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Berufsgenossenschaſt Holz und Metall Ihre gesetzliche Unfallversicherung BGHM BGHM-Aktuell Magazin für sicheres & gesundes Arbeiten 4 | 2020 Arbeitsmedizinische Vorsorge Möglichkeiten und Angebote Nachgehende Betreuung Dauerhaſt gut versorgt Schwerpunktthema Mensch und Roboter Blickpunkt Coronavirus Beispiel aus der Praxis, Händehygiene und weitere Informationen

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Berufsgenossenscha� Holz und Metall

Ihre gesetzliche Unfallversicherung

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BGHM-AktuellMagazin für sicheres & gesundes Arbeiten

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Arbeitsmedizinische VorsorgeMöglichkeiten und Angebote

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Schwerpunktthema

Mensch und Roboter

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weitere Informationen

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2 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Prävention wirkt

Es bleibt allgegenwärtig – das Coronavirus. Auch wenn sich die Lage derzeit vielerorts nicht mehr so dynamisch ändert wie zu Beginn der Krise, weiß nie-mand so genau, „wo die Reise hingeht“. Der Umgang mit dem Virus spielt für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz im Betrieb eine grundlegende Rolle. Wie andere Betriebe in dieser Situation vorgegangen sind und vorgehen und wie wichtig eine schnelle und umfassende Reaktion auf die jeweils aktuelle Situation ist, zeigt das Beispiel eines Unternehmens in Baden-Württemberg. Informieren Sie sich außerdem zu den betriebsärztlichen Aufgaben in Zeiten der Pandemie und zu anderen Sachverhalten rund um das Coronavirus.

Die BGHM ist selbstverständlich auch zu vielen weiteren Themen Ihr fachkundiger Ansprechpartner: Schweißen, Bauarbeiten oder etwa Industrierobotersicherheit – Letzteres in diesem Heft mit einem eigenen Schwerpunktartikel. Welche Leistungen die BGHM den Mitgliedsunternehmen und Versicherten außerdem anbietet, können Sie im gerade erschienenen Jahresbericht 2019 lesen. Unter dem Motto: „Einfach sicher. Unsere Leistungen für Sie“ finden Sie hier auch die wichtigsten Kennzah-len für 2019 sowie Infos und Reportagen aus den Kernbereichen Prävention, Reha-bilitation und Verwaltung. Die Bilanz des Jahres 2019 ist für die BGHM und ihre Mitgliedsbetriebe übrigens doppelt positiv: Es gab in den holz- und metallverarbei-tenden Unternehmen mehr Beschäftigte als im Jahr zuvor – bei gleichzeitig weniger Arbeits- und Wegeunfällen. Das zeigt einmal mehr: Prävention wirkt!

Christian HeckHauptgeschäftsführer

Impressum

Herausgeberin:Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) Isaac-Fulda-Allee 18, 55124 MainzVerantwortlich: Christian Heck, Hauptgeschäftsführer

Redaktion:Christiane Most-Pfannebecker, V. i. S. d. PMilena Bähnisch (Mib), RedaktionsleitungEva Ebenhoch (Ebe)Thomas Dunz (Dun)Silke Otto (Oto)

Kontakt zur Redaktion:Telefon: 06131 802-16883E-Mail: [email protected]

Grafik: BGHM

Änderung Versanddaten:E-Mail: [email protected]

Kostenlose Hotlines der BGHM:Allgemeine Fragen: 0800 9990080-0Mitgliedschaft: 0800 9990080-1Arbeitsschutz: 0800 9990080-2Rehabilitation: 0800 9990080-3

Druck:pva, Druck und Medien-Dienstleistungen GmbHIndustriestraße 15, D-76829 Landau in der Pfalz

Für alle nicht gesondert gekennzeichneten Bilder und Grafiken liegen die Urheberrechte bei der BGHM.

Titel: © Kittipong Jirasukhanont/123RF.com

Eine entgeltliche Veräußerung oder eine andere gewerb-liche Nutzung bedarf der schriftlichen Einwilligung der BGHM.

Ausgabe 4/2020 (August). Stand: Anfang Juli 2020

Hinweis: Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen be-zogen sind, meint die gewählte Formulierung stets alle Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nur die männliche oder weibliche Form steht.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. Der Be-zugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nachdruck mit Quellenangabe, auch auszugsweise, nur mit Geneh-migung des Herausgebers.

Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos usw. wird keine Gewähr übernommen und auch kein Honorar ge-zahlt. Für Informationen unter den Links, die auf den in dieser Ausgabe vorgestellten Internetseiten aufgeführt werden, übernimmt der Herausgeber keine Verantwor-tung.

ISSN 1612-5428

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24 Arbeitsmedizinische VorsorgeWelche Anlässe, Vorsorgearten und Ange-

bote gibt es im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge? Lesen Sie es im Fachartikel und erfahren Sie mehr über das zentrale Meldeportal für die nach-gehende Vorsorge sowie betriebsärztliche Aufgaben im Arbeitsschutz in Zeiten der Pandemie.

16 Schwerpunktthema: Mensch und RoboterDie Entwicklung der Industrierobotik kann

als Erfolgsgeschichte gesehen werden – auch aus Sicht des Arbeitsschutzes. Er muss aber mit der Wei-terentwicklung der Technologie Schritt halten. Wie Sie den „etwas anderen“ Kollegen sicher integrieren, lesen Sie ab Seite 16.

30 BerufskrankheitenrechtEinige Berufskrankheiten konnten bisher

nur anerkannt werden, wenn Versicherte die schädi-gende Tätigkeit aufgaben. Dieser sogenannte Unter- lassungszwang wird nun gestrichen. Mit dem 7. SGB IV-Änderungsgesetz, das der Bundestag im Mai be-schlossen hat, tut sich im Berufskrankheitenrecht noch mehr.

Sicheres & Gesundes Arbeiten

08 Stillstandzeiten in der Produktion Wassergemischte Kühlschmierstoffe

10 Pandemie-Planung – ein BeispielEin neuer Arbeitsalltag

12 Was ist sinnvoll? Händehygiene nicht nur in Pandemie-Zeiten

14 DGUV Information mit Gestaltungsempfehlungen Schichtarbeit – (k)ein Problem?

20 Neue Unfallverhütungsvorschrift „Bauarbeiten“ Baustellen-Regeln nun auch für Solo-Selbständige

22 Aktualisierte Technische Regel Neue Gefahrstoffgrenzwerte beim Schweißen

27 Digitale Formate bieten neue Möglichkeiten Das digitale Qualifizierungsangebot der BGHM

Leben & Leistung

05 Mehr Versicherte und Betriebe – weniger UnfälleBGHM veröffentlicht Jahresbericht 2019

28 Nachgehende Betreuung Dauerhaft gut versorgt

31 Bundessozialgericht-Urteil Ausrutschen beim Tanken als Wegeunfall?

© Kittipong Jirasukhanont/123RF.com

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Alles auf einen Klick

Sie lesen lieber online? Alle Artikel auch im Webmagazin auf bghm-aktuell.de

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4 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Meldungen

BGHM-Angebote: Unterweisungen und Betriebsanweisungen in der Corona-Krise

Beschäftigte zu unterweisen und ihnen Betriebsanweisungen zur Verfügung zu stellen sind zwei wichtige Grund-lagen für sichere und gesunde Arbeit. Doch was muss dabei in der Corona-Krise beachtet werden? Wie können Unternehmerinnen und Unternehmer die Minimierung des Infektionsrisikos durch das Coronavirus SARS-CoV-2 in die Betriebsanweisung aufnehmen?

„binmirsicher“ – Neue Ausbildungsmaterialien „Bin mir sicher“ – wenn das die Auszubildenden in ei-nem Betrieb bei ihren Tätigkeiten sagen können, dann haben Ausbilderinnen oder Ausbilder alles richtig-gemacht. Doch wie können sie Azubis für sicheres und gesundes Arbeiten sensibilisieren, sodass es nachhaltig wirkt? Die BGHM unterstützt sie dabei mit den neuen „binmirsicher“-Ausbildungsmaterialien: Die didaktisch aufbereiteten Unterweisungsangebote, bestehend aus einem Ausbilderheft, einem Azubiheft und Video-Tutori-als, schaffen eine gute Basis für den Dialog mit den Azu-bis. In dem Heft für Ausbilderinnen und Ausbilder finden Verantwortliche Informationen und Anregungen, wie sie grundlegendes Wissen wirksam vermitteln. Analog dazu sind die gleichen Themen im Azubiheft passend für die Zielgruppe aufbereitet.

Die „binmirsicher“-Medien thematisieren den Umgang mit Gefahrstoffen, verschiedenen Arbeitsverfahren an

Weitere Informationen

www.bghm.de/binmirsicher

und mit Maschinen (vom Bohren bis zum Schweißen) und bieten Grundlagenwissen zur Sicherheit auf dem Arbeitsweg, zur Arbeitskleidung und zur Ersten Hilfe. Na-türlich geht es hier nicht um trockenes Auswendiglernen! Eine übersichtliche Gliederung, viele Bilder, Praxis-Tipps von Azubis, Wissenstests und die Links zu den Video-Tutorials machen das Angebot zu einer „runden Sache“. Alle „binmirsicher“-Materialien finden sich gebündelt auf der Webseite der BGHM – auch das Ausbilder- und Azubiheft „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ zum Bestellen oder online als PDF.

angepasst werden. Grundlage dafür sind die Schutzmaßnahmen, die im Betrieb als Ergebnis der Gefährdungs- beurteilung festgelegt wurden. „Wir stehen unseren Mitgliedsbetrieben auch und besonders in diesen unge-wöhnlichen Zeiten mit praxisnahen Hilfen zur Seite. Neben den FAQs und den Handlungshilfen für Betriebe, in denen wir grundlegende sowie bran-chenspezifische Maßnahmen zum Schutz vor Coronaviren beschreiben, sind die Hilfen für Unterweisungen und Betriebsanweisungen eine weite-re Unterstützung für den betrieblichen Alltag in Zeiten von Corona“, sagt Ste-fan Gros, Präventionsleiter der BGHM. Die Unterstützungsangebote der BGHM konkretisieren den SARS-CoV-2- Arbeitsschutzstandard des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales.

Die Hilfen für Unterweisungen und Betriebsanweisungen können hier he-runtergeladen werden: www.bghm.de, Webcode 3837.

Alle Infos und Unterlagen der BGHM zum Coronavirus sind im BGHM-News-room unter www.bghm.de/coronavirus zu finden.

BGHM/Ebe

Wie kann eine Unterwei-sung zum Infektionsrisi-

ko gestaltet sein? Um bei der Beantwor-

tung dieser Fragen eine Hilfestellung zu bieten, unter-stützt die BGHM ihre Mitgliedsbe-triebe bei Unter-weisungen und B etriebsanwei-

sungen in Zeiten des Coronavirus

mit drei Dokumen-ten:

• einer Muster-Betriebs-anweisung „Arbeiten im

Betrieb und beim Kunden unter Infektionsgefahr durch das Coronavirus SARS-CoV-2“

• einer Unterweisungshilfe zum The-ma „Betriebliche Maßnahmen zum Infektionsschutz vor SARS-CoV-2“

• einer Muster-Unterweisung zum SARS-CoV-2

Die Dokumente dienen als Basis für Betriebsanweisungen und Unterwei-sungen im Betrieb und müssen nur noch an die Gegebenheiten vor Ort

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Leben & Leistung

Das Resümee des Jahres 2019 fällt für die BGHM gleich doppelt positiv aus. Zum einen verzeichnet sie einen neuen Höchststand an versicherten Personen sowie Mitgliedsbetrieben – und das schon das vierte Jahr in Folge: 5,5 Millionen Beschäftigte sowie freiwillig versicherte Unternehmerinnen und Unternehmer aus 231.500 Mit-gliedsbetrieben der Branchen Holz und Metall standen 2019 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zum anderen gab es trotz dieses Zuwachses insgesamt weniger Arbeits- und Wegeunfälle.

Mehr Versicherte und Mitgliedsbetriebe – weniger Unfälle

BGHM veröffentlicht Jahresbericht 2019

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Leben & Leistung

Prävention lohnt sichTrotz rückläufiger Unfallzahlen: Jeder Unfall ist einer zu viel. Diesem Grundsatz bleibt die BGHM auch in Zukunft verpflichtet. Denn Unfälle erzeu-gen Leid und gefährden oder beeinträchtigen das Leben und die Gesundheit der Menschen. Die Prävention von Arbeits- und Betriebswegeunfäl-len bedeutet für Unternehmensverantwortliche aber auch: Betriebsabläufe bleiben störungsfrei, Beschäftigte fallen nicht krankheitsbedingt aus und ein Arbeitsumfeld, in dem auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit geachtet wird, ist motivationssteigernd für die Belegschaft und für Fachkräfte attraktiv. Zugleich wirkt sich jeder vermiedene Arbeitsunfall positiv auf die Solidar-gemeinschaft der Unfallversicherungsträger aus. Durchschnittlich rund 2.150 Euro kostet es die BGHM im Unfalljahr, wenn ein Beschäftigter bei-spielsweise arbeitsbedingt ausrutscht oder stol-pert und sich infolgedessen verletzt. Mit etwas mehr als 2.400 Euro ist im Schnitt bei Unfällen mit Transportmitteln (kraftbetrieben oder nicht) zu rechnen. In schweren Fällen, aus denen eine Rente hervorgeht, entstehen vom Unfallzeitpunkt bis zum Ende des ersten Rentenjahres nach Stol-per- oder Sturzunfällen durchschnittliche Kosten

Die Unfallhäufigkeit der meldepflichtigen Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter sank von 34,43 im Jahr 2018 auf 32,80 in 2019. Die

absolute Zahl der Arbeitsunfälle reduzierte sich im Vergleich zum Jahr 2018 um 4,1 Prozent: 2019 ereig-neten sich 142.475 meldepflichtige Arbeitsunfälle (2018: 148.640). Die Wegeunfälle verringerten sich um 3,5 Prozent von 21.063 (2018) auf 20.324 (2019). Die Quote der Wegeunfälle pro 1.000 Versicherten für 2019 liegt mit 3,67 unter dem Vorjahreswert von 3,89. Die Zahl der tödlichen Arbeits- und Wegeun-fälle betrug im Jahr 2019 97 (2018: 99).

„Die enge und partnerschaftliche Zusammen-arbeit der BGHM mit Mitgliedsbetrieben und Ver-sicherten sowie das gemeinsame Engagement für mehr Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit wirken sich in vielfacher Hinsicht positiv aus“, stellt Christian Heck, Hauptgeschäftsführer der BGHM, fest. Der persönliche Kontakt mit den Mitgliedsbetrieben sei dafür unerlässlich. Darauf gelte es weiter aufzubauen, wie Heck betont: „Die BGHM bietet für Versicherte und Unternehmens-verantwortliche ein umfangreiches Beratungs- und Dienstleistungsangebot, das kontinuierlich auf die Bedürfnisse der Mitgliedsunternehmen angepasst wird.“

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7BGHM-Aktuell 4 | 2020

Leben & Leistung

in Höhe von rund 50.000 Euro – bei Unfällen mit Transportmitteln (kraftbetrieben oder nicht) sind es im Schnitt sogar rund 90.000 Euro. Doch ungeachtet der jeweiligen Kosten bleibt das En-gagement für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am wichtigsten. So können Unfälle wirkungsvoll vermieden werden.

Rehabilitations- und EntschädigungsleistungenIm Jahr 2019 stellte die BGHM rund 1,97 Milliar-den Euro für Reha- und Entschädigungsleistun-gen zur Verfügung. Das sind knapp 80 Prozent der Ausgaben aus dem BGHM-Haushalt. Allein für Rentenzahlungen wurden 1,2 Milliarden Euro aufgewendet. Des Weiteren erhielten 2019 insge-samt 3.892 Versicherte erstmals eine Unfall- oder Berufskrankheitsrente (2018: 3.698). Davon ge-hen 1.890 auf Arbeitsunfälle, 584 auf Wegeunfälle sowie 1.418 auf Berufskrankheiten zurück. Allein 811 Personen, die eine anerkannte Berufskrank-heit hatten, verstarben im Jahr 2019.

Mehr Anzeigen auf Verdacht einer BerufskrankheitDie BGHM verzeichnete im Jahr 2019 ein Plus von fast fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr bei den Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit. Von den insgesamt 16.896 Verdachtsanzeigen, die 2019 eingingen, war die Berufskrankheit Lärm-

BGHM-Jahresbericht ist online

In ihrem Jahresbericht 2019 veröf-fentlicht die BGHM unter dem Motto „Einfach sicher. Unsere Leistungen für Sie“ neben den wichtigsten Kennzahlen des vergangenen Jah-res auch wichtige Infos, Daten und Fakten aus den Kernbereichen Prävention, Rehabilitation sowie aus der Verwaltung. Zudem gewinnen Leserinnen und Leser durch die Interviews und Reportagen einen lebendigen Einblick in die Angebote und Services, die die BGHM ihren Mitgliedsbetrieben und Versicherten bietet. www.bghm.de, Webcode 1538

2019 gab es in den BGHM-Mitgliedsbetrieben rund 6.100 weniger meldepflichtige Arbeitsunfälle im Vergleich zum Vorjahr. Gleiches gilt für die Wegeunfälle: Es wurden etwa 700 weniger verzeichnet.

schwerhörigkeit am häufigsten vertreten: Insge-samt 5.353 Anzeigen wurden hierzu gestellt – das entspricht einem Zuwachs von 5,4 Prozent im Vergleich zu 2018 mit 5.079 Anzeigen. 3.235 Mal, und damit am zweithäufigsten, war die Berufs-krankheit Hauterkrankungen vertreten (2018: 3.351). 1.628 Verdachtsanzeigen entfielen 2019 auf die Berufskrankheit Asbestose mit Lungenkrebs/Kehlkopfkrebs (2018: 1.606).

Meldepflichtige Arbeits- und Wegeunfälle 2019

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Jahre

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Anzahl Arbeitsunfälle

Anzahl Wegeunfälle

Quote je 1.000 Vollarbeiter (Arbeitsunfälle)

Quote je 1.000 Versicherte (Wegeunfälle)

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Sicheres & Gesundes Arbeiten

8 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Die Corona-Pandemie hat in einigen Produktionsbereichen Stillstände verursacht – doch auch andere Anlässe wie Betriebsferien oder Instandhaltungen führen zu Stillständen von Maschinen oder Betriebsteilen. Sind davon metallbearbeitende Anlagen mit wassergemischten Kühlschmierstoffen betroffen, gilt es zu verhindern, dass der Kühlschmierstoff „umkippt“.

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Stillstandzeiten in der Produktion

Risiko-Minimierung beim Einsatz von wassergemischten Kühlschmierstoffen

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9BGHM-Aktuell 4 | 2020

Sicheres & Gesundes Arbeiten

Einfaches Stillsetzen würde dazu führen, dass der was-sergemischte Kühlschmierstoff (KSS) nicht mehr bewegt und daher nicht ausreichend belüftet wird und „um-

kippt“ („Montagmorgengeruch“). Eine mikrobielle Besiedlung durch Bakterien, Pilze oder Hefen ist in wässrigen Systemen zwar stets vorhanden, doch es kann dann unter solchen Be-dingungen zu vermehrtem Wachstum dieser Mikroorganis-men kommen. Ein „umgekippter“ KSS verursacht vor allem technische Probleme und kann unter Umständen auch die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen.

Sämtliche Betriebszustände, also auch Stillstandzeiten, müssen bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt wer-den. Folgende Maßnahmen können negative Folgen eines Stillstandes minimieren:• Sicherstellen, dass Tätigkeiten im Zusammenhang mit

KSS ausschließlich von unterwiesenen Beschäftigten durchgeführt werden, auf Basis von Betriebsanweisun-gen für Gefahrstoffe (KSS, Systemreiniger, Biozid).

• Bei Herstellern des KSS und/oder der Anlage oder Ma-schine nach speziellen Anforderungen erkundigen, die etwa beim Reinigen und Stillsetzen zu berücksichtigen sind; soweit erforderlich nur mit dem KSS-Hersteller abgestimmte Biozide verwenden.

• Als Ansetz- und Nachsetzwasser nur Wasser mit Trink-wasserqualität benutzen, um die Anzahl von außen eingetragener Mikroorganismen („Keime“) niedrig zu halten; unbedingt verhindern, dass schon längere Zeit stehendes Wasser, beispielsweise aus Vorratsbehältern oder Schläuchen, in die Emulsion gelangt; alte Schläuche gegebenenfalls ersetzen; das Ansetzwasser auf seinen Nitrat-/Nitrit-Gehalt prüfen, falls kein Wasser aus der öffentlichen Wasserversorgung verwendet wird (zum Bei-spiel beim Einsatz von Brunnenwasser); Wasserversorger stellen in der Regel Analysen bereit.

• Alle grundlegenden Maßnahmen für Ordnung, Sauber-keit und Hygiene in und an der Maschine durchführen, zum Beispiel Vermeidung von verschüttetem oder ausge-laufenem KSS (beispielsweise in Bodenwannen).

• Geplante Systemreinigung unbedingt vor dem Stillstand durchführen, insbesondere bei Kreisläufen mit einem Füllvolumen von < 500 bis 1000 l; mit einem Systemrei-niger Ablagerungen („Biofilm“) entfernen; hartnäckige Ablagerungen unter Umständen mechanisch entfernen; nach der Reinigung die Maschine vollständig entleeren, zum Beispiel durch Saugen und Auswischen, damit so wenig wie möglich „alte“ Flüssigkeit zurückbleibt, und wenn technisch möglich insbesondere Anlagen mit < 500 bis 1000 l trockenlegen (auf Korrosionsschutz achten!); nach Ende des Stillstands die Anlage mit frischer Emulsi-on befüllen.

• Wenn der KSS in der Maschine/Anlage verbleiben soll: vor der Stillsetzung alle Prüfungen und Pflegemaßnah-men für den KSS durchführen, wie KSS-Konzentration, pH-Wert, Nitritgehalt; auf wahrnehmbare Veränderungen prüfen; die Konzentration einstellen, was in der Regel durch Einmischen von höher oder niedriger konzentrier-ter Emulsion erfolgt; gegebenenfalls noch eine Zugabe

Gut zu wissen: Corona-Gefahr in Stillstandzeiten

Humanpathogene Viren wie das Coronavirus kön-nen sich nicht im KSS vermehren. Von einer Übertragung durch mögliches Einatmen von KSS-Aerosolen ist also nicht auszugehen. Die Haupt-Infektionsgefahr besteht durch Aerosol-/Tröpfchenübertragung von Mensch zu Mensch. Außer den beschriebenen Maßnahmen, die auch Teil der „Handlungshilfe für Werkzeugmaschinen mit wasserge-mischten Kühlschmierstoffen in Stillstandsphasen“ sind, gelten für den Unternehmer und die Unternehmerin gegen das SARS-CoV-2 die im SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard des BMAS beschriebenen Maßnahmen. Diese wurden in der BGHM-„Handlungshilfe für Betriebe“ sowie weiteren Handlungshilfen konkretisiert. Sie finden die Handlungs-hilfen auf www.bghm.de/coronavirus/handlungshilfen.

