Blaue Bilder im Blauen Haus - sauerland-museum.de · 2013, 120 x 50 cm, Acryl auf Leinwand 7....

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Blaue Bilder im Blauen Haus Ausstellung zum 60. Geburtstag von Johannes Nawrath Sauerland-Museum 19.4. - 7.6. ‘15 Mit einem Beitrag von Hellmuth Opitz

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Blaue Bilderim Blauen HausAusstellung zum 60. Geburtstag

von Johannes NawrathSauerland-Museum 19.4. - 7.6. ‘15

Mit einem Beitrag von Hellmuth Opitz

Johannes Nawrath, geboren am 6. Juli 1955 in Neheim-Hüsten; 1975-81 Stu-

dium der Kunstgeschichte in Marburg und Hamburg; 1977 Linolschnittmappe

»Brecht Porträts – Brecht Gedichte«, danach Grafikmappen und Einzelblätter.

Seit 1981 als freier Grafiker in Hamburg für kulturelle Einrichtungen, sozi-

ale Organisationen, Verlage und Buch handlungen tätig.

1984 beginnt Nawrath zu malen, zunächst mit Plakafarbe auf Karton, ab

1994 mit Acryl auf Leinwand.

1997 erscheint der Werkkatalog »Nebenschauplätze«, 2002 das Buch

»Johannes Nawrath – Was im Licht mit den Dingen geschieht«, seit 2004 das

jährlich aktualisierte Werkverzeichnis unter www.johannes-nawrath.de.

Seit 2013 erscheint der Kalender »StadtLandSee« im Format 60 x 21 cm

mit Reproduktionen schmaler hochformatiger Bilder.

Ab 1995 finden alljährlich Atelier-Vernissagen statt, zu denen Schriftsteller

über Nawraths Werk sprechen – bisher Mirko Bonné, Meike Bruhns, Wolfgang

Büscher, Ralf Busch, László F. Földényi, Thomas C. Garbe, Friedrich Gross,

Katharina Hagena, Michael Haupt, Wolfgang Hegewald, Paul Theodor Hoff-

mann, Rainer Moritz, Hellmuth Opitz, Ulrich Schacht, Wolfgang Schömel,

Jens Sparschuh, Burkhard Spinnen und Guntram Vesper, einige dieser Reden

sind auch als Publikationen erschienen.

Seit 1990 zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, unter

anderem in Arnsberg, Bochum, Frankfurt, Hamburg, Heidelberg, Husum,

Ratzeburg und Winsen/Luhe sowie auf Kunstmessen in Düsseldorf, Köln und

München.

Werke in privaten und öffentlichen Sammlungen, unter anderem Museum für

Hamburgische Geschichte; Hamburger Abendblatt; HSH Nordbank; Hambur-

ger Sparkasse; Baugenossenschaft Freie Scholle, Bielefeld; GEA AG, Bochum;

Sauerland-Museum, Arnsberg.

Wer sich das Plakatmotiv dieser Ausstellung, also das Nawrath-Gemälde „Rothaar-gebirge, abends“ anschaut, mag sich an deutsche Abendlieder wie »Kein schöner Land« oder »Es will wohl Abend werden« erinnert fühlen. Wer neben dem Stimmungsmäßigen noch ein Auge für Farben hat, wird feststellen: Von den schwarzgrünen Tannen im Vordergrund zu den bewaldeten Hügeln bis hin zu den Pastelltönen des Himmels – bei Nawrath ist alles irgendwie blau.

