BÜRGERSCHAFT 20/11661 Drucksache · im Untersuchungsbericht des...

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Vorwort 1. Anlass 2. Hintergrund: die Tatserie und das Tötungs- delikt an Süleyman Tas¸köprü in Hamburg 3. Ermittlungen und Maßnahmen im Zeitraum 2001 bis 2011 3.1 Ermittlungsverlauf 3.2 Ermittlungsmaßnahmen 3.3 Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz 4. Ermittlungen und Maßnahmen nach Aufdeckung der Tatserie 4.1 Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg 4.2 Maßnahmen der Polizei Hamburg 4.3 Maßnahmen der Justiz 5. Aufarbeitung des NSU-Komplexes und Maßnahmen 2011 bis 2013 5.1 Maßnahmen Hamburgs im Rahmen der Bund-Länder-Zusammenarbeit 5.1.1 Maßnahmen zur Stärkung der Zusammen- arbeit von Polizei und Verfassungsschutz 5.1.2 Neuausrichtung des Verfassungsschutzes 5.1.3 Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz 5.1.4 Maßnahmen der Polizei Hamburg 5.1.5 Maßnahmen der Justiz 5.2 Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 5.3 Befassungen der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister 5.4 Bericht der Bundesregierung über die nach dem 4. November 2011 als Konsequenz aus dem Aufdecken der Terrorgruppe NSU sowie der nachfolgend erkennbar gewordenen Fehler und Versäumnisse ergriffenen Maßnahmen 6. Untersuchungen und Berichte zur Tatserie 6.1 Schäfer-Kommission, Untersuchungs- ausschüsse der Landesparlamente Thüringen, Sachsen und Bayern sowie Ermittlungsgruppe in Baden-Württemberg 6.2 Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland 6.3 Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus 6.3.1 Polizei und Verfassungsschutz Hamburg betreffende Fragenkataloge der BLKR 6.3.2 Bemerkungen zu Hamburger Sicherheitsbehörden im Abschlussbericht BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 20/11661 29. 04. 14 20. Wahlperiode Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Ermittlungen, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg und in der Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder Inhalt 1

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Vorwort1. Anlass2. Hintergrund: die Tatserie und das Tötungs-

delikt an Süleyman Tasköprü in Hamburg3. Ermittlungen und Maßnahmen im Zeitraum

2001 bis 20113.1 Ermittlungsverlauf3.2 Ermittlungsmaßnahmen3.3 Maßnahmen des Landesamtes für

Verfassungsschutz4. Ermittlungen und Maßnahmen nach

Aufdeckung der Tatserie4.1 Maßnahmen des Landesamtes für

Verfassungsschutz Hamburg4.2 Maßnahmen der Polizei Hamburg4.3 Maßnahmen der Justiz5. Aufarbeitung des NSU-Komplexes und

Maßnahmen 2011 bis 20135.1 Maßnahmen Hamburgs im Rahmen der

Bund-Länder-Zusammenarbeit5.1.1 Maßnahmen zur Stärkung der Zusammen-

arbeit von Polizei und Verfassungsschutz5.1.2 Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

5.1.3 Maßnahmen des Landesamtes fürVerfassungsschutz

5.1.4 Maßnahmen der Polizei Hamburg5.1.5 Maßnahmen der Justiz5.2 Beschlüsse der Ständigen Konferenz der

Innenminister und -senatoren der Länder5.3 Befassungen der Konferenz der

Justizministerinnen und Justizminister5.4 Bericht der Bundesregierung über die nach

dem 4. November 2011 als Konsequenz ausdem Aufdecken der Terrorgruppe NSU sowieder nachfolgend erkennbar gewordenen Fehlerund Versäumnisse ergriffenen Maßnahmen

6. Untersuchungen und Berichte zur Tatserie6.1 Schäfer-Kommission, Untersuchungs-

ausschüsse der Landesparlamente Thüringen,Sachsen und Bayern sowie Ermittlungsgruppein Baden-Württemberg

6.2 Regierungskommission zur Überprüfung derSicherheitsgesetzgebung in Deutschland

6.3 Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus6.3.1 Polizei und Verfassungsschutz Hamburg

betreffende Fragenkataloge der BLKR6.3.2 Bemerkungen zu Hamburger

Sicherheitsbehörden im Abschlussbericht

BÜRGERSCHAFT

DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 20/11661

29.04.1420. Wahlperiode

Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)

Ermittlungen, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg

und in der Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden

des Bundes und der Länder

I n h a l t

1

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6.3.3 Ergebnisse6.3.4 Empfehlungen der Kommission und

Stellungnahme der Sicherheits- undStrafverfolgungsbehörden

6.4 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages

6.4.1 Polizei und Verfassungsschutz in Hamburgbetreffende Beweisbeschlüsse

6.4.2 Bemerkungen zu HamburgerSicherheitsbehörden im Abschlussbericht bzw. in entsprechenden Debatten

6.4.3 Ergebnisse6.4.4 Empfehlungen des Untersuchungs-

ausschusses und Stellungnahme derSicherheits- und Strafverfolgungsbehörden

6.5 Schwerpunkte und Handlungsfelder7. Exkurs: Urteil des Bundesverfassungsgerichts

zum Antiterrordateigesetz7.1 Zusammenfassung des Urteils7.2 Sofortmaßnahmen in Hamburg

7.3 Bericht der Bundesregierung zu denAuswirkungen des Urteils des BVerfG auf die Zusammenarbeit und den Austausch von personenbezogenen Daten zwischen der Polizei und dem Verfassungsschutz

8. Geplante Maßnahmen und Prüfvorhaben ab 2014

8.1 Maßnahmen des Bundestages und Bericht der Bundesregierung

8.2 Beteiligung Hamburger Sicherheitsbehördenan Bund-Länder-Maßnahmen

8.3 Landesinterne Maßnahmen von Polizei und Verfassungsschutz

8.4 Maßnahmen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration

8.5 Maßnahmen der Justiz8.6 Landesprogramm zur Förderung

demokratischer Kultur, Vorbeugung undBekämpfung des Rechtsextremismus

8.7 NPD-Verbotsantrag9. Petitum

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

a. a. O. am angegebenen Ort Abs. Absatz a. D. außer Dienst AG ArbeitsgemeinschaftAK II Arbeitskreis II – Innere Sicherheit –

der IMK AK IV Arbeitskreis IV– Verfassungsschutz –

der IMK ARP-Vorgang Allgemeines Register für politische

Sachen (Staatsschutzstrafsachen).Aktenzeichen der Justiz

Art. ArtikelATD Antiterrordatei ATDG Gesetz zur Errichtung einer

standardisierten zentralen Antiterror-datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund undLändern (Antiterrordateigesetz)

AUMO Personengebundener Hinweis„Straftäter politisch motivierte Ausländerkriminalität“

BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BAO Besondere Aufbauorganisation

BASFI Behörde für Arbeit, Soziales, Familieund Integration

BDSG Bundesdatenschutzgesetz behDSB behördlicher

DatenschutzbeauftragterBfV Bundesamt für Verfassungsschutz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BIS Behörde für Inneres und SportBKA Bundeskriminalamt BKADV BKA-Daten-Verordnung BKAG Gesetz über das Bundeskriminalamt

und die Zusammenarbeit des Bundesund der Länder in kriminalpolizei-lichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtsgesetz)

BLKR Bund-Länder-Kommission Rechtsextremismus

BMI Bundesministerium des Innern BMJ Bundesministerium der Justiz

(17. Legislaturperiode)BMJV Bundesministerium der Justiz

und für Verbraucherschutz (18. Legislaturperiode)

A b k ü r z u n g s ve r ze i c h n i s

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BMVg Bundesministerium der VerteidigungBND Bundesnachrichtendienst BPol Bundespolizei BT-Drs. Drucksache des Deutschen

Bundestages BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des

Bundesverfassungsgerichts BVerfSchG Gesetz über die Zusammenarbeit

des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungs-schutzes und über das Bundesamtfür Verfassungsschutz (Bundes-verfassungsschutzgesetz)

Drs. Drucksacheebda. ebendaEG Ermittlungsgruppe et al. et aliterf./ff. folgende(r)/fortfolgende(r) Fn. Fußnote GAR Gemeinsames Abwehrzentrum

gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus

GBA Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

GED Gemeinsame ErmittlungsdateiGenStA GeneralstaatsanwaltschaftGETZ Gemeinsames Extremismus- und

Terrorismusabwehrzentrum zurBekämpfung des Rechtsextremis-mus/-terrorismus, des Linksextremis-mus/-terrorismus, des Ausländer-extremismus/-terrorismus und derSpionage/Proliferation

GIZ Gemeinsames InternetzentrumGTAZ Gemeinsames

Terrorismusabwehrzentrum ggf. gegebenenfalls GG Grundgesetz G10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-,

Post- und Fernmeldegeheimnisses(Artikel 10-Gesetz)

GVG Gerichtsverfassungsgesetz HmbArchG Hamburgisches ArchivgesetzHmbBDI Hamburgischer Beauftragter für

Datenschutz und InformationsfreiheitHmbDSG Hamburgisches DatenschutzgesetzHmbVerfSchG Hamburgisches

Verfassungsschutzgesetz

INPOL Informationssystem der Polizei IMK Ständige Konferenz der Innen-

minister und -senatoren der Länder(Innenministerkonferenz)

i. V. m. in Verbindung mitJB Behörde für Justiz und GleichstellungJuMiKo Konferenz der Justizministerinnen

und -ministerKIA-R Koordinierte Internetauswertung

Forum Rechtsextremismus KPMD PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst

Politisch motivierte KriminalitätKR Richtlinie für die Zusammenarbeit

des Bundesamtes für Verfassungs-schutz du der Landesbehörden fürVerfassungsschutz gemäß Beschlussder Innenministerkonferenz (Koordinierungsrichtlinie)

LfV Landesamt für Verfassungsschutz LIMO Personengebundener Hinweis

„Straftäter linksmotiviert“LKA/LKÄ Landeskriminalamt/Landes-

kriminalämter LOAG Länderoffene Arbeitsgruppe (Betei-

ligung von Bundesbehörden üblich)MAD Militärischer Abschirmdienst MPK MinisterpräsidentenkonferenzNADIS – WN Nachrichtendienstliches

Informationssystem WissensnetzNPD Nationaldemokratische Partei

Deutschlands NSU Nationalsozialistischer Untergrund o. ä. oder ähnliche o. g. oben genannte/oben genannten PIAV Polizeilicher Informations- und

AnalyseverbundPMK Politisch motivierte KriminalitätPMK- rechts rechts motivierte politische

KriminalitätPKA Parlamentarischer KontrollausschussPKGr Parlamentarisches KontrollgremiumPKK Parlamentarische Kontrollkommission PolDVG Gesetz über die Datenverarbeitung

der Polizei PUA Parlamentarischer

UntersuchungsausschussRED Gemeinsame Rechtsextremismus-

Datei von Polizei und Verfassungs-schutz (Rechtsextremismusdatei)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

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RED-G Gesetz zur Errichtung einerstandardisierten zentralen Datei vonPolizeibehörden und Nachrichten-diensten von Bund und Ländern zurBekämpfung des gewaltbezogenenRechtsextremismus (Rechtsextremismus-Datei-Gesetz)

REMO Personengebundener Hinweis„Straftäter rechtsmotiviert“

RiStBV Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren

Rdnr. Randnummer(n) S. Seite SfV Schule für VerfassungsschutzSKA Schriftliche Kleine Anfrages. o./u. siehe oben/untenSoko Sonderkommission StA Staatsanwaltschaft StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung SÜG Sicherheitsüberprüfungsgesetz THS Thüringer Heimatschutz

TKG Telekommunikationsgesetz TKÜ Telekommunikationsüberwachung TOP Tagesordnungspunkt u. a. unter anderemu. ä. und ähnliche VE Verdeckter Ermittler vgl. vergleiche V-Leute Verbindungs-/Vertrauens-Leute VM Verbindungs-/Vertrauensmann (über-

wiegend nicht mehr gebräuchlich)VP/V-Person Vertrauensperson

(heute überwiegend gebräuchlich)VS Verschlusssache VS-NfD Verschlusssache – Nur für den

DienstgebrauchVS-V Verschlusssache – Vertraulich ZAR Richtlinie für die Zusammenarbeit

des Bundesamtes für Verfassungs-schutz und der Landesbehörden fürVerfassungsschutz (Zusammen-arbeitsrichtlinie)

z. B. zum Beispiel

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

Vorwort

Die Mitteilung an die Bürgerschaft erscheint vorAbschluss des Strafverfahrens gegen Beate Zschäpeu. a. vor dem Oberlandesgericht München. Eine Prä-judizierung der ausstehenden strafrechtlichen Einord-nung der Taten durch den Senat ist mit der Druck-sache nicht beabsichtigt. Die ausführliche Darstellungder Ermittlungen zum Tötungsdelikt in Hamburg dientder möglichst umfassenden Information der Bürger-schaft; sie entspricht vergleichbaren Darstellungenim Untersuchungsbericht des Bundestags-Untersu-chungsausschusses.

1. Anlass

Seit Aufdeckung des NSU-Komplexes haben sichSenat und Bürgerschaft mehrfach mit der Tat-serie, ihren Ursachen, ihren Bezügen zu Ham-burg und ihrer Aufarbeitung sowie mit möglichenKonsequenzen bzw. bereits umgesetzten Reform-maßnahmen beschäftigt. Dazu gehören:

Schriftliche Kleine Anfragen (SKA)

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 17. November 2011, „Neona-zistische Mord- und Terroranschläge – Auf-klärungsbedarf auch in Hamburg“, Druck-sache 20/2309

– SKA des Abgeordneten Carl-Edgar Jarchow(FDP) vom 8. Dezember 2011,„NPD-Verbots-verfahren“, Drucksache 20/2528

– SKA des Abgeordneten Kazim Abaci (SPD)vom 12. September 2012, „Anbringung einerGedenktafel zur Erinnerung an SüleymanTasköprü“, Drucksache 20/5266

– SKA des Abgeordneten André Trepoll (CDU)vom 10. April 2013, „Braune Zellen auch in Hamburger Gefängnissen“, Drucksache20/7609

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 23. Mai 2013, „Who is whomutmaßlicher NSU-Unterstützer“, Drucksache20/8103

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 27. Mai 2013, „Öffentlich-keits- und Bildungsarbeit des Hamburger Ver-fassungsschutzes“, Drucksache 20/8136

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 5. Juni 2013, „Die kleine Weltder Neonazis“, Drucksache 20/8310

– SKA des Abgeordneten Karl-Heinz Warnholz(CDU) vom 7. Juni 2013, „Personelle und säch-

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liche Ausstattung des Landesamtes für Verfas-sungsschutz“, Drucksache 20/8333

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 21. Juni 2013, „Neonazis vorOrt“, Drucksache 20/8482

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 24. Juni 2013, „Öffentlich-keits- und Bildungsarbeit des Hamburger Ver-fassungsschutzes (II)“, Drucksache 20/8485

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 22. August 2013, „Die kleineWelt der Neonazis (II)“, Drucksache 20/9055

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 5. September 2013, „Wild-wuchs polizeilich-geheimdienstlicher Koopera-tionsgremien“, Drucksache 20/9232

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 4. Dezember 2013, „Straf-taten mit möglicherweise rechtsextremem Hin-tergrund“, Drucksache 20/10209

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 20. Januar 2014, „Straftatenmit möglicherweise rechtsextremem Hinter-grund (II)“, Drucksache 20/10555

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 18. Februar 2014, „Woranscheiterte seinerzeit des Verbot des NSAN?“,Drucksache 20/10916

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 18. Februar 2014, „Straftatenmit möglicherweise rechtsextremem Hinter-grund (III)“, Drucksache 20/10927

– SKA der Abgeordneten Christiane Schneider(DIE LINKE) vom 1. April 2014, „Anwerbungvon Vertrauenspersonen in Gefängnissen“,Drucksache 20/11355.

Große Anfragen

– Große Anfrage der Abgeordneten ChristianeSchneider, Cansu Ozdemir, Kersten Artus, TimGohlke, Norbert Hackbusch, Dora Heyenn,Heike Sudmann, Mehmet Yildiz (Fraktion DIELINKE) vom 4. April 2014 „Umsetzung derEmpfehlungen des NSU-Untersuchungsaus-schusses“, Drucksache 20/11400.

Parlamentarischer Kontrollausschuss (PKA)

– Sitzung am 20. Dezember 2011, TOP 2: „Ham-burger Bezug zum NSU-Komplex“

– Sitzung am 20. März 2012, TOP 6: „Bericht ausder Sitzung des PUA des Bundestages zumThema NSU“

– Sitzung am 29. Mai 2012, TOP 5: „Berichter-stattung Bund-Länder-Kommission Rechtster-rorismus und PUA“

– Sitzung am 31. August 2012, TOP 4: „Bericht-erstattung an den parlamentarischen Untersu-chungsausschuss des Bundestages und dieBund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus“

– Sitzung am 30. Januar 2013, TOP 2: „Vorstel-lung des Berichts, der zum Einvernehmen derInnenministerkonferenz über das NPD-Ver-botsverfahren geführt hat“

– Sitzung am 22. März 2013, TOP 2: „AktuelleReformprozesse im Verfassungsschutz – Tref-fen von AK II und AK IV mit der Bund-Länder-Expertenkommission am 13.3.2013 in Berlin“

– Sitzung am 14. Juni 2013, TOP 5: „Abschlus-sbericht der Bund-Länder-Kommission Recht-sterrorismus“

– Sitzung am 14. Juni 2013, TOP 6: „Bericht zumSach- und Verfahrensstand der Überarbeitungder Dienstvorschriften des Landesamtes fürVerfassungsschutz“

– Sitzung am 13. September 2013, einziger TOP:„Neue Erkenntnisse zu Personen und derenVerbindungen zum NSU und zu Hamburg“

– Sitzung am 26. September 2013, TOP 2: „Be-richt zum Sach- und Verfahrensstand der Über-arbeitung der Dienstvorschriften des Landes-amtes für Verfassungsschutz“

– Sitzungen am 13. Dezember 2013, TOP 2: „Be-richt zum Sach- und Verfahrensstand der Über-arbeitung der Dienstvorschriften des Landes-amtes für Verfassungsschutz“

– Sitzung am 13. Dezember 2013, TOP 3: „Neu-ausrichtung des Verfassungsschutzes/Ergeb-nisse der Innenministerkonferenz“

– Sitzungen am 13. Dezember 2013, TOP 5:„Verfahren zur Löschung alter Daten und re-dundanter Speicherungen unter Berücksichti-gung des noch bestehenden Löschverbotes imBereich Rechtsextremismus“

– Sitzung am 28. Februar 2014, TOP 2: „Berichtzum Sach- und Verfahrensstand der Überar-beitung der Dienstvorschriften des Landesam-tes für Verfassungsschutz“

– Sitzung am 28. Februar 2014, TOP 3: „Künfti-ger Umgang mit dem Löschmoratorium im Be-reich Rechtsextremismus“.

Innenausschusssitzungen

– Sitzung am 2. Dezember 2011: TOP 2a,„Selbstbefassungsangelegenheit auf Antragder FPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKEzum Thema „Berichterstattung zur derzeitigen

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

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Lage für den Bereich Rechtsextremismus inHamburg und über die Ermittlungen in derMordsache Süleyman Tasköprü“

– Sitzung am 10. Januar 2012, TOP 5: Druck-sache 20/2455 „Rechtsterroristische und neo-nazistische Gewalt – Hamburg muss zurlückenlosen Aufklärung beitragen“ (Antrag derFraktion DIE LINKE)

– Sitzung am 24. Mai 2012, TOP 3: Drucksache20/3248 „Berichte des Bundesamtes für Ver-fassungsschutz über den Nationalsozialisti-schen Untergrund (NSU) im Parlamentari-schen Kontrollausschuss der Bürgerschaft vor-legen“ (Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

– Sitzung am 6. November 2012, TOP 8: Druck-sache 10/4115 „Rechtsextreme Szene in Ham-burg länderübergreifend bekämpfen“

– Sitzung am 8. Januar 2013, TOP 3: „NPD-Ver-botsverfahren“ (Selbstbefassungsangelegen-heit auf Antrag der Fraktion DIE LINKE)

– Sitzung am 25. April 2013, TOP 4: Drucksache20/7402 „NSU-Terror und Behördenversagen:Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Auf-klärung“ (Antrag der Fraktion DIE LINKE)

– Sitzung am 15. April 2014, TOP 2: Selbstbefas-sungsangelegenheit auf Antrag der FraktionBündnis 90/DIE GRÜNEN „Weitere Kenntnisseund Informationen zu Kontakten von Hambur-ger Personen zum NSU“.

Den Ausschussmitgliedern wurde zugesagt, dassder Senat nach Abschluss der laufenden Unter-suchungen, darunter die der Bund-Länder-Kom-mission Rechtsterrorismus und des 2. Untersu-chungsausschusses der 17. Wahlperiode desDeutschen Bundestages, einen umfassenden Be-richt zu Feststellungen, Berichtsergebnissensowie abgeschlossenen, laufenden oder ggf. ge-planten Maßnahmen in Hamburg vorlegen werde.Eine vergleichbare Zielrichtung verfolgte auch derAntrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache20/9338) im September 2013. Der hier geforder-ten bzw. bereits zugesagten Berichterstattungdient die vorliegende Mitteilung an die Bürger-schaft.

Nach einer Darstellung der wesentlichen Entwick-lungen bis zur Aufdeckung der Tatserie im No-vember 2011 in den Kapiteln 2 und 3 werden in Ka-pitel 4 noch einmal die Ermittlungsmaßnahmennach dem November 2011 in Hamburg bzw. unterBeteiligung Hamburger Sicherheitsbehörden zu-sammengefasst. In Kapitel 5 werden die politi-schen und administrativen Diskussionen und dieAufarbeitung des NSU-Komplexes sowie entspre-

chende Maßnahmen in den Jahren 2011 bis 2013dargestellt; sodann werden in Kapitel 6 die Auf-träge, Ergebnisse und Empfehlungen der wesent-lichen, überwiegend im Jahr 2013 vorgelegtenUntersuchungen zum Komplex aufgezeigt. Be-sonderes Augenmerk liegt dabei auf direkten undindirekten Bezügen zu Hamburg. Kapitel 7 gehtauf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zumAntiterrordateigesetz ein, da dieses wegen seinerBedeutung für das Rechtsextremismus-Datei-Ge-setz mittelbar erhebliche Bedeutung für denbehördlichen Informationsaustausch im Bereichder Bekämpfung des Rechtsextremismus hat. Ab-schließend werden in Kapitel 8 weitere Maßnah-men und Vorhaben dargestellt, die in Hamburgals Konsequenz oder im Zusammenhang mit derAufarbeitung der Tatserie geplant sind oder ge-prüft werden.

2. Hintergrund: die Tatserie und das Tötungs-

delikt an Süleyman Tasköprü in Hamburg

Am 4. November 2011 töteten sich Uwe Böhn-hardt und Uwe Mundlos im Anschluss an einenBanküberfall in ihrem Wohnmobil in Eisenach,nachdem ihre Festnahme durch die Besatzungeines Funkstreifenwagens drohte. Am selben Taglegte Beate Zschäpe in der gemeinsamen Woh-nung in Zwickau ein Feuer, flüchtete und stelltesich am 8. November 2011 der Polizei. Nach derSicherstellung von Waffen, einem Bekenner- bzw.Propaganda-Video, in dem sich die Gruppe als„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) be-zeichnete, und sonstigem Material in dem Wohn-mobil bzw. der Wohnung teilte der Generalbun-desanwalt am 11. November 2011 mit, dass imRahmen der Durchsuchungen auch jene Waffeder Marke Česká gefunden worden war, die be-reits zuvor als Tatwaffe in neun von zehn unge-klärten Tötungsdelikten im Zeitraum 2000 bis2006 identifiziert war. Die Opfer der Tötungs-delikte waren 8 aus der Türkei stammende Ge-schäftsleute bzw. ein aus Griechenland stammen-der Geschäftsmann. Außerdem wurden bei derDurchsuchung die Dienstwaffen einer im Jahr2007 in Heilbronn getöteten Polizeibeamtin sowieihres schwer verletzten Kollegen gefunden. DesWeiteren enthielt das genannte Video die Beken-nung zu einem ungeklärten Sprengstoffanschlagin Köln (2004) sowie Hinweise auf die Täterschaftbei einem weiteren Sprengstoffanschlag in einemKölner Lebensmittelgeschäft (2001).

Insgesamt werden dem NSU derzeit folgendeTaten zugeschrieben:

– 9. September 2000: Tötungsdelikt an EnverSimsek in Nürnberg

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

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– 19. Januar 2001: Sprengstoffanschlag in Köln,Lebensmittelgeschäft

– 13. Juni 2001: Tötungsdelikt an AbdurrahimÖzdüdogru in Nürnberg

– 27. Juni 2001: Tötungsdelikt an SüleymanTasköprü in Hamburg

– 29. August 2001: Tötungsdelikt an Habil Kiliç inMünchen

– 25. Februar 2004: Tötungsdelikt an MehmetTurgut in Rostock

– 9. Juni 2004: Sprengstoffanschlag in Köln,Keupstraße

– 9. Juni 2005: Tötungsdelikt an ismail Yasar inNürnberg

– 15. Juni 2005: Tötungsdelikt an TheodorosBoulgarides in München

– 4. April 2006: Tötungsdelikt an Mehmet Ku-basik in Dortmund

– 6. April 2006: Tötungsdelikt an Halit Yozgat inKassel

– 25. April 2007: Tötungsdelikt an Michèle Kiese-wetter in Heilbronn und versuchte Tötung ihresKollegen sowie

– 1998-2011: insgesamt 15 bewaffnete Raub-überfälle auf ein Geschäft sowie mehrere Post-und Sparkassenfilialen; in einem Fall wurde2006 ein Angestellter durch einen Bauch-schuss lebensgefährlich verletzt

Unmittelbar nach der Aufdeckung der Tatserieübernahm der Generalbundesanwalt (GBA) dieErmittlungen, in deren Verlauf mehrere mutmaßli-che Unterstützer des NSU verhaftet wurden. Am8. November 2012 wurde vor dem Oberlandesge-richt München Anklage gegen die überlebendeBeate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Unterstüt-zer erhoben; der Prozess begann im Frühjahr2013 und wird voraussichtlich bis in das Jahr 2015dauern.1) Derzeit wird außerdem noch überprüft,ob dem NSU ggf. weitere, bisher ungeklärteStraftaten zur Last zu legen sind.

Der Hamburger Süleyman Tasköprü, das dritteOpfer in der Tatserie, hielt sich am Mittwoch, 27. Juni 2001, gemeinsam mit seinem Vater indem von der Familie betriebenen „Tasköprü-Mar-ket“ in Bahrenfeld auf. Gegen 10.45 Uhr verließder Vater des Opfers das Geschäft, um einzukau-fen. Als er gegen 11.15 Uhr zurückkehrte, fand erseinen Sohn tödlich verletzt auf. Tatwaffen wareneine Pistole Kaliber 7,65 mm (auf Grund kriminal-technischer Untersuchungen des Bundeskrimi-nalamtes (BKA) als Pistole der Marke Česká 83identifiziert) und eine Pistole Kaliber 6,35 mm. Am31. August 2001, also 2 Monate später (eine Bear-

beitungsdauer auf Seiten des BKA, die später imBericht des Bundestags-Untersuchungsausschussausdrücklich kritisiert wurde, vgl. Kapitel 6.4.3),bestätigte der vom BKA durchgeführte Projektil-vergleich die Verwendung derselben Tatwaffe wiebei dem ersten Delikt (bei dem auch die PistoleKaliber 6,35 mm eingesetzt wurde) bzw. den bei-den ersten Tötungsdelikten der Serie in Nürnberg.

3. Ermittlungen und Maßnahmen im Zeitraum

2001 bis 2011

Die Ermittlungen im Fall Tasköprü wurden bis zurÜbernahme des Verfahrens durch den GBA imMärz 2012 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg(StA) geführt, wobei die Ermittlungshandlungenzunächst von der für Mordermittlungen zuständi-gen Dienststelle des Landeskriminalamtes (LKA41) vorgenommen wurden, bevor im März 2006 inder Abteilung Organisierte Kriminalität die EG061, später umbenannt in SOKO 061, eingerichtetwurde, die die weiteren Ermittlungen übernahm.

Im Oktober 2001 wurde – wie zuvor in Bayern –auch in Hamburg eine Belohnung von 5000 DM,ab 2002 5000 Euro für Hinweise ausgelobt, diezur Ergreifung des oder der Täter führen. Bezo-gen auf die gesamte Česká-Tatserie beschlossdie Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) im Jahr 2006, eine weitere Be-lohnung von 300.000 Euro auszuloben.2)

3.1 Ermittlungsverlauf

Die ermittelnde Dienststelle der Polizei Hamburglegte bis zum Jahr 2002 insgesamt 183 Spu-renakten an, verfolgte diese Spuren, konnte je-doch keinen Täter ermitteln. Nach Beendigungder Spurenbearbeitung ergaben sich keine weite-ren Handlungsansätze. Das Ermittlungsverfahrenwurde am 25. März 2003 zunächst formell einge-stellt, weil die bis dahin geführten intensiven Er-mittlungen keinen hinreichenden Tatverdachtgegen einen Beschuldigten erbracht hatten undweitere Ermittlungsansätze nicht erkennbarwaren.

Formelle Einstellungen seitens der Staatsanwalt-schaft führen bei unaufgeklärten Taten nicht zurBeendigung polizeilicher Ermittlungen. So wurdein 2003 eine neue Spur verfolgt, die negativ abge-schlossen wurde. Drei Altspuren wurden erneutgeprüft und wiederum negativ abgeschlossen.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

1) Beate Zschäpe ist außerdem wegen besonders schwererBrandstiftung in der Zwickauer Wohnung des NSU am 4. No-vember 2011 sowie – in diesem Zusammenhang – wegen ver-suchten Mordes an einer Nachbarin und zwei Handwerkern an-geklagt.

2) Hamburg hätte sich an der bundesweiten Belohnung mit einemAnteil von rd. 27.800 Euro beteiligt.

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Eine Prüfung der Erkenntnisse aus Rostock bzw.Nürnberg und München nach den beiden weite-ren Tötungsdelikten an Mehmet Turgut in 2004, is-mail Yasar und Theodorus Boulgarides in 2005 er-brachten keine neuen Ansatzpunkte für den Fallin Hamburg.

Die Ermittlungen wurden im Sommer 2005 wiederaufgenommen. Nach den beiden Tötungsdeliktenim Juni 2005 wurde die BAO Bosporus (Beson-dere Aufbauorganisation, spezielle Organisati-onsform für polizeiliche Ermittlungen in besonde-ren Fällen, BIS) in Nürnberg eingerichtet; in die-sem Zusammenhang fand im Dezember 2005 einTreffen statt, an dem auch die jeweils zuständigenDezernenten der Staatsanwaltschaften Nürnberg,Rostock und Hamburg teilnahmen. In der Folgefanden weitere, dem Informationsaustausch dien-ende Treffen zwischen den beteiligten Behördenstatt.

Nach Einrichtung der BAO Bosporus ergingenzahlreiche Ermittlungsersuchen an das LKAHamburg, und die Ermittlungen wurden intensi-viert. Ab dem 4. Quartal 2005 wurden die Ermitt-lungsersuchen der BAO Bosporus fast aus-schließlich durch die für Organisierte Kriminalitätzuständige Abteilung 6 des LKA bearbeitet. Dievon der BAO entwickelten Ermittlungsansätzegalten vor allem der Suche nach möglichen mit-telbaren oder unmittelbaren Verbindungen zwi-schen allen bis dahin sieben Opfern bzw. der Er-mittlung möglicher Tatmotive.3) Im März 2006wurde in der Abteilung Organisierte Kriminalitätdie Ermittlungsgruppe (EG) 061, später umbe-nannt in Sonderkommission (SOKO) 061, einge-richtet, die das Ermittlungsverfahren von derMordkommission übernahm.

Die EG 061 bestand zunächst aus neun, ab Au-gust 2006 als SOKO 061 aus zehn Mitarbeiternder Abteilungen Organisierte Kriminalität undStaatsschutz sowie der Mordkommission. ImSommer 2007 untersuchten weitere zwölf Beamteund Angestellte aus diversen Organisationsein-heiten der Polizei Hamburg sämtliche bei der Waf-fenbehörde Hamburg registrierten Legalbesitzervon Waffen der Marke Česká 83. Nach Auflösungder SOKO 061 im August 2008 wurden die Ermitt-lungen in der Abteilung 6 des LKA (Deliktsüber-greifende Ermittlungen/OK) fortgeführt; der be-reits zuvor in der SOKO 061 tätige Mitarbeiter derStaatsschutz-Abteilung blieb dabei in die Ermitt-lungen eingebunden. Unmittelbar nach der Auf-deckung der Tatserie, am 15. November 2011,wurde die SOKO 061 wieder eingerichtet mit demAuftrag zur Fortführung der Ermittlungen zum

Hamburger Fall in Zusammenarbeit mit der neueingerichteten BAO Trio des BKA.4)

3.2 Ermittlungsmaßnahmen

Im Rahmen der Hamburger Ermittlungen kam eszu einer Vielzahl von Ermittlungsmaßnahmen, dienachfolgend zusammengefasst dargestellt wer-den.

Tatortuntersuchung

Bei der Untersuchung des Tatortes kam unter an-derem ein Sprengstoffhund zum Einsatz. Patro-nenhülsen wurden sichergestellt, an denen je-doch keine daktyloskopischen Spuren festgestelltwerden konnten. Brille und Uhr des Opfers Süley-man Tasköprü wurden sichergestellt und serolo-gisch auf mögliche Fremd-DNA-Anhaftungen un-tersucht. Es konnte jedoch nur DNA-Material desOpfers festgestellt werden. Am Tatort wurdenschließlich zahlreiche Zettel mit handschriftlichenNotizen sichergestellt, deren Auswertung jedochkeine weiteren Ermittlungsansätze ergab.

Kriminaltechnische Untersuchungen

– Mehrere am Tatort sichergestellte Gegen-stände wurden daktyloskopisch untersucht.Weiterführende Ergebnisse folgten daraus je-doch nicht. Ein Abgleich der Fingerabdrückedes Opfers mit den noch nicht zugeordnetenFingerspuren aus der Serie (Fälle Simsek undÖzüdogru) und zu einem späteren Zeitpunktden Fingerabdrücken der in der Personen-Spu-renliste der BAO Bosporus aufgeführten zehnPersonen verlief negativ.