Weitere Informationen

• DGUV Information 209-051 „Keimbelastung wasserge-mischter Kühlschmierstoffe“: bghm.de, Webcode 239

• DGUV Regel 109-003 „Tätigkeiten mit Kühlschmierstof-fen“: bghm.de, Webcode 238

von Biozid oder weiteren Chemikalien, zum Beispiel zur Einstellung der Alkalität (pH-Wert) vornehmen; System-reinigung bei starken Abweichungen. Wenn das aktuelle Füllvolumen des KSS-Kreislaufs unbekannt ist (zum Bei-spiel aufgrund von Verdunstungsverlusten oder Ablage-rungen), insbesondere bei KSS-Kreisläufen < 500 bis 1000 l, kein Biozid nachgeben wegen der Gefahr einer Fehldosierung; dann eher das System reinigen (siehe oben). Aufschwimmendes Fremdöl weitmöglichst entfernen (Skimmen, Absaugen), da es sich als Film auf die Oberfläche legt und so die Durchlüftung des KSS erschwert.

• Während der Stillsetzung den KSS in der Anlage regelmä-ßig in Bewegung setzen und dadurch belüften. Dies ge-schieht idealerweise durch Umpumpen, da hierbei auch die Leitungen belüftet werden. Bei kleineren Anlagen kann dafür auch eine KSS-Belüftungspumpe ausreichen.

• Nach der Stillsetzung den Zustand des KSS prüfen und die Sollwerte einstellen; bei KSS-Kreisläufen mit einem Füllvolumen von < 500 bis 1000 l kein Biozid nachgeben (Gefahr einer Fehldosierung); bei starken Abweichungen oder Auffälligkeiten (Aussehen, Geruch) Systemreinigung und KSS-Austausch oder Teilaustausch erwägen.

• Beim Neuansatz des frischen KSS die Herstellerangaben und -informationen beachten.

Dr. Jens Manikowski, Thomas Rabente, Jutta Runné, Harald Sefrin, Dr. Isabel Warfolomeow, BGHM

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10 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Sicheres & Gesundes Arbeiten

Um ihre Beschäftigten vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen, mussten und müssen Unternehmen viel beachten und ihre Arbeit anders organisieren. Der Automatisierungsspezialist Weiss ist eines der Unternehmen, die früh reagiert haben.

Pandemie-Planung – ein Beispiel

Ein neuer Arbeitsalltag

In Krisenzeiten gibt es viel zu besprechen. In kurzen Ab-ständen treffen sich deshalb, virtuell natürlich, Vertre-ter der Geschäftsführung, aus Vertrieb und Service, der

IT-Infrastruktur und viele mehr. Gemeinsam bilden sie den Stab Corona-Prävention bei der Weiss GmbH. „Wir stehen in engem und intensivem Austausch über alle Bereiche der Fir-ma hinweg“, sagt Geschäftsführer Uwe Weiss.

Die Weiss GmbH hat ihren Hauptsitz im baden-württem-bergischen Buchen. Seit 1967 produziert sie Komponenten für die Automatisierung. Mittlerweile mit eigenen Standor-ten in 17 Ländern, unter anderem in China, wo Ende 2019 das Coronavirus aufkam. Für die Pandemie-Planung ein Vorteil: „Wir waren mit den Kollegen in China permanent in Kontakt und wussten daher schon früh, wie ernst die Situa-tion ist“, sagt Weiss.

Einschneidende VeränderungenDas Unternehmen reagiert: Anfang März gründet sich der Präventionsstab, erste Maßnahmen folgen. Zahlreiche Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Buchen und Walldürn wechseln innerhalb von zwei Tagen ins Homeoffice. Büroarbeitsplätze, an denen das nicht mög-lich ist, werden räumlich und zeitlich getrennt. Fertigung und Montage arbeiten in Schichten und in festen Teams, die zeitversetzt im Einsatz sind, um sich nicht zu begegnen. Dazu die Absage aller Veranstaltungen und Dienstreisen, neue Regeln für den Außendienst, Tragen von Mund-Nase- Bedeckung dort, wo der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann, und vieles mehr: Für die Beschäftigten ändert sich der Arbeitsalltag rasant. „Die ersten Wochen waren schwierig, aber die Belegschaft

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Sicheres & Gesundes Arbeiten

Helge Oberle berät als Auf-sichtsperson

der BGHM die Weiss GmbH im Arbeitsschutz. Auch bei der Umsetzung der Maß-nahmen zum Infektions-schutz hat er sie begleitet.

BGHM-Aktuell: Wie haben Sie das Unternehmen in den vergangenen Wochen unterstützt?

Oberle: Ich war im Aus-tausch mit dem Sicher-heitsingenieur der Firma und stand für Fragen jederzeit zur Verfügung. Es wurde schnell deutlich, dass die Maß-nahmen ein hohes Sicherheitsniveau erfüllen.

BGHM-Aktuell: Welche Informationsquellen und Mate-rialien zum Infektionsschutz können Sie Unternehmen empfehlen?

Oberle: Die BGHM hat schon früh Handlungshilfen für Betriebe entwickelt und den SARS-CoV-2-Arbeitsschutz-standard des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-les (BMAS) branchenspezifisch konkretisiert und ergänzt. Das Feedback zeigt uns, dass sie für die Unternehmen ein großartiges Hilfsmittel bei der Umsetzung ihres Konzep-tes sind. Bei weiteren Fragen, etwa zum Versicherungs-schutz, sind die auf den Internetseiten der BGHM veröf-fentlichten FAQs zum Coronavirus zu empfehlen.

BGHM-Aktuell: Worauf sollten Unternehmen beim Infekti-onsschutz besonders achten?

Oberle: Mit der strikten Einhaltung relativ einfacher Maßnahmen können Beschäftigte und Unternehmens-verantwortliche viel dazu beitragen, sich selbst und an-dere vor Ansteckung zu schützen. Abstand halten und Hygiene, insbesondere das gründliche Händewaschen mit Flüssigseife für 20 bis 30 Sekunden, halte ich für ele-mentar. Bei Krankheitsanzeichen sollten Beschäftigte nicht zur Arbeit gehen.

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Infektionsketten durchbrechen, auch im Betrieb!Aktuelle Infos rund um das Coronavirus finden Sie im Newsroom: www.bghm.de/coronavirus

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hat sowohl in der Produktion als auch in der Verwal-tung großartig mitgezogen“, sagt Maximilian Frank, Sicherheitsingenieur bei der Weiss GmbH. „Das waren einschneidende Veränderungen, gerade zum dama-ligen Zeitpunkt.“ Die Akzeptanz sei mit der Zeit ge-wachsen: „Jetzt im Rückblick bekomme ich positives Feedback, dass wir so früh reagiert haben. Viele Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter fühlen sich durch das Kon-zept sicherer.“

Insbesondere auf die Einhaltung der A-H-A-Formel legt das Unternehmen großen Wert: Abstand – Hygiene – Alltagsmaske. „Zwischen den meisten Arbeitsplätzen ist mehr als 1,5 Meter Abstand, überall steht Desinfekti-onsmittel bereit und die Beschäftigten sind unterwiesen“, erläutert Frank. Wo der Abstand nicht eingehalten wer-den könne, seien Mund-Nase-Bedeckungen zu tragen. Wer Sorgen habe, treffe auf offene Ohren: „Für individu-elle Probleme haben wir eine Hotline und eine E-Mail- Adresse eingerichtet. Wir versuchen dann, gemeinsam eine Lösung zu finden.“

Anleitung für die Rückkehr ins BüroDie A-H-A-Formel bleibt den Beschäftigten wohl noch erhalten, andere Maßnahmen werden angesichts der sin-kenden Infektionszahlen gelockert: Im Mai hat das Un-ternehmen die Rückkehr in die Büros vorbereitet. Weiss arbeitet dabei international eng zusammen. An anderen Standorten etwa sei man schon länger wieder vor Ort – mit einer Anleitung, wie sich auf dem Betriebsgelände im Hinblick auf den Infektionsschutz zu verhalten sei. Eine ähnliche Richtlinie gab es dann auch für die Beschäftig-ten in Deutschland. Zudem erinnern Bodenmarkierungen an den Mindestabstand – sogar an der Kaffeemaschine. Aus Besprechungsräumen werden zusätzliche Büros, um die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern zu ge-währleisten.

Hinter der Weiss GmbH liegen Wochen mit großen Ver-änderungen. Frank sagt: „Das Konzept hat sich bewährt.“ Die wenigen Infizierten, die es bisher an den deutschen Standorten gegeben habe, hätten das Virus nicht an an-dere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben.

Lisa Bergmann, BGHM

Kurzinterview: „Hygiene ist elementar“

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Sicheres & Gesundes Arbeiten

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Nicht nur in Pandemie-Zeiten, sondern auch bei der jährlichen „Grippewelle“ steht die Händehygiene im Mittelpunkt des beruflichen und privaten Lebens. Neben der Mindestabstandsregel und dem Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen ist sie in der Corona-Krise eine wichtige Maßnahme, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Eine intensive Händehygiene kann jedoch die Haut schädigen. Die BGHM gibt Tipps für eine hautschonende Händehygiene.

Händehygiene – nicht nur in Pandemie-Zeiten

Waschen, Desinfektion, Schutzhandschuhe – was ist sinnvoll?

Während bei den sogenannten nicht behüllten Viren spezifische Hygienemaßnahmen getroffen werden müssen, können behüllte Viren, wie das SARS-CoV-2-

Virus, sowohl durch eine handelsübliche Waschlotion als auch durch ein begrenzt viruzid wirksames Händedesinfek-tionsmittel inaktiviert werden. Beide Hygienemaßnahmen belasten jedoch die Haut und können bei häufiger Anwen-dung Hauterkrankungen verursachen.

Im Rahmen der Corona-Krise hat das Robert Koch-Institut empfohlen, das Händewaschen in allen Branchen, in denen eine Händedesinfektion nicht unbedingt notwendig ist, zu favorisieren. Eine zusätzliche Händedesinfektion ist nach dem Händewaschen nicht notwendig und sollte unterblei-ben, um die Hautbelastung zu begrenzen. Auch sogenannte „Kombipräparate“, die waschaktive Substanzen und Desin-fektionsmittel enthalten, sollten wegen der starken Hautbe-lastung allgemein nicht genutzt werden.

Händedesinfektionsmittel zu benutzen ist immer dann sinnvoll, wenn zum Beispiel häufige Kundenkontakte oder Kontakte zu pflegebedürftigen oder immungeschwächten Personen bestehen. Weiterhin können sie eingesetzt wer-den, wenn keine Waschgelegenheit zur Verfügung steht, zum Beispiel auf Reisen oder nach der Benutzung mobiler Toilettenkabinen.

In jedem Fall sind intensive Hautpflegemaßnahmen wich-tig, um einer Schädigung der Hautbarriere vorzubeugen oder sie zu begrenzen und um die Regeneration der Haut zu unterstützen.

Verringern Schutzhandschuhe das Infektionsrisiko?Coronaviren, wie zum Beispiel SARS-CoV-2, können nicht durch die intakte Haut in den Körper gelangen. Dies kann allenfalls über eine Berührung der Schleimhäute von Mund, Nase und Augen mit kontaminierten, also mit virushaltigem Material verunreinigten Händen erfolgen. Über diese Kon-takt-/Schmierinfektionen werden Viren zudem in der Umge-bung auch weiter verteilt.

(Einmal-)Handschuhe zu benutzen trägt nicht grundsätz-lich zur Verringerung des Infektionsrisikos bei, da sie ge-nauso kontaminiert werden wie eine unbedeckte Hand. Das Benutzen von Schutzhandschuhen vermittelt daher unter Umständen ein falsches Sicherheitsgefühl. Für Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich der Biostoffverordnung fal-len, gelten selbstverständlich andere Regeln.

Hauttrocknung: Papier, Textil oder Luftstrom?Die Haut sollte mit Papier- oder Textilhandtüchern (Re-traktivspender mit automatischem Vorschub des Hand-tuchs, keine Gemeinschaftshandtücher) getrocknet werden. Warmlufttrockner und Jetstream-Geräte werden zur Hände-

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trocknung nicht empfohlen, unter anderem weil Rück-stände (Seifenreste, Hautschuppen, Reste der mikrobiellen Hautflora) nicht mechanisch entfernt werden und weil die Gefahr besteht, dass Krankheitserreger durch den Luftstrom verbreitet werden.

