Björn Lemmer Chrono- pharmakologie · Leben und Überleben beeinflusst, ist grundlegender...

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4. Auflage Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart Björn Lemmer Chrono- pharmakologie Biologische Rhythmen und Arzneimittelwirkung

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4. Auflage

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Björn Lemmer

Chrono-pharmakologie Biologische Rhythmen

und Arzneimittelwirkung

Lemmer

Chronopharmakologie

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Björn Lemmer, Mannheim

4., überarbeitete und erweiterte Auflage

Mit 181 Farbabbildungen und 26 Tabellen

Chrono- pharmakologieBiologische Rhythmen

und Arzneimittelwirkung

Anschrift des AutorsProf. Dr. med. Dr. h.c. Björn LemmerRuprecht-Karls-Universität HeidelbergInstitut für Experimentelle & Klinische Pharmakologie & ToxikologieMaybachstr. 1468169 Mannheim

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4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2012

ISBN 978-3-8047-2786-1

© 2012 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgartwww.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de

Printed in Germany

Satz: primustype Hurler, NotzingenDruck und Bindung: AZ-Druck, BerlinUmschlagabbildung: F1 online, FrankfurtUmschlaggestaltung: Atelier Schäfer, Esslingen

Meinen EnkelinnenLea Sophie und Laura Flurina

VII

Vorwort zur 4. Auflage

In den vergangenen Jahren hat die Forschung in der Chronobiologie einen ungeheue-ren Aufschwung erlebt. Nicht nur sind „Uhrengene“ bei den verschiedensten Spezies wie der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, dem Schleimpilz Neurospora grassa, dem Goldhamster, der Maus und der Ratte nachgewiesen worden, auch beim Men-schen konnte die Existenz solcher Uhrengene – sogar in peripheren Organen wie Haut und Schleimhaut – nachgewiesen werden. Immer genauer erlangen wir Einblick in die Regulationsmechanismen, die für die Steuerung circadianer Rhythmen verantwortlich sind. Erstaunlich ist auch, wie groß die Ähnlichkeit der circadianen Regulationspro-zesse zwischen den verschiedenen Spezies ist. Neben dem rhythmischen Auf- und Ab-bau von Uhrengenen werden auch andere Gene, die primär mit der inneren Uhr nichts zu tun haben, circadian rhythmisch reguliert, so 8–10% aller Gene in Leber- und Herzgewebe der Maus. Dies betrifft auch die Epigenetik, die zunehmend in der Medi-zin an Bedeutung gewinnt. Circadian-rhythmische Prozesse sind essenzielle Bestand-teile des Lebens, dies gilt für den Einzeller bis hin zum Menschen. Viele Erkrankungen gehen mit Veränderungen in den zugrunde liegenden biologischen Rhythmen einher, so beim Asthma, dem Bluthochdruck, der rheumatoiden Arthritis, Tumorerkrankun-gen, psychischen Störungen, allergischen Reaktionen, bis hin zur Schichtarbeit und beim Jetlag.

Neben der molekularbiologischen Erforschung circadianer Rhythmen haben Be-obachtungen über Genmutationen in Uhrengenen, die z. B. zu Schlafstörungen beim Menschen führen können, und tierexperimentelle Studien an Nagern, bei denen Gene entfernt oder inaktiviert wurden („knock-out Tiere“), unsere Kenntnisse über die Aus-wirkungen des normalen bzw. gestörten circadianen Uhrenapparates für den gesamten Organismus erweitert. Dies konnte natürlich nicht ohne Auswirkung auf die klinische Forschung sein, was sowohl die Diagnostik von Erkrankungen als auch ihre Phar-makotherapie umfasst, wie in dem Buch dargelegt wird. Erfreulich ist auch, dass die Berücksichtigung rhythmischer Prozesse, seien sie nun circadian, d. h. durch innere Uhren gesteuert, oder sog. 24-Stunden-Rhyhtmen, bei denen der Beitrag der inneren Uhren nicht sicher bekannt ist, Eingang gefunden hat in nationale und internationale Richtlinien zur Diagnose und Behandlung von Erkrankungen, so beim Asthma bron-chiale. Auch im Bereich der Schmerzbehandlung, allergischer Reaktionen, der Thera-pie mit Zytostatika, der Hypertonie und der koronaren Herzerkrankung, psychiatri-scher Erkrankungen, sowie in der Pharmakokinetik und in der Toxikologie werden heute diese Rhythmen berücksichtigt, wenn auch noch nicht in dem Maße, wie es von der Grundlagenforschung her wünschenswert wäre. Auch die Sicherheitspharmako-logie, die bei der Entwicklung von neuen Medikamenten von grosser Bedeutung ist, nimmt die Chronopharmakologie nun ins Visier. In der Reisemedizin besteht nach Flugreisen über mehrere Zeitzonen heute kein Zweifel an der bedeutsamen Rolle der durch die schnelle Zeitzonenüberschreitung bedingten Störung innerer Uhren für die Jetlag-Symptomatik. Ja, Fluggesellschaften wie die Lufthansa beziehen diese Erkennt-nisse in ihren Dienstplan für das fliegende Personal mit ein.

Seit der letzten Auflage sind weitere Aspekte rhythmischer Phänomene beschrieben worden, die auch Bedeutung für die Pharmakotherapie haben. So wurde die 3. Auflage nicht nur intensiv überarbeitet und ergänzt, aktuelle wissenschaftliche Publikationen

VIII

Vorwort zur 4. Auflage

aufgenommen, sondern es sind auch neue Kapitel, z. B. Jahresrhythmen bei Osteopo-rose und Vitamin D-Supplementation, Chronopharmakologie der Statine, Regulation von Hunger und Sättigung, hinzugekommen.

Ich hoffe, mit der 4. Auflage dieses Buches das Interesse an den inneren Uhren und ihrer Bedeutung für die biomedizinische Forschung und die angewandte Chronophar-makologie weiter zu fördern. Gerade in der Medizin scheint mir die Beachtung bio-logischer Rhythmen einen Beitrag zu einer „natürlicheren“ Pharmakotherapie leisten zu können.

Nicht ohne Grund habe ich zahlreiche historische Beobachtungen zu rhythmi-schen Phänomenen, die seit dem 17. Jahrhundert beschrieben wurden, in das Buch aufgenommen. Sie sollen verdeutlichen, dass wir nicht nur auf den Schultern unserer Vorväter stehen, sondern darüber hinaus den Bezug zwischen biologischen Rhythmen und den Künsten verdeutlichen, da auch die Medizin, trotz aller wissenschaftlichen Rationalität, eine Kunst ist, wie schon Hufeland in seinem 1797 erschienen Buch „Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern“ im Titel deutlich machte.

Ich danke der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft für ihr Engagement bei der Erstellung des Buches.

Mannheim, im Herbst 2011 Björn Lemmer

IX

Inhalt

Vorwort zur 4. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Die innere Uhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.2 Uhrengene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.2.1 Molekulare Grundlagen der inneren Uhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.3 Chronobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.4 Rhythmen am Beginn und Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.5 Chronopharmakologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2 Historischer Rückblick: Das Zeitalter der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . 212.1 Biologische Rhythmen und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.2 Asthma bronchiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.3 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Chronopharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.1 Resorption von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3.2 Verteilung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

3.3 Metabolisierung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3.4 Renale Ausscheidung von Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

3.5 Zur Chronopharmakologie des Alkohols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4 Asthma bronchiale und Antiasthmatika . . . . . . . 554.1 Asthma bronchiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554.1.1 Theophyllin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604.1.2 2-Sympathomimetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624.1.3 Anticholinergika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634.1.4 Glucocorticoide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644.1.5 Leukotrienantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664.1.6 PDE4-Inhibitoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

X

Inhalt

5 Allergische Reaktionen und Antihistaminika . . . 695.1 Allergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

5.2 Allergische Rhinitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

6 Chronopharmakologie des Schmerzes, Arthritis und Osteoporose . . . . . . . . . . . . . . . . 736.1 Chronopharmakologie der Lokalanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

6.2 Chronopharmakologie der nichtsteroidalen Analgetika/ Antiphlogistika (NSAID) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

6.3 Chronopharmakologie der rheumatoiden Arthritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

6.4 Knochenumsatz und Osteoporose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

6.5 Chronopharmakologie der Opiate/Opioide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

7 Chronopharmakologie des kardiovaskulären Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . 917.1 Pathophysiologie der Angina pectoris und des Herzinfarktes . . . . . . . . . . . 92

7.2 Pathophysiologie von Herzrhythmusstörungen und des plötzlichen Herztodes . 98

7.3 Pathophysiologie der Rhythmik von Schlaganfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

7.4 Tagesrhythmik von Blutdruck und Herzfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

7.5 Praxis- oder Weißkittelhypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

7.6 Neurohumorale Steuerung der Rhythmik des Blutdrucks . . . . . . . . . . . . . . 104

7.7 Tierexperimentelle Studien zu kardiovaskulären Funktionen und ihren Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057.7.1 Signalübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067.7.2 Telemetrische Erfassung von Blutdruck und Herzfrequenz . . . . . . . . . . . . . 1107.7.3 Rhythmik im Blutdruck des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

7.8 Chronopharmakologie der Hypertonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1167.8.1 -Adrenozeptor-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1167.8.2 -Adrenozeptor-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1187.8.3 Calciumkanalblocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1187.8.4 ACE-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217.8.5 AT1-Rezeptor-Blocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1237.8.6 Diuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

7.9 Chronopharmakologie der koronaren Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1247.9.1 -Adrenozeptor-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1247.9.2 Calciumkanalblocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1267.9.3 NO-Donatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1267.9.4 Beeinflussung des Gerinnungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

7.10 Zur Chronopharmakologie des Glaukoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

XI

Inhalt

8 Chronopharmakologie des Magen-Darm-Traktes . 1338.1 Chronobiologie des Magen-Darm-Traktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1338.1.1 Hunger und Sättigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

8.2 Chronopharmakologie der H2-Blocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

8.3 Chronopharmakologie der Protonenpumpenhemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

8.4 Chronopharmakologie der Statine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

8.5 Zur Chronopharmakologie der Acetylsalicylsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

9 Psychopharmaka, Sedativa, Hypnotika und helles Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1459.1 Chronobiologie des zentralen Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

9.2 Chronopharmakologie der Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

9.3 Winterdepression und Lichttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

10 Chronotoxikologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

11 Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

12 Jetlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

1

1 Einleitung

1 Einleitung Leben ist ohne den Begriff der Zeit nicht denkbar. Will man die physio-logische Seite der Zeit in ihren Erscheinungen erfassen, müssen die zeitbedingten Prozesse und die Signale, die die Zeit in bestimmte Abschnitte zergliedern, charak-terisiert werden.

Ein herausragendes Merkmal der belebten und unbelebten Natur ist ihre rhythmi-sche Ordnung. Zeit erfahren wir tagtäglich, vor allem durch den stetigen Wechsel von Licht und Dunkelheit und von Aktivität und Ruhe. Bei diesen Betrachtungen spielt der Wechsel zwischen Tag und Nacht bzw. zwischen Licht und Dunkel als Bezugsgrö-ße eine überragende Rolle. Die Wahrnehmung und Erfahrung dieses grundlegenden Rhythmus in der Natur hat die Menschheitsgeschichte von Anbeginn geprägt, hat Leben und Überleben beeinflusst, ist grundlegender Bestandteil der menschlichen Ge-schichte und aller Religionen. Kein Ereignis hat tiefgreifendere Spuren in der Mensch-heitsgeschichte hinterlassen. So beginnt auch das Alte Testament im 1. Buch Moses, Kapitel 1, mit der Schaffung von Tag und Nacht, wiedergegeben auch in der Weltchro-nik 1493 (siehe Abb. 1.1) von Hartmann Schedel [1].

Diese grundlegende „Umweltbedingung“ hat sich allen Lebewesen – vom Einzeller, über Pflanze, Tier und Mensch – tief eingeprägt und in der Onto- und Phylogenese alle

Und got sprach. Es werd das liecht.und das liecht is worde. un got sahedas liecht das es gut wer un teyletdas liecht vo de finsternussen. un nennetdas liecht den tag un die finsternus die nacht.

Vom werck des erste tags

Abb. 1.1: Entstehen von Tag und Nacht. Aus [1]

Einleitung

2

Lebensvorgänge beeinflusst. Dies hat dazu ge-führt, dass ein generelles Prinzip des Lebens auf der Erde die Entwicklung von „inneren Uhren“ geworden ist, deren antizipatorischer Charakter für Leben und Überleben von Spezies und Indi-viduen beigetragen haben. Nur der Organismus, der antizipierte, was am nächsten Morgen oder am nächsten Abend für ein Überleben notwen-dig war, hatte die Chance, auch zu überleben. In den letzten Jahren haben wir viele Details über die Genetik und die Regulationsmechanismen der „inneren Uhren“ gelernt, die außerordentli-che Analogie zwischen den verschiedensten Le-bewesen ist faszinierend.

Dass auch beim Menschen physiologische Funktionen periodischen Veränderungen unter-liegen, wird den meisten Menschen erst bewusst, wenn Störungen in diesen Rhythmen auftreten. Auch unser soziales Leben ist in der Regel durch einen 24-Stunden-Rhythmus geprägt.

Rhythmische Abläufe finden sich jedoch nicht nur im Bereich unserer Umwelt, auch phy-sikalische, chemische und biologische Prozesse sind periodisch organisiert. Rhythmische Verän-derungen lassen sich auf der Ebene der Atome nachweisen, Atomuhren erlauben uns die fast

objektive Messung der Zeit, wie uns „Quarzuhren“ einprägsam vor Augen führen. Hier sei angemerkt, dass die heutige „Tageszeit“, die wir mit unseren Uhren ab-

lesen, nicht der „Sonnenzeit“ entspricht. Erst die Eisenbahn mit ihren verbindlichen Fahrplänen machte es nötig, dass die Uhrzeit nicht mehr vom lokalen Kirchturm abgelesen wurde, sondern dass internationale Regelungen zur Festlegung der Zeit, und damit Regelungen für den Eisenbahnverkehr, eingeführt wurden. In Deutschland wurde erst am 1. April 1893 mit dem „Reichsgesetz betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung“ die Mitteleuropäische Zeit als Einheitszeit für ganz Deutschland in Kraft gesetzt. Vorher galten die lokalen Zeiten, wie aus dem „Ver-ordnungsblatt der Direction der Großherzoglichen Posten und Eisenbahnen“ vom 24. Juni 1846 hervorgeht.

Es gibt biologische Rhythmen mit einer Frequenz von: 2 Millisekunden (z. B. neuronale Entladungen) 2 Sekunden (Herzfrequenz, Wellen der elektrischen Aktivität des Gehirns) 2 Mehreren Sekunden (Atemfrequenz) 2 Minuten bis Stunden (pulsatile Hormonfreisetzung) 2 Einem Tag (circadiane Rhythmen; circa = etwa, dies = Tag) 2 Einem Monat (circamensuelle Rhythmen) 2 Einem Jahr (saisonale Rhythmen, circaannuale Rhythmen)

Abb. 1.2: Verordnungsblatt zum gleichmä-ßigen Richten der öffentlichen Uhren vom 24.6.1846

3

Einleitung

Rhythmen finden sich vom Einzeller bis hin zu komplexen multizellulären Orga-nismen des Pflanzen- und Tierreiches und des Menschen. Die Frequenzen der in der Natur vorkommenden Rhythmen sind in nahezu jedem Zeitbereich angesiedelt.

Der offensichtlichste Rhythmus in unserer Umwelt, der durch die Rotation unseres Planeten um seine zentrale Achse bedingte Wechsel zwischen Tag und Nacht, scheint den bekanntesten Rhythmus, den circadianen Rhythmus, geprägt zu haben.

Vor mehr als 200 Jahren wurde bereits spekuliert, inwieweit die offensichtliche Rhythmik im Ablauf der Umwelt, von Tag und Nacht und der Jahreszeiten, Auslöser unserer eigenen Rhythmen ist oder ob körpereigene, sog. endogene Rhythmen hierfür verantwortlich sind. Während die moderne molekularbiologische Forschung überzeu-gende Beweise für den endogenen Charakter der Rhythmen erbracht hat, sollte daran erinnert werden, dass bereits Murat 1806 schrieb „La phénomène périodique le plus remarquable parmi les fonctions physiologiques, et qui coincide le mieux avec les suc-cessions constantes du jour et de la nuit .., c‘est le retour alternatif du sommeil et de la veille. Cette fonction n‘appartient pas aux phénomènes du périodisme physique, mais elle s‘en rapproche, si la cause qui fait naître ne réside point en nous: il existe donc une cause, qui oblige le principe de vie de répéter les actes alternatifs de sommeil et de la veille.“ [2]. Und wenig später spricht J.J. Virey im Jahre 1814 in seiner Disserta-tionsarbeit (siehe Abb. 1.4), die er der Medizinischen Fakultät von Paris vorlegt, von einer „sorte d‘horloge vivante, montée par la nature“ [3]. Beide Autoren nehmen also aufgrund ihrer Beobachtungen und scharfen Analyse ihrer Ergebnisse die Folgerungen

Abb. 1.3: Rhythmen in biologischen Systemen

Einleitung

4

der molekularbiologischen Forschung vorweg. Es ist erstaunlich, mit welcher Vielfalt und Genauigkeit in den letzten 400 Jahren biologische Rhythmen beim Menschen be-schrieben wurden, der interessierte Leser sei auf einen Übersichtsartikel verwiesen [4].

1.1 Die innere Uhr

Circadiane Rhythmen – die endogenen Rhythmen werden nach einem Vorschlag von Halberg [5, 6] als circadiane (lat.: circa = etwa, dies = Tag) bezeichnet – haben bei vielen Spezies gemeinsame grundlegende Eigenschaften: 2 Die Periodenlänge kann in der Regel zwischen 22 und 28 Stunden variieren,

beträgt im Mittel etwa 24 Stunden. 2 Sie sind bei allen Lebewesen nachweisbar. 2 Die innere Uhr benötigt keine Signale aus der Außenwelt um diesem Rhythmus zu

folgen. Er besteht weiter unter Freilaufbedingungen.

Julien-Joseph Virey (1776–1846)

… une sorte d’horloge vivante,montée par la nature, entraînéepar le mouvement rapide du soleilet de notre sphère …

Abb. 1.4: Titel der Dissertationsarbeit von J.J. Virey aus dem Jahre 1814

Die innere Uhr

5

2 Externe Reize (Zeitgeber) können die innere Uhr von Lebewesen mit der Außen-welt synchronisieren. Der wichtigste Zeitgeber ist Licht, der Tagesrhythmen von Pflanzen, Tieren und dem Menschen synchronisiert. Die Tageslänge (Lichteinfall) synchronisiert Jahresrhythmen.

2 Innere Uhren sind unabhängig vom pH-Wert oder der Körpertemperatur („Tem-peratur-kompensiert“), während chemische Prozesse von der Temperatur beein-flusst werden.

2 Die genetische Basis circadianer Rhythmen ist nachgewiesen.Damit sind circadiane Rhythmen von ihrer Natur her endogen und werden durch biologische Uhren angetrieben. Die Periodenlänge der inneren Uhr(en) wird durch Uh-rengene bestimmt (s. u.).

Circadiane Rhythmen bestehen auch unter Bedingungen fort, unter denen Zeitge-ber der inneren Uhren (siehe Abb. 1.5) wegfallen (sog. Freilauf), wie der Wechsel von Licht und Dunkelheit, Mahlzeiten, körperlicher Aktivität und sozialen Faktoren. Das Weiterbestehen endogener Rhythmen wurde beim Menschen durch Isolationsexperi-mente in Bunkern und Höhlen gezeigt [7]. Im Tierversuch kann man dies sehr einfach durch Veränderung der Licht-Dunkel-Verhältnisse mittels Lichtschaltuhren im Tier-raum, z. B. Dauerdunkel, Dauerlicht, erreichen [8–10].

Der Begriff „Zeitgeber“ wurde von Jürgen Aschoff [11] geprägt und in den in-ternationalen wissenschaftlichen Sprachgebrauch übernommen. Die Tabelle 1.1 zeigt eine Zusammenstellung, wie amerikanische Biologiestudenten den Terminus „Zeitge-ber“ geschrieben haben, eine Zusammenstellung J. Aschoff zu seinem 70. Geburtstag gewidmet. Aschoff und seine Arbeitsgruppe haben wesentliche Beiträge zur Entde-ckung, Beschreibung und Organisation circadianer Rhythmen geleistet (s. Literatur).

Unsere inneren Uhren, sog. Circa-Uhren, gehen von Natur aus „falsch“, da sie in der Regel mit einem 25-Stunden-Tag laufen, der dann unter Freilaufbedingungen nach-weisbar ist (siehe Abb. 1.6). Es ist somit die Aufgabe der Zeitgeber, die inneren Uhren auf den geophysikalischen 24-Stunden-Tag zu synchronisieren. Somit durchlebt der Mensch jeden Tag einen kleinen Jetlag (siehe Kap. 12).

Abb. 1.5: Schematische Darstellung der Inter - aktion zwischen inne-rer Uhr, Zeitgebern und den durch die Uhr beein-flussten körpereigenen Systemen, die die Zeiger der Uhr darstellen.

Einleitung

6

Tab. 1.1: 32 verschiedene Schreibweisen, wie amerikanische Biologiestudenten den Begriff „Zeitgeber“ ge-schrieben haben. J. Aschoff zum 70. Geburtstag gewidmet

ZeitgersZeightgebersZeitagibersZeitbergeZeitebergersZeitegebersZeitengebersZeiterbarsZeiterbergZeiterbersZeiterburgs

ZeitgeibersZeitgeistsZeitgerbersZeitgerersZeitgibergZeitglibergZeitibergsZeitigebersZeitinburgersZetebergersZetegebers

ZetgerbersZetgiebersZetibergsZetibersZetiebersZetigebegersZetigebersZietbergursZietgeibersZietgietersZitegers

Es sei jedoch angemerkt, dass der Ausdruck circadian nicht immer in seiner kor-rekten Bedeutung – als durch innere Uhren gesteuert – verwendet wird. Die meisten Rhythmen z. B. beim Menschen sind nie unter Freilaufbedingungen, z. B. im Isolati-onsbunker ohne äußere Zeitgeber, untersucht worden. Solche Rhythmen, deren en-dogene Komponente nicht bekannt ist, sollten daher korrekterweise als 24-Stunden-Rhythmen oder Tagesrhythmen bezeichnet werden. Vor allem Kliniker verwenden den Ausdruck „circadian“ jedoch meist in seiner allgemeinen Form.

Inwieweit einzelne mit einem Tagesrhythmus ablaufende Phänomene bzw. physio-logische Funktionen unmittelbar von Einflüssen der Umwelt abhängig sind oder in-wieweit es sich um sogenannte endogene Rhythmen handelt, ist, wie bereits erwähnt, im Einzelfall nicht immer zu entscheiden. Die Tatsache, dass ein Phänomen zyklisch abläuft, lässt nicht den Schluss auf einen endogenen Rhythmus zu. So können bei Mensch und Tier die während eines Tages immer zum gleichen Zeitpunkt eingenom-menen Mahlzeiten oder die nächtliche Nahrungsaufnahme bei Ratten und Mäusen einen 24-Stunden-Rhythmus in der Resorption von Substanzen über den Magen-

Synchronisiert Freilaufend

Aktivitätszeit (α) Ruhezeit (ρ)αρ

°C37,0

Rektaltemperatur

Cortisol

Zeit (Tage)

36,0

μg/h64

2

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Abb. 1.6: Rhythmen in Aktivität und Ruhe, Rektaltemperatur und Cortisolausscheidung im Harn beim Men-schen unter Synchronisation und unter Freilaufbedingungen (nach [12]). Unter Freilaufbedingungen ist deut-lich die Verlängerung der Periodendauer mit Verschiebung des Maximums festzustellen.

Die innere Uhr

7

Darm-Trakt aufweisen, der bei Änderung des Zeitpunktes der Nahrungsaufnahme verschwindet. Auf Beispiele solcher rein exogener Rhythmen wird später eingegan-gen werden. Andere Rhythmen wie Schwankungen in der Körpertemperatur und im Schlaf-Wach-Rhythmus bleiben jedoch erhalten, auch wenn bekannte äußere Synchro-nisationsfaktoren wie der Wechsel zwischen Tag und Nacht, Informationen über die

0 12 24 12 24 12 24 12 24 12 24 12 24 12 24

Zeit (Stunden)

τ = 25,7 Std.

τ = 33,4 Std.

τ = 25,1 Std.

A

B

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

22

24

26

2

4

6

8

10

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Zeit

(Ta

ge)

A

B

τ = 24,6 Std.

τ = 25,0 Std.

τ = 16,6 Std.

Abb. 1.7: Circadiane Rhythmen in Aktivität und Ruhe (schwarze und weiße Balken) sowie in der Rektaltem-peratur (Dreiecke über und unter den Balken für die Maxima und Minima) bei zwei Versuchspersonen, die einzeln in der Isolationskammer unter konstanten Bedingungen gelebt haben. Abschnitt A: interne Synchro-nisation; Abschnitt B: interne Desynchronisation; ; = circadiane Periode. Aus [15]

Einleitung

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Tageszeit oder soziale Kontakte wegfallen. Sie sind somit echte circadiane Rhythmen. Dies hat Aschoff und seine Arbeitsgruppe (z. B. Lit. [13–16]) in vielen Untersuchungen am Menschen überzeugend dokumentiert. In Experimenten an Freiwilligen, die bis zu mehreren Wochen isoliert von allen Zeitgebern aus der Umwelt in einer Isolierkam-mer (Bunker in Ehrlich-Andechs) lebten, konnte sie nachweisen, dass die Körpertem-peratur und der subjektiv von den Probanden eingehaltene Wechsel in körperlicher Aktivität und Ruhe in ihren Rhythmen freiliefen [13, 14] (siehe Abb. 1.7). Dabei wi-chen die Frequenzen dieser Rhythmen nicht nur gering nach unten oder oben von einem exakten 24-Stunden-Rhythmus ab, es trat auch das Phänomen der internen Desynchronisation auf. Darunter versteht man, dass vorher phasensynchron laufende Rhythmen wie die Körpertemperatur und der Schlaf-Wach-Rhythmus bei Freilaufen dieser Rhythmen, z. B. unter Dauerdunkel im Bunker, plötzlich mit unterschiedlichen Frequenzen weiterlaufen, so dass beispielsweise der Schlaf-Wach-Rhythmus bei ein-zelnen Probanden mit einer Dauer von 34 Stunden verlängert oder auf 18 Stunden verkürzt wurde, während der Temperaturrhythmus bei etwa 24,8 Stunden konstant blieb. Bedeutsam ist, dass die Probanden überhaupt nicht bemerkten, dass sie unter einem kürzeren oder längeren Tag lebten. Solche interne Desynchronisationen sind auch beim Jetlag zu beobachten (siehe Kap. 12).

Interessanterweise beobachtete Aschoff in diesen Studien, dass bei den Teilneh-mern auch unter einem 34-Stunden-Tag, an dem sie die gleichen Tagesmahlzeiten er-hielten, das Gewicht sich nicht veränderte [16].

Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass sich auch Wochen nach Umkehr der Licht-Dunkel-Verhältnisse einige Rhythmen z. B. in der Aktivität einzelner Enzyme der Rat-tenleber nicht umsynchronisieren lassen [17] . Tumorzellen, wie bei Mäusen gezeigt, können sogenannte anarche Rhythmen aufweisen, die sich ebenfalls nicht umsynchro-nisieren lassen [18]. Es ist daher ratsam, tierexperimentelle Studien nicht unter einem inversen Nacht-Tag-Rhythmus durchzuführen, nur weil der Experimentator – einfa-cher für ihn – die Experimente nun am Tag bei z. B. nachtaktiven Nagern durchführen kann.

Mathematisch charakterisieren lässt sich ein Rhythmus – sowohl endogen als auch rein exogen – durch die Periodendauer ( ), die bei circadianen Rhythmen etwa 24 Stunden beträgt, die Größe der Amplitude um den angepassten 24-Stunden-Mittel-wert (Mesor = midline estimated statistic of rhythm) und die zeitliche Lage von Ma-ximum (Acrophase) und Minimum (Bathyphase) des Rhythmus. Da viele biologische Rhythmen keine reinen Cosinusfunktionen sind, werden häufig mehrere harmonische Oberschwingungen an die Daten angepasst. Eine allgemeine, häufig benutzte Funk-tion ist:

wobei n die Anzahl der Schwingungen ist [19] [20].

Es muss an dieser Stelle betont werden, dass der von dem Biologen und Arzt Wil-helm Fließ (1858–1928) eingeführte „Biorhythmus“, der mit dem Tag der Geburt beginnen soll (was in Betracht der genetischen Verankerung der inneren Uhren an sich schon unsinnig ist), mit sinusartigen Perioden in körperlicher, emotionaler und geisti-ger Befindlichkeit von 23, 28 bzw. 33 Tagen jeder wissenschaftlichen Grundlage ent-

Uhrengene

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behrt und in den Bereich der Pseudowissenschaft fällt, obwohl diese „Biorhythmen“ sich einer außerordentlichen Beliebtheit erfreuen. Die Basis dieser simplen Berechnung wurde von Fließ zusammen mit dem Wiener Psychologen Hermann Swoboda zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts gelegt. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Chronobio-logie, einschließlich der Existenz von sog. Uhrengenen (siehe Kap. 1.2), unterstreichen den pseudowissenschaftlich Ansatz der Fließ’schen Theorie.

1.2 Uhrengene

Wir wissen heute, dass innere Uhren im zentralen Nervensystem lokalisiert sind. Cir-cadiane Uhren sind genetisch determiniert, Uhrengene konnten u. a. bei der Fruchtflie-ge Drosophila melanogaster (period), dem Schleimpilz Neurospora crassa (frequency, frq), dem Goldhamster (tau) und der Maus (clock) nachgewiesen werden.

Beim Menschen sind Uhrengene (hPer1, hBmal1) in Haut und Schleimhaut nach-gewiesen worden [21], die rhythmisch exprimiert werden (siehe Abb. 1.8). Damit wird deutlich, dass jede Zelle über Uhrengene verfügt, die zentral steuernde Hauptuhr („master clock“) ist allerdings im zentralen Nervensystem, am Boden des 3. Vent-rikels, im Nucleus suprachiasmaticus, lokalisiert (siehe Abb. 1.9). Das paarige circa 800 μm große Kerngebiet, das etwa 20000 Neurone enthält, liegt unter dem III. Hirn-ventrikel und über der Kreuzung des Nervus opticus (Chiasma opticum).

Abb. 1.8: Zeitliche Strukturierung des Zell-zyklus, der Zellteilungs-phasen, der Cycline und der Uhrengene in Haut und Schleimhaut des Menschen. Nach [21]

Einleitung

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1.2.1 Molekulare Grundlagen der inneren Uhren

In den letzten Jahren sind viele Informationen zur „Arbeit“ und Regulation der Uhrengene erarbeitet worden. Die Abbildung 1.10 zeigt ein vereinfachtes Modell der circadianen Uhr von Säugern (nach [22]).

Großhirnrinde

Hypothalamus

SCN(biologischeUhr)

Auge Sehnervund RHT

Hypophyse

Hirnstamm

Rückenmark

Abb. 1.9: Lokalisation der „Hauptuhr“ im zentralen Nervensystem von Säugern, im Nucleus suprachiasmaticus (SCN) des Hypothalamus.

Abb. 1.10: Vereinfachtes hypothetisches Modell circadianer Uhren bei Mammalia. Nach [22]

Uhrengene

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Der molekulare Oszillator soll aus einer positiven (CLOCK, NPAS2, BMAL1) und negativen Rückkopplungsschleife (PER and CRY) bestehen, die über den nukleären Orphan-Rezeptor REV-ERB miteinander verbunden sind. Die Transkription der PER- und CRY-Gene wird durch das Heterodimer BMAL1 (B) und einer von zwei Proteinen CLOCK (C) oder PAS2 (N) aktiviert. Die Akkumulation and Aktivität der PER- und CRY-Proteine wird auch durch die Phosphorylierung durch die Proteinki-nasen (CK1 , ) beeinflusst. DEC1 und DEC2 konkurrieren mit den BMAL1-CLOCK/NPAS2 Heterodimeren um die Bindung an die E-Box und vermindern damit die E-Box vermittelte Transaktivierung. Ein akzessorischer Rückkopplungsmechanismus über nukleäre aktivierende Orphan-Rezeptoren ROR , , und die Repressoren REV-ERB und REV-ERB regulieren die circadiane Transkription von Bmal (nach [22]).

Es überrascht daher nicht, dass auch andere Gene circadian reguliert werden, so acht bis zehn Prozent der Gene in Herz und Leber von Mäusen [23].

Inzwischen ist dies für zahlreiche weitere Gene, Enzyme, Transkriptionsfaktoren, etc. nachgewiesen worden, die in dem biochemischen Uhrenwerk eingebunden sind. Allerdings war man bisher davon ausgegangen, dass dieses „Uhrwerk“ aus hinter-einander geschalteten Transkriptionsfaktoren besteht, die eine Rückkehr der „Uhr“ bewirken, wie auch in Abbildung 1.10 dargestellt. Inzwischen gibt es jedoch Hinwei-se, dass auch epigenetische Prozesse in die Steuerung des Tagesrhythmus involviert sind [24]. Epigenetik bedeutet, dass Zelleigenschaften vererbt werden, die nicht in der DNA-Sequenz (dem Genom) festgelegt sind, sondern durch Veränderungen am Chro-mosom dessen Aktivität beeinflussen. Wie kürzlich Masri und Sassone-Corsi nachwei-sen konnten [24] ist hierfür ein epigenetisches Enzym, MLL1 (mixed lineange leuke-mia-1), verantwortlich, das an die zwei Transkriptionsfaktoren CLOCK und BMAL1 bindet. Dadurch wird der Histon-Code der Zelle verändert, indem Methylgruppen an eine Stelle des H3-Histons angelagert werden. Zusammen mit dem CLOCK-Protein, das das gleiche Histon-Eiweiß acetyliert, macht MLL1 also zu verschiedenen Tages-zeiten den DNA-Faden aktivierbar [24]. Damit trägt das epigenetische System zur Plastizität und Spezifität des circadianen Systems bei.

Diese spannenden Befunde unterstreichen die außerordentlich rhythmische Orga-nisation aller Steuerungsprozesse des Lebens. Dass dadurch physiologische Vorgänge im Körper, pathophysiologische Ereignisse bei Erkrankungen und in der Diagnostik sowie die Pharmakotherapie nicht unbeeinflusst sind/werden, ergibt sich zwangsläufig.

Der Mensch misst also die Zeit mit seinen inneren Uhren. Wie der Mensch insge-samt unterlaufen die inneren Uhren einem Lebensrhythmus, sie müssen reifen und sie altern.

Jedoch stimmt unsere subjektive Erfahrung von Zeit häufig nicht mit der objek-tiven Zeit überein, eine Beobachtung, die Aschoff bei seinen Bunkerexperimenten machte (s. o.), und die Augustinus bereits im 4. Jahrhundert in seinen Confessiones [25] festgehalten hat:

“Quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat scio; si quaerenti explicare velim, nescio.“(Was also ist die Zeit? Wenn es mich niemand fragt, weiß ich es; wenn ich eseinem Fragenden erklären soll, weiß ich es nicht.)

Einleitung

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1.3 Chronobiologie

Obwohl periodische Veränderungen in physiologischen Prozessen seit langem bekannt sind (s. u.), hat sich erst in den letzten sechs Jahrzehnten ein neuer Wissenschaftszweig, die Chronobiologie, herauskristallisiert, der mit wissenschaftlichen Methoden, ein-schließlich der Molekularbiologie, versucht, rhythmische Phänomene zu erfassen und zu analysieren. Hierzu sind in den letzten Jahren eine Fülle von Daten an Einzellern, Pflanzen, Pilzen, Fliegen, Käfern, Nagern und dem Menschen beschrieben worden. Dieses Buch beschränkt sich im Wesentlichen auf Befunde bei Nagern und beim Men-schen, mit dem Schwerpunkt auf 24-Stunden- bzw. circadiane Rhythmen.

In der Abbildung 1.11 sind chronobiologische Daten wiedergegeben, die bei 13 jungen, gesunden Männern erhoben wurden [26], und die zeigen, dass die verschie-densten Körperfunktionen des Menschen, Bestandteile, die im Serum und Urin gemes-sen werden können, ebenfalls rhythmische Veränderungen innerhalb von 24 Stunden aufweisen. Rhythmen existieren im Blutdruck und Puls, der Körpertemperatur, der Durchblutung von Organen, den Funktionen von Lunge, Leber und Nieren, in den Konzentrationen von Hormonen (z. B. Cortisol, Adrenalin, Insulin, Schilddrüsenhor-mon, Melatonin) und Elektrolyten sowie weiteren Bestandteilen des Blutes und in der Zahl der verschiedenen Blutzellen, wie im Folgenden noch gezeigt werden wird. Die Bildung der Magensäure unterliegt ebenfalls einer ausgeprägten Tagesrhythmik, was u. a. für die Resorption von Pharmaka von Bedeutung ist. Solche Rhythmen las-sen sich bis auf die Ebene der genetischen Information (z. B. DNA-Synthese, Mitose-rate), der Enzymaktivitäten und der Übertragung von Signalübertragungsprozessen zwischen den Zellen nachweisen (Übersichten siehe Lit. [27–29][33–38]).

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass zyklischen Abläufen in physiologischen Funktionen offensichtlich eine große Rolle in der Synchronisation des gesamten Or-ganismus zukommt, die somit auch der Aufrechterhaltung von Wohlbefinden und Gesundheit dienen. Damit kommt solchen Rhythmen auch eine Bedeutung zu, wenn Lebensgewohnheiten umgestellt werden müssen, z. B. beim Schichtarbeiter (z. B. Lit. [30]) oder wenn sich Umweltbedingungen ändern, wie beim Ost-West- und West-Ost-Flug über mehrere Zeitzonen (siehe Kap. 12). Inwieweit bei Schichtarbeitern oder dem fliegenden Personal aufgrund der Störung physiologischer Rhythmen durch Verän-derung der äußeren Zeitgeber die Wirkungen von Arzneimitteln beeinflusst werden bzw. inwieweit Arzneimittel den Prozess der Synchronisation und Resynchronisation solcher Rhythmen modifizieren können, ist bisher noch kaum untersucht worden.

1.4 Rhythmen am Beginn und Ende des Lebens

Dass solche rhythmischen Phänomene Bedeutung für das Leben und Überleben, für Gesundheit und Krankheit des Menschen haben können, ist ebenfalls in zahlreichen Studien der letzten Jahre nachgewiesen worden. Dies gilt sowohl für den Beginn (Ge-burten, siehe Abb. 1.12, 1.13), die Mitte als auch das Ende des Lebens (Tod, siehe Abb. 1.14, 1.15) [4]. Aber auch jahreszeitliche Rhythmen in Geburt und Sterben sind seit mehr als hundert Jahren gut dokumentiert (siehe Abb. 1.12–1.17) [4].