– Schmauchspurenuntersuchungen wurden beimOpfer sowie bei weiteren Personen durchge-führt, trugen im Ergebnis aber nichts Verwert-bares zur Klärung der Täterfrage bei.

– Das Opfer und seine Kleidung wurden aufDNA-Spuren untersucht. Bei dem Opfer konntelediglich die eigene DNA festgestellt werden.Die Kleidung und eine ebenfalls untersuchteWolldecke wurden zur Faserspurensicherungabgeklebt. Es konnten 129 DNA-Proben und32 telogene Haare gewonnen werden. Das Ma-

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3) Dazu gehörte auch die Untersuchung möglicher Bezüge ande-rer Opfer der Tatserie zu Personen der kriminellen Szene inHamburg. So lagen in bayerischen Fällen Spuren mit u.a. poli-zeilich in Erscheinung getretenen Personen vor, die persönli-che und deliktische Bezüge nach Hamburg aufwiesen. Folglichbetrafen Ermittlungsersuchen der BAO Bosporus mögliche Er-kenntnisse des LKA Hamburg zu den vorgenannten Personen,kriminellen Gruppierungen und Sachverhalten sowie die Un-terstützung bei kriminalpolizeilichen Maßnahmen wie z.B. Ver-nehmungen.

4) Besondere Aufbauorganisation des BKA nach Aufdeckung derTatserie im November 2011.

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terial wurde an das Institut für Rechtsmedizinder Universität München gesandt; das dortigeGutachten erbrachte jedoch keine weiter-führenden Erkenntnisse. Die Haare wurdengesondert untersucht, führten jedoch eben-falls nicht zu weiterführenden Erkenntnissen.Die festgestellten, aber nicht zuzuordnendenDNA-Muster wurden in die DNA-Kartei einge-stellt.

– Durch ein Obduktionsgutachten wurde die To-desursache ermittelt. Durch ein vom Institut fürRechtsmedizin München erstelltes Schussre-konstruktionsgutachten und durch eine Fall-analyse konnte der Tatablauf rekonstruiert wer-den.

Zeugenbefragungen

Eine Vielzahl von Zeugen wurde befragt. Keineder befragten Personen hat jedoch Angaben zumKerngeschehen der Tat machen können.

Zum Randgeschehen machten mehrere ZeugenAngaben. Eine Spur ergab sich aus einer erstenVernehmung des Vaters des Opfers am Tattag.Dabei gab der Vater an, er habe bei seiner Rück-kehr zwei nicht südländische, sondern eherblonde Männer wahrgenommen, die Kunden oderPassanten gewesen sein könnten.5) Eine weitereZeugin bestätigte, Herr Tasköprü habe diese Be-obachtung erwähnt, jedoch mit dem Zusatz, erwürde die Männer nicht wiedererkennen. Verneh-mungen im Tatortumfeld sowie Nachbarschafts-befragungen ergaben keine weiteren Hinweise.Bei einer zweiten Vernehmung am 29. Juni 2001machte Herr Tasköprü weitere Angaben zu demAussehen der beiden Männer, die jedoch nicht fürdie Erstellung eines Phantombildes oder weiteregezielte Ermittlungsmaßnahmen (etwa in dierechte Szene) ausreichten. Bei Vorlage der Phan-tombilder „Fahrradfahrer“ aus einem Fall (Tö-tungsdelikt an ismail Yasar in Nürnberg im Jahr2005) im Rahmen einer Vernehmung im Jahr2005 meinte Herr Tasköprü, eine gewisse Ähn-lichkeit mit den beobachteten Personen festzu-stellen, zu deren Aussehen und Zahl er abergleichzeitig gegenüber seiner Aussage von 2001abweichende Angaben machte. Insgesamt erga-ben sich aus den Aussagen von Herrn Tasköprüim Jahr 2001 bzw. 2005 über die laufenden Öf-fentlichkeitsfahndungen mit den o. g. Phantombil-dern hinaus keine weiteren Ansätze für Maßnah-men zur Identifizierung der von ihm gesehenenMänner.

Eine andere der befragten Personen meinte, umdie Tatzeit auf der Straße eine aggressive Män-nerstimme rufen gehört zu haben („Warte!“), undhatte den Eindruck, dass diese Person eine an-

dere verfolgt habe. Eine Zeugin berichtete, um dieTatzeit aus der Richtung des Gemüsegeschäftseinen etwa zehnminütigen Streit vernommen zuhaben. Mehrere Zeugen berichteten von im Vor-feld stattgefundenen auffälligen Gesprächen zwi-schen dem späteren Opfer und anderen Perso-nen. So sagte eine Zeugin aus, dass das spätereOpfer in den Tagen vor der Tat regelmäßig Besuchvon einem unbekannten Mann erhalten habe.Eine andere Zeugin gab an, dass es zwei Tage vorder Tat im Geschäft des Tatopfers zu einem vor-nehmlich in türkischer Sprache geführten Streitzwischen dem späteren Tatopfer und drei ihr un-bekannten Männern gekommen sei, wobei einerder unbekannten Männer ein Wiederkommen an-gedroht habe („Kümmer´ Dich darum! Sieh zu,dass Du das ran holst! Wir kommen wieder!“);trotz Anfertigung eines Phantombildes, einerEinsichtnahme in die Lichtbildkartei und Befra-gung einer in Betracht kommenden männlichenPerson führte dieser Ermittlungsansatz nicht wei-ter. Eine weitere Zeugin sagte aus, dass sie vierTage vor der Tat in dem Geschäft mehrere ihr un-bekannte Südländer gesehen habe, die sich invermutlich türkischer Sprache lautstark und ag-gressiv mit dem späteren Tatopfer unterhaltenhätten. Die Zeugin hat diese männlichen Perso-nen jedoch nicht auf Lichtbildern wiedererkennenkönnen.

Telekommunikationsdaten

Es wurden Ermittlungen zu Telekommunikations-daten vorgenommen, mit denen ein Festnetzan-schluss und zwei SIM-Karten ausgewertet wur-den. Konkrete Anhaltspunkte zu einem möglichenTäter ergaben sich hieraus nicht. Nachdem sichHinweise auf Kontakte in die Niederlande erge-ben hatten, erging im September 2001 einestaatsanwaltschaftliche Anordnung zur Heraus-gabe sämtlicher Daten über den Fernmeldever-kehr, der im Zeitraum um die Tat im GroßraumHamburg unter Verwendung einer niederländi-schen SIM-Karte geführt worden war. Die Anord-

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5) Vgl. hierzu die Vorwürfe des Anwalts der Familie Tasköprü,Andreas Thiel, gegen die Ermittler vom 20. September 2013auf ndr-online. Der Anwalt kritisierte, die entsprechende Spursei nicht verfolgt worden, außerdem sei dem Landeskriminal-amt bereits am Tattag bekannt gewesen, dass in Nürnberg zweiMorde an Kleinunternehmern mit einer Česká begangen wor-den wären. Tatsächlich wurde die Tatwaffe im Fall Tasköprü je-doch deutlich später, nämlich am 31. August 2001, rd. 2 Monatenach der Tat, vom zuständigen BKA durch den erforderlichenProjektilvergleich als Tatwaffe in den Nürnberger Fällen identi-fiziert. Vgl. hierzu auch die Presseberichterstattung nach derVernehmung des Vaters im Prozess gegen Beate Zschäpe am23. September 2013, so etwa in http://www.taz.de/NSU-Pro-zess-Mord-Nummer-drei/!124269/.

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nung wurde später richterlich bestätigt und er-gänzt. Im Oktober 2001 erging auf Grund neuerErmittlungsergebnisse ein gleichlautender Be-schluss für die Herausgabe sämtlicher Daten fürden Fernmeldeverkehr, der unter Verwendungeiner polnischen SIM-Karte geführt worden war.Nachdem im August 2002 ein anonymer Anruferder Polizei mitteilte, jemanden zu kennen, der denMörder kenne, und dass der Mörder das spätereOpfer eine Woche vor der Tat bedroht habe, wurdeein Beschluss zur Ermittlung der Rufnummer desAnrufers erwirkt. Diese konnte jedoch nicht ermit-telt werden.

Finanzermittlungen

Von der Staatsanwaltschaft Hamburg wurdenKontounterlagen bezüglich des Tatopfers angefor-dert. Aus diesen ergaben sich keine Auffälligkei-ten. Weitergehende Finanzermittlungen wurdenspäter vom BKA und der BAO Bosporus durchge-führt. Im Januar 2005 wurden auf Ersuchen desBKA Geschäftsunterlagen des Opfers sicherge-stellt und vom Wirtschaftsprüfdienst des BKAüberprüft, ohne dass sich daraus neue Erkennt-nisse ergaben.

Ermittlungen zum Tatmotiv

Zum Tatmotiv im Fall Tasköprü (wie auch in allenanderen Tötungsdelikten) erfolgten Feststellun-gen, Überprüfungen und Ermittlungen in alleRichtungen, insbesondere zu den Bereichen Be-ziehungstaten/Ehrverletzungen, Glückspiel/Schul-den, politische bzw. religiöse Hintergründe,Schutzgeld, fremdenfeindliche Hintergründe undillegale Drogengeschäfte sowie früheren Kontak-ten des Opfers, u. a. zu polizeibekannten Perso-nen. Raubmord konnte in Hamburg wie in allenFällen der Serie frühzeitig ausgeschlossen wer-den. Insgesamt wurden zwischen 2006 und 2011rd. 2.300 Personen überprüft, mehr als 150 Alt-spuren (Ermittlungen der Mordkommission), mehrals 300 neue Spuren sowie 80 weitere Hinweisebearbeitet, mehr als 450 Vernehmungen durchge-führt sowie verdeckte Maßnahmen veranlasst.Eine Revision der bisherigen Ermittlungen undErgebnisse im Jahr 2009 ergab zwei neue Spu-ren, die jedoch erneut keine weiterführenden Er-gebnisse erbrachten.

Die EG 061, später SOKO 061, hat wie alle ande-ren ermittlungsführenden Organisationseinheiten(Wahrnehmung der Geschäftsführung durch dieBAO Bosporus in Bayern) in den Fällen derČeská-Taten im Laufe ihrer Ermittlungen sowohldie Organisationstheorie (Zielrichtung: Organi-sierte Kriminalität) wie auch die Theorie des Seri-entäters (Zielrichtung: Täter mit eigener Motiv-

lage ohne Einbindung in den Bereich der OK, sogenannte Einzeltätertheorie) analysiert unddurchleuchtet. Da beide Theorien durch Faktengestützt werden konnten, erstreckten sich die Er-mittlungen durchweg in alle Richtungen.

Spuren und Hinweise zu möglicher politischer Motivation

Die ergebnisoffenen Ermittlungen der EG 061(später SOKO 061) umfassten auch die Ermitt-lungshypothese fremdenfeindlicher, rechtsextre-mistischer oder anderer politisch motivierter Tat-hintergründe; wenngleich die primäre Ermitt-lungsrichtung – auch seitens der BAO Bosporusin Bayern – auf Grund gewichtiger Hinweise undZeugenaussagen6) in Richtung Organisierte Kri-minalität wies.

Die Dienststelle Operative Fallanalyse (OFA) desLKA Bayern formulierte nach dem achten undneunten Tötungsdelikt (April 2006) die alternativeErmittlungshypothese eines aus Hass auf Männertürkischer Herkunft (oder von türkischem Erschei-nungsbild) handelnden Täters (o. g. Einzeltäter-theorie). Zu dem Täter wurde ein „Ankerpunkt“(Wohnort, nachrangig Arbeitsstelle) in Nürnbergim Jahr 2000 und u. a. dortige polizeiliche Vorer-kenntnisse zu Staatsschutzdelikten „Rechts“ an-genommen. Die Auswahl der Tatorte außerhalbNürnbergs wurde mit beruflichen Aktivitäten inVerbindung gesetzt. Die daraufhin von der BAOBosporus veranlassten Ermittlungen betrafen je-doch der Analyse entsprechend überwiegendNürnberg; dabei ergaben sich auch Ermittlungs-ersuchen zur gezielten Überprüfung von Spurenaus Bayern zur Einzeltätertheorie, die auch Ham-burg betrafen, sich jedoch als wenig relevant er-wiesen. Zur Verfolgung der Einzeltätertheoriewurden in Hamburg – wie in sämtlichen ermitteln-den Länderdienststellen – zusätzlich Massenda-ten erhoben, ausgewertet sowie die abgeleitetenSpuren bearbeitet.

Am 6. Juli 2006 fand bei der Abteilung Staats-schutz eine Besprechung unter Teilnahme vonVertretern des Landesamtes für Verfassungs-schutz (LfV) Hamburg statt, in der die SOKO 061über die bundesweite Tatserie, den HamburgerFall und die gleichrangig verfolgten Ermittlungs-hypothesen der Organisationstheorie und derEinzeltätertheorie informierte. Ab 1. August 2006war ein Beamter aus der Abteilung Staatsschutz,Aufgabenbereich Datenerfassung und -recher-

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6) Vgl. hierzu und im Folgenden insb. Kapitel 6.4.2.

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che, der SOKO 061 fest zugeordnet, der zumeinen über die Spezialisierung im Bereich Mas-sendatenabgleich verfügte, zum anderen die not-wendige unmittelbare Verbindung in alle Bereicheder Abteilung Staatsschutz gewährleisten konnte.

Trotz der ab 2006 sehr hohen ausgelobten Beloh-nung und der auch öffentlichen Suche (Medien-berichterstattung zur Einzeltätertheorie ab August2006 sowie Internetseite des BKA) ergingen inHamburg weiter keinerlei Hinweise auf

– Angehörige oder ehemalige Angehörige derrechten Szene in Hamburg oder

– Personen, die mit Bezug zu Hamburg durchausländerfeindliches Verhalten aufgefallen sindund zumindest ansatzweise mit dem Tötungs-delikt an Süleyman Tasköprü oder dem Tatortin Verbindung gebracht werden konnten.

In Hinsicht auf die o. g. Einzeltätertheorie über-prüfte die SOKO 061 gezielt vier Hinweise auf Be-züge mit extremistischem Hintergrund; Bezügezur Tatserie konnten in allen Fällen nicht festge-stellt werden. (Diese Feststellungen bestätigtensich im Rahmen der erneute Überprüfung dieserPersonen im Rahmen der Ermittlungen nach Auf-deckung der Tatserie.) Daneben lagen im Rah-men der Ermittlungen zum Hamburger Fall wei-tere Zeugenaussagen zu Organisationen und Per-sonen vor, die extremistischen türkischen undkurdischen Gruppierungen zuzuordnen waren.Auch diese führten jedoch nicht zur Feststellungeines Tatzusammenhanges.

3.3 Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungs-schutz

Im Rahmen der Ermittlungen zum Fall Tasköprüwar das LfV Hamburg in der dargestellten Weisebefasst; vor dem Hintergrund heutiger Erkennt-nisse war die Beteiligung des Verfassungs-schutzes Hamburg bei den Ermittlungen nicht be-deutend. Dies gilt nicht für den Beitrag des Ham-burger Verfassungsschutzes zur bundesweitenAufklärung der Entwicklungen im Rechtsextre-mismus, auf den daher im Folgenden ausführli-cher eingegangen werden soll.

Unterstützung der polizeilichen Ermittlungenwährend der Tatserie

In den Jahren 2006 und 2007 hatte das LfV nebendem LKA Hamburg auch Kontakt zum BKA undeiner weiteren Polizeidienststelle, die mit den Er-mittlungen in der Tatserie befasst war, um bei derÜberprüfung verschiedener Spuren und Arbeits-hypothesen mit Bezug zum ausländerextremis-tischen Milieu zu unterstützen.

Beobachtung des Rechtsextremismus seit den 90er Jahren

Die Beobachtung des Rechtsextremismus ist seitden 1990er Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit derdeutschen Inlandsnachrichtendienste, darunterauch des LfV Hamburg. Zur damaligen Zeit warenin Hamburg mehrere führende Neonazis mit bun-desweitem Aktionsradius tätig. 1995 wurde –neben anderen Verbotsmaßnahmen in anderenLändern und im Bund – die in Hamburg ansäs-sige neonazistische „Nationale Liste“ (NL) verbo-ten. In der Folge des Verbots entstanden „freie“neonazistische Strukturen, aus diesen wiederumEnde der 1990er Jahre u. a. die neonazistischeGruppierung „Hamburger Sturm“, die auch als„Kameradschaft Bramfeld“ bezeichnet und imJahre 2000 von der Hamburger Behörde für Inne-res verboten wurde. Mitglieder dieser Neonazi-Gruppe und deren Aktivitäten wurden auch nachdem Verbot weiter beobachtet.

Zu den Gruppierungen im Fokus des HamburgerLfV gehörten auch die Anfang der 2000er Jahrebesonders aktive „Kameradschaft Pinneberg“,der mehrere rechtsextremistische Skinheads undNeonazis aus Hamburg angehörten, und derenTochterorganisation „C 18 Pinneberg“. Dabei gabes personelle Überschneidungen zwischen der„Kameradschaft Pinneberg“, dem „HamburgerSturm“ und der „Sektion Nordmark“ der neonazis-tisch geprägten Skinhead-Vereinigung „Bloodand Honour“, die 2000 vom Bundesminister desInnern verboten wurde. Die intensive nachrichten-dienstliche Beobachtung der genannten Gruppenschuf die Grundlage für die o. g. Verbote; wesent-liche Erkenntnisse dieser Beobachtung derrechtsextremistischen Szene waren Gegenstandder jährlichen Hamburger Verfassungsschutzbe-richte.

Im Rahmen der Aufarbeitung der Tatserie standzunächst die Frage im Vordergrund, ob und inwie-weit die Entwicklung eines Rechtsterrorismus inden vergangenen Jahren für die Verfassungs-schutzbehörden erkennbar war oder hätte seinmüssen. Nach den Beobachtungen des LfV Ham-burg hat die rechtsextremistische Szene Ende der1990er Jahre zunehmend aggressiv auf die um-fangreichen Bekämpfungsmaßnahmen der Si-cherheitsbehörden reagiert. Bereits damalswurde in der Szene diskutiert, dass sich der „na-tionale Widerstand“ auf Dauer nicht auf legaleMittel beschränken könne. So wurde auch bereitsEnde der 90er Jahre in Hamburger Verfassungs-schutzberichten ausgeführt, dass nach wie vor inDeutschland die Gefahr eines rechtsextremistischmotivierten Terrorismus bestehe und zudem dar-

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auf hingewiesen, dass bei einzelnen Aktivistender rechtsextremen Szene insgesamt die Über-zeugung wachsen könnte, „den politischen Kampfkünftig auch in Form eines bewaffneten Unter-grundkampfes führen zu müssen“7) Das LfV Ham-burg hat jedoch keine Verbindung zwischen dendrei flüchtigen Neonazis und den späteren Tö-tungsdelikten herstellen können. Auch lagen inHamburg keine Erkenntnisse vor, die auf einenrechtsextremistischen Tathintergrund der Tatserieund insbesondere des Falles in Hamburg hindeu-teten und Anlass hätten geben können, in dieseRichtung weiter zu ermitteln.

4. Ermittlungen und Maßnahmen nach Auf-

deckung der Tatserie

Bei der Durchsuchung der ausgebrannten Woh-nung des NSU in Zwickau wurde im November2011 auch eine Liste mit Datensätzen gefunden,die möglicherweise als weitere Anschlagszielegeplant waren. Auch vor diesem Hintergrund ludder Präses der Behörde für Inneres und Sport un-verzüglich Vertreterinnen und Vertreter von Mi-grantenverbänden in Hamburg zu einem Treffenein, um über eine mögliche Gefährdung von Men-schen mit Migrationshintergrund allgemein undislamischen Gemeinden im Besonderen durchRechtsextremisten oder -terroristen in Deutsch-land zu informieren und sich der nachvollziehba-ren Bestürzung, Empörung und Besorgnis ange-sichts der aufgedeckten Tatserie zu stellen. Beidiesem Treffen berichtete die Polizei Hamburgumfangreich über den Fall in Hamburg, die Er-mittlungen seit 2001, die Hintergründe für denbundesweiten Schwerpunkt auf der Tathypotheseim Bereich organisierte Kriminalität und weitereAspekte. Der Leiter des LfV Hamburg informierteüber Geschichte, Aufgaben und Erkenntnisse desVerfassungsschutzes im Bereich Rechtsextremis-mus. Information, Transparenz und Dialog warenauch das Ziel eines weiteren Treffens in diesemKreis im März 2012, bei dem ebenso über denneuen Ermittlungsstand und zwischenzeitlich inHamburg ergriffene Maßnahmen berichtet wurde8)

wie auf einer Sitzung des Integrationsbeirates beider Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Inte-gration (BASFI) im Dezember 2013.

Die umfangreichen und intensiven Maßnahmender Hamburger Sicherheitsbehörden nach Auf-deckung der Tatserie betrafen im Wesentlichenvier Bereiche, auf die in den folgenden Kapitelneinzugehen sein wird:

– Aufarbeitung der Ermittlungen seit 2001 undBeitrag zum Ermittlungsverfahren des GBAbzw. zur BAO Trio

– Aufarbeitung der Maßnahmen im BereichRechtsextremismus seit den späten 90er Jah-ren im Hinblick auf die Fragen, (1) ob Anzei-chen für die Entwicklung des Rechtsterroris-mus erkennbar hätten sein können bzw. (2) obVerbindungen des NSU nach Hamburg be-standen

– Mitarbeit an verschiedenen, überwiegend vonder Innenministerkonferenz eingesetzten Gre-mien zur Aufarbeitung des NSU-Komplexesbzw. zur Entwicklung von Reformmaßnahmen

– Zusammenarbeit mit und Zulieferung zu deneingesetzten Gremien, namentlich der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus (BLKR)und dem 2. Untersuchungsausschuss der 17. Legislaturperiode (vgl. hierzu Kapitel 6.3und 6.4).

Insbesondere in Hinsicht auf die genannten Un-tersuchungsgremien zeigte sich zunächst sehrfrüh die Bedeutung des Umgangs mit Altaktenund Datenbeständen. Nachdem im Bundesamtfür Verfassungsschutz (BfV) im November 2011bereits Akten gelöscht worden waren, die für wei-tere Untersuchungen hätten relevant sein kön-nen, und der Bundestags-Untersuchungsaus-schuss zu Beginn seiner Tätigkeit die teils zöger-liche Reaktion und Materialzulieferung auf seineBeschlüsse zur Beweiserhebung kritisiert hatte,bat der Vorsitzende des Untersuchungsausschus-ses des Deutschen Bundestages den HamburgerSenat mit Schreiben vom 19. Juli 2012, vorläufigkeine Akten mit Bezügen zum Rechtsextremis-mus zu vernichten.

Die teilweise sehr umfangreichen und aufwändi-gen Material-, Akten- und Datenzulieferungen andie Untersuchungsgremien und die Beantwor-tung der Beweisbeschlüsse und Fragenkatalogesind jeweils umgehend erfolgt. Die Kritik an ein-zelnen Länder- oder Bundesbehörden traf Ham-burg daher nicht. Unmittelbar nach der entspre-chenden Bitte des Bundestags-Untersuchungs-ausschusses ordnete der Leiter des LfV einLöschmoratorium für sämtliche im ArbeitsbereichRechtsextremismus befindlichen und anfallendenUnterlagen und gespeicherten Daten an. Der Par-lamentarische Kontrollausschuss der Bürger-

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7) Hamburger Verfassungsschutzbericht 1997, 48.8) Eingeladen waren jeweils Vertreterinnen und Vertreter des

Bündnisses Islamischer Gemeinden, der Schura, des Afrikani-schen Familienvereins, der Türkisch-Islamischen Union derAnstalt für Religion DITIB, des Verbands der islamischen Kul-turzentren, der Al-Nour-Moschee sowie der African Muslim As-sociation.

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schaft (PKA) wurde ebenfalls durch den Präsesder Behörde für Inneres und Sport informiert. Fürdie Aufklärung des NSU-Komplexes relevante Un-terlagen waren bis zu diesem Zeitpunkt wedergelöscht noch vernichtet worden. Mit demHmbBfDI sowie mit dem PKA wurde im Februar2014 schließlich vereinbart, dieses Moratoriumnach Befassung von Senat und Bürgerschaft(sowie Innenausschuss) mit der vorliegendenDrucksache zu beenden; damit ist etwa Mitte2014 zu rechnen.

Die Originale der Verfahrensakten der Staatsan-waltschaft Hamburg wurden nach der Verfah-rensübernahme durch den GBA der Bundesan-waltschaft in Karlsruhe übermittelt. Der Bundes-tags-Untersuchungsausschuss erhielt von derBundesanwaltschaft Kopien der Verfahrensakten;des Weiteren hat das Landeskriminalamt Ham-burg dem Untersuchungsausschuss gemäß denBeweisbeschlüssen Aktenoriginale weitere Ein-zeldokumente übermittelt. Der BLKR wurde um-fangreich Akteneinsicht in Hamburg gewährt. Da-neben verfügte der Staatsrat der Behörde für In-neres auf die Bitte des Vorsitzenden des Bundes-tags-Untersuchungsausschusses vom 19. Juli2012 eine Aussetzung der Löschung von Datenbzw. der Vernichtung von Akten nach § 24PolDVG, soweit diese im weitesten Sinne einenBezug zum NSU-Komplex und dem dazu einberu-fenen Untersuchungsausschuss aufweisen. Dieinsofern gesperrten Daten durften jedoch aus-schließlich für Zwecke des Bundestags-Untersu-chungsausschusses verwendet werden. Die be-nannte Verfügung des Staatsrates der Behördefür Inneres und Sport ist zwischenzeitlich mit derMaßgabe verlängert worden, die gesperrten Da-ten nunmehr ausschließlich zum Zwecke der Be-fassung der Bürgerschaft mit der vorliegendenDrucksache zu verwenden und mit einem ent-sprechenden Sperrvermerk zu versehen.

4.1 Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungs-schutz Hamburg

Recherche zum Tötungsdelikt an Süleyman Tasköprü

Im Rahmen der Aufarbeitung des Ermittlungs-komplexes zum Tötungsdelikt an SüleymanTasköprü hat das LfV zusätzlich zu der Personen-recherche die einschlägigen Akten und elektroni-schen Dateien für den Zeitraum von jeweils zweiWochen vor und nach der Tat am 27. Juni 2001auf mögliche Hinweise im Zusammenhang mitrechtsextremistischen Veranstaltungen und aufevtl. außergewöhnliche Vorkommnisse (Ge-spräche, Besuche auswärtiger Rechtsextremis-

ten) überprüft. Dies ergab jedoch keinerlei weiter-führende Hinweise. Dem LfV liegen ebenfallskeine Hinweise darauf vor, dass der Fall zum da-maligen Zeitpunkt innerhalb der rechtsextremisti-schen Szene in Hamburg thematisiert wurde. Füreine Einbindung von Angehörigen der rechtsex-tremistischen Szene Hamburgs in das Netzwerkdes NSU bzw. in dessen Aktivitäten oder aucheine mögliche Mitwisserschaft gibt es somit bis-lang keine Hinweise. Dem LfV wurden seit No-vember 2011 auch keine Erkenntnisse aus Akten-beständen anderer Verfassungsschutzbehörden,der Polizei oder des Generalbundesanwalts be-kannt, die entsprechende Verbindungen belegenoder darauf hindeuten würden.

Überprüfung von Spuren in Zusammenarbeit mit der Polizei

Neben den eigenen Datei- und Aktenrecherchenwar das LfV nach Aufdeckung des NSU auch anErmittlungen der Hamburger Polizei zum Tö-tungsdelikt Tasköprü beteiligt. In der im Novem-ber 2011 LKA Hamburg zum NSU-Komplex einge-richteten Besonderen Aufbauorganisation Fokus(BAO Fokus) war das LfV mit einem Mitarbeitervertreten. Gemeinsam wurden verschiedene Er-mittlungsansätze geprüft und entsprechendeMaßnahmen getroffen. So wurden Spuren (Kfz-Kennzeichen, Namen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, etc.) durch Abfragenin nachrichtendienstlichen Dateien überprüft. Esergaben sich keine weiterführenden Ermittlungs-ansätze mit Bezug zu Hamburg.

Überprüft wurde auch, ob Mitglieder oder Unter-stützer des NSU möglicherweise vor dem Tö-tungsdelikt an Süleyman Tasköprü in einem Ham-burger Hotel übernachtet haben (26./27. Juni2001). Der Abgleich der entsprechend gefiltertenDaten der Hotelübernachtungen mit dem NADIS-Bestand ergab, dass eine männliche Person ausBayern, über die Erkenntnisse mit Bezug zumRechtsextremismus vorlagen, sich an diesemDatum in Hamburg aufgehalten hat. Das LKAHamburg übermittelte die Information an dasBKA. Bezüge zum NSU-Komplex waren nicht er-sichtlich.

Im Juni 2012 übermittelte das BfV eine vom BKAstammende DVD mit Karten- und Adressmaterialdes NSU, die in der Wohnung des Trios inZwickau sichergestellt worden war. Die Hamburgbetreffenden Örtlichkeiten und Adressen, die ge-kennzeichnet waren, wurden auf Bezüge zum Tat-ort Schützenstraße und zu Wohnanschriften undAnlaufstellen von Angehörigen der hiesigenrechtsextremistischen Szene überprüft. Darüberhinaus wurden Adressdaten ohne Hausnummer

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und konkrete Objektzuordnung dahingehendüberprüft, ob in den genannten Straßen zum Tat-zeitpunkt 2001 Rechtsextremisten gemeldet oderwohnhaft waren. Auch dabei konnten keine Ver-bindungen festgestellt werden.

Durch den Abgleich der Daten von im Jahr 2001 inder Schützenstraße wohnhaften Personen mitNADIS wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt derTat eine Person dort gemeldet war, die dem LfVHamburg als Rechtsextremist bekannt ist und zuder zum damaligen Zeitpunkt entsprechende Er-kenntnisse vorlagen. Diese Erkenntnisse wurdesowohl der Polizei als auch dem Untersuchungs-ausschuss des Bundestages übermittelt. DieÜberprüfung und spätere Befragung des Betroffe-nen ergab keine weiteren Verdachtsmomente.Ferner ging das LfV mehreren anonymen Hinwei-sen nach, die jedoch ebenfalls keine weiteren Er-mittlungsansätze in Richtung NSU erbrachten.

Recherche zum NSU und zu möglichen Verbindungen nach Hamburg

Von November 2011 bis Frühjahr 2012 hat das LfVin seinen umfangreichen Dateien und Akten ausden Bereichen Rechtsextremismus, insbeson-dere Neonazis, rechtsextremistische Skinheadssowie „Blood and Honour“-Netzwerk, nach mög-lichen Hinweisen auf Verbindungen zwischenHamburger Rechtsextremisten und den drei NSU-Mitgliedern bzw. ihren Unterstützern recher-chiert.9) Grundlage dieser Recherche waren u. a.Datenübermittlungen des BfV sowie eine vomGeneralbundesanwalt übermittelte Personenliste,die zunächst 38, dann 41 Personen umfasste. Esergaben sich jedoch dabei keine Hinweise auf di-rekte, persönliche Kontakte Hamburger Rechtsex-tremisten zu den Mitgliedern des NSU.

Hinsichtlich der vier Angeklagten in dem NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München er-gaben sich Hinweise zu Kontakten einer Hambur-ger Rechtsextremistin zu Ralf Wohlleben. DieÜberprüfung der möglichen Kontakte der Ham-burger Szeneanwältin Gisa Pahl bzw. der von ihrgeleiteten juristischen Selbsthilfeeinrichtung„Deutsches Rechtsbüro“ (DRB) ergab, dass der inMünchen angeklagte NSU-Unterstützer RalfWohlleben (s. o.) die Anwältin im Jahr 2005 be-vollmächtigt hatte, ihn bzw. den NPD-Kreisver-band Jena in einem Rechtsstreit wegen eines Ver-anstaltungsverbotes anwaltlich zu vertreten, dochergaben sich keine Hinweise darauf, dass dieserKontakt darüber hinaus irgendeinen Zusammen-hang mit der mutmaßlichen Unterstützung desNSU durch Wohlleben hatte. So wurden auchkeine weiteren Kontakte zu Beate Zschäpe bzw.den beiden weiteren Angeklagten bekannt.

Gleichwohl hatte die Anwältin weitere Kontakte zuThüringer Rechtsextremisten, darunter zu dem V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes,Tino Brandt.

Das in Hamburg ansässige „Deutsche Rechts-büro“ (DRB) und die bis zu seinem Tod (2009) vondem Hamburger Neonazi Jürgen Rieger geleitete„Nordische Zeitung“ fanden sich – neben ande-ren Namen – auch auf einem Schriftstück, das beider Durchsuchung der ausgebrannten Wohnungdes NSU in Zwickau gefunden wurde. SämtlicheInstitutionen galten als mögliche Empfänger vonBriefen, ggf. Geldspenden des NSU; gesichertwar dies bereits im Fall des Magazins „DerWeisse Wolf“ aus Mecklenburg-Vorpommern. ImZusammenhang mit den entsprechenden Ermitt-lungen des BKA wurden einige Objekte durch-sucht, nicht jedoch das DRB, da das BKA keinenVerantwortlichen des DRB für das Jahr 2002 er-mitteln konnte.10) Anhaltspunkte dafür, dass diemutmaßlichen Hamburger Empfänger in persön-licher Verbindung zum NSU standen, liegen nichtvor.

