BIT ROT - HyperMagazine

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BIT ROT Renz Kevin Quattordici Hyperwerk

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Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort 1

2. Abstract 2

3. Kontextualisierung 3

3.1 Einführung 3

3.2 Algorithmen und Vertrauen 4

3.3 Abweichung 5

3.4 Pixelart 5

4. Produkt 7

4.1 Technischer Hintergrund 7

5. Prozess 9

6. Verlauf 10

7. Reflexion 12

8. Abbildungen 13

9. Quellenverzeichnis 26

9.1 Literaturverzeichnis 26

9.2 Weblinks 26

10. Danksagung 27

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Vorwort

In meinem Motivationsschreiben, mit welchem ich mich für das Studium am Hyperwerk beworben habe, erscheint bereits das Thema der Arbeit und ihrer Auto-matisierung. Darin wird erwähnt, wie ich in meinem Beruf als gelernter Informatiker die Automation von Arbeitsabläufen und die Auswirkungen davon auf die Arbeit-nehmer erlebe. Im zweiten Studienjahr am HyperWerk habe ich mich mit Benedikt Achermann weiter in die Thematik der Erwerbsarbeit vertieft. Trotz vielen anderen Projekten hat mich die Automatisierung der Arbeit konstant begleitet.

Als Informatiker mit einer zusätzlichen Ausbildung im gestalterischen Bereich bin ich ein Hybrid zwischen zwei Welten. Während des Studiums konnte ich es lernen, das rationale Wesen des Programmierens als Plattform für kreativen Ausdruck zu nutzen. So entschied ich mich, diese Felder zu kombinieren und als Basis für meine Diplomarbeit zu nutzen. Die vorliegende Arbeit liegt bewusst im Bereich von Interaction Design, da ich mich in diesem Gebiet auch zukünftig weiter-entwickeln will.

1.

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Abstract

Seit Maschinen in die industrielle Fertigung von Produkten eingeführt worden sind, wurde physische menschliche Arbeitskraft immer überflüssiger. Nun befinden wir uns in einem postfordistischen Zeitalter: Tayloristische Strukturen beginnen sich aufzulösen, und Wissensarbeit wird höher gewertet als körperliche Arbeit. Es sind nicht mehr mechanische Maschinen, die zur Obsoleszenz menschli-cher Arbeit führen, sondern digitale Algorithmen. Wird ein Prozess durch einen Algorithmus ersetzt, so sind Menschen zuerst skeptisch. Doch sobald das Vertrauen dem Algorithmus gegenüber gewonnen ist, wird dieser ab diesem Zeitpunkt einge-setzt, und die menschliche Individualität hinter dem Prozess geht langsam verloren. Da aber viele Algorithmen technisch vnicht absolut fehlerfrei arbeiten, bleibt aber auch da eine Individualität. Die Individualität wird der Maschine übertragen. Es gibt Algorithmen, welche gezielt Abweichungen von der möglichen technischen Perfek-tion einbauen, um eine menschliche und kreative Charakteristik zu emulieren. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Mehrwert menschlicher Eigenarbeit und Kreati-varbeit obsolet werden kann durch diese Algorithmen, sobald das Vertrauen zu diesen besteht. Sind digitale Automatismen über Jahre tüchtig am Arbeiten, können durch die Abnutzung der Ram-Bausteine Bits unleserlich werden (Data Rot), und Software-Erosion kann entstehen (Bit Rot). Dies wird Fehler hervorheben, welche ein zusätzliches digitales Eigenleben mit sich bringen (zb. Gliches).

Auf die bewussten Abweichungen von der technischen Perfektion werde ich genauer eingehen. Denn durch moderne maschinelle Fabrikation werden nahezu perfekte Produkte geschaffen. Nicht selten verlieren diese eine eigene Identität. Wird mittels traditionellen Herstellungsverfahren das gleiche Produkt erzeugt, so erhält dieses durch die Spuren der Herstellung einen eigenen Charakter. Es sind die kleinen und einzigartigen Abweichungen, die dem Produkt eine eigene Qualität verleihen. Die Ästhetik fluktuiert zwischen Perfektion und der Abweichung davon. Digitale Bilder sind absolut reproduzierbar und haben eine volatile, rasch vergäng-liche Stofflichkeit. Wie kann ich die Stofflichkeit des Bildes festhalten und es dabei zu einem offensichtlichen Unikat machen? Ich versuche, das Bild in einem nichttri-vialen Verfahren auf die physische Ebene zu übersetzen.Dazu habe ich ein Werkzeug geschrieben, welches die Bildinformationen an einen modifizierten DIY-Plotter weiterleitet. Punkt für Punkt wird das Bild mittels eines Pinsels, wie bei der pointillistischen Malerei, auf das Papier übertragen. Durch physikalische Eigenschaften wie die des Duktus des Pinsels und die Makel des Plotters entwickelt sich das Unikat.

KontextualisierungEinführung

Mit dem Einzug der Industrialisierung begann ein zunehmender Statusver-lust der Arbeitskräfte. Die menschliche Arbeit wurde nachhaltig durch Maschinen ersetzt. 1811 entstand die Bewegung der Ludditen. Mit ihrem fiktiven Anführer Ned Ludd bekämpften sie die durch die industrielle Revolution angetriebenen Umstel-lungen und zerstörten dabei bewusst Maschinen. Die Kraft, welche die Maschinen erzeugten, und deren Auswirkungen waren überschaubar. Die Lösung der Ludditen war dementsprechend simpel.Der Professor für Moderne Europäische Geschichte Anson Rabinbach, beschreibt den Zusammenhang von Energie und Maschinen wie folgt:

«Wenn also die Maschine des 18. Jahrhunderts mit ihrer Multiplikation von Kraften, disparaten Bewegungsquellen und reversiblen Mechanismen eine Refraktion des Newton’schen Universums war, dann hat als die Maschinenmetapher des 19. Jahr-hunderts der thermodynamische Motor zu gelten, der in den Diensten einer als Reser-voir nie versiegender Kraft begriffenen Natur stand. Die Maschine ist nur dann zur Arbeit fahig, wenn sie von einer separaten, externen Quelle angetrieben wird; der Motor wird im Gegensatz dazu von inneren, dynamischen Prinzipien reguliert und wandelt Kalorien in Warme und Warme in mechanische Arbeit um. Korper, Dampfma-schine und Kosmos sind also verbunden durch eine einzige ununterbrochene Kette, durch unzerstorbare Energie: Sie ist allgegenwartig im Universum, fahig zu unendli-cher Mutation und dennoch konstant und unveranderlich.»1

Die von Rabinbach beschriebenen Maschinen unterteilt Marx in die Werk-zeug- und die Energiemaschine. Die Werkzeugmaschine verallgemeinert die Werk-zeugführung durch den Arbeiter, so dass das Produkt nicht mehr durch die individuellen Fähigkeiten des Arbeiters definiert wurde. Es war der Übergang von Unikaten zur Massenproduktion. Die Energiemaschine ermöglicht den ortsunab-hängigen Aufbau von Produktionsanlagen und sorgt für die Bereitstellung einer unbegrenzten, universell einsetzbaren Energieform (Vgl. Merz 1999, p 1). Wie Arbeit und Energie zusammenhängt, war greifbar, und die Grenzen waren ersichtlich. Um den Produktionsertrag zu maximieren, waren ab dem 20. Jahrhundert nicht nur bessere Maschinen, sondern auch das Management der Arbeitenden zu berück-sichtigen. Mit dem Prinzip des Scientific Management wurde die Effizienz der Arbeit maximiert. Wie Frederick Winslow Taylor erkannte:

«We can see and feel the waste of material things. Awkward, inefficient, or ill-directed movements of men, however, leave nothing visible or tangible behind them. Their appreciation calls for an act of memory, an effort of the imagination. And for this reason, even though our daily loss from this source is greater than from our waste of

material things, the one has stirred us deeply, while the other has moved us but little.»2

konnte 1911 die Wirksamkeit der Arbeit noch gesteigert werden.

1 Anson Rabinbach (2013)2 Frederick Taylor (1911)

2. 3.3.1

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Mit dem stätigen Weiterentwickeln des Scientific Management konnte mit Mensch und Maschine die nahezu optimale Produktivität erreicht werden.Doch wie Anson Rabinbach schildert:

«Die Metaphern, die erfassen und verkorpern sollen, was wir Arbeit nennen, geraten mit den Veranderungen industrieller und postindustrieller Arbeit anfangs des 21.

Jahrhunderts in eine Krise.»3

Mit dem Einzug der Wissensarbeit und Digitalisierung ist nicht überschaubar, in welchem Verhältnis die Arbeit zu ihrem Energieaufwand steht. Wissenschaft-liche Rationalisierung der Arbeit, wie sie Taylor erfunden hatte, bleibt auch im digi-talen Bereich bestehen. Es sind nicht mehr die mechanischen Maschinen, die menschliche Arbeitskraft obsolet werden lassen, sondern physisch ungreifbare digitale Algorithmen. Marx hat bereits den Algorithmus in analoger Form kritisiert, wie Stefan Merz zitiert:

« ‹Der Transmissionsmechanismus [...] regelt die Bewegung, verwandelt, wo es notig, ihre Form, z.B. aus einer perpendikularen in eine kreisformige, verteilt und ubertragt sie auf die Werkzeugmaschinerie.› (ebd.) Mit der Transmission wird folglich nicht nur die Energie, sondern auch die Produktionsprozeßlogik ubertragen.»4

Das Wachstumspotential des Algorithmus war Marx bekannt, aber welche Auswirkungen er in digitaler Form haben könnte, konnte noch nicht geahnt werden. Auch die Strategie der Ludditen kann nicht mehr auf den aktuellen Zustand über-tragen werden. Postfordistische und posttayloristische Arbeitsweisen gewinnen zunehmend an Wert. Kreativität wurde in der Wirtschaft wiederentdeckt und Subjektivität im Arbeitsprozess findet neue Anerkennung (Vgl. Diekmann 2014, p. 29). Repetitive Arbeiten können fortlaufend sequenziell automatisiert werden. Der Anteil mensch-lich ausführbarer Arbeit verschwindet. Es sind primär die Entscheidungen, die beim Menschen bleiben. In einer Zeit, in der durch die Massenproduktion ein Überfluss an identischen Produkten erschaffen wird, sind es die Unikate, die durch ihre Rarität höheren Wert erhalten. Der eindeutige Mehrwert von Artefakten liegt darin, dass sie unikale Eigenschaften haben. Um einem Produkt eine möglichst einzigartige Charakteristik zu verleihen, ist Kreativität gefragt. Um sich auf dem Markt des 21. Jahrhunderts beweisen zu können, werden den Arbeitenden Innovation und Kreati-vität abverlangt. Diese Attribute werden in tayloristischen Arbeitsweisen stark eingeschränkt und sind deshalb nicht mehr zukunftsfähig.

Algorithmen und Vertrauen

Wird ein Prozess durch einen Algorithmus ersetzt, so sind Menschen zunächst skeptisch. Doch das Vertrauen gegenüber Algorithmen wächst. Je häufiger sich die Automatisierungen bewähren, desto eher überlassen wir sie ihnen ganz (Vgl. Frick 2015, p. 16). Ein wichtiger Bestandteil des Vertrauens liegt darin, dass die Kombina-tion aus Algorithmus und Maschine sich nicht im Uncanny Valley befindet. Als

3 Anson Rabinbach (2013)4 Stefan Merz (1999)

Uncanny Valley wird ein empirisch messbarer Effekt bezeichnet, welcher die Akzep-tanz von künstlichen Figuren auf die Zuschauer aufzeigt. Es beschreibt, dass die Akzeptanz vom Realitätsgehalt des Trägers (Maschine, Roboter, Avatar) abhängt. Sie verhält sich nicht linear zu dem Anthropomorphismus des Trägers, sondern verzeichnet einen starken Einbruch innerhalb der Spanne (Vgl. Abb 1).Sobald das Vertrauen gewonnen ist, wird der Algorithmus ab diesem Zeitpunkt zunehmend eingesetzt. Die menschliche Individualität hinter dem Prozess wird somit auch der Maschine übergeben, welche durch ihre eigenen Fehler ein neues Eigenleben entwickelt. Wird beispielsweise einem Navigationsgerät das Vertrauen geschenkt, so geht die Fähigkeit, Karten lesen zu können, schleichend verloren und somit auch die menschlichen Fehler (Verfahren durch Fehlinterpretation) hinter dem Prozess. Zurzeit sind selbstfahrende Strassenmotorfahrzeuge in der Entwick-lung und zeigen erste Erfolge. Gewinnen diese unser Vertrauen, so würde die Indivi-dualität – was in diesem Fall der Fahrstil wäre – an das Fahrzeug übergeben.Algorithmen, die Entscheidungen treffen können und eine kreative Subjektivität besitzen, werden stets weiterentwickelt. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Mehrwert menschlicher Eigenarbeit und Kreativarbeit obsolet werden kann durch diese Algorithmen, sobald das Vertrauen zu diesen besteht. Die Diskussion, was der Wert von menschlich hergestellten Artefakten ist und wie solche eindeutig zu erkennen sind, wird zukünftig mit steigender artifizieller Intelligenz stetig mehr Bedeutung erlangen. Würde der Mensch auch da ersetzt, so müssten wir uns einem konstanten Problem stellen, wie Berger Keynes zitiert:

«for the first time since his creation man will be faced with his real, his permanent problem – how to use his freedom from pressing economic cares, how to occupy the leisure, which science and compound interest will have won for him, to live wisely and

agreeably and well.»5

Die Maschine gibt uns die Freiheit, Wesentliches zu tun. Wir müssen lernen, wie wir die Freiheit nutzen, welche uns erarbeitet wird.

Abweichung

Die erwähnte Subjektivität im Prozess wird zunehmend gewichtet, denn durch moderne maschinelle Fabrikation werden nahezu perfekt identische Produkte geschaffen, doch oftmals verlieren diese eine eigene Identität. Die Identität zeigt sich durch eine besondere Kennzeichnung. Wird mittels traditionellen Herstel-lungsverfahren dasselbe Produkt erzeugt, so erhält dieses durch die Spuren der Herstellung einen eigenen Charakter. Es sind die kleinen und einzigartigen Abwei-chungen, die dem Produkt eine eigene Qualität verleihen. Die Ästhetik fluktuiert zwischen Perfektion und der Abweichung davon. Verschiedene Kulturen haben verschiedene Fabrikationsverfahren. Die Unterschiede dieser Fabrikationsver-fahren bringen eine eigene Geschichte mit sich. Das Produkt erhält seine eigene Handschrift. Unausgereifte Fabrikationsverfahren erstellen Fehler, welche zu einzigartigen Massenprodukten führen. Beispiele dafür sind der Batik- und der Siebdruck. Da die Ästhetik dieser Fehler beliebt ist, werden diese Fabrikationsver-fahren teilweise mit Mühe erhalten.

5 J. Berger (2014)

3.2

3.3

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Pixelart

Wir sehen uns ständig mit Pixelgrafiken konfrontiert, jedoch können wir die dem Bild zugrundeliegende Pixelstruktur nur noch selten wahrnehmen bzw. erkennen. Dennoch tauchen immer wieder Bilder auf, die bewusst verpixelt darge-stellt werden. Als gestalterisches Mittel zur Abstraktion wird der Pixel gerne sichtbar von Gestaltern eingesetzt.

«Der Begriff Pixel oder verpixelt ist heute langst kein Fachjargon mehr, sondern in den alltaglichen Sprachgebrauch ubergegangen. Meist bezeichnet dieser Begriff in unserer Vorstellung ein Bild, das aus einem Raster von Quadraten zusammengesetzt ist»6.

Ein Pixel steht für Picture Element und wird zu Deutsch auch oft Bildpunkt genannt. Dieser Bildpunkt ist ein Wertepaar, das Farbinformationen aus Rot, Grün und Gelb beinhaltet (Vgl. Abb. 2). Aufgeteilt in einem Raster, entsteht durch die Wertgebung an die einzelnen Punkte das Bild.Die Aufgliederung eines Bildes durch ein Raster war auch schon vor dem Computer vorhanden. Ein Beispiel hierfür ist der Pointilismus. Die Rasterbilder dazumal waren allerdings nicht technisch bedingt, sondern eine freie Findung des menschlichen Geistes. Frieder Nake behauptet hierzu, dass das Pixelbild den Pointillismus maschinisiert hat und alles, was aus dem Computer entsteht, eigentlich «nur» maschinisierte Kopfarbeit sei. (Vgl. Strunkmann 2011, p. 9). Ein Bild, welches auf dem Display eines Computers wahrnehmbar ist, existiert doppelt. Es existiert in rasch vergänglicher stofflicher Form am Display selbst, durch die Beleuchtung der einzelnen Pixel, und gleichzeitig auch in der Codierung innerhalb des Speichers. Die Farbbestimmung des Pixels ist abhängig von der Codierung (Vgl. Nake 2001, p.2). Der Code für die Beleuchtung der Pixel ist abhängig von einem physischen Spei-chermedium. Physische Speichermedien, so wie ein Datenträger oder Flüssigspei-cher, sind nach langjähriger Nutzung in ihrer Zuverlässigkeit eingeschränkt, und einzelne Bits können falsch übertragen werden. Dieser Umstand nennt sich Data Decay oder Bit Rot. Das heisst, die Zeit manipuliert die Codierung. Und die Codie-rung manipuliert das Erscheinungsbild. Bei der Glitch Art werden diese Effekte absichtlich erzielt. Würden wir über längere Zeit einem Algorithmus vertrauen, welcher unter anderem für die Codierung der Bilder zuständig ist, so könnte dieser beginnen, das Erscheinungsbild zu verändern. Mit meinem Produkt versuche ich unter anderem, diesen Umstand zu simulieren.Die Werke, die durch die Performance meines Plotters entstehen, ordne ich in der Pixel Art ein. Kriterien, um ein Werk in diese Stilrichtung einzuordnen, sind folgende: Der Stil und die Charaktereigenschaften eines Rasters müssen eindeutig erkennbar sein, und durch Technik oder Motiv muss eine Beziehung zum Computer und dessen Technologie ersichtlich sein. (Vgl. A. Strunkmann, p.15).

6 A. Strunkmann (2011)

Produkt Digitale Bilder sind absolut reproduzierbar und haben eine rasch vergäng-

liche Stofflichkeit. Sie erscheinen abhängig von der Aufbaurate des Anzeigegerätes etwa 100-mal pro Sekunde komplett neu (Vgl. F. Nake, p. 3).Um digitale Bilder materiell festzuhalten, gibt es Drucker. Ein wichtiger Faktor, dass sich ein Drucker auf dem Markt beweisen kann, ist, dass er technisch möglichst perfekt arbeitet und keine Abweichungen produziert. Des Weiteren, sollte ein Druck kostengünstig und schnell sein. Ich entschied mich, hier anzusetzen und das komplette Gegenteil eines marktüblichen Druckers zu bauen.Mit meinem Produkt versuche ich die, Stofflichkeit des Bildes festzuhalten und – im Gegensatz zur Massenproduktion – zu einem offensichtlichen Unikat zu gestalten. Das Bild wird in einem nichttrivialen Verfahren auf die physikalische Ebene übersetzt. Dazu habe ich ein Werkzeug entwickelt, das die Bildinformationen an einen modifizierten DIY Plotter weiterleitet. Punkt für Punkt wird das Bild mittels eines Pinsels, wie bei der postimpressionistischen Stilrichtung des Pointillismus, auf das Papier übertragen. Das ist derselbe Prozess wie beim Aufbau eines digi-talen Bildes, hier aber wahrnehmbar. Durch physikalische Eigenschaften wie die des Duktus des Pinsels und die Makel des Plotters entwickelt sich das Unikat. Der Bildpunkt verliert seinen zuvor genau zugewiesen Zahlenwert durch diese Abwei-chung. Das Raster, in welchem sich die übertragenen Punkte befinden, ist noch zu erkennen, jedoch könnte der Betrachter oder Betrachterin meinen, die Maschine versucht, sich von dieser Struktur zu befreien.Die Technik, wie der Plotter die Punkte überträgt, ist sehr zeitaufwändig und bewusst so gewählt. Für ein Bild von 50 auf 40 cm benötigt der Plotter etwa zwei-einhalb Tage. Der Plotter erstellt das Produkt wie ein Arbeiter vor der Erfindung der Werkzeugmaschine. Er untersteht keinem tayloristischem Leistungszwang und fertigt sein Produkt in aller Musse. Will der Betrachter den Effekt – oder gar das Endprodukt – des Plotters sehen, so wird ihm eine enorme Geduld abverlangt. Diese wird der vom tayloristisch-kapitalistischen7 Wirtschaftssystem gefärbte Betrachter jedoch kaum haben.

Bei der Grafik zum Uncanny Valley (Vgl. Abb. 1) würde ich die Maschine zwischen Industrie- und humanoider Roboter einordnen. Ich selbst sehe drei Motoren an einem Gerüst, die aufgrund der Programmierung ihr Zusammenspiel gefunden haben. Die Betrachter anthropomorphisieren die Maschine bereits und geben «ihm» eine Identität. Der Plotter versucht, durch seine künstlerische und kreative Weise eine bislang noch vom Menschen dominierte Domäne zu ersetzen und uns die in der Kontextualisierung erwähnte Freiheit fürs Wesentliche zu erar-beiten. Dabei ist zu beachten, dass dem Plotter die eigene Individualität vom Malen eines Bildes übergeben wird.

Technischer Hintergrund

Das Grundgerüst für den Plotter ist ein von Thibault Prevet entworfenes Open-Source-Design, das letztes Jahr von Matthias Maurer, Fabian Ritzi und mir für die Biennale in Venedig weiterentwickelt wurde. Das Open-Source-Design liefert

7 «Ein privat-dezentrales Wirtschaftssystem, das die Produktions- und Konsumentscheidungen der Wirtschaftssubjekte dezentral über Märkte koordiniert» (J. Berger 2014, p. 6)

4.3.4

4.1

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die ideale Grundlage für Modifikationen.Ich habe mir mittels Processing eine Software erstellt, die es mir ermöglicht, Bilder in Pixelraster aufzulösen. Die Rastergrösse lässt sich dabei beliebig verändern. Ist die Grösse der Pixel getroffen, so werden diese nacheinander an den Plotter weiter-gegeben. Die Farbe des Punktes errechnet sich aus den Grundfarben Cyan, Gelb und Magenta die mit einem Pinsel sukzessiv auf das Papier übertragen werden (Vgl. Abb. 3, 4 & 5).

Prozess

Beim Erarbeiten der Diplomarbeit bin ich vorwiegend intuitiv vorgegangen. Die Rahmenbedingungen, die ich mir gesetzt habe, enthalten diverse Meilensteine. Das war eine bewusste Entscheidung, da ich so mit genügend Musse am Projekt arbeiten konnte und durch die Meilensteine Ziele hatte, die mir den nötigen Fort-schritt im gegebenen Zeitraum einbrachten. In dem gesetzten Rahmen versuchte ich, so intuitiv und impulsiv wie möglich zu arbeiten. Denn Kreativität kann nicht erzwungen werden – sie erscheint in Momenten der Musse. Für Arbeiten, welche weniger Kreativität erfordern, habe ich mir feste Stunden eingeteilt, damit ich fort-laufend daran arbeiten konnte und nicht die Gefahr der Ablenkung bestand. Intuition wird im Alltagsgebrauch oft als das Gegenteil von rationalem Handeln verstanden. Was dabei meist nicht beachtet wird, ist, dass jeder über eine intuitive Intelligenz verfügt, die oftmals rationale Handlungen übersteigen kann. Beispiels-weise bieten

«intuitive Kompetenzen [...] die Moglichkeit, unzureichende, uberbordende oder sich widersprechende Informationen zu managen, auch dann, wenn eine rein rational orientierte Vorgehensweise uberfordert ware»8

Intuition ist durch die Nutzung von unterbewussten Potentialen auch Schlüssel für Kreativität und Innovation (Vgl. Hänsel 2002, p. 4). Intuitives Handeln bringt allerdings das Problem mit sich, dass die getroffenen Entscheidungen stets als bewusste und sinnvolle Entscheidungen wahrgenommen werden, es sich jedoch als schwierig erweist, die Entscheidungen zu kommunizieren. Die intuitive Entschei-dung muss erst übersetzt werden, bevor sie kommuniziert werden kann.

Im Herbstsemester habe ich mich offen mit der Theorie der Abweichung auseinandergesetzt. Während ich den Kurs «Glitch» von Theodore Davis an der HGK besucht habe, konnte ich Referate von Sabine Himmelsbach, Frieder Nake, Rosa Menkman und Jodi anhören. Dadurch habe ich mir ein Basiswissen in Abweichung und digitaler Individualität erarbeitet. In einem ersten Anlauf versuchte ich, ein Artefakt – das traditionell von Hand gefertigt wird – mittels Abweichungen zum Unikat zu machen. Als Objekt entschied ich mich für eine marokkanische Lampe. Bei einem 3D-Modell habe ich die Form durch einen sequenziellen Ablauf mit Zufällen reduziert und das Muster durch zufällige Glitches verändert (Vgl. Abb. 6). Das Resultat erhielt eine sehr eigene Ästhetik, jedoch war diese zu fern vom origi-nalen Objekt um sie noch vergleichen zu können. Beim Versuch, einen Prozess zu entwerfen, der trotzdem dem Original noch nahekommt, bin ich nur auf Lösungen gestossen, die zu viel Eigenarbeit von mir benötigen würden. Demzufolge wäre es meine eigene Individualität und nicht die der Maschine. Somit habe ich mich zu einem anderen Vorgang entschlossen, welcher meine theoretischen Überlegungen spiegelt. Ich entschied mich, dabei auf zweidimensionaler Ebene weiterzuarbeiten und gelangte zum Pixelbild und zum Drucker.

Ein wichtiger Meilenstein war die «Technopoetry – Display 2»-Ausstellung im Depot Basel. Bis zur Vernissage wollte ich eine erste Version meines Produktes fertigstellen. Dies ist mir auch gelungen (Vgl. Abb. 7).

8 M. Hänsel (2002)

5.

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Verlauf

Sep 14

Okt 14

Nov 14

Dez 14

Jan 15

Feb 15

März

15

Apr 15

Mai 1

5

Juni 15

Juli 15

Aug 15

Sep 15

An An /M M D D S S S / As A

An Analyze Orientierungsphase Meilensteine aM Manage Grob Recherche aD Design Praktische Versuche aS Solve & Produce Fein Recherche Abstract Ausstellung aAs Assemble Umsetzung Produkt a

Ausarbeitung Produkt Präsentation Abgabe aTextarbeiten a

6.

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Reflexion

Ich bin froh, dass ich zu Beginn des Diplomjahres, angetrieben von Unsicher-heit, mich nochmals neu finden konnte. Um dies zu erreichen, habe ich mir eine Work Sweet Spot Mindmap erstellt. Der Work Sweet Spot ist eine Überschneidung, bestehend aus Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Durch die Hilfe des Mindmaps (Vgl. Abb. 8) konnte ich ein erstes Abstract verfassen, bei dem sich alle drei Felder überschneiden.

Nachdem der Plotter zum ersten Mal ausgestellt war, habe ich vermehrt positives Feedback erhalten. Dieses war von Bedeutung für mein Durchhaltever-mögen, denn die Eigenwahrnehmung des Innovationsgehalts vergeht mit der Zeit. Es gab mir neue Motivation am Projekt. Die Performance des Plotters scheint auch ein reichhaltiges Medium zu sein, da es dem Betrachter einen Interpretationsspiel-raum überlässt. Dies gab mir neue Inputs, welche teils in die Kontextualisierung eingeflossen sind.

Abbildungen

Abbildung 1: Uncanny Valley Bildquelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Uncanny_Valley#/ media/File:Mori_Uncanny_Valley_de.svg

7. 8.

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Abbildung 2: Pixelraster Kevin Renz, 2014

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Abbildung 3: Plotter Kevin Renz 2015

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Abbildung 4: Plotter Kevin Renz 2015

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Abbildung 5: Plotter (Druck) Kevin Renz 2015

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Abbildung 6: Glitch einer marokkanischen Lampe Kevin Renz, 2014

Abbildung 7: Betrachter bei der Ausstellung Technopoetry – Display 2 Fabian Ritzi, 2015

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Work Sweet Spot

Skills

Sports

SnowboardSurf

Skate

Musik

Gitarre

Audiodesign

IXD

Weitergeben

Skills

Sports

Wissen

IT

DIY

TECH

Coaching

Möglichkeiten aufzeigen

Entscheidungen IT

ProgrammingArduino

Processing PHPInfrstructure

Räumliches Denken

2DCNC

Plasma

Laser

Lampen Modell

Stecksystem

Pollter

Beschriftung

Abdeckung

3D

Nurbs

Gestaltung

Drawing

digital/analog

Vector

LayoutImage Manipulation

Interests

Sports

Ground

Snowboard

Martial arts

Run

Runnershigh

Bike

Rennrad/Fix

Bars

Saddle

Frame

Wheels

Community

Skate

Water

Swim

Rheinschwimmen?

Surf

Boards

DIY

Balsa

Feel

Community

Skill

Ocean Wave/Swell

Light/Shadows

Spectrum

Patterns

Glitch?

IXD

Glitch

Processing

Audiovis

Data Visualisation

Live Visualisatio

Arduino DIY Mech

Impact Tech Craft

Soz

ReisenUnerwartetes

Neue KontakteImpressionen

KulturLandschaft

Gewohnheiten brechen

DIYShareUpcycle

Bali UbudRecycle

Body/MindMusseBeni

MeditationSinne

Handwerk Kulturen

Werkzeug

TraditionMethoden

ArbeitWork/Leisure/Idleness

Generation Y Beni

Sinn/Unsinn

Genrator

Büro für Arbeit

Beschäftigung/Zeit

GestaltungGeschichte

InterpretationWahrnehmung

TechIT?

Web

Arbeiten von Überall

Shop

Community

Opportunity

Tech

Occulus

3D Printers

Laser /CNC/plas?WEB

krnz/Tumbler/Vimeo

FHNW/HYP

Werkstatt

Team

Students

Tech

Matt Ritzi

Beni

Surf TeamPascal

Andi

Anja

Marianna

Lukas

IXDM

Ludwig

Ted

Glitch

Reallife Glitch

3D Print

Furniture

Lamp

Chair/Table

Flik Fabrik

Team

Tobi

Space?

Sports

Rivers

Mountains

Skatespots

Werkhof

Team

Öffentlichkeit?

Space?

SBH

HY

Blind

Abbildung 6: Mindmap Kevin Renz, 2014

Abbildung 8: Mindmap Kevin Renz, 2014

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QuellenverzeichnisLiteraturverzeichnis

Alice Strunkmann-Meister (2011): Die Ästhetik des Pixels in der modernen Kunst, München.

Anson Rabinbach (2013): Von mimetischen Maschinen zu digitalen Organismen Die Transformation des menschlichen Motors, Köln: Böhlau-Verlag.

Christian Schilcher, Janis Diekmann (2014): Moderne Arbeitswelten: Die Macht der Informatisierung und die Bedeutung des Wissens, Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Fredrick Winslow Taylor (1911): The Principles of Scientific Management, New York und London: Harper & Brothers.

Frieder Nake (2001): Vilem Flusser und Max Bense des Pixels angesichtig werdend. Eine Uberlegung am Rande der Computergrafik, Bielefeld: Kerber.

Johannes Berger (2014): Kapitalsmusanalyse und Kapitalismuskritik, Mannheim: Springer-Verlag.

Karin Frick (2015): In tech we trust, Zürich: Gottlieb-Duttweiler-Institut.

Rainer Kohlberger (2007): Kalkulierte Abstraktion, Berlin.

Weblinks

M. Hänsel, A. Zeuch, J. Schweitzer (2002): Erfolgsfaktor Intuition Geistesblitze in Organisationen, http://www.professionelle-intuition.de/Publikation/Erfolgsfaktor_Intuition_-_OE_Artikel_2002.pdf, [Stand: 10.4.2015].

Stefan Merz (1999): Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus – oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten Wirtschaft. http://www.kriti-sche-informatik.de/algorevl.htm, [Stand: 2.3.2015].

Danksagung

Matthias MaurerFabian RitziThibault BrevetPascal HeimannBenedikt AchermannAndreas FrehnerMax SpielmannRalf NeubauerMichel WinterbergTheodore DavisClaudia Nünlist

10.9.

9.2

9.1