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Biologie und Ökologie der Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.) 13 Biologie und Ökologie der Rosskastanie ( Aesculus hippocastanum L.) ANDREAS ROLOFF Charakteristika und Erkennungs- merkmale Die Rosskastanie ist nicht mit der Edel- oder Ess- kastanie zu verwechseln, selbst wenn die Früchte auf den ersten Blick ähnlich aussehen. Sie ist dage- gen mit dem Ahorn so nahe verwandt, dass Botani- ker sie nach neuesten Erkenntnissen gemeinsam mit diesem in eine botanische Familie stellen: die Seifenbaumgewächse (Sapindaceae) (S ITTE et al. 2003). Am Habitus einer Rosskastanie fällt sofort ihre relativ breite,wolkige Krone auf (siehe Abb.1). An den dickenTrieben erkennt man die sehr gro- ßen Knospen,die auf Grund von Harzausscheidung glänzen und kleben. Bei den Knospenschuppen gibt es immer einige,die an der Spitze unterent-wik- kelte zipfelartige Fiederblättchen tragen und sich offenbar nicht recht entscheiden konnten, ob sie Schuppe oder Blatt werden sollten. Dies sind „Über- gangsblätter“, die den Ursprung der Knospenschup- pen im Blattgrund erkennen lassen (BARTELS 1993). Die Blätter stehen gegenstän- dig am Spross und sind gefingert, im Gegensatz zur Edelkastanie. Ein einzelnes Blatt besteht aus fünf bis sieben Fiederblättchen, die vom Ende des Blattstieles ausgehen und unterschiedlich groß sind, wobei das mittlere Fiederblatt immer am größten ist. Die Herbst- färbung ist braun, an Straßenlater- nen verfärben sich die Blätter oft deutlich später. Rosskastanien können bis 2 m dick, 25-30 m hoch und 300 Jahre alt werden. Am Stamm mit seiner groben Schuppenborke fällt bei genaue- rem Hinsehen meist starker Dreh- wuchs auf, den 90 % der Rosskas- tanien aufweisen. Das schönste Detail dieser Baumart sind wohl die sich Ende April bis Anfang Mai öffnenden Blüten. Sie tragen fünf auffällige cremig weiße Kronblätter, deren beide obere einen Farbfleck auf- weisen, das Saftmal. Die Blüten sind Die Rosskastanie macht immer wieder im Jahr auf sich aufmerksam. Im Winter fallen ihre gro- ßen Knospen auf, ab April die großen gefingerten Blätter, im Mai ihr Blütenmeer und im Herbst die stacheligen Früchte mit den großen glänzenden Samen. Sie ist der Stadt- und Biergartenbaum schlechthin, wofür ihr starker Schattenwurf mit verantwortlich ist. Blütenbiologisch sind die Saft- male bemerkenswert, die den Insekten anzeigen, ob noch Nektar produziert wird und ob sich ein Blütenbesuch lohnt. Abb. 1: Wolkige Kronenstruktur der Rosskastanie (Foto: ROLOFF)

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Biologie und Ökologie der Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.)

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Biologie und Ökologie der Rosskastanie(Aesculus hippocastanum L.)ANDREAS ROLOFF

Charakteristika und Erkennungs-merkmale

Die Rosskastanie ist nicht mit der Edel- oder Ess-kastanie zu verwechseln, selbst wenn die Früchteauf den ersten Blick ähnlich aussehen.Sie ist dage-gen mit dem Ahorn so nahe verwandt,dass Botani-ker sie nach neuesten Erkenntnissen gemeinsammit diesem in eine botanische Familie stellen: dieSeifenbaumgewächse (Sapindaceae) (SITTE et al.2003).

Am Habitus einer Rosskastanie fällt sofort ihrerelativ breite,wolkige Krone auf (siehe Abb.1).

An den dicken Trieben erkennt man die sehr gro-ßen Knospen,die auf Grund von Harzausscheidungglänzen und kleben. Bei den Knospenschuppengibt es immer einige,die an der Spitze unterent-wik-kelte zipfelartige Fiederblättchen tragen und sichoffenbar nicht recht entscheiden konnten, ob sieSchuppe oder Blatt werden sollten. Dies sind „Über-gangsblätter“, die den Ursprung der Knospenschup-

pen im Blattgrund erkennen lassen(BARTELS 1993).

Die Blätter stehen gegenstän-dig am Spross und sind gefingert,im Gegensatz zur Edelkastanie. Eineinzelnes Blatt besteht aus fünf bissieben Fiederblättchen, die vomEnde des Blattstieles ausgehenund unterschiedlich groß sind,wobei das mittlere Fiederblattimmer am größten ist. Die Herbst-färbung ist braun, an Straßenlater-nen verfärben sich die Blätter oftdeutlich später.

Rosskastanien können bis 2 mdick, 25-30 m hoch und 300 Jahrealt werden.

Am Stamm mit seiner grobenSchuppenborke fällt bei genaue-rem Hinsehen meist starker Dreh-wuchs auf, den 90 % der Rosskas-tanien aufweisen.