Die festgestellten Kontakte von Hamburger Neo-nazis zu einzelnen Angehörigen des „ThüringerHeimatschutzes“ bzw. seiner Vorläuferorganisa-tion „Anti-Antifa Ostthüringen“ sowie zu anderenRechtsextremisten aus Thüringen fanden über-wiegend im Rahmen von Demonstrationen mitüberregionaler Mobilisierung oder bei sonstigenVeranstaltungen der Szene, wie zum BeispielKonzerten, statt. Veranstaltungen in Thüringenbesuchten Hamburger Rechtsextremisten nur sel-ten. Die entsprechenden Erkenntnisse und Mel-dungen des LfV Hamburg enthalten mit einerAusnahme (s. o.) keine Hinweise auf relevante di-rekte Kontakte bzw. so genannte Kennverhält-nisse zu Thüringer Rechtsextremisten. Protagoni-sten dieser Vernetzung waren auf HamburgerSeite Thomas Wulff, Jürgen Rieger und ChristianWorch; auf Seiten der Thüringer Szene insbeson-dere Tino Brandt (s. o.) sowie die Neonazis FrankSchwerdt und Thorsten Heise. Der Name einerweiteren möglichen Kontaktperson des NSU ausNorddeutschland fand sich mit dem Zusatz „Ham-burg“ auf der so genannten „Garagenliste“, die

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

9) An der ausführlichen Beantwortung etwa Schriftlicher KleinerAnfragen zu diesen Themenkomplexen war die BIS jedochnach der Verfahrensübernahme durch den Generalbundesan-walt durch dessen Verfahrens- und Auskunftshoheit gehindert.

10) Auch im Fall der Publikation „Nordische Zeitung“ wurde aufeine Durchsuchung verzichtet, da der verantwortliche Schrift-leiter Jürgen Rieger bereits verstorben war.

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bei der Durchsuchung in Jena im Jahr 1998 ge-funden worden war. Eine Überprüfung dieser Per-son sowie deren Befragung durch das zuständigeLKA Schleswig-Holstein ergab keine belastendenErkenntnisse sowie keine weiteren Ermittlungs-ansätze.

Auf der Grundlage eines Interviews mit unbe-kannten Mitgliedern der Gruppe „National-revolu-tionäre Zellen“ (NRZ) im „Hamburger Sturm“,11)

einer neonazistischen Publikation, die von dergleichnamigen Vereinigung herausgegebenwurde,12) ging das LfV der Frage nach möglichenVerbindungen der NSU-Mitglieder, insbesonderevon Uwe Mundlos, zu dieser Gruppierung nach.Nach Erkenntnissen des LfV hatten die NRZ, diein Berlin aktiv waren, Verbindungen nach Ham-burg.13) Das BfV hatte bei einem Vergleich vonTexten, die Uwe Mundlos zugeschrieben werden,mit dem genannten Interview im „HamburgerSturm“ auffällige Übereinstimmungen bei be-stimmten Rechtschreibfehlern festgestellt. Kon-krete Anhaltspunkte für eine Autorenschaft vonUwe Mundlos oder Erkenntnisse zu möglichenweiteren Verbindungen ergaben sich jedochnicht. Auch aus den nach dem Verbot des „Ham-burger Sturm“ im Jahr 2000 gesicherten Asserva-ten lassen sich, soweit dies anhand noch vorhan-dener Auswertungsvermerke überprüfbar ist,keine Verbindungen zum NSU belegen.

Schließlich können die im April 2014 in einemPresseartikel14) behaupteten Verbindungen einerZeugin im NSU-Prozess vor dem OLG Münchennach Hamburg nach bisherigen Erkenntnisse undzum Zeitpunkt der Erstellung der Drucksachenoch nicht abgeschlossenen Recherchen derzeitnicht bestätigt werden.

4.2 Maßnahmen der Polizei Hamburg

Sonderkommission (SOKO 061)

Unmittelbar nach der Aufdeckung der Tatseriewurde in Hamburg erneut eine Sonderkommis-sion zur Ermittlung des Falles Tasköprü eingerich-tet, um die Ermittlungen wieder zu verstärken undmit der BAO Trio (s. u.) bzw. den Ermittlern inNürnberg zusammenzuarbeiten. Unter Einbezie-hung des polizeilichen Staatsschutzes und desLfV wurden u. a. überprüft:

– sämtliche Ermittlungsergebnisse im Hambur-ger Fall Tasköprü unter Berücksichtigung derzugelieferten Erkenntnisse und Beweisstückeaus den Maßnahmen der BAO Trio (s. u.),

– sämtliche in den Ermittlungen der BAO Triofestgestellten Personen und Objekte (soweit

dem LKA Hamburg bekannt gegeben) auf kri-minalpolizeiliche Erkenntnisse in Hamburg,

– alle bis dahin im Hamburger Ermittlungsver-fahren aufgetretenen deutschstämmigen Per-sonen,

– alle in Hamburg kriminalpolizeilich mit rechtsmotivierten Staatsschutzdelikten in Erschei-nung getretenen Personen,

– alle im Jahr 2001 im Bereich Schützenstraße(Tatortstraße) wohnhaften Personen.

Insgesamt konnten bei der SOKO 061 keine Er-kenntnisse gewonnen werden, die darauf hinwei-sen, dass die drei bekannten Mitglieder des NSUbzw. ihre Kontaktpersonen unmittelbare Verbin-dungen zu Personen in Hamburg unterhielten.

Besondere Aufbauorganisation (BAO) Fokus

Am 15. November 2011 wurde im LKA Hamburgaußerdem die BAO Fokus eingerichtet. Die BAOüberprüfte und bewertete ungeklärte Straftaten(Tötungsdelikte, Bankraube und Sprengstoffde-likte) in Hamburg unter Berücksichtigung der ak-tuellen Erkenntnisse der BAO Trio des BKA er-neut.

– Für die Sichtung der ungeklärten Tötungsde-likte (auch Versuche) wurden als Grundlagender Gebrauch von Schusswaffen und für dieAuswahl des Opfers ein Migrationshintergrundzugrunde gelegt. Hamburg hatte hier rd. 30 un-geklärte Fälle zu überprüfen; in keinem Fall er-gaben sich Hinweise auf rechtsextremistischeMotive bzw. Bezüge zur Zwickauer Terrorzelle.

– Bislang nicht aufgeklärte Raubdelikte bei Gel-dinstituten und Postfilialen unterlagen einerbesonderen Betrachtung. Ausgewertet wurdenentsprechende Taten im Zeitraum 1995 bis No-vember 2011. Auch hier ergaben sich in Ham-burg keine Hinweise auf rechtsextremistischeMotive bzw. Bezüge zur „Zwickauer Terror-zelle“.

– In Bezug auf Sprengstoffdelikte wurden unge-klärte Fälle auf Übereinstimmung mit demModus Operandi der Zwickauer Täter über-prüft. Insbesondere wegen Datenlöschungsfri-sten konnte hier lediglich auf Lageberichte u. ä. amtliche Berichte Bezug genommen wer-

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11) Nr. 20, Mai 1999.12) Vgl. hierzu auch „Hamburger Abendblatt“ vom 3. Juni 2013.13) Dem harten Kern der Gruppe gehörten damals drei Berliner

und zwei Brandenburger Neonazis an, vgl. SKA 20/8319.14) „Zschäpe ist keine naive Nazi-Braut“ in: Hamburger Abend-

blatt, 1. April 2014.

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den. Belastbares Detailwissen aus der Ermitt-lungsarbeit lag nicht vor. Weiterhin wurde Au-genmerk auf eine festgestellte, bzw. nicht aus-zuschließende ausländerfeindliche Motivationfür die Tat gelegt. Bei der Überprüfung erga-ben sich keine Hinweise auf rechtsextremisti-sche Motive bzw. Bezüge zur „Zwickauer Ter-rorzelle“.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei derÜberprüfung der o. g. ungeklärten Straftatenkeine Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Triosaus Zwickau bzw. eine fremdenfeindliche Motiva-tion des oder der Täter erkannt werden konnten.

Beteiligung an der Besonderen Aufbauorgani-sation (BAO) Trio des Bundeskriminalamtes

Die Polizei Hamburg hat die beim Bundeskrimi-nalamt eingerichtete BAO Trio mit insgesamt10 Beamten unterstützt. Die BAO Trio hat AnfangNovember 2011 die Ermittlungen zum Tatgesche-hen in Zwickau sowie der Tatserie übernommen,deren Hamburger Bezüge in Form von Zeugen-vernehmungen und der Bearbeitung von Spuren,Dateien und Hinweisen in Teilen vom LKA Ham-burg direkt zu bearbeiten waren.

Überprüfung waffenrechtlicher Erlaubnissebekannter Rechtsextremisten

Dazu wurden Erkenntnisse des LfV zu Angehöri-gen der rechtsextremistischen Szene mit denDaten der zentralen Waffenbehörde in Hamburgverglichen. Dies ergab, dass in zehn Fällen waf-fenrechtliche Erlaubnisse unterschiedlicher Artbestanden. In diesen zehn Fällen sind im Dezem-ber 2011 die waffenrechtlichen Erlaubnissewegen Besorgnis der Unzuverlässigkeit widerru-fen bzw. zurückgenommen, die Waffen dieserPersonen sichergestellt und Waffenverbote aus-gesprochen worden. In fünf Fällen mussten dieMaßnahmen nach Widerspruch der Betroffenenaufgehoben werden, in einem Fall wurde dem Wi-derspruch vor Gericht nicht stattgegeben, in dreiFällen sind die Verbote akzeptiert worden; einFall, in dem der Vorwurf extremistischer Bestre-bungen nicht aufrecht erhalten werden konnte,endete mit einem Vergleich.

4.3 Maßnahmen der Justiz

Nach der Aufdeckung der Tatserie und ihrer Hin-tergründe Ende des Jahres 2011 sind bei derStaatsanwaltschaft Hamburg die Verfahrensaktenmehrfach durchgearbeitet worden. Die ersteDurchsicht der Akten erfolgte zum Zwecke derSelbstüberprüfung und geschah noch im Novem-ber 2011 und somit ganz unmittelbar nach demBekanntwerden der Hintergründe der Tatserie.

Nachdem der Generalbundesanwalt beim Bun-desgerichtshof die Ermittlungen übernommenund am 11. November 2011 ein Verfahren wegendes Verdachts der Bildung einer terroristischenVereinigung, wegen Mordes in zehn Fällen sowiewegen versuchten Mordes und besonders schwe-rer Brandstiftung eingeleitet hatte, hat die Staats-anwaltschaft unter Durchsicht der Akten eigenseinen umfangreichen Ermittlungsvermerk erstelltund dem Generalbundesanwalt übersandt. An-fang 2012 hat die Staatsanwaltschaft Hamburgdas Verfahren und die zugehörigen Akten an denGBA abgegeben. Nach der Abgabe des Verfah-rens und der Weggabe der Akten konnten keineweiteren Ermittlungen wegen des Tasköprü-Fallesdurchgeführt oder veranlasst werden.

5. Aufarbeitung des NSU-Komplexes und Maß-

nahmen 2011 bis 2013

Unmittelbar nach Aufdeckung der Tatserie be-gann auch der Prozess der politisch-administrati-ven Aufarbeitung in unterschiedlichen Gremiendes Bundes und der Länder, deren für Hamburgunmittelbar bedeutendste neben der Innen-ministerkonferenz die Bund-Länder-KommissionRechtsterrorismus (BLKR) und der Parlamentari-sche Untersuchungsausschuss des DeutschenBundestages sind. Dieser richtete insgesamt achtBeweisbeschlüsse an die Hamburger Sicherheits-behörden; weitere umfangreiche Fragenkatalogewurden seitens der BLKR an die Behörde für In-neres und Sport gerichtet.15) Die entsprechendenVerfahren der Zusammenstellung und Zuliefe-rung von Akten und Informationen banden nebendem Landeskriminalamt auch im Amt für InnereVerwaltung und Planung sowie im Landesamt fürVerfassungsschutz im Zeitraum Frühjahr 2012 bisetwa Frühjahr 2013 erhebliche personelle Kapa-zitäten.

Unabhängig von gezielten Maßnahmen in derFolge der Aufarbeitung der Tatserie und im Vor-griff auf die Feststellungen der verschiedenen, inBund und Ländern eingesetzten Untersuchungs-gremien (vgl. Kapitel 6) wurde nach 2011 die Zu-sammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungs-schutz (bzw. mit anderen Behörden) bereits spür-bar intensiviert. Ein besonderes Beispiel war hiersicher die insgesamt sechsmonatige Zusammen-arbeit im Vorbereitungsstab des LKA (AbteilungStaatsschutz) beim sog. „Tag der deutschen Zu-

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15) Vgl. zu Feststellungen und Ergebnissen der Gremien Kapitel 6.

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kunft“ am 2. Juni 2012 in Hamburg.16) In fachlicherHinsicht sollen neben der intensivierten Zusam-menarbeit ein einheitliches Aufgabenverständnis,ein gemeinsamer Sprachgebrauch von Verfas-sungsschutz und Polizei sowie eine einheitlicheBewertungskultur entwickelt werden.

Daneben hat sich die Behörde für Inneres undSport mit Mitarbeitern aus Fachdienststellen um-fangreich an Anstrengungen weiterer Akteure imKampf gegen Rechtsextremismus beteiligt, z.B.im Hamburger Beratungsnetzwerk gegen Rechts-extremismus (bnw) unter Federführung der BASFIoder an dem in der 19. Legislaturperiode von derzuständigen Justizbehörde erarbeiteten, nichtaber beschlossenen „Landesprogramm gegenRechtsextremismus und Rassismus“ sowie beider Erarbeitung des im November 2013 von derBASFI vorgelegten „Landesprogramm zur Förde-rung demokratischer Kultur, Vorbeugung undBekämpfung von Rechtsextremismus“.17)

5.1 Maßnahmen Hamburgs im Rahmen der Bund-Länder-Zusammenarbeit

5.1.1 Maßnahmen zur Stärkung der Zusammen-arbeit von Polizei und Verfassungsschutz

Einrichtung des Gemeinsamen AbwehrzentrumsRechtsextremismus (GAR) sowie des Gemeinsa-men Extremismus- und Terrorismusabwehrzen-trums (GETZ )

Diese Zentren nach dem Vorbild des Gemeinsa-men Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) sollendie Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehördenauf Bundes- und Länderebene bei der Bekämp-fung des Rechtsextremismus/-terrorismus, desLinksextremismus/-terrorismus, des Ausländerex-tremismus/-terrorismus und der Spionage/Prolife-ration verbessern. Die bisherigen Erfahrungenmit der Zusammenarbeit in den gemeinsamenZentren sind weit überwiegend gut.

Im Rahmen des GAR, das nach Gründung desGETZ dessen Bestandteil wurde, arbeiten fol-gende Arbeitsgruppen (teilweise nur bei Bedarf):

– AG Lage, – AG Fallanalyse,– AG Personenpotenziale,– AG Analyse,– AG Gefährdungsbewertung, – AG Operativer Informationsaustausch.Die Behörden von Polizei und Verfassungsschutzaus Bund und Ländern und andere beteiligteBehörden kommen jeweils in der AG Lage sowie –zumeist anlassbezogen – in verschiedenen Ar-beitsgruppen zusammen. Ansonsten arbeitet das

GAR in einer nachrichtendienstlichen sowie einerpolizeilichen Säule. Die Polizei Hamburg entsen-det in das GAR einen Mitarbeiter; das Landesamtfür Verfassungsschutz entsendet in das GETZeinen Mitarbeiter, der für sämtliche dort bearbei-teten Extremismusbereiche zuständig ist. Anlas-sbezogen können bei Polizei und Verfassungs-schutz weitere Mitarbeiter hinzugezogen werden.Die politische Diskussion über die örtliche Bünde-lung der geschaffenen Institutionen an einemStandort, z. B. in Berlin, ist noch nicht abge-schlossen. Sie würde insbesondere den Verfas-sungsschutzbehörden kleinerer Länder das ope-rative Geschäft erleichtern.

Beteiligung an der bundesweiten Überprüfungungeklärter Straftaten

Im Rahmen der Zusammenarbeit der Polizeiendes Bundes und der Länder im GemeinsamenAbwehrzentrum Rechts (GAR) wurde ein gemein-samer Ansatz formuliert, um bislang ungeklärteDelikte der allgemeinen und schweren Gewaltkri-minalität bundeseinheitlich dahingehend zu über-prüfen, inwieweit im Einzelfall eine bislang nichterkannte rechtsgerichtete Tatmotivation vorgele-gen hat bzw. haben könnte. Dabei wurden seitSommer 2012 zunächst sämtliche ungeklärtenTötungsdelikte einschließlich der Versuchshand-lungen bundesweit erneut überprüft, eine Über-prüfung, die insbesondere im Rahmen der Debat-ten um die tatsächliche Anzahl rechts motivierterGewalt- bzw. Tötungsdelikte in Deutschland, inder die Zahlen polizeilich registrierter Delikte unddie Angaben zivilgesellschaftlicher Organisatio-nen teils stark abweichen, von großer Bedeutungist.

Bei der Polizei Hamburg war diese Überprüfungbereits am Ende 2012 abgeschlossen. Dabei wur-den 200 Fälle erneut intensiv geprüft; in keinemFall ergab sich eine eindeutige Einordnung in Po-litisch motivierte Kriminalität – rechts; in 29 Fällenkonnten derartige Motive jedoch nicht mit letzterSicherheit ausgeschlossen werden.18) Diese Fällewurden daher an das GAR weitergeleitet. Die wei-

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16) Der so genannte „Tag der deutschen Zukunft“ ist eine seit meh-reren Jahren jeweils in einer Stadt zentral veranstaltete, frem-denfeindlich und rassistisch motivierte Veranstaltung mit bun-desweiter Mobilisierung.

17) Drucksache 2013/2639; vgl. hierzu Kapitel 8.6.18) Vgl. hierzu auch Schriftliche Kleine Anfragen „Straftaten mit

möglicherweise rechtsextremem Hintergrund“, Drucksachen20/10209, 20/10555 und 20/10927.

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terführenden Überprüfungen im Rahmen desvom GAR entwickelten Phasenkonzepts im Zu-sammenhang mit ungeklärten Brand- undSprengstoffdelikten, ungeklärten Raubüberfällenauf Banken, ungeklärten Straftaten nach demWaffen-, Sprengstoff-und Kriegswaffenkontrollge-setz und ungeklärten Vereinigungsdelikte gemäß § 129 StGB ist nach Evaluation der Überprüfungungeklärter Tötungsdelikte beabsichtigt.

Einrichtung der Rechtsextremismusdatei (RED)analog zur ATD

Zur besseren Bekämpfung des gewaltbezogenenRechtsextremismus wurde ab März 2012 in An-lehnung an die Antiterrordatei die gemeinsamestandardisierte Rechtsextremismusdatei (RED)unter Beteiligung des Bundeskriminalamtes, derLandeskriminalämter, der Verfassungsschutz-behörden des Bundes und der Länder sowie desmilitärischen Abschirmdienstes eingerichtet. Inder Folge des Urteils des Bundesverfassungsge-richts zum Antiterrordateigesetz im Juni 2013 istjedoch damit zu rechnen, dass auch Änderungenan Rechtsgrundlage und Aufbau der der Antiter-rordatei in vielen Aspekten nachgebildeten RED(bzw. des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes,REDG) erforderlich sein werden. Dies wird derzeitvon den zuständigen Behörden des Bundes ge-prüft (vgl. Kapitel 7).

Die Polizei Hamburg hat nach Prüfung durch dieFachdienststelle des Landeskriminalamtes Perso-nen aus Hamburg für die Dateneinstellung in dieRED markiert; hierbei handelt es sich um Perso-nen gemäß § 2 REDG, namentlich solche, die alsTäter oder Teilnehmer einer rechtsextremisti-schen Gewalttat Beschuldigte oder rechtskräftigVerurteilte sind oder bei denen Tatsachen die An-nahme rechtfertigen, dass sie rechtsextremisti-sche Bestrebungen verfolgen und in Verbindungdamit zur Gewalt aufrufen, die Anwendung vonrechtsextremistisch begründeter Gewalt als Mittelzur Durchsetzung politischer Belange unterstüt-zen oder bei denen Schusswaffen ohne die erfor-derlichen waffenrechtlichen Berechtigungen,Kriegswaffen oder Explosivstoffe aufgefundenwerden. Durch die regelmäßige Aktualisierungunterliegt die Anzahl der aus Hamburg in die REDeingestellten Datensätze Schwankungen.

Beteiligung an weiteren Bund-Länder-Maßnahmen

Die Sicherheitsbehörden in Hamburg waren indiesem Zusammenhang in zahlreichen Arbeits-gruppen der IMK und ihrer Untergremien vertre-ten (vgl. Kapitel 5 und 6), die mit der Erarbeitungvon Konzepten oder Stellungnahmen zu Untersu-

chungsaufträgen befasst waren. Dazu gehörtauch die Begleitung der Arbeiten an einem mögli-chen neuen NPD-Verbotsantrag und dessen Vor-bereitung (vgl. Kapitel 8.7).

Zu weiteren Maßnahmen der in der Folge derNSU-Aufdeckung intensivierten Bund-Länder-Zu-sammenarbeit unter Hamburger Beteiligung ge-hören:

– Entwicklung einer Gesamtkonzeption zurBekämpfung rechter Gewalt und Neustruktu-rierung der Bund-Länder-Gremien im Bereichder Bekämpfung politisch motivierter Krimina-lität – rechts (PMK – rechts)

– Verstärkte Internetbeobachtung– Überprüfung von neonazistischen Strukturen,

maßgeblich handelnden Personen und derenGewaltbereitschaft

– Überprüfung gewaltaffiner Gruppierungen(z.B. Rocker etc.)

– Prüfung der Möglichkeiten zur Stärkung derAnalysefähigkeit der Sicherheitsbehörden

– Beschleunigung der Arbeiten am geplantenpolizeilichen Informations- und Analysever-bund.

5.1.2 Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

Die Tatsache, dass die Aktivitäten des NSU überJahre unentdeckt blieben, die Umstände des Ein-satzes von V-Leuten in der Szene und insbeson-dere beim Thüringer Heimatschutz, der anfängli-che, nach wie vor nicht belegte Verdacht der Ko-operation von Verfassungsschutzbehörden mitden drei Mitgliedern des NSU, schließlich die Ak-tenvernichtungen nach Aufdeckung der Tatseriestellten nach dem November 2011 die Verfas-sungsschutzämter von Bund und Ländern sowiedie Nachrichtendienste in den Mittelpunkt der öf-fentlichen Kritik. Neben der Aufarbeitung der Tat-serie, der Untersuchung der Arbeit der Verfas-sungsschutzämter und ihrer V-Leute in diesemZeitraum sowie der intensiveren Bekämpfung desRechtsextremismus forderte die IMK von den Ver-fassungsschutzämtern deshalb schon 2012 auchgrundsätzliche Überlegungen zu einer Behebungbereits erkannter Fehler und Schwachstellen –wie etwa des Informationsaustausches im Verfas-sungsschutzverbund oder des Umgangs mit V-Leuten – sowie eine insgesamt erneuerte strategi-sche Ausrichtung des Verfassungsschutzes inDeutschland.

Übergreifend zuständig für diese Neuausrichtungist der für den Verfassungsschutz zuständige „Ar-beitskreis IV“ der IMK, dessen Vorsitz Hamburgseit Anfang 2013 innehat. Er legte im Herbst 2012

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einen „Bericht zur Neuausrichtung des Verfas-sungsschutzes“ vor, der im Dezember 2012 vonden Innenministern grundsätzlich beraten wurde.Prüfergebnisse und konkrete Umsetzungsvor-schläge wurden den Innenministern auf deren Ta-gungen im Mai und im Dezember 2013 vorgelegt.Das LfV war am gesamten Prozess dieserNeuausrichtung beteiligt. Dies gilt sowohl für die– teils federführende – Mitwirkung in verschiede-nen bundesweiten Gremien und Arbeitsgruppenals auch für die konkrete Gestaltung der Arbeit inHamburg.

Übergreifendes Ziel der Neuausrichtung ist, dasVertrauen in die Nachrichtendienste durch eineaktivere Rolle „als aktiver Partner und Dienstleis-ter in der Mitte der Gesellschaft“19) zu stärken. In-haltlich bezieht sich die beschlossene Neuaus-richtung im Wesentlichen auf:

– Verbesserung des Informationsaustauschesinnerhalb des Verfassungsschutzverbundessowie zwischen Nachrichtendiensten undStrafverfolgungsbehörden, insbesondere denPolizeien, sowie Stärkung der Zentralstellen-und Koordinierungsfunktion des BfV,

– höhere Standards bei Einsatz und Füh-rung von V-Leuten sowie Verbesserung desErkenntnisaustausches und der Abstim-mung zwischen den Verfassungsschutzbehör-den,

– Verbesserungen bei der Information der Öf-fentlichkeit wie der parlamentarischen Kontroll-gremien,

– Intensivierung der Nutzung des Internets wieder Auswertung extremistischer Aktivitäten imInternet sowie

– Verbesserung von Aus- und Fortbildung sowieverstärkte Rekrutierung wissenschaftlichenPersonals.

Die Arbeiten zur Ausgestaltung dieser Grundsatz-beschlüsse wie der konkreten Umsetzung be-schlossener Maßnahmen dauern an. Neben die-sen Beschlüssen der IMK werden dabei zusätz-lich die Empfehlungen der BLKR, des 2. Untersu-chungsausschusses des Deutschen Bundesta-ges, die Maßgaben des Urteils des Bundesverfas-sungsgerichts zum Antiterrordateigesetz (sieheim Einzelnen Kapitel 7) sowie die Empfehlungender Regierungskommission zur Überprüfung derSicherheitsgesetzgebung (siehe Kapitel 6.2) zuberücksichtigen sein.

5.1.3 Maßnahmen des Landesamtes für Verfas-sungsschutz

Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit in Hamburg

Über seine traditionell offene Pressearbeit unddie Teilnahme an zahlreichen Diskussions- undVortragsveranstaltungen verschiedenster Einrich-tungen und Organisationen und die o. g. Aktivitä-ten hinaus hat das LfV seine Aktivitäten im Be-reich der Öffentlichkeitsarbeit zum Rechtsextre-mismus seit 2011 weiter erhöht. Beispiele hierfürsind neben den o. g. Aktivitäten der Info-Stand aufder Messe „Du und Deine Welt“ in Kooperationmit der Landeszentrale für politische Bildungsowie die Präsentation der Ausstellung „Diebraune Falle“ im August 2013 gemeinsam mitdem Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Mai2013 wurde außerdem in der HandelskammerHamburg ein Symposium zum Thema „Die verän-derte Rolle des Verfassungsschutzes im Aufga-benfeld der Inneren Sicherheit“ durchgeführt.Weiterhin hat insbesondere die Leitung des LfVan einer Vielzahl öffentlicher Diskussionen zumThemenkomplex teilgenommen.

Neufassung von Dienstvorschriften

Sehr früh traten die Bereiche „V-Leute-Führung“und „Datenhaltung“ in den Fokus der öffentlichenwie der behördlichen Debatten über den NSU-Komplex. Beide Bereiche waren dann auchSchwerpunkte im Rahmen der Untersuchungenund Abschlussberichte der Bund-Länder-Kom-mission Rechtsterrorismus und des 2. Untersu-chungsausschusses der 17. Legislaturperiodedes Deutschen Bundestages.20) Das LfV Hamburghat jedoch schon vor Berichterstattung der Gre-mien begonnen, deren absehbare Empfehlungenin gesetzlichen Regelungen wie internen Vor-schriften umzusetzen. Zu diesem Zweck wurdenbisher vier Dienstvorschriften überarbeitet, na-mentlich

– Dienstvorschrift G10 (DV G10, VS-NfD) zumUmgang mit Erkenntnissen aus G10-Maßnah-men der Post- und Telekommunikationsüber-wachung

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

19) Vgl. Beschlussniederschriften über die 196. Sitzung der Stän-digen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länderam 6./7.12. in Rostock-Warnemünde, Top 22: „Neuausrichtungdes Verfassungsschutzes“; sowie über die 197. Sitzung derStändigen Konferenz der Innenminister und -senatoren derLänder am 23./24. Mai 2013 in Hannover, TOP 5.1: „Neuaus-richtung des Verfassungsschutzes“.

20) Vgl. hierzu vertieft Kapitel 6.3 und 6.4.

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– Dienstvorschrift Nachrichtendienstliche Mittel – Dienstvorschrift Funkbeobachtung und Stand-

ortbestimmung (VS-NfD)– Dienstvorschrift Beschaffung (VS-V).21)

Personalverstärkung im Bereich AuswertungRechtsextremismus

2011 und 2012 wurde dieser Bereich des LfV mitzwei Personen verstärkt; damit sollte insbeson-dere die Beteiligung am GAR und die Bearbei-tung von Einzelfällen im Bereich Rechtsextremis-mus und -terrorismus verbessert werden.

5.1.4 Maßnahmen der Polizei Hamburg

Überprüfung offener Haftbefehle

Seit 2011 wird die Überprüfung offener Haftbe-fehle gegen Straftäter, die als rechts motiviert re-gistriert sind, in Bund und Ländern koordiniert.Dabei wurden für den Bereich der PMK – rechtsbereits mehrfach (Januar 2012, Juni 2012, No-vember 2012, Juli/August 2013 sowie Oktober2013) anhand einheitlicher Kriterien Personenzentral identifiziert und priorisiert, die per Haftbe-fehl zur Fahndung ausgeschrieben sind.22) Ent-sprechende Fahndungsmaßnahmen wurden vonden Länderpolizeien durchgeführt, in Hamburgdurch das LKA unter Mitwirkung des LfV. Die Er-gebnisse dieser Arbeit wurden zugleich genutzt,um gemeinsam Verbesserungen im Erfassungs-system sowie Kriterien einer Fahndungspriorisie-rung zu entwickeln; diese wurden innerhalb derFachgremien der IMK abgestimmt. Seit Ende2013 steht nun eine neue, verbesserte und verläss-liche Grundlage für die statistische Erfassung unddamit für die Ergreifung von Tätern aus allen Be-reichen der PMK zur Verfügung.23)

Die Bundesregierung hat zuletzt am 29. Januar2014 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage denentsprechenden Sachstand zur Überprüfung offe-ner Haftbefehle nach den neu entwickelten Krite-rien dargestellt.24) Zu der dafür im Oktober 2013durchgeführten erneuten Erhebung hat Hamburgder Bundesregierung bzw. dem zuständigen BKAmitgeteilt, dass in Hamburg 18 Haftbefehle nichtvollstreckt sind (Stand Oktober 2013), von denenjedoch nur zwei Haftbefehle wegen eines poli-tisch motivierten Gewaltdeliktes ergangen sind.25)

In einem dieser zwei Fälle wurde nach Anklageer-hebung ein Haftbefehl wegen des Ausbleibensder Person in der Hauptverhandlung nach § 230Abs. 2 StPO erlassen. In dem anderen Fall ergingnach Verurteilung ein Haftbefehl zur Strafvoll-streckung; hier erfolgen derzeit keine weiterenMaßnahmen, da die Person sich im Ausland auf-hält und ein Auslieferungsersuchen aus Rechts-gründen nicht erfolgen kann.

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21) Vgl. hierzu auch Stellungnahmen zu den entsprechendenEmpfehlungsziffern 3.7, 4,2 in Kapitel 6.3.4, sowie 44, 45, 46 inKapitel 6.4.4.

22) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die derzeitige Erfassung kei-nen Rückschluss auf die tatsächliche politisch motivierte Gefähr-dung ermöglicht, die von einem mit Haftbefehl Gesuchten und(in möglicherweise ganz anderem Zusammenhang) bereits alsrechts motivierter Täter in Erscheinung Getretenen ausgeht.

23) Zu den neu erarbeiteten Kriterien, zu den Abweichungen die-ser von zuvor angewandten Kriterien sowie zum Sachstand inHinsicht auf unvollstreckte Haftbefehle hat die Bundesregie-rung zuletzt mit BT-Drs. 18/385 vom 29. Januar 2014, Antwortder Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der AbgeordnetenUlla Jelpke, Sevim Daðdelen, Petra Pau, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKE, „Vereinheitlichung von Kriterienzur Erfassung von mit Haftbefehl gesuchten Neonazis“ aus-führlich berichtet und darin zu den neu erarbeiteten Kriterien u. a. mitgeteilt: „Entsprechend der zwischen Bund und Ländernvereinbarten Vorgehensweise betrifft das überprüfte Personen-potenzial nunmehr Beschuldigte und Tatverdächtige aus denPhänomenbereichen PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländerund Spionage/Proliferation/Landesverrat, die in den Ausgangs-dateien INPOL-Fall „Innere Sicherheit“ (IFIS), INPOL-Fall „Lan-desverrat“ (IFLV), in einer Zentraldatei zu Spionagestraftatenbzw. in INPOL-Z mit einem personengebundenen Hinweis (PHWoder Merker) aus dem Bereich PMK („REMO“, „LIMO“, „AUMO“)gespeichert sind und gegen die– Haftbefehle zur Strafvollstreckung,– Haftbefehle zur Sicherung des Strafverfahrens (Haftgrund

gemäß § 112 der Strafprozessordnung – StPO),– Haftbefehle auf Grund entsprechender Regelungen des

Asyl- bzw. Aufenthaltsgesetzes in die Zieldateien INPOL-Z(F-Gruppe) bzw. SIS II eingestellt sind. (…)

Das neue Erhebungssystem ermöglicht nunmehr zusätzlich eineFahndungspriorisierung von mit Haftbefehl gesuchten PMK-Straftätern. Diese basiert auf der dem Haftbefehl zugrunde lie-genden Tat: Priorität I: Terrorismusdelikte, Priorität II: Gewaltde-likte mit und ohne PMK-Bezug, Priorität III: Sonstige Delikte mitund ohne PMK-Bezug. Auch mit Hilfe dieser neuen detaillierte-ren Erfassung anhand der polizeilichen Verbund- bzw. Zentral-dateien kann jedoch keine eindeutige Aussage darüber getroffenwerden, welches PMK-Personenpotenzial sich aktiv der Fest-nahme entzieht bzw. möglicherweise „abgetaucht“ ist, um – wieseinerzeit das „NSU-Trio“ – im Untergrund weitere Straftaten zubegehen. Dies ist nach wie vor im Einzelfall anhand ggf. weite-rer vorliegender Erkenntnisse von den zuständigen Landespoli-zeibehörden zu beurteilen. Auf Grund der Veränderung der Er-hebungsmethoden sind die aktuellen Ergebnisse mit denen vor-angegangener Erhebungen nicht mehr vergleichbar.“, a.a.O., 2.Zur Entwicklung seit 2011 sowie Sachstand und Kriterien derÜberprüfung offener Haftbefehle vor Erarbeitung dieser neuenKriterien, vgl. auch BT-Drs. 17/14568, Antwort der Bundesregie-rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Hei-drun Dittrich, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE, „Unvollstreckte Haftbefehle gegen Neo-nazis (Juli 2013)“ sowie BT-Drs. 18/385, Antwort der Bundesre-gierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke,Sevim Daðdelen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE, „Vereinheitlichung von Kriterien zur Erfas-sung von mit Haftbefehl gesuchten Neonazis“.

24) BT-Drs. 18/385.25) A. a. O., 8 und 16f., Antwort zu Frage 8d. Andere Haftbefehle in

Hamburg ergingen wegen sonstiger, also nicht-politisch moti-vierter Kriminalität bzw. sonstiger politisch motivierter Deliktewie dem Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Bun-desweit wurden zum Erhebungszeitpunkt, der stets lediglicheine Stichtagsbetrachtung ist, die sich ständig verändert, 55Haftbefehle wegen Gewaltdelikten, davon 6 wegen politischmotivierter Gewaltdelikte gezählt, a.a.O., 6, Antwort zu Frage 8c.

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Erhöhte Sensibilisierung in Polizei und Öffentlichkeit

Die Aufdeckung des NSU-Komplexes hat gezeigt,dass die rechte Szene bzw. die Gefahr einesRechtsterrorismus auch von den Strafverfol-gungsbehörden jahrelang falsch eingeschätztwurde. Zum Modus Operandi der Gruppe lagenbis November 2011 in Hamburg keine vergleich-baren Erfahrungen vor,26) weshalb deren Vorge-hensweise in Ermittlungshypothesen nicht einbe-zogen wurde. Die Aufdeckung des Tatkomplexesführte zu einer neuen Perspektive der Strafverfol-

gungsbehörden auf Rechtsterrorismus und seineEntstehungsbedingungen. Als Reaktion daraufprüft im Landeskriminalamt Hamburg heute dieStaatsschutzabteilung weit häufiger Sachverhalteauf mögliche extremistische Motivation oder Be-züge.

Parallel dazu nahmen die Anzeigen aus der inso-fern sensibilisierten Öffentlichkeit zu, dies zeigtsich auch an der Entwicklung der Zahl der regi-strierten Straftaten der politisch motivierten Krimi-nalität – rechts, insbesondere bei der Betrachtungder Entwicklung im Jahr 2012:

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

2009 2010 2011 2012 2013

PMK – rechts – gesamt 318 321 312 403 362

– davon rechtsextrem. Straftaten 297 316 298 396 360

– davon echte Staatsschutzdelikte27) 197 229 223 254 232

– davon antisemitische Straftaten28) 25 29 18 35 26

– davon fremdenfeindliche Straftaten29) 61 50 46 91 97

– davon Gewaltdelikte30) 40 23 24 41 32

Ausbau der polizeilichen Präventionsarbeit

Die erfolgreiche Arbeit der Staatsschutzdienst-stelle des Landeskriminalamtes im Bereich Isla-mismus wird künftig auch auf den Bereich derPrävention im Bereich Rechtsextremismus aus-gedehnt. Das bereits im Rahmen der Arbeit zumislamistischen Extremismus etablierte so ge-nannte Vertrauensnetzwerk zwischen Polizei undden islamischen Gemeinden in Hamburg mit sei-nen regelmäßigen offiziellen Gesprächsrundenhatte wesentlichen Anteil bei der Vermittlung vonInformationen, etwa an türkischstämmige Ham-burgerinnen und Hamburger, über die polizeilicheArbeit zum NSU-Komplex. In Reaktion auf dieAufdeckung des NSU-Komplexes soll daher diePrävention gegen Rechtsextremismus sowie inanderen Phänomenbereichen der PMK aus derallgemeinen Kriminalprävention herausgelöstund spezialisiert wahrgenommen werden, um z. B.auch polizeiliche Präventionsmaßnahmen mit derTätigkeit anderer Behörden und ziviler Akteureweiter zu vernetzen. Dies geschieht in Abhängig-keit zu dem Landesprogramm gegen Rechtsextre-mismus sowie in enger Abstimmung mit derBASFI (s. o.).

5.1.5 Maßnahmen der Justiz

Arbeitstagungen des Generalbundesanwaltesmit den Generalstaatsanwältinnen undGeneralstaatsanwälten:

Die Frage- und Problemstellungen, die sich ausdem NSU-Komplex ergeben, sind regelmäßig Ge-

genstand der Arbeitstagungen des Generalbun-desanwaltes mit den Generalstaatsanwältinnenund Generalstaatsanwälten der Länder. Dabeiwird vor allem der Stand des Ermittlungskomple-xes „Nationalsozialistischer Untergrund“ erörtertund über Vorschläge zur Verbesserung des Infor-mationsaustausches im Bereich Rechtsextremis-mus und Rechtsterrorismus beraten.

Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der sogenannten Hasskriminalität

Auf Initiative der Behörde für Justiz und Gleich-stellung brachte Hamburg Anfang des Jahres

26) Zur Kritik des Parlamentarischen Untersuchungsausschussesam BfV wegen der in dortiger Zuständigkeit unterbliebenen ein-gehenden Analyse des Prinzips „Führerloser Widerstand“ bzw.eines schwedischen Serientäters, dessen Modus Operandidem NSU als Vorbild gedient haben könnte, siehe Kapitel 6.4bzw. BT-Drs. 17/14600, 853ff.

27) Echte Staatsschutzdelikte sind die Delikte des §§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b,234a, 241a StGB.

28) Antisemitisch ist eine Tat, die aus einer antijüdischen Haltungheraus begangen wird.

29) Fremdenfeindlich ist eine Tat, wenn bei Würdigung der Um-stände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhalts-punkte dafür vorliegen, dass sie auf Grund der tatsächlichenoder vermeintlichen Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse,Hautfarbe, Religion, Herkunft des Opfers gegen diese Persongerichtet ist.

30) Als Gewaltdelikte im Sinne des Staatsschutzes werden Tö-tungsdelikte, Körperverletzungen, Brand- und Sprengstoffde-likte, Landfriedensbruch, Widerstand, gefährliche Eingriffe inden Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr, Freiheitsberau-bungen, Raube und Erpressungen erfasst.

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2012 einen Gesetzentwurf in den Bundesrat ein,der die ausdrückliche Aufnahme menschenver-achtender, insbesondere rassistischer und frem-denfeindlicher Beweggründe und Ziele des Tä-ters in die Vorschrift des § 46 Absatz 2 StGB(„Grundsätze der Strafzumessung“) vorsah.31)

Dieser Gesetzinitiative schlossen sich die LänderBerlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Mitantragsteller an.32)

Zwar können und werden die Gerichte im Rah-men der Strafzumessung bereits jetzt rassis-tische, fremdenfeindliche oder sonstige men-schenverachtende Motive des Täters strafschär-fend berücksichtigen. Auch im Rahmen der gebo-tenen Tataufklärung im Ermittlungsverfahren er-gibt sich eine Verpflichtung der Staatsanwalt-schaften zur Berücksichtigung einer entsprechen-den Motivation des Beschuldigten schon heuteaus § 160 Absatz 3 StPO.33)

Mit der ausdrücklichen Hervorhebung der straf-schärfenden Wirkung von menschenverachten-den Beweggründen und Zielen des Täters würdeder Gesetzgeber jedoch deutlicher als bisher zumAusdruck bringen, dass Straftaten, die durch dasbloße „Anderssein“ des Opfers bzw. durch dessenZugehörigkeit zu einer bestimmten, vom Täter alsminderwertig eingeschätzten Gruppe motiviertsind, von der Gesellschaft nicht geduldet werden.Es wäre klargestellt, dass diesen Straftaten ein er-höhter Unrechtsgehalt beizumessen ist.34) Diesbetrifft sämtliche Fälle der sogenannten Hass-kriminalität. Hierunter werden vorurteilsgeleiteteStraftaten verstanden, die sich gegen eine Personallein oder vorwiegend wegen ihrer politischenEinstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit,„Rasse“, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung,Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung,ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihres ge-sellschaftlichen Status richten.35) Die Bundesre-gierung äußerte sich zurückhaltend zum Gesetz-entwurf.36) Der Bundestag lehnte ihn letztlich imOktober 2012 ab. Dennoch wurde hierdurch eineDebatte angestoßen, die weiterhin aktuell ist.

Die Justizministerinnen und -minister haben sichim Rahmen ihrer Frühjahrskonferenz 2013 erneutmit dem Thema der konsequenten Bekämpfungder sogenannten Hasskriminalität befasst unddabei u. a. die Auffassung vertreten, dass esrechtspolitisch angezeigt sei, das Strafzumes-sungsrecht um eine Regelung zu ergänzen, dieklarstelle, dass menschenverachtende Beweg-gründe im Rahmen der Strafzumessung straf-schärfend zu berücksichtigen seien. Auch die ak-tuelle Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetztsicherzustellen, dass rassistische, fremdenfeind-

liche oder sonstige menschenverachtende Tatmo-tive bei der konkreten Strafzumessung ausdrück-lich berücksichtigt werden.37)

Das Bundesministerium der Justiz und für Ver-braucherschutz (BMJV) hat angekündigt, ineinem derzeit in Erarbeitung befindlichen Gesetz-entwurf einen Regelungsvorschlag zu unterbrei-ten, nach dem die genannten Beweggründe aus-drücklich in den Katalog der Strafzumessungs-gründe des § 46 Absatz 2 StGB aufgenommenwerden sollen. Eine solche Klarstellung solle dieBedeutung dieser Beweggründe für die gericht-liche Strafzumessung verdeutlichen und zugleichunterstreichen, dass auch die Staatsanwaltschaftihre Ermittlungen auf solche für die Bestimmungder Rechtsfolge bedeutsamen Motive zu er-strecken habe.38)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

31) Bereits im Jahre 2010 hatte Hamburg einen entsprechendenRegelungsvorschlag in Form eines Änderungsantrages in dieparlamentarische Debatte des Bundesrates eingebracht, vgl.Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs(Strafrechtsänderungsgesetz – ... StRÄndG), Bundesrats-drucksache 71/1/10, 03.03.10.

32) Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs– Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondereUmstände der Strafzumessung – ... StRÄndG, Bundesrats-drucksache 26/12, 17. Januar 2012.

33) § 160 Absatz 3 StPO: „Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaftsollen sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Be-stimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind.“

34) Vgl. hierzu auch Artikel 4 des EU-Rahmenbeschlusses 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formenund Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlich-keit: „Die Mitgliedstaaten treffen die Maßnahmen, die erforder-lich sind, um sicherzustellen, dass (…) rassistische und frem-denfeindliche Beweggründe entweder als erschwerender Um-stand gelten oder dass solche Beweggründe bei der Festlegungdes Strafmaßes durch die Gerichte berücksichtigt werden kön-nen.“

35) Zur Definition vgl. zuletzt Antwort der Bundesregierung auf dieKleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Jan Korte, SevimDagdelen, weiterer Abgeordneter … – Drucksache 18/331 –Ausländerfeindliche und rechtsextremistische Straftaten in derBundesrepublik Deutschland im Dezember 2013 Bundestags-drucksache 18/463, 7. Februar 2014.

36) Vgl. Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-buchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als be-sondere Umstände der Strafzumessung (... StRÄndG), Gesetz-entwurf des Bundesrates, Bundestagsdrucksache 17/9345, 18. April 2012.

37) Vgl. Ziffer 5.1 des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU undSPD (Seite 144).

38) Vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Jus-tiz und für Verbraucherschutz, Bericht der Bundesregierungüber den Umsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Un-tersuchungsausschusses, BT-Drs. 18/710, http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Bericht_NSU_Untersuchungs-ausschuss.pdf;jsessionid=82150C37B20222CE28F44BC550CD9048.1_cid324?_ blob= publicationFile; vgl. hier Ziffer 4a.

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5.2 Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innen-minister und -senatoren der Länder

Die IMK hat sich bereits in der Sitzung im Dezem-ber 2011, unmittelbar nach Aufdeckung der Tat-serie, und in allen folgenden Sitzungen mit unter-schiedlichen Aspekten des ThemenkomplexesNSU und dessen Aufarbeitung beschäftigt. AufGrundlage ihrer Beschlüsse sind zahlreiche derdargestellten Reformmaßnahmen bereits im Zeit-raum 2011 bis 2013, also vor Berichterstattung derverschiedenen Untersuchungsausschüsse undKommissionen (vgl. Kapitel 6), initiiert bzw. abge-schlossen worden.

8./9. Dezember 2011

– Prüfung neuer Zusammenarbeitsformen derSicherheitsbehörden von Bund und Ländernim Bereich des Rechtsterrorismus anlässlichder Tatserie von Neonazis in Deutschland

– Einrichtung einer Expertenkommission39)

22. März 2012

– Beweisbeschlüsse des 2. Untersuchungsaus-schusses der 17. Wahlperiode des DeutschenBundestages

– Bund-Länder-Kommission „Rechtsterrorismus“31. Mai/1. Juni 2012

– Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechts-extremismus (GAR)

– Prüfung neuer Zusammenarbeitsformen derSicherheitsbehörden von Bund und Ländernim Bereich des Rechtsterrorismus anlässlichder Tatserie von Neonazis in Deutschland

– (Zwischen-) Bericht aus der Bund-Länder-Kom-mission

– Bericht der Schäfer-Kommission zum Verhal-ten der Thüringer Behörden und Staatsanwalt-schaften bei der Verfolgung des „ZwickauerTrios“

28. August 2012

– Reform des Verfassungsschutzes6./7. Dezember 2012

– Neuausrichtung des Verfassungsschutzes– Bericht der Bund-Länder-Expertenkommission

„Rechtsterrorismus“– Einrichtung eines Gemeinsamen Extremis-

mus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ)23./24. Mai 2013

– Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommis-sion Rechtsterrorismus

– Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

– Änderung des Bundesverfassungsschutzge-setzes

5./6. Dezember 2013

– Bericht über den Sachstand im NPD-Verbots-verfahren

– Handlungsempfehlungen aus dem Abschluss-bericht der Bund-Länder-Kommission Rechts-terrorismus

– Schwerpunkte des 2. PUA-Berichtes und wei-teres Verfahren zur Prüfung der Handlungs-empfehlungen

– Bericht des BMI zu den Auswirkungen des Ur-teils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013, 1BvR – 1215/07 (ATDG) auf dieZusammenarbeit und den Austausch von per-sonenbezogenen Daten zwischen der Polizeiund dem Verfassungsschutz

– Neuausrichtung des Verfassungsschutzes so-wie Berichte über den Stand der Umsetzungder Berichtsergebnisse

– Bericht zur Fortschreibung des Leitfadens fürdie Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ver-fassungsschutz.

5.3 Befassungen der Konferenz der Justizministerin-nen und Justizminister

18. November 2011

– Sonderkonferenz der Justiz- und Innenminister„Nationalsozialistischer Untergrund“

12. bis 13. Juni 2013

– Konsequente Bekämpfung der Hasskrimina-lität

– Maßnahmen gegen die Vernetzung von rechts-radikalen Gefangenen

– Öffentlichkeitsgrundsatz – Gesetzliche Klar-stellung der Möglichkeit einer Bild- und Ton-übertragung in einen anderen Raum des Ge-richtsgebäudes (anlässlich des NSU-Prozes-ses in München)

– Zeitgemäße Neufassung des § 169 Gerichts-verfassungsgesetz (anlässlich des NSU-Pro-zesses in München)

14. November 2013

– Prüfung von Vorschlägen zur effizienterenstrafrechtlichen Bekämpfung des Rechtster-rorismus.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

39) Hier handelt es sich um die BLKR, vgl. Kapitel 6.3.

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5.4 Bericht der Bundesregierung über die nach dem4. November 2011 als Konsequenz aus dem Auf-decken der Terrorgruppe NSU sowie der nachfol-gend erkennbar gewordenen Fehler und Ver-säumnisse ergriffenen Maßnahmen

Am 26. April 2013 legte die Bundesregierungeinen Bericht vor, mit dem sie über Maßnahmendes Bundesministeriums des Inneren, des Bun-desministeriums der Justiz, des Bundesministeri-ums der Verteidigung, des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowieüber die Arbeit der Regierungskommission„Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung inDeutschland“ im Zusammenhang mit der Aufar-beitung der Tatserie berichtete (vgl. Kapitel 6.2).40)

Darin enthalten sind auch einige der in Kapitel 5.1dargestellten Maßnahmen unter Hamburger Be-teiligung.

Die Maßnahmen der Bundesministerien betrafenu. a. die

– Verbesserung des Informationsaustauschesder Sicherheitsbehörden,

– Reform und Neuausrichtung des Verfassungs-schutzes,

– Finanzierung der Bekämpfung der rechts moti-vierten Kriminalität im Bundeshaushalt,

– Ermittlungsarbeit in der Tatserie durch den Ge-neralbundesanwalt,

– Begutachtung und Verbesserung der Bearbei-tung beim Generalbundesanwalt,

– Maßnahmen der Ombudsfrau für die Opferfa-milien,

– Neuausrichtung des Militärischen Abschirm-dienstes (MAD),

– Verbesserung des Informationsaustauschesdes MAD mit anderen Sicherheitsbehörden,

– Verbesserung der Präventionsmaßnahmenund weiterer Projekte in allen genannten Minis-terien und die

– Aufklärung von Fehlern bei der Aktenvernich-tung nach Aufdeckung der Tatserie.

6. Untersuchungen und Berichte zur Tatserie

Seit November 2011 haben sich mehrere Kommis-sionen und Ausschüsse auf Bundes- wie Landes-ebene mit der Aufarbeitung von Versäumnissen,Fehlern und der behördlichen Arbeit bzw. Zusam-menarbeit beteiligter Behörden (1) bei der Beob-achtung des Rechtsextremismus insgesamt, (2)im Vorfeld, Verlauf bzw. (3) nach der Aufdeckungder Tatserie beschäftigt, dabei (4) Rechtsgrundla-gen, insbesondere Befugnisse und Zusammenar-beitsformen der Sicherheitsbehörden in diesem

Zusammenhang grundsätzlich untersucht sowie(5) über Reformmaßnahmen im Zeitraum 2011 bis2013 berichtet und (6) Vorschläge für weitere er-forderliche Gesetzgebungs- oder organisatori-sche Maßnahmen unterbreitet. Im Folgenden wer-den diese Untersuchungen und Berichte kurz dar-gestellt, dies vor allem mit Blick auf wesentlicheErgebnisse sowie deren Bezüge zu Hamburg.

6.1 Schäfer-Kommission, Untersuchungsausschüsseder Landesparlamente Thüringen, Sachsen undBayern sowie Ermittlungsgruppe in Baden-Würt-temberg

Nach der Aufdeckung der dem NSU zugerechne-ten Tatserie wurden die Sicherheitsbehörden undinsbesondere der Verfassungsschutz vehementkritisiert, weil es zum einen nicht gelungen war,die Entwicklung eines Rechtsterrorismus aufzu-decken, zum anderen nicht gelungen war, dieNSU-Mitglieder nach ihrem Abtauchen im Januar1998 aufzuspüren und die Tatserie zu verhindernbzw. zu beenden. Die festgestellten Versäum-nisse und Fehler bei der Verfolgung der Gruppeund Aufklärung der ihnen zugeschriebenen Ver-brechen waren Gegenstand parlamentarischerUntersuchungsausschüsse in den Ländern Thü-ringen, Sachsen und Bayern, die sich jedoch inerster Linie mit der Tätigkeit der jeweils landesei-genen Behörden beschäftigt haben. Zusätzlichbefasste sich die in Thüringen eingesetzte Schä-fer-Kommission41) mit dem „Verhalten der Thürin-ger Behörden und Staatsanwaltschaften bei derVerfolgung des ´Zwickauer Trios`“.

Die Schäfer-Kommission42) befasste sich, ihremAuftrag entsprechend, vor allem mit den Bezie-hungen der Thüringer Sicherheitsbehörden undder Staatsanwaltschaft in Thüringen zu den Mit-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

40) Bericht der Bundesregierung über die nach dem 4. November2011 als Konsequenz aus dem Aufdecken der TerrorgruppeNSU sowie der nachfolgend erkennbar gewordenen Fehler undVersäumnisse ergriffenen Maßnahmen; mit Beiträgen von:Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz,Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend Berlin, 26. April 2013;Link: www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads /DE/Nach-richten/Pressemitteilungen/2013/08/bericht_ua.pdf?__blob=publicationFile.

41) Die Kommission war nach ihrem Leiter, dem Vorsitzenden Rich-ter am Bundesgerichtshof a. D., Dr. Gerhard Schäfer, benanntund von Dezember 2011 bis Mai 2012 tätig.

42) Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staats-anwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“, er-stattet von Dr. Gerhard Schäfer, Vorsitzender Richter am Bun-desgerichtshof a. D., et al., erstellt im Auftrag des FreistaatsThüringen vertreten durch den Thüringer Innenminister, 14. Mai2012, http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tim/veran-staltungen/ 120515_schaefer_gutachten.pdf.

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gliedern des NSU, einer Bewertung der Tätigkei-ten dieser Thüringer Behörden und der Erfassungder „Tätigkeiten und Aktivitäten des Thüringer Lan-desamtes für Verfassungsschutz (TLfV), des Lan-deskriminalamtes (TLKA), sonstiger Polizeibehör-den, der Staatsanwaltschaften, der Generalstaats-anwaltschaft und deren jeweiligen Aufsichtsbehör-den im Detail“.43) Das Gutachten der Kommissionwurde im Mai 2012 veröffentlicht. Die Kommissionstellte im Untersuchungszeitraum seit den 1990erJahren zahlreiche Fehler und Versäumnisse inder Zusammenarbeit der Landesbehörden fest,dies insbesondere in den Bereichen der prakti-schen Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz,in Zusammenarbeit und Informationsaustauschzwischen Landeskriminalamt und Landesamt fürVerfassungsschutz, bei der Aktenhaltung im Lan-desamt für Verfassungsschutz und bei der minis-teriellen Aufsicht über das Landesamt. Der Be-richt geht jedoch an keiner Stelle auf die Tätigkeitvon Hamburger Sicherheitsbehörden ein.

Der Untersuchungsauftrag des im Januar 2012eingesetzten Untersuchungsausschusses desThüringer Landtages bezieht sich im Wesentli-chen auf: „Mögliches Fehlverhalten der ThüringerSicherheits- und Justizbehörden, einschließlichder zuständigen Ministerien unter Einschluss derpolitischen Leitungen, sowie der mit den Sicher-heitsbehörden zusammenarbeitenden Personen… sowie mögliche Fehler der Thüringer Sicher-heits- und Justizbehörden bei der Aufklärung undVerfolgung der dem NSU und ihm verbundenerNetzwerke zugerechneten Straftaten“.44) Der Ab-schlussbericht des Ausschusses soll nach derzei-tigen Planungen in der ersten Jahreshälfte 2014,vor der Thüringer Landtagswahl im September2014, vorgelegt werden. In dem im März 2013 vor-gelegten Zwischenbericht findet sich kein Bezugzu Hamburger Sicherheitsbehörden.

Auch der im April 2012 eingesetzte Untersu-chungsausschuss des Sächsischen Landtages-befasst sich gemäß Untersuchungsauftrag mit der„Untersuchung möglicher Versäumnisse und et-waigen Fehlverhaltens der Staatsregierung undder ihrer Fach-, Rechts-und Dienstaufsicht unterlie-genden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und son-stigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Um-gang mit der als ‚Terrorzelle NationalsozialistischerUntergrund (NSU)‘ bezeichneten neonazistischenTerrorgruppe, deren personell-organisatorischemUmfeld und etwaigen Unterstützernetzwerken“.45)

Der Abschlussbericht soll nach derzeitigen Pla-nungen vor den Landtagswahlen (August 2014)im Juli 2014 vorgelegt werden. Angesichts desUntersuchungsauftrages sind umfängliche bzw.

kritische Anmerkungen zu Hamburger Sicher-heitsbehörden ebenfalls nicht zu erwarten.

Auch der Untersuchungsausschuss des Bayeri-schen Landtages, der im Juli 2012 eingesetztwurde, beschäftigte sich vorwiegend mit der Ar-beit Bayerischer Sicherheitsbehörden sowie derzuständigen Ministerien, darunter jedoch auchmit der Arbeit der zentralen Ermittlungsführung inNürnberg. Im Detail bezog sich der Auftrag auf die„Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltensbayerischer Sicherheits- und Justizbehördeneinschließlich der zuständigen Ministerien, derStaatskanzlei und der politischen Entscheidungs-trägerinnen und Entscheidungsträger im Zusam-menhang mit der Beobachtung rechtsextremisti-scher Strukturen und Aktivitäten in Bayern, insbe-sondere der Herausbildung der rechtsextremisti-schen Gruppierung „Nationalsozialistischer Unter-grund“ (NSU) und eventueller Unterstützer in Bay-ern und der Verfahren zur Ermittlung der Täter derMordanschläge“ sowie auf die Erarbeitung vonReformvorschlägen für die Bekämpfung desRechtsextremismus und die Zusammenarbeit derSicherheitsbehörden. 46) Durch die Untersuchungder Arbeit der BAO in Nürnberg bzw. der zentralenErmittlungsführung ergaben sich Bezüge zu denErmittlungsbehörden im Tatortland Hamburg.

Der Schlussbericht des Untersuchungsausschus-ses wurde im Juli 2013 vorgelegt.47) Er geht andrei Stellen ausführlicher bzw. kritisch auf die Zu-sammenarbeit Bayerischer mit Hamburger Si-cherheitsbehörden bzw. der Justiz ein. Hinsicht-lich der Zusammenarbeit mit dem Landeskrimi-nalamt Hamburg nach dem Tötungsdelikt anSüleyman Tasköprü wird ein Zeuge der PolizeiBayern mit der Aussage zitiert, nach den Terror-anschlägen vom 11. September 2001 (deren Auf-klärung gerade in Hamburg als früherer Wohnortmehrerer Attentäter erhebliche Personalressour-cen der Sicherheitsbehörden band) habe die Poli-zei Hamburg bei der Zusammenarbeit zur Auf-klärung der zwischenzeitlich dem NSU zuzurech-nenden Delikte „einen Mindestpersonalansatz ge-fahren. (Der Zeuge, BIS) … habe zu diesem Zeit-punkt nur noch mit einem Beamten … in Hamburg

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

43) Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staats-anwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“, a. a.O., 13.

44) Vgl. Thüringer Landtag, 5. Wahlperiode, Drucksache 5/5810, 1.45) Vgl. Sächsischer Landtag, 5. Wahlperiode, Drucksache

5/8497, 1.46) Vgl. Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache

16/131590, 1. 47) Bayerischer Landtag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/17740.

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Kontakt gehabt, der nach seiner Auffassung … völ-lig überfordert gewesen sei. Die Mordkommissionin Hamburg sei zu diesem Zeitpunkt ziemlich un-terbesetzt gewesen.“48) In Hinsicht auf die kon-krete Frage nach der Zusammenarbeit der Staats-anwaltschaften der Tatortländer, in der auch Ham-burg genannt wird, erfolgte eine allgemeine Ant-wort ohne Bezug zu Hamburg.49) In den Aus-führungen zu den Erörterungen der Polizeien derTatortländer über die operativen Fallanalysen(OFA) wird noch einmal die Kritik des LKA Ham-burg und der BKA-Vertreter an der 2. OFA, in derdie Einzeltätertheorie mit einer möglicherweiserechtsextremistischen Motivation vertreten wurde,thematisiert.50)

Im Februar 2014 wurde schließlich im Innenaus-schuss des Stuttgarter Landtages der Abschluss-bericht der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ vorge-stellt, die seit Januar 2013 in der Staatsschutzab-teilung des LKA Baden-Württemberg damit be-auftragt war, die Bezüge des NSU und dessenUmfeld zu Personen aus Baden-Württemberg zuuntersuchen, potenziell relevante Personen zuidentifizieren und damalige wie aktuelle Struktu-ren der rechten Szene aufzuklären.51) Bezügenach Hamburg bzw. Aussagen zu Hamburger Si-cherheitsbehörden finden sich in dem Berichtnicht.

6.2 Regierungskommission zur Überprüfung der Si-cherheitsgesetzgebung in Deutschland

Diese Kommission wurde bereits im August 2011– also vor der Aufdeckung des NSU-Komplexes –von der Bundesregierung eingesetzt, nahm je-doch erst 2013 ihre Arbeit auf. Entsprechendwurde der ursprüngliche Untersuchungsauftragum Aspekte der Tätigkeit der Sicherheitsbehör-den im Rahmen des NSU-Komplexes erweitert.

„Aufgabe der Regierungskommission war damitdie Bearbeitung der folgenden Fragestellung: Wie ist die Entwicklung der Gesetzgebung zurBekämpfung des gewalttätigen Extremismus in derBundesrepublik Deutschland, insbesondere seitdem 11. September 2001, aus rechtsstaatlicherSicht rechtlich und rechtspolitisch zu bewerten undwelche Schlussfolgerungen ergeben sich darausfür eine künftige gesetzliche Ausgestaltung undAbsicherung (Kontrolle) der Aufgaben und Befug-nisse der Sicherheitsbehörden auf Bundes-ebene?“

Die Kommission, bestehend aus Experten, dieparitätisch von den Bundesministerien der Justizbzw. des Inneren benannt worden waren, legte imAugust 2013 ihren Bericht vor.52) Sie kommt darinnach einer Bestandsaufnahme der gesetzlichen

Änderungen seit 2011, einer Verknüpfung der ge-fundenen Ergebnisse sowie deren rechtlicher undrechtspolitischer Würdigung zu konkreten Emp-fehlungen für den Gesetzgeber. Die Empfehlun-gen, die überwiegend mit Gegenvoten erfolgten,betreffen im Einzelnen:53)

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) derZurückführung der umfangreichen Kriminali-sierung von Handlungen im Vorfeld terroristi-scher durch das Gesetz zur Verfolgung derVorbereitung von schweren staatsgefährden-den Straftaten (GVVG),

– Forderung (bzw. Ablehnung der Forderung)nach zusätzlicher Kriminalisierung der Wer-bung für terroristische Gruppierungen,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Anpas-sung des Vereinigungsbegriffes im StGB anentsprechende EU-Beschlüsse,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Über-prüfung der erweiterten Gefahrenabwehrbe-

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48) A. a. O., Kapitel B.3.7., 92. 49) A. a. O., Kapitel B.3.8., 92.50) A. a. O., Kapitel 3.5.2, 143: „Die zweite OFA wurde am 12. Juni

2006 der BAO vorgestellt. (…) In dieser Analyse wurde nun alsHypothese die sog. Einzeltäter-/Serientätertheorie vorgestellt,wonach „der“ Täter einen Hass gegen türkische Ladenbesitzersowie eine ablehnende Haltung gegenüber Türken entwickelthabe und vor der Tat wahrscheinlich zur rechten Szene zu-gehörig gewesen sei, sich dann aber zurückgezogen habe, daihm diese nicht radikal genug erschien. Den sog. Ankerpunktsah man damals im Raum Nürnberg (…) Somit befand man sichaus heutiger Sicht – bis auf den möglicherweise falsch interpre-tierten Ankerpunkt – zum ersten Mal auf dem richtigen Weg.Doch selbst nach dieser Analyse standen die Ermittlungen imBereich Organisierter Kriminalität nach dem Ergebnis des Unter-suchungsausschusses im Vordergrund, wenn man sich den je-weils getätigten Aufwand betrachtet. Die ablehnende Haltunggegenüber dieser Analyse, insbesondere auch seitens der OFAHamburg und des BKA, wird am besten ersichtlich durch diekurz darauf, am 11. August 2006, also nicht einmal einen Monatnach der Erstellung der zugehörigen Ermittlungskonzeption, fol-genden Beauftragung der OFA Baden-Württemberg durch dasBayerische Staatsministerium des Innern.“ Vgl. hierzu auch Ka-pitel 6.3.2.

51) Vgl. Innenministerium Baden-Württemberg, Bezüge der Terror-gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg, 31. Januar 2014, 5: http://www.im.baden-wuert-temberg.de/fm7/1227/BERICHT%20zu%20Bez%FCgen%20des%20NSU%20nach%20BW .pdf.

52) Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung der Si-cherheitsgesetzgebung in Deutschland, Prof. Matthias Bäcker,LL.M. et al., vorgelegt am 28. August 2013. Der Auftrag der Re-gierungskommission ergab sich aus dem entsprechenden Be-schluss des Bundeskabinetts, a. a. O, 1f.

53) Vgl. hierzu und im Folgenden: a. a. O., 261ff.

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fugnisse bei der Terrorismusbekämpfung imBKA-Gesetz,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der deutli-cheren Abgrenzung präventivpolizeilicher vonstrafrechtlichen Maßnahmen zur Terrorismus-bekämpfung,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Verla-gerung der richterlichen Zuständigkeit für dieAnordnung schwerwiegender Grundrechtsein-griffen im Rahmen der Terrorismusbekämp-fung,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Über-prüfung der Eigenständigkeit und Aufgabendes Militärischen Abschirmdienstes (MAD) alsNachrichtendienst,

– Überprüfung des Bundesverfassungsschutz-gesetzes auf systematische Unstimmigkeiten,begriffliche Abweichungen und Definition derEingriffsvoraussetzungen,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der deut-licheren Abgrenzung nachrichtendienstlicher,präventivpolizeilicher und strafrechtlicher Auf-gabenbereiche,

– Schaffung einer eigenständigen gesetzlichenGrundlage für die gemeinsamen Abwehrzen-tren (GTAZ, GAR, GIZ, GETZ) und den dortigenInformationsaustausch zwischen Polizei undNachrichtendiensten sowie Prüfung des Erfor-dernisses einer institutionalisierten Kontrolle,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Be-schränkung der behördenübergreifenden Ana-lysetätigkeit der gemeinsamen Zentren auf ge-waltbereiten Extremismus („schwerste Gefähr-dungen für Leib, Leben oder Freiheit von Men-schen oder herausragend bedeutsame, exi-stenzsichernde Einrichtungen“) sowie entspre-chende Regelungen für Informationsfluss undInformationsverarbeitung (Datenschutz),

– Schnellstmögliche und vollständige Umset-zung der Vorgaben des Urteils des Bundesver-fassungsgerichts zum Antiterrordateigesetzund entsprechende Überprüfung der Rechts-extremismusdatei,

– Erfordernis (bzw. Nicht-Erfordernis) der Be-schränkung der Befristung für gemeinsameDateien, z.B. Projektdateien, in den gemeinsa-men Zentren,

– Überprüfung der für die Nachrichtendienstegeltenden Übermittlungsvorschriften, insbe-sondere §§ 19, 20 und 23 BVerfSchG.

Der Bericht der Kommission hat keinerlei bin-dende Wirkung und wird angesichts der inzwi-schen beendeten 17. Legislaturperiode im Sep-tember 2013 kurzfristig keine gesetzgeberischen

Folgen haben, sondern allenfalls die weitere in-nenpolitische Debatte anregen und fördern. Aufdetaillierte Stellungnahmen kann daher zunächstverzichtet werden. Festzustellen ist lediglich,dass sich auch in diesem Bericht besonders deut-lich zeigt, dass Positionen bei einzelnen Aspek-ten, die auch im Rahmen der Aufarbeitung desNSU-Komplexes bedeutsam sind – etwa der kon-kreten Ausgestaltung des Trennungsgebots oderder Frage von Befugniserweiterungen für Sicher-heitsbehörden – voneinander abweichen bzw. teil-weise unvereinbar sind.54)

6.3 Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus

Die Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus(BLKR) wurde auf Vorschlag der IMK mit Be-schluss des Bundeskabinetts vom 8. Februar2012 eingesetzt.55) Der Untersuchungsauftrag derBLKR (und entsprechend deren Ergebnisse undEmpfehlungen) umfasste nicht sämtliche Aspekteder Aufarbeitung der Tatserie, sondern galt gezieltder Untersuchung der Schnittstellen und gesetz-lichen Grundlagen der Zusammenarbeit der Si-cherheitsbehörden in der föderalen Sicherheitsar-chitektur:

„Die Straftaten des rechtsterroristischen „National-sozialistischen Untergrund“ (NSU) zeigen deutlich,dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus fürdie Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern eineDaueraufgabe von hoher Priorität sein muss, dieein ebenso energisches und nachhaltiges wie ko-ordiniertes Vorgehen aller Sicherheitsbehördengegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus not-wendig macht. Insbesondere ist es erforderlich,dass in diesem Bereich alle notwendigen undrechtlich zulässigen Erkenntnisse von Polizei undVerfassungsschutz frühzeitig zusammengeführtsowie Optimierungsmöglichkeiten der fallbezoge-nen Zusammenarbeit geprüft werden.

Vor diesem Hintergrund soll eine Experten-Kom-mission das Ziel verfolgen, im Sinne eines Ge-samtbildes die Zusammenarbeitsformen der Si-cherheitsbehörden der Länder mit den Bundes-behörden insbesondere bei der Bekämpfung desgewaltbereiten Extremismus zu analysieren und zu

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54) Vgl. hierzu auch den Text des Koalitionsvertrages zwischenCDU, CSU und SPD zur Bildung der neuen Bundesregierungim Dezember 2013 in Kapitel 8.

55) Der Expertenkommission gehörten an: Senator a. D. Dr. ErhartKörting, der später durch den ehemaligen Innenminister vonRheinland-Pfalz Karl-Peter Bruch ersetzt wurde, Senator a. D.Heino Vahldieck, der ehemalige Bundesanwalt beim Bundes-gerichtshof, Bruno Jost, sowie der Rechtsanwalt Prof. Dr. Eck-hard Müller.

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bewerten sowie Vorschläge für eine weitere Opti-mierung ihrer Zusammenarbeit zu unterbreiten.

Dabei werden u. a. zu betrachten sein:

– die bestehenden gesetzlichen Grundlagen fürdie Verantwortlichkeiten und den Informations-austausch zwischen Bund und Ländern undzwischen Verfassungsschutz und Polizei,

– die Funktionalität der Informations- und Kom-munikationsstrukturen,

– der Informationsaustausch in gemeinsamenKommunikationsplattformen,

– der grundsätzliche und der auf operative Einzel-fälle bezogene Informationsaustausch,

– die Thematik des Quellen- und Geheimschutzesin tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht,

– die Einrichtung gemeinsamer Auswerte- undAnalyseprojekte und

– die bestehende Abstimmung über offen undverdeckt durchzuführende Maßnahmen der In-formationsgewinnung.“56)

6.3.1 Polizei und Verfassungsschutz Hamburgbetreffende Fragenkataloge der BLKR

Die Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismusrichtete insgesamt 9, teils umfängliche Fragen-kataloge an die Innenministerien der Länder, na-mentlich

6. März 2012: Fragenkatalog zu gesetzlichenGrundlagen, IuK-Strukturen, Informationsaus-tausch, Quellen- und Geheimschutz, gemeinsa-men Projekten, gemeinsamen Maßnahmen zurErkenntnisgewinnung, Ausstattung der Landes-sicherheitsbehörden im Bereich Rechtsextremis-mus, Unterschieden in der Arbeit zu einzelnen Ex-tremismusbereichen

25. Juni 2012: Fragenkatalog zu Umgang bei Poli-zei und LfV mit Observationen bzw. Telekommuni-kationsüberwachung sowie Praxis inkl. Informa-tionsaustausch und entsprechenden Rechts-grundlagen in den Ländern

18. September 2012: Fragenkatalog zu Geheim-verpflichtungen im Bereich der Polizeien sowieder Staatsanwaltschaften sowie dem Umgang miteingestuften Dokumenten

16. Oktober 2012: Fragenkatalog zu Aus- undFortbildung der Mitarbeiter der Verfassungs-schutzbehörden

1. November 2012: Fragenkatalog zur Dienst- undFachaufsicht über Polizei- und Verfassungs-schutzbehörden

13. Dezember 2012: Fragenkatalog zu Abstim-mung operativer Maßnahmen von Polizei und Ver-fassungsschutz

9. Januar 2013: Fragenkatalog zu Entscheidun-gen über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mit-tel und dessen Dokumentation

10. Januar 2013: Fragenkatalog zur informationel-len Zusammenarbeit zwischen Staatsanwalt-schaften und Verfassungsschutzbehörden

18. Januar 2013: Fragenkatalog zu Qualitätssi-cherung beim Quelleneinsatz.

Die Behörde für Inneres und Sport hat sämtlicheFragenkataloge der BLKR zügig und umfänglichbeantwortet, Mitarbeitern der Kommission um-fangreich und kurzfristig Akteneinsicht in Ham-burg ermöglicht und mit dem Stab der Kommis-sion stets eng und vertrauensvoll zusammengear-beitet.

6.3.2 Bemerkungen zu Hamburger Sicherheits-behörden im Abschlussbericht

Die BLKR hat bei ihren Untersuchungen derSchnittstellen der Zusammenarbeit im Rahmender Arbeit der Sicherheitsbehörden zwischen1998 und 2011 mehrfach Arbeitsbeziehungen derHamburger Sicherheitsbehörden und rechtlichebzw. organisatorische Rahmenbedingungen, dieim Rahmen der Fragenkataloge ermittelt wordenwaren, beschrieben und auf Schwachstellen ana-lysiert, ohne jedoch die Arbeit der Hamburger Si-cherheitsbehörden und die anderer Länder bzw.des Bundes dezidiert zu kritisieren. Gleichwohlbetreffen zahlreiche der Empfehlungen des Ab-schlussberichtes, der am 30. April 2013 auf derFrühjahrssitzung der Innenministerkonferenz vor-gelegt wurde, auch landesrechtliche Grundlagensowie Arbeits- und ZusammenarbeitsformenHamburger Sicherheitsbehörden.

6.3.3 Ergebnisse

Der Abschlussbericht der BLKR enthält zwarkeine konkrete Kritik an Hamburger Sicherheits-behörden, kommt jedoch zusammenfassend zudem Ergebnis:

„Nach Einschätzung der BLKR gab es im Zusam-menhang mit dem NSU-Komplex nicht nur bei denVerfassungsschutzbehörden, sondern auch beiden Polizeibehörden und der Justiz, insbesonderein der Zusammenarbeit, Defizite. Ein generelles

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56) Umlaufbeschluss der IMK vom 6. Februar 2012.

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Systemversagen der deutschen Sicherheitsarchi-tektur konnte die Kommission dabei zwar nicht er-kennen, allerdings hat nach ihrer Ansicht eineReihe von Sicherungsfunktionen im System ver-sagt.“57)

Nach einer umfangreichen Bestandsaufnahmeder Erkenntnisse zu den Straftaten des NSU zumeinen, der bei den entsprechenden Ermittlungenin Bund und Ländern betroffenen, insgesamt 68identifizierten Schnittstellen behördlicher Zusam-menarbeit zum anderen sowie der rechtlichenund organisatorischen Rahmenbedingungen dertätigen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehör-den des Bundes und der Länder sowie deren Zu-sammenarbeit kommt die BLKR zu Bewertungenund Empfehlungen in insgesamt acht Untersu-chungsbereichen:

1) Abschaffung, Zentralisierung oder Zusammen-legung von Verfassungsschutzbehörden

2) Zukunft des Trennungsgebotes

3) Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden

4) Verdeckte Informationsgewinnung

5) Einheitliche Standards bei der Informations-auswertung

6) Erweiterung der Zuständigkeit des General-bundesanwaltes

7) Verbesserung der Dienst- und Fachaufsicht

8) Aus- und Fortbildung.58)

Zukunft der Verfassungsschutzbehörden

Hinsichtlich der von unterschiedlichen Seitenimmer wieder erhobenen Forderungen nach Ab-schaffung, Zentralisierung oder Zusammenle-gung von Verfassungsschutzbehörden betont dieBLKR die verfassungsrechtlichen Grundlagen,nicht nur für den Verfassungsschutz an sich, son-dern auch für eine maßgebliche eigenständigeRolle der Länder, die einer vollständigen Zentrali-sierung, aber auch einer Zentralisierung mit um-fassenden fachlichen Weisungsrechten entge-genstünden. Auch könnten die Aufgaben des Ver-fassungsschutzes nicht von polizeilichen Staats-schutzdienststellen einerseits und wissenschaftli-chen Diensten andererseits übernommen wer-den, da hier Strafverfolgungszwang sowie das Er-fordernis des Geheimschutzes bei der Zusam-menarbeit mit ausländischen Diensten entgegen-stünde. Hingegen stünde einer Zusammenlegungeinzelner Landesverfassungsschutzämter nichtsentgegen; dies müsse jedoch von den beteiligtenLändern selbst entschieden werden.

Zukunft des Trennungsgebotes

Bei der Frage, ob das Trennungsgebot ursächlichfür die festgestellten Informationsaustauschdefi-zite im Verlauf der Ermittlungen zum NSU gewe-sen sei oder dazu zumindest beigetragen habe,stellt die BLKR zunächst fest, dass der so ge-nannte Polizeibrief der Militärgouverneure ausdem Jahr 1949 durch den Zwei-plus-Vier-Vertragvon 1990 rechtlich aufgehoben sei, und kommt zudem Schluss, dass das Trennungsgebot in Hin-sicht auf Befugnisse und Organisation von Poli-zeien und Verfassungsschutz eine wichtigerechtsstaatliche Errungenschaft bleibe. Die oft be-klagten Schnittstellen der bestehenden Sicher-heitsarchitektur würden nach einer Zusammenle-gung in anderer Form bestehen, daher könne denentsprechenden unbestritten Problemen der Zu-sammenarbeit und des Informationsaustauschesnur mit „sinnvolle(n) Regelungen der Zusammen-arbeit, die konsequent Anwendung finden müs-sen“ begegnet werden.59) In diesem Zusammen-hang sieht die BLKR u. a. gesetzgeberischenHandlungsbedarf bei der Regelung der Übermitt-lung von Informationen von Verfassungsschutz-behörden an Polizeibehörden (Amtshilfe).60)

Ihrem Untersuchungsauftrag entsprechend be-fasst sich die BLKR des Weiteren sehr ausführlichvor allem mit zwei Bereichen,

– zum einen mit mehreren Aspekten der infor-mationellen und organisatorischen Zusam-menarbeit von Polizei, Verfassungsschutz undStaatsanwaltschaft, auf die im Folgenden ein-zugehen sein wird,

– zum anderen mit Rahmenbedingungen undPraxis der verdeckten Informationsgewinnungsowie des Einsatzes von V-Leuten (s. u.).

Informationelle und organisatorischeZusammenarbeit der Sicherheits- undStrafverfolgungsbehörden

Hinsichtlich der Zusammenarbeit im Verbund derVerfassungsschutzbehörden des Bundes und der

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57) Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission, broschierteFassung, herausgegeben vom Bundesministerium des Innerenund der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senato-ren, 351.

58) Vgl. hierzu und im Folgenden a. a. O., 171ff. 59) A. a. O., 185.60) Zu beachten ist hier, dass die BLKR im April/Mai 2013 berichtet

hat, also zeitgleich mit dem Urteil des Bundesverfassungsge-richts zum Antiterrordateigesetz, mit dem der Grundsatz des in-formationellen Trennungsprinzips etabliert wurde (vgl. hierzuKapitel 7), das im Zeitraum der Erstellung des Abschlussbe-richtes daher keinen Eingang finden konnte.

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Länder stellt sie zunächst Defizite bei der Infor-mationsweitergabe und Auswertungstätigkeit inbeide Richtungen fest. Sie befürwortet eine Stär-kung des BfV als Zentralstelle und legt einen Vor-schlag für deren erforderliche gesetzliche Fest-schreibung vor, um damit künftig eine optimaleZusammenführung von Erkenntnissen und Koor-dination von Maßnahmen zwischen BfV und Lan-desämtern für Verfassungsschutz zu erreichen.Auch hinsichtlich der Informationsweitergabe derPolizeien an die Verfassungsschutzämter emp-fiehlt die BLKR eine verbesserte Prüfung dahin-gehend, ob polizeiliche Informationen für andereBehörden bzw. Strafverfahren bedeutsam seinkönnten; für die Informationsweitergabe des MADan die Verfassungsschutzämter wird eine eigeneRechtsgrundlage gefordert.

Die BLKR übt deutliche Kritik an BKA und Justizin Hinsicht auf die Frage, warum es im Verlauf derTatserie nicht zu einer Zentralisierung der Ermitt-lungen kam, obwohl hierfür nach Auffassung derKommission sachliche Gründe (länderübergrei-fende Tatserie, gleicher Modus Operandi, selbeTatwaffe) sowie die rechtlichen Grundlagen nachBKAG bzw. RiStBV eindeutig vorlagen. Die Kom-mission hält hier nicht etwa gesetzliche Änderun-gen, sondern eine konsequente Anwendung desbestehenden Rechts beim BKA sowie bei denStaatsanwaltschaften für erforderlich.

Ein weiterer Aspekt des Informationsaustau-sches, in dem die BLKR Verbesserungen fordert,ist der Austausch zwischen Verfassungsschutzund Polizeien. Hier stellt die Kommission in denLändern abweichende Rechtsgrundlagen fest;dies gelte insbesondere für die Übermittlung vomVerfassungsschutz an die Polizeien, während dieWeitergabe von Informationen durch die Polizeienklarer geregelt sei.61) Die entsprechenden Vor-schriften der Verfassungsschutzgesetze für dieInformationsweitergabe durch die Verfassungs-schutzbehörden an Staatsanwaltschaften bzw.Polizeien für Zwecke der Strafverfolgung wie derGefahrenabwehr sollten daher nach Empfehlungder BLKR zum einen im Ländervergleich harmo-nisiert, zum anderen in Hinsicht auf Übermitt-lungsvoraussetzungen (Erforderlichkeit, Vorlie-gen von Tatbestandsmerkmalen), das bei der Ent-scheidung über eine Weitergabe mögliche Er-messen und die Berücksichtigung von Belangendes Quellenschutzes klarer normiert werden.

Unabhängig von Rechtsgrundlagen stellt dieBLKR aber auch Defizite in der praktischen Zu-sammenarbeit von Verfassungsschutz und Poli-zeien fest. Sie identifiziert im Rahmen ihrer Be-standsaufnahme der Ermittlungen und Auf-

klärungsarbeit der Sicherheits- und Strafverfol-gungsbehörden insgesamt 25 Schnittstellen derZusammenarbeit zwischen Behörden, an denenpraktische Mängel in der Zusammenarbeit dieAufdeckung der Zusammenhänge zwischen demUntertauchen des NSU-Trios, der Tatserie undden Raubüberfällen behindert hätten.62) „NachEindruck der BLKR haben vereinzelt wenig nach-vollziehbare Verhaltensweisen dazu geführt, dassdie praktische Zusammenarbeit von gegenseiti-gem Misstrauen geprägt war.“63)

Bei der Betrachtung etablierter Zusammenar-beitsformen betrachtet die BLKR die Regularienfür die Informationsweitergabe wie den Leitfadenfür die Optimierung der Zusammenarbeit von Po-lizei und Verfassungsschutz (VS-NfD), die Rege-lungen zur Abstimmung operativer Maßnahmenund sonstige Meldewege und Meldedienste, diestrategische und politische Zusammenarbeit inder Innenministerkonferenz und ihren Fachgre-mien, die seit 2001 geschaffenen gemeinsamenZentren zur Zusammenarbeit in allen Phänomen-bereichen der politisch motivierten Kriminalitätbzw. des Extremismus hinsichtlich der Frage, obdiese das Erkennen übergreifender Zusammen-hänge ermöglichen würden, wie es im NSU-Kom-plex erforderlich gewesen wäre, aber misslang.Die BLKR kommt hier zu dem Schluss, dass diebestehenden Zusammenarbeitsformen weiterverbessert werden müssten. So sei zum einen imBereich der Polizei eine stärkere Verzahnung derStaatsschutzdienststellen mit Ermittlern in ande-ren Kriminalitätsbereichen erforderlich, zum an-deren im Bereich des Verfassungsschutzes ein„standardisiertes Verfahren für eine strukturierteInformationsübermittlung, die sich an den Bedürf-nissen des Informationsempfängers orientiert.“64)

Gleiches gelte für die Übermittlung von Informa-tionen aus polizeilichen Statistiken an die Verfas-sungsschutzbehörden.

Abgesehen von einigen kleineren Änderungen inden Richtlinien für das Strafverfahren und dasBußgeldverfahren (RiStBV), die die Zusammenar-beit zwischen Verfassungsschutz und Staatsan-waltschaften regeln, empfiehlt die BLKR in die-sem Bereich Verbesserungen in der Praxis derZusammenarbeit. „Offenbar besteht gerade beiden Staatsanwaltschaften ein grundsätzliches

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61) A. a. O., 224ff., hier 228f. 62) A. a. O., 248ff. 63) A. a. O., 249. 64) A. a. O., 261. 65) A. a. O., 267.

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Missverständnis, was die gesetzlich geregelten In-formationsverpflichtungen bzw. -möglichkeiten ge-genüber den Verfassungsschutzbehörden an-geht.“65) Die Delegation der gesetzlichen Über-mittlungspflichten der Staatsanwaltschaften ggü.den Verfassungsschutzbehörden an die Polizeiensei nicht sachgerecht, vielmehr entspreche eineunmittelbare Übermittlung von Informationenoder Entscheidungen aus Strafverfahren seitensder Staatsanwaltschaften deren Sachleitungsbe-fugnis und müsse verstärkt sowie konsequent er-folgen.

Bei der Frage, ob in der Praxis der Strafverfol-gungsbehörden der Geheimschutz bei der Ver-wertung eingestufter Informationen der Nachrich-tendienste dem o. g. Erkennen übergeordneterTat- oder Täter-Zusammenhänge behindert habe,kommt die BLKR zu dem Ergebnis, dass im Span-nungsfeld zwischen dem Prinzip Need to know(Kenntnis nur, wenn nötig) und dem Prinzip Needto share (Pflicht zur Informationsteilung) in Hin-sicht auf Einstufung von Informationen wie aufderen Weitergabe die Handlungssicherheit derMitarbeiter in Polizei und Nachrichtendiensten zuerhöhen sei, dies mit dem Ziel, die bisher weit-reichende Einstufungspraxis zu hinterfragen, umdie entsprechenden Verwertungshindernisse zusenken.

Verdeckte Informationsgewinnung

Im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex sindimmer wieder auch der Einsatz und die Führungder V-Leute der beteiligten Verfassungsschutz-behörden kritisiert, an anderer Stelle gar der voll-ständige Verzicht auf menschliche Quellen gefor-dert worden. Die BLKR spricht sich hier nach aus-führlicher Prüfung verschiedener Aspekte derProblematik ausdrücklich für die Beibehaltungmenschlicher Quellen als nachrichtendienst-liches Mittel aus, betont dabei aber die Notwen-digkeit einer effektiven wie effizienten Kontrolle in-nerhalb der Verfassungsschutzbehörden, aberauch seitens der Aufsichtsbehörden. Sie erkennteinen Bedarf für bundesweit einheitliche Stan-dards (bis hin zum Sprachgebrauch) bei der Aus-wahl und Führung menschlicher Quellen, schließtsich den diesbezüglichen Reformvorschlägendes Arbeitskreises IV der Innenministerkonferenz(vgl. Kapitel 5.1.2) an und fordert des weiterenbundeseinheitliche Regelungen beim Einsatzmenschlicher Quellen.66)

Hinsichtlich der Regelungen zur Anordnung desEinsatzes von V-Personen sowie langfristigen Ob-servationen durch Verfassungsschutzbehördenspricht sich die BLKR ebenfalls für eine Harmoni-sierung geltender Vorschriften, jedoch gegen

eine Ausweitung richterlicher Vorbehalte oderparlamentarischer Kontrolle (durch G 10-Aus-schüsse oder parlamentarische Kontrollgremien)aus, dies mit dem Verweis darauf, dass menschli-chen Quellen der Nachrichtendienste im Gegen-satz zu verdeckten Ermittlern der Polizeien keinevergleichbaren Eingriffsbefugnisse zustehen, dieEingriffsschwelle in Grundrechte der Betroffenendaher geringer sei.

Bei der Abwägung zwischen der erforderlichenNähe zu und Vertrautheit mit beobachteten Per-sonen und der gesetzlich untersagten Beteiligungan Straftaten (bzw. der Kenntnis von V-Personen-Führern von derartigen Straftaten) werden seitensder Sicherheitsbehörden immer wieder Rechts-grundlagen zitiert, die nach Ansicht der BLKRnicht vollständig überzeugen können. Sie hältdaher in diesem Bereich wie bei der Frage, ob diegenerelle Befugnis zum Einsatz von V-Personenin extremistischen Szenen sich auch auf den Ein-satz in terroristischen oder verbotenen Organisa-tionen erstreckt, „aus Gründen der Rechtsklarheit,Rechtssicherheit und im Interessen der mensch-lichen Quellen und der VM-Führer eine baldige,möglichst bundeseinheitliche, gesetzliche Rege-lung der Materie für geboten.“67)

Neben der o. g. Einstufungspraxis wurden immerwieder auch Erfordernisse des Quellenschutzesangeführt, wenn es im Rahmen des NSU-Komple-xes nicht zur Weitergabe von Informationen durchdie Verfassungsschutzbehörden kam, die in derRückschau für die Ermittlungen bzw. die Erken-nung von Zusammenhängen hätten hilfreich seinkönnen. Die BLKR würdigt daher ausführlich dasSpannungsfeld zwischen der Fürsorgepflicht desStaates gegenüber V-Personen (und einem ent-sprechenden Übermittlungsverbot unter Verweisauf den Schutz der Quelle) und der Pflicht zur Ab-wehr konkreter Gefährdungen hochwertigerRechtsgüter durch die von V-Leuten beobachte-ten Personen oder aus den entsprechendenGruppierungen (und einem entsprechendenÜbermittlungsgebot als Raison d´Être der Quelle).„Eine Änderung der Gesetzeslage empfiehlt sichaus Sicht der BLKR zum einen, um berechtigtenBelangen von Strafverfolgung und Gefahrenab-wehr Rechnung zu tragen. Zum anderen mussdem Rechtsanwender die notwendige Sicherheitbei der Abwägung der widerstreitenden Interessengegeben werden.“68) Insgesamt plädiert die BLKR

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66) A. a. O., 283. 67) A. a. O., 301. 68) A. a. O., 302ff. 69) A. a. O., 309.

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grundsätzlich gegen ein Übermittlungsverbot,wenn die Übermittlung zur Verfolgung von beson-ders schweren Straftaten i. S. v. § 100 c StPO er-forderlich ist.69)

Daneben spricht sich die BLKR für eine künftigsorgfältigere Einzelfallprüfung bei der Übermitt-lung von Quelleninformationen zum Zweck derStrafverfolgung und der Gefahrenabwehr aus,lässt aber auch weiterhin definierte Ausnahmenzu. Dazu gehören etwa die wesentliche Erschwe-rung der Arbeit der Verfassungsschutzbehördendurch die Weitergabe, konkrete Gefährdung vonLeib und Leben der Quelle oder die Weitergabevon Informationen ausländischer Nachrichten-dienste (Vorbehalt des Nachrichtengebers beiWeitergabe der Information an Dritte). Über Aus-nahmen von der künftig offensiver zu handhaben-den Weitergabe dürfe, so empfiehlt die BLKR,künftig in den Verfassungsschutzbehörden nurauf Führungsebene entschieden werden.70)

Standards bei der Informationsauswertung im Verfassungsschutz

Mit der Qualität oder Details der Arbeitsweise derVerfassungsschutzbehörden bei der Auswertungerhobener Informationen setzt sich die BLKR aus-drücklich nicht auseinander, geht hier aber vorallem auf strukturelle und Verfahrensfragen ein,da – neben Beschaffung und Weitergabe – auchder Auswertung von Informationen zur Auf-deckung von Zusammenhängen im NSU-Kom-plex eine große Bedeutung zugemessen werdenmuss. Im Rahmen ihres Untersuchungsauftrageskann die BLKR keine Defizite in den rechtlichenRahmenbedingungen und keinen Harmonisie-rungsbedarf erkennen, legt jedoch Wert auf dieFeststellung, dass die unterschiedlichen gesetzli-chen Aufträge von Polizei und Nachrichtendien-sten unterschiedliche Erkenntnisinteressen beider Auswertung erhobener Informationen bedingtund diese wiederum einen möglichst umfassen-den Informationsaustausch erforderten. Auch des-halb regt sie verstärkte Kontrolle der Auswer-tetätigkeit durch Führungskräfte sowie interdiszi-plinäre Aus- und Fortbildung unter Einbeziehungder Staatsanwaltschaften an.

Erweiterung der Zuständigkeit desGeneralbundesanwaltes

Die derzeitige Kompetenzverteilung zwischenLänderjustiz und Bundesanwaltschaft wird vonder BLKR nicht grundsätzlich kritisiert. Dennochspricht sie sich für eine Erweiterung der materiel-len Ermittlungszuständigkeit des GBA im erstenRechtszug aus.

Dies soll zum einen durch die Aufnahme einesweiteren Zuständigkeitstatbestandes erfolgen,der auf das Erfordernis eines Bezugs in den Be-reich des Staatsschutzes verzichtet. Das Vorlie-gen der verfassungsrechtlichen Erfordernisse, diean eine Übertragung der Strafverfolgungszustän-digkeit auf den Bund gestellt würden, könne „füreine bundesweite, über Jahre anhaltende Mordse-rie wie die des NSU sicherlich angenommen wer-den. (…) allein ein solcher Eindruck des Versagensdes Staates und seiner Institutionen muss sich inerheblichem Maße negativ auf den Rechtsfriedenund die gesamtgesellschaftliche Ordnung auswir-ken, dass in einer derartigen länderübergreifendenSerie von Straftaten – unabhängig vom Vorliegeneines formellen Bezugs zum Staatsschutz – einAngriff auf die gesamtstaatliche Ordnung gesehenwerden muss.“71)

In diesem Zusammenhang komme eine erwei-terte Zuständigkeit jedoch nur für schwerste, inhöchstpersönliche Rechtsgüter eingreifendeStraftaten (Mord, Totschlag, erpresserischer Men-schenraub) in Betracht. Außerdem sei über dasErfordernis der besonderen Bedeutung hinausein weiteres Tatbestandsmerkmal erforderlich,etwa, dass die Tat nach den Umständen geeignetsei, die öffentliche Sicherheit oder den Rechts-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

70) Die BLKR legt hierzu den Entwurf für eine Neufassung von § 23BVerfSchG vor, vgl. a. a. O., 316ff.

71) A. a. O., 326.72) Die BLKR schlägt hierzu die Einfügung einer neuen Nummer 4

in Absatz 2 von § 120 GVG vor, vgl. a. a. O., 327.73) § 120 Abs. 2 Nr. 3 in der geltenden Fassung:

2) Diese Oberlandesgerichte sind ferner für die Verhandlung undEntscheidung im ersten Rechtszug zuständig

…3. bei Mord …, Totschlag …, erpresserischem Menschenraub …,

Geiselnahme …, schwerer und besonders schwerer Brand-stiftung …, Brandstiftung mit Todesfolge …, Herbeiführeneiner Explosion durch Kernenergie …, Herbeiführen einerSprengstoffexplosion …, Missbrauch ionisierender Strahlen…, Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrech-ens …, Herbeiführen einer Überschwemmung …, gemeinge-fährlicher Vergiftung … und Angriff auf den Luft- und Seever-kehr …, wenn die Tat nach den Umständen bestimmt und ge-eignet ist, a) den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beein-

trächtigen,b) Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu

beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben,c) die Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland sta-

tionierten Truppen des Nordatlantik-Pakts oder seiner nicht-deutschen Vertragsstaaten zu beeinträchtigen oder

d) den Bestand oder die Sicherheit einer internationalen Or-ganisation zu beeinträchtigen,

und der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeu-tung des Falles die Verfolgung übernimmt, … (Hervorhebungdurch BIS).

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frieden in der Bundesrepublik Deutschland in be-sonders erheblichem Maße zu beeinträchtigen.72)

Im Übrigen schlägt die BLKR vor, bestimmte ein-schränkende Merkmale in § 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG(„bestimmt und geeignet“)73) zu lockern, um demGBA in der Frage seiner eigenen Zuständigkeiteinen größeren Beurteilungs- und Entscheidungs-spielraum zu geben. Daneben sollten gesetzliche(GVG) und untergesetzliche Regelungen (RiStBV)dahingehend neu gefasst werden, dass sowohldie zuständigen Staatsanwaltschaften verpflichtetwürden, den GBA über Vorgänge zu informieren,die in seine Zuständigkeit fallen könnten, als auchdie Befugnisse des GBA zur eigeninitiativen Prü-fung seiner Zuständigkeit und ggf. zu entspre-chenden eigenen Ermittlungen erweitert werden.Des Weiteren sollte der GBA nach Auffassung derBLKR künftig befugt sein, länderübergreifend re-levante Ermittlungsverfahren in Serien schwererund schwerster Straftaten bindend einer Staats-anwaltschaft zuzuweisen.

Dienst- und Fachaufsicht

Bei der Prüfung, „ob die strukturellen Möglichkei-ten der Dienst- und Fachaufsicht im ausreichendenMaße vorhanden sind, um eine effektive und effi-ziente Kontrolle der nachgeordneten Behördenund ihrer Zusammenarbeit zu ermöglichen“,74)

kommt die BLKR zu dem Ergebnis, dass einesachgerechte Kontrolle der Sicherheitsbehördenerforderlich ist, von Personal mit ausreichen Ka-pazität und Vorerfahrung im zu prüfenden Bereichgeleistet werden sollte und insbesondere im Be-reich des Verfassungsschutzes entweder durchdie Schaffung eines unabhängigen Beauftragtenfür den Verfassungsschutz innerhalb der Exeku-tive, der ähnlich dem Datenschutzbeauftragtenausgestaltet sein könnte, oder durch Zuständig-keit einer Innenrevision innerhalb der Ministerienauch für den Verfassungsschutz gewährgeleistetwerden könnte. Im Vergleich dazu sei die Kon-trolle der Polizeibehörden bereits jetzt zufrieden-stellend ausgestaltet.75)

Aus- und Fortbildung im Verfassungsschutz

Jenseits der Schnittstellenproblematik Bundes-/Länderbehörden bzw. Länder-/Länderbehördenbzw. Polizei/Verfassungsschutz/Staatsanwalt-schaften, denen sich die BLKR in besondererWeise gewidmet hat, stellt sie abschließend fest,dass von der Rekrutierung über die Basisausbil-dung bis hin zur Fortbildung und Führungskräfte-qualifizierung Verbesserungen im Verfassungs-schutz geboten sein können, dies insbesonderedann, wenn der Verfassungsschutz sich künftigzum „Dienstleister in einer offenen Gesellschaft“

entwickeln wolle. Konkret schließt die BLKR sichhier den bereits laufenden Initiativen im Rahmender „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“an.76)

6.3.4 Empfehlungen der Kommission und Stel-lungnahme der Sicherheits- und Strafver-folgungsbehörden

Die oben dargestellten Empfehlungen der BLKRwerden zum Abschluss ihres Berichts noch ein-mal zusammengefasst. Nachfolgend werden dieStellungnahmen der Sicherheits- und Strafverfol-gungsbehörden in Hamburg zu den insgesamt 22Empfehlungen zusammengefasst. Auch eine vonder IMK eingesetzte Arbeitsgruppe prüft die Emp-fehlungen und hat zur Konferenz der Innenmini-ster im Dezember 2013 einen Bericht dazu vorge-legt.77) Zudem hat die Konferenz der Justizmini-sterinnen und Justizminister im Herbst 2013 ihrenStrafrechtsausschuss unter Beteiligung des Bun-desministeriums der Justiz gebeten, auf derGrundlage der in den Abschlussberichten derBLKR und des NSU-Untersuchungsausschus-ses78) enthaltenen Vorschläge möglichen gesetz-geberischen oder sonstigen Handlungsbedarf(z.B. durch Änderung der RiStBV) zu prüfen unddazu zu berichten.

Bevor im Folgenden die Stellungnahmen derBehörde für Justiz und Gleichstellung sowie derBehörde für Inneres und Sport (Polizei Hamburgund LfV) zu den insgesamt 22 Empfehlungszif-fern der BLKR kurz dargestellt werden, ist festzu-stellen:

– Die Debatten auf Ebene des Bundes und derLänder zu Prüfung und ggf. Umsetzung derEmpfehlungen sind auch nach Vorlage des Er-sten Berichts zur Sitzung der IMK im Dezem-ber 2013 noch nicht abgeschlossen; Prüfun-gen werden noch geraume Zeit in Anspruchnehmen. Dies gilt insbesondere für solcheEmpfehlungen, die neben einer Novellierunglandes- bzw. bundesrechtlicher Grundlagenauch deren Harmonisierung empfehlen. Beiden hier vorgelegten Stellungnahmen kann essich daher nur um die Positionierung in einerlänger andauernden Debatte handeln, die

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

74) A. a. O., 337f. 75) A. a. O., 344.76) A. a. O., 345ff. Zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

siehe ausführlicher Kapitel 5.1.2; der entsprechende Berichtwurde auf der Sitzung der IMK im Dezember 2013 zur Kenntnisgenommen.

77) Vgl. hierzu und im Folgenden a. a. O., 351ff.78) Vgl. hierzu Kapitel 6.4.4.

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daher nicht unmittelbar handlungsleitend sindund Entscheidungen der jeweils zuständigenFachministerkonferenzen, Ministerien odersonstigen Gremien nicht vorgreifen.

– Staatsanwaltschaft, Polizei und Verfassungs-schutz können in Einzelfällen auf Grundlageihrer unterschiedlichen Rollen und Aufgabenzu einigen Empfehlungen begründete institu-tionell geprägte Sichtweisen haben.

Zu den Empfehlungen der BLKR im Einzelnen:79)

„1. Verfassungsschutz in Deutschland

– Eine Abschaffung der Verfassungsschutzbehör-den in Bund und Ländern ist nicht geboten.Ebenso wenig ist eine Zentralisierung von Auf-gaben der Verfassungsschutzbehörden beimBund oder ein fachliches Weisungsrecht desBfV gegenüber den Landesbehörden für Verfas-sungsschutz erforderlich.

– Die Überlegung, mehrere Landesbehörden fürVerfassungsschutz zusammenzufassen, mussden daran beteiligten Ländern überlassen blei-ben.“

Kritik der BLKR wie anderer Untersuchungs-gremien, die hier dargestellt wird, trifft Polizeien,Justiz und Verfassungsschutzämter des Bundesund der Länder sowohl institutionell wie auch inihren Zusammenarbeitsformen. Anders als beiPolizei und Justiz ist aber insbesondere die öf-fentliche Debatte der Rolle des Verfassungs-schutzes im NSU-Komplex immer wieder mit dergrundsätzlichen Frage nach dem Fortbestand derInstitution an sich bzw. ihrer institutionellen Kern-instrumente, insbesondere der V-Personen, ver-bunden.80)

Daher ist diese erste Feststellung der BLKR zubegrüßen. Die föderale Gliederung des Verfas-sungsschutzes sichert insbesondere

– genauere Orts- und Szenekenntnisse und effi-zienteren Mitteleinsatz durch kürzere Wege

– Einbindung in die sonstige Behördenstrukturder Länder – mit den daraus resultierenden In-formationsbedarfen bzw. Datenübermittlungen

– größere Nähe zur Zivilgesellschaft in der ange-strebten neuen Rolle als Informationsdienst-leister in der Mitte der Gesellschaft. 81)

Inwieweit sich aus der dezentralen Organisationdes Verfassungsschutzes selbst auch Vorteile fürdie im Rahmen der Neuausrichtung angestrebtegrößere Transparenz bzw. die von vielen Seitengeforderte verbesserte Kontrolle ergeben, wird indiesen Zusammenhängen zu prüfen sein.82)

Grundsätzlich ist jedoch klar, dass die hier emp-fohlene und von den Ländern ausdrücklich unter-

stützte Beibehaltung der föderalen Sicherheitsar-chitektur zugleich einen weiter intensivierten In-formationsaustausch erforderlich macht, um dennotwendigen Lehren aus dem NSU-Komplex zuentsprechen.

Der – behutsame oder deutliche – Ausbau derZentralstellenfunktion des BfV als Alternative zuder Abschaffung der Landesämter wird insbeson-dere auf Bundesebene immer wieder gefordert.Unabhängig von einer Abwägung jeweiliger Stär-ken ist der Trend zu einer Verstärkung zentralerFunktionen des BfV seit 2001 erkennbar undbleibt ungebrochen. Fraglich bleibt jedoch, wel-chen Schwerpunkt diese Zentralisierung habensoll, namentlich

– eine Zentralisierung im Sinne einer Koordina-tion ohne Steuerungs- und Weisungsbefug-nisse,

– eine Zentralisierung mit Steuerungs- und Wei-sungsbefugnissen oder

– eine Zentralisierung länderübergreifender er-gänzender Kompetenzen, etwa im BereichTechnik.

Hamburg spricht sich dafür aus, länderübergrei-fende Schwerpunktkompetenzen, insbesondereim Technikbereich, zu nutzen (s. u.).

Die BLKR überlässt schließlich die Frage einerZusammenlegung einzelner Landesämter aus-drücklich den betroffenen Ländern. Hamburg hatdiese Frage gemeinsam mit Schleswig-Holsteinbereits in der Vergangenheit geprüft und skep-

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79) Die nachfolgende Nummerierung entspricht der Nummerie-rung im BLKR-Abschlussbericht. Die Empfehlungen sind je-weils vollständig zitiert und kursiv, die Stellungnahmen unkur-siv gesetzt.

80) Sachverständige Kommentatoren machen in diesem Zusam-menhang jedoch auch immer wieder auf die eindeutige Rechts-lage aufmerksam, die dem Verfassungsschutz Verfassungs-rang zumisst und folglich für seine Abschaffung sehr hohe par-lamentarische Hürden setzt. Vgl. hierzu etwa Wolfgang Neš-kovic, Position von Wolfgang Neškovic. Verfassungsschutz: Re-form – ja, Abschaffung – nein!, Link: http://www.wolfgang-neskovic.de/files/121026__reform_des_ verfassungsschutzes.pdf.Neškovic spricht sich allerdings regelmäßig auch für die Ab-schaffung der Landesämter zugunsten eines zentralen Bun-desverfassungsschutzes sowie für die Abschaffung des Instru-ments der V-Leute aus; Positionen, die von Hamburg aus-drücklich nicht geteilt werden. Vgl. auch Referat auf dem Sym-posium des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg, 14. Mai 2013, Link: http://www.wolfgang-neskovic.de/files/130513_rede_beim_verfassungsschutz_hamburg.pdf.

81) Vgl. Manfred Murck, Neuausrichtung des Verfassungs-schutzes im föderalen System. Verändertes Aufgabenprofil, en-gere Zusammenarbeit und mehr Transparenz, Link: http://www.hamburg.de/contentblob/4107188/data/nachrichten-dienst-konferenz-september-2013. pdf, 10.

82) Befürwortend hier etwa Manfred Murck, a. a. O. Vgl. auch dieEmpfehlungsziffern 41-43 des Bundestags-Untersuchungsaus-schusses, Kapitel 6.4.4.

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tisch beurteilt. Demgegenüber wurde und wirdeinem engeren Verbund der Landesämter, wie erseit 2001 entwickelt wurde und im Nachgang zurAufdeckung des NSU-Komplexes noch einmalweiter intensiviert wird, der Vorzug gegeben. Die-ser Verbund soll regionale Kompetenz, arbeitstei-lige Expertise und gemeinsam finanzierte Kompe-tenzzentren kombinieren. Zugleich hat es zwi-schen den Landesämtern aller oder einiger nörd-licher Länder immer wieder themen- oder anlass-bezogen intensivierte Zusammenarbeit gegeben,etwa bei der Erstellung phänomenbezogener La-gebilder im Auftrag der Innenminister der Länderoder künftig in Hinsicht auf gemeinsame Präven-tionsaktivitäten im Bereich des Rechtsextremis-mus.83)

Für Hamburg und seine Nachbarländer hat die sogenannte Nord-IMK84) im Oktober 2013 ihre Lan-desämter für Verfassungsschutz (LfV) beauftragt,in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zu prüfen,ob deren Arbeit künftig durch Bildung von Kom-petenzzentren – etwa in technischen Bereichen,aber mittelfristig auch in der Auswertung oder Be-schaffung – effektiver und effizienter gestaltetwerden kann. Mit der Bildung von Kompetenzzen-tren wird aus Hamburger Sicht den Vorteilen derföderalen Struktur zum einen, den unbestrittenenLeistungsgrenzen kleinerer Landesämter zum an-deren Rechnung getragen, indem man zugleichgezielt besondere Stärken und Fähigkeiten ein-zelner Ämter für andere nutzbar macht. Die Lei-tungen der Landesverfassungsschutzämter derNordländer haben entsprechend auf einer erstengemeinsamen Sitzung im Dezember 2013 meh-rere Projekte zur Schaffung gemeinsamer Kom-petenzzentren sowie mehrere, für übergreifendeAnalysen und Konzepte geeignete Themenfelder(z. B. Austausch mit wissenschaftlichen Einrich-tungen) festgelegt, erste Realisierungsvorschlägesollen auf der nächsten Sitzung der Nord-IMK imOktober 2014 vorgelegt werden.

„2. Trennungsgebot

2.1 Beibehaltung des Trennungsgebotes

– Die Trennung zwischen Verfassungsschutz undPolizeibehörden sollte beibehalten werden.

– Ursächlich für die zahlreichen erkanntenSchnittstellenprobleme bzw. Defizite in der Zu-sammenarbeit zwischen Verfassungsschutzund Polizeibehörden war ein „Trennungsgebotin den Köpfen“. Diese „Kopfsperre“ muss bei Po-lizei und Verfassungsschutz zu Gunsten einesgemeinsamen Verständnisses von Verantwor-tung für die Sicherheit abgebaut werden.“

Der Umgang mit dem historisch wohl begründe-ten Trennungsgebot gehört zu den komplexenHerausforderungen der politisch-administrativenGestaltung, dies sowohl im Nachgang zu denSchwachstellenanalysen im NSU-Komplex wie inder Reaktion auf das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts zum Antiterrordateigesetz.85) Un-streitig haben Defizite in der informationellen Zu-sammenarbeit zwischen Polizeien und Nachrich-tendiensten – oft und nicht immer zutreffend mitdem Trennungsgebot begründet – zu dem Versa-gen der Sicherheitsarchitektur im NSU-Komplexbeigetragen. So stehen denn auch sämtlicheEmpfehlungen, u. a. des Bundestags-Untersu-chungsausschusses, betreffend den interinstitu-tionellen Informationsaustausch im Spannungs-feld zwischen

– erforderlicher Beachtung des historisch be-gründeten, zuletzt verfassungsgerichtlich be-kräftigten Trennungsgebotes86) und

– erforderlichem Ausbau der informationellenZusammenarbeit bei der Bekämpfung allerFormen des Extremismus bzw. zur Behebungerkannter Schwachstellen der Sicherheitsar-chitektur im Rahmen des NSU-Komplexes.

In diesem Zusammenhang kollidieren etwa oftForderungen, insbesondere nach konsequenterBekämpfung des Rechtsextremismus, mit Forde-rungen nach konsequenter Befolgung des Tren-nungsgebotes aus gleicher Quelle. Ebenso kolli-dieren Forderungen nach engerer Zusammenar-beit bei Prävention wie Strafverfolgung – etwa ingemeinsamen Zentren wie dem GETZ – mit Kritikan einer angeblichen Aufweichung des Tren-nungsgebotes durch diese neuen Zusammenar-beitsplattformen. Der erforderlichen praktischenAusgestaltung des Trennungsgebotes kommtdaher eine besondere Bedeutung zu; wenig über-raschend sind hier nicht alle Empfehlungen desUntersuchungsausschusses und der BLKR mit-einander bzw. mit dem durch das Bundesverfas-sungsgericht bekräftigten „informationellen Tren-nungsprinzip“ ohne Weiteres vereinbar und daher

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

83) Gemeinsame Kabinettssitzung der Landesregierung vonSchleswig-Holstein und des Senats der Freien und HansestadtHamburg am 10. September 2013 in Hamburg, TOP 4.

84) Teilnehmer der Nord-IMK sind neben Hamburg die Länder Bre-men, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nie-dersachsen.

85) Vgl. hierzu Kapitel 7.86) Vgl. zusammenfassend Wissenschaftliche Dienste des Deut-

schen Bundestages: Aktueller Begriff. Die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts zum Antiterrordateigesetz; Link:http://www.bun-destag.de/dokumente/analysen/2013/Die_Ent-scheidung_des_Bundesverfassungsgerichts_zum_ Antiterror-dateigesetz.pdf.

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Gegenstand laufender und künftiger administrati-ver wie politischer Debatten.

Der Senat befürwortet ausdrücklich die Beibehal-tung des Trennungsgebotes, dies nicht nur aushistorischen Gründen, sondern vor allem wegender erforderlichen Trennung von nachrichten-dienstlichen Befugnissen und vollziehender Ge-walt und damit als Mittel der Machtkontrolle im de-mokratischen Rechtsstaat. Wo die BLKR und an-dere eine Aufhebung der „Sperre in den Köpfen“der Handelnden in den Sicherheitsbehörden for-dern, muss es daher um eine verständige Ausle-gung und Anwendung des Trennungsgebotes,nicht um seine schrittweise Abschaffung gehen.Dies ist in erster Linie eine Frage der täglichenZusammenarbeit, der Führung sowie der Aus-und Fortbildung. Zu Recht weisen einige Untersu-chungsgremien dem Bereich Aus- und Fortbil-dung bei Polizei wie Nachrichtendiensten zudemauf die notwendige Beteiligung der Staatsanwalt-schaften hin. Ein gemeinsames wie ein institutio-nelles Aufgabenverständnis der Sicherheits- undStrafverfolgungsbehörden ist hierfür ebenso Be-dingung wie klare Handreichungen zur Praxis desInformationsaustausches, aber auch zu Fragendes Geheimschutzes etc., auf die im Folgendennoch einzugehen sein wird.

Die Hamburger Sicherheitsbehörden haben sichbereits an mehreren Initiativen beteiligt, die be-reits seit 2011 zur Klarstellung der Rahmenbedin-gungen und Verfahrensweisen ergriffen wurden,so etwa an

– der Erarbeitung des neuen Leitfadens zur Op-timierung der Zusammenarbeit von Polizei undVerfassungsschutz (VS-NfD) (im Folgenden:Leitfaden), der auf der Sitzung der IMK am5./6. Dezember 2013 beschlossen wurde87)

– den laufenden Arbeiten auf Bund-Länder-Ebene zur Feststellung des Handlungsbedarfsin der Folge des ATD-Urteils des Bundesver-fassungsgerichts zum Informationsaustauschzwischen Polizei und Verfassungsschutz, soetwa in Hinsicht auf die Änderung der Über-mittlungsvorschriften des BfV an die Polizeienim Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)

– den Arbeiten zur Neuausrichtung des Verfas-sungsschutzes, etwa im Bereich Informations-übermittlung oder Aus- und Fortbildung.

„2.2 Amtshilfe

– Amtshilfe durch eine Verfassungsschutz-behörde für die Polizei mittels nachrichten-dienstlicher Maßnahmen, welche mit einem Ein-griff in Grundrechte von Bürgern verbundensind, ist nicht zulässig.

– Soweit Verfassungsschutzbehörden in eigenerZuständigkeit anlässlich eines Ersuchens derPolizei tätig werden, ist aus Gründen der Zweck-und Verhältnismäßigkeit zu prüfen, welchesnachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werdendarf. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf wirdnicht gesehen. Die Problematik der Amtshilfesollte in den untergesetzlichen Zusammenar-beitsvorschriften berücksichtigt werden.“

Dieser Empfehlung der BLKR liegen Analysender Vorschriftenlage in ausgewählten Ländern zu-grunde; Hamburg gehört nicht dazu. Die Empfeh-lung ist für Hamburg entbehrlich, da nach über-einstimmender Einschätzung von Polizei und Ver-fassungsschutz die Praxis der Amtshilfe – hier un-geachtet des Informationsaustausches – gut funk-tioniert, so etwa im Bereich Technik. Eine gemein-same Arbeitsgruppe der Arbeitskreise II und IVder IMK hat bereits in der Vergangenheit die Tech-nikfelder IuK-Forensik, Telekommunikationsüber-wachung, Einsatztechnik und Internetbearbei-tung als geeignete Kooperationsfelder für Poli-zeien und Verfassungsschutzämter identifiziert.Entsprechende Regelungen in anderen Berei-chen der Amtshilfe sieht der o. g. Leitfaden vor,der im Dezember 2013 von der Innenministerkon-ferenz beschlossen wurde.

„3. Verbesserung der Zusammenarbeit 3.1 Stärkung der Zentralstelle – Stärkung des Ver-

fassungsschutzverbundes – Das BfV sollte als Zentralstelle sichtbar gestärkt

werden. Dazu ist es notwendig, das BfV – ver-gleichbar mit dem BKA – ausdrücklich im Ge-setz als Zentralstelle zu bezeichnen.

– Über die bestehende untergesetzliche Rege-lung in der Zusammenarbeitsrichtlinie hinaus istdie Verpflichtung zum Informationsaustauschzwischen der Landes und der Bundesebene aufgesetzlicher Ebene durch eine Änderung von §5BVerfSchG zu regeln und deutlich zu erweitern.

– Landesbehörden müssen danach zukünftig ge-setzlich verpflichtet sein, ihre Informationen aus

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

87) Die Überarbeitung des Leitfadens wurde 2009 begonnen, er-hielt jedoch durch die Aufdeckung der Defizite im Rahmen desNSU-Komplexes im Jahr 2011 noch einmal veränderte Impulseund deutlich höhere Bedeutung, dies auch im Kontext der be-reits früh erkannten Notwendigkeit erhöhter Handlungssicher-heit für Mitarbeiter und der geforderten erhöhten Sensibilitäteinzelner Institutionen für die Belange anderer Sicherheits-behörden. Da der Leitfaden eingestuft ist (VS-NfD), kann hiernur kursorisch auf Inhalte hingewiesen werden. U. a. behandeltder Leitfaden: (1) Handlungsfelder und Schnittstellen der Zu-sammenarbeit zwischen Polizeien und Verfassungsschutz, (2)Plattformen der Zusammenarbeit und des Informationsaustau-sches, (3) Fragen der Zusammenarbeit bei Analysen sowie La-gefällen sowie der (4) Kooperation bei operativen Maßnahmen,Technik und Prävention.

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allen Phänomenbereichen sowie darauf basie-renden Auswertungen an das BfV zu übermit-teln. Das BfV muss im Gegenzug dazu umfas-send die Informationen und Auswertungen andie Landesbehörden übermitteln, bei denen einBezug zum jeweiligen Land besteht. Die In-formationsübermittlung muss jeweils unverzüg-lich erfolgen.

– In den Fällen des § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 4BVerfSchG (Erstrecken über den Bereich einesLandes hinaus oder eine Landesbehörde fürVerfassungsschutz ersucht das BfV um Tätig-werden) besteht die Notwendigkeit, eine gesetz-liche Verpflichtung zu einer gemeinsamen Aus-wertung zu schaffen.

– Darüber hinaus müssen sich in diesen Fällendas BfV und die jeweils betroffene Landes-behörde für Verfassungsschutz bei operativenMaßnahmen abstimmen, um Doppelarbeit bzw.die parallele Durchführung gleicher Maßnah-men (zu, BIS) vermeiden. Rechtliche Risiken imHinblick auf das Übermaßverbot lassen sichdamit ebenso wie der nicht erforderliche Ein-satz personeller und materieller Ressourcenausschließen.

– Zur Umsetzung dieser Vorschläge wird auf denentsprechenden Gesetzentwurf verwiesen ...“

Grundsätzlich unterstützt der Senat die Forde-rung nach einer Stärkung der Zentralstellenfunk-tion des BfV; auch gegenüber einer entsprechen-den Verankerung des Begriffs im BVerfSchG be-stehen keine Vorbehalte (s. o.). Die bereits in derZusammenarbeitsrichtlinie geregelten Befugnis-se des BfV zur Koordinierung länderübergreifen-der Maßnahmen könnten aus Sicht des LfV auchgesetzlich normiert werden. In diesem Zusam-menhang muss allerdings definiert werden, wieAufgaben, Verpflichtungen (hier insbesondere In-formationspflichten) und Befugnisse aufzuteilensind. Weisungsrechte des BfV gegenüber denLandesämtern lehnt das LfV – wie im Übrigenauch die BLKR – ab.

Mit der Inbetriebnahme der Datenbank „Nach-richtendienstliches Informationssystem-Wissens-netz“ (NADIS WN) im Juni 2012 verfügt das BfVbereits über weitgehende Möglichkeiten, ausge-wählte Daten der Landesämter abzurufen (inklu-sive analytischer Verknüpfungsmöglichkeiten).Für einen vollständigen Zugriff durch das BfVwären allerdings bundesgesetzliche Neuregelun-gen erforderlich, die weiter ausstehen.

In den geltenden Informationsübermittlungsvor-schriften ist geregelt, welche den Landesämternfür Verfassungsschutz jeweils vorliegenden Infor-mationen übermittelt werden sollen, bzw. wie ent-

schieden wird, welche Informationen für das BfVrelevant bzw. erforderlich und daher zu übermit-teln sind. Dem Wunsch nach Übermittlung allerInformationen stehen jedoch begrenzte Kapazitä-ten zur Analyse gegenüber; mit der Auswertungsämtlicher in den Ländern vorliegenden Informa-tionen wäre das BfV vermutlich deutlich überfor-dert. Daher käme dem BfV nach Ansicht des LfVHamburg eine wichtigere Rolle als Kompetenz-zentrum, etwa für technische Anwendungen oderim Bereich gemeinsamer Auswerteprojekte zu.

„3.2 Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden – Zukünftig sollten alle den ermittelnden Polizei-

beamten vorliegenden Informationen auch dar-auf hin geprüft werden, ob sie für andere Behör-den bzw. Strafverfahren von Bedeutung seinkönnten. Dabei muss eine lückenlose Doku-mentation der Zusammenarbeit sichergestelltsein. Informationen an andere Behörden sollendeshalb grundsätzlich schriftlich erfolgen.

– Auf die Pflicht zur Prüfung einer Informations-übermittlung an andere Behörden, die Notwen-digkeit der Klarheit der übermittelten Inhaltesowie der grundsätzlich Pflicht zur schriftlichenDokumentation sollte in der Aus und Fortbildungfür den Polizeivollzugsdienst besonderes Au-genmerk gelegt werden.“

Ungeachtet der Erfahrung, nach der Informations-bedarfe grundsätzlich unbegrenzt, Informations-verarbeitungskapazitäten hingegen grundsätzlichbegrenzt sind, zum anderen das eigene institutio-nelle Informationsverhalten in der Regel positivereingeschätzt wird als das anderer Beteiligter, istder Empfehlung der BLKR zuzustimmen. So wer-den beim LKA Hamburg vorliegende Informatio-nen bereits jetzt unter Berücksichtigung der ge-setzlichen Regelungen daraufhin geprüft, obdiese für andere Behörden bzw. Strafverfahrenvon Bedeutung sein könnten. Da die von ver-schiedenen Gremien empfohlene Aufnahme desThemas „NSU“ in die polizeiliche Ausund Fortbil-dung88) bereits als konsentiert gelten kann, wirddie von der BLKR empfohlene Verdeutlichung dergenerellen wie der aufgabenorientierten Informati-onsübermittlungsbedarfe gesichert sein.

Auch aus Sicht des LfV Hamburg ist diese Emp-fehlung grundsätzlich zu unterstützen, da rele-vante Informationen z.B. zur Finanzierung odersonstigen Logistik extremistischer Personen undOrganisationen nicht nur im Bereich des Verfas-sungsschutzes und des polizeilichen Staats-schutzes, sondern auch bei vielen anderenDienststellen anfallen. Eine entsprechende Sensi-bilisierung sämtlicher Sicherheits- und Strafver-folgungsbehörden, aber auch anderer Dienststel-

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len ist daher zu begrüßen. Aus Sicht des Verfas-sungsschutzes liegt auch in der an anderer Stellegeforderten früheren Einbeziehung der Staats-schutzdienststellen der Landeskriminalämter (alswesentlicher Schnittstelle zu den Landesämternfür Verfassungsschutz) in kriminalpolizeiliche Er-mittlungen,89) insbesondere bei Gewalttaten mitunklarer Motivlage, eine Perspektive für eine ver-besserte Informationsübermittlung im Sinne derEmpfehlung der BLKR.

„3.3 Zentrale/Dezentrale Ermittlungsführung

– Unabhängig von der hypothetischen Frage, obder NSU-Komplex durch eine zentral geführteErmittlung oder in einem Sammelverfahren beieiner Staatsanwaltschaft frühzeitiger hätte auf-geklärt werden können, lagen die gesetzlichenVoraussetzungen für die Zusammenführung derErmittlungen sowohl im Bereich der Staatsan-waltschaften als auch bei den Polizeibehördenschon frühzeitig vor.

– Die Regelungen in Nr. 25 RiStBV sind für dasFühren von staatsanwaltschaftlichen Sammel-verfahren zwar verpflichtend. Die Justiz musssie aber in entsprechenden Fällen auch anwen-den und Rechtspraxis werden lassen. Gleich-zeitig wird damit die Frage einer polizeilich zen-tral geführten Ermittlung i. v. § 18 BKAG (Koordi-nierung bei der Strafverfolgung) i. V. m. Nr. 28RiStBV geklärt.

– Das Bundesministerium des Innern und dasBKA müssen daneben ihren rechtlichen Hand-lungsrahmen aus §§ 4 (Wahrnehmen polizeili-cher Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfol-gung durch das BKA) und 18 BKAG konsequentausschöpfen.“

Der Bewertung der BLKR, dass die Bedeutungzentraler Ermittlungen bei länderübergreifendenTatserien eine Lehre aus dem NSU-Komplex seinmuss, obwohl nicht mehr zu klären sein wird, obdadurch die Tatserie früher hätte beendet werdenkönnen, stimmt Hamburg als Tatortland zu. DieBIS wertet die Bearbeitung komplexer Ermitt-lungsvorgänge unter einer einheitlichen – auchstaatsanwaltschaftlichen – Führung grundsätzlichpositiv, macht jedoch darauf aufmerksam, dassdiese Forderung sich grundsätzlich an die Staats-anwaltschaften mit Ermittlungshoheit und Sach-leitungsbefugnis bzw. im Fall des BKA an die Bun-desebene richtet. Dass dabei die Lehren aus dereher zurückhaltenden Teilzentralisierung der poli-zeilichen Ermittlungen in der BAO Bosporus ge-zogen worden sind, ist selbstverständlich. Auchnach Auffassung der Behörde für Justiz undGleichstellung erscheint es grundsätzlich sach-dienlich, gegen bundesweit agierende Täter Sam-

melverfahren in der Hand einer Staatsanwalt-schaft zu führen.90)

„3.4 Harmonisierung bestehender gesetzlicherÜbermittlungsvorschiften auf Landes undBundesebene

– Die Übermittlungsvorschriften in Bund und Län-dern müssen vereinheitlich werden, damit alleSicherheitsbehörden auf Bundes und Landese-bene von einem einheitlichen Rechtsstandardausgehen können. Die gesetzlichen Vorschrif-ten zur informationellen Zusammenarbeit müs-sen dabei sicherstellen, dass Schnittstellenpro-bleme, unterschiedliche fachliche Standardsund unterschiedliche Bewertungen bestimmterSachverhalte, mangelnde Kenntnisse der Ar-beitsweise des jeweiligen Gegenübers best-möglich überwunden bzw. kompensiert werdenkönnen. Behördenegoismen und ein unreflek-tiertes Streben nach Geheimhaltung müssenunter allen Umständen vermieden werden.

– Im Vordergrund stehen dabei Vorschriften, diedie Informationsübermittlung von Verfassungs-schutzbehörden an Sicherheits- und Strafverfol-gungsbehörden regeln.

– Das Grundrecht der informationellen Selbstbe-stimmungen schließt in diesem Zusammen-hang allerdings eine voraussetzungslose undverpflichtende Übermittlung aller in den jeweili-gen Bereichen anfallenden und für den jeweili-gen Empfänger nützlichen oder in irgendeinerWeise hilfreichen Informationen aus.“91)

Bei der Leitfrage, ob und inwieweit die föderale Si-cherheitsarchitektur strukturelle Ursache desScheiterns der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex war, hat die BLKR sich insbesondere aufdie Untersuchung von Schnittstellenproblemen inden Ermittlungen konzentriert. Dabei kommt siehier wie später an anderer Stelle immer wieder zuder Empfehlung, gesetzliche Vorschriften zu har-monisieren, um Auslegungsprobleme zu mindernund einheitliche Handhabung zu gewährleisten.Dieser Forderung ist hier wie an den anderenStellen zuzustimmen; Hamburger Sicherheits-behörden werden sich daher an den laufendenbzw. jetzt anstehenden Arbeiten auf Bund-Län-der-Ebene konstruktiv beteiligen. So wird auchdie hier geforderte Harmonisierung bestehendergesetzlicher Übermittlungsvorschriften auf Landes-und Bundesebene positiv bewertet. Während die

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88) Vgl. Kapitel 6.4.4, Empfehlungsziffer 19. 89) Vgl. Kapitel 6.4.4, insbesondere Empfehlungsziffern 1 und 5. 90) Vgl. auch die Ausführungen im Kapitel 6.4.4 (Empfehlungs-

ziffer 27).91) Fehler wie im Original.

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Übermittlungspraxis und –vorschriften der Verfas-sungsschutzämter hier im Vordergrund stehen,empfiehlt es sich, auf Ebene der IMK zu prüfen,ob eine Harmonisierung polizeigesetzlicher Re-gelungen erforderlich ist. Grundsätzlich gilt: Ein-heitliche Vorschriften und Standards reduzierenReibungsverluste an Schnittstellen deutlich, un-terstützen das bereits an anderer Stelle gefor-derte gemeinsame Aufgabenverständnis undkönnen somit die Zusammenarbeit der Sicher-heitsbehörden vereinfachen.

Aus Sicht der Justiz erscheint die Einführung be-stimmter Informationsverpflichtungen der Verfas-sungsschutzbehörden an die Staatsanwaltschaf-ten bzw. deren Ergänzung begrüßenswert. Obund inwieweit ein Bedürfnis zur bundesweitenVereinheitlichung der Vorschriften zur Übermitt-lung von Informationen zwischen Verfassungs-schutz, Polizei und Staatsanwaltschaft sowie zuderen Ausweitung in Einzelnen besteht, bedarf imHinblick auf die Vielzahl der Regelungen und derwiderstreitenden Interessen einer auf Bundes-wie Landesebene die Justiz- und Innenressortsübergreifenden Befassung.

Im zweiten bzw. dritten Teil der Empfehlung gehtdie BLKR auf die im Rahmen ihrer Schnittstellen-untersuchung festgestellten Informationsdefiziteder Landesämter für Verfassungsschutz ggü. derPolizei, etwa bei der Suche nach den unterge-tauchten NSU-Mitgliedern, ein. Auch hier soll eineHarmonisierung der Vorschriften zu einer einheit-lichen, offensiveren Handhabung führen. Das LfVHamburg weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass die Übermittlungsvorschriften in denVerfassungsschutzgesetzen bereits weitgehendidentisch sind; Unterschiede liegen eher in derpraktischen Handhabung dieser Vorschriften.92)

Grundsätzlich votiert die BLKR hier jedoch füreinen intensiveren Informationsaustausch (insbe-sondere vom Verfassungsschutz an die Polizei),während, wie bereits zum Trennungsgebot ausge-führt, das Bundesverfassungsgericht eine das in-formationelle Trennungsgebot gestärkt sehen will.

Der dritte Anstrich der Empfehlung bezieht sichauf die zusätzlich problematische Abwägung imFalle der Weitergabe von Quelleninformationendurch Verfassungsschutzämter, hier zwischendem erforderlichen Schutz der Quelle und der er-forderlichen Informationsweitergabe. Die BLKRspricht sich hier für eine grundsätzlich offensiverePrüfung einer Übermittlungsmöglichkeit, gegendie grundsätzliche Verweigerung einer Übermitt-lung mit Verweis auf Quellenschutz, jedoch auchgegen eine grundsätzliche Übermittlung – ohneRücksicht auf die Rechte der Quelle bzw. die Für-

sorgepflicht der Sicherheitsbehörde ggü. mensch-lichen Quellen – aus. Diese Haltung teilt derSenat, dies auch unter Hinweis auf die grundsätz-lich gute informationelle Zusammenarbeit derHamburger Sicherheitsbehörden.

„3.5 Zusammenarbeit zwischen Polizeibehördenund Verfassungsschutz in der Praxis

– Der Kommission ist bewusst, dass die Sicher-heitsbehörden ihre Zusammenarbeit nach demAbtauchen des Trios im Jahr 1998 zwi-schenzeitlich, etwa nach den Anschlägen vom11. September 2001, aber auch nach der Auf-deckung der Verbrechen des NSU im November2011 auf verschiedenen Ebenen, insbesonderedie Kooperation von Polizei und Verfassungs-schutz, weiter ausgebaut haben.

– Die im Leitfaden „Optimierung der Zusammen-arbeit von Polizei und Verfassungsschutz“ be-schriebenen Zusammenarbeitsformen müssenin der Praxis durch die Sicherheitsbehördenweiter intensiviert werden, um das Gefähr-dungspotenzial von extremistischen/terroristi-schen Personen und Gruppierungen frühzeitigzu identifizieren und in gemeinsamer Abstim-mung darauf reagieren zu können. Dabei ste-hen operative Maßnahmen – soweit erforderlichunter Einbindung der sachleitenden Staatsan-waltschaften – im Vordergrund.

– Es wäre sinnvoll, bei der Übermittlung von Er-kenntnissen der Verfassungsschutzbehördenan die Polizei ein standardisiertes Verfahren füreine strukturierte Informationsübermittlung zuentwickeln. Dabei ist darauf zu achten, dass dieInhalte der gegenseitigen Informationsübermitt-lungen den jeweiligen Bedürfnissen des Emp-fängers gerecht werden.“

Mit dieser Empfehlung reagiert die BLKR auf eineverbreitete Argumentation in der Folge der kriti-schen parlamentarischen wie öffentlichen De-

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92) Dies gilt vor allem für § 20 Bundesverfassungsschutzgesetz,wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz den Staats-anwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichenSachleitungsbefugnis, den Polizeien von sich aus die ihmbekannt gewordenen Informationen einschließlich personen-bezogener Daten übermittelt, wenn tatsächliche Anhalts-punkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinde-rung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist.Zur Definition der Staatsschutzdelikte zieht das BVerfSchG dieKataloge der §§ 74a, 120 GVG und die in Artikel 73 Nr. 10 Buch-stabe b und c des Grundgesetzes genannten Schutzgüterheran. Dem entsprechen die Regeln in den Landesverfas-sungsschutzgesetzen überwiegend, teilweise werden jedochauch andere Normen, insbes. § 100a StPO, und abstrakte Kri-terien herangezogen; Unterschiede bestehen überdies in demjeweils erforderlichen Verdachtsgrad sowie bei der Festlegung,inwieweit die Informationsweitergabe verpflichtend ist oder imErmessen der Verfassungsschutzbehörde steht.

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batte über das Scheitern einzelner Sicherheits-behörden nach der Aufdeckung des NSU-Kom-plexes, namentlich auf die Feststellung, bereitsaus den Defiziten der Sicherheitsarchitektur imVorfeld der Terroranschläge in den VereinigtenStaaten im September 2001 seien Konsequenzengezogen worden, etwa mit der begonnenen Ent-wicklung zu einem Verfassungsschutzverbund.Diese Feststellung ist zwar eindeutig zutreffend,verkennt aber im Zusammenhang der NSU-Aufar-beitung gerade die Tatsache, dass Fortentwick-lungen und Modernisierungen seit 2001 offenkun-dig nicht geeignet waren, die Entwicklungen desRechtsterrorismus, seine Tatserie sowie dasmehrjährige Abtauchen der NSU-Mitglieder zu er-kennen, zu verhindern oder zu verkürzen.

Insbesondere der letzte Teil der Empfehlung trifftnach Ansicht der Sicherheitsbehörden den Kerndes erkannten Problems in der Zusammenarbeitzwischen Verfassungsschutz und Polizei, der vorallem in den institutionell begründeten unter-schiedlichen Perspektiven (Aufklärung vs. Gefah-renabwehr/Strafverfolgung), aber auch in einergewachsenen Bewertungskultur begründet liegt,die auf allen Seiten zu überprüfen ist. Insofernwird auf die Ausführungen zum gemeinsamenAufgabenverständnis, zu offensiver Prüfung einerInformationsweitergabe und die damit verbun-dene Notwendigkeit für Maßnahmen im Rahmender Aus- und Fortbildung hingewiesen.

In diesem Zusammenhang ist aber auch festzu-halten, dass der regelmäßige Informationsaus-tausch der Hamburger Sicherheitsbehörden, derin der Folge der NSU-Aufdeckung bzw. in denneuen Zusammenarbeitsplattformen wie demGETZ noch einmal intensiviert wurde, grundsätz-lich gut funktioniert und weder BLKR noch derBundestags-Untersuchungsausschuss Informa-tionsdefizite Hamburger Sicherheitsbehörden –landesintern wie nach außen – festgestellt haben.Gleichwohl werden Empfehlungen zur Harmoni-sierung oder strukturierten Übermittlungsverfah-ren hier mitgetragen. Hier gibt auch der bereits er-wähnte Leitfaden Orientierungen.

„3.6 Zusammenarbeit zwischen Staatsanwalt-schaft und Verfassungsschutz in der Praxis

– Die gesetzlich vorgesehenen Informationsver-pflichtungen der Staatsanwaltschaften müssengegenüber den Verfassungsschutzbehörden inder Praxis konsequent umgesetzt werden. DiePflicht zur Umsetzung obliegt den sachleiten-den Staatsanwälten selbst.

– Staatsanwälte sollten deshalb mit den nach-richtendienstlichen Vorschriften und den hierzu

existierenden Verwaltungsvorschriften vertrautsein.

– Daneben sollten auf Arbeitsebene regelmäßigzwischen staatsanwaltschaftlichen Sachbear-beitern und Mitarbeitern der Verfassungs-schutzbehörden Erfahrungen ausgetauschtwerden, um das Verständnis für die Arbeits-weise und die Erfordernisse der jeweils anderenBehörde zu verbessern.

– Um der Nr. 205 RiStBV einen verbindlicherenCharakter zu geben und die Vorschrift zu kon-kretisieren, sollte sie entsprechend dem Vor-schlag (...) umformuliert bzw. erweitert wer-den.“

Für den aus dieser Empfehlung folgenden gene-rellen Regelungsbedarf sind im Hinblick auf dieRiStBV in erster Linie das Bundesministerium derJustiz und für Verbraucherschutz und die Landes-justizverwaltungen zuständig. Etwaige Beratun-gen werden im Unterausschuss der Konferenzder Justizministerinnen und Justizminister für dieRiStBV unter der Leitung Hessens geführt undvon Hamburg konstruktiv begleitet.

Grundsätzlich gilt: Die gesetzlichen Mitteilungs-pflichten müssen den Strafverfolgungsbehördenbekannt sein und von diesen umgesetzt werden.Dies ist regelmäßig der Fall. Dennoch erscheinteine fortlaufende Sensibilisierung, z. B. bei Gele-genheit von ggf. auch gemeinsamen Fortbildun-gen, hilfreich und sinnvoll.

Die Umsetzung der an die Staatsanwaltschaftengerichteten Unterrichtungspflichten liegt in derenVerantwortlichkeit. Dies setzt eine eigene Prüfungvoraus, ob im konkreten Fall Tatsachen oder Infor-mationen im Sinne der gesetzlichen Übermitt-lungsvorschriften bekannt geworden sind. Liegensolche Tatsachen oder Informationen vor, unter-richtet die Staatsanwaltschaft die Verfassungs-schutzbehörde unmittelbar, insbesondere überden Abschluss justizieller Verfahren. Soweit dieStaatsanwaltschaft in Ausübung ihrer Sachlei-tungsbefugnis entsprechende Erkenntnissewährend eines laufenden Ermittlungsverfahrensnicht unmittelbar, sondern über die mit den Er-mittlungshandlungen beauftragte Polizei an dieVerfassungsschutzbehörde weiterleitet, werdendie weiterzuleitenden Erkenntnisse gegenüberder Polizei genau bezeichnet.

Die in der Empfehlung enthaltene Forderungnach einem regelmäßigen Erfahrungsaustauschwird unterstützt, das Landesamt für Verfassungs-schutz bietet des Weiteren gemeinsame Fortbil-dungen an. Ein anlassunabhängiger Informa-tionsaustausch findet in Hamburg im Rahmen

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einer einmal pro Monat stattfindenden Sitzungstatt, an der die Polizei (LKA Hamburg und Bun-despolizei), die Staatsanwaltschaften in Hamburg(GenStA und StA) sowie die Nachrichtendienste(LfV, BfV, BND und MAD) teilnehmen.93) Eine stän-dige Einbindung des Bundeskriminalamtes ausGründen der Gefahrenabwehr kann sachgerechterscheinen, ist aus Sicht der Strafverfolgung je-denfalls in der Ausgestaltung als regelmäßigeTeilnahme des Bundeskriminalamtes nicht zwin-gend erforderlich. In diesem Rahmen werden an-lassbezogen auch Übermittlungsdefizite themati-siert.94)

Die vorgeschlagenen Änderungen und Erweite-rungen der Nr. 205 RiStBV sind – vorbehaltlichder noch ausstehenden Beratungen in den zu-ständigen Gremien – grundsätzlich zu begrüßen.Ob die in Erwägung gezogene Neufassung derVorschrift einschließlich der in einem neuen Ab-satz 2a vorgesehenen regelhaften Anfrage derStaatsanwaltschaft an die Verfassungsschutz-behörden zu einem Mehrgewinn an verfahrensre-levanten Erkenntnissen führen wird, kann derzeitjedoch nicht sicher eingeschätzt werden.

„3.7 Geheimschutz und Verwertbarkeit von einge-stuften Informationen

– Im Sicherheitsüberprüfungsgesetz sollte eineklarstellende Regelung erfolgen, die das „Needto Know“-Prinzip gesetzlich verankert und dane-ben die Reichweite einer Pflicht zur Informa-tionsübermittlung („Need to Share“) im Inter-esse klarer Handlungsanweisungen näher be-stimmt. Weiterer Änderungsbedarf besteht nicht.

– Gerade innerhalb der Verfassungsschutzbehör-den sollte zudem die Handlungssicherheit derMitarbeiter bei der Einstufung von geheimhal-tungsbedürftigen Informationen erhöht werden.Ziel muss es sein, die oftmals überzogene Ein-stufungspraxis nicht fortzuführen, sondern jedeEinstufung kritisch im Sinne von § 4 Abs. 1 und2 SÜG zu hinterfragen.

– Im Bereich von Polizei und Justiz muss sicher-gestellt sein, dass die tatsächlichen Bedarfsträ-ger nachrichtendienstlicher Informationen überdie erforderlichen Ermächtigungen zum Um-gang mit Verschlusssachen verfügen.

– Die Justiz sollte ihre Möglichkeiten zum Um-gang mit Verschlusssachen ausschöpfen undZeugnissen der Verfassungsschutzbehörden i. S. v. § 256 StPO zumindest den Wert einer An-lasstatsache beimessen. Nachrichtendienstemüssen auf die Belange einer effektiven Straf-rechtspflege Rücksicht nehmen und vor jederÜbermittlung prüfen, ob der gewählte Ver-

schlussgrad unbedingt erforderlich ist oder eineHerabstufung erreicht werden kann. Ist diesnicht der Fall und werden Informationen ge-sperrt, muss geprüft werden, inwieweit Zeugenvom Hörensagen benannt werden können.“

Während das Need to know-Prinzip (Kenntnis nurbei Bedarf) den grundsätzlich restriktiven Um-gang mit Verschlusssachen betrifft, geben Rege-lungen zum Need to share (Pflicht zur Informa-tionsteilung) Ermessensspielraum bei der Weiter-gabe von Informationen bzw. bei der Anwendungdes Need to know. Das Prinzip Need to know fin-det sich auf Bundesebene in der Verschluss-sachenanordnung (VSA-Bund),95) auf Landes-ebene in Hamburg im Hamburgischen Sicher-heitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜGG). Im erstenAbsatz der Empfehlung geht die BLKR zwar aus-schließlich auf bundesgesetzliche Regelungenein, doch betrifft die Forderung im Licht der Har-monisierungsempfehlungen der BLKR auch dieLändergesetze.

Die Frage der konkreten rechtlichen Umsetzungdieser Empfehlung der BLKR im Bundesrechtbzw. einer entsprechenden Harmonisierung bun-des- und landesgesetzlicher Regelungen mussauch die Maßgaben des Urteils des Bundesver-fassungsgerichts zum Informationsaustausch derSicherheitsbehörden („informationelles Tren-nungsprinzip“) berücksichtigen. Hamburg unter-stützt dabei nachdrücklich die hier wie an andererStelle geforderte Rechtsklarheit und Verbesse-rung der Handlungssicherheit für Anwender. Fürdie Strafverfolgung erscheint nach Ansicht derBehörde für Justiz und Gleichstellung (JB) eineklarstellende Erweiterung des § 4 SÜG des Bun-des sinnvoll, mit der das Need to share-Prinzip(Pflicht zur Informationsteilung, wenn diese zurAufgabenerfüllung einer anderen Behörde erfor-derlich ist) gesetzlich verankert wird und danebendie Reichweite einer Pflicht zur Informationsüber-mittlung näher bestimmt. Eine entsprechende Än-derung auch des § 4 Abs. 3 HmbSÜGG wäre indiesem Fall zu prüfen.

Grundsätzlich teilt die BIS ebenfalls die Einschät-zung der BLKR, dass wichtige Informationsüber-mittlungen nicht durch unnötige Geheimhaltungs-bedürfnisse verhindert werden dürfen. Sie wirddiesen Grundsatz in ihrer eigenen Praxis noch

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93) Die Sitzung trägt in unterschiedlichen Behörden unterschiedli-che Arbeitsnamen; dabei handelt es sich um dieselbe Sitzung,die einmal pro Monat stattfindet.

94) Vgl. auch Schriftliche Kleine Anfrage „Wildwuchs polizeilich-geheimdienstlicher Kooperationsgremien“, Drucksache 20/9232.

95) Vgl. auch Kapitel 6.4.4, Empfehlungsziffer 36.

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stärker als bisher berücksichtigen und anderenBehörden eine Herabsetzung der Einstufung imVerlauf eines Verfahrens unverzüglich mitteilen.Die Hamburger Behörden gehen davon aus, dass– vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips –die Verwendung der Zeugnisse der Verfassungs-schutzbehörden als Beweismittel oder Anlasstat-sache für die Einleitung eines strafrechtlichenErmittlungsverfahrens selbstverständlich seinsollte. Um entsprechend der Empfehlung derBLKR die Bedeutung von Behördenzeugnissendes Verfassungsschutzes in der Praxis weiter zustärken, sollen künftig Informationsveranstaltun-gen mit der Justiz stattfinden, bei denen die spe-zifischen Befugnisse und Übermittlungswege desVerfassungsschutzes vorgestellt und erörtert wer-den (eine vergleichbare Veranstaltung wurde be-reits vor mehreren Jahren mit Verwaltungsrichterndurchgeführt).

Hinsichtlich der geforderten Ermächtigungenzum Umgang mit Verschlusssachen ist diesesVerfahren bereits im Nachgang zu dem entspre-chenden Fragenkatalog der BLKR an die Länderbei der Polizei Hamburg grundlegend überprüftworden; eine unzureichende Anzahl an ermäch-tigten Mitarbeitern, etwa zur Sicherstellung ge-zielter Entgegennahme von Informationen, wurdenicht festgestellt. Dies gilt auch im Bereich derStA Hamburg.

„4. Verdeckte Informationsgewinnung

4.1 Beibehaltung des V-Manns als nachrichten-dienstliches Mittel

– Die Befugnis der Sicherheitsbehörden zum Ein-satz von Vertrauensleuten ist beizubehalten.

4.2 Einheitliche Standards

– Den Vorschlägen des AK IV im Bericht zurNeuausrichtung des Verfassungsschutzes vom3. Dezember 2012 ist zu folgen, zum Beispiel imHinblick auf einen einheitlichen Sprachge-brauch für menschliche Quellen, einheitlicheVorgaben hinsichtlich der Auswahl (u. a. Vor-strafen), Anwerbung und Führung von Vertrau-ensleuten sowie der Beendigung der Zusam-menarbeit. Ergänzend besteht gesetzgeberi-scher Handlungsbedarf, einheitliche Rahmen-bedingungen für den Einsatz menschlicherQuellen zur verdeckten Informationsgewinnungzu schaffen.“

Neben Fragen des Informationsaustauscheswaren Fragen der Auswahl und Führung von V-Leuten ein Schwerpunkt der Untersuchungenund Empfehlungen sowohl der BLKR als auchdes Bundestags-Untersuchungsausschusses.Der Senat nimmt zunächst hier wie an andererStelle positiv zur Kenntnis, dass in beiden Kern-

bereichen der Untersuchungstätigkeit beide Un-tersuchungsgremien keinerlei dezidierte Kritik ander Tätigkeit und Zusammenarbeitspraxis Ham-burger Sicherheitsbehörden formulieren.

Nach Auffassung aller Verfassungsschutzbehör-den überwiegen die Vorteile menschlicher Quel-len klar die erkannten Nachteile.96) Auch sindmenschliche Quellen für die Gewinnung von Er-kenntnissen nicht angemessen durch andere Mit-tel ersetzbar; das gilt analog für den Einsatz ver-deckter Ermittler bei den Polizeien. Daher schließtsich der Senat der grundsätzlichen Empfehlungin Ziffer 4.1 an. Die von der BLKR empfohlenenStandards sind bereits formuliert und von der IMKbeschlossen worden.97) Hamburg hat sie in denEntwurf der Neufassung der Dienstvorschrift-Be-schaffung (VS-V) aufgenommen, die nach Erörte-rung mit dem Parlamentarischen Kontrollaus-schuss am 1. April 2014 in Kraft getreten ist.98) Diejetzt bundesweit formulierten Standards sind be-reits in die Neufassung der entsprechendenDienstvorschriften eingeflossen,99) wurden aber inder Praxis des LfV Hamburg bereits seit längeremberücksichtigt.

„4.3 Anordnungsbefugnis für verdeckte Maßnah-men100)

– Es besteht keine Notwendigkeit, die Anordnungverdeckter nachrichtendienstlicher Maßnah-

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96) Zu einer dezidiert kritischen Position vgl. Wolfgang Neškovic, a. a. O. Ungeachtet dessen wird die Verhandlung über den geplantenNPD-Verbotsantrag der Debatte um den Einsatz von V-Leutenabsehbar neue Impulse verleihen.

97) Vgl. auch die Stellungnahme zu den entsprechenden Empfeh-lungsziffern des Bundestags-Untersuchungsausschusses in6.4.4, Empfehlungsziffern 44-47.

98) Vgl. Stellungnahme zu den Empfehlungen des Bundestags-Untersuchungsausschusses, insb. Empfehlungsziffern 34 und41, Kapitel 6.4.4.

99) Vgl. Kapitel 5.1.3 und Stellungnahmen zu Empfehlungsziffern44-46 in Kapitel 6.4.4.

100) Der Sprachgebrauch hinsichtlich der Begriffe für menschlicheQuellen variiert zwischen Polizei und Verfassungsschutz sowiezwischen den Ländern; die Empfehlung der BLKR ist dahermehrdeutig. Informant ist eine Person, die im Einzelfall bereitist, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfol-gungsbehörde Informationen zu geben. V-Person (VP) ist einePerson, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören,bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längereZeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätz-lich geheim gehalten wird. Darüber hinaus gibt es noch denverdeckten Ermittler (VE), der gemäß Legaldefinition des § 110a Abs. II StPO ein Beamter des Polizeidienstes ist, derunter einer ihm verliehenen, auf Dauer angelegten, veränder-ten Identität (Legende) ermittelt. Im Sprachgebrauch Hamburger Sicherheitsbehörden beziehtsich daher die erste Teilempfehlung der BLKR auf Polizei undVerfassungsschutz, die zweite ausschließlich auf die Polizei.Zu den Rechtsgrundlagen des Einsatzes menschlicher Quellenin Hamburg vgl. u. a. SKA 20/6322.

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men über die bestehenden gesetzlichen Vor-schriften hinaus unter Richtervorbehalt, eineZustimmung der G10-Kommission oder Parla-mentarischer Kontrollgremien zu stellen.

– Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssi-cherheit sollten die Vorschriften zur Anordnungdes Einsatzes Verdeckter Ermittler und langfri-stiger Observationen entsprechend den Rege-lungen der Strafprozessordnung in den Polizei-gesetzen von Bund und Ländern harmonisiertwerden.“

Während die BLKR hier – betreffend die Grundla-gen der Anordnung verdeckter nachrichtendienst-licher Maßnahmen – keine Defizite erkennenkann, wird z.B. im Abschlussbericht des Bundes-tags-Untersuchungsausschusses gerade die Er-tüchtigung der parlamentarischen Kontrolle derNachrichtendienste gefordert.101) Betreffend dieerste Teilempfehlung vermag der Senat daher imkonkreten Fall für Polizei wie VerfassungsschutzHamburg zunächst keinen weiteren Handlungs-bedarf zu erkennen, wird sich aber – auch imRahmen der jetzt anstehenden parlamentari-schen Debatten bzw. auf Bund-Länder-Ebene –grundsätzlich konstruktiv mit der Frage einer Er-tüchtigung der parlamentarischen Kontrolle aus-einandersetzen.

In der Polizei Hamburg ist die Inanspruchnahmevon Informanten und V-Personen strikten Rege-lungen und Standards unterworfen. Die entspre-chenden Dienstvorschriften unterliegen einer lau-fenden Kontrolle der für die Fachaufsicht zustän-digen Dienststelle des Landeskriminalamtes undwerden bei Bedarf an Entwicklungen im Bereichder verdeckten Verbrechensbekämpfung ange-passt.

Die Empfehlung zur Akzentuierung wie Harmoni-sierung der rechtlichen Grundlagen für den Ein-satz Verdeckter Ermittler bzw. langfristiger Obser-vationen bei der Polizei ist im Zusammenhang mitden Forderungen der BLKR nach Harmonisie-rung als Grundlage sicherer und einheitlicherAuslegung und verlässlicher Praxis in verschiede-nen untersuchten Tätigkeitsbereichen der Sicher-heitsbehörden folgerichtig und wird daher aufBund-Länder-Ebene zu prüfen sein. Dazu wirddie Abwägung möglicher deutlicher Einschrän-kungen für die Ermittlungsbehörden und derenpraktische Arbeit – etwa bei eilbedürftigen gefah-renabwehrenden Maßnahmen – durch engere ge-setzliche Vorgaben gehören.102) Unter diesem letz-ten Gesichtspunkt wird die Empfehlung innerhalbder Polizei Hamburg bisher nachvollziehbar kri-tisch bewertet.

„4.4 Strafbarkeit von Quellen

– Aus Gründen der Rechtsklarheit, Rechtssicher-heit und im Interesse der menschlichen Quellenund der VM-Führer ist eine baldige, möglichstbundeseinheitliche, gesetzliche Regelung derMaterie geboten.103)

– Ein Freibrief für V-Leute zur Begehung vonStraftaten kommt nicht in Betracht. Anstelle derin Brandenburg und Niedersachsen bestehen-den und der in Nordrhein-Westfalen vorgesehe-nen Rechtfertigungsgründe zur Begehung be-stimmter Straftaten wird angeregt, die Schaf-fung eines spezifischen Einstellungsgrundes inder Reihe der §§ 153 ff. StPO zu prüfen. Essollte in der Hand der Staatsanwaltschaften lie-gen, ein mögliches strafbares Verhalten von V-Leuten und deren V-Mann-Führern im Zusam-menhang mit der nachrichtendienstlichen Tätig-keit zu bewerten und nach dem Opportunitäts-grundsatz ggf. von einer Strafverfolgung abzu-sehen.“

In Hamburg erfolgt der polizeiliche Einsatz vonmenschlichen Quellen im Bereich der Strafver-folgung immer in Absprache mit der Staatsan-waltschaft, dies auch zu den Grenzen von derenStrafbarkeit (Beispiel: Scheingeschäfte im Be-reich Drogenhandel). Die Zusammenarbeit mitmenschlichen Quellen, die sich im polizeilichenEinsatz strafbar machen, wird sofort beendet, unddie Vertraulichkeitszusage entfällt. Insgesamt un-terliegt der Einsatz von V-Leuten wie von ver-deckten Ermittlern im Strafverfahren einer intensi-ven Prüfung durch Staatsanwaltschaften und Ge-richte.

Aus Sicht der Strafverfolgung erscheint eine bun-deseinheitliche Beurteilung der Strafbarkeitmenschlicher Quellen und der VP-Führer zwargrundsätzlich sachgerecht. Einen generellenFreibrief zur Begehung von Straftaten darf undkann es – bereits aus verfassungsrechtlichen As-pekten eines angemessenen Rechtsgüter-schutzes – dabei nicht geben. Ob und in welchemUmfang jedoch die Konstituierung speziellerRechtfertigungsgründe und/oder eine – in die Zu-ständigkeit des Bundesgesetzgebers fallende –Erweiterung der §§ 153 ff. StPO praktikabel, ver-

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101) Vgl. Kapitel 6.4.4, Empfehlungsziffern 41, 42, 43. 102) Grundsätzlich zeigt sich auch hier der latente Widerspruch zwi-

schen der Forderung nach konsequenter und verstärkter Auf-klärung und Bekämpfung des Rechtsextremismus und der For-derung nach zusätzlicher Beschränkung sicherheitsbehördli-cher Befugnisse, der in jedem Einzelfall zu entscheiden ist.

103) Zur Terminologie siehe Anmerkung zu Empfehlungsziffer 4.3.

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fassungsrechtlich zulässig, erforderlich und sach-gerecht sind, wirft schwierige tatsachenbezogeneund rechtliche Fragen auf, die der eingehendenPrüfung bedürfen.

Auf der Ebene der Verfassungsschutzämter wirddiese komplexe Materie, die zugleich den Kernge-halt der Eignung von V-Leuten zur Aufklärung wieden Kerngehalt der Kritik an ihrem Einsatzberührt, derzeit intensiv diskutiert. Neben demvon der BLKR empfohlenen Einstellungsgrundwird derzeit auch eine materiell-rechtliche Rege-lung geprüft, wie sie in einigen Verfassungs-schutzgesetzen, etwa in Niedersachsen oderNordrhein-Westfalen enthalten bzw. vorgesehenist. Die Erörterung der genannten Optionen wirdGegenstand künftiger landesinterner Debattenwie der weiteren Debatten auf Bund-Länder-Ebene sowie der Parlamente sein. Dazu gehörtvor allem die Koalitionsvereinbarung der die Bun-deregierung tragenden Parteien, die vor dem Hin-tergrund verschiedener Empfehlungen des Bun-destags-Untersuchungsausschusses104) Aussagenzu künftigen Regelungen des Einsatzes mensch-licher Quellen trifft.105)

„4.5 Umgang mit Quellenschutz

– Der Quellenschutz ist nicht absolut. Der Schutzvon Leib und Leben der Quelle, die Arbeits-fähigkeit der Verfassungsschutzbehörden unddie berechtigten Belange von Strafverfolgungund Gefahrenabwehr sind in ein angemessenesVerhältnis zu bringen. § 23 BVerfSchG (Über-mittlungsverbote) sollte daher entsprechendden Vorschlägen (...) angepasst werden.“

Die BLKR hat zutreffend den Quellenschutz alszentrales Element der Arbeit mit V-Personen,aber auch bei festgestellten Defiziten im Informa-tionsaustausch zwischen Polizei und Verfas-sungsschutz und schließlich als häufiges Argu-ment bei institutioneller Abschottung („Tren-nungsgebot in den Köpfen“) erkannt und dasThema ausführlich erörtert. Grundsätzlich ist einesorgfältige Verhältnismäßigkeitsabwägung zwi-schen dem Schutz von Leib und Leben einermenschlichen Quelle, den Belangen der Verfas-sungsschutzbehörden und den Belangen polizei-licher Strafverfolgung und Gefahrenabwehr injedem Einzelfall geboten.

Der Schutz der Vertraulichkeit muss gewährleis-ten, dass menschliche Quellen verbindliche Zu-sagen erhalten, die den Umgang mit Ihnen undihren Informationen betreffen. Zugleich wird dieBefugnis zu ihrem Einsatz zum Selbstzweck,wenn der informationelle Nutzen daraus nicht ent-stehen kann, weil Informationen mit dem pau-

schalen Verweis auf Quellenschutz verweigertwerden, die für die Arbeit anderer Sicherheits-behörden wichtig sind. Der Senat geht jedochdavon aus, das die entsprechende Praxis in denHamburger Sicherheitsbehörden differenziert,verantwortungsbewusst und mit Rücksicht auf diemenschliche Quelle ebenso wie mit Rücksicht aufdie Arbeitserfordernisse des sicherheitsbehörd-lichen Gegenübers wahrgenommen wird. Lan-desinterner Handlungsbedarf wird daher nicht ge-sehen.

„5. Einheitliche Standards bei der Informations-auswertung im Verfassungsschutz

– Es besteht kein Harmonisierungs- und Ände-rungsbedarf der Dienstvorschriften für die Aus-wertung.

– Allerdings sollte eine stetige effektive und effi-ziente Kontrolle der Auswertung und eine vertiefte„interdisziplinäre“ Aus und Fortbildung auf demGebiet der Informationsauswertung erfolgen.“

Für die Auswertung der Informationen aus G10-Maßnahmen, also aus Post- und Telekommunika-tionsüberwachung – hat das LfV eine neueDienstvorschrift-G10 mit stärkeren Kontrollmecha-nismen geschaffen, die seit 1. Oktober 2013gilt.106) Grundsätze und viele Arbeitsschritte imBereich der Auswertung nachrichtendienstlicherInformationen verändern sich aber vor allem mitder Einführung von der Datei NADIS WN im Ver-fassungsschutzverbund. Deshalb hat das LfVHamburg hier bereits gezielte Fortbildungsmaß-nahmen durchgeführt. Das BfV hat neue „Leit-linien für die Auswertung“ erarbeitet, die künftigals Orientierungsmaßstab für eine bundesweiteAngleichung der Auswertungsvorschriften dienenkönnen. Sie beschreiben u. a. Leitbilder und Ziel-orientierung der Auswertung, geben Handrei-chungen zum Umgang mit Informationen, be-schreiben den Umgang mit Personal, dessenAus- und Fortbildung, Coaching und Kontrolle.

„6. Erweiterung der Zuständigkeit des GBA

6.1 Materielle Zuständigkeit

6.1.1 Neuer Zuständigkeitstatbestand

– Unter Beachtung der grundgesetzlichen Kom-petenzverteilung sollte eine Erweiterung dermateriellen Ermittlungszuständigkeit des GBA

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104) Vgl. Kapitel 6.4.4, Empfehlungsziffer 44-46. 105) Vgl. Kapitel 8.106) Vgl. unten: Stellungnahme zu Empfehlungen des Bundestags-

Untersuchungsausschusses, hier Empfehlungsziffer 34, Kapi-tel 6.4.4.

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angestrebt werden. Dazu sollte in das Gerichts-verfassungsgesetz eine Formulierung aufge-nommen werden, die auf den Staatsschutzbe-zug verzichtet.

– Vor diesem Hintergrund ist eine erweiterte Zu-ständigkeit freilich nur für schwerste, in höchst-persönliche Rechtsgüter eingreifende Strafta-ten vorstellbar. Außerdem ist über das Erforder-nis der besonderen Bedeutung hinaus ein wei-teres Tatbestandsmerkmal erforderlich, etwadass die Tat nach den Umständen geeignet ist,die öffentliche Sicherheit oder den Rechtsfrie-den in der Bundesrepublik Deutschland in be-sonders erheblichem Maße zu beeinträchtigen.

– Die Kommission schlägt hierzu eine gesetzlicheÄnderung vor (...).“

„6.1.2 Verzicht auf einschränkende Tatbestands-merkmale

– Die einfachgesetzlichen Einschränkungen des§ 120 Abs. 2 GVG sollten gelockert werden.Dabei bieten sich die Merkmale „bestimmt undgeeignet“ in § 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG an. Hierkönnte – insbesondere im frühen Stadium straf-rechtlicher Ermittlungen – dem GBA in derFrage seiner eigenen Zuständigkeit ein größererBeurteilungs- und Entscheidungsspielraum ein-geräumt werden als dies jetzt der Fall ist.

– Ergänzend sollte das bisherige gesetzliche Er-fordernis, dass „die Tat den Umständen nachbestimmt und geeignet ist“ durch die Formulie-rung „wenn die Tat nach den Umständen be-stimmt und geeignet sein kann“ ersetzt werden.“

„6.2 Befugnis zur Zuständigkeitsprüfung

– Es ist erforderlich, die Verpflichtung der örtli-chen Staatsanwaltschaften zur Information desGBA gemäß Nr. 202 RiStBV in § 142a Abs. 1GVG als neuen Satz 2 einzufügen.

– Der GBA sollte zudem die gesetzliche Befugniserhalten, zur Klärung seiner Zuständigkeit be-stimmte Ermittlungen anzustellen, wie z. B. dasRecht, bei den örtlichen Behörden Auskünfteeinzuholen, Akten einzusehen und Ermittlungs-aufträge an das BKA zu erteilen. Auch diese Re-gelung ist sinnvollerweise in § 142a GVG zu ver-ankern.“

„6.3 Erweiterung des § 143 Abs. 3 GVG

– Der GBA sollte eine gesetzlich verankerte Kom-petenz erhalten, unterschiedliche Ermittlungs-verfahren – auch länderübergreifend – einer ein-zelnen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung bin-dend zuzuweisen, wenn dies in geeigneten Fäl-len zur Sicherstellung einer einheitlichen Verfah-

rensführung erforderlich und dies auf andereWeise nicht erreicht werden kann.

– Da die vorstehenden Bewertungen bzw. dieEmpfehlungen die Justizressorts betreffen, soll-ten sie zur weiteren Befassung der Konferenzder Justizministerinnen und -minister zugeleitetwerden.“

Die Empfehlungsziffern 6 bis 6.3 fallen in die Zu-ständigkeit des Bundesgesetzgebers. Die jeweili-gen Vorschläge werden derzeit noch in der ein-gangs erwähnten Arbeitsgruppe des Strafrechts-ausschusses der Justizministerkonferenz ge-prüft. Das BMJV hat bereits angekündigt, dassverschiedene vergleichbare Empfehlungen desBundestags-Untersuchungsausschusses zur Mo-difizierung der Regelungen zur Zuständigkeit desGeneralbundesanwalts und zu dessen frühzeiti-ger Einbindung durch die Länderstaatsanwalt-schaften im Rahmen eines zum Zeitpunkt der Er-stellung der Drucksache (März 2014) in der Erar-beitung befindlichen Gesetzentwurfs aufgegriffenwürden. In diesem Rahmen werde auch der Vor-schlag für eine Zuständigkeitsbestimmung durchden Generalbundesanwalt bei Sammelverfahrenberücksichtigt.107) Hamburg wird den anstehendenGesetzgebungsprozess konstruktiv begleiten.108)

„7. Dienst und Fachaufsicht

– Um eine sachgerechte und effiziente Aufsichtzu gewährleisten, ist ausreichendes und aus-schließlich in eigens dafür zuständigen Kon-trolleinheiten verwendetes Personal einzuset-zen, das über ausreichende praktische Erfah-rung im nachgeordneten Bereich verfügt.

– Es besteht dagegen keine Notwendigkeit füreine strukturelle Änderung der Aufsicht über diePolizeibehörden. Allerdings muss der kontinu-ierliche und vollständige Informationsaustauschzwischen Aufsichts- und nachgeordneter Be-hörde sichergestellt sein.

– Im Bereich der Verfassungsschutzbehörden be-stehen zwei Möglichkeiten, die Aufsicht zu stär-ken. Einerseits kommt die Einsetzung eines inseiner Amtsführung unabhängigen im Bereichder Exekutive angesiedelten „Beauftragten zurKontrolle des Verfassungsschutzes“ in Be-tracht. Andererseits können sich in Ländern, indenen die Verfassungsschutzbehörde zugleichoberste Landesbehörde ist, die Hausleitungenvon besonderen Kontrolleinheiten unterstützenlassen.“

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

107) Vgl. BT-Drs. 18/710.108) Eine vorläufige Stellungnahme der JB zu einzelnen Fragen der

Zuständigkeit des GBA findet sich in Kapitel 6.4.4.Empfeh-lungsziffern 22 bis 31; vgl. auch Kapitel 8.4.