Nun ist Blau die Sehnsuchtsfarbe aller Künste, ganz gleich ob Musik, Theater, Dichtung oder bildende Kunst. Da gibt es die blaue Stunde, die die einsetzende Dämmerung als Inspirationszeit der Poeten kennzeichnet und die Gottfried Benn in seinem gleichnamigen Gedicht einst so besungen hat:

»Was sich erhebt, das will auch wieder enden,was sich erlebt, - wer weiß denn das genau,

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»Rothaargebirge,

abends«,

2014, 90 x 90 cm,

Acryl auf Leinwand

Hellmuth Opitz

Da blaut sich was zusammenRede zur Eröffnung der Ausstellung im Blauen Haus

die Kette schließt, man schweigt in diesen Wändenund dort die Weite, hoch und dunkelblau.«

Oder die blaue Blume als zentrales Symbol der Romantik, die für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen steht. Die blaue Blume, später auch ein Sinnbild des Fernwehs und ein Symbol der Wanderschaft, inspirierte nicht nur Dichter und Maler, sondern zum Beispiel auch die Wandervogel-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Und kein flacher Sketch über Malerei, der nicht mit einem flapsigen Hinweis auf die »blaue Periode« eines Künstlers auskäme. Die Vorlage für derlei kabaret-tistische Scherze bildet natürlich die bekannte gleichnamige Stilphase von Pablo Picasso. Der mit Marlene Dietrich einst genial besetzte Blaue Engel ist eine Sehnsuchtsfigur des Films. Und um die blaue Beispielreihe zu vervollkommnen, gibt es auch noch den Blauen Reiter, einer von den Malern Wassily Kandinsky und Franz Marc im Jahre 1911 betriebenen Abspaltung von der Neuen Künstler-vereinigung München. Wie kamen sie auf diesen Namen? Kandinsky äußerte sich dazu im Jahre 1930 in einem Rückblick: »Den Namen Der Blaue Reiter erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst.« Aber warum Blau? Warum beinhaltet diese Farbe ein so hohes Maß an Faszination und Anregung für den künstlerischen Ausdruck? Auch hierzu sei noch einmal Kandinsky zitiert: »Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels.« Und des Meeres, lässt sich hinzufügen, vorausgesetzt, die Sonne scheint. Holen wir das Blau des Himmels doch einmal physikalisch auf den Boden zurück.

Wenn die Sonne hoch am Himmel steht, dann ist der Weg, den das Licht durch die Atmosphäre der Erde zurücklegen muss, relativ kurz. Die besteht zum größten Teil aus den Molekülen Stickstoff und Sauerstoff. Die Lichtstrahlen treffen auf diese kleinen Teilchen in der Luft und werden von ihnen abgelenkt, genauer gesagt: Sie werden gestreut. Das kurzwellige blaue Licht wird dabei von den Luftmolekülen stärker gestreut als das langwellige Rot. Weil also hauptsächlich blaues Licht von den kleinsten Luftteilchen zurückge-worfen wird, erscheint uns der wolkenlose, klare Himmel blau. Mit anderen Worten: nur eine Vorspiegelung physikalischer Tatsachen.

Wo verortet sich eigentlich Johannes Nawrath zwischen Kandinsky’schem Pathos und kühler Physik? Wenn man weiß, dass er Sauerländer ist, geboren in Neheim-Hüsten, ist man eher geneigt, ihn

»Früher Abend im

Hafen«, 2014, 120 x 50 cm,

Acryl auf Leinwand

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der wissenschaftlich fundierten Fraktion zuzuordnen. Wobei wissenschaftlich fundi-ert hier eine gewisse bodenständige Mentalität gern mit eingemeindet.

Gezeigt werden in dieser Ausstellung drei Aspekte der Bilderwelt Nawraths: Wasser in allen Erscheinungsformen – im Hafen, am Strand und im Schwimmbad, Land-schaften zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten, ungewöhnliche Ansichten touristischer Ziele. Der Titel der Ausstellung sagt uns, was diese Auswahl verbin-det: »Blaue Bilder im Blauen Haus«. Wir sehen also lauter Gemälde mit hohem Blauanteil im neuen Anbau des denkmalgeschützten Bürgerhauses, in dem auch die Verwaltung des Sauerlandmuseums untergebracht ist. In diesem Titel steckt keine luftige Poetisierung, kein theoretischer Überbau. What you see is what you

