der Krankenkassen

Die Krankenkassen verfügen über personenbezogene Arbeitsunfähigkeitsdaten (AU) mit ärztlichen Krankheitsdiagnosen. Die Verknüpfung dieser Informationen mit betrieblichen Arbeitsplatzdaten im Rahmen der Gesundheitsberichtserstattung

Arbeits- unfähigkeitsdaten

5.2 Gesundheitsförderung der Krankenkassen

134

schafft eine Informationsgrundlage, auf deren Basis der Betrieb über gesundheits-fördernde Maßnahmen entscheiden kann. Nimmt ein Betrieb die Dienstleistung der Gesundheitsberichterstattung z.B. der BKK in Anspruch, so verpflichtet sich der Betrieb zugleich Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen. Der Gesund-heitsbericht der Krankenkassen liefert dem Betrieb zum einen Informationen über die Mitgliederstruktur des Unternehmens und ihrem möglichen Einfluss auf das AU-Geschehen. So ist z.B. aufgrund einer recht jungen Belegschaft zu erwarten, dass die Anzahl der AU-Fälle relativ hoch, während die durchschnittliche Dauer der Erkrankungen sehr niedrig sein dürfte. Andere in die Analyse eingehende Merkmale sind Geschlecht, Nationalität und Versichertenart. Zum anderen erhält der Betrieb Informationen über bedeutsame Krankheitsarten im Zusammenhang mit der AU, z.B. über den Anteil an Erkrankungen der Atemwege, mögliche chro-nische Krankheitsverläufe oder die Schwere arbeitsbedingter Verletzungen. Die weiteren Analysen im Rahmen der Gesundheitsberichte beziehen sich auf eine Vielzahl von Vergleichen der AU-Daten und Diagnosen, wie z.B. zwischen ein-zelnen Kostenstellen und Werkbereichen oder im Vergleich zum Gesamtbetrieb, der Branche und dem Bund. Die Ergebnisse werden im Gesundheitsbericht so auf-bereitet, dass sie vom Unternehmen eigenständig genutzt werden können. Die Informationen können durch Befragungen von Beschäftigten und die Erstellung von Belastungs- oder Beschwerdeprofilen ergänzt werden. Das nachfolgende Bei-spiel stammt aus dem Mustergesundheitsbericht des Bundesverbandes der BKK.

Exkurs: Arbeitsunfähigkeitsdaten der Firma Rabe Da im Einzelfall starke Abweichungen der Versichertenstruktur vom Durchschnitt das AU-Geschehen beeinflussen können, werden die Auswertungen altersstandar-disiert durchgeführt, um altersbedingte Verzerrungen zu vermeiden.

Abbildung 5.2: Arbeitsunfähigkeiten in den Werken (altersstandardisierte Werte pro 100 Pflicht-mitglieder)

5 0 1 0 0 1 5 0 2 0 03.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0

135

128

1 51

16 1

171

185

141

8 6

2 11 2

1837

18 91

259 7

2091

201 3

16 81

796

Bund (West)

Metallverarb. (W.)

Rabe

Werk B

Werk A

Werk D

Werk C

Werk Z

AU-FälleAU-Tage

In Abb. 5.2 sind in der linken Hälfte die AU-Tage und in der rechten Hälfte die AU-Fälle pro 100 Mitarbeiter getrennt für die einzelnen Werke der Firma Rabe

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

135

aufgeführt. Neben den Werken A und D liegt auch das Werk B über dem Unter-nehmensdurchschnitt.

Das Werk B liegt beim Werksvergleich hinsichtlich der Ausfalldauer an erster Stelle und überschreitet den Durchschnittswert um 37%, wofür u. a. mehrere Fälle mit sehr langen AU-Dauern verantwortlich sind. Betrachtet man die Verteilung der einzelnen Krankheitsarten an den AU-Tagen (Abb. 5.3), so weist die relativ gleichmäßige prozentuale Verteilung darauf hin, dass die wesentlichen Ursachen in mehreren Krankheitsarten zu suchen sind.

AU-Tage (n=4.565)

Sonstige16,0%Kreislauf

8,0%

Verdauung7,8%

Verletzung12,3%

Arbeitsunfälle14,2%

Atmung12,6% Muskel/Skelett

29,2%

Muskel/Skelett

Atmung Arbeits-unfälle

Verletzung Verdauung Kreislauf

1,23 1,24

1,96

1,7

1,14

2,54

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

Muskel/Skelett

Atmung Arbeits-unfälle

Verletzung Verdauung Kreislauf

Morbiditätsraten

Abbildung 5.3: Krankheitsarten und Morbiditätsraten in Werk B

Die in Abbildung 5.3 dargestellten Morbiditätsraten drücken aus, um das Wieviel-fache das Werksergebnis vom Unternehmenswert abweicht. Den höchsten Anteil an AU-Tagen erkennt man bei den Muskel- und Skeletterkrankungen, bei denen es sich überwiegend um Rückenleiden handelt. Insgesamt ist eine deutliche Erhö-hung aller Krankheitsgruppen in diesem Werk zu beobachten. Besonders fallen die weit überdurchschnittlichen Morbiditätsraten der Kreislauferkrankungen auf, die ca. 2,5 mal soviel AU-Tage wie im Unternehmensdurchschnitt verursachen. Einen um fast 100% erhöhten Wert weisen die meldepflichtigen Arbeitsunfälle auf, aber auch die freizeitbedingten Verletzungen liegen immer noch um 70% über dem Durchschnitt.

Morbiditätsraten

Da es keinen Standardkrankenstand gibt, erlaubt der Gesundheitsbericht bzw. die monatliche Aufstellung von überbetrieblichen Vergleichszahlen durch die Kran-kenkasse ein unternehmens- und branchenübergreifendes Krankenstands-Benchmarking als Ansporn zur weiteren Verbesserung der eigenen betrieblichen Gesundheitsleistungen. Eine Auswertung der Gesundheitsberichte zeigt, dass zum einen oftmals die Bedeutung des kurzzeitigen Fehlens überschätzt wird. Zum an-deren wird ein erheblicher Anteil der AU durch eine kleine Zahl von Personen, die wiederum an eingrenzbaren chronischen Krankheiten leiden, verursacht. In diesen Fällen verfehlen disziplinarisch ausgerichtete Programme ebenso ihre Wir-kung wie Gesundheitsförderungsprogramme. Der Lösungsansatz liegt, wie bereits skizziert wurde, im Personalmanagement, z.B. in Form eines gesundheitsgerech-ten Personaleinsatzes (SCHROER & SOCHERT, 1998).

Standardkrankenstand

5.2 Gesundheitsförderung der Krankenkassen

136

5.2.2 Betriebliche Datenanalysen

Der Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz durch die Ableitung und Um-setzung von Maßnahmen liegt ein organisationaler Lernprozess zugrunde, der sich zumeist in kleinen Schritten vollzieht und neben viel Mühen auch viel Zeit in An-spruch nimmt. In der ersten Phase ist zunächst die Entwicklung eines Bewusst-seins für die Notwendigkeit von Veränderung und einer anderen Sichtweise der vorliegenden Zusammenhänge zu unterstützen.

Werden Fehlzeiten als reines individuelles Motivationsproblem im Sinne von „Blaumachen“ aufgefasst, dann ist der Verzicht auf eingehendere Analysen und die Beschränkung auf rein disziplinarische Maßnahmen der konsequente Schritt. Werden Fehlzeiten eher als Folgen arbeitsbedingter körperlicher, geistiger und sozialer Belastungen aufgefasst, dann erfordert das ein anderes Vorgehen: Die Analyse der betrieblichen und individuellen Ursachen als Basis für die Ableitung von Maßnahmen.

Im Rahmen der Sensibilisierung für die Notwendigkeit und Möglichkeiten be-trieblicher Gesundheitsförderung kommt der Auseinandersetzung mit den vorlie-genden betrieblichen Daten eine wichtige Rolle zu. In der Praxis ist z.B. die re-gelmäßige Rückmeldung der aktuellen Fehlzeitenentwicklung auf allen Hierar-chieebenen keineswegs der Regelfall. Einer der ersten Schritte zur Einführung eines ganzheitlichen Managements des betrieblichen Arbeits- und Gesundheits-schutzes in einem mittelständischem Betrieb (ELKE & ZIMOLONG, 2005) be-stand darin, zunächst die Aufbereitung und regelmäßige Rückmeldung der Fehl-zeiten pro Arbeitsbereich im Vergleich zum Jahr zuvor einzuführen. Die regelmä-ßige Präsentation und Diskussion der Entwicklungen in den einzelnen Abteilun-gen bei den monatlichen Treffen des Lenkungskreises führte einerseits zur einer kontinuierlichen Auseinandersetzung der Führungskräfte mit der gesundheitlichen Situation ihrer Beschäftigten. Andererseits wurde, unterstützt durch die Erfahrung unerwarteter Verschlechterungen, offenkundig, dass unternehmensweit wenig systematisches Wissen über betriebliche oder überbetriebliche Einflussgrößen auf die Fehlzeitenentwicklung verfügbar war. Erst aufgrund dieser Erfahrungen wur-de eine Analyse der AU-Daten und der Krankheitsdiagnosen durch den Betriebs-arzt durchgeführt. Auch die Inanspruchnahme der Gesundheitsberichtserstattung der BKK wurde in Erwägung gezogen. D.h. die Nutzung „objektiv“ vorhandener Informationen durch die Betriebe ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergeb-nis von Lernprozessen.

Sensibilisierung

Jeder Betrieb verfügt über eine Vielzahl von Daten, deren Analysen an sich oder als Ergänzung zu der Datenaufbereitung der Krankenkassen wertvolle Informatio-nen für Ansatzpunkte von Verbesserungsprozessen liefern können.

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

137

6

7

8

9

10

11

12

1993 1994 1995 I. 1996 II. 1996 I. 1997 II. 1997 I. 1998

Fehlzeiten

Auslastung%

Abbildung 5.4: Entwicklung der krankheitsbedingten Fehlzeiten und der betrieblichen Auslastung

Im obigen Fall wurde z.B. durch die Betrachtung des zeitlichen Verlaufes der krankheitsbedingten Fehlzeiten und der Entwicklung der Auftragslage eine wech-selseitige Abhängigkeit offenkundig: Sinkende Auftragszahlen bzw. Auslastung führten, wie in Abbildung 5.4 dargestellt, zu einem bedeutsamen Anstieg der Fehlzeiten. Die Ursachen für diesen Zusammenhang wurden in Gesprächen mit Vorgesetzten und Mitarbeitern schnell deutlich: Gibt es in einer Abteilung nicht genügend Aufträge, werden die Mitarbeiter kurzfristig an andere Abteilungen mit zumeist „unbeliebteren“ Tätigkeiten, die ein höheres Belastungsniveau aufweisen, ausgeliehen. Als Folge ist nicht nur ein Anstieg der Fehlzeiten, sondern auch der arbeitsbedingten Verletzungen in der Gruppe der „ausgeliehenen“ Mitarbeiter zu beobachten. Mögliche Ansätze für Lösungen des Problems wurden in einer flexib-leren Arbeitszeitgestaltung, besseren Einweisungen bei Arbeitsplatzwechsel, einer stärkeren Einbeziehung der Beschäftigten bei entsprechenden Entscheidungen und der Schulung der Vorgesetzten gesehen (ELKE, 2000, S. 148ff).

