Biotenside - ihre Produktion war wirtschaftlich bislang ...

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Powered by Biotenside - leistungsstarke Fettlöser aus Bakterien Anfang 2015 gründete die Karlsruher Firma Biotensidon GmbH ein Tochterunternehmen im Bereich der weißen Biotechnologie. In einem Fermenter-Prototypen werden dort Rhamnolipide, besonders oberflächenaktive Biotenside, produziert. Durch diese Entwicklung, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des 'Science & Technology Center in Ukraine' durchgeführt wird, können nun herkömmliche erdölbasierte Tenside durch Biotenside ersetzt werden. Diese sind nicht nur besonders vielseitig, sondern auch vollkommen biologisch abbaubar. Nach Schätzungen werden jährlich weltweit mindestens 18 Millionen Tonnen Tenside produziert. Ob als Emulgator in der Gesichtscreme oder als Fettlöser im Geschirrspülmittel - Tenside begegnen uns überall. Diese Eigenschaften beruhen auf dem amphiphilen Aufbau der Tensid-Moleküle. Dank ihres hydrophilen Kopfes und eines hydrophoben Schwanzes wirken sie wie ein Verbindungsglied zwischen verschiedenen Flüssigkeiten. Als oberflächenaktive Moleküle setzen sie auch die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten herab. Daher zerläuft ein Wassertropfen nach Tensidzugabe wesentlich weiter und behält nicht seine nahezu kugelige Form. Die meisten herkömmlichen Tenside basieren auf Erdöl und sind oftmals umweltbelastend. Sie erfüllen zwar den gesetzlich geforderten Primärabbaugrad - aber dieser bezieht sich lediglich auf den Verlust der Grenzflächenaktivität. Ein vollständiger biologischer Abbau wird bei diesen Tensiden oft nicht erreicht. Daher werden bereits ein Viertel der oberflächenaktiven Substanzen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Palm- oder Kokosöl chemisch hergestellt - sie gelten als vollständig biologisch abbaubar. „Aber auch Mikroorganismen können Tenside produzieren, die biologisch abbaubar sind - sogenannte Biotenside," weiß Rolf Hartmann, Vertriebsleiter der Biotensidon GmbH aus Karlsruhe - einem Unternehmen, das sich in den letzten dreieinhalb Jahren auf biologische Reinigungsmittel spezialisiert hat. Biotenside - ihre Produktion war wirtschaftlich bislang kaum darstellbar Die Biotensidon GmbH wurde Ende 2011 unter anderem von Rolf Hartmann (Vertriebsleiter, rechts) und Jörg Joegel (technische Leitung, links) gegründet. © Biotensidon GmbH Biotenside sind somit eine Gruppe oberflächenaktiver Moleküle, die unter anderem von Bakterien oder Pilzen produziert werden. Bakterien zum Beispiel geben diese in ihre Umgebung ab. Die Tensid-Moleküle können hier in ihrer natürlichen Funktion die Oberflächenspannung des Flüssigkeitsfilms herabsetzen und erleichtern so das Schwärmen der Bakterien. In anderen Fällen werden Biotenside auch in die Bakterien-Zellwand eingelagert, um ihre Eigenschaften zu verändern. Neben ihrem breiten Wirkungsspektrum sind die meisten Biotenside kaum toxisch und besitzen eine antimikrobielle Wirkung gegen bestimmte Bakteriengruppen. Das qualifiziert sie zum Beispiel als Zusatz bei Kosmetika, Hautseifen oder auch für pharmazeutische Produkte. Außerdem sind sie biologisch abbaubar, wodurch sie in nahezu allen Bereichen eingesetzt werden können. Ein Beispiel für ein mikrobielles Biotensid sind Rhamnolipide (RL). Diese gehören zu den Glykolipiden, da sie mindestens ein Zuckermolekül (hier Rhamnose) besitzen. Es sind circa 60 verschiedene Rhamnolipid-Typen bekannt. Die vier häufigsten Vertreter, RL1 bis RL4, werden von dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa als Mix produziert und in das Medium abgegeben. Obwohl Rhamnolipide exzellente Tensid-Eigenschaften aufweisen, werden sie bisher kaum industriell produziert, da herkömmliche Verfahren sehr kostenintensiv sind. Eine der höchsten Rhamnolipid-Konzentrationen (112 g/l) wurde 1997 mit dem Stamm P. aeruginosa realisiert. Dieser produktionsstarke Stamm ist aber ein Humanpathogen der Risikogruppe 2 - eine wirtschaftliche Seiten-Adresse: https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/biotenside- leistungsstarke-fettloeser-aus-bakterien 1

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Biotenside - leistungsstarke Fettlöser aus Bakterien

Anfang 2015 gründete die Karlsruher Firma Biotensidon GmbH ein Tochterunternehmen im Bereich der weißenBiotechnologie. In einem Fermenter-Prototypen werden dort Rhamnolipide, besonders oberflächenaktive Biotenside,produziert. Durch diese Entwicklung, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des 'Science & Technology Center inUkraine' durchgeführt wird, können nun herkömmliche erdölbasierte Tenside durch Biotenside ersetzt werden. Diese sindnicht nur besonders vielseitig, sondern auch vollkommen biologisch abbaubar.

Nach Schätzungen werden jährlich weltweit mindestens 18Millionen Tonnen Tenside produziert. Ob als Emulgator inder Gesichtscreme oder als Fettlöser im Geschirrspülmittel -Tenside begegnen uns überall. Diese Eigenschaften beruhenauf dem amphiphilen Aufbau der Tensid-Moleküle. Dankihres hydrophilen Kopfes und eines hydrophoben Schwanzeswirken sie wie ein Verbindungsglied zwischen verschiedenenFlüssigkeiten. Als oberflächenaktive Moleküle setzen sieauch die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten herab.Daher zerläuft ein Wassertropfen nach Tensidzugabewesentlich weiter und behält nicht seine nahezu kugeligeForm.

Die meisten herkömmlichen Tenside basieren auf Erdöl undsind oftmals umweltbelastend. Sie erfüllen zwar dengesetzlich geforderten Primärabbaugrad - aber dieserbezieht sich lediglich auf den Verlust derGrenzflächenaktivität. Ein vollständiger biologischer Abbauwird bei diesen Tensiden oft nicht erreicht. Daher werdenbereits ein Viertel der oberflächenaktiven Substanzen ausnachwachsenden Rohstoffen wie Palm- oder Kokosölchemisch hergestellt - sie gelten als vollständig biologischabbaubar. „Aber auch Mikroorganismen können Tenside produzieren, die biologisch abbaubar sind - sogenannte Biotenside,"weiß Rolf Hartmann, Vertriebsleiter der Biotensidon GmbH aus Karlsruhe - einem Unternehmen, das sich in den letztendreieinhalb Jahren auf biologische Reinigungsmittel spezialisiert hat.

Biotenside - ihre Produktion war wirtschaftlich bislang kaum darstellbar

Die Biotensidon GmbH wurde Ende 2011 unter anderem von Rolf Hartmann(Vertriebsleiter, rechts) und Jörg Joegel (technische Leitung, links) gegründet. © Biotensidon GmbH

Biotenside sind somit eine Gruppe oberflächenaktiver Moleküle, die unter anderem von Bakterien oder Pilzen produziert werden.Bakterien zum Beispiel geben diese in ihre Umgebung ab. Die Tensid-Moleküle können hier in ihrer natürlichen Funktion dieOberflächenspannung des Flüssigkeitsfilms herabsetzen und erleichtern so das Schwärmen der Bakterien. In anderen Fällenwerden Biotenside auch in die Bakterien-Zellwand eingelagert, um ihre Eigenschaften zu verändern.

Neben ihrem breiten Wirkungsspektrum sind die meisten Biotenside kaum toxisch und besitzen eine antimikrobielle Wirkunggegen bestimmte Bakteriengruppen. Das qualifiziert sie zum Beispiel als Zusatz bei Kosmetika, Hautseifen oder auch fürpharmazeutische Produkte. Außerdem sind sie biologisch abbaubar, wodurch sie in nahezu allen Bereichen eingesetzt werdenkönnen.

Ein Beispiel für ein mikrobielles Biotensid sind Rhamnolipide (RL). Diese gehören zu den Glykolipiden, da sie mindestens einZuckermolekül (hier Rhamnose) besitzen. Es sind circa 60 verschiedene Rhamnolipid-Typen bekannt. Die vier häufigsten Vertreter,RL1 bis RL4, werden von dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa als Mix produziert und in das Medium abgegeben. ObwohlRhamnolipide exzellente Tensid-Eigenschaften aufweisen, werden sie bisher kaum industriell produziert, da herkömmlicheVerfahren sehr kostenintensiv sind. Eine der höchsten Rhamnolipid-Konzentrationen (112 g/l) wurde 1997 mit dem Stamm P.aeruginosa realisiert. Dieser produktionsstarke Stamm ist aber ein Humanpathogen der Risikogruppe 2 - eine wirtschaftliche

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Herausforderung an den Produktionsprozess und die Produktionsstätte. Daher sind die Produktionskosten für Biotenside in derRegel auch etwa 40-mal höher als die synthetischer Tenside.

Die Rhamnolipide von Pseudomonas aeruginosa sind Biotenside, die aus Rhamnose-Zucker und β-Hydroxydecansäure in unterschiedlichem Verhältnis bestehen.Abhängig von der Anzahl der Rhamnose-Moleküle spricht man auch von Mono- oder Di-Rhamnolipiden. © SF/BIOPRO

Aus diesem Grund sucht man weltweit nach einem nicht-pathogenen Produktionsstamm. Aber die bisher erreichtenRhamnolipid-Konzentrationen alternativer Stämme warenum den Faktor 50 bis 400 geringer. Schließlich wurde mandoch fündig. Die Firma Biotensidon ist heute im Besitz eineskonkurrenzfähigen nicht-pathogenen Wildtyps vonPseudomonas aeruginosa. „Dieser Pseudomonaden-Stammist nachweislich nicht pathogen und es kann unter regulärenLaborstandards mit ihm gearbeitet werden. Auch unter demAspekt der Verbraucherakzeptanz war das eine wichtigeVoraussetzung", erläutert Dr. Alexandr Shulga,wissenschaftlicher Projektleiter der Biotensidon. „Dieserspezielle Stamm produziert ein Rhamnolipid-Gemisch derDi-Rhamnolipiden RL3 und RL4. Diese Rhamnolipide sindaufgrund ihrer Eigenschaften ideal, um bisher eingesetzteTenside zu ersetzten und so ein Produkt maßgeblichaufzuwerten."

Die Biotensid-Produktion - eineHerausforderung in der weißenBiotechnologie

„Als Produktionsstandort konnten wir glücklicherweise optimale Räumlichkeiten in Bruchsal finden," so Hartmann. Das nötigewissenschaftliche Know-how für den Aufbau einer wirtschaftlich darstellbaren Rhamnolipid-Produktion fand man in einemukrainischen Forscherteam des Science & Technology Center in Ukraine (STCU) in Kyiv. Daher wurde eine Kooperation mit demSTCU ausgehandelt. So konnte kurz darauf das mittlerweile 7-köpfige Spezialisten-Team um Shulga seine Arbeit aufnehmen.

Der nicht-pathogene Pseudomonas-Stamm wird für die Produktion inRundkolben kultiviert und bei ausreichender Bakteriendichte in den Fermenterüberführt. Nach etwa 72 Stunden kann das bräunlich gefärbte Mediumgewonnen werden, das die Rhamnolipide enthält. © SF/BIOPRO

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„Wir konnten die im Labormaßstab schon funktionierende Rhamnolipid-Produktion in einen 100-Liter-Fermenter übertragen,"erzählt Jörg Joegel, Technischer Leiter des Projektes. „Die eigentliche Herausforderung aus technischer Sicht war eine vermehrteSchaumbildung während der Produktion im Fermenter, was die Rhamnolipid-Produktion erheblich störte." Zusammen entwickelteman die Lösung: Ein neuartiger Innenausbau des Fermenters sorgt für minimales Schaumvorkommen. „So konnten wir auch aufden Einsatz chemischer Anti-Schaummittel verzichten," erklärt Joegel. Nach diesem Erfolg konnten nun Shulga und sein Team dienötigen Prozessparameter sowie die Nährmedium-Zusammensetzung für eine Überproduktion optimieren. „Im Labormaßstabwird eine Überproduktion von Rhamnolipiden bei Pseudomonaden durch eine Nährstoff-Limitation angeregt. Dieser Ansatz ließsich aber nicht auf die Produktion im Fermenter übertragen. Dieses Problem haben wir nun auf anderem Wege lösen können,"erläutert Shulga, der 20 Jahre Erfahrung im Bereich der Rhamnolipid-Produktion in die Entwicklung mit einbringt.

„Anfang Februar konnte nach zweieinhalb Jahren F&E-Arbeit zum ersten Mal Rhamnolipid-haltiges Medium aus dem 100-Liter-Fermenter gewonnen werden - in einer erfolgversprechenden Konzentration von 10 g/l. Und das Feintuning zahlte sich schonnach wenigen Wochen aus. Heute produzieren wir Rhamnolipide in einer Konzentration von 15 g/l im zellfreien Überstand," soJoegel. Eine erfolgreiche Produktion scheint nun realistisch, aber jedes neue Produkt ist mit einem wirtschaftlichen Risikobehaftet. Daher wurde die Produktion in einer separaten Tochtergesellschaft der Biotensidon erst einmal ausgegründet. „Daunsere Produktion jetzt läuft, können wir zusammen mit neuen Investoren das Vorhaben vorantreiben. Geplant ist die Installationmehrerer 250-Liter-Fermenter in den nächsten Monaten, um eine laufende Produktion sicherzustellen. Unser Trumpf: DieBiotensidon kann als etablierte Vertriebsgesellschaft für biologische Reinigungsmittel auf ein weltweites Vertriebsnetzzurückgreifen. Um die ersten Anfragen bedienen zu können, wird in Kürze ein Sprühtrockner zur Herstellung von reinemRhamnolipid-Pulver angeschafft", so Hartmann.

Am Projekt und der Entwicklung des Fermenter-Prototypen waren unter anderem beteiligt (v.l.n.r.): Rolf Hartmann, Jörg Joegel, Dr. M. Pristai (Mikrobiologin) undDr. Alexandr Shulga (wissenschaftliche Projektleitung). © SF/BIOPRO

Fachbeitrag

08.06.2015Sanja FesslBIOPRO© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

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