Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 1

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  • 8/7/2019 Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 1

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    Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 1

    Christof Wahner 2010

    Vorwort: In dieser Art von Text geht es um eine neue Lesart von Bcherregalen in Bibliotheken wie

    z.B. der Badischen Landesbibliothek, die fortlaufend nummeriert sind, ohne rumliche Kategorisierung.

    Nun stellt sich bei solcher Zuflligkeit die Frage, ob sich nicht doch tiefere Grnde dahinter verbergen,

    wenn z.B. ein Buch mit dem Titel "Beruf Pferdewirt" direkt neben einem anderen Buch mit dem Titel

    "Der Sinn des Lebens" steht. Die Titel bzw. Untertitel der ausgewhlten Bcher sind hervorgehoben.

    Samstag 8:30. Inge und Hans Krens sitzen gemtlich am Frhstckstisch. Whrend sie miteinander

    den Leitfaden Chinesische Medizin besprechen, stoen sie auf einen bisher strflich vernachlssigten

    Risikofaktor, nmlich den Risikofaktor Mutterleib. Und pltzlich wird ihnen beiden bewusst, wie sie da-

    sitzen, nmlich zwischen den Sthlen, wie es ihre langjhrige Arbeitskollegin Heidi Urbahn de Jauregui

    in der Vergangenheit immer wieder konstatiert hat. In allerlei Hinsicht sitzen sie zwischen den Sthlen,

    zum Beispiel wenn es um die Urlaubsplanung geht. Er sagt beharrlich "Galpagos". Sie erwidert jedes

    Mal ebenso beharrlich "Rehe am Meer". Er hat aber nicht die leiseste Ahnung, dass sie damit ein Buch

    von Ralf Rothmann meint. Als diese Konversation schlielich versandet, schreiben sie einfach nur noch.

    Ja, aber WAS bitteschn schreiben sie denn da? Anarchoschnitzel schreiben sie! Ja, und zwar lauter

    wste Anarchoschnitzel zum Themenkomplex Klimakterium, Postmenopause und Hormonsubstitution.

    Gem ihrer Familientradition werfen sie diese Anarchoschnitzel wild gestikulierend aus dem Kchen-

    fenster, so dass umliegende Balkons damit bestckt werden. Genau in der Wohnung darunter wohnt

    Bodo Plachta, ein Tyrann der Schaubhne. Ihm, der gewohnheitsmig als ambitionierter Psychopath

    unterwegs ist, platzt nun wieder einmal der Kragen. Er packt in wilder Entschlossenheit ein Buch des

    Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk mit dem Titel "Zorn und Zeit" und tobt stehenden Fues zurWohnung von Inge und Hans Krens hoch. Als er breitbeinig in der Tr steht, trgt er bedchtig, aber

    gleichzeitig mit leicht katatonischer Anspannung den Titel des Buches vor: "Zzzzzzorn und Zzzzzzeit."

    Inge und Hans Krens weisen Bodo Plachta darauf hin, dass er mit so einem Gehabe in der Grafschaft

    Mansfeld nicht viel verloren hat. Ein Fingerzeig auf den prchtigen Bildband mit dem Titel "Mansfeld -

    Gebiet, Geschlecht, Geschichte" gengt als Argument. Bodo Plachta erkennt nun, dass dies hier keine

    Schaubhne ist und setzt sich zur Vershnung mit an den Frhstckstisch. Man sagt ihm, er solle sich

    einfach bedienen. Sobald er jedoch mit seinen mangelhaft gepflegten Pranken ber den ganzen Tisch

    greift, alles mgliche anfasst und gleich wieder fallen lsst, lsst Hans Krens die Worte "Individualittund Eigentum" in den Raum fallen. Inge Krens ergnzt in einem uerst schnippischem Tonfall: "Tja,

    da sage ich nur >Christian Schmidt

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    Bcher im Umlauf sind mit so nebulsen Titeln wie "Organisation der Verantwortung der Organisation"!

    Gehts noch? So ein Titel ist nicht nur jenseits von Gut und Bse, sondern schon jenseits von Bullerb,

    wie es Bodo's Exfreundin Maren Gottschalk immer so wunderschn humorvoll auf den Punkt brachte.

    Fhrung im Wandel und Erfolgsfaktor Persnlichkeit sind die beiden Rettungsanker, die Bodo Plachta

    jetzt am dringlichsten braucht, um sich irgendwie vor Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zu schtzen.

    Vorerst kann er seine Hypochondrie etwas lindern, indem er in seinen khnen Tagtrumen ausgedehnteStreifzge durch das alte gypten unternimmt und auch weitere Erinnerungsorte der Antike heimsucht,

    wo es stets um Liebe und Tod ging. Das heit: in der Regel zuerst um Liebe und anschlieend um Tod.

    Bodo Plachta ist zwar Psychopath, aber nicht nekrophil, philosophiert nun jedoch grndlich ber die

    denkbaren Kombinationen dieser beiden Themen: nmlich ber tdliche Liebe und liebevollen Tod.

    In diesem Kontext reflektiert er auerdem eine geraume Weile ber seine obligatorische Frage, worin

    wohl der Sinn des Lebens bestehen knnte und beschliet urpltzlich nach einem kristallkugelklaren

    Geistesblitz, auf den Beruf Pferdewirt umzusatteln, und zwar ganz einfach nach dem guten alten Motto

    "Ein schner Pferdercken kann jederman beglcken".