Fehlzeiten und Auftragslage

Die Verknüpfung der Daten aus Gesundheitsberichten, Betriebsanalysen und Ge-fährdungsbeurteilungen zu einer Gesundheitsmatrix oder einem Gesundheitsprofil ist noch ein offenes Problem. Für die Analyse, Beurteilung und Bewertung ar-beitsbedingter Gefährdungen liegt mit dem RISPO-Verfahren ein systematischer Ansatz vor. Die Daten werden in einer Risikomatrix dargestellt, aus der betriebli-che Maßnahmen abgeleitet werden können (ELKE & ZIMOLONG, 1998).

Gesundheitsmatrix

5.3 Organisationale Gesundheitsprogramme

138

5.3 Organisationale Gesundheitsprogramme

Die vor allem im angelsächsischen Raum angebotenen organisationalen Gesund-heitsprogramme (Überblick in SEMMER & ZAPF, 2004) zeichnen sich durch ein systematisches Vorgehen und die Integration unterschiedlicher Präventionsange-bote aus. Ein Beispiel ist das Gesundheitsförderungsprogramm Life-for-Life des Chemiekonzerns Johnson & Johnson (s. Kasten 5.2). KUHN (1995) geht davon aus, dass der Nutzen von Gesundheitsförderungsprogrammen im Laufe von sieben Jahren 2,5-mal größer war als ihre Kosten. Beispielsweise sparte ein Gesundheits-programm der New York Telephone Company 2,7 Mio. Dollar durch verringerte Fehlzeiten und Krankheitsbehandlungskosten (CARTWRIGHT, COOPER & MURPHY, 1995).

Mittel- und langfristige Ziele: Erhöhung der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sowie Reduzierung der Kosten Programmelemente: 1. Erhebung von Gesundheits-, Verhaltens- und Einstellungsdaten 2. Seminare zur Sensibilisierung für das Programm und die Unternehmens-

philosophie 3. Kursangebote, u. a. zur Ernährung, Bewegung oder zum Stressmanagement 4. Schaffung einer gesundheitsförderlichen Arbeitsatmosphäre durch das

Management 5. Rückmeldung und Folgemaßnahmen Evaluation: Im Rahmen eines quasi-experimentellen Designs wurde nach 12 bzw. 24 Monaten eine erste epidemiologische Evaluation mit vier Werken als Untersuchungs-gruppen und drei Werken, die als Kontrollgruppen dienten, durchgeführt. Die Teil-nehmer des Programms zeigten im Vergleich zu den Kontrollgruppen nicht nur Ver-besserungen ihres Lebensstils, sondern auch ihrer Arbeitszufriedenheit und ihrer Fä-higkeiten im Umgang mit Arbeitsanforderungen. Das Unternehmen gab einen jährli-chen Nutzenertrag von 378 US-Dollar pro Beschäftigten an (vgl. LIEPMANN, 1990).

Kasten 5.2: Gesundheitsförderungsprogramm „Life-for-Life“ des Chemiekonzerns Johnson & Johnson (LIEPMANN, 1990)

Die zum Teil beeindruckenden Erfolge der Programme müssen allerdings auf dem Hintergrund der zumeist mit methodischen Mängeln behafteten Evaluationen so-wie der großen Variabilität der beobachteten Effekte kritisch beurteilt werden. VAN DER KLINK, BLONK, SCHENE und VAN DIJK (2001) beziehen in ihre Metaanalyse vier organisationale Studien zur Stressreduzierung ein, deren Ergebnis-se gemischt sind. Sie reichen von negativen (d = -.20) bis zu positiven Effektstärken (d = .50). Generalisierte Aussagen sind daher nicht möglich, außerdem müssen die Randbedingungen genauer untersucht werden, unter denen die Programme eingesetzt wurden. Beispiele für in Deutschland durchgeführte Gesundheitsprogramme sind u. a. zu finden bei BAMBERG, DUCKI und METZ (1998), BRANDENBURG, NIEDER und SUSEN (2000), BADURA, LITSCH und VETTER (2001).

Erfolge

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

139

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

Eine nachhaltig erfolgreiche Gesundheitsförderung ist als ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess aufzufassen: Sicherheit und Gesundheit sind, unterstützt durch ein Managementsystem, beständig zu erbringende und zu verbessernde Leistungen. Das skizzierte integrative Gesundheitsmanagementsystem (s. Kap. 2.5) baut auf einer Vorgehenssystematik, dem Steuerungszyklus, auf, die zugleich ein zentraler Lernmechanismus ist.

5.4.1 Lernen und Organisationsentwicklung

Organisationales Lernen im Sinne von ARGYRIS und SCHÖN ist als ein Prozess des Aufdeckens und der Untersuchung von Abweichungen und Fehlern aufzufas-sen. Im Mittelpunkt des Lernens steht in Anlehnung an die Arbeiten von John DEWEY, (1938) die Strategie „inquiry“: Ein unerwartetes Ergebnis unterbricht den normalen Handlungsfluss, löst ein Nachdenken und Suchverhalten aus, was dann in letzter Konsequenz zur Aufhebung der Abweichungen führt. Die Erarbei-tung neuer Lösungen kann damit einhergehen, selber andere Vorgehensweisen auszuprobieren, die vorhandenen Daten zu analysieren, neue Informationen zu erwerben oder Experten hinzuzuziehen. Es bestehen große Ähnlichkeiten zwi-schen der Lernstrategie „inquiry“ und der Strategie des „Kaizen“, verstanden als ständige Verbesserung (IMAI, 1994, S. 23).

Organisationales Lernen

Die Erfahrung oder das Erkennen von Abweichungen als Auslöser für einen Lern-prozess setzen voraus, dass eine Rückmeldung erfolgt, ob bzw. in welchem Aus-maß das angestrebte oder erwartete Ergebnis erreicht wurde. Der Steuerungszyk-lus, dessen Schritte zu einer Rückkopplung zwischen dem Ergebnis einer Maß-nahme und den gesetzten Standards führen, ist damit ein grundlegender Lernme-chanismus. Der Einsatz des Steuerungszyklus auf verschiedenen Organisations-ebenen ist charakteristisch für integrative Managementsysteme (s. Kap. 2.5). In Abhängigkeit von der Reichweite und dem Ansatzpunkt des organisationalen Lernens wird zwischen Anpassungs-, Veränderungs- und Prozesslernen unter-schieden (s. Kasten 5.3).

Lernmechanismus

Die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems (GMS) stellt ebenfalls einen organisationalen Lernprozess dar, der allerdings nicht auf die An-passung oder Veränderung einzelner Ziele oder Prozesse ausgerichtet ist, sondern eine grundlegende Veränderung oder eine Weiterentwicklung der Organisation beinhaltet. Bei der Organisationsentwicklung (OE) als Beratungskonzept handelt es sich um eine integrative Strategie zur Unterstützung und Förderung des Ler-nens in und von Organisationen (s. Kasten 5.4). Den Kern von OE bilden die sys-tematische Planung und Implementierung von Veränderungen in Organisationen.

Organisations- entwicklung

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

140

Im Falle des Anpassungslernens (single-loop learning) wird eine Abweichung zwi-schen den Standards im Alltag und dem Handlungsergebnis festgestellt, die durch die Veränderung des Verhaltens und/oder seiner Bedingungen korrigiert wird. Beispiels-weise werden Begehungen durchgeführt, um Schwachstellen oder Abweichungen von den gesetzten Sicherheitsstandards vor Ort zu erfassen. Die Beobachtung gesund-heitsgefährdender Umstände oder Verhaltensweisen wird zurückgemeldet und ent-sprechende Maßnahmen, wie z.B. die Erneuerung defekter Arbeitsmittel oder eine Schulung in gesundheitsgerechtem Heben und Tragen schwerer Lasten, werden durchgeführt. Veränderungslernen (double-loop learning) beinhaltet eine Korrektur der Normen, Ziele und Standards. Die Zusammenarbeit in organisationalen Netzwerken führte z.B. dazu, dass Großunternehmen nicht mehr nur die eigenen, sondern auch die Unfallzah-len der Kontraktorfirmen als Indikatoren für das Sicherheitsniveau heranziehen. Sie haben die Standards für ihre Sicherheitsarbeit verändert.

Anpassungs- lernen

Veränderungslernen

Prozesslernen

Lernen Bezugsrahmen

ZieleStandards Handlungen Ergebnisse

Korrekturen Korrekturen Korrekturen

Das Prozesslernen (deutero learning) bezieht sich auf das Lernen zu lernen. Auf die-ser Ebene wird das Lernen selbst zum Thema gemacht. Durch die Auseinander-setzung mit den Lernprozessen der Vergangenheit und Gegenwart soll zukünftiges Lernen optimiert werden. Die Gestaltung von Lernprozessen setzt gleichermaßen das Wissen über grundlegende Lernprinzipien, z. B. über die Bedeutung von Rückmel-dung, den Einsatz von Anreizen oder Verstärkern, wie auch die Fähigkeit, diese Kenntnisse im Alltag anzuwenden, voraus. Z. B. lernten die Betroffenen in Rahmen einer OE-Maßnahme zur Einführung eines Managementsystems, einen OE-Prozess eigenverantwortlich und erfolgreich zu implementieren. Die OE-Maßnahme wurde zunächst in einem Werksbereich unter Anleitung eines externen Beraterteams begon-nen und sollte anschließend auf das gesamte Unternehmen ausgedehnt werden. Um den Transfer ohne externe Unterstützung realisieren zu können, unterzogen die Ent-scheidungs- und Funktionsträger aller Bereiche sowohl den OE-Prozess als auch das umgesetzte Konzept einer kritischen Analyse, planten Veränderungen und führten ein modifiziertes Konzept mit Erfolg in den anderen Werksbereichen ein (ELKE, 2000, S. 116 ff).

Kasten 5.3: Formen organisationalen Lernens (ARGYRIS & SCHÖN, 1996; PROBST & BÜCHEL, 1994)

Lernformen

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

141

Organisationsentwicklung (OE) ist eine im Rahmen der angewandten Verhaltens-wissenschaften entwickelte Beratungsstrategie, mit der Unternehmen und Manager angeleitet und unterstützt werden, systematisch einen organisationsumfassenden Veränderungsprozess zu steuern und zu gestalten, der - unter Einbeziehung und Einbindung der Betroffenen - durch aufeinander abgestimmte Interventionen, die sowohl bei den Strukturen, Sys-

temen, Prozessen und der Kultur einer Organisation als auch bei dem individuellen Denken, Fühlen und Verhalten ansetzen,

- die Effektivität und Effizienz der Unternehmensleistungen erhöht und die organisationale sowie individuelle Lernfähigkeit fördert.

Den Kern des systematischen Vorgehens bildet die zyklische Abfolge der Phasen „Diagnose“ und „Intervention“. Langfristiges Ziel von OE-Maßnahmen ist somit die Generierung und Steigerung des individuellen Entwicklungspotentials und des unternehmerischen Erfolgspotentials (ELKE, 1999).