get, wie die Engländer zu sagen pflegen. Apropos englische Sprache: Dort gibt es das kleine Wörtchen »blue«, das neben der profanen Farbbezeichnung noch eine Zweitbedeutung hat: »traurig«. Nicht zuletzt daher hat die Musikrichtung Blues auch ihren Namen. Aber offenbaren die Bilder von Johannes Nawrath denn unter ihrem ostentativen Blau auch etwas von dieser Traurigkeit? Man könnte etwas hineininterpretieren, wenn man sich die Bilder in Summe betrachtet: etwa die Melancholie der Menschenleere. Sehr selten tauchen Menschen in den Motiven von Johannes Nawrath auf. Nicht, weil er sie nicht mag, im Gegenteil. Aber sie stören die Betrachtung, sie lenken ab, werden automatisch zum Mittelpunkt eines

»Spiegelung:

Segelboot im Hafen«,

2013, 90 x 90 cm,

Acryl auf Leinwand

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Bildes, das für Nawrath in erster Linie doch eines ist: »eine Schule des Sehens«, wie es der Dichter Robert Gernhardt einmal in Bezug auf Nawraths Œuvre gesagt hat. Und doch steckt in diesem Blau ein tieferes Geheimnis. Da bin ich übrigens nicht der Einzige, der das vermutet. »Was die Farbenwelt betrifft, so bedeuteten Nawraths Bilder schon immer eine Herausforderung,« sagt der ungarische Essayist und Kunsttheoretiker László F. Földényi. »Die meisten bedeckt ein Farbenensemble, das sich aus verschiedenen Blau- und Grautönen zusammensetzt. Mal ist das Blau von hellerem, mal von dunklerem Ton, mal kalt, mal warm. Das Grau ist manchmal das von Stahl und dann wieder weich, es kann Ausdruck der Klarheit, aber auch der Undurchsichtigkeit sein. Das alles ergibt ein einziges, spezifisches Graublau, das ich hier so nennen möchte: Nawrath-Blau.«

Was ist das Geheimnis des Nawrath-Blau? Ist es die Vielfalt der Töne, die Fifty

Shades Of Blue, um die Frage mal zeitgemäß zu stellen? Betrachten wir doch ein-mal genauer die Swimmingpool-Serie, die aus insgesamt fünf Einzelbildern besteht. Ein Swimmingpool lügt ja im Wortsinne das Blaue vom Himmel herunter, indem er vortäuscht, das Wasser sei ebenfalls blau, wo es stattdessen nur Beckengrund und Wände sind. Wie bei vielen Nawrath-Bildern sagen viele Betrachter auf den ersten Blick auch hier fasziniert: Das hat ja Photoqualität. Die Genauigkeit, das Spiel von Spiegelungen und Schatten, die Lichtsetzung, das Einfangen von Bewegung, kurz: der

»Winterwald, morgens«,

2014, 90 x 90 cm,

Acryl auf Leinwand

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Realismus. Realistische Darstellung allein kann aber nicht das Ge-heimnis der Nawrath’schen Kunst sein. Das wäre eine allzu ober-flächliche und – entschuldigen Sie den Kalauer – blauäugige Betrach-tungsweise. Die Genauigkeit der Darstellung enthebt den Betrachter nicht der Verpflichtung, genau hinzusehen. Die Komposition ist bei den Swimmingpool-Bildern entscheidend. Da haben wir feststehende Komponenten wie die Haltegriffe beim Beckeneinstieg, solide Stühle, die festgefügten Bodenplatten rund ums Becken, also Dinge, die uns Halt und Grund geben. Auf der anderen Seite das bewegte Wasser, das nicht nur das Licht, sondern auch die schwarzen Linien am Beckengrund bricht. Und doch: Vergleicht man die geometrisch sau-ber angeordneten quadratischen Bodenplatten mit dem unruhigen Wasser, so eröffnet das changierende Blau des Wellenspiels den Augen einen neuen Weg. Formen die Lichtkanten nicht auch Pflastersteine – allerdings aus Wasser – die sauber gefugt die Bodenplatten gleichsam auf trügerischem Grund fortsetzen, sozusagen als Einladung an die Phantasie, übers Wasser zu wandeln?