Sollten Arbeitsmittel gereinigt werden?Je nach Art können Viren eine gewisse Zeit auf Flächen überleben. Werkzeuge oder Flächen, die von mehreren Be-schäftigten mit den Händen berührt werden, beispielsweise Bedientafeln an Maschinen, sollten in der derzeitigen Coro-na-Krise vorsichtshalber nach Schichtende mit handelsübli-chem Reiniger und Einmaltüchern abgewischt werden; die Tücher sollten anschließend entsorgt werden. Der Einsatz von Flächendesinfektionsmittel ist nicht zwingend erforder-lich.

Tipps zur Umsetzung der Hygienemaßnahmen bei InfektionsgefahrDiese Empfehlungen beziehen sich auf behüllte Viren, wie das SARS-CoV-2-Virus. Je nach Art und Gattung können bei Infektionen durch andere Viren andere Maßnahmen not-wendig sein.• Händewaschen 20 bis 30 Sekunden lang mit Waschlotion

aus einer Spenderflasche und Wasser. Anschließend gut abspülen und mit Papier- oder Textiltüchern (Retrak-tivspender) trocknen.

• Wenn Desinfektion notwendig ist: Händedesinfektions-mittel auf trockener Haut anwenden und ausreichend lange bis zur vollständigen Trocknung (circa 30 Sekun-den) in den Händen verreiben. Hinweise des Herstellers berücksichtigen.

• Wenn nach der Hautreinigung oder der Händedesinfek-tion eine Tätigkeit mit hautgefährdenden Stoffen oder Feuchtarbeit ausgeführt wird, sollten geeignete Schutz-handschuhe getragen werden. Handschuhe nur über saubere und trockene Hände ziehen.

Weitere Informationen

• Maßnahmen zum Schutz vor Coronaviren – Handlungs-hilfe „Hygienemaßnahmen“: www.bghm.de, Webcode 3759

• Allgemeine Informationen zum Hautschutz: www.bghm.de, Webcode 227

• Fachbereich Aktuell „Hautschonende Händehygiene in der Corona-Krise“: www.dguv.de, Webcode p021496

• Sachgebiet Hautschutz der DGUV: www.dguv.de, Webcode d35733

• Ist das Tragen von Schutzhandschuhen verboten oder nicht möglich, kann ein Hautschutzmittel mit einem ge-eigneten Wirksamkeitsnachweis für die Tätigkeit benutzt werden.

• Die Anwendung von Hautschutz- oder Hautpflegemittel unter Schutzhandschuhen wird grundsätzlich nicht empfohlen.

• Übermäßige Schweißbildung in Schutzhandschuhen vermeiden, zum Beispiel durch Verwendung von Ge-webe-Unterziehhandschuhen oder Wechsel gegen ein trockenes Paar.

• Hautpflegemittel in längeren Pausen, nach Arbeitsende und über Nacht verwenden. Sie sollten an den Hautzu-stand angepasst sein, feuchtigkeitsbindende Inhaltsstof-fe wie Urea oder Glycerin enthalten und frei von Duft-stoffen sein.

Dr. Birgit Pieper, BGHM

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In den vergangenen Jahren hat eine Flexibilisierung der Ar-beitszeiten zugenommen. Viele Betriebe haben Arbeitszeit-konten oder Jahresarbeitszeitmodelle eingeführt. Ein weiterer

Entwicklungstrend ist die Zunahme von Schicht- und Wochenend-arbeit. Unter Schichtarbeit wird dabei die Arbeit zu wechseln-den Tageszeiten (Früh-, Spät- und Nachtschicht) oder zu kons-tanter ungewöhnlicher Zeit (Dauernachtschicht) verstanden. In Deutschland arbeiten laut dem „Arbeitszeitreport Deutschland 2016“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) circa 20 Prozent der Beschäftigten nicht in der üblichen Achtstunden-Arbeitszeit, sondern in Schichten. Die Zahl älterer Erwerbspersonen in Schicht- und Nachtarbeit und der Anteil von Frauen unter den Schichtarbeitenden haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Der klassische Normalarbeitstag mit Arbeitszeiten zwischen 7 und 17 Uhr betrifft immer weniger Menschen. Damit spielt das Thema Arbeitszeitgestaltung auch im Arbeitsschutz zunehmend eine Rolle.

Schichtarbeit – ihre möglichen FolgenDie Forschung zeigt, dass Schichtarbeit häufig mit erhöhten gesundheitlichen Belastungen einhergeht und gravierende so-ziale Auswirkungen haben kann. Der Beschäftigte lebt in einer „normalen“ Umgebung, arbeitet und schläft jedoch meist zu unnatürlichen Tageszeiten. Der Organismus kann sich dieser Lebensweise nicht anpassen und reagiert möglicherweise mit gesundheitlichen Einschränkungen. Die Folge sind vor allem Schlafstörungen, Leistungsbeeinträchtigungen, häufig auch Magen-Darm-Probleme. Schichtarbeit kann auch familiäre Be-ziehungen belasten.

Beschäftigte können die Auswirkungen auf die Gesundheit durch ihr Verhalten (Verhaltensprävention) nur begrenzt be-einflussen: Individuellen Entlastungs-, Anpassungs- und Aus-weichstrategien sind Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund hat die Gestaltung der Schichtarbeit (Verhältnisprävention) zum Schutz der Beschäftigten immer Vorrang. Um negative Auswirkungen der Schichtarbeit auf die Gesundheit zu mini-mieren, finden sich in zwei DGUV Informationen arbeitswis-senschaftliche Gestaltungsempfehlungen:

Schichtarbeit bringt besondere gesundheitliche Belastungen mit sich und kann negative soziale Auswirkungen haben. Zwei DGUV Informationen bieten arbeitswissenschaftliche Gestaltungsempfehlungen, um negative Folgen von Schichtarbeit auf die Beschäftigten zu minimieren.

DGUV Informationen bieten Gestaltungsempfehlungen

Schichtarbeit – (k)ein Problem?!

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DGUV Information 206-024: Schichtarbeit – (k)ein Problem?! Wegen der zusätzlichen gesundheitlichen Risiken durch Schichtarbeit ist für die betroffenen Beschäftigten eine betriebs-bezogene Prävention besonders wichtig. Die DGUV Informati-on 206-024 ist eine Orientierungshilfe für die Prävention und enthält Anregungen für eine gesundheitsgerechte Arbeitszeit-gestaltung, die auf arbeitsmedizinischen und arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnissen basieren. So sollte beispielsweise • ein Vorwärtswechsel der Schichten (Früh-, Spät, Nacht-

schicht) stattfinden, • der Schichtwechsel schnell erfolgen (maximal zwei bis drei

Tage in einer Schicht),• die Zahl der aufeinanderfolgenden Nachtschichten mög-

lichst klein sein (maximal drei, besser nur zwei) und• Dauernachtschicht vermieden werden.

Weitere Themenschwerpunkte der Broschüre sind unter an-derem Unfallrisiken bei Schichtarbeit, die Gefährdungsbe-urteilung, die Auswirkungen künstlicher Beleuchtung sowie Informationen über eine alter(n)sgerechte Schichtarbeit. Eine Checkliste und Empfehlungen aus der Arbeitswissenschaft helfen bei der Anwendung in der Praxis.

DGUV Information 206-027: Leben mit Schichtarbeit Schichtarbeit hat durch die Lage und Dauer der Arbeitszeiten auch auf das Privatleben und das gesundheitliche Wohlbefin-den der Beschäftigten erheblichen Einfluss. Umgekehrt be-einflussen zum Beispiel Schlaf- und Essgewohnheiten in der Freizeit das Wohlbefinden auch während der Arbeit. So soll-ten Schichtarbeitende nicht hungrig ins Bett gehen, aber auch keine üppigen Mahlzeiten kurz vor dem Schlafen einnehmen. Sowohl Hunger als auch ein überfüllter Magen können zu Ein- und Durchschlafstörungen führen. Diese haben nicht nur Aus-wirkungen auf das Wohlbefinden, sondern auch auf die Leis-tungsfähigkeit.

Die im Herbst 2019 erschienene DGUV Information 206-027 enthält zahlreiche Tipps, die sich nicht allein auf die Arbeits-zeit beziehen, sondern auch die Freizeit betreffen. Entspre-chend geht es in den Kapiteln unter anderem um Chronotypen, also um die sogenannten Frühaufsteher und Morgenmuffel. Es werden Verhaltensregeln und Tipps für guten Schlaf, aber auch für eine gesunde Ernährung oder eine effektive Stressbewälti-gung gegeben. Zusätzlich sind Hinweise zu Beratungs- und Hilfsangeboten zu finden.

Die Broschüren sind das Ergebnis einer Projektarbeit des Sachgebietes „Beschäftigungsfähigkeit“ der DGUV im Fach-bereich „Gesundheit im Betrieb“. Mitgliedsbetriebe können sie im BGHM-Online-Shop bestellen.

Susanne Neisecke und Gudrun Wagner, BGHM

Weitere Informationen

www.bghm.de, Webcode 193 -> Informationen

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Die Verkaufszahlen von Industrierobo-tern steigen seit Jahren. Was die Herstel-ler von Automationsanlagen freut, stellt

Arbeitsschützer vor immer neue Herausforde-rungen. Auf der einen Seite wird der Roboter in der Produktion als Rationalisierungsinstrument kritisch beäugt, auf der anderen Seite überneh-men Roboter Aufgaben, die die Menschen ent-lasten. Ein Blick auf die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung jährlich veröf-fentlichten Unfallzahlen zeigt: Industrieroboter- anlagen sind im Vergleich zu anderen Maschinen relativ sicher – so ereigneten sich im Jahr 2018 bundesweit und branchenübergreifend 169 mel-depflichtige Arbeitsunfälle an Industrierobotern im Vergleich zu 35.732 Arbeitsunfällen an stationären Maschinen insgesamt. Denn zum einen führt der Rückzug von Personen von den Gefahren des Ferti-gungsprozesses zu geringeren Risiken. Diese Risi-ken entstehen zum Beispiel durch Schweißfunken oder herausspritzendes flüssiges Metall. Zum an-deren wurde der Aufschwung der Industrierobotik bereits durch ein fundiertes Regelwerk begleitet.

Regeln und Normen für den Umgang mit RoboternDieses Regelwerk ist die Basis für die Arbeitssi-cherheit. Eines der ersten umfassenden Techni-schen Regelwerke für Industrieroboteranlagen,

die VDI-Richtlinie 2853, wurde in den 1980er-Jah-ren unter Federführung von Fachleuten der da-maligen Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufs- genossenschaft und des Fachausschusses Eisen und Metall II der Zentralstelle für Unfallverhü-tung (heute DGUV) entwickelt. Die Grundzüge dieser Schrift finden sich nach wie vor in den weltweit geltenden Normen für Industrieroboter. Die wichtigsten sind die EN ISO 10218-1 für den „reinen“ Industrieroboter und die EN ISO 10218-2 für die sogenannte Roboterintegration, das heißt die Roboteranlage. Diese harmonisierten Normen sind im Amtsblatt der EU unter der EG-Maschinen- richtlinie 2006/42/EG gelistet und erfüllen damit die sogenannte Vermutungswirkung. Das bedeu-tet, dass für nach diesen Normen gebaute Ma-schinen und Anlagen auch die Einhaltung der EG-Richtlinien angenommen wird.

Für erstmals in Verkehr gebrachte Industrie-roboteranlagen müssen vom Hersteller folgende Unterlagen bereitgestellt werden:• EG-Konformitätserklärung mit CE-Zeichen auf

der Maschine• Betriebsanleitung• Risikobeurteilung (Auslieferung nach Verein-

barung)• Technische Dokumentation (Auslieferung

nach Vereinbarung)

Die Entwicklung der Industrierobotik kann als Erfolgsgeschichte gesehen werden – auch aus Sicht des Arbeitsschutzes. Er muss aber mit der Weiterentwicklung der Technologie Schritt halten.

Schwerpunktthema August 2020: Mensch und Roboter

Den „etwas anderen“ Kollegen sicher integrieren

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Vom Gesetzgeber ist vorgesehen, dass der Her-steller die Risikobeurteilung nicht mit der Anlage ausliefern, sondern nur zur Kontrolle für Behör-den vorhalten muss. Möchte der zukünftige Be-treiber die Risikobeurteilung erhalten, sollte er das im Lastenheft festhalten. Gleiches gilt für die Technische Dokumentation. Wer sich einen ers-ten Überblick über die Sicherheitsanforderungen verschaffen möchte, kann die DGUV Information 209-074 „Industrieroboter“ bei der BGHM oder der DGUV bestellen.

Unfallgefahren und SchutzmaßnahmenDer bekannteste Industrieroboter ist der Knick-armroboter. Er hat eine serielle Kinematik, also eine Aneinanderreihung von Roboterachsen, und meistens sechs rotatorische Achsen. Darü-ber hinaus gibt es zahlreiche weitere Bauarten, zum Beispiel Scara-Roboter, Portalroboter oder Deltaroboter mit einer Stabkinematik. Alle diese Industrieroboter und -anlagen einschließlich de-ren Werkzeuge bringen eine Vielzahl von mecha-nischen Gefährdungen mit sich – etwa Quetsch- und Schergefahren.

Roboteranlagen müssen daher mit Schutz-einrichtungen umgeben sein, zum Beispiel mit Schutzzäunen, oder Gefahrenbereiche müssen mit Laserscannern oder Lichtvorhängen abge-sichert werden. Eine Ausnahme bilden Arbeits-plätze mit kollaborierenden Robotern, die speziell für die Mensch-Roboter-Kollaboration konzipiert sind. Hinzu kommen Gefährdungen aufgrund des technischen Prozesses (Schweißen, Lasern), wel-che zusätzliche Schutzeinrichtungen erfordern können, wie beispielsweise Blendschutz, Absau-gung an der Entstehungsstelle und Persönliche Schutzausrüstung.

Mehr als drei Viertel aller schweren Arbeitsunfälle an Industrieroboteranlagen er-eignen sich bei der Störungs-beseitigung. Meist geht dem Unfall eine Produktionsstö-rung voraus, etwa durch ver-klemmte Teile oder verschmutzte Sensoren. Die Beschäftigten versu-chen dann mitunter, den Gefahrenbereich bei nicht vorschriftsmäßig stillgesetzter Anlage zu betreten, um die Störung zu beheben. Teilweise erleichtern unzureichend ausgeführte Schutzein-richtungen den Zugang. Häufiger kommt es auch zum Außerkraftsetzen von Schutzeinrichtungen (Manipulation). Oft befinden sich die Roboter während solcher riskanten Aktionen nur in ei-ner softwaregesteuerten Warteposition. Die hohe Reichweite und die Geschwindigkeit von plötzlich einsetzenden Roboterbewegungen werden dabei meist unterschätzt – mit teils schwerwiegenden Unfallfolgen. In den Unterweisungen ist auf diese besondere Gefährdung hinzuweisen. Ursache von Manipulationen sind oft mangelnde Kenntnisse über die Bedienung und das Anlagenkonzept. Diese gilt es offen anzusprechen und zu beseiti-gen. Die Fachleute der BGHM und der DGUV kön-nen dabei unterstützen. Auch Sonderbetriebsar-ten können eine Lösung sein, um beispielsweise bestimmte Prozessschritte beobachten zu können.

Roboteranlagen werden in den Betrieben auch immer wieder umgebaut. Damit geht die Fra-ge einher, ob es sich bei einem Umbau um eine sogenannte wesentliche Veränderung handelt, die eine erneute EG-Konformitätsbewertung erfordert. Diese Frage kann nicht pauschal be-antwortet werden. Überholen, Instandsetzen, ein Werkzeugwechsel und eine Erhöhung des Schutzniveaus gelten nicht grundsätzlich als wesentliche Änderung. Die Fachleute der Berufs-genossenschaft beraten dazu.

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Der Aufschwung der Industrierobotik

wurde von einem fundierten

Regelwerk begleitet.

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Kollaborierende RobotersystemeKollaborierende Robotersysteme stellen ein Bin-deglied zwischen rein manuellen Arbeitsplätzen und Vollautomation dar. In einem je nach Kol-laborationsart weitestgehend schutzzaunlosen Betrieb kann so der Roboter die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter bei manuellen Tätigkeiten unterstützen. Er kann beispielsweise besonders unergonomische oder monotone Arbeiten über-nehmen, während andere Tätigkeiten an diesem Arbeitsplatz weiterhin manuell ausgeführt wer-den.

Nutzen Sie das Plakat und die Checkliste zum Schwerpunkt-thema im Monat August für Ihre betriebliche Prä-ventionsarbeit. Sie sind Bestand-teil des BGHM-Wandkalenders.

Von den derzeit bekannten vier Kollaborations-arten bietet die sogenannte Leistungs- und Kraft-begrenzung besonderes Potenzial (sogenannte Leichtbauroboter). Hierbei müssen Kräfte und Drücke des Roboters einschließlich Werkzeug bei Kontakt mit Personen so begrenzt werden, dass es nicht zu Verletzungen kommt. Die bio-mechanischen Grenzwerte für einen solchen Kontakt waren bisher weitgehend unbekannt. In Forschungsprojekten der DGUV und der BGHM wurden und werden dazu mit Unterstützung von Forschungsinstituten umfangreiche Untersu-chungen durchgeführt. Wesentliche Ergebnisse konnten bereits in die Schriften der DGUV und der BGHM übernommen werden. Die internatio-nale Normung hat diese ebenfalls integriert. Die DGUV Information FBHM 080 „Kollaborierende Robotersysteme“ fasst die wichtigsten Anforde-rungen für kollaborierende Robotersysteme zu-sammen. Eine webbasierte Planungshilfe wird aktuell in einem Forschungsprojekt der BGHM entwickelt und unterstützt zukünftig Planerinnen und Planer auf dem Weg zum sicheren kollabo-rierenden Robotersystem. Die bei der BGHM an-gesiedelten Prüf- und Zertifizierungsstellen des DGUV Test haben bereits zahlreiche kollaborative Systeme sowie sichere Greifersysteme zertifiziert.

Industrie 4.0: Blick in die ZukunftDie Robotertechnologie wird auch zukünftig eine Schlüsseltechnologie sein oder sogar zu der Schlüsseltechnologie werden. Schon heute sind Industrieroboter miteinander vernetzt. Fern-diagnosen und kollaborierende Robotersysteme kommen schon seit einigen Jahren mit Erfolg zum Einsatz, ebenso auf mobilen Plattformen montier-te Roboter. Sprachbefehle, Gestensteuerung und selbst lernende Robotersysteme werden hinzu-kommen. Roboter werden noch mehr als bisher die klassischen Industrieanwendungen verlassen

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Sicheres & Gesundes Arbeiten

Weitere Informationen

• DGUV Information 209-074 „Industrieroboter“: www.bghm.de, Webcode 462

• Interpretationspapier des Bundesministe-riums für Arbeit und Soziales „Wesentliche Veränderungen von Maschinen“: www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsschutz/Produktsicherheit/interpretationspapier-we-sentliche-veraenderung-von-maschinen.html

• DGUV-Information FBHM 080 „Kollaborie-rende Robotersysteme“: www.bghm.de, Webcode 462

• Checkliste Kollaborierende Robotersysteme: www.dguv.de , Webcode d545168

und in andere Branchen vordringen, wie zum Bei-spiel in die Landwirtschaft, Luft- und Raumfahrt, Gesundheit und Pflege.

Aus der Sicht der Arbeitsschützer gilt es, die da-raus erwachsenden Anforderungen zu begleiten und neu zu definieren. Das Vorschriften- und Re-gelwerk muss kontinuierlich den sich ändernden Technologien angepasst werden. Die Sicherheits-technik von Robotersystemen wird sich ebenfalls weiterentwickeln. Zu sicheren Arbeitsräumen, welche schon heute die Roboterbewegungen be-grenzen können, werden leistungsfähige Kame-rasysteme hinzukommen. Durch den Zuwachs an Technologie werden die Steuerungen der Ro-botersysteme komplexer. Daher bleibt es auch in Zukunft wichtig, Prozesssysteme und Schutz-systeme voneinander zu trennen. Übergeordnete Schutzsysteme, zum Beispiel basierend auf La-serscannern oder Kamerasystemen, können im entscheidenden Moment den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin vor einem Unfall schützen.

Dr. Matthias Umbreit, Erik Sebastian, Volker Bautz, BGHM

Mobiler Leichtbau- roboter in Kollabo-ration mit dem Menschen

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Der Arbeitsschutz auf Baustellen, zusammengefasst in der Unfallverhütungsvorschrift (UVV) „Bauarbeiten“, die auch als DGUV Vorschrift 38 bezeichnet wird, ist

neu geregelt worden. Zum 1. Juli 2020 trat die aktuelle Version bei der BGHM in Kraft – neu strukturiert, inhaltlich grund-legend überarbeitet und an das staatliche Vorschriften- und Regelwerk angepasst. Somit gibt es nun klarere und einheit-lichere Regelungen für ein sicheres Arbeiten auf Bau- und Montagestellen. Neu ist beispielsweise, dass diese UVV auch für Solo-Selbständige gilt. Auch sie sind damit verpflichtet, die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft einzuhalten, da diese in erster Linie im öffentlichen Interesse der Verhinderung von Arbeitsunfällen und dem Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen dienen.

Die neue UVV „Bauarbeiten“ wurde erheblich gestrafft. Zu den wichtigsten Themen gehören neben der Baustellen-leitung und -aufsicht die Standsicherheit und Tragfähigkeit von baulichen Anlagen oder Einrichtungen, der Betrieb von selbstfahrenden Arbeitsmitteln und Fahrzeugen auf Bau-stellen sowie Gefahren durch Absturz oder herabfallende Gegenstände.

Allgemeine ÄnderungenIm Abschnitt „Begriffsbestimmungen“ ist nun definiert, was genau ein Arbeitsplatz ist und was Verkehrswege sind. Da-mit ist eine eindeutige Abgrenzung, beispielsweise in Bezug auf unterschiedliche Vorgaben bei Schutzmaßnahmen ge-gen Absturz, möglich. Neu ist zudem die Forderung, dass es bei der Durchführung von Bauarbeiten möglich sein muss, zumindest mit dem Aufsichtführenden oder dessen Vertre-tung in deutscher Sprache zu kommunizieren. Das kann auch über einen Dolmetscher erfolgen, der natürlich die notwendigen Fachbegriffe kennen muss.

Verwendung von LeiternDie Verwendung von Leitern als Arbeitsplatz wurde den Be-stimmungen aus der TRBS 2121 Teil 2 „Gefährdung von Be-schäftigten bei der Verwendung von Leitern“ angepasst. So dürfen sie nur zum Einsatz kommen, wenn andere, sicherere Arbeitsmittel, wie Hubarbeitsbühnen oder fahrbare Arbeits-bühnen (Rollgerüste), nicht verwendet werden können und dies in der Gefährdungsbeurteilung nachvollziehbar be-gründet wurde. Grundsätzlich dürfen Arbeiten auf Leitern nur noch bis zu einer Standhöhe von 5 Metern ausgeführt

Klarere und einheitlichere Regelungen für ein sicheres Arbeiten auf Bau- und Montagestellen: Das bringt die aktualisierte Unfallverhütungsvorschrift „Bauarbeiten“ für Unternehmerinnen, Unternehmer und Beschäftigte. Sie gilt nun auch für Solo-Selbständige.