Kasten 5.4: Definition von Organisationsentwicklung

Die Systematik der Problembearbeitung im Rahmen von OE-Maßnahmen geht auf den von Kurt Lewin begründeten Ansatz der Aktionsforschung zurück. Es handelt sich um einen fortwährenden Zyklus der Phasen „Diagnose“, die eine systemati-sche Datensammlung, Analyse und Bewertung umfasst, und „Intervention“, d.h. die Planung und Realisierung von Maßnahmen. Die Überprüfung und Bewertung der Maßnahmen im Hinblick auf ihre Wirksamkeit stellt wiederum eine Diagnose dar, für die üblicherweise der Begriff „Evaluation“ gewählt wird. Die Systematik des Vorgehens entspricht dem Steuerungszyklus und beinhaltet zugleich die Rückkopplungsschleifen organisationaler Lernprozesse im Sinne von ARGYRIS und SCHÖN (1986). In Abbildung 5.3 ist die Übertragung der Systematik auf das Gesundheitsmanagement dargestellt. Organisationsentwicklung (OE) und das Vorgehen eines betrieblichen Gesundheitsmanagementsystems sind, da sie von derselben Systematik ausgehen, sehr ähnlich (vgl. Abb. 2.3).

Systematik

Neben dem systematischen Vorgehen von OE sind bezogen auf die Gestaltung von Veränderungsprozessen weitere „Gesetzmäßigkeiten“ zu berücksichtigen. Lernen oder die Einführung von Änderungen kann z. T. massive emotionale Wi-derstände auslösen (s. Kasten 5.5). Eine Vielzahl von Barrieren steht, wie zuvor näher ausgeführt wurde, dem Erlernen neuen Verhaltens und seiner Integration in das alltägliche Handeln entgegen. Nach dem 3-Phasen-Modell von LEWIN (1963), das als das wichtigste Modell für die Ablaufgestaltung von OE-Maßnahmen anzusehen ist und in immer neuen Varianten auftaucht, sollte in der ersten Phase („unfreezing“) eines OE-Prozesses die Motivation für die angestreb-ten Änderungen geschaffen werden. Während die zweite Phase („moving“) auf die Entwicklung von neuen Verhaltensweisen und Arbeitsabläufen abzielt, ist in der dritten Phase („refreezing“) ihre Stabilisierung und Integration in den Arbeits-alltag zu leisten.

3-Phasen-Modell von LEWIN

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

142

Trotz vielfältiger Formen und Möglichkeiten organisationalen Lernens findet Lernen in vielen Fällen nicht statt. Unterschiedliche Barrieren spielen eine wichtige Rolle:

Lernbarrieren

Routinen: Veränderungen bedeuten zunächst Ungewissheit. Das Althergebrachte ver-mittelt nicht nur Sicherheit, sondern geht in vielen Fällen auch leichter von der Hand und kann mit individuellen Vorteilen verbunden sein. Aber selbst, wenn sich eine ein-fachere Vorgehensweise besser zur Zielerreichung eignet, wird oft das bewährte Vor-gehen beibehalten. Das Verlernen von gelernten Regeln, die später zu Gewohnheiten werden, ist schwierig. Z. B. kann der langfristige Nutzen durch die Einarbeitung in eine neue Schreibsoftware in Frage gestellt werden. Angesichts der zunächst notwen-digen zusätzlichen Arbeitszeit und Anstrengungen sowie der Erwartung oder Be-fürchtung, dass mit der neuen Software auch die Ansprüche an die Gestaltung zu-künftiger Texte steigen, bleibt man lieber beim Althergebrachten. Denkschemata: Vor allem bezogen auf die eigene Gesundheit ist zu beobachten, dass häufig an gesundheitsschädigendem Verhalten, wie z.B. Rauchen oder falscher Er-nährung, festgehalten wird, obwohl die Konsequenzen offensichtlich sind. Der ver-stärkende Effekt des schädigenden Verhaltens ist größer als der Einfluss des Wissens um die negativen Folgen. Das Festhalten an riskanten Verhaltensweisen wird durch kognitive Mechanismen, wie die Reduzierung kognitiver Dissonanz in Form der Ausblendung der tatsächlichen Ursache-Wirkungsbeziehungen oder dem optimisti-schen Fehlschluss: „Ich werde nicht erkranken“, unterstützt. Hinzu kommt die Schwierigkeit, in Systemen zu denken, mögliche Nebeneffekte und langfristige Fol-gen mitzudenken. Soziale Mechanismen: Nach ARGYRIS & SCHÖN (1996) wird in Organisationen mit beschränkten Lernsystemen das Verlernen z.B. durch Mechanismen, wie „Ge-schickte Unfähigkeit“, verhindert. Durch Verzerrungen oder Auslassungen wird ver-sucht, Bestehendes zu erhalten, obwohl es nicht mehr angemessen ist. Der Mecha-nismus der „defensiven Routinen“ zielt darauf ab, einzelne Personen oder Gruppen vor peinlichen und bedrohlichen Situationen zu bewahren. Das Verhindern von Ver-lernen oder Lernen in Organisationen steht in vielen Fällen im Zusammenhang mit der Sicherung von Einfluss und Macht. Informationspathologien sind ebenfalls als wichtige Lernbarrieren in Organisationen hervorzuheben (PAUTZKE, 1989). So lässt sich z.B. anhand der Analysen von Ka-tastrophen, wie der Explosion der Weltraumfähre Challenger oder dem Reaktorun-glück von Tschernobyl, zeigen, dass fehlende oder unzureichende Kommunikation sowie Verzerrungen bei der Weitergabe und Aufnahme von Informationen maßgeb-lich zur Auslösung der Unglücke beigetragen haben (REASON, 1994). Vielfach sind die Informationspathologien auch strukturell bedingt: Viele Hierarchieebenen verhin-dern Lernen durch eine Filterung von Informationen. In funktionsbezogenen Strukturen kann eine Abschottung der Spezialisten organisa-tionalem Lernen entgegenstehen. Lernen in Teamorganisationen setzt einen team-übergreifenden Austausch voraus. Es kommt zu einem Produktivitätsparadox: Die Verbesserung in einer Einheit führt nicht notwendigerweise auch zu Fortschritten in anderen Einheiten. Die Ausweitung lokaler Lernprozesse auf den Gesamtbetrieb scheitert an der Gestaltung der Schnittstellen zwischen einzelnen Bereichen oder Ebenen. Vielfach sind die Widerstände gegen Lernen nicht mehr von der Organisation selbst zu überwinden, sondern erfordern die Unterstützung durch externe Berater im Rah-men von Organisationsentwicklungsmaßnahmen.

Kasten 5.5: Lernbarrieren

Hilfe zur Selbsthilfe

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

143

Eine OE-Maßnahme wird in den meisten Fällen von einem externen Beraterteam eingeleitet und begleitet. Beratung im Sinne von OE bedeutet allerdings nicht das Angebot von Expertenlösungen, sondern die professionelle Moderation eines Pro-zesses, in dem die Beteiligten modellhaft erfahren und lernen, wie sie Probleme effektiv selber bewältigen können. Die Verantwortung liegt bei den betrieblichen Entscheidungsträgern und allen Beschäftigten. Sie sind gleichwertige Partner in einem gemeinsamen Problemlösungsprozess: OE ist Hilfe zur Selbsthilfe. Berater können zwar den Organisationsmitgliedern eine neue organisationale Handlungs-theorie vermitteln und sie bei deren Implementierung unterstützen, aber die Theo-rie greift nur dann, wenn sie zur Gebrauchstheorie im betrieblichem Alltag wird. Die zugrunde liegenden Lern- oder Sozialisationsprozesse setzen die Einbezie-hung und Einbindung der Betroffenen voraus. Ihre Gestaltung erfordert auf Seiten der Berater eine hohe Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz.

5.4.2 Vorgehen

Das Ziel der Einführung eines integrativen betrieblichen Gesundheitsmanage-mentsystems (GMS) (s. Kap. 2.5) ist die Gestaltung einer flexiblen, lernenden Gesundheitsorganisation. Sie existiert nicht neben der Linie als isolierte Stabsstel-le oder Stabsabteilung, so wie sie in vielen Fällen als bisherige Arbeitsschutzor-ganisation mit Sicherheitsfachkräften und Betriebsärzten umgesetzt worden ist. Sie ist in die Aufgaben, Prozesse und Strukturen der Abteilungen und Teams in-tegriert.

GMS: Ziel und Merkmale

Ein wesentliches Merkmal eines GMS ist ein Personalmanagement mit erklärten Gesundheitszielen und -standards, das von den Führungskräften getragen und durch Personalsysteme und Informationen der Fachabteilungen unterstützt wird (s. Kap. 3). Das können zum einen die Personalabteilung, zum anderen die Ar-beits- und Gesundheitsschutz-Abteilungen sein. Das Informationsmanagement liefert die aufbereiteten Daten für die zu organisierenden Prozesse im Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS). Insbesondere werden die zu erreichenden Ziele, die Vereinbarungen und Standards sowie der derzeitige Stand der Aktivitäten für die entsprechenden Zielgruppen und Ebenen sachgerecht aufbereitet und zurückge-meldet. Dem betrieblichen Berichts- und Dokumentationswesen als Instrument zur Speicherung organisationalen Wissens kommt ebenfalls eine besondere Rolle zu. Eine entwickelte Gesundheitskultur unterstützt die für den AGS kritischen Entscheidungen und Aktivitäten und hilft, das Verhalten durch Einstellungen und Werthaltungen zu koordinieren und zu kanalisieren.

Organisationales Lernen basiert zwar auf der Rückmeldung und Verfügbarkeit von Informationen. Im Zentrum steht aber die Führung der Beschäftigten, der gezielte Einsatz und die Förderung ihrer Ressourcen, denn die Dynamik der Prozesse ent-wickelt sich allein aus dem Potential der Menschen. Die Unterstützung und För-derung ihrer Entwicklungspotentiale und Motivation sind für jeglichen Erfolg wesentlich. Die Ergebnisse der GAMAGS-Studie (ZIMOLONG, 2001a) stützen, wie zuvor skizziert wurde, die besondere Rolle des Personal- und Informations-

Potential der Menschen

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

144

managements für ein erfolgreiches AGS-Management ebenso wie die Bedeutung einer positiven Gesundheitskultur.

In Abbildung 5.5 ist das Vorgehen einer OE-Maßnahme zur Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems (GMS) skizziert.

KoordinationsteamMonatliche Treffen

Qualifizierungs-Maßnahmen

Schulungen allerFührungskräfte

KooperativeGefährdungsanalysen

Schwerpunktesetzen

Abstimmung undKoordination

Integration in dasBetriebsgeschehen

FÜHRUNGdurch

Z I E L S E T Z U N G

OrganisatorischeRegelungen

Beurteilungssystemfür Führungskräfte

Anreizsysteme

AGU-Handbuch

Workshopmit betrieblichen Entscheidungs- und Funktionsträgern, Betriebsrat

Datenrückmeldung

IST-SOLL-ANALYSE

Bewertung

SituationsanalyseInhalte: AGU-Leistungen: Stand, Überwachung, Dokumentation Politik, Organisation, Personal- und Informationsmanagement Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit Sicherheitseinstellungen und Praktiken im Alltag Methoden: Dokumentenanalyse, Begehungen, Beobachtungen,

mündliche und schriftliche Befragungen

DIAGNOSE

INTERVENTION

Aktionsteams

Rückmeldung und ErfolgskontrolleBefragungen von Führungskräften und Mitarbeitern- Führung und Kommunikation- Aspekte sicherheits- und gesundheits- gerechten Verhaltens

UnfallstatistikenInterviewsSicherheitsgesprächeÖffentlichkeitsarbeit

Workshop- Präsentation, Diskussion und Bewertung des erreichten Leistungsstandes- Absprachen zur Fortführung und Sicherung der eingeleiteten Maßnahmen- Beschluß der Einführung eines GAMAGS in anderen Werkbereichen

EVALUATION

Abbildung 5.5: Exemplarischer OE-Prozessablauf

Den Anlass für die durch externe Berater begleitete OE bildet zumeist der Auftrag eines Unternehmens, es bei der Bewältigung spezifischer Problemlagen, wie zu hohe Produktions- und/oder Personalkosten, bedingt durch Störungen und Fehler

Anlass

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

145

in den Arbeitsabläufen, kritische Ausschussraten, hohe Unfallzahlen, Ausfall- oder Fehlzeiten, zu unterstützen. In den ersten Kontakten wird zunächst die Durchführung einer Situationsdiagnose als Grundlage für das weitere Vorgehen vereinbart.