Zeigen die Swimmingpool-Bilder ein sehr volatiles Blau, das durchdie Unruhe des Wassers und die ständig sich verändernden Einfalls-winkel des Lichtes geprägt ist, so offenbaren die Hafenbilder ganz andere, geradezu meditative Blautönungen. Sie bilden quasi den Resonanzboden für die vielgerühmten Nawrath’schen Spiegelungen. Auch wenn im Wort »Boden« eine gewisse Statik mitschwingt, sind dies keinesfalls statische Spiegelungen. Das Wasser ist zwar insgesamt ruhig, aber ein leichtes Wellenkräuseln und schon verschwimmen die gespiegelten Boote und Segelyachten durch den Faltenwurf aus Licht und Wasser zu einem Eindruck, der nur Bruchteile von Sekunden dauert. Es sind zu Bildern geronnene Momente, haltbar bis zum nächsten Windhauch. Schon daran lässt sich erkennen, dass Johannes Nawrath nicht – um es mal salopp zu sagen – einfach ins Blaue hineinmalt, sondern die Blautöne sorgfältig komponiert.

Das lässt sich besonders gut an zwei Bildern festmachen. Es sind die Gemälde »Aussichtsplattform am Meer«, das älteste Bild dieser Ausstellung, und »Augustusbrücke, Dresden«.

Das erstgenannte Bild arbeitet mit prägnanter Linienführung, um die verschiedenen Blau- und Grautöne voneinander abzugrenzen: Da ist der Blauverlauf des Himmels ganz klar getrennt vom Tiefblau des Meeres, das Braungrau der steinernen Wellenbrecher wird durch das Geländer gerahmt, die Schattenlinien am Boden der Plattform und die silbermetallene Schwungkurve des Geländers fokussieren und

»Schneezaun vorm

Widderstein«,

2013, 120 x 50 cm,

Acryl auf Leinwand

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schärfen den Blick des Betrachters auf den Horizont. Auch ohne Fernrohr sieht der Betrachter klar die strikt geführten Linien, die Himmel und Horizont, Meer und Festland trennen. Und doch gibt es etwas, das dieses Bild zusammenhält. Es ist ein weißes Schiff, das an der Nahtstelle zwischen Himmel und Meer ent-langfährt, gleichsam als Nadel, die das strikt Getrennte zusam-mennäht. Gleichzeitig sieht es so aus, als fahre das Schiff direkt auf der Geländerstange dahin. Es bildet somit das verbindende Element zwischen Nähe und Ferne - ein faszinierend komponi-ertes Bild. Vorn die vom Geländer scheinbar gebändigte Seh(n)-sucht, hinten die scheinbare Einlösung des Fernwehs durch das weiße Schiff, einer profanen Autofähre.

Ganz anders die Komposition des Bildes »Augustusbrücke, Dresden«: Die Szenerie zeigt einen kühlen Regentag, der Himmel ist so fahl wie die steinerne Pflasterung, farblich gehen Brücke und Himmel, mal abgesehen von Nuancen, fast ineinander über. Gerade scheint ein Schauer niederge-gangen zu sein, im nass glänzenden Pflaster spiegeln sich die Laternenmasten und andere Pfähle. Auch hier scheint die hori-zontale Linienführung klar: Vom Graublau des Himmels grenzt sich die schmale Silhouette der Stadt ab, dann folgt weitflächig das Kopfsteinpflaster, im Vordergrund dann der mit großen Steinen verlegte Fußgängerweg, wiederum gesäumt von einer Mosaiksteinborte. Doch auch hier gibt es verbindende Elemente. Mal ganz abgesehen von der farblichen Homogenität sind es die Laternenpfähle und anderen Masten, die – verlängert durch die Spiegelung in den nassen Pfützen – die weitgehend horizontal angelegten Bildebenen verbinden und vertikale Blicklinien ent-stehen lassen. Darüber hinaus vermittelt dieses große Gemälde eine im wahrsten Sinne des Wortes glänzend eingefangene Stimmung.

Ein etwas kleinformatigeres Bild fällt in der Zusammenstellung dieser Gemälde auf, zeigt es doch keine Landschaft, keinen Himmel oder Gewässer, es zeigt Bodenplatten. Wer auf den ersten Blick vorschnell »Delfter Kacheln« ruft, sieht sich getäus-cht, der Titel des Werkes verrät den wahren Ort »Vor dem Grab Leonardo da Vincis«. Es zeigt den Fußboden vor demselben in der St.Hubertus-Kapelle im Schloss Amboise an der Loire, wobei der wirkliche Verbleib der sterblichen Überreste da Vincis seit dem 19. Jahrhundert ungeklärt ist. Johannes Nawrath beschreibt das Bild selbst mit pragmatischer Nüchternheit: »Es

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»Augustusbrücke,

Dresden«,

2010, 120 x 180 cm,

Acryl auf Leinwand

zeigt im Ausschnitt einen alten gekachelten Fußboden, die Platten verjüngen sich perspektivisch nach hinten, beigefarbene, teilweise abgestoßene Fliesen wechseln sich mit hellgrauen ab, letztere tragen unterschiedlich abgetretene stilisierte blaue Lilien in einer ebenfalls blauen Umrandung. Auf den stärker glänzenden schmucklosen Kacheln reflektiert sich strahlend das von links oben einfallende Licht. Das Bild ist eher kleinformatig und auf den ersten Blick eher unscheinbar.« Und doch, so

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Nawrath, »ist es für mich ein Markierungspunkt.« Dabei fällt etwas auf: Das Bild zeigt ja keineswegs das Grab Leonardo da Vincis, der Blick des Malers senkt sich und richtet sich auf den Boden davor. Ist es also eine Hommage, eine Verneigung vor dem multibegabten Schöpfer des berühmtesten Gemäldes der Welt? Vielleicht. Jedenfalls zeigt dieses kleine Bild exemplarisch, worum es Nawrath im Innersten geht – und das unabhängig vom gewählten Motiv: um Strukturen, Linien, Muster. Und die setzt er in realistischen Bildern virtuos in Szene – in Form von Schatten, Spiegelungen, Kontrasten.

Das kann man übrigens nicht nur an den Bildern dieser Ausstellung sehen, sondern auch an den in der Dauerausstellung im Blauen Haus hängenden Sauerland-Bildern von Johannes Nawrath. Wer diese Bilder als profane Heimatidylle miss-versteht, dem entgeht der Kern der Nawrath’schen Kunst: die feine Komposition, die flirrende Elemente wie Wasser und Luft ebenso raffiniert zur Projektionsfläche macht wie erdschweres Material, zum Beispiel Bodenplatten oder Pflastersteine.

Da blaut sich also was zusammen: So verblüffend die realistische Darstellung auf den ersten Blick auch ist, die wahren Entdeckungen macht, wer dahinter schaut. Der gebürtige Sauerländer Johannes Nawrath macht uns zu seinem 60. Geburtstag das Geschenk dieser Ausstellung: Wer Entdeckerfreude mitbringt, der wird – um zum farblichen Ausgangspunkt zurückzukommen – hier sein blaues Wunder erleben.

