Biologische Grundlagen der Friedensforschung Gunnar Jeremias, Reinhard Lieberei, Jürgen Scheffran.

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Biologische Grundlagen der Friedensforschung

Gunnar Jeremias, Reinhard Lieberei, Jürgen Scheffran

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PROGRAMM

02.04.2014 G. J. Einführung, Begriffsdefinitionen, Bezüge zu Biowaffen und zur Umweltsicherheit, globale Dimension des Themas 09.04.2014 G.J. Historische Konfliktfälle mit biologischem Hintergrund;

Biowaffenprogramme, Biowaffenkontrolle (vertraglich/praktisch) 16.04.2014 G.J. Dual-use-Fallbeispiel: Mouse Pox (Simulationsspiel)

23.04.2014 R.L. Gentechnologie: Know how mit dual use Aspekten, Grundlagen der biologischen Methoden

30.04. 2014 R.L. Systeme mit hohem Missbrauchspotential (biological threats), biologische Beiträge zur Gesundheit, Friedenssicherung, potentielle Bedrohungen /Szenarien Abhilfe

07.05. 2014 R.L. Biologische Systeme und Friedensforschunga) Konflikte und Kooperation in ökologischen Systemen

14.05.2014 J.S. Biologische Systeme und Friedensforschungb) Konflikte und Kooperation in ökologischen Systemen (Modelle: Räuber-Beute etc.)

21.05. 2014 R.L. Konzept der Umweltsicherheit: Ökologische Störungen

a) Ernährung

28.05 2014 J.S. Konzept der Umweltsicherheit: Ökologische Störungenb) Bioenergie

04.06. 2014 R.L., J.S. Klimawandel/Vegetation/Biodiversität

11.06. 2014Pfingstferien

18.06. 2014 J.S. Umweltkonflikte und Klima

25.06.2013 G.J., J.S.,R.L. Abschlussdiskussion: Von der Katastrophenvermeidung zur Friedenssicherung

02.07.2013 Klausur

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Friedensforschung und Biologie

1. Zentrale Begriffe1.1 Krieg/bewaffneter Konflikt1.2 Frieden

1.3 Sicherheit1.4 Entwicklung1.5 Nachhaltigkeit1.6 Verantwortung

2. Die Verbindung von Friedensforschung und Naturwissenschaft2.1 Disziplinäre Beispiele

2.2 Biologie und Friedensforschung3. Friedensforschung als angewandte Wissenschaft

3.1 In der (internationalen) Politik3.2 In der Wissenschaft

4. Literatur

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1.1 Zentrale Begriffe - Krieg/bewaffneter Konflikt

Krieg: gewaltsamer Massenkonflikt, der alle folgenden Merkmale aufweist:

(a) an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt;

(b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen, Partisanenkrieg usw.);

(c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuierlichkeit und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, d.h. beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet einer oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern. Kriege werden als beendet angesehen, wenn die Kampfhandlungen dauerhaft, d.h. für den Zeitraum von mindestens einem Jahr, eingestellt bzw. nur unterhalb der AKUF-Kriegsdefinition fortgesetzt werden.

Als bewaffnete Konflikte werden gewaltsame Auseinandersetzungen bezeichnet, bei denen die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllt sind. In der Regel handelt es sich dabei um Fälle, in denen eine hinreichende Kontinuität der Kampfhandlungen nicht mehr oder auch noch nicht gegeben ist.

(AKUF)

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1.1 Zentrale Begriffe - Krieg/bewaffneter Konflikt

Unterscheidungen möglich hinsichtlich: • Ursachen (Unabhängigkeitskrieg, Kolonialkrieg,…)• Zielen (Angriffs-, Verteidigungskrieg, Eroberungskrieg,…)• Formen (regulärer Krieg, Guerillakrieg, Volkskrieg,…)• Eingesetzten Waffengattungen (konventioneller, nuklearer,

bakteriologischer,… Krieg)• Räumen (regionaler Krieg, Weltkrieg).

„Friedenserzwingende“ und „friedenserhaltene“ Maßnahmen

Kriegsvölkerrecht zur Regelung des Verhaltens von Kriegsparteien – bei internationalen Kriegen

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Friedensbegriffe• Abwesenheit von Krieg: „negativer“ Friedensbegriff

• Traditionell (national-) staatliches Denken• Anwesenheit einer „Friedenskultur“: „positiver“ Friedensbegriff

Weitere Näherung über den Begriff der Friedensforschung

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Geschichte der institutionalisierten Friedens- (und Konflikt-) Forschung • Seit den 1960er Jahren als eigenständiger Zweig der

Politikwissenschaft (z.B. in Abgrenzung zu Internationalen Beziehungen) etabliert.

• In Deutschland: Anfang der 1970er Gründung einschlägiger Institute (IFSH, HSFK,…). Förderung aus Bundesmitteln (bis 1982). • Politische Agenda. Czempiel (2002) „Kopfgeburt der

sozialliberalen Koalition […], nicht als autonome Ausdifferenzierung der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.“

• Thematik meist der Ost-West-Konflikt. Normative Orientierung an Entspannung.

• International: SIPRI, PRIO. In den USA: Reaktion auf den Vietnamkrieg• Später Ausweitung der politisch-gesellschaftlichen Unterstützung aus

zivilgesellschaftlichen Bewegungen (Frieden, Anti-Atom,…). Friedensforscher nehmen Expertenrollen in den Bewegungen ein.

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Geschichte der institutionalisierten Friedens- (und Konflikt-) Forschung • Nach dem Ost-West-Konflikt:

• Aufschwung der „Internationalen Beziehungen“• Weitere Institute und Masterprogramme (Hamburg, Marburg,

Darmstadt,…)• Verstärkte Förderung vor allem von Projekten, die

Konfliktvermeidung, -bearbeitung, sowie -nachsorge und „Governance“ aufeinander beziehen.

• Verhältnismäßig weniger Forschung zu Rüstungskontrollthemen.

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Phasen der Friedensforschung1.) Entwicklung des Friedensbegriffs2.) Friedensforschung als politische Wissenschaft?

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Phase 1: Theoriedebatten um den „richtigen“ Friedensbegriff

Hauptströmungen:

• Traditionelle Friedensforschung• Forschung ÜBER Frieden• Untersuchung von Krieg und Frieden als Phänomene

zwischenstaatlichen Handelns• Kritische Friedensforschung

• Forschung FÜR den Frieden• Erweiterung des Friedensbegriffs

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

„Traditionelle“ vs. „Kritische“ Friedensforschung (ab den 1970er Jahren)

• Kritische Theorie: Emanzipatorische Kritik an gesellschaftlicher Ordnung, Interesse auf globalen Wandel und soziale Gerechtigkeit.

• Kritik an den „Traditionalisten“ v.a. in den USA: Befriedungsforschung (Interesse: Stabilisierung der herrschenden Machtverhältnisse).

• In der Friedensforschung: Konzept der strukturellen Gewalt“ (Galtung 1971).

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Strukturelle Gewalt

„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist“. (Galtung 1969)

„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ (Me-Ti 5. Jh. v. Chr.; nach B. Brecht)

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1.2 Zentrale Begriffe - Frieden

Strukturelle Gewalt• Gewalt als gesellschaftliches Strukturprinzip (und nicht eine konkrete

Handlung).• Sozial-, und kapitalismuskritische Auslegungen• „Kritik an der Kritik“:

• ihrerseits Legitimation von Gewalt,• schlechte unterscheidbarkeit von „Herrschaft“,• Begriff zu weit, um ihn nutzen zu können.

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1.1 Zentrale Begriffe - Frieden

Phase 2: Friedensforschung als politische Wissenschaft?• Galtung/Krippendorff: Friedensforschung als unbedingt pazifistisch kodierte

Wissenschaft. „Sie ist einem Ziel verpflichtet, dass zugleich ihren Weg bestimmt.“

• Krippendorff (1970): „Wenn du den Frieden willst, dann ändere die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die bisher immer zum Krieg geführt habe.“

Vs.

• Erarbeitung von Vorschlägen zur zivilen Konfliktbearbeitung entlang politischer Vorgaben (Einbindung in Militäreinsätze, die (wieder) als „normales“ Mittel zur Konfliktlösung gelten).

• Nicht mehr der Konflikt, sondern der Diskurs über den Konflikt ist Gegenstand der Untersuchungen (scheinbar objektive Distanz zum Gegenstand, positivistische Wissenschaft): Dekonstruktion von Debatten lässt dem Forscher die Möglichkeit, nicht selbst Position beziehen zu müssen.

Kritik: Normativität (durch beliebige Nichtbeachtung wichtiger Parameter, wie historischen Dimensionen, Identifizierung von Interessen,…) wird nur kaschiert. Entpolitisierung ist keine.

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1.3 Zentrale Begriffe - Sicherheit

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Kollek 2011/12

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1.3 Zentrale Begriffe - Sicherheit

(Internationale) Sicherheitspolitik • kontinuierliche Erweiterung der inhaltlichen Reichweite

(ursprünglich: Sicherheit von Staaten vor militärischen Angriffen) • Politische Implikationen von „Versicherheitlichung“ (von

Gesundheit, Klima, Umwelt, …): HUMAN SECURITY

USA, EU, UN-Sicherheitsrat (2007): Beschäftigung mit den „Auswirkungen des Klimawandels auf den Frieden und die Sicherheit“. Angebotene „Lösungen“ beziehen sich größtenteils auf Migration. Globale friedensfördende Wirkung fraglich (ebenso: Gesundheit, Entwicklung,…).

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1.3 Zentrale Begriffe - Sicherheit

(Internationale) Sicherheitspolitik • Machteliten (der Staat/Allianzen) definieren, wo

Sicherheitsprobleme auftreten, die das Funktionieren politischer Problembewältigung gefährden und reklamieren die sicherheitspolitische Gestaltungsmacht auf dem Feld.

• Sorgen/Gegenstrategien gelten nicht einer holistischen Problemlösung, sondern der Problembewältigung eines Staates/Bündnisses (Ole Waever).

• Ironie der Geschichte: Häufig waren es zunächst globale zivilgesellschaftliche Organisationen, die zuerst die Sicherheitsrelevanz bestimmter Problemfelder (Entwicklungspolitik) betonten, um diese stärker in den Mittelpunkt staatlichen Interesses zu rücken – um den Preis einer staatlich/militärischen Okkupation der Thematiken.

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1.3 Zentrale Begriffe - Sicherheit

Sicherheit und Technikanwendung• Engl.: Safety vs. Security (Betriebssicherheit vs. Angriffssicherheit)

• Risiko- und Gefahrenvermeidung in komplexen Systemen letztlich unmöglich: Bestimmung vertretbarer/verantwortbarer Risiken

(Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit x Vulnerabilität x Schadensgröße)

• Produktion von Unsicherheit: Erkenntnis als Problem. • Innovative Einzelprojekte z.B: H5N1: Erkenntnisse zu Grippe

wichtig / Missbrauchs- bzw. Ausbruchssicherheit• Global systemisch: Handeln als Teil eines Systems

„Was beim Herauslösen der epistemischen Dinge aus ihrem Kontext verlorengeht, sind die gesellschaftlichen Zusammenhänge“ (Nowotny/Testa)

• Werkzeug für die Handhabung des Dilemmas: Technikfolgenabschätzung

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1.4 Zentrale Begriffe - Entwicklung

Häufig wird ein direkter Wirkungszusammenhang von Entwicklung und Frieden vermutet

Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik: „vernetzte Sicherheit“. (Bundesregierung 2006).

Kritik: • Was ist Entwicklung? • Oktroyiertes Entwicklungsmodell? • Entwicklung als Zivilisierung.• Kein Anhaltspunkt dafür, dass „nicht entwickelte“ Gesellschaften

friedlicher oder kriegerischer wären.

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1.4 Zentrale Begriffe - Entwicklung

Senghaas

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1.5 Zentrale Begriffe - Nachhaltigkeit

Die Menschheit besitzt die Fähigkeit, Entwicklung nachhaltig zu gestalten, um damit der gegenwärtigen Generation die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu sichern, ohne dabei die Verwirklichungschancen zukünftiger Generationen zu gefährden.(Brundtland-Kommission 1987)

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1.5 Zentrale Begriffe - Nachhaltiger Frieden?

• Friede durch globale intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit.• Umsetzung der Strategien für Nachhaltigkeit erfolgt auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene. • Lösungsansätze schließen ebenfalls politische, ethische, technische

und soziokulturelle Aspekte ein.

Brock 2002: „Mit dem nachhaltigen Frieden [konnte] ein zentraler Aspekt der Umweltdebatte aufgegriffen werden, nämlich das Gebot, Politik als Veranstaltung zu denken, die die eigenen Wirkungen in Generationen übergreifenden zeitlichen Bezügen reflektiert. Aber jedes Adjektiv, das dem Frieden angehängt wird, eröffnet neue Ansatzpunkte, ihn auszuhebeln. Wenn es gilt, einen nachhaltigen Frieden herzustellen, so müsste der nicht-nachhaltige notfalls gebrochen werden, um ihn in einen nachhaltigen zu überführen.“

Aber, „Man sich bewusst [machen], dass der Friede eine unabdingbare und zugleich unerfüllbare Aufgabe ist.“

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1.6 Zentrale Begriffe - Verantwortung

Verantwortung

Subjekte von Verantwortung: • Individuum• Institution• Kollektiv

Objekte von Verantwortung:• ein bestimmter Mensch, Tier, Pflanze, die Natur/Umwelt• Soziale Gemeinschaft, globale ökologische Zusammenhänge• Zukünftige Generationen/Umwelten

Ethik: Theorie/Werkzeug zur Beurteilung menschlichen/ gesellschaftlichen Handelns.

Hier: normative/angewandte Ethik im Mittelpunkt: Anwendung ethischer Paradigmen auf konkrete Fragen (Umweltethik, Bioethik, Wissenschaftsethik, Ethik politischen Handelns,…

(Quelle: Kollek, SoSe 2012)

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1.6 Zentrale Begriffe - Verantwortung

Verantwortungsethik

• Begriff: Max Weber 1919• Grundlage: Zum ewigen Frieden (Kant) - kategorischer Imperativ

„…handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Unterdiskurs: Technikethik• Hans Jonas (1979): Das Prinzip Verantwortung („Ethik für die

technologische Zivilisation“)

„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“

Ökologischer Imperativ

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1.6 Zentrale Begriffe - Verantwortung

Verantwortung und Wissenschaft

Weber: Werturteilsfreiheit von Wissenschaft Trennung von „Sein“ und „Sollen“ ethisch geboten - Wissenschaft als autonomes, nur auf den Wert der „objektiven Erkenntnis“ ausgerichtetes System?

• Für WissenschaftGute wissenschaftliche Praxis

• Von WissenschaftMaßnahmen zur Vermeidung von• Intendiertem Fehlverhalten• Unintendiertem Fehlverhalten

Wissenschaft als gesellschaftliches Subsystem!

„Wissenschaft ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht. Wissenschaft steht immer in Zusammenhang mit den grundlegenden Interessen der Gesellschaft an der Reproduktion ihresLebenszusammenhangs, d.h. Interessen an einer Nutzung der Natur, an gegenseitigerVerständigung und an Reflexion über sich selbst. Gesellschaftliche Verantwortung kanndaher nicht abgelehnt werden. Sie bewusst zu übernehmen, heißt für die Wissenschaft,ihren Stellenwert in der Gesellschaft zu reflektieren.“ (Kock 2009)

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1.6 Zentrale Begriffe - Verantwortung

Technikethik• Vermeidung unabschätzbarer Risiken, um den Bestand der

Menschheit als Ganzes nicht zu gefährden, sowie der Anerkennung der Eigenrechte der ganzen Natur, für die dem Menschen aufgrund seiner Handlungsmöglichkeiten die Verantwortung zukommt.

• Kritik: ökozentrische Ethik• Aber Weber sieht keine Verantwortung von Wissenschaftlern!• Wissenschaftler müssen die (wertungsfreien) Erkenntnisse in ihrer

Eigenschaft als Staatsbürger/Mitglieder einer Zivilgesellschaft ethisch bewerten.

• Lenk (2002): „Wissen verleiht Macht und Macht Verantwortung.“• Dürr (1995): „Durch Technik ist Naturwissenschaft aus dem

Elfenbeinturm herausgetreten.“• „Was beim Herauslösen der epistemischen Dinge aus ihrem Kontext verlorengeht, sind die gesellschaftlichen

Zusammenhänge.“ (Nowotny/Testa)

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Zentrale Begriffe – Begriffe: Zusammenfassung

• Klare Definitionen sind Mangelware.

• Frieden im Spannungsfeld vermeintlich klärender Begriffe.

• Zielsetzung hier: Was kann Biologie zur Debatte beitragen?

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2. Disziplinäre Beiträge

Häufige Konzentration auf Waffentechnik und Verifikation.Nutzen für das grundsätzliche Verständnis friedensgefährdender / friedensunterstützender Zusammenhänge oft nicht gesehen.

In vielen Abkommen ist das Hinzuziehen (natur-) wissenschaftlicher Expertise institutionalisiert: Scientific advisory boards, meetings of experts, Akzeptanz/Förderung wissenschaftlicher Expertenorganisationen: Pugwash, INES, ZNF, IFSH,…

Diffusion von Innovationen: früher: militärisch => zivilheute: zivil => militärisch

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2.1 Disziplinäre Beiträge - Physik

• Ballistik: Geschosse, Raketen• Kernwaffen:

• Konstruktion • Monitoring/Verifikation

• IAEA• CTBTO• Atmosphärische Ausbreitung

• Verifikationstechniken teils auch für konventionelle Waffen und andere Verträge nutzbar

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2.1 Disziplinäre Beiträge - Chemie

• Chemische Kampfstoffe• Wachsende Konvergenz zu biologischen Kampfstoffen• Chemie und Umwelt (intendierte und hingenommene

friedensgefährdende Zerstörungen durch Chemiekalieneintrag in Ökosysteme)

• Chemikalische Detektionsmethoden

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2.1 Disziplinäre Beiträge - Mathematik

• Modellierung: Prognosen für Geschehnisse in dynamischen, stabilen, konfinierenden, Modellen.

z.B.

• Risiko, • Spieltheorie (Wettbewerbsverhalten)• Konfliktmodelle (Populationsökologie,…)

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2.1 Disziplinäre Beiträge - Informatik

• Cyberwar• Network Centric Warfare• Internet

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2.2 Disziplinäre Beiträge - Biologie

• Methoden zum Bau biologischer Waffen und zu deren Kontrolle,• Nutzung biotechnischer Methoden in Landwirtschaft und

Energiegewinnung• Ökosystemanalyse und -Management

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3. Was tun? Politik und Völkerrecht

• UN als solche

• Genfer Protokoll (Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege, 1925)• Ersteinsatzverbot, aber keine Vorgaben zu deren Entwicklung,

Herstellung und Lagerung.

• Biowaffenkonvention („Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen“, 1972/1975)

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3. Was tun? Politik und Völkerrecht

ENMOD (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques); Umweltkriegsübereinkommen (1978)• Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen

Nutzung umweltverändernder Techniken.• verbietet den Vertragsparteien „gezielte militärische Eingriffe in

natürliche Abläufe der Umwelt, aber auch die Nutzung von Einflüssen der natürlichen Umwelt als Waffe in einem Krieg oder bewaffnetem Konflikt.“

• Zusatzregelungen zu den Genfer Konventionen (1949): Regeln für den Schutz von Personen, die nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen

• Beispiele: Anzünden von Ölfeldern, Öleinleitungen ins Meer (Irakkrieg 1991).

• Umweltschäden als häufige Nebenwirkung moderner Kriege sind nicht Gegenstand der Konvention.

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3. Was tun? Politik und Völkerrecht

Biodiversitätskonvention:• Definition biologischer Vielfalt: „Ökosysteme, Artenvielfalt, genetische

Vielfalt innerhalb von Arten“.• Ziel: Schutz der biologischen Vielfalt, nachhaltige Nutzung, geregelter

Zugang zu den Ressourcen.

• Cartagena-Protokoll für Biosicherheit (2003)• Handel von GVOs

• Nagoya-Protokoll (Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from Their Utilization, 2010, nicht in Kraft)• Zugang zu genetischen Ressourcen und Vorteilsausgleich

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3. Was tun? Wissenschaft

Friedensbezogene self-governance von Wissenschaft

• OrganisationenPugwash (Russel-Einstein-Manifest) 1955, Nobelpreis 1995, Schon früh auch CBW-Sektion

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3. Was tun? Wissenschaft

Friedensbezogene self-governance von Wissenschaft

Codes of Conduct• Regeln für die Anerkennung der Verantwortung von Wissenschaft• Ursprung in Deutschland: Göttinger Erklärung (1957)

bundesdeutscher Atomwissenschaftler gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr.

• Internationaler Meilenstein im Bereich Biologie: Asilomar Confernece on Recombinant DNA (1975).• 140 Wissenschaftler entwerfen Regeln für den verantwortlichen

Umgang mit rekombinanter DNA. Einführung des Prinzips der Vorbeugung in die Lebenswissenschaften. Grundstein für den heutigen öffentlichen Diskurs über Risiken und Missbrauchspotentiale .

• Upsalla Code of Ethics for Scientists• Zivilklausel (12 deutsche Universitäten)

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3. Was tun? Wissenschaft

Wissenschaft, Zivilgesellschaft und FriedenNGOs vs. epistemic community

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4. Literatur

Altmann, J. et al. (2007): Naturwissenschaft – Rüstung – FriedenAvenhaus, R. et al. (2006): Verifying treaty compliance : limiting weapons of mass destruction and monitoring

Kyoto protocol provisions BrechtBrock, L. (2002): Von der ökologischen Sicherheit zum nachhaltigen Frieden?; in Aus Politik und Zeitgeschichte,

Bundeszentrale für Politische BildungBrundland, G. H. (1987): Our Common Future, United Nations World Commission on Environment and

DevelopmentCzempiel (2002): Der Friedensbegriff der Friedensforschung; in Sahm A. et al. Die Zukunft des Friedens, Eine

Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung, S. 83-93Dürr H.-P. (1995): Das Netz des Physikers, Naturwissenschaftliche Erkenntnis in der Verantwortung.

München Wien 1988 Galtung J. (1969): „Violence, peace and peace research“ in: Journal of Peace Research, Vol. 6, No. 3 (1969), pp.

167-191 Jonas H. (1979): Das Prinzip Verantwortung, Ethik für die

technologische ZivilisationKant I. (1795): „Zum ewigen Frieden“Kock, K. (2009): Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung; Arbeitspapier der Hans-Böckler StiftungKollek, R. (2012): Naturwissenschaft-Gesellschaft-Verantwortung (Vorlesung an der Uni HH)Lenk H. (1993): Über Verantwortungsbegriffe und das Verantwortungsproblem in der Technik, in: Hans Lenk

und Günter Ropohl (Hrsg.): Technik und Ethik, 2. Aufl. Reclam, Stuttgart 1993, 112-148Ruf, W. (2009): Quo vadis Friedensforschung?; in: Baumann, Marcel et al. (Hrsg.): Friedensforschung und

Friedenspraxis; S. 42-56.Schlotter, P. und Wisotzki, S. (2011): Friedens- und KonfliktforschungSenhaas, D. (1994): Wohin driftet die Welt? Über die Zukunft friedlicher Koexistenz.Upsalla Code of Ethics for Scientists (1984)Waever, O.:Weber, M. (1917): Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917),

in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988 (zuerst 1922), 489–540.

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