5.4.3 Diagnose

Den ersten Schritt der Diagnose bildet die Analyse der Ausgangssituation. Im zweiten Schritt werden die Analyseergebnisse in einem Modell, das die zentralen Problemgrößen und ihr Zusammenwirken abbildet, zusammengefasst. Der ab-schließende dritte Schritt umfasst die Bewertung der Ergebnisse in Form eines Ist-Soll-Abgleiches, der in die Planung von Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele mündet.

In Abhängigkeit von der Problemlage sind verschiedene Bereiche, Ebenen und Gruppen, wie z.B. Gesamtorganisation, Abteilungen, Arbeitsgruppen, Mitarbeiter, Führungskräfte aus der Linie und den Servicebereichen, AGS-Funktionsträger, Betriebsrat, Kontraktoren oder andere Netzwerkpartner eines Unternehmens in die Analyse einzubeziehen. Einerseits ist ihr Beitrag zur Aufrechterhaltung und Lö-sung des Problems zu untersuchen. Andererseits ändern sich die Sichtweise der Situation und damit auch die Definition des Problems in Abhängigkeit von der Stellung in der Organisation, der auszufüllenden Funktion und Profession (SCHEIN, 1993). Eine erfolgreiche Problembewältigung muss diese Vielschich-tigkeit in allen Phasen des OE-Prozesses berücksichtigen.

Vielschichtigkeit

Ein besonderes Gewicht im Rahmen der Einführung eines GMS liegt auf der Un-tersuchung der Mitarbeiterführung und den eingesetzten Personalsystemen und -instrumenten. In Kasten 5.6 ist eine Checkliste zur Erfassung des Personalmana-gements wiedergegeben.

Die Gestaltung eines Gesundheitsmanagementsystems durch OE kann prinzipiell zwei Vorgehensweisen wählen:

Prinzipielle Vorgehensweisen

1. Sie kann vorhandene Strukturen, Systeme und Instrumente nutzen und sie um Sicherheits- und Gesundheitsleistungen ergänzen: Werden z.B. in einem Unternehmen regelmäßig Beurteilungsgespräche mit den Führungskräften der mittleren Ebene geführt, so können die Beurteilungskriterien um Indikatoren einer erfolgreichen Führung im AGS erweitert werden.

2. Ebenso können neue Strukturen und Vorgehensweisen eingeführt werden: Gibt es z.B. in einem Unternehmen keine Anreizsysteme, so ist zu überlegen, inwieweit durch die OE ein solches System zunächst für den AGS eingeführt wird.

Da das GMS auf die Integration von Sicherheit und Gesundheit AGS abzielt, sind in der Bestandsaufnahme sowohl die allgemeinen als auch die speziell gesund-heitsbezogenen Management- und Personalsysteme zu erfassen. Allerdings reicht die Analyse der Unternehmensdokumente, wie Beschreibungen von Systemen und Verfahren, zur Erfassung des Personalmanagements nicht aus. In vielen Fäl-

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

146

len liegen z.B. Führungs- oder Beurteilungssysteme in dokumentierter Form vor, aber sie werden im Alltag nicht oder nur in einzelnen Einheiten eingesetzt (s. Kap. 3.2.2).

Teil 1 Personalsysteme, Instrumente und Aufgaben Die Personalsysteme werden danach klassifiziert, ob sie a) allgemein eingesetzt und b) speziell für den AGS eingesetzt werden. Weiter wird der dokumentierte Status (Personalabteilung) und gelebte Status (Befra-gung der Beschäftigten) erhoben. 1. Führungssystem Schriftliche Führungsleitlinien Führungsstil (Delegation, Partizipation, Zielsetzung...) Geforderte Aufgaben im AGS Kontrolle durch Vorgesetzten Gekoppelt mit Beurteilungs- Anreiz-, Versetzungs-, Qualifizierungssystem 2. Beurteilungssystem Schriftliches Beurteilungsverfahren für tarifliche Mitarbeiter leitende Angestellte Beurteilung regelmäßig mit/ohne Lohn/Gehaltszulage Gekoppelt mit Führungs-, Anreiz-, Versetzungs-, Qualifizierungssystem 3. Anreizsysteme für welche Leistungen (Reduzierung Unfälle, ...) für tarifliche Mitarbeiter für leitende Angestellte Art der Anreize (Prämien, Zuschläge, Qualifizierung, ...) Gekoppelt mit Führungs-, Beurteilungs-, Versetzungs-, Qualifizierungssystem 4. Versetzungs/Beförderungssystem für welche Leistungen (Reduzierung Unfälle, ...) für tarifliche Mitarbeiter für leitende Angestellte Gekoppelt mit Führungs-, Beurteilungs-, Anreiz-, Qualifizierungssystem 5. Qualifizierungssystem Festgelegtes Weiterbildungsprogramm (3-5 Maßnahmen in 5 Jahren) für tarifliche Mitarbeiter für leitende Angestellte Gekoppelt mit Führungs-, Beurteilungs-, Anreiz-, Versetzungssystem Teil 2 Mitarbeiterführung 1. Führungsstil: Vorbild, Motivation, Zielsetzung, Zielvereinbarung, Rückmeldung, Kontrolle 2. Kommunikation: Qualität und Umfang

Kasten 5.6: Checkliste Personalmanagement

Im Hinblick auf alle Management- und Personalsysteme und -instrumente ist zwi-schen dem dokumentierten und gelebten Status zu unterscheiden. In den Inter-views mit den Führungskräften können bei Diskrepanzen mögliche Gründe erfragt werden. Die Antworten liefern wichtige Informationen sowohl über Lernbarrieren als auch über Ressourcen. Denn viele Vorgehens- und Verhaltensweisen, die für

Dokumentierte versus gelebte Systeme

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

147

den betrieblichen Erfolg wichtig sind, sind keineswegs schriftlich fixiert oder per Dokument gefordert.

Eine weitere Frage bezieht sich auf die Abstimmung der Personalinstrumente auf- und untereinander. Beispielsweise sieht das Managementsystem MbO eine Kopp-lung zwischen Führungs-, Beurteilungs- und Anreizsystemen vor. Die vereinbar-ten Ziele bilden den Bezugsrahmen für die Beurteilung von Sicherheits- und Ge-sundheitsleistungen und die damit verknüpfte Höhe der Prämie.

Im Hinblick auf die angestrebte Implementierung eines Lernprozesses und einer organisationsumfassenden Veränderung ist die Untersuchung der dokumentierten und im Alltag umgesetzten Austauschprozesse, Regelkreise und Schnittstellenges-taltung ebenfalls von zentraler Bedeutung. Beispielsweise sind die Fragen zu klä-ren, welche gesundheitsbezogenen Daten erhoben werden und wie der Austausch von Informationen, die Rückmeldung wichtiger Ergebnisse und Ereignisse in der Linie, zwischen den Serviceabteilungen und externen Netzwerkpartnern erfolgt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass oft fehlende Daten, mangelhafte Rückkopplung und Kommunikation maßgeblich zur Entstehung von Problemen beitragen und Lernen verhindern. In vielen Fällen fehlen nicht nur entsprechende Strukturen zur Steuerung der Information, wie offizielle Wege, festgelegte Anlässe und Formen, sondern einem konstruktiven Austausch steht auch ein von Misstrauen geprägter Kommunikationsstil entgegen.

Kommunikation

In Abhängigkeit von der Problemlage kann es sinnvoll sein, auf der operativen Ebene an Arbeitsbesprechungen teilzunehmen, Arbeitsbedingungen und Abläufe in einzelnen Bereichen und das Arbeitsverhalten bestimmter Mitarbeitergruppen zu untersuchen. Als Verfahren zur Datengewinnung können generell bei entspre-chender Zielsetzung alle verhaltenswissenschaftlichen Erhebungsmethoden und Instrumente eingesetzt werden. Vorrangig in der Praxis benutzte Methoden sind: Dokumentenanalysen, Verhaltensbeobachtung, Begehungen, Audits, Interviews und schriftliche Befragungen (ELKE, 1996).

Datengewinnung

Das Augenmerk ist bereits in der Diagnosephase auf potentielle Schwachstellen des Gesamtsystems bzw. die Verknüpfungen zu richten. Abweichungen, Wider-sprüche und Unvereinbarkeiten im Alltagsgeschehen bilden Indikatoren für Kon-fliktherde, Spannungsfelder und Schwachstellen. Parallel sind potentielle Stärken und vorhandene organisationale Ressourcen zu untersuchen und zu berücksichti-gen. Die Analyseergebnisse werden vom Beraterteam gebündelt.

Die Situationsanalyse des Gesundheitsmanagements von BHV, einem Unternehmen aus dem Bereich „Feinmechanik und Elektrotechnik“, ergab einen unterdurch-schnittlichen Leistungsstand des AGS. Gestützt wurde diese Einschätzung vor allem durch die im Vergleich zur Branche viel zu hohen Unfallzahlen und krank-heitsbedingten Fehlzeiten: Sie lagen bei ca. 10% und die meldepflichtigen Ar-beitsunfälle betrugen in einzelnen Bereichen ein Fünffaches des Branchendurch-schnittes (vgl. Abb. 5.7). Diese schlechten Zahlen und die damit einhergehenden

Beispiel: BHV Ausgangslage

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

148

hohen Kosten -allein für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall musste das Un-ternehmen mehr als 2 Mio. Euro pro Jahr aufbringen- bildeten auch den Anlass für die Werksleitung, ein Beraterteam mit der Einführung eines GMS zu beauftra-gen. Vorrangiges Ziel war zunächst die Verbesserung der Arbeitssicherheit. Wäh-rend der Umweltschutz in den letzten Jahren zu einem expliziten Unternehmens-ziel geworden war, spielten Sicherheit und Gesundheit in der Unternehmenspoli-tik und als Ziele des Managements von BHV keine Rolle. Das Informationsmana-gement hinsichtlich des AGS beschränkte sich auf die gesetzlich geforderten Be-richte und Dokumentationen. Jährlich wurde ein Bericht mit Unfallzahlen und den üblichen Statistiken, wie verletzte Körperteile und Zeitpunkt des Unfallgesche-hens, vorgelegt. Dieser hatte keinerlei Auswirkungen auf die Anstrengungen des Unternehmens, die Sicherheits- und Gesundheitsarbeit zu verbessern. Typisch war ferner die Behandlung der Unfallursachen, die als menschliches Versagen darge-stellt wurden: Unachtsamkeit des Mitarbeiters, Faulheit, Desinteresse oder „ein-fach Pech“ waren die häufigsten der geäußerten Ursachen.

Für die oberen Führungsebenen lagen zwar generelle Führungs- und Beurteilungs-systeme vor, aber es gab keine speziell auf den AGS bezogene Personalsysteme. Ebenso waren weder Sicherheit noch Gesundheit ein besonderes Thema im Alltag der Führungskräfte und Mitarbeiter, obwohl die Fertigung von BHV auf dem Ein-satz von gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen basierte und mit hohen Belastun-gen für die Beschäftigten einherging. Die meisten Tätigkeiten erforderten von den Beschäftigten zwar keine besonderen Qualifikationen, aber ein hohes körperliches Leistungsvermögen. Mit dem niedrigen Leistungsniveau im AGS korrespondierte auch eine schlechte ergonomische Arbeits- und Technikgestaltung.

Die gebündelten Analyseergebnisse wurden den Betroffenen vom Beraterteam zurückgemeldet. Die Diskussion und gemeinsame Bewertung mündeten in eine von allen Beteiligten getragene Problemdefinition, der Abklärung des Soll-Zustandes und der Ableitung des weiteren Vorgehens. Am Ende der Diagnose-phase standen eine mit der Geschäftspolitik abgestimmte Leitlinie und Strategie der zukünftigen AGS-Arbeit. Die Ziele der OE-Maßnahme wurden verbindlich festgelegt und die Zuständigkeiten sowie die Verantwortlichkeiten im Rahmen der Prozesskoordination geregelt.

Zielvereinbarung

Vor allem überzeugte die Rückspiegelung der schlechten AGS-Leistungen die Führungskräfte der oberen Ebenen von der Notwendigkeit, ein GMS einzuführen. Es wurde vereinbart, in einer Abteilung zu starten und sich zunächst auf die Ver-besserung der Arbeitssicherheit zu konzentrierten. Konkret wurde die Halbierung der absoluten Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle von 17 auf 8 Unfälle im Bereich 1 vereinbart. In Bereich 1 arbeiteten zu Beginn der OE-Maßnahme ca. 120 gewerbliche Mitarbeiter.

Als Forum für diese Prozessphase haben sich Workshops mit betrieblichen Ent-scheidungsträgern aller Ebenen und Funktionsträgern, unter Einbeziehung von

Workshops

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

149

Vertretern des Betriebsrates, bewährt. Die notwendige Unterstützung durch das Top-Management wurde bei BHV durch die Anwesenheit eines Vorstandsmit-glieds bei der Zielvereinbarung am Ende des Workshops explizit zum Ausdruck gebracht (vgl. Abb. 5.5).

5.4.4 Interventionen

Die Datenrückmeldung stellt bereits eine erste wichtige Interventionsmaßnahme dar. Durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit den Analyseergebnissen und der Problemdefinition fließt einerseits das Erfahrungswissen der Betroffenen in die Lösungen mit ein, während gleichzeitig die Akzeptanz und das Commitment mit der Maßnahme erhöht werden. Andererseits erfolgen ein Aufbrechen und eine Annäherung der kognitiven Schemata der Organisationsmitglieder, indem z.B. eine übereinstimmende Sichtweise der Ursache-Wirkungszusammenhänge entwi-ckelt oder eine Modifikation der naiven Führungstheorien erarbeitet und verein-bart wird. Es werden so die für organisationales Lernen notwendigen Bedingun-gen geschaffen. Da die Führungskräfte und Mitarbeiter im vorliegenden Fallbei-spiel aber natürlich weiterhin auch über die Arbeitsgrenzen kommunizierten, gab es bereits in dieser Phase Transfereffekte; d.h. auch die Unfallzahlen in anderen Bereichen gingen zurück (s. Abb. 5.7).

Datenrückmeldung

Zur Reduzierung potentieller Lernbarrieren wurde bei BHV ein schrittweises Vor-gehen gewählt: Die Einführung des Managementsystems beschränkte sich zu-nächst auf einen Fertigungsbereich (B1) und wurde dann sukzessiv, in jährlichen Abständen auf die anderen Bereiche (wie B2) ausgedehnt. Das Vorgehen ermög-licht einerseits die konkrete Erfahrung, dass die Maßnahmen zu den angestrebten Ergebnissen führen. Andererseits können die anderen Bereiche auf die Erfahrun-gen und die Unterstützung ihrer Kollegen, z. B. in Form von Patenschaften und dokumentierten Vorgehensweisen, zurückgreifen.

Die Einrichtung eines Koordinationsteams bzw. Lenkungskreises fördert neue gemeinsame Erfahrungen und damit organisationales Lernen. Es handelt sich um eine parallele Lernstruktur. Die Zusammensetzung des Teams wurde bei BHV am Ende des Workshops vereinbart, aber vorher schon mit den Entscheidungsträgern abgesprochen. Die Besetzung hat im Sinne der Steuerung durch Eingangskontrol-le (s. Kap. 2.4.2) einen wichtigen Einfluss auf den Erfolg der OE-Maßnahme. Dem Team gehören im Regelfall neben den betrieblichen Entscheidungs- und AGS-Funktionsträgern, Vertreter der Beschäftigten und die Berater an. Seine Aufgabe ist es, die Einführung des Managementsystems zu steuern (vgl. Abb. 5.5). Es hat die Umsetzung der auf dem Workshop vereinbarten Politik, Strategien und Ziele zu initiieren, zu überwachen und zu überprüfen. Das Team koordiniert die unternehmens- und/oder netzwerkweite AGS-Arbeit und schafft die Bedin-gungen für kontinuierliche Lernprozesse.

Lenkungskreis

Im Mittelpunkt eines integrativen GMS steht die Entwicklung und Förderung der Menschen als wichtigste Ressource organisationaler Leistungen, d.h. das Perso-

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

150

nalmanagement. Die wichtigsten Medien sowohl für die Entwicklung menschli-cher Potentiale als auch für die Lösung inhaltlicher Probleme stellen der Aus-tausch von Informationen und die Kommunikation, als Verständigung und Einig-keit über die Sicht der Dinge, dar. Die Optimierung organisationaler Austausch-prozesse und die Förderung einer Sicherheits- und Gesundheitskultur bilden somit den Schwerpunkt der Interventionen. Eine gesundheitsförderliche Arbeitssystem-gestaltung unterstützt, fördert und stabilisiert gesundheitsförderliches Verhalten.

Als eine erste zentrale Maßnahme wurde bei BHV auf dem Workshop die Einfüh-rung des Konzeptes „Führen durch Ziele und Rückmeldung“ im AGS vereinbart und durch die getroffenen Zielvereinbarungen zugleich umgesetzt. Für die oberen Führungsebenen war das MbO-Konzept als generelles Führungssystem eingeführt und wurde auch gelebt. Im Rahmen der OE sollte der Einsatz von MbO nicht nur auf den AGS, sondern auch auf die unteren Hierarchieebenen in Form von „Füh-rung durch Zielvereinbarung“ ausgedehnt werden. Die Zielvereinbarung der Ein-führungsphase bei BHV, die Unfälle um 50% zu senken, wurde in den nächsten Schritten auf die anderen Bereiche übertragen und in der zweiten Phase um die Vereinbarung erweitert, die krankheitsbedingten Fehlzeiten um 2%-Punkte zu reduzieren. Diese Vereinbarungen wurden auf der operativen Ebene in konkrete Ziele und Maßnahmen überführt. Die Umsetzung von Führung durch Zielverein-barung setzte eine entsprechende Qualifikation auf Seiten der Führungskräfte voraus. Da in der ersten OE-Phase bei BHV nur wenige Führungskräfte beteiligt waren, erfolgte ihre Qualifizierung durch Coaching. In der zweiten Phase nahmen die Führungskräfte aller Ebenen des Bereichs gemeinsam an einem Training teil. Die Grundlage für das Konzept und Vorgehen des Trainings bildete ein von den aktuellen betrieblichen Bedarfen und Zielen abgeleitetes Anforderungssprofil. Am Ende der Schulung sprachen die Vorgesetzten jeweils mit den Mitarbeitern die konkreten Ziele ab und überwachten die Umsetzung. Im Lenkungskreis wurde regelmäßig über die Zielvereinbarungen, den Stand der erreichten Ziele und die Maßnahmen berichtet. Damit wurde der Transfer des gelernten Verhaltens in die Praxis durch die Etablierung von Rückmeldungsschleifen in der Linie und zum Koordinationsteam unterstützt.

Führung durch Zielvereinbarung

Um das Führungssystem im AGS zu unterstützen, mussten auch die Daten über Unfälle, Verbandbucheintragungen, Krankheitsdauer und -arten neu aufbereitet und den Meistern auf der operativen Ebene zur Verfügung gestellt werden. Dieser Prozess war langwierig, mühselig und mit vielen Rückschlägen verbunden. Die Neugestaltung des AGS-Informationssystems entwickelte sich zu einem kontinu-ierlichen Verbesserungsprozess.

AGS-Informationssystem

Bei BHV, einem hierarchisch-strukturierten Unternehmen, in dem die Einführung von Gruppenarbeit erst am Anfang stand, wurden die Mitarbeiter zunächst durch Befragungen, abteilungsbezogene Workshops und durch von den Abteilungslei-tern und Meistern initiierten Maßnahmen in die AGS-Arbeit einbezogen. Im wei-teren Beratungsverlauf wurden dann von den Aktionsteams kooperative Gefähr-

Kooperative Gefährdungsanalysen

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

151

dungsanalysen durchgeführt. Die Aktionsteams analysierten, ähnlich wie die Si-cherheits- und Gesundheitszirkel, Gefährdungen und Belastungen an ihren Ar-beitsplätzen, leiteten Maßnahmen ab und überwachten die Maßnahmen auf Akti-onstafeln in den Hallen (vgl. Abb. 5.6). Wichtig ist, dass durch den Meister und Abteilungsleiter die Entscheidungskette präsent war und sich das Koordinations-team durch Berichte von Mitgliedern der Aktionsteams und im Rahmen regelmä-ßiger Begehungen über den Stand der Dinge vor Ort informierte.