»Aussichtsplattform am

Meer«, 1999, 90 x 120 cm,

Acryl auf Leinwand

Eines der Bilder, die ich 2014 gemalt habe, zeigt im Ausschnitt einen alten gekachelten Fußboden, die Platten verjüngen sich perspektivisch nach hinten, beigefarbene, teilweise abgestoßene Fliesen, die sich mit hellgrauen abwechseln, letztere tragen unter-schiedlich abgetretene stilisierte blaue Lilien in einer ebenfalls blau-en Umrandung. Auf den stärker glänzenden schmucklosen Kacheln reflektiert sich strahlend das von links oben einfallende Licht. Das Bild ist eher kleinformatig und auf den ersten Blick eher unschein-bar. Für mich ist es ein Markierungspunkt.

Anfang der siebziger Jahre wurde ich wegen meiner schlechten schulischen Leistungen in Französisch zweimal nach Paris zu einem mehrwöchigen Besuch der Sprachschule Alliance Française ge-schickt, die sich am Boulevard Raspaille befand. Vormittags hatte ich Unterricht, nachmittags hatte ich frei.

In den Sommerferien dieser beiden Jahre entdeckte ich, aufmich allein gestellt und, abgesehen von spärlichen Kontakten zu meinen Gastgebern, ziemlich einsam, Paris und die zeitgenössische Kunst für mich.

Zwar war mein Kunstinteresse schon vorher durch die Pop Art in der Sammlung Ludwig, damals noch im Wallraf-Richartz-Mu-seum in Köln, geweckt worden, die ich immer mal wieder besucht hatte und deren spektakulären Katalog ich mir zum 15. Geburtstag gewünscht hatte.

Auf mich allein gestellt begann ich in Paris relativ systematisch die Galerien im Zentrum zu erforschen, überrascht, dass es in Frankreich wieder eine ganz andere zeitgenössische Szene als in Deutschland gab. Den Louvre, das Jeu du Paume und andere Muse-en alter Kunst sah ich eher als lästiges Pflichtprogramm, das Musée d‘Art Moderne mit Surrealismus, Kubismus und der frühen Mo-derne – das Musée d‘Orsay und das Centre Pompidou gab es noch nicht – markierte für mich die Grenze zur älteren Kunstgeschichte.

Johannes Nawrath

»Vor dem Grab Leonardo da Vincis«Eine Wegbeschreibung

»Vor dem Grab

Leonardo da Vincis«,

2014, 60 x 60 cm,

Acryl auf Leinwand

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Das Interesse daran kam erst einige Jahre später. In Paris besuchte ich neben vielen anderen auch die Galerie Paul Facchetti in der

Rue de Lille, die eine Ausstellung eines Künstlers mit sehr realistisch gemalten Fassa-denbildern zeigte, dessen Namen ich leider vergessen habe. In Erinnerung geblieben ist mir, dass der Galerist, ein eleganter alter Herr, als wir über den Surrealismus rede-ten – ich beherrschte die Sprache mittlerweile gut genug – mich darauf hinwies, dass sich zwei Häuser weiter die Pariser Wohnung von Max Ernst befand. Der große Max Ernst! Als ich Jahre später die Autobiografie von Jimmy Ernst las, erfuhr ich, dass sein Vater dort 1976 auch gestorben ist.

Ähnlich beeindruckend war der Besuch in der Galerie Denise René, damals eine der führenden Galerien für Konkrete Kunst und Op Art. Der ganz in Schwarz ge-kleidete junge Mann, mit dem ich mich dort unterhielt, war so begeistert von meiner Kenntnis und meinem Interesse, dass er mir einen Stapel kleiner Ausstellungsbroschü-ren und Kataloge überließ, Herbin, Morellet, Soto und Vasarely, die meisten habe ich heute noch, darunter ein sechseckiges Büchlein von Vasarely.

Unter dem Einfluss der Kontakte mit der zeitgenössischen Kunst schrieb ich da-mals einen, wie ich Jahre später feststellen mußte, etwas wirren euphorischen Text über die Parallelen zwischen Jazz und Konkreter Kunst.

So sehr mich damals der Ästhetizismus und die Farbigkeit der Konkreten Kunst und der Op Art faszinierte, für mich war es eigentlich selbstverständlich, dass ich,

»Pool 4 Fuß tief«,

2013, 90 x 90 cm,

Acryl auf Leinwand

»Pool 5 Fuß tief«,

2013, 120 x 50 cm,

Acryl auf Leinwand

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sollte ich Künstler werden, realistisch malen würde. Aber zunächst studierte ich nach Abitur und Zivildienst Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte und begann, mehr oder weniger unentschieden, als Gebrauchsgrafiker zu arbeiten. Aber als ich dann 1984 tatsächlich zu malen begann, malte ich realistisch.

Ich malte mit Plakafarben auf Bristolkarton, Hamburger Stadtan-sichten, anfangs etwas ungelenk, sehr flächig und grafisch. Ich malte Strandbilder, Landschaften, im weitesten Sinne Seestücke, Motive aus Italien, Frankreich, von der Nordsee und von der Ostsee, ab 1994 dann großformatiger mit Acryl auf Leinwand. Mit dem Titel des 1997 erschienenen Werkkatalogs wurde die Blickrichtung meiner Motivwelt im weitesten Sinne umrissen: immer wieder malte ich »Nebenschau-plätze«, scheinbar unwichtige Motive und Ansichten am Rande, selten Menschen, eher die Zeugnisse ihres Daseins und Tuns. Keine reinen Natur-, eher Zivilisationslandschaften. Mit der 1998 begonnenen kleinformatigen Bilderreihe der »Memories« verengten sich die Motiv-ansichten bis hin zu Stilleben. Darstellungen von Strukturen wurden immer wichtiger, die Ausschnitte verengten sich auch bei Großforma-ten. Mehr und mehr traten Wasserdarstellungen in den Vordergrund, Wellenstrukturen und, immer wichtiger, Spiegelungen. In den letzten Jahren kam die Darstellung von architektonischen Details, Fassaden oder Innenräumen, hauptsächlich Kirchen, hinzu. Auch hier spielen Lichtreflektionen und ihre Darstellung eine wichtige Rolle. In der Ver-kürzung stellt sich die Entwicklung dann doch zu konsequent dar, tat-sächlich und natürlich hat es immer Haupt-, Neben- und Irrwege gegeben, ebenso Variationen oder Rückschritte. Dass die darstelleri-schen und malerischen Fähigkeiten über all die Jahre an den Heraus-forderungen wuchsen, ist nur selbstverständlich.

Bei der Arbeit an einer Serie von Swimmingpoolbildern nach einem Motiv auf Vancouver Island im Jahr 2013 fiel mir wieder ein lange im Gedächtnis verschüttetes Seh-Erlebnis ein, das ich seinerzeit in Paris hatte.

Es war an einem heißen Sommersonntag, meine Gastgeber hatten mich eingeladen, sie und ihr Kleinkind ins Freibad zu begleiten. Wahr-scheinlich langweilte ich mich. Ich erinnere mich, dass ich bäuchlings auf den warmen Betonplatten in der Nähe des Schwimmbeckens lag. Ganz zufällig betrachtete ich die dunkelrot gefärbten Sechziger-Jahre-Betonplatten direkt vor meinen Augen, deren Fugen zentralperspek-tivisch auf den abgebätterten weißen Rand und das dahinterliegende Hellblau des Schwimmbeckens wiesen, sah die Unregelmäßigkeiten, Unebenheiten und Einschlüsse im Beton und die teilweise an den Fugen grau abgesplitterten Plattenkanten und dachte: Das müsste man ma-

len! Es war, wie ich heute glaube, die Kombination von Präzision und Irritation, von Räumlichkeit und Konzentration, Ordnung und Verfall, die mich damals faszinierte.

Ich habe diesen Realitätsausschnitt nie gemalt, die Einsicht ins eigene technische Unvermögen und der fehlende Glaube an die Tragfähigkeit des Motivs, überhaupt mangelnde Zielstrebigkeit und kaum vorhandenes Selbstvertrauen mögen Gründe da-für gewesen sein. Ein Fünfzehn-Sechzehnjähriger stellt sich noch keine Lebensaufga-ben. Trotzdem glaube ich, dass die Art und Weise, wie ich dieses Motiv gesehen habe, unterschwellig prägend für meine Arbeit geblieben ist.

In den Swimmingpool-Bildern aus dem letzten Jahr taucht zwar auch ein Becken-rand mit Kacheln und Fugen auf, trotzdem geht es bei diesen Bildern eher um die Darstellung der Wasser- und Wellenstrukturen und ihrer Spiegelungen.

Das Bild mit den Fliesen trägt übrigens den Titel »Vor dem Grab Leonardo da Vincis« und zeigt den Fußboden vor demselben in der St.Hubertus-Kapelle im Schloss Amboise an der Loire. Die Lilie war das Wappensymbol der französischen Könige.

Mit diesem Bild bin ich meinen jugendlichen Anfangsvorstellungen, ohne gezielt darauf hingearbeitet zu haben, sehr nahe gekommen. Nach mehr als vierhundert-dreissig Bildern und über vierzig Jahre später etwas zu erreichen, was einem, wenn auch nur flüchtig, als Bildidee einmal vor Augen stand, ist vielleicht nicht das schlechteste Ergebnis. Man steht dann zumindest nicht mehr am Anfang.

Da will ich dann mal weitermalen.

»Blick vom

Mont St. Michel«,

2015, 90 x 90 cm,

Acryl auf Leinwand

Rückseite Umschlag:

»Seehund«,

2013, 60 x 60 cm

Acryl auf Leinwand

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Hellmuth Opitz, geboren 1959 in Bielefeld, studierte von 1979 bis 1984 in Mün-ster Germanistik und Philosophie. Danach Chefredakteur für ein Stadtmagazin und freier Journalist, Arbeiten für Musikmagazine wie Musikexpress und Rolling Stone. Mehrere Aufenthalte in London, Amsterdam und New York. Ab 1991 Texter in einer Werbeagentur in Bielefeld, seit 1998 dort Creative Director und Geschäftsführer. Seit 1982 regelmäßige Veröffentlichungen von Lyrik- und Prosabänden sowie Hörbü-chern, 2011 sein bisher letzter Gedichtband »Die Dunkelheit knistert wie Kandis«. 2013 erschien die Broschüre »Aufgegebene Plätze – Verlorene Posten«, 14 Gedichte von Hellmuth Opitz mit Grafiken von Johannes Nawrath.

Diese Publikation erscheint zur Ausstellung»Johannes Nawrath – Blaue Bilder im Blauen Haus«anläßlich des 60. Geburtstages des Künstlers im Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreisesvom 19. April bis 7. Juni ‘15

Alter Markt 24-30 · 59821 Arnsberg02931/94-4444 www.sauerland-museum.de

Gestaltung: Johannes NawrathFoto: Manfred Koepp · Druck: Beckerdruck, Arnsberg

© bei Johannes Nawrath und Hellmuth Opitzwww.johannes-nawrath.de · www.hellmuth-opitz.de

Arnsberg, im April 2015

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»Was die Farbenwelt betrifft, so bedeuteten Nawraths Bilder schon immer eine Herausforderung. Die meisten bedeckt ein Farbenensemble, das sich aus verschiedenen Blau- und Grautönen zusammensetzt. Mal ist das Blau von hellerem, mal von dunklerem Ton, mal kalt, mal warm. Das Grau ist manchmal das von Stahl und dann wieder weich, es kann Ausdruck der Klarheit, aber auch der Undurchsichtigkeit sein. Das alles ergibt ein einziges, spezifisches Graublau, das ich hier so nennen möchte: Nawrath-Blau.« László F. Földényi