Bildmeditation zu Christ der Retter ist da · Bildmeditation zu Christ der Retter ist da von Beate...

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Bildmeditation zu Christ der Retter ist da von Beate Heinen (1989) Ein Weihnachtsbild voll hintersinniger Symbolik hat die Künstlerin Beate Heinen geschaffen und ihm den Titel „Christ, der Retter ist da“ gegeben. Vor 23 Jahren ist diese Weihnachtsdarstellung entstanden und scheint an Aktualität nichts eingebüßt zu haben - im Gegenteil! Die Augen des gekrönten Christuskindes fangen den Blick des Betrachters ein und führen ihn auf den blauen Planeten Erde hin. Sein Blau ist schmutzig geworden und seine Oberfläche aufgerissen. Klaffende Wunden und Ströme von Blut überziehen das Angesicht der Erde, und die Weltkugel scheint dem Bersten nahe zu sein. Es mag

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Page 1: Bildmeditation zu Christ der Retter ist da · Bildmeditation zu Christ der Retter ist da von Beate Heinen (1989) Ein Weihnachtsbild voll hintersinniger Symbolik hat die Künstlerin

Bildmeditation zu Christ der Retter ist da

von Beate Heinen (1989)

Ein Weihnachtsbild voll hintersinniger Symbolik hat die Künstlerin Beate

Heinen geschaffen und ihm den Titel „Christ, der Retter ist da“ gegeben.

Vor 23 Jahren ist diese Weihnachtsdarstellung entstanden und scheint

an Aktualität nichts eingebüßt zu haben - im Gegenteil!

Die Augen des gekrönten Christuskindes fangen den Blick des

Betrachters ein und führen ihn auf den blauen Planeten Erde hin. Sein

Blau ist schmutzig geworden und seine Oberfläche aufgerissen.

Klaffende Wunden und Ströme von Blut überziehen das Angesicht der

Erde, und die Weltkugel scheint dem Bersten nahe zu sein. Es mag

Page 2: Bildmeditation zu Christ der Retter ist da · Bildmeditation zu Christ der Retter ist da von Beate Heinen (1989) Ein Weihnachtsbild voll hintersinniger Symbolik hat die Künstlerin

kaum ein Zufall sein, dass uns die Künstlerin Afrika, den seit dem Ende

des Kalten Krieges „vergessenen Kontinent“, entgegen hält.

Drei gekrönte Häupter sind zu sehen, die unterschiedlicher nicht sein

könnten. Die rechte Gestalt hat Beate Heinen „den letzten König der

Erde“ genannt. Er hat die Augen geschlossen, wirkt fahl, gebrochen, ja

krank. Auf den Händen eines Bittstellers trägt er den blutenden Erdball

in die Szenerie herein. Seine Krone ist beschmutzt und leuchtet doch im

Abglanz des Kindes. Fünf Zacken hat seine Krone, für mich Symbol für

die fünf Sinne des Menschen, mit denen er die Welt zu begreifen und

daraus seine Vernunft abzuleiten versucht. Aber nun scheint das

menschliche Begreifen der Welt zu einem zerstörerischen Ergreifen

ausgeartet zu sein, und an die Stelle vernünftiger Bewahrung der

Schöpfung ist die kurzsichtige Plünderung getreten. Die Erde blutet, und

so viele Menschen müssen „bluten“, weil die Frage nach Gerechtigkeit

abhandengekommen ist. Und als Menetekel an der Wand taucht immer

öfter die berstende Erde auf, eine Welt, die durch die Hand des

Menschen völlig aus den Fugen zu geraten droht. Stellvertretend für die

ganze Menschheit trägt der letzte Vertreter der „Krone der Schöpfung“

die blutende und berstende Welt zum Christuskind, das dieses Bild

eindrucksvoll beherrscht. Liebevoll sind seine Augen auf die leidende

Erde gerichtet, zärtlich umschließt er sie mit seinen Armen, und mit

größter Behutsamkeit berührt er sie, als wolle er schmerzhafte Wunden

versorgen. So sieht Gott unsere leidende Welt an, so begegnet er ihr,

berührt sie, fügt und hält im Verborgenen zusammen, was wir Menschen

dem Zerbrechen preisgegeben haben. In der Darstellung dieses

Christuskindes lässt uns die Künstlerin ins Gesicht Gottes und in sein

Herz schauen. Er hat seine Welt nicht aufgegeben, keinen Augenblick. Er

hat sich nicht zurückgezogen, gekränkt, gar beleidigt durch die Taten

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der Menschen; im Gegenteil: Er selber wird Mensch, ein kleines Kind,

verwickelt sich unumkehrbar und für Zeit und Ewigkeit in seine Welt

hinein, möchte gerade seiner leidenden Kreatur nahe sein, damit es

keinen Ort und keine Zeit mehr gibt, in der wir gott-los sein müssten.

Das ist das Geheimnis der Geburt im Stall von Bethlehem.

Aber nun zeigt Beate Heinen das Jesuskind bereits als kleinen König. Die

Dreizahl der Zacken seiner Krone steht für den dreieinigen Gott; von

dieser Krone geht alles Licht aus, das bis in die letzten Dunkelheiten

hineinscheint. Wer mag dabei nicht an das Jochen Kleppers Lied „Der du

die Zeit in Händen hältst“ denken, in dem Klepper gegen seine eigene

Dunkelheit in der Zeit der Judenverfolgung, von der auch seine Ehefrau

bedroht war, ankämpft und formuliert:

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Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert mit uns allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her

Die dritte Gestalt des Bildes lässt zumindest vordergründig vermuten,

dass die Gottesmutter Maria dargestellt ist. Sie hat dem „letzten König

der Erde“ die Erde aus der Hand genommen und hält sie gelassen und

ruhig. Ist der Blick des Kindes mit großem Nachdruck auf das Leiden der

Erde gerichtet, so scheint sie fast ein wenig entrückt und ihr Blick der

Zukunft zugewandt zu sein. Ob sie weit über den Tag hinaus sieht und

darum so viel Zuversicht ausstrahlt? Hat der Mantel des „letzten Königs

der Erde“ die Farbe des Blutes, des Feuers und der Zerstörung, so ist ihr

ganzes Gewand samt Krone blau - in der Welt der Symbolik die Farbe

der Treue und der Wahrheit, aber auch die Farbe des „blauen Planeten“.

Und je länger ich dieses Bild betrachte, desto mehr frage ich mich, ob

diese Frau wirklich für die Gottesmutter steht, oder nicht viel mehr für

Gott selber, für Gottes Wesen, dessen Liebe zum Schaffen, Bewahren,

Heilen und Trösten sich viel besser in der Gestalt einer Frau als in der

eines Mannes darstellen lässt: die Mütterlichkeit Gottes. Acht Zacken

zählt die Krone dieser überragenden „Frauengestalt“, Symbol für den

achten Schöpfungstag, den ersten Tag der Neuen Schöpfung: Tag der

Auferstehung Jesu Christi: die neue Schöpfung hat schon begonnen und

beginnt, das Gesicht der Welt langsam zu verwandeln. Blau ist das

Gewand dieser Hoffnungsgestalt, die von der neuen Welt ohne Tränen,

Leid und Tod erzählt, so blau wie der blaue Planet. Und ich höre die

Botschaft: Dieser Welt, dieser Erde, diesen Menschen und allen

Geschöpfen gilt die Botschaft der Treue Gottes, die Botschaft der

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Hoffnung, die im Stall von Bethlehem begonnen hat. Gott ist in der Welt,

bleibt ihr treu. Und wo die Hoffnung neu keimt und wächst, da werden

sich die in Angst gebundenen Herzen der Menschen verändern - die

wichtigste Voraussetzung überhaupt, dass die Wunden der Welt heilen

und die Ströme von Hass und Blut endlich versiegen können.

So betete der letzte König der Erde:

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Ich komme zu dir, Kind, König des Himmels und der Erde. Ich komme zu dir, Mutter dieses Königs.

Ich bringe nicht Gold, denn das Gold dieser Erde ist befleckt von Blut.

Ich bringe nicht Weihrauch, denn der Weihrauch wurde oft falschen Göttern geopfert.

Ich bringe nicht Myrrhe, Myrrhe kann das Leid meiner Welt nicht mehr lindern.

Ich, der ich die Verantwortung trage,

die mir von oben gegeben ist, bringe dir die Welt. Sie zerbricht, sie blutet, sie droht zu verbrennen.

Ich habe nicht Hände, nicht Herz und Verstand genug, sie zu retten.

Darum bringe ich sie dir, Kind.

Heile ihre Wunden. Und das Kind und seine Mutter nehmen die Welt liebevoll an,

legen heilend und haltend ihre Hände um uns. Christ der Retter ist da.

Beate Heinen

Bildmeditation: Martin Kaschler