Das schönste Detail dieserBaumart sind wohl die sich EndeApril bis Anfang Mai öffnendenBlüten. Sie tragen fünf auffälligecremig weiße Kronblätter, derenbeide obere einen Farbfleck auf-

weisen, das Saftmal.Die Blüten sind

Die Rosskastanie macht immer wieder im Jahr auf sich aufmerksam. Im Winter fallen ihre gro-ßen Knospen auf, ab April die großen gefingerten Blätter, im Mai ihr Blütenmeer und im Herbstdie stacheligen Früchte mit den großen glänzenden Samen. Sie ist der Stadt- und Biergartenbaumschlechthin, wofür ihr starker Schattenwurf mit verantwortlich ist. Blütenbiologisch sind die Saft-male bemerkenswert, die den Insekten anzeigen, ob noch Nektar produziert wird und ob sich einBlütenbesuch lohnt.

Abb. 1: Wolkige Kronenstruktur der Rosskastanie (Foto: ROLOFF)

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zu Hunderten in verzweigten, großen kerzenartigenBlütenständen vereinigt (siehe Abb.2).

Wenn man sich die Einzelblüten genauer an-sieht, erkennt man nur selten beide Geschlechtergleichzeitig: einen Fruchtknoten und sieben Staub-blätter (ursprünglich waren es zehn, drei sind aus-gefallen). Im oberen Teil des Blütenstandes findenwir vielmehr tendenziell männliche Blüten, derenFruchtknoten verkümmert ist. In der Mitte desBlütenstandes folgen wenige zweigeschlechtigeBlüten und an der Basis des Blütenstandes befin-den sich nur betont weibliche. Diese Geschlechter-verteilung hat den Vorteil, dass sich die Früchte nurim unteren Teil des Blütenstandes entwickeln.Dadurch kann der Aufwand für die Stabilität derFruchtachsen gespart werden, weil sie nicht so langsein müssen. In einer einzigen Krone können sichüber 1.000 Blütenstände entwickeln.

Die bis zu 6 cm dicken Früchte können bis zu20 g wiegen. Bis zu 10.000 hängen an einem großenBaum. Sie reifen bis September oder Oktober instacheligen Kapseln, die bei der Reife dreiklappigaufplatzen und wunderschön glänzende Samen miteinem charakteristischen weißen Fleck hervorbrin-gen. Die Samen befinden sich meistens einzeln,selten zu zweit oder zu dritt in der Kapsel, derenStacheln und weiche Fruchtschale den Aufprall

beim Herabfallen aus der Krone dämp-fen. Dabei springt der glatte Same ausder aufplatzenden Kapsel heraus undrollt noch ein Stück davon („Rollsa-me“, DÜLL und KUTZELNIGG 1994). DieseSamen sind im Gegensatz zu den Maro-nen der Esskastanie ungenießbar bit-ter und für Menschen schwach giftig.

Da die Blüten- und Fruchtständeam Ende von Zweigen stehen, sindderen Spitzen nach der Blüte nichtmehr zu weiterem Wachstum in derLage. Nur Seitenknospen können dasÜberleben des Astes dann fortsetzenmit der Folge seiner Gabelung (ROLOFF

2001).

Die Keimung muss im folgendenFrühjahr erfolgen, sonst geht die Keim-fähigkeit verloren. Sie funktioniertaußerdem nur bei Bedeckung desSamens durch Laub oder etwas Erde(„Versteckfrucht“-Typ). Bei der Kei-mung bleiben die Keimblätter zusam-mengefaltet in der Erde und liefernihre wertvollen Inhaltsstoffe an denwachsenden Keimling, bis er sichselbst versorgen kann.

Die tief reichenden und weit streichenden Wur-zeln machen Rosskastanien sehr sturmfest.

Bei der Rotblühenden Rosskastanie (A. x car -nea), die in kleinen Gärten und in Fußgängerzonenvon Städten sehr beliebt geworden ist, handelt essich um eine Kreuzung zwischen der GemeinenRosskastanie und der nordamerikanischen Pavie.

Ökologie und VorkommenDie Heimat der Rosskastanie ist mit zerstreuten

Vorkommen in den Mittelgebirgen Griechenlands,Albaniens und Mazedoniens zu finden (HEGI 1965).Dorthin zog sie sich während der Eiszeiten zurück.Vorher war sie bei uns heimisch, aber die Rück-wanderung war ihr nach den Eiszeiten von selbstnicht mehr möglich, ebenso wie bei Edelkastanieund Walnuss. Erst der Mensch brachte sie wiedernach Mitteleuropa, im Jahr 1576 zunächst nachWien. Die Türken verbreiteten sie während ihrerEroberungsfeldzüge quer durch Europa, da sieKastanien als Futter für ihre Pferde dabei hatten.Die Baumart zeigt heute, dass sie hier gut wachsenund regelmäßig reife Früchte produzieren kann.Sie ist ein „Spätheimkehrer“, der hier ohne Proble-me lebensfähig und winterhart ist. Inzwischenkommt sie bei uns sogar in Höhenlagen von über

Abb. 2: Blütenpracht eines Rosskastaniensolitärs (Foto: ROLOFF)

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1.000 m vor und wächst auch in Skan-dinavien (ALEXANDROV 1996).