AGU Aktionstafel

Arbeitssicherheit, Gesundheits-, Umweltschutz HBV

Nr. Aktionsteam

A5

Gefährdung, Mängel, Probleme Maßnahmen

Fertigungsbereich B 1

Mein Beitrag Betrieb Zuständig Termin

Vermerk

1 Name: Heinz Gefährdung: um-herliegende Bän-der Maßnahme: Ein-sammeln

Gefährdung: Fußgänger und Gabelstapler im Hochregallager

Maßnahme: Trennung der Wege durch Gitter

Name: Instand-haltung

Termin: 52 KW

erledigt

2 Name: Gefährdung: Maßnahme:

Gefährdung: Maßnahme:

Name: Termin:

Abbildung 5.6: Aktionstafel

Die OE-Maßnahme bei BHV startete in der ersten Abteilung (Bereich 1) und im Laufe von drei Jahren wurden nach und nach alle der insgesamt fünf Bereiche in den Prozess einbezogen. In den drei Beratungsjahren wurde eine Fülle von Maß-nahmen und Aktivitäten zur Sicherung und weiteren Optimierung des AGS durch-geführt. Beispielsweise wurden die Leistungen der Führungskräfte im Arbeits- und Gesundheitsschutz als Kriterien in die regelmäßigen Beurteilungen aufge-nommen. Aufgaben und Verantwortlichkeiten wurden festgelegt, Auditierungs-verfahren eingeführt und bestehende Vorgehensweisen modifiziert, neu entwi-ckelt und zusammen mit dem Umweltschutz in einem AGU-Handbuch dokumen-tiert. Gegen Ende standen auch die krankheitsbedingten Fehlzeiten zur Verfügung und wurden systematisch als Informationen genutzt. Eine Analyse der nicht mel-depflichtigen Unfälle und Verbandbucheintragungen war in Vorbereitung. Immer mehr Mitarbeiter wurden ab dem zweiten Jahr durch die kooperativen Gefähr-dungsanalysen und Aktionsteams in die Sicherheits- und Gesundheitsarbeit einbe-zogen und durch zentrale Veranstaltungen und Gesundheitswochen koordiniert und motiviert. Es entwickelte sich zudem eine enge Zusammenarbeit mit der Be-triebskrankenkasse (BKK). Gestützt wurden die Maßnahmen durch umfangreiche

Flankierende Maßnahmen

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

152

Investitionen in eine sicherheits- und gesundheitsgerechte Arbeitssystem-gestaltung.

5.4.5 Evaluation

Das kontinuierliche Feedback zur kurzfristigen Optimierung der Maßnahmen und Prozesskoordination wird und wurde bei BHV durch eine langfristig angelegte Erfolgskontrolle ergänzt. Neben der Überprüfung, ob die gesetzten Ziele erreicht oder die geplanten Maßnahmen mit dem erwarteten Effekt durchgeführt wurden, können als Indikatoren für eine Verbesserung der Unternehmensleistungen ganz unterschiedliche beobachtbare Sachverhalte herangezogen werden, wie: die Stei-gerung der Produktion und Qualität, Reduktion der Kundenbeschwerden und Feh-lerkosten, weniger Störungen, Ausfallzeiten und Arbeitsunfälle oder die höhere Beteiligung der Mitarbeiter am Vorschlagswesen (IMAI, 1994 S. 290 ff). Als messbare Auswirkungen einer verbesserten Arbeitsqualität, die sich in einer Er-höhung der Gesundheit und Zufriedenheit der Arbeitnehmer niederschlägt, kön-nen u. a. neben der Senkung der Fluktuationsrate, der Fehlzeiten, des Kran-kenstandes und der Lohnfortzahlungskosten die Ergebnisse von Einstellungsbe-fragungen, Verhaltensbeobachtungen und Audits erhoben werden (s. Kap. 2.5.3).

langfristige Erfolgskontrolle

Den Schwerpunkt der Evaluation bei BHV bildeten die Analyse der Unfall- und Fehlzeitenentwicklung sowie jährliche Befragungen zur Personalführung und zum sicherheits- und gesundheitsgerechten Verhalten mit dem Fragebogen zum Ar-beits- und Gesundheitsschutz (FAGS, ELKE & STAPP, 2001; ELKE, 2001b). Die Befragungen wurden jeweils vier bis sechs Wochen vor dem Start der OE-Maßnahme (Vorhermessung) und dann regelmäßig 11 bis 12 Monate später durchgeführt (Nachhermessungen). Eine ausführliche Darstellung des Evaluati-onsdesigns, der eingesetzten Instrumente und durchgeführten Überprüfungen sind bei ELKE und ZIMLONG (2005) dargestellt. Nachfolgend soll nur auf einige ausgewählte Ergebnisse eingegangen werden.

Die in Abbildung 5.7 dargestellte Unfallentwicklung zeigt, dass die meldepflich-tigen Arbeitsunfälle (MAU) je 1 Mio. geleisteter Arbeitsstunden im Bereich 1 nach dem Start der OE-Maßnahme im Jahre 1995 von 60 auf 30 gesunken sind. Das gesetzte Ziel, die Reduzierung der Unfallzahlen um 50% wurde damit im ersten Jahr erreicht. Allerdings gilt das nicht für das zweite Beratungsjahr: 1996 stiegen in B1 die Unfälle wieder an, blieben aber unter dem Ausgangsniveau. Die Einführung des GMS im Bereich 2 im folgenden Jahr führte ebenfalls zu einer Reduzierung der Unfallzahlen um mehr als 50%, dieser Trend setzte sich auch in 1998 fort.

Ergebnisse

Nach dem ersten Jahr wurde neben dem Start der OE im Bereich 2 auch verein-bart, die krankheitsbedingten Fehlzeiten (KFZ) der gewerblichen Mitarbeiter, für die der Betrieb die Lohnfortzahlung zu tragen hatte, um 2% Punkte zu senken. Die KFZ lagen vor der Intervention in B1 mit 7,4% und in B2 mit 8,6% ca. 3% bzw. 4% über dem Durchschnitt der KFZ vergleichbarer Betriebe. Die vereinbarte

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

153

Reduzierung der KFZ wurde in B1 und B2 nicht erreicht. Direkt nach der Zielver-einbarung war zunächst eine Senkung der KFZ in beiden Bereichen um 23% zu beobachten. Nachfolgend stiegen die KFZ wieder an, allerdings blieben sie unter dem Ausgangsniveau. Nach 12 Monaten hat B1 seine KFZ um 0,8 %-Punkte und B2 um 1,6%-Punkte reduziert.

MAU je 1 Mio geleisteterArbeitsstunden

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

100

1992 1993 1994 1995 1996 1997

Bereich 1 Bereich 2 Branche

Start OE Bereich 1

Start OEBereich 2

Abbildung 5.7: Unfallentwicklung bei BHV

Um auszuschließen, dass es sich bei der Reduzierung der AGS-Kennzahlen um einen allgemeinen Trend handelt, wurde der Einfluss der Einführung des GMS auf die Entwicklung der betrieblichen MAU und KFZ regressionsanalytisch über-prüft. Der Beratungsstatus wurde als Dummyvariable modelliert. Die Ergebnisse zeigen, dass der Beratungsstatus ein bedeutsamer Prädiktor für die Entwicklung der MAU und KFZ darstellt (vgl. ELKE & ZIMOLONG, 2005). Die Varianzauf-klärung beträgt 32% bzw. 24%. D. h. die Einführung des GMS geht erwartungs-gemäß mit einer Reduzierung der meldepflichtigen Arbeitsunfälle als auch der krankheitsbedingten Fehlzeiten einher.

Die Ergebnisse der Befragung1 mit dem FAGS vor dem Start der OE (vorher) und 12 Monate später (nachher) zeigen, dass in beiden Bereichen die Mitarbeiter nicht nur die Gefährdungen in ihrem Arbeitsbereich nach einem bzw. zwei Jahren bes-ser einschätzen konnten, sondern sie gaben auch an, stärker selber aktiv zu wer-den. Dagegen nahm im Bereich 1 bei den Mitarbeitern die generelle Bereitschaft ab, Verantwortung zu übernehmen. Sie schätzten zudem das betriebliche Enga-

Mehr Wissen weniger Verantwortung ?

_________________________________________________

1 Alle skizzierten Ergebnisse basieren auf statistisch bedeutsamen Unterschieden (vgl. ELKE & ZIMOLONG, 2005)

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

154

gement für den AGS nach zwei Jahren geringer ein als zu Beginn der OE. Im Be-reich 2 stieg dagegen das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter und nach ihrer Einschätzung nahm auch die Bedeutung von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb (Skala „Sicherheits- und Gesundheitsnormen“) signifikant zu, d. h. in diesem Bereich konnte im Gegensatz zu B1 die Entwicklung einer positiven Ge-sundheitskultur unterstützt werden (s. Abb. 5.8).

3,03,13,23,33,43,53,63,73,83,94,0

vorher nachher

Gefährdungs- einschätzung

Eigeninitiative Sicherheits- und Gesundheitsnormen

Veranwortungs-übernahme

B 1 B 2 B 1 B 2 B 1 B 2 B 1 B 2

Abbildung 5.8: Entwicklung des Gefährdungswissens, der Einstellungen und Sicherheits- und Gesundheitsnormen

2,8

3,0

3,2

3,4

3,6

3,8

4,0

B 1 B 2 B 1 B 2 B 1 B 1 B 1 B 2 B 1 B 2

Motivation Zielsetzung KontrolleVorbild Rückmeldung

Führen durch

vorher nachher

Abbildung 5.9: Führungsverhalten aus Sicht der Mitarbeiter

5 Managementsysteme für die betriebliche Gesundheitsförderung

155

Bezogen auf das Führungsverhalten lassen sich im Bereich 1 ebenfalls nicht durchgängig die erwarteten Verbesserungen beobachten. Während in Bereich 2 nach der Einführung des Managementsystems verstärkt im AGS durch Vorbild, Motivation, Zielsetzung, Kontrolle und Rückmeldung geführt wurde, war im Be-reich 1 lediglich ein Anstieg der Führung durch Motivation festzustellen. Führung durch Zielsetzung und Rückmeldung nahm aus Sicht der Mitarbeiter dieses Berei-ches sogar ab (s. Abb. 5.9).

Führung im AGS

Die unterschiedlichen Entwicklungen in den beiden Bereichen B1 und B2 sowohl in Bezug auf die Unfälle als auch auf die Einschätzungen der Mitarbeiter sind auf dem Hintergrund, dass es sich um dieselbe OE-Maßnahme handelt, zunächst nicht zu verstehen. Die Ergebnisse sind aber keineswegs überraschend, wenn man die Prozesse in den beiden Bereichen miteinander vergleicht. Am Ende des ersten Jahres fand in Bereich 1 ein Führungswechsel sowohl auf der Meister- als auch Abteilungsleiterebene statt. Die neuen Führungskräfte waren bis zu dem Zeit-punkt noch nicht in den OE-Prozess eingebunden und für sie standen 1997 zu-nächst die Produktionsaufgaben an allererster Stelle. Der Lenkungskreis trat zu diesem Zeitpunkt nur noch alle zwei Monate zusammen und konnte auf den An-stieg der Unfallzahlen nur mit Verzögerung reagieren. Zwar wurde in der Folge-zeit der Trend umgekehrt, die absoluten Unfallzahlen liegen unter 10, doch zeigt gerade diese Entwicklung die Empfindlichkeit von OE-Prozessen. Der Anstieg der Unfallzahlen ist ein Indikator dafür, dass ein Lernprozess zwar für einen Teil der Führungskräfte, aber nicht für alle und auch nicht auf der operativen Ebene der Mitarbeiter stattgefunden hat. Bedingt durch das Führungssystem MbO kam es zu einer kurzfristigen Reduzierung der Unfallzahlen mit allen nur erdenkbaren Mitteln: Hoher persönlicher Einsatz, technische Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, Durchführung von Unterweisungen, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen bis hin zur Einführung von Schonarbeitsplätzen. Nur wurden die Mitarbeiter nicht ausreichend unterstützt und gefordert, eigene Maßnahmen und Verantwortung für ihre persönliche Sicherheit und Gesundheit zu entwickeln. In der Folgezeit wur-den verstärkte Anstrengungen unternommen, um die Meister und Mitarbeiter stärker in den OE-Prozess einzubinden, z.B. durch kooperative Gefährdungs-analysen und Aktionsteams.