Die neue Unfallverhütungsvorschrift „Bauarbeiten“

Baustellen-Regeln jetzt auch für Solo-Selbständige

Weitere Informationen

www.bghm.de, Webcode 237

werden, ab 2 Metern ausschließlich zeitweilige Arbeiten. Der Begriff zeitweilige Bauarbeiten wurde in dieser UVV neu de-finiert und umfasst zum Beispiel Wartungs-, Inspektions-, oder kleinere Montagearbeiten, die einen Zeitraum von zwei Stunden je Arbeitsschicht nicht überschreiten. Eine weitere Neuerung ist, dass tragbare Leitern als Arbeitsplatz bei Bau-arbeiten nur eingesetzt werden dürfen, wenn Versicherte mit beiden Füßen auf einer Stufe (Breite mindestens 80 Milli- meter) oder auf einer Plattform stehen. Für vorhandene Sprossenleitern ist der Einsatz von Einhängepodesten mög-lich, wobei hier jedoch die Praxistauglichkeit eingeschränkt ist.

AbsturzDie Festlegungen zu den Absturzhöhen wurden ebenfalls an das staatliche Regelwerk angepasst. Verkehrswege bei Bau-arbeiten sind nun generell ab mindestens 1 Meter Absturz-höhe zu sichern, Arbeitsplätze allgemein dagegen erst ab 2 Metern. Bisher geltende Ausnahmen für Dacharbeiten so-wie für Mauern über die Hand und an Fenstern sind entfal-len. Die bewährte Rangfolge bei der Auswahl von Schutz-maßnahmen gegen Absturz wurde dagegen beibehalten. So gilt nach wie vor, dass Schutzvorrichtungen (zum Beispiel Geländer) vor Auffangeinrichtungen (zum Beispiel Schutz-netz) einzusetzen sind und diese wiederum vor Persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz (PSAgA, zum Beispiel Auffangsystem). Hinzugefügt wurde, dass vor Benutzung von PSAgA beurteilt werden muss, ob sie für die vorgesehe-ne Tätigkeit geeignet sind. Dabei müssen unter anderem der erforderliche Freiraum unter dem Standplatz, geeignete An-schlageinrichtungen oder mögliche Kantenbeanspruchun-gen berücksichtigt werden. Zudem müssen Beschäftigte da-rin unterwiesen werden, wie sie PSAgA verwenden und wie sie erforderliche Rettungsmaßnahmen durchführen.

Erläuterungen zu den Inhalten der DGUV Vorschrift 38 er-folgen noch über eine DGUV Regel, die im Laufe des Jahres 2020 veröffentlicht werden soll.

Stephan Mrosek, BGHM

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Für Betriebe, die Schweißarbeiten durchführen, bedeu-ten die neuen Grenzwerte der TRGS, dass sie mittels einer Wirksamkeitskontrolle deren Einhaltung prüfen

müssen. Die zeitgleich erstellte Normenreihe ISO 21904 liefert zusätzliche Angaben, wie Absaugeinrichtungen für Schwei-ßereien zu gestalten sind und wie deren Wirksamkeit ermit-telt werden kann.

Auf die Konzentration im Atembereich kommt es anGrenzwerte werden mittlerweile medizinisch begründet und nicht mehr nach der technischen Umsetzbarkeit festgelegt. Für krebserzeugende Gefahrstoffe, wie zum Beispiel Nickel und Chrom, sind nun Akzeptanz- und Toleranzkonzentrati-onen (AK/TK) beziehungsweise Bewertungsmaßstäbe (BM) vorgegeben. Ein Beschäftigter, der mit einer Gefahrstoff-belastung in Höhe der Akzeptanzkonzentration über sein gesamtes Arbeitsleben tätig ist, hat ein zusätzliches Risiko

an Krebs zu erkranken von 4 zu 10.000. Zukünftig soll das Akzeptanzrisiko so-gar weiter auf 4 zu 100.000 herabgesetzt werden. Ein Überschreiten der TK wird in keinem Fall akzeptiert. Dabei geht man davon aus, dass bei einer Gefahrstoff-belastung in Höhe der TK über das gesamte Arbeits-leben hinweg statistisch ein zusätzliches Risiko an Krebs zu erkranken von 4 zu 1.000 vorliegt.

Für nicht krebserzeugende Gefahrstoffe liegen Arbeits-

Die kürzlich erschienene Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 528 „Schweißtechnische Arbeiten“ konkretisiert die Vorgehensweise für die Gefährdungsbeurteilung und die daraus abzuleitenden Maßnahmen. Grund für die Aktualisierung sind unter anderem herabgesetzte Grenzwerte.

Aktualisierte Technische Regel

Neue Gefahrstoffgrenzwerte beim Schweißen

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platzgrenzwerte (AGW) vor. Oft wird der AGW irrtümlich mit einem „Werk-hallenmittelwert“ gleichgesetzt, welcher jedoch geringer als der tatsäch-liche Belastungswert am eigentlichen Arbeitsplatz ist. Maßgeblich ist die im Atembereich des betroffenen Mitarbeiters gemessene Konzentration, die oft ein Vielfaches des gesetzlichen Grenzwerts erreicht. Letzteres trifft gegebenenfalls sogar auf die Beschäftigten zu, die gar nicht schweißen, sondern Nebentätigkeiten wie Verputzen oder Transporte ausführen, so-genannte Bystander.

Die neuen Grenzwerte, etwa für Mangan mit 20 Mikrogramm pro Ku-bikmeter Luft, in der lungenbläschengängigen A-Fraktion in der Atemluft von Beschäftigten beim Schweißen einzuhalten, ist ohne lufttechnische Maßnahmen nicht möglich. Eine Hallenlüftungsanlage mit Filter ver-bessert zwar während des Betriebes die Luftqualität in Innenräumen, erfasst jedoch die entstandenen Gefahrstoffe nicht an ihrer Entstehungs-stelle. In der Regel werden dabei die Gefahrstoffe erst erfasst, wenn sie den Atembereich des Schweißers bereits passiert haben. Eine Absaugung an der Entstehungsstelle ist daher notwendig und hat Vorrang vor einer Hallenlüftung. Sie entspricht zudem der Maßnahmenhierarchie der Ge-fahrstoffverordnung, wonach „Vermeiden“ vor „Erfassen an der Entste-hungsstelle“ kommt und dieses vor „Verdünnen der Konzentration“. Eine optimale Erfassung des Schweißrauches bieten Brenner mit integrierter Absaugung, weil sie willensunabhängig mitgeführt werden. Moderne Brenner sind schlank und verfügen über verschiebbare Absaugglocken, sodass auch in Ecken hinein geschweißt werden kann. Trotzdem gibt es noch viele Vorbehalte, oft werden Qualitätsprobleme angeführt, weil das Schutzgas abgesaugt werden könnte. Nach einer kurzen Eingewöhnungs- und Lernzeit werden die neuen Brenner jedoch meist wie selbstverständ-lich eingesetzt.

Schweiß- und andere Arbeitsplätze trennenSchweißrauche an der Entstehungsstelle zu erfassen hat nicht nur ener-getische Vorteile: Die zu bewegende Luftmenge und somit die Anlagen-technik sind um ein Vielfaches kleiner als bei einer kompletten Hallenlüf-tung. Das macht Einsparungen sowohl bei den Investitions- als auch bei den Betriebskosten im vier- bis sechsstelligen Bereich möglich. Betreiber sollten bei der Beschaffung der Absaug- und Lüftungsanlagen darauf ach-ten und vertraglich vereinbaren, dass Hersteller die Normenreihe DIN EN ISO 21904 auf ihre Produkte anwenden.

Lässt sich eine Erfassung an der Entstehungsstelle nicht ausreichend realisieren, sind weitere Maßnahmen nötig. Eine gerichtete Strömung, welche die Rauche weg vom Schweißer zieht, ist zweckmäßig. Schweißer, die direkt in der „Schweißrauchfahne“ arbeiten, sind durch einen belüfte-ten Schweißerhelm zu schützen. Eine Trennung von Schweiß- und ande-ren Arbeitsplätzen ist in jedem Fall sinnvoll, da so auch die Gefährdungen durch Lärm und Blendung vermieden werden. Maschinen und Elektronik sind so auch vor Schweißrauchen, die elektrisch leiten, geschützt. Ob die Schutzmaßnahmen auch für Bystander ausreichen, ist im Einzelfall über Messungen zu ermitteln.

Bodo Kälble, BGHM

Personengetragene Schweißrauchmessung beim MAG-Schweißen ohne (oben) und mit Brenner-absaugung (unten).

Gut zu wissen: Schweißrauch-Kolloquium der BGHM

Die BGHM hat gemeinsam mit Sozialpartnern, Verbänden, Wis-senschaftlern und weiteren Experten im Winter ein Kolloquium zur Um-setzung der TRGS 528 durchgeführt. Weitere Infos und Fachbeiträge auf www.bghm.de, Webcode 610

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24 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Sicheres & Gesundes Arbeiten

Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist Teil der arbeits-medizinischen Präventionsmaßnahmen im Betrieb. Sie darf technische und organisatorische Arbeits-

schutzmaßnahmen nicht ersetzen, kann diese aber wirksam ergänzen. Ziel ist es, arbeitsbedingte Erkrankungen und Be-rufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Die Vorsorge umfasst immer ein ärztliches Beratungsgespräch mit einer Anamnese einschließlich Arbeitsanamnese. Hält die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt zur Aufklärung und Beratung körperliche oder klinische Untersuchungen für er-forderlich, so bietet er oder sie diese an. Die Untersuchungen dürfen nicht gegen den Willen von Beschäftigten durchgeführt werden. Der Betriebsarzt beziehungsweise die Betriebsärztin unterliegt der Schweigepflicht.

Man unterscheidet zwischen Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge. Bestandteil der Angebotsvorsorge ist die nachgehende Vorsorge, die hier ebenfalls thematisiert wird.

PflichtvorsorgeArbeitgeber haben bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten, die im Anhang der Verordnung zur arbeitsme-

Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist es, arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Ein Überblick über Anlässe, Vorsorgearten und Angebote.

Arbeitsmedizinische Vorsorge als Basis für gesunde Beschäftigte

Wunsch – Pflicht – Angebot – nachgehende Vorsorge: Diese Vorschriften und Möglichkeiten gibt es

dizinischen Vorsorge (ArbMedVV) aufgeführt sind, eine Pflichtvorsorge zu veranlassen. Sie dürfen diese Tätigkei-ten nur ausüben lassen, wenn zuvor eine solche Vorsorge durchgeführt worden ist. Auch bei der Pflichtvorsorge dür-fen körperliche oder klinische Untersuchungen nicht gegen den Willen der oder des Beschäftigten durchgeführt werden.

Anlässe zur Pflichtvorsorge nach ArbMedVV sind zum Beispiel:• Tätigkeiten mit bestimmten Gefahrstoffen und krebs-

erzeugenden Stoffen• Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen (wie Lärm,

Vibrationen, künstliche optische Strahlung), wenn Expo-sitionsgrenzwerte erreicht oder überschritten werden

• Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten der Gruppe 2 (wie Filtergeräte mit Partikelfiltern der Parti-kelfilterklasse P3) sowie der Gruppe 3 (wie frei tragbare Isoliergeräte) erfordern

• gezielte und ungezielte Tätigkeiten mit besonders gefähr-lichen biologischen Arbeitsstoffen

• bestimmte Tätigkeiten im Ausland mit besonderen klima-tischen Belastungen und Infektionsgefährdungen

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25BGHM-Aktuell 4 | 2020

Sicheres & Gesundes Arbeiten

AngebotsvorsorgeDie Angebotsvorsorge hat der Arbeitgeber den Beschäftigten bei bestimmten gefährdenden Tätigkeiten, die ebenfalls im Anhang der ArbMedVV aufgeführt sind, anzubieten. Bei-spiele für Anlässe zur Angebotsvorsorge sind:• Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten der

Gruppe 1 erfordern (wie beispielsweise Filtergeräte mit Partikelfiltern der Partikelfilterklassen P1 und P2; parti-kelfiltrierende Halbmasken, FFP 1, FFP 2 oder FFP 3)

• bestimmte Tätigkeiten mit wesentlichen erhöhten körper-lichen Belastungen, die mit Gesundheitsgefährdungen für das Muskel-Skelett-System verbunden sind

• Tätigkeiten an Bildschirmgeräten

WunschvorsorgeDie Wunschvorsorge geht über den Anhang der ArbMedVV hinaus und muss Beschäftigten bei allen Tätigkeiten ermög-licht werden. Ein Anspruch besteht nur dann nicht, wenn aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen nicht mit einem Gesund-heitsschaden zu rechnen ist.

Nachgehende Vorsorge: Zentrales Meldeportal (DGUV Vorsorge)Auch nach Beendigung bestimmter im Anhang der ArbMed-VV aufgeführten Tätigkeiten (zum Beispiel mit bestimmten Gefahrstoffen), bei denen nach längeren Latenzzeiten Ge-sundheitsstörungen auftreten können, hat der Arbeitgeber noch im Betrieb tätigen, aber auch ehemaligen Beschäf-tigten eine nachgehende Vorsorge anzubieten. Um ent-sprechenden Erkrankungsfällen vorzubeugen oder diese frühzeitig zu erkennen, wurde vom Gesetzgeber die „Nach-gehende Vorsorge“ eingeführt. Sie stellt ein Angebot für die betroffenen Beschäftigten dar.

Wenn das Beschäftigungsverhältnis endet, kann der Ar-beitgeber diese Verpflichtung auf den zuständigen gesetz-lichen Unfallversicherungsträger, zum Beispiel die BGHM, übertragen. Dazu überlässt er dem Unfallversicherungsträ-ger die erforderlichen Unterlagen in Kopie, sofern die oder der Beschäftigte eingewilligt hat.

Um die arbeitsmedizinische Vorsorge auch über das Be-schäftigungsende hinaus sicherzustellen, betreiben die Trä-ger der gesetzlichen Unfallversicherung gemeinsam unter

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Sicheres & Gesundes Arbeiten

dem Logo „DGUV Vorsorge“ verschiedene Organisationsdienste. Die Anmeldung kann von der oder dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber zu jedem Zeit-punkt vorgenommen werden, also zu Beginn der gefährdenden Tätigkeit, wäh-rend oder nach Ausübung der Tätigkeit.

Spätestens nach dem Ausscheiden aus dem Unterneh-men ist eine (weitere) Meldung mit dem Datum der Been-digung des Beschäftigungsverhältnisses und der Dauer der Exposition im DGUV-Meldeportal vorzunehmen. Der oder die Beschäftigte füllt eine Einwilligungserklärung aus und übergibt diese seinem oder ihrem Arbeitgeber oder meldet sich selbst zur nachgehenden Vorsorge an unter: www.dguv-vorsorge.de

Ein hilfreiches Merkblatt inklusive der Einwilligungs- erklärung finden Sie unter www.bghm.de, Webcode 631.

Bekommt die BGHM die nachgehende Vorsorge übertra-gen, übernimmt sie als gesetzlicher Unfallversicherungs-träger die daraus entstehenden Kosten. Damit entfallen für den ehemaligen Arbeitergeber die Kosten für die ärztlichen Untersuchungen, die Reisekosten zu den Untersuchungen und im Einzelfall der Verdienstausfall. Die BGHM sorgt auch dafür, dass rechtzeitig an die entsprechenden Vorsorge- termine erinnert wird.

Für Fragen zur nachgehenden Vorsorge ist die BGHM te-lefonisch über die Hotline: 0800 9990080-2 (kostenfreie Rufnummer) oder per E-Mail unter [email protected] zu erreichen.

Betriebsärztliche Aufgaben im Arbeitsschutz in Zeiten der PandemieTritt eine Pandemie ein, wie zum Beispiel durch das Coro-navirus, bestehen für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte besondere Anforderungen und Herausforderungen. In der Corona-Krise hat der Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfA-Med) gezielt zu diesem Thema informiert:

Für die Aufgaben der Betriebsärztinnen und Betriebsärz-te finden sich die Grundlagen im Arbeitsschutzgesetz und insbesondere im Arbeitssicherheitsgesetz, ergänzend in der DGUV Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ sowie in der Verordnung zur arbeits-medizinischen Vorsorge mit den sie untersetzenden Regeln und Empfehlungen. Die Aufgaben werden im Folgenden skizziert:• Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin berät in der Pan-

demiesituation den Arbeitgeber, die Beschäftigten sowie die betriebliche Interessenvertretung kontinuierlich.

• Die Beratung erstreckt sich auf die Gefährdungsbeurtei-lung und alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten. Sie betrifft auch Fragen zum Schutz besonders schutzbedürftiger Beschäftigten-gruppen.

• Bei der Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung, in der die besondere Gefahr aufgrund der Pandemie-situation berücksichtigt wird, sind auch die psychischen Belastungen einzubeziehen.

• Dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin sind für die Durchführung der Aufgaben die erforderlichen Informa-

Weitere Informationen

• DGUV Vorsorge: www.dguv-vorsorge.de• Nachgehende Vorsorge der BGHM mit Merkblatt und

Einwilligungserklärung zur Datenübermittlung: www.bghm.de, Webcode 631 (in der kommenden Aus-gabe werden wir Ihnen das Merkblatt vorstellen)

• Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV): https://publikationen.dguv.de, Webcode p000282

• Arbeitsmedizinische Regeln (AMR): www.bghm.de, Webcode 261

• Aktuelles zum Coronavirus: www.bghm.de/coronavirus• Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed):

www.baua.de -> Aufgaben -> Geschäftsführung von Ausschüssen -> Ausschuss für Arbeitsmedizin

tionen zur Verfügung zu stellen. Das beinhaltet insbeson-dere die Möglichkeit zur Begehung der Arbeitsbereiche.

• Arbeitsmedizinische Fachexpertise unterstützt die Erar-beitung der Hygiene- und Reinigungspläne, die Nutzung von Sanitärräumen und das Erstellen von Regeln für gemeinsam genutzte Geräte und Flächen.

• Bei der Information und Unterweisung der Beschäftigten, die aufgrund der aktuellen Gefährdungssituation zu ak-tualisieren sind, ist der Betriebsarzt oder die Betriebsärz-tin einzubeziehen (siehe AMR 3.2 „Arbeitsmedizinische Prävention“).

• Besonderes Augenmerk ist auf die Beratung zur richtigen Auswahl und Verwendung von Körperschutzmitteln wie beispielsweise Atemschutz einschließlich Mund-Nase- Bedeckung oder Reinigungs-/Desinfektionsmitteln zu legen.

• Beschäftigte können sich vom Betriebsarzt oder von der Betriebsärztin jederzeit auch hinsichtlich der besonderen Gefährdung aufgrund der Pandemie individuell beraten lassen. Der Arbeitgeber hat arbeitsmedizinische Vorsorge zu ermöglichen beziehungsweise anzubieten. Dies erfolgt auf der Grundlage der Verordnung zur arbeitsmedizini-schen Vorsorge; zur arbeitsmedizinischen Vorsorge siehe auch die konkreten Ausführungen im SARS-CoV-2-Ar-beitsschutzstandard sowie in der Verlautbarung des Aus-schusses für Arbeitsmedizin auf der AfAMed-Homepage.

Dr. Florian Struwe, BGHM

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27BGHM-Aktuell 4 | 2020

Sicheres & Gesundes Arbeiten

Die digitalen Qualifizierungsangebote richten sich an verschiedene Zielgruppen – vom Handwerksbetrieb bis zum Industrieunternehmen. Die BGHM bietet Un-

ternehmerinnen und Unternehmern, Fachkräften für Arbeits-sicherheit, Sicherheitsbeauftragten und weiteren Multipli-katoren im Arbeitsschutz diese verschiedenen Formate an: • Die Quick-and-Safe-Praxisinformationen sind online

rund um die Uhr verfügbar. In diesen folienbasierten Videos werden aktuelle Themen sowie grundsätzliche Aspekte rund um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in kurzer und prägnanter Form aufgegriffen.

• In virtuellen Konferenzen stehen Expertinnen und Exper-ten der BGHM Rede und Antwort. Die digitalen Sprech-stunden bieten neben der reinen Wissensvermittlung die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch.

• Als Kombination aus fachlichem Impuls und der Möglich-keit, aktuelle Fragestellungen zu klären und sich auszutau-schen, können Online-Seminare genutzt werden. So finden etwa die Foren für Fachkräfte für Arbeitssicherheit in diesem Format statt. Fachkräfte für Arbeitssicherheit kön-nen hier ihr Wissen auf dem aktuellen Stand halten und kommen zugleich ihrer Fortbildungsverpflichtung nach.

Die Corona-Krise erfordert es, dass viele Abläufe anders gestaltet werden als vorher – auch was die Arbeitsschutzorganisation in Betrieben angeht. Um Verantwortliche in Mitgliedsbetrieben sowohl zur Einhaltung der Infektionsschutz- und Hygiene-maßnahmen als auch zu übergreifenden Fragestellungen der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation auf dem Laufenden zu halten, baut die BGHM ihr digitales Qualifizierungsangebot kontinuierlich aus.

Digitale Formate bieten neue Möglichkeiten

Praxisorientiert, aktuell, jederzeit verfügbar – das digitale Qualifizierungsangebot der BGHM

Weitere Informationen

www.bghm.de, Webcode 3796

„Unsere digitalen Formate bieten den Verantwortlichen un-serer Mitgliedsbetriebe die Möglichkeit, aktuelle Fragestel-lungen zu klären und sich über Themen auf dem Laufenden zu halten“, sagt Günter Geißler, Leiter der Abteilung Quali-fizierung der BGHM. „Über den Austausch insbesondere in Sprechstunden und Online-Seminaren erfahren wir zudem in der BGHM zeitnah, welche Themen die Verantwortlichen in den Betrieben bewegen. So können wir noch besser agie-ren und unsere Angebote bedarfsorientierter gestalten.“

Die BGHM wird ihr digitales Qualifizierungsangebot kon-tinuierlich ausbauen – weitere Themen sind in Arbeit und neue Onlineformate in Planung. Auf der Webseite vorbei-schauen lohnt sich!

Dorothee Scherer, BGHM

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28 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Leben & Leistung

BGHM-Aktuell: Frau Halama, Sie sind Reha-Managerin bei der BGHM und für die sogenannte nachgehende Betreuung zuständig. Was ist das genau? Claudia Halama: Bei der nachgehenden Betreu-ung besuchen Reha-Managerinnen und -Mana-ger der BGHM schwerstverletzte oder -erkrankte Versicherte regelmäßig zu Hause. Wir beraten und unterstützen sie in Bezug auf die Unfall- oder Krankheitsfolgen. In vertrauensvoller, entspann-ter Atmosphäre besprechen wir gemeinsam mit den Versicherten und ihren Angehörigen Bedarfe und Wünsche. Themen sind zum Beispiel die ärzt-liche Behandlung, Rehabilitationsmaßnahmen, die Wohnsituation, die schulische und berufliche

Situation, Kraftfahrzeughilfen, die orthopädische Versorgung und die Hilfsmittelversorgung, Erho-lungsaufenthalte, Pflege und die Teilnahme am sozialen Leben.

Warum bietet die BGHM die nachgehende Be-treuung an und wer wird betreut?Nach einem schweren Arbeitsunfall oder mit ei-ner Berufskrankheit ändert sich das Leben der Betroffenen oft für immer – sowohl im berufli-chen als auch im privaten und familiären Bereich. Die Berufsgenossenschaft lässt Betroffene nicht allein und unterstützt sie dabei, die Folgen des Unfalles oder der Erkrankung zu bewältigen. Ein persönlicher und regelmäßiger Kontakt mit den

Die BGHM begleitet schwerstverletzte und -erkrankte Versicherte bei Bedarf über viele Jahre. Claudia Halama ist Reha-Managerin bei der BGHM und führt wie ihre Kolleginnen und Kollegen diese sogenannte nachgehende Betreuung durch. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen und den Leistungen der BGHM.

Nachgehende Betreuung

Dauerhaft gut versorgt

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29BGHM-Aktuell 4 | 2020

Leben & Leistung

Betroffenen ist besonders wichtig, um die Situa-tion einschätzen zu können.

Wir führen die nachgehende Betreuung für Schwerstverletzte und Erkrankte mit einer Minde-rung der Erwerbsfähigkeit, abgekürzt MdE, ab 80 Prozent oder für schädelhirnverletzte oder krebs-erkrankte Personen mit einer MdE ab 50 Prozent durch. Doch auch andere Versicherte mit einem besonderen Betreuungs- und Unterstützungs- bedarf werden nachgehend betreut.

Welche Hilfestellungen bietet die BGHM im Rah-men der nachgehenden Betreuung an?Häufig geht es darum, eine möglichst barriere-freie und behinderungsgerechte Wohnsituation zu gestalten. Auch bei einem eventuellen Pflege-bedarf unterstützen und beraten wir, damit die pflegerische Versorgung sichergestellt ist. Wir vermitteln zudem Kontakte zum Beispiel zu Reha-bilitationssportgruppen, zu Selbsthilfegruppen oder zu Beratungsstellen.

Zu welchen Themen unterstützen und beraten Sie am häufigsten? Bei vielen Versicherten wirken sich die Unfall- oder Erkrankungsfolgen im Alter stärker aus oder sie werden durch andere Erkrankungen negativ verstärkt. Plötzlich kommen die Versicherten im gewohnten Umfeld nicht mehr zurecht. Ein Bei-spiel: Ein Versicherter mit einer Oberschenkel-amputation kann seine Prothese aus gesundheit-

Vom Schreibtisch aus und regelmäßig bei Versicherten vor Ort: Claudia Halama berät und unterstützt Schwerstverletzte und Erkrankte.

lichen Gründen nicht mehr tragen und ist nun überwiegend auf einen Rollstuhl angewiesen. Wir schauen uns die Situation vor Ort an und ver-anlassen zum Beispiel den barrierefreien Umbau des Badezimmers, um die Selbstständigkeit des Versicherten weiterhin zu ermöglichen.

Zudem tauschen wir Hilfsmittel aus, wenn sie nicht mehr ordnungsgemäß funktionieren, oder wir besorgen neue, wenn sie nicht mehr vorhan-den sind: Wenn zum Beispiel der Ersatzrollstuhl defekt ist oder die Badeprothese im Urlaub ent-wendet wurde.

Wir informieren auch über neue Möglichkeiten der Hilfsmittelversorgung. So konnten wir erst vor Kurzem einige blinde oder schwer sehbehinderte Menschen im Rahmen der nachgehenden Betreu-ung über eine neu entwickelte Kamerabrille mit Vorlesefunktion beraten und sie damit versorgen. Das hat ihre Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft deutlich verbessert. Ich habe Aussagen gehört wie: „Jetzt traue ich mich wieder unter Menschen und kann auch wieder einmal in einem Café eine Zeitung lesen.“

Womit wir in der nachgehenden Betreuung häufig zu tun haben, sind Probleme und Krisen in der pflegerischen Versorgung. Wenn Angehöri-ge jahrelang pflegen, sind sie oft schwer belastet. Viele scheuen sich jedoch, Entlastungsmöglich-keiten zu suchen und anzunehmen. Wir unter-stützen dabei, solche Möglichkeiten zu finden.

Wir unterstützen Versicherte, damit sie wieder mehr am sozialen Leben teilnehmen, und vermit-teln auch Angebote: Ein Rollstuhlmobilitätstrai-ning, eine Rehabilitationssportgruppe oder ein Erlebniswochenende für Schädelhirnverletzte können den betroffenen Versicherten helfen und ihnen wieder neue Impulse für den Alltag geben.

Das Interview führte Eva Ebenhoch, BGHM

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30 BGHM-Aktuell 4 | 2020

Leben & Leistung

Berufsgenossenschaften und Unfallkassen begrüßen die Änderungen, die zum 1. Januar 2021 in Kraft treten und in weiten Teilen auf Vorschläge der Selbstverwal-

tungen der Unfallversicherungsträger zurückgehen. Eine der wichtigsten: Für folgende neun Berufskrankheiten (BK) wird der Unterlassungszwang aufgehoben. • Erkrankungen durch chemische Einwirkungen

BK-Nr. 1315• Erkrankungen durch mechanische Einwirkungen

BK-Nrn. 2101, 2104 und 2108, 2109, 2110• Atemwegserkrankungen BK-Nrn. 4301 und 4302• Hautkrankheiten BK-Nr. 5101

Mit dem Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit soll-te eine Verschlimmerung oder ein Wiederaufleben von be-reits eingetretenen Erkrankungen verhindert werden. Dies kann auch erreicht werden, indem die Individualprävention und die aktive Mitwirkung der Betroffenen verstärkt werden. Der Unterlassungszwang diente zudem dazu, sogenannte Bagatellerkrankungen von der Anerkennung als BK auszu-schließen. Da dieser Ausschluss bei den Berufskrankheiten 2101 sowie 2108 bis 2110 aber weiterhin gerechtfertigt ist,

Einige Berufskrankheiten konnten bisher nur anerkannt werden, wenn Versicherte die schädigende Tätigkeit aufgaben. Dieser sogenannte Unterlassungszwang wird nun gestrichen. Mit dem 7. SGB IV-Änderungsgesetz, das der Bundestag am 7. Mai 2020 beschlossen hat, tut sich im Berufskrankheitenrecht noch mehr.

Unterlassungszwang, Individualprävention & Co.

Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts

wurde der Krankheitsbegriff hier konkretisiert. Damit fallen sogenannte „Bagatellerkrankungen“ weiterhin nicht unter diese BK-Ziffern.

Das Gesetz sieht auch vor, dass Fälle, in denen die BK nur abgelehnt wurde, weil die Versicherten ihre Tätigkeit nicht aufgaben, überprüft werden müssen. Dies gilt für alle Fälle nach dem 1. Januar 1997.

Stärkung der IndividualpräventionStatt des Unterlassungszwangs bei einzelnen Berufskrank-heiten setzt der Gesetzgeber nun also bei allen Berufs-krankheiten verstärkt auf das Zusammenwirken von Ver-sicherten, Unternehmen und Unfallversicherungsträgern (UV-Trägern). „Durch mehr und intensivere präventive Maßnahmen soll verhindert werden, dass sich bereits ein-getretene Berufskrankheiten verschlimmern oder dass sie wiederaufleben“, erläutert Fredi Lahr, Leiter der Rehabili-tation der BGHM. Zur Rechtsklarheit und als Grundlage für eine einheitliche Rechtsanwendung werden die Rechte und Pflichten aller Beteiligten in § 9 Abs. 4 SGB VII zusammenge-fasst. UV-Träger haben die Pflicht, auf eine Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit hinzuwirken, wenn sich die Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen lässt. Außer-dem müssen sie über mit der Tätigkeit verbundene Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufklären. Für die Versicherten besteht die Verpflichtung, an individual-präventiven Maßnahmen und Maßnahmen der Verhaltens-prävention teilzunehmen. Erstmals werden Sanktionen für die fehlende Mitwirkung festgeschrieben.

Gefährdungs- und ArbeitsplatzkatasterBei der Bearbeitung von Berufskrankheiten müssen Einwir-kungen häufig für einen sehr langen Zeitraum in der Vergan-genheit ermittelt werden. Das ist oft schwierig oder gar nicht mehr möglich. Dem begegnen die UV-Träger schon heute dadurch, dass sie Gefährdungs- oder Arbeitsplatzkataster erstellen und bei der Ermittlung solcher Fälle anwenden. Diese Verfahrensweise wird nun gesetzlich verankert. Da-mit wird Rechtssicherheit geschaffen, was die gesetzlichen Beweis- und Datenschutzanforderungen sowie die Mitwir-kungspflichten der Unternehmerinnen und Unternehmer bei systematischen Erhebungen an Arbeitsplätzen betrifft.

Die UV-Träger werden also verpflichtet, Kataster gemein-sam oder einzeln aufzustellen. Wenn sie Einzelfälle prüfen, müssen sie die Erkenntnisse anderer Unfallversicherungs-träger aus vergleichbaren Arbeitsplätzen berücksichtigen.

Thomas Dunz, BGHM

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31BGHM-Aktuell 4 | 2020

Leben & Leistung

Eine Beschäftigte wollte nach der Arbeit ihren 75 Kilome-ter langen Nachhauseweg antreten. Als sie den Motor startete, ertönte das Tank-Warngeräusch und das Tank-

licht leuchtete auf: Da die Kraftstoffreserve nur für 70 Kilo-meter reichte, fuhr die Beschäftigte zur nächsten Tankstelle. Auf dem Weg zur Kasse rutschte sie auf einem Benzinfleck aus und verletzte sich. War das ein Wegeunfall?

Das Bundessozialgericht (BSG) entschied mit Urteil vom 30. Januar 2020, dass kein versicherter Wegeunfall vorlag. Versicherungsschutz nach Paragraf 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII besteht nur, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurück-gelegt wird, nach Feierabend die eigene Wohnung zu errei-chen. Die Beschäftigte hatte diesen versicherten Weg jedoch nicht nur geringfügig aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen. Sie hätte erst dann wieder unter Versiche-rungsschutz gestanden, wenn sie den unmittelbaren Weg nach Hause wieder erreicht hätte.

Tanken als private EntscheidungTanken ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als rein private Vorbereitungshandlung dafür zu sehen, dass ein Weg zurückgelegt werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Tanken vor, während oder nach dem Zurücklegen des Weges erfolgt. In älteren Urteilen hatte das BSG es allerdings ausnahmsweise dann als versicherte Tätigkeit angesehen, wenn es zur Weiterfahrt und Beendigung des Weges not-wendig war. Auf die Frage, wann Tanken denn notwendig

Ist ein Rutschunfall beim Tanken auf dem Nachhauseweg von der Arbeit ein Wegeunfall und steht er damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung? Das Bundessozialgericht hat sich damit befasst.

Bundessozialgericht-Urteil: Tanken ist Privatsache

Ausrutschen beim Tanken als Wegeunfall?

sei, gab das Gericht allerdings keine eindeutige Antwort. In einzelnen Entscheidungen wurde darauf abgestellt, ob der Reservetank in Anspruch genommen hätte werden müssen.

Jetzt stellt das BSG also ausdrücklich klar: Solche Tankvor-gänge fallen nicht unter den Schutz der Wegeunfallversiche-rung. Die Gründe: Jeder Autofahrer und jede Autofahrerin muss tanken, um das Fahrzeug betriebsbereit zu halten. Der Arbeitgeber hat zudem keine Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung, ob und wann getankt wird. Außerdem kann schon am Vortag abgeschätzt werden, ob der Kraftstoffvor-rat für den nächsten Tag ausreicht. Sprich: Der Tankvorgang ist örtlich und zeitlich nicht festgelegt und unterliegt der pri-vaten Entscheidung des oder der Versicherten. Würde wie früher darauf abgestellt, ob Tanken auf dem Weg nach Hau-se oder zur Arbeit notwendig ist, wäre die Person nicht ver-sichert, die vorausschauend tankt; nicht vorausschauend planende Personen dagegen wären auf dem Weg versichert – ein Wertungswiderspruch, wie das BSG fand.

Ob außergewöhnliche Umstände wie Verkehrsumleitun-gen, Staus oder Benzindiebstahl das Tanken ausnahms-weise als versicherte Handlung rechtfertigen können, ließ das BSG offen, da im vorliegenden Fall solche besonde-ren Umstände nicht vorlagen. (BSG Urteil vom 30.01.2020 Az.: B 2 U 9 / 18 R)

Karl Heinz Schwirz, BGHM

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