Beeindruckend ist der starkeSchattenwurf einer alten Rosskasta-nie, solange sie keine Blatt- oder son-stigen Schäden hat. Kaum eine ande-re Baumart beschattet so stark wieAesculus. Sie selbst hat einen gewis-sen Lichtbedarf,um alt zu werden.

Die Rosskastanie sucht man imWald fast vergeblich. Sie ist für dieForstwirtschaft so uninteressant, dasssie in den meisten Waldbaubüchernnicht einmal erwähnt wird. Höchs-tens entlang von Hauptwegen, amWaldrand oder an Wildfütterungentritt sie in Erscheinung.

Umso wichtiger ist ihre Bedeutung als Stadt-,Haus- und Biergartenbaum. Diese war früher nochgrößer als heute, da ihr der Stress in der Stadt, vorallem durch Streusalz, zu schaffen macht. Darüberhinaus kommt ihr seit langer Zeit eine erheblicheBedeutung als Baumart von Schloss- und Parkan-lagen zu. So war sie Ende des 17.Jahrhunderts derLieblingsbaum des Sonnenkönigs Ludwig XIV. VieleFürsten und Hoheiten ließen sich damals von sei-ner Vorliebe inspirieren und pflanzten in ihren Gär-ten und Alleen Kastanien, die bis heute mit Hilfevon Ersatzpflanzungen erhalten geblieben sind.

Das größte Naturschauspiel an einer Rosskasta-nie ist wohl ihre Blütenbiologie. Die „Ampelanlage“der Rosskastanienblüten (ROLOFF 2004) ist eine der

eindrucksvollsten blütenökologi-schen Anpassungen zwischenBäumen und Insekten, die es inMitteleuropa gibt.Die beiden obe-ren Kronblätter weisen einen Farb-fleck auf, das Saftmal, das beimAufblühen zunächst gelb gefärbtist. Nur die gelben Blüten produ-zieren Nektar, d.h. der Besuchlohnt sich für Bienen und Hum-meln. Sie sorgen für die Bestäu-bung bzw. nehmen den Pollen mit.Bereits ein bis zwei Tage spätererlischt die Nektarproduktion, dasSaftmal verfärbt sich rot – das Sig-nal für Insekten, dass sich einBesuch nicht mehr lohnt. Wennman in eine blühende Kastanien-krone schaut, kann man tatsäch-

lich beobachten, dass fast nur die gelben Blütenangeflogen werden. So stellt die Rosskastanie denBlütenbesuch der bestäubungsbereiten bzw. pol-lenspendenden Blüten sicher und lenkt die Insek-ten nur dorthin.

Auch für andere Tiere hat die RosskastanieBedeutung, vor allem wegen ihrer nahrhaftenFrüchte (Name!). Vögel bauen in den dichtenKronen regelmäßig ihre Nester.

Immer wieder hört und liest man bis in die jüng-ste Zeit, dass bei der Rosskastanie eine direkteBeziehung zwischen einem Wurzelstrang und demdarüber befindlichen Ast in der Krone besteht.Wenn also ein Ast in der Krone z.B. über einer Stra-ße abstirbt, so muss die darunter befindliche Wurzel

Abb. 3: In voller Blüte stehende Ross-kastanien (Foto: ROLOFF)

Abb. 4: Blütenstände der Rosskastanie (Foto: ROLOFF)

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geschädigt worden sein. Dies ist so nicht richtig.Erstens gibt es eine solche Beziehung bei älterenBäumen grundsätzlich nicht, die baumbiologischviel zu riskant wäre. Zweitens, selbst wenn es siegäbe,würde auf Grund des verbreiteten Drehwuch-ses bei Rosskastanien eher ein Ast auf einer ande-ren Kronenseite absterben und gerade nicht dergenau darüber befindliche.

LiteraturALEXANDROV, H. (1996): Aesculus hippocastanum L. (Ross-kastanie). In: P. SCHÜTT et al. (Hrsg.): Enzyklopädie derHolzgewächse 6,S.1-9

BARTELS,H.(1993): Gehölzkunde.Ulmer Verlag,Stuttgart

DÜLL, R.; KUTZELNIGG, H. (1994): Botanisch-ökologischesExkursionstaschenbuch. 5. Auflage, Quelle & Meyer Ver-lag, Heidelberg/ Wiesbaden

HEGI, G. (1965): Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Bd.V,2. Auflage Parey Verlag,Berlin/Hamburg

ROLOFF, A.(2001): Baumkronen.Ulmer Verlag,Stuttgart

ROLOFF, A. (2004): Bäume - Phänomene der Anpassungund Optimierung. Ecomed Verlag,Landsberg

SITTE, P. et al. (2003): Strasburger Lehrbuch der Botanik.35. Auflage Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin