Big Bang? Big Bounce? Big Crunch? Multiversum? Hologramm? Religion/Berichte/2017.02... · dass die...

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+++ Big Bang? - Big Bounce? - Big Crunch? - Mulversum? - Hologramm? +++ Schülerinnen und Schüler im Evangelischen Religionsunterricht beschäſtigen sich mit der Spannung zwischen Weltbildern des Glaubens und der Naturwissenschaſt ‚Go sprach: Es werde Licht“ - diese Worte aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel klingen heute fremd. Lange Zeit glaubten Gelehrte, Goes Gedan- ken sowohl im Buch der Bücher (Bibel) als auch im Buch der Natur (Naturbetrachtung und Erforschung) harmonisch erkennen und ablesen zu können. Die- ser Opmismus ist, wen wundert es, nach dem Sie- geszug mathemascher Logik in den Naturwissenschaſten (seit etwa 200 Jahren) hinfällig. Poesie, also Schriſt (und Wort)-Sinn der Bibel und mathe- masch- naturwissenschaſtlicher Welterkenntnis fallen im zeitgenössi- schen Denken auseinander. Dennoch ist ‚Weltbildwandel‘ keine einmalige Erscheinung der Neuzeit. Im evangelischen Religionsunterricht ist es ein Schwerpunkhema, sich diese dauernden Veränderungen des Weltbildes zu vergegenwärgen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Grundfrage menschlicher Philosophie: Wieso ist überhaupt etwas—und nicht nichts? Die christliche Tradion sagt: Aus grundloser, unverdienter Liebe, aus Freu- de am Lebens hat Go Welt und Menschen geschaffen und scha und er- hält sie noch immer. Uns Menschen hat Go außerdem dazu besmmt, selbst schöpferisch zu sein und kreav in der Erkenntnis, Herstellung und Verbesserung von dem, was dem Leben dient. Und dazu den Auſtrag erteilt, die Grundlagen zu erhalten, den Auſtrag nicht zu vergessen, allen Mitge- schöpfen Respekt und Achtung zu zeigen. Auch wenn sich die (wissenschaſtliche) Welterkenntnis, also das Bild der Welt in menschlichen Augen ändert— in den Augen Goes zählt nicht eine besmmte Theorie, sondern die Möglichkeiten, die sie bieten, auch wenn diese Möglichkeiten in unserer Augen verborgen sind und gegen alle Wahrscheinlichkeit stehen. Schöpfungsglaube heißt ja auch: Go selbst ist mit der Welt und uns Men- schen lange noch nicht ferg. Wer glaubt, darf hoffen und wird dabei— manchmal gegen allen Augenschein—überrascht. Der Maler Lucas Cranach d. Ä. hat die christliche Weltsicht seiner Zeit um 1530 in einer berühmten Illustraon der biblischen Schöpfungsgeschichte in der ersten Auflage der Lutherbibel verewigt (links). Es zeigt, mit den Miel und im Geschmack sei- ner Zeit, einen (menschlich dargestellten) Go, der alles Sein und die Zeit Evangelischer Religionsunterricht 1

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+++ Big Bang? - Big Bounce? - Big Crunch? - Multiversum? - Hologramm? +++ Schülerinnen und Schüler im Evangelischen Religionsunterricht beschäftigen sich mit der Spannung zwischen Weltbildern des Glaubens und der Naturwissenschaft

‚Gott sprach: Es werde Licht“ - diese Worte aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel klingen heute fremd. Lange Zeit glaubten Gelehrte, Gottes Gedan-ken sowohl im Buch der Bücher (Bibel) als auch im Buch der Natur (Naturbetrachtung und Erforschung) harmonisch erkennen und ablesen zu können. Die-ser Optimismus ist, wen wundert es, nach dem Sie-geszug mathematischer Logik in den Naturwissenschaften (seit etwa 200 Jahren) hinfällig. Poesie, also Schrift (und Wort)-Sinn der Bibel und mathe-matisch- naturwissenschaftlicher Welterkenntnis fallen im zeitgenössi-schen Denken auseinander. Dennoch ist ‚Weltbildwandel‘ keine einmalige

Erscheinung der Neuzeit. Im evangelischen Religionsunterricht ist es ein Schwerpunktthema, sich diese dauernden Veränderungen des Weltbildes zu vergegenwärtigen. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Grundfrage menschlicher Philosophie: Wieso ist überhaupt etwas—und nicht nichts? Die christliche Tradition sagt: Aus grundloser, unverdienter Liebe, aus Freu-de am Lebens hat Gott Welt und Menschen geschaffen und schafft und er-hält sie noch immer. Uns Menschen hat Gott außerdem dazu bestimmt, selbst schöpferisch zu sein und kreativ in der Erkenntnis, Herstellung und Verbesserung von dem, was dem Leben dient. Und dazu den Auftrag erteilt, die Grundlagen zu erhalten, den Auftrag nicht zu vergessen, allen Mitge-schöpfen Respekt und Achtung zu zeigen. Auch wenn sich die (wissenschaftliche) Welterkenntnis, also das Bild der Welt in menschlichen Augen ändert— in den Augen Gottes zählt nicht eine bestimmte Theorie, sondern die Möglichkeiten, die sie bieten, auch wenn diese Möglichkeiten in unserer Augen verborgen sind und gegen alle Wahrscheinlichkeit stehen. Schöpfungsglaube heißt ja auch: Gott selbst ist mit der Welt und uns Men-schen lange noch nicht fertig. Wer glaubt, darf hoffen und wird dabei—manchmal gegen allen Augenschein—überrascht. Der Maler Lucas Cranach d. Ä. hat die christliche Weltsicht seiner Zeit um 1530 in einer berühmten Illustration der biblischen Schöpfungsgeschichte in der ersten Auflage der Lutherbibel verewigt (links). Es zeigt, mit den Mittel und im Geschmack sei-ner Zeit, einen (menschlich dargestellten) Gott, der alles Sein und die Zeit

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Die heutige Sicht auf den Ursprung des Kosmos scheint damit Welten entfernt zu sein von der alten, bildhaft naiven Sicht eines Lucas Cranach. Am bekanntesten ist die Urknalltheorie (hier wie andere von Schülerinnen und Schülern illustriert). Ihre mathematischen und the-oretischen Grundlagen wurden von einem Jesuitenpa-ter, Georg E. Lemaître, entwickelt. Aus einem ‚Nichts‘, einer imaginären Singularität in einem Moment kon-zentriert, entspringen die Grundprinzipien und Baustei-ne allen Seins: Die Unterscheidung von Materie und Energie und die Grundformen ihrer Wechselwirkung, Elementarteilchen, Atome, Moleküle, Staubwolken, Sterne, Planeten, Galaxien. Vorteil der Urknalltheorie: Ihre theoretischen Annahmen stimmen sehr gut mit den Beobachtungen eines expandierenden Kosmos

überein, die Astronomen seither machen. Die Mathematik, so scheint es, triumphiert damit als einzig angemessene, weil allgemeingültige Sprache zur Erklärung des Seins, also des Kosmos. Auffällig ist aber, dass die ‚Big Bang-Theory‘ mitnich-ten den genauen Grund für die Expansion der ersten Singularität kennt. Was hinter der ‚Planck-Zeit‘, der kleinsten sinn-vollen Zeit-Maß-Einheit geschah, bleibt, höherer Mathematik und Supercomputer zum trotz, im Dunklen. Dazu kommt, dass die ‚Big Bang-Theory‘ seit einiger Zeit nicht mehr als einzige wissenschaftliches Erklärung gehandelt wird. Der Inder Abhay Ashketar und andere haben mathematisch die Möglichkeit errechnet, dass sich das Universum nicht nur einmal aus einem Nichts entwickelt hat, sondern zyk-lisch, das heißt: immerwährend geboren wird (expandiert), sich zusammenzieht (‚Big Crunch‘) und kurz vor der Singularität wieder expandiert. Mit dem Kosmos, so der Inder Ashtekar, verhiel-te es sich also wie mit einem ewigen Rad aus Ge-burt, Vergehen und Wiedergeburt. Die ‚Big Bounce-Theory‘ vermeidet damit die große Un-gewissheit der ‚Big-Bang-Theory‘, was denn nun der schöpferische Grund am Anfang sei. Trotz-dem ist eine solche Annahme, wen wundert es, natürlich höchst kultur– und religionsspezifisch. Neuerdings haben andere wie der Physiker Andrei Linde die Big Bounce-Theory selbst wei-terentwickelt. Sie behaupten, dass ständig und immerfort Universen in eigenen Blasen

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nebeneinander geboren werden und vergehen. Aus einem anderen Zweig der Kosmologie, der Erforschung der sogenannten Schwarzen Löcher, stammt schließlich das neueste Weltbild: das ‚Holographische Prinzip‘. Quantentheoretiker wie Gerardus ’t Hooft, Leonard Susskind und andere fragten sich, was mit der in Materie gespeicher-ten Information geschieht (z.B. ein DNA-Molekül oder eine Music-CD), sollte sie einmal in ein Schwarzes Loch fallen. Sie würde buchstäblich aus diesem Kosmos für immer verschwinden. Problem: Diese Schlussfolgerung ist unzulässig. Information darf nicht aus diesem Kosmos ver-schwinden—allein mit dieser Möglichkeit zu rechnen wäre fatal. Es wäre ein logischer Wider-spruch gegen das Grundprinzip der Physik, das

Gesetz der Innformationserhaltung. Information, so ihre Antwort, wird zwar umgeformt, bleibt aber auf der Oberfläche des Schwarzen Lochs gespeichert. Denn zweidimensionale Objekte wie Hologramme können dreidimensionale Informati-onen speichern und bei Bedarf abrufen. Die beiden Physiker dachten weiter: Wenn die zweidimensionale Oberfläche ei-nes Schwarzes Loch Informationen über drei und (mit der ‚Zeit‘ sogar) vier Dimensionen ent-hält, dann ist es mathematisch darstellbar, dass die gesamten Informationen der sichtbaren Welt schon vor dem Urknall, danach auf der Oberfläche des Kosmos gespeichert waren und dort noch ist. Alles sein, menschliches leben und seine Gedanken sind in Wahrheit Projekti-on von Gedanken und Gesetzen, die auf der endlichen Oberfläche des Kosmos abgebildet sind (siehe Grafik links, Quelle: TU Wien). Alle Worte, Gleichungen, Gesetze und Formeln des Lebens in Geschichte, Gegenwart und Zukunft und in der Natur: Sie alle sollen längst geschrie-ben und gespeichert sein wie auf den Seiten eines riesengroßen Buches? Diese Vorstellung kommt einem doch, gelinde gesagt, bekannt vor. Ob unser Kosmos Schlei-fen zieht durch Werden und Vergehen? Vielleicht. Menschliches Denken scheinbar in jedem Fall.

Dr. Uwe Stenglein-Hektor

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