Misserfolge als Anstoß zum Lernen

5.4.6 Fazit

Im Rahmen der Einführungsphase hatte der Lenkungskreis die Funktion des über-greifenden Systemmanagements übernommen, indem Ziele vereinbart, Schwer-punkte gesetzt, Maßnahmen geplant, koordiniert und die Integration der AGS-Ziele in das Alltagsgeschehen unterstützt, der Prozess überwacht und die Wirk-samkeit der Maßnahmen überprüft wurden.

Die Sicherung und Weiterentwicklung des Gesamtsystems wird trotz der imple-mentierten Steuerungs- und Lernzyklen kein Selbstläufer werden, sondern bedarf eines übergreifenden Managements sowie des Einsatzes von Personalmanage-ment- und Informationssystemen. Im Rahmen der Einführung eines GMS in ei-

GMS ist kein Selbstläufer

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

156

nem Unternehmen aus dem Bergbau wurde die Funktion des Systemmanagements von dem gesetzlich vorgeschriebenen, aber erweiterten Arbeitsschutzausschuss übernommen (ELKE, 2000, S. 116ff). Andere Unternehmen richten zur Erfüllung der notwendigen übergreifenden Systemsteuerung, z. B. die Stelle eines System-managers ein oder, wie Du Pont, ein Team, das „Central Safety, Health & Envi-ronment Committee“, und ergänzen die systemimmanenten (betriebsspezifischen) Regelungs- und Steuerungskreise durch interne und externe Auditverfahren, wie u. a. durch system-, produkt- und verfahrensorientierte Audits.

Die Ergebnisse aus der GAMAGS-Untersuchung (s. Kap. 3) zeigten, dass Unter-nehmen sehr unterschiedliche Systeme einsetzen, um das AGS-Leistungsniveau zu stabilisieren oder zu verbessern. Die Gestaltung und der Einsatz von Strukturen und Managementsystemen hängen dabei wesentlich von der entwickelten AGS-Kultur ab. Die besten Unternehmen mit einer jahrzehntelangen AGS-Kultur auf höchstem Niveau setzen nur noch sehr sparsam vernetzte Personalsysteme ein. Damit stabilisieren sie ihre Leistungen auf einem hohen Niveau. Unternehmen, die auf dem Wege in die Bestengruppe sind, müssen sehr viel mehr tun, um ihre Strukturen und Systeme zu verändern. Das haben auch die Fortschrittsbetriebe (s. Kap. 3.2.2) gezeigt: Sie setzen viele Systeme ein. Es konnte in dieser Unter-nehmensgruppe kein systematisches Muster gefunden werden. Ähnliches gilt für BHV: Nur durch einen großen persönlichen Einsatz der Führungskräfte und Be-schäftigten, durch die Gestaltung und den Einsatz vieler Systeme war der Fort-schritt möglich.

No one best way

Die Dauer einer OE zur Einführung eines Sicherheits- und Gesundheitsmanage-mentsystems ist neben der Bereitschaft einer Organisation, sich verstärkt für eine gesundheitsförderliche Arbeit zu engagieren, von der Größe, dem erreichten Leis-tungsniveau und der Fähigkeit der Organisation zum Lernen und zur Selbstorga-nisation abhängig. Im Durchschnitt dauert die Implementierung ein bis zwei Jah-re. Die Einführung eines GMS in dem Bergbauunternehmen (ELKE, 2000, S. 116ff) konnte nach zwölf Monaten abgeschlossen werden. Sie wurde vom Unter-nehmen in Eigenverantwortung und mit großem Erfolg fortgesetzt. Allerdings war die Ausgangsbedingung hinsichtlich einer bereits etablierten Sicherheits- und Gesundheitsorganisation und -kultur bei dem Bergbauunternehmen wesentlich günstiger als im zuvor dargestellten Fall. Bei BHV startete die OE-Maßnahme bei einem sehr niedrigen AGS-Leistungsniveau und konnte weder auf einer si-cherheits- und gesundheitsförderlichen Arbeitssystemgestaltung noch auf einer positiven Sicherheits- und Gesundheitskultur, wie im Falle des Bergbauunterneh-mens, aufbauen. Der Prozess war mit Rückschritten verbunden, aber dennoch konnte die Reduzierung der Unfälle um 50% nach einem Jahr erreicht werden. Auch die krankheitsbedingten Fehlzeiten sanken, wenn auch nicht im angestreb-tem Umfang.

OE-Dauer

Literaturempfehlung

157

Literaturempfehlung

Brandenburg, U., Nieder, P., & Susen, B. (Hrsg.). (2000). Gesundheitsmanage-ment im Unternehmen. Weinheim: Juventa.

Elke, G. (2000). Management des Arbeitsschutzes. Wiesbaden: Gabler (Kap. 5, 6 und 7)

Greif, S., Runde, B. & Seeberg, I. (2004). Erfolge und Misserfolge beim Change Management. Göttingen: Hogrefe.

Kohte, W. (2001) Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung. In H. Pfaff & W. Slesina (Hrsg.), Effektive betriebliche Gesundheitsförderung (S.53-62). Weinheim: Juventa.

Zimolong, B., Elke, G. & Trimpop, R. (2006). Gesundheitsmanagement. In B. Zimolong & U. Konradt (Hrsg.), Ingenieurpsychologie. Enzyklopädie der Psychologie (Bd. D-III-2, S. 633-668). Göttingen: Hogrefe.

5.4 Einführung eines Gesundheitsmanagementsystems

158

Übungsaufgaben zu Kapitel 5

1. Nennen Sie drei Gesundheitssysteme der VW AG einschließlich ihrer Teil-systeme

2. . Was sind Gesundheitsprogramme und wie unterscheiden sie sich vom Gesundheitsmanagement?

3. Was ist der Steuerungszyklus?

4. Welche zwei Vorgehensweisen können im Rahmen der Gestaltung eines integrativen Gesundheitsmanagementsystems gewählt werden?

Literaturverzeichnis 159

Literaturverzeichnis

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Lösungen der Übungsaufgaben 179

Lösungen der Übungsaufgaben

Kapitel 1

1. Nennen Sie die Quellen im Bericht der Bundesregierung „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ für die arbeitsbedingten Erkrankungen, die Berufserkrankungen und die Arbeits- und Wegeunfälle:

- für die Erkrankungen: Angaben über Pflichtversicherte und freiwillig Versicher-te der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen

- für die Berufserkrankungen und Unfälle: Geschäftsergebnissen des Hauptver-bands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und des Bundesverbandes der Un-fallkassen

2. Entscheiden Sie über die Richtigkeit der folgenden Aussagen und geben

Sie die Prozentzahlen an:

„Im Straßenverkehr gab es im Jahr 2000 mehr Unfalltote als bei der Er-werbsarbeit oder im Freizeitbereich.“

Die Aussage ist richtig. 51% gehen auf Verkehrsunfälle zurück, 41% auf den Freizeitbereich. 3. Bestimmen Sie die Rangfolge von arbeitsbedingten Erkrankungen anhand

der Arbeitsunfähigkeitstage in den folgenden Kategorien:

Rang 1: Muskel -Skelett

Rang 2: Atemwege

Rang 3: Verletzungen und Vergiftungen

Rang 4: Psychische und Verhaltensstörungen

Rang 5: Verdauungsorgane

Rang 6: Herz- und Kreislauf

Lösungen der Übungsaufgaben 180

4. Welchen Anteil haben Rückenschmerzen an Muskel-Skelett-Erkrankungen? Nennen Sie die Einflussfaktoren.

Bei den MSE dominieren nach Fällen (60%) und Tagen (57%) die Wirbelsäulen- und Rückenleiden. Rückenschmerzen stellen die Einzeldiagnose mit dem größten Anteil von 16 AU-Tagen pro Fall dar. Einflussfaktoren sind:

Biomechanische Faktoren: Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, ein-seitige Belastungen, Ganzkörpervibration

Konstitutionelle Faktoren: Alter, Geschlecht, Körpergröße, Kondition und Beweg-lichkeit. Einfluss ist umstritten.

Psychosoziale Faktoren: Fehlbelastungen (Stress) durch hohes Arbeitstempo, Zeitdruck, geringe Autonomie oder geringe soziale Unterstützung. Beiträge von psychischen Fehlbelastungen sind umstritten.

Kapitel 2

1. Skizzieren Sie die zunehmende Bedeutung von Präventionsnetzwerken und nennen Sie mindestens drei Beispiele.

Netzwerke stellen in Zeiten eines hohen Konkurrenzdruckes eine generelle Strate-gie von Unternehmen dar, die Unwägbarkeiten der Umwelten aktiv z. B. durch Kooperation mit den konkurrierenden Unternehmen abzumildern. Sie gewinnen auch in der Prävention zunehmend an Bedeutung, um effektiver die steigenden Anforderungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu bewältigen. Beispiele für Präventionsnetzwerke sind: Regionales Netzwerk: „Runder Tisch Siegen“ (RTS); Branchennetzwerk: Kompe-tenz Service-Center der öffentlichen Verwaltung (VER-T-iCall); Info-Netzwerk: Prävention-Online.

2. Stellen Sie sich vor, Sie sind Leiter einer Baustelle. Welche prinzipiellen Möglichkeiten haben Sie, um das Verhalten der Arbeiter auf der Baustelle so zu steuern, dass sie sich sicherheitsgerecht verhalten. Nennen Sie min-destens ein konkretes Beispiel für die jeweilige Kontrollform.

Prinzipiell wird zwischen Maßnahmen der Eingangs-, Prozess- und Ergebniskon-trolle unterschieden. Beispiele für die Steuerung sicherheitsgerechten Verhaltens auf der Baustelle sind: Eingangskontrolle: Auswahl der Firmen: Die Firmen müssen z. B. durch eine SCC-Zertifizierung nachweisen, dass sie hohe Standards im AGS umsetzen. Schulung der Mitarbeiter: Der einzelne Mitarbeiter muss vor Arbeitsbeginn auf der Baustelle an einer Sicherheitsunterweisung vor Ort, die dokumentiert wird teilnehmen.

Lösungen der Übungsaufgaben 181

Prozesskontrolle: Es finden regelmäßige Begehungen der Baustellenleitung und der Funktionsträger im AGS statt. Auf den täglichen Arbeitsbesprechungen müs-sen die Führungskräfte (Meister) kurz über sicherheitskritische Vorkommnisse. Ergebniskontrolle: Monatliche Statistik der Arbeitsunfälle und Ausfallzeiten, Schadenhöhe aufgrund von fahrlässigem Verhalten

3. Skizzieren Sie nachfolgend die Rolle und Aufgaben der verschiedenen Ak-teure im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz:

Unternehmer: Er trägt die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Er hat sicher zustellen, dass die Arbeit sicher und gesundheitsgerecht ausführbar ist und auch ausgeführt wird. Er delegiert die Aufgaben und Verant-wortung an seine Führungskräfte in der Linie und überwacht ihre Arbeit.

Führungskräfte: Sie sind für die Sicherheit und Gesundheit in ihrem Bereich verantwortlich. Sie haben zugleich gegenüber ihren Mitarbeitern eine Fürsorge-pflicht.

Arbeitnehmer: Er ist nach den gesetzlichen Vorgaben aufgefordert, sich aktiv an der Gestaltung einer sicherheits- und gesundheitsförderlichen Arbeit zu betei-ligen.

Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASI) und Betriebsarzt: Beide haben bera-tende Stabsfunktionen. Sie unterstützen die Betriebsleitung/Führungskräfte bei der Umsetzung . a. in Form von Begehungen, Vorsorgeuntersuchungen, Schu-lungen, Arbeitsplatzgestaltung etc.)

Sicherheitsbeauftragter: Der SIBA ist ein regulärer Beschäftigter. Er über-nimmt die Beratung und Beobachtung der Sicherheitsarbeit vor Ort als ehren-amtliche Zusatzfunktion.

4. Wie kann die Sicherheit und Gesundheit in einem Unternehmen nachhal-tig gesichert und gefördert werden?

Nach dem Arbeitsschutzgesetz ist ein Unternehmer verpflichtet einen organisatio-nalen Rahmen zur nachhaltigen Sicherstellung der Sicherheit und Gesundheit in seinem Betrieb zu schaffen. Gesundheitsmanagementsysteme unterstützten als formale Führungssysteme die Leitung bei der systematischen Steuerung der Si-cherheits- und Gesundheitsleistungen. Eine ganz zentrale Rolle für eine erfolgrei-che betriebliche Gesundheitsförderung kommt dem Personalmanagement und IuK-Management sowie den Führungskräften und ihrem Verhalten zu. Grundle-gend für den Erfolg ist eine positive Gesundheitskultur.

Lösungen der Übungsaufgaben 182

Kapitel 3

1. Begründen Sie, warum die Leistungsbeurteilung der strukturellen oder der personalen Führung zuzuordnen ist?

Die Leistungsbeurteilung ist eine Führungsaufgabe, die sowohl strukturell unter-stützt (z. B. durch den Einsatz von Beurteilungssystemen, regelmäßige computer-unterstützte Rückmeldungen des erreichten Leistungsstandes etc.) als auch in der direkten Interaktion zwischen einem Vorgesetzten und seinem Mitarbeiter (z. B. im Laufe oder nach Erledigung einer Aufgabe; Erreichen eines Meilenstein) um-gesetzt werden kann.

2. Welche Phasen des Handlungsphasenmodells sind besonders wichtig, wenn Mitarbeiter motiviert und zu unterstützt werden sollen, sich sicherheits- und gesundheitsgerecht zu verhalten? Was sind konkrete Maßnahmen?

Im Prinzip sind alle Phasen bei der Unterstützung und Förderung von motiviertem und erfolgreichem Leistungsverhalten zu berücksichtigen. Mögliche Maßnahmen können sein:

Prädezisionale Phase: Informieren, Anreize in Ansicht stellen; Nutzen aufzeigen

Präaktionale Phase: Konkrete herausfordernde Ziele setzen, Rückmeldung geben

Aktionale Phase: Handlungsspielraum geben; Selbstmanagement unterstützen

Postaktionale Phase: Rückmeldung geben, Belohnung.

3. Welche der nachfolgenden Aussagen ist zutreffend?

Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie nur die Aussage C als zutreffend einge-schätzt haben.

A Die besten Unternehmen der GAMAGS-Studie setzen die meisten Personalsysteme ein.

= nicht zutreffend, da die Fortschrittsunternehmen die meisten System einsetzen. B Sie setzen am häufigsten Beurteilungs- und Anreizsysteme, um die AGS bezogenen Leistun-gen der Führungskräfte zu fördern.

= nicht zutreffend bzw. sie setzen diese Systeme zwar häufiger als die schlechten Unter-nehmensgruppen ein, aber am häufigsten werden die Systeme von den Fortschrittsunter-nehmen eingesetzt..

C Die Abweichungen zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung des Führungsverhaltens sind in den besten Betrieben wesentlich geringer als in den schlechten Betrieben. = zutreffend

Lösungen der Übungsaufgaben 183

D Die Fortschrittsbetriebe der GAMAGS-Studie zeichnen sich dadurch aus, dass sie am innova-tivsten sind und besonders kreative Lösungen einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung entwickelt haben.

= nicht zutreffend, es sind Betriebe, die ihre AGS-Leistungen in den Jahren zuvor ver-besserten.

4. Was versteht man unter „Gesundheitskultur“ und begründen Sie, warum die folgende Aussage nicht „korrekt“ ist:

„Die Firma Meier & Co hat keine Gesundheitskultur.“

Den Kern der Sicherheits- und Gesundheitskultur einer Organisation macht ein Muster von grundlegenden gesundheitsbezogenen Annahmen und Werten aus. Diese Überzeugungen haben sich im Laufe der Zeit im Umgang mit Fragen der Gesundheit und Sicherheit in der Organisation als bedeutsam erwiesen. Sie wer-den von der Mehrheit der Organisationsmitglieder geteilt und als nicht zu hinter-fragende Selbstverständlichkeiten angesehen. Jedes Unternehmen hat eine Sicherheits- und Gesundheitskultur entwickelt, aber es lassen sich große Unterschiede im Hinblick auf eine umfassende Verpflichtung zum Schutz und Förderung von Gesundheit beobachten. Nicht in jedem Unter-nehmen ist es selbstverständlich, dass sicheres Verhalten auch geschätzt wird. Bezogen auf die Firma Meier ist wohl gemeint, dass in dieser Firma wenig Wert auf sicherheits- und gesundheitsgerechtes Verhalten gelegt wird, d. h. es handelt sich eher um eine negative Gesundheitskultur. Kapitel 4

1. Grenzen Sie die proaktive von der reaktiven Präventionsstrategie ab und nennen Sie Einsatzbereiche und die wichtigsten Maßnahmen.

Proaktive Strategie: Mögliche Gefahren, Fehlbelastungen und Gesundheitsrisi-ken im Arbeits-Umweltsystem sollen rechtzeitig erkannt und verhindert werden, am besten in der Planungsphase eines Systems, Produkts oder einer Dienstleis-tung. Reaktive Strategie: Vorhandene Gefahren, Gefährdungen und Fehlbelastungen im Arbeits-Umweltsystem sollen entdeckt und korrigiert werden. Wenn das nicht möglich ist, soll der Mensch vor ihnen geschützt werden, z.B. durch Beratung und Aufklärung. 2. Durch welche Führungsmaßnahmen lässt sich das Sicherheitsklima auf

den verschiedenen Managementebenen beeinflussen?

Auf der operativen Ebene durch die sicherheitsbezogene Qualität der Interaktion von Vorgesetzten und Mitarbeitern, durch Maßnahmen der direkten Führung und durch das Rollenverhalten des Vorgesetzten (indirekte Führung).

Lösungen der Übungsaufgaben 184

Auf der mittleren Führungsebene durch Prioritätensetzung und Erwartung an Füh-rungskräfte der operativen Ebene, durch Information und Rückmeldung, Ressour-cenaufteilung zwischen Produktion und Sicherheit. Das obere Management steuert über Richtlinien der Sicherheits- und Gesund-heitspolitik, Verteilung von Ressourcen und persönliches Rollenverhalten. 3. Welche Funktionen haben Gesundheitszirkel?

Gesundheitszirkel haben die Aufgabe, Analysen und problemorientierte Lösungen für Gesundheitsfragen auszuarbeiten und dem Management vorzuschlagen. In GZ beteiligen sich Mitarbeiter an Problemlösungen und verbessern dadurch ihre Selbstverantwortung und ihr Commitment mit der Gesundheitsförderung. GZ leis-ten einen Beitrag zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung von Mitarbeitern, allerdings nur, wenn sich das Management mit den erarbeiteten Maßnahmen begründet auseinandersetzt. 4. Welche Wirkungen haben kognitiv-behaviorale Trainings, multimodale

Ansätze und Entspannungstechniken? Nennen Sie die Einsatzgebiete.

Die KB-Trainings zeigen gute Wirkungen im Hinblick auf positive Veränderung von Angstreaktionen, persönliche Bewertungen des Selbstwertgefühls, von Kon-trollüberzeugungen und Bewältigungsstrategien. Auch hinsichtlich der Reduzie-rung von Beschwerden über Symptome von Stress, Burnout und psychosomati-schen Reaktionen weisen die KB- und die multimodalen Trainings mittlere Effektstärken auf, ebenfalls für die Verbesserung der Einschätzung der Qualität des Arbeitslebens (u.a. Arbeitszufriedenheit). Die Entspannungstechniken und die multimodalen Ansätze erzielen mittlere Effekte auf den physiologischen Indikato-ren. Eine Kombination der KB-Ansätzen mit Entspannungsverfahren scheint viel versprechend zu sein, vor allem weil Entspannungstechniken für somatische Indi-katoren besonders effektiv zu sein scheinen. Kapitel 5 1. Nennen Sie drei Gesundheitssysteme der VW AG einschließlich ihrer Teil-

systeme.

- Rückfallverhütung und Rehabilitation: Wiedereingliederung mit den Maßnah-men individueller Eingliederungsplan, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, innerbe-triebliche Umsetzung

- Gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeit, d.h. ergonomische, arbeitsorganisa-torische und soziale Gestaltung.

- Gesundheitsbeurteilung und arbeitsmedizinische Betreuung: Gesundheitliche Aufklärung, Ernährungs- und Suchtberatung, Früherkennung, Gesundheitsbeurtei-lungen

Lösungen der Übungsaufgaben 185

2. Was sind Gesundheitsprogramme und wie unterscheiden sie sich vom Ge-sundheitsmanagement?

Vor allem in angelsächsischen Ländern eingeführte systematische Programme zur Gesundheitsförderung und Prävention durch die Bündelung unterschiedlicher Präventionsangebote. Wenn eine Systematik, Evaluation der Ergebnisse und ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (Kontrolle der Prozesse und Ergebnisse) vorliegt, haben wir es mit einem Gesundheitsmanagement zu tun.

3. Was ist Steuerungszyklus?

Der Steuerungszyklus beschreibt ein systematisches Vorgehen mit den Phasen: Ableiten und Setzen von Zielen oder Standards, Beobachten und Messen der Um-setzung, Bewerten der Ergebnisse und Ableiten von Konsequenzen. Die Erfahrung oder das Erkennen von Abweichungen als Auslöser für einen Lern-prozess setzen voraus, dass eine Rückmeldung erfolgt, ob bzw. in welchem Aus-maß das angestrebte oder erwartete Ergebnis erreicht wurde. Der Steuerungszyk-lus, dessen Schritte zu einer Rückkopplung zwischen dem Ergebnis einer Maßnahme und den gesetzten Standards führen, ist damit ein grundlegender Lernmechanismus. 4. Welche zwei Vorgehensweisen können im Rahmen der Gestaltung eines

integrativen Gesundheitsmanagementsystems gewählt werden?

Die Gestaltung eines Gesundheitsmanagementsystems durch OE kann prinzipiell zwei Vorgehensweisen wählen: 1. Sie kann vorhandene Strukturen, Systeme und Instrumente nutzen und sie um

Sicherheits- und Gesundheitsleistungen ergänzen: Werden z.B. in einem Unter-nehmen regelmäßig Beurteilungsgespräche mit den Führungskräften der mittleren Ebene geführt, so können die Beurteilungskriterien um Indikatoren einer erfolg-reichen Führung im AGS erweitert werden.

2. Ebenso können neue Strukturen und Vorgehensweisen eingeführt werden: Gibt es z.B. in einem Unternehmen keine Anreizsysteme, so ist zu überlegen, inwieweit durch die OE ein solches System zunächst für den AGS eingeführt wird.