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Diese Empfehlung entspricht Empfehlungen desBundestags-Untersuchungsausschusses, auf dieim Weiteren einzugehen sein wird. Der Senat teiltdie Ansicht, dass strukturelle Änderungen in derAufsicht über die Polizeien nicht erforderlich sind;dies gilt auch für den im 2. Anstrich angesproche-nen Informationsaustausch zwischen dem Amtfür Innere Verwaltung und Planung der Behördefür Inneres und Sport sowie der Polizei.

Im Gegensatz zu der umfangreichen externenKontrolle der Arbeit der Polizeien durch Staatsan-waltschaften, Gerichte im Rahmen des Strafpro-zesses, durch die Verwaltungsgerichte sowie imRahmen der Dienst- und Fachaufsicht109) ist dieKontrolle des Verfassungsschutzes mit G10-Kom-mission, dem parlamentarischen Kontrollaus-schuss sowie der direkt ausgeübten Dienst- undFachaufsicht durch die Leitung der Behörde fürInneres und Sport grundsätzlich anders struktu-riert.110) Angesichts der Empfehlungen der BLKR,die mit der Schaffung eines „Beauftragten“ odereiner gesonderten Kontrolleinheit bei den Haus-leitungen zwei Möglichkeiten empfiehlt, die beidein Hamburg in dieser Form nicht umgesetzt sind,wie des Untersuchungsausschusses des Deut-schen Bundestages, insbesondere zur Ertüchti-gung der parlamentarischen Kontrolle, wie einemögliche Fortentwicklung hier im Weiteren fach-lich zu prüfen sein, bleibt dabei aber Gegenstandpolitischer Entscheidung.

„8. Aus und Fortbildung

– Die IMK hat sich in ihrer Sitzung in Rostock vom5. bis 7. Dezember 2012 über die bereits beste-henden Aus und Fortbildungsmöglichkeiten hin-aus für eine zeitgemäße, stärker standardisierteAus und Fortbildung im Verfassungsschutzver-bund ausgesprochen. Die Kommission schließtsich dem an.“

Die bereits dargestellte Neuausrichtung des Ver-fassungsschutzes umfasst auch den Bereich Aus-und Fortbildung, zu dem die konkretisierten Vor-schläge der Sitzung der Innenminister im Dezem-ber 2013 vorgelegt wurden. Für Hamburg sindbisher keine besonderen Umstellungen vorgese-hen; das LfV wird sich insbesondere für die Fort-entwicklung der „Schule für Verfassungsschutz“zu einer Akademie einsetzen. Im Rahmen dieserFortentwicklung soll wissenschaftlicher Sachver-stand verstärkt eingesetzt werden. So sollen ei-gene Forschungsprojekte mit interdisziplinäremAnsatz zu Phänomenbereichen stattfinden. Diekünftige Akademie soll insgesamt eine engereVernetzung mit wissenschaftlichen und Bildungs-einrichtungen gewährleisten und zusätzliche Be-ratungskompetenz aufbauen.

Weiteres Verfahren

Nach Vorlage des Berichts der BLKR mit den dar-gestellten Empfehlungen hat die Innenminister-konferenz im Mai 2013 eine Arbeitsgruppe der Ar-beitskreise II und IV beauftragt, bis Dezember2013 „erste, soweit erforderlich abgestimmte – Vor-schläge zur Umsetzung“ vorzulegen.111) Hamburghatte den Vorsitz in dieser Arbeitsgruppe. Dane-ben haben weitere Arbeitsgruppen der Innen-ministerien des Bundes und der Länder Teilas-pekte der Empfehlungen geprüft, dies auch in derZusammenschau mit den nachfolgend dargestell-ten Empfehlungen des Untersuchungsausschus-ses des Deutschen Bundestages. Die Innenmini-sterkonferenz im Dezember 2013 hat den Berichtder gemeinsamen Arbeitsgruppe beschlossenund zugleich weitere Aufträge erteilt.112)

Darin kommt die AG auf Grundlage eingehenderPrüfung der Empfehlungen der BLKR zu differen-zierten Stellungnahmen zu den insgesamt 22Empfehlungen. Dabei wurden laufende Reform-prozesse – wie z. B. die Maßnahmen im Rahmender Neuausrichtung des Verfassungsschutzes –sowie bereits getroffene Maßnahmen wie dieGründung des GETZ oder die Erarbeitung desLeitfadens zur Zusammenarbeit von Polizei undVerfassungsschutz berücksichtigt und zusätz-licher Umsetzungsbedarf identifiziert. Neben vie-len Einzelpunkten präzisiert der Bericht die Auf-gaben, die bei einer Stärkung der „Zentralstellen-funktion“ des Bundesamtes für Verfassungs-schutzes berücksichtigt werden sollten, und ent-wickelt Verfahrensvorschläge unter anderem füreinen verbesserten Informationsaustausch zwi-schen Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaftsowie zur Überprüfung von Geheimhaltungsvor-schriften.

Forderungen der BLKR, die sich an die Justizrichten, konnten wiederum in dieser AG nicht ge-prüft werden, sondern sind Gegenstand entspre-chender Aufträge der Konferenz der Justizminis-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

109) Zusätzlich zu der Dienst- und Fachaufsicht sind hier auch nochdie Kontroll- und Beratungszuständigkeiten der Innenrevisionsowie des behördlichen Datenschutzbeauftragten zu nennen.

110) Hier sind für Kontrolle zusätzlich noch die Innenrevision, dieauch die Behördenleitung berät, sowie derzeit der Hamburgi-sche Datenschutzbeauftragte zuständig. Vgl. hierzu die Stel-lungnahme zu Empfehlungsziffer 37 des Bundestagsuntersu-chungsausschusses, Kapitel 6.4.4.

111) Beschlussniederschrift über die 197. Sitzung der StändigenKonferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am23./24. Mai 2013 in Hannover, TOP 4.

112) Beschlussniederschrift über die 198. Sitzung der StändigenKonferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 4.-6. Dezember 2013 in Osnabrück, TOP 3.

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terinnen und -minister.113) Die AG hat sich schließ-lich im Rahmen ihrer Beratungen auch eingehendmit den Folgen des Urteils des Bundesverfas-sungsgerichts zum Antiterrordateigesetz beschäf-tigt, da dieses Urteil Folgen für den Informations-austausch zwischen Polizeien und Verfassungs-schutz bzw. die von der BLKR gewünschte Har-monisierung der Übermittlungsvorschriften ha-ben wird.114) Der Bericht der Arbeitskreise schlägtin einem ersten Schritt Kriterien für die Informa-tionsübermittlung des Verfassungsschutzes andie Polizei sowie eine denkbare Struktur künftigergesetzlicher Regelungen vor.

6.4 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiodedes Deutschen Bundestages

Im Gegensatz zu dem Untersuchungsauftrag derBLKR hatte der mit Beschluss des DeutschenBundetages vom 26. Januar 2012 eingesetzte 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode(im Folgenden Untersuchungsausschuss) einendeutlich umfassenderen Auftrag, der von der um-fänglichen Aufklärung möglicher Fehler, Ver-säumnisse, gar Verstrickungen der Sicherheits-behörden im Zeitraum zwischen dem Untertau-chen der NSU-Mitglieder bis November 2011 bishin zu Empfehlungen für Reformen und eine ver-besserte Bekämpfung des Rechtsextremismusreichte. Wegen der Bedeutung des Abschlussbe-richts bzw. seiner Empfehlungen für die weitereinnenpolitische Debatten hier der Untersuchungs-umfang im Einzelnen:

„Der Untersuchungsausschuss soll sich ein Ge-samtbild verschaffen zur Terrorgruppe „National-sozialistischer Untergrund“, ihren Mitgliedern undTaten, ihrem Umfeld und ihren Unterstützern sowiedazu, warum aus ihren Reihen so lange unerkanntschwerste Straftaten begangen werden konnten.Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnissesoll der Untersuchungsausschuss Schlussfolge-rungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisseund Qualifizierung der Sicherheits- und Ermitt-lungsbehörden und für eine effektive Bekämpfungdes Rechtsextremismus ziehen und Empfehlungenaussprechen.

Der Untersuchungsausschuss soll dazu klären,welche Informationen den Sicherheits- und Ermitt-lungsbehörden vom 1. Januar 1992 bis zum 8. No-vember 2011 zu den Personen Uwe Böhnhardt,Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, zu den sie un-terstützenden Personen und Organisationen sowiezu den der Terrorgruppe „NationalsozialistischerUntergrund“ oder ihren Mitgliedern zugeordnetenStraftaten vorlagen oder bei sachgerechtem Vorge-hen hätten vorliegen müssen, wie diese Erkennt-

nisse jeweils in den Behörden bewertet wurden,wie sie gegebenenfalls zum damaligen Zeitpunktsachgerecht hätten bewertet werden müssen undwelche Aktivitäten durch die Behörden hinsichtlichdieser Personen und Straftaten jeweils erfolgtenoder bei sachgerechtem Vorgehen hätten erfolgenmüssen.

II. Der Untersuchungsausschuss soll insbeson-dere klären,

1. ob Fehler oder Versäumnisse von Bundes-behörden, auch in ihrem Zusammenwirken mitLandesbehörden, die Bildung und die Taten derTerrorgruppe „Nationalsozialistischer Unter-grund“ sowie deren Unterstützernetzwerk be-günstigt oder die Aufklärung und Verfolgung dervon der Terrorgruppe begangenen Straftaten er-schwert haben;

2. in welcher Weise Kontakte der Mitglieder derGruppe, die jetzt als Terrorgruppe „Nationalso-zialistischer Untergrund“ bekannt ist, zu rechts-extremen und rechtsextremistischen Personen,Kreisen oder Organisationen dazu beigetragenhaben, ihr terroristisches Handeln vorzuberei-ten oder zu fördern;

3. ob und welche Hinweise vorlagen auf internatio-nale Verbindungen der Terrorgruppe „National-sozialistischer Untergrund“ und ihres Umfeldsund wie mit ihnen umgegangen wurde undsachgerecht hätte umgegangen werden müs-sen;

4. welche Rolle im Zusammenhang mit der Terror-gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“,ihrer Unterstützer sowie ihres Umfelds der Einsatz von sogenannten Vertrauenspersonen (V-Personen) spielte, – auf welcher rechtlichen und tatsächlichen

Grundlage der Einsatz jeweils erfolgte, – ob der Einsatz von V-Personen und dessen

Führung ausreichend kontrolliert und eva-luiert wurden,

– ob die für Einsatz und Führung von V-Perso-nen geltenden Vorschriften und innerbehörd-lichen Vorgaben jeweils ausreichend undsachgerecht waren,

– ob über V-Personen die Taten der Mitgliederder Gruppe „Nationalsozialistischer Unter-grund“ finanziell unterstützt oder in sonstigerWeise begünstigt wurden;

5. ob und gegebenenfalls wodurch es der Terror-gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“beziehungsweise ihrem Unterstützerumfeld er-

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113) Vgl. Kapitel 8.5.114) Vgl. Kapitel 7.

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möglicht oder erleichtert wurde, an Sprengstoff,Waffen, falsche Personalpapiere, verdeckteWohnungen und Unterstützungsgelder zu ge-langen;

6. ob und gegebenenfalls wann Anhaltspunktevorlagen, die für eine Strafverfolgungszustän-digkeit auf Bundesebene gemäß § 120 Absatz 1beziehungsweise Absatz 2 des Gerichtsverfas-sungsgesetzes gesprochen hätten, und gege-benenfalls warum keine Ermittlungen eingeleitetworden sind;

7. ob die Vernichtung von Beweismitteln, Hinwei-sen oder sonstigen Daten über die NSU-Mitglie-der und ihr Unterstützerumfeld, die für die heuti-gen Ermittlungen von Bedeutung hätten seinkönnen, durch Sicherheitsbehörden jeweils imEinklang mit den einschlägigen Vorschriften er-folgte.

III. Der Untersuchungsausschuss soll zudem prüfen,

1. welche Schlussfolgerungen im Blick auf denRechtsextremismus für die Struktur und Organi-sation der Sicherheits- und Ermittlungsbehör-den des Bundes, für die Zusammenarbeit derSicherheits- und Ermittlungsbehörden auf Bun-des- und Landesebene und für die Gewinnungund den Austausch von Erkenntnissen der Si-cherheits- und Ermittlungsbehörden des Bun-des und der Länder gezogen werden müssen;

2. ob und wie bei Ermittlungsmaßnahmen Leid fürdie Opfer von extremistischen Straftaten undderen Angehörige wirksamer vermieden wer-den muss und kann;

3. ob und wie die Bekämpfung rechtsextremisti-scher Gewalt in allen Bereichen (Repression,Prävention, Sensibilisierung der verantwortli-chen Stellen) verbessert werden muss undkann.“ 115)

6.4.1 Polizei und Verfassungsschutz in Ham-burg betreffende Beweisbeschlüsse

Der Parlamentarische Untersuchungsausschusshat einen Zeugen aus Hamburg vernommen (ak-tueller Dienststellenleiter der Ermittlungsdienst-stelle im Fall Tasköprü) sowie insgesamt 8 Be-weisbeschlüsse an die Behörde für Inneres undSport gerichtet, die nachfolgend aufgelistet sind;weitere Beweisbeschlüsse gingen an die Behördefür Justiz und Gleichstellung.

1. Der Beweisbeschluss HH 1 vom 1. März 2012betraf die Beiziehung sämtlicher Akten, Doku-mente, Dateien etc. und sonstiger sächlicherBeweismittel, soweit sie Untersuchungsgegen-stand und Untersuchungszeitraum sowie die

Zusammenarbeit und den Erkenntnisaus-tausch von Bund und Ländern betreffen.

2. Der Beweisbeschluss HH 2 vom 1. März 2012betraf die Beziehung sämtlicher polizeilicherErmittlungsvorgänge und Vorgangsakten zurpolizeilichen Gefahrenabwehr und Bezeich-nung derjenigen, die der GBA nicht an sich ge-zogen hat. Die JB war aufgefordert, sämtlicheStrafverfahren und strafrechtlichen Ermitt-lungsverfahren zu benennen, die im Untersu-chungszeitraum wegen Straftaten geführt wur-den, die der Terrorgruppe NSU oder ihren ver-mutlichen Mitgliedern zugeordnet werden.Zudem waren diejenigen Verfahren zu bezeich-nen, die der Generalbundesanwalt nicht zurweiteren Ermittlung an sich gezogen hat oderderen Akten ganz oder teilweise nicht in dieVerfügungsgewalt des Generalbundesanwal-tes übergegangen sind.

3. Der Beweisbeschluss HH 3 vom 8. März 2012betraf die Benennung von Personen, bei Ju-stiz, Polizei und Verfassungsschutz in Ham-burg, die mit für den Untersuchungsgegen-stand wichtigen Ämtern und Aufgaben betrautwaren.

4. Der Beweisbeschluss HH 4 vom 11. Mai 2012betraf die Beiziehung sämtlicher Akten, Doku-mente, Dateien etc. und sonstiger sächlicherBeweismittel, soweit sie Untersuchungsgegen-stand und Untersuchungszeitraum betreffen.

5. Der Beweisbeschluss HH 5 vom 24. Mai 2012betraf die Beiziehung der Verfahrensakten zuden in der Freien und Hansestadt Hamburg ge-führten polizeilichen und staatsanwaltschaft-lichen Ermittlungen (im Fall Süleyman Taskö-prü), soweit der Generalbundesanwalt dieAkten nicht zu seinen aktuellen Ermittlungenherangezogen hat und sie somit noch der Ver-fügungsgewalt des Landes unterliegen.

6. Mit dem Beweisbeschluss HH 6 vom 5. Juli2012 forderte der Untersuchungsausschusseine Mitteilung über sämtliche Einsätze opera-tiver nachrichtendienstlicher Mittel oder ver-deckter polizeilicher Ermittlungsmaßnahmenim Zusammenhang mit den Ermittlungen zuder Tatserie.

7. Mit dem Beweisbeschluss HH 7 vom 21. März2013 forderte der Untersuchungsausschussdie Mitteilung über den Einsatz von V-Personen.

8. Der Beweisbeschluss HH 8 vom 25. April 2013betraf die Beiziehung der internen Regelungenüber Auswahl Einsatz und Führung von Ver-

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115) BT-Drs. 17/8453, 1ff.

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trauenspersonen in den während des Untersu-chungszeitraums geltenden Fassungen.

Die Behörde für Inneres und Sport hat nicht nureine Mitarbeiterin der Landesvertretung Hamburgin Berlin als ständige Beobachterin der Sitzungendes Untersuchungsausschusses entsandt, son-dern auch direkt eng, vertrauensvoll und zügigmit dem Stab des Ausschusses kooperiert.

6.4.2 Bemerkungen zu Hamburger Sicherheits-behörden im Abschlussbericht bzw. in ent-sprechenden Debatten

Der Untersuchungsausschuss legte seinen Be-richt am 22. August 2013 vor; der Bundestag de-battierte den Bericht am 2. September 2013.116)

Bevor die Ergebnisse und Empfehlungen aus-führlicher dargestellt werden, sollen im Folgen-den kurz die Themen genannt werden, bei denender Bericht bzw. die Debatten in Bundestag oderÖffentlichkeit direkt kritisch auf HamburgerBehörden eingehen. In der Gesamtschau des Be-richtes ist dabei zunächst einmal festzustellen,dass strukturelle Kritik an der Organisation, Qua-lität der Arbeit und der Zusammenarbeit der Ham-burger Sicherheitsbehörden nicht geübt wird.Dabei schließt die umfangreiche Kritik des Aus-schusses, etwa an Grundlagen und Praxis derBund-Länder Zusammenarbeit oder an Defizitenbeim Informationsaustausch, die HamburgerBehörden Hamburg naturgemäß ein. Auf dieHamburg direkt betreffenden Kritikpunkte soll imFolgenden eingegangen werden.

Ein wesentlicher Vorwurf des Untersuchungsaus-schusses an mehrere Landeskriminalämter, na-mentlich der der überwiegenden Fokussierungauf die Organisationstheorie bzw. einen Tathinter-grund im Bereich organisierte Kriminalität, trifftauch Hamburg:

„Die Ermittler in Hamburg waren am stärksten vonder Theorie eines Tathintergrundes „OrganisierteKriminalität“ überzeugt – und blieben das auchdann, als die gründlichen Ermittlungen in dieseRichtung zu keinen Ergebnissen geführt hatten.“117)

Zugleich gibt der Bericht aber auch an verschie-denen Stellen die Gründe für diese Haltung inHamburg an, die zum einen in der zunächst ent-sprechenden Hinweislage, zum anderen in demanhaltenden Mangel an Ermittlungsansätzen be-gründet lagen, die in eine andere Richtung gewie-sen hätten.118) Eine kurze Darstellung des offen-bar einzigen Kontakts zwischen LKA (SOKO 061)und LfV Hamburg, der im Jahr 2006119) dezidiertder Frage nach möglichen politischen Hintergrün-den und Zusammenhängen im Hamburger Fallbzw. der Serie diente, sowie der fehlenden Nach-

haltigkeit dieses Erstkontakts, ist sicher in derRückschau kritikwürdig, wird jedoch im Berichtselbst nicht ausdrücklich kritisiert.120) Die in Kapi-tel 4 bereits beschriebene Intensivierung der Zu-sammenarbeit zwischen LKA und LfV Hamburgkann jedoch u. a. als Reaktion auf das damaligeVorgehen betrachtet werden.

Schwer wiegt vor diesem Hintergrund der Vorwurfdes Ausschusses an alle Landeskriminalämter,die der 2. Operativen Fallanalyse (OFA) desBayerischen Landeskriminalamtes, die auf einenpolitisch motivierten Einzeltäter mit Ankerpunkt inNürnberg verwies (so genannte Einzeltätertheo-rie), widersprachen bzw. diese nicht teilten.Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass das LKAHamburg sämtliche Ermittlungsersuchen, die aufdieser Einzeltätertheorie beruhten, professionellund umgehend aufgearbeitet hat; auch der Unter-suchungsausschuss kommt zu keinem anderenErgebnis. Auch waren die ggü. dem Ausschussvorgebrachten Argumente des LKA gegen den In-halt der zweiten OFA inhaltlicher Art und keines-wegs vorurteilsmotiviert oder von der Absicht ge-tragen, andere Ermittlungsansätze zu verhin-dern.121) Sie liegen – neben den bereits genanntenbesonderen Ermittlungsansätzen in Hamburg122)

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116) Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Beschlussempfehlungund Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44des Grundgesetzes, Drucksache 17/14600, 22. August 2013,Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/146/1714600.pdf.

117) A. a. O., 835.118) A. a. O., 497ff. und 591ff. 119) Das LfV selbst nennt noch einen weiteren Kontakt im Jahr

2007, vgl. Drs. 20/9055, 4. 120) A. a. O., 592f. Die fehlende Nachhaltigkeit kann u. a. durch feh-

lende einschlägige Hinweise begründet sein, deren Ursachenin der Rückschau – hier wie an anderer Stelle – nicht aufzu-klären sein werden.

121) „Der Vertreter der Hamburger Polizei … hat als Zeuge seineSkepsis hinsichtlich der „Einzeltäterhypothese“ dahingehendbegründet, dass das Besondere am Hamburger Opfer gewesensei, dass es sehr weitreichende Kontakte zum „Who is who“ derOrganisierten Kriminalität in Hamburg gehabt habe. Das Netz-werk, das die BAO dort aufgeführt habe, habe die Augen derHamburger Polizei aufgehen lassen und das Opfer durchaus inein interessantes Licht gestellt, allerdings nicht tief involviert indie Organisierte Kriminalität. Deswegen sei es aus ihrer Sichtauch sehr naheliegend gewesen, in diesem Bereich eine Motiv-lage zu suchen. Da sich weder der Mordkommission 2001/2002noch der BAO „Bosporus“ zum späteren Zeitpunkt irgendwelcheAnhaltspunkte für ein politisches Motiv der Tat erschlossen,habe die „Einzeltätertheorie“ für die Polizei in Hamburg fern ge-legen. Im Übrigen sei das Meinungsbild in der Steuerungs-gruppe so gewesen, dass die „Einzeltätertheorie“ nachrangigbetrachtet und der „Organisationshypothese“ der Vorrang einge-räumt worden sei, und zwar von allen Ermittlungseinheiten mitAusnahme der Bayern.“ A. a. O., 561, vgl. auch 591: Dort wirdnoch einmal betont, das Opfer Tasköprü sei keinesfalls OK-Täter gewesen, sondern vielmehr eine „Randfigur“ mit Kontaktzu vielen, im LKA bekannten Straftätern.

122) Vgl. hierzu a. a. O., 497ff. sowie 575.

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– vor allem in der fachlichen Kritik an Methodeund Standards des kriminalistischen InstrumentsFallanalyse.123)

Insgesamt war es aus heutiger Sicht unstreitig einFehler, die Ermittlungen nicht stärker auf einemögliche rechtsextremistische Motivation auszu-richten. Doch die dieser Einsicht zugrunde lie-genden Erkenntnisse stammen praktisch aussch-ließlich aus der Ermittlungsarbeit von Polizei undVerfassungsschutz seit Aufdeckung des NSU-Komplexes. Auch eine obligatorische Überprü-fung jedes Gewaltdelikts gegen Migranten aufeinen möglichen rechtsextremen Hintergrundhätte daher mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zukeinem anderen Ergebnis geführt. Und auchheute bleibt festzuhalten: Die besonderen Tatum-stände des Tötungsdeliktes an Süleyman Taskö-prü in Hamburg liegen auch bei Betrachtung derErmittlungsergebnisse der BAO Trio seit 2011immer noch weitgehend im Dunkeln. Über die de-taillierten Hintergründe der Tat in Hamburg (u. a.Auswahl des Opfers, Vortatphase, Nachtatphase,ggf. Kontakte der Täter in Hamburg) gibt es weiterkeine Erkenntnisse.

Ein weiterer Kritikpunkt, der Hamburger Sicher-heitsbehörden direkt gilt, betrifft den Umgang mitden Familienangehörigen unmittelbar nach derTat sowie im weiteren Verlauf der Ermittlungen.124)

Unabhängig davon, dass die Angehörigen desOpfers in Hamburg sich grundsätzlich durch dieErmittlungen im Rahmen der OK-Ermittlungshy-pothese oder anderer deliktischer Zusammen-hänge beschwert fühlen konnten, hat sich die Po-lizei Hamburg insgesamt – dies auch nach erneu-ter, gezielter Überprüfung der Vorgänge und Kon-takte zwischen 2001 und 2011 – bemüht, der Fa-milie selbst stets kriminalistisch professionell undzugleich rücksichtsvoll zu begegnen. Dazu gehör-ten u. a. die Betreuung der Angehörigen in dersehr emotionalen Situation am Tattag, der Ab-bruch von dringenden Vernehmungen bei Un-wohlsein der Zeugen, die regelmäßige frühzeitigeInformation der Familie über anstehende, mögli-cherweise belastende Medienberichterstattungoder die Hinzuziehung eines LKA-Mitarbeiterstürkischer Herkunft bei Besuchen der Familie.Festzuhalten bleibt aber auch hier, dass nach kri-minalistischen Grundsätzen bei unklarer Motiv-lage stets auch im Umfeld des Opfers ermitteltwerden muss; im vorliegenden Fall sind dabei je-doch – ebenfalls nach erneuter, gezielter Recher-che – zu keinem Zeitpunkt Vorwürfe gegen die Fa-milie selbst erhoben worden.

Im Bericht des Bundestags-Untersuchungsaus-schusses wird dennoch kritisiert, dass der Vater

des Opfers, Herr Tasköprü, stundenlang vernom-men worden sei, wobei teilweise seine Tochter, dieSchwester des Opfers, habe übersetzen müs-sen.125) Die – teils mehrstündigen – Zeugenver-nehmungen von Herrn Ali Tasköprü am 27. Juni2001, 29. Juni 2001, 18. Oktober 2005, 23. August2006 und 4. Oktober 2006 erfolgten jeweils mitHilfe eines Dolmetschers bzw. einer Dolmetsche-rin; eine Tochter war bei den Vernehmungen nichtanwesend, begleitete ihren Vater aber am 29. Juni2001 zum Polizeipräsidium. Die BIS hat versuchtzu klären, durch welches konkrete Vorgehen derErmittler sich die Opferfamilie bzw. die Schwesterdes Opfers hier dennoch beschwert fühlten.Denkbar wäre hier eine dokumentierte, kürzereBefragung im Rahmen eines Besuches im Jahr2006.126)

Grundsätzlich gilt: Möglichst umgehende Verneh-mungen von Tatzeugen und Angehörigen sindunter kriminalistischen Gesichtspunkten sinnvollund in Hinsicht auf neue Spuren und Hinweise er-forderlich. Das Dolmetschen bei Vernehmungendurch ebenfalls als Zeugen zu vernehmende An-gehörige kommt jedoch aus kriminaltaktischenGründen nicht infrage, dies unabhängig von derunstrittigen emotionalen Belastung der Befrag-ten.127) Grundsätzlich wird daher auch in beidengenannten Fällen auf eine möglichst empathi-sche Ansprache der Zeugen und Belehrung überihre Aussagemöglichkeiten geachtet.

Größere öffentliche, vor allem mediale Aufmerk-samkeit galt daneben auch der Äußerung desZeugen des Hamburger LKA vor dem Untersu-chungsausschuss, das Hamburger Opfer sei dasgewesen „was wir im Landeskriminalamt ,einen

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

123) Vgl. auch a. a. O., 565. Wie bei der Kritik an der zweiten OFAstand das LKA Hamburg auch in seiner eher ablehnenden Hal-tung ggü. einer Ermittlungsübernahme des BKA, die verschie-dentlich kritisiert worden ist, keineswegs allein; vgl. hierzua. a. O., 536f.

124) Vgl. hierzu insb. a. a. O., 731f. 125) A. a. O., 732f.126) Die erste Befragung des Herrn Ali Tasköprü durch die zuerst

eingetroffene Besatzung eines Funkstreifenwagens am Tatorterfolgte mit Hilfe einer weiblichen Person, deren Personaliennicht festgehalten wurden, bei der es sich aber nicht um eineTochter bzw. Schwester des Opfers handelte. Außerdem habenErmittler die Familie Tasköprü am 9. August 2006 in ihrer Woh-nung befragt, dabei hat eine weitere Tochter und Schwesterdes Opfers die kurzen Angaben des Vaters übersetzt; des Wei-teren wurde die Familie in der Wohnung am 18. Dezember2006 sowie am 4. Juli 2008 vernommen, dabei war jeweils einDolmetscher anwesend.

127) Die zwischenzeitlichen Überprüfungen der Ermittlungsarbeitam Tattag bzw. unmittelbar danach entsprechen insofern nichtdem Kenntnisstand des Untersuchungsausschusses bzw. desHamburger Zeugen bei seiner Vernehmung; vgl. a. a. O., 732.

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ganz normalen türkischen Mann‘ genannt ha-ben“.128) Gerade diese einzelne Äußerung im Rah-men einer insgesamt 3½stündigen Vernehmungwurde – auch im Rahmen der Bundestagsdebatteam 2. September 2013 – als Beleg für die angeb-liche Existenz verfestigter, objektive, ergebnisof-fene Ermittlungen behindernder Vorurteilsstruktu-ren bzw. – im Falle zweier Minderheitsvoten – fürstrukturellen Rassismus der Sicherheitsbehördenangeführt. Andere Fraktionen haben sich dieserletztgenannten Wertung allerdings ausdrücklichnicht angeschlossen.

Unabhängig davon, dass die zitierte Wertung –mit Sicherheit unzutreffend – pauschal den weitmehr als 1.000 Mitarbeitern des Landeskriminal-amtes zugeschrieben wird und auch ansonsteninhaltlich fragwürdig bleibt, sollte dabei berück-sichtigt werden, dass es fundamentalem krimina-listischem Handwerk entspricht, Ermittlungshypo-thesen in einem Tötungsdelikt u. a. an Person,Persönlichkeit und Umfeld des Opfers auszurich-ten. Zudem muss eine derartige Wertung aberauch im Spannungsfeld zwischen erwünschterprofessioneller Distanz, ethnischer und sonstigerObjektivität polizeilicher Ermittler und der ebensoerwünschten und unbedingt notwendigen umfas-senden Erfahrungsbasierung jeglicher Polizeiar-beit gesehen und gewertet werden. Sie ist daherfür sich genommen mit Sicherheit kein Hinweisauf Hindernisse für ergebnisoffene Ermittlungsar-beit in Hamburg und stellt nach Auffassung desSenats keineswegs einen Beleg für strukturellenRassismus in der Polizei Hamburg dar.

Vergleichbare öffentliche und mediale Aufmerk-samkeit galt der Tatsache, dass die Polizei Ham-burg im Rahmen der Ermittlungen das Aussage-angebot eines „Metaphysikers“ angenommenhatte. Auch diese Entscheidung ist in der Rück-schau unstreitig fragwürdig, doch bleibt zuberücksichtigen, dass im Rahmen polizeilicherErmittlungen stets eine Zahl von Hinweisen unter-schiedlicher Qualität eingeht, ein solcher Hinweisalso durchaus nicht ungewöhnlich war, er kosten-neutral zu verfolgen war und – neben dem un-streitigen Anlass zu Zweifeln, die auch der Ham-burger Zeuge im Untersuchungsausschuss, derdie Vernehmung des Genannten selbst nicht zuverantworten hatte, in der Rückschau durchausteilte – auch Anlass zu der Feststellung bietenkann, dass die Polizei Hamburg keinerlei Hin-weise, Spuren und Ermittlungsansätze vernach-lässigt hat, so diese denn vorlagen.129)

6.4.3 Ergebnisse

In seinem Abschlussbericht stellt der Ausschussin Hinsicht auf seine Untersuchungsergebnisse

zusammenfassend fest, die dem NSU zuge-schriebenen Straftaten stellten „eine der schwers-ten Verbrechensserien in der Geschichte der Bun-desrepublik Deutschland dar.

Dass diese Taten weder verhindert noch die Täterermittelt werden konnten, obwohl auf Grund derbei neun der zehn Morde verwendeten Waffe desTyps Česká schon nach dem zweiten Mord erkanntwurde, dass es sich um eine Serie handelt, ist einebeschämende Niederlage der deutschen Sicher-heits- und Ermittlungsbehörden.

Die Opfer und ihre Angehörigen haben unfassba-res Leid erfahren.

(…)

Es ist viel Vertrauen in die deutschen Sicherheits-behörden verloren gegangen – nicht nur bei denAngehörigen der Ermordeten und den Opfern deranderen Straftaten. Auftrag unseres Ausschusseswar es, die Mängel der Ermittlungsarbeit rückhalt-los aufzuklären, um damit auch die Grundlagendafür zu schaffen, dieses Vertrauen wiederherzu-stellen.

Fehler, Versäumnisse und Rechtsverstöße

Deutlich geworden sind durch die Auswertung vonAkten und die Befragung von Zeugen schwerebehördliche Versäumnisse und Fehler sowie Orga-nisationsmängel bis hin zum Organisationsversa-gen bei Behörden von Bund und Ländern vor allembei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mit-arbeiterauswahl und Prioritätensetzung. Fehlleis-tungen, Fehleinschätzungen und Versäumnisseeinzelner Behördenmitarbeiter und -mitarbeiterin-nen haben vor allem deshalb erheblich zum Miss-erfolg der Strafverfolgungsbehörden und Verfas-sungsschutzämter beigetragen, weil sie teilweiseüber Jahre nicht erkannt und korrigiert wurden.

(…)

Als Ergebnis der am 24. Juli 2013 abgeschlosse-nen Arbeit des Ausschusses ist festzuhalten, dasssich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben,dass irgendeine Behörde an den Straftaten, die derTerrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“

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128) Deutscher Bundestag, Protokoll Nr. 20 (Zeugenvernehmung:öffentlich) 19. Juni 2012: Stenographisches Protokoll, der 19. Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses am Donners-tag, dem 14. Juni 2012, 10 Uhr, Seite 65.

129) BT-Drs. 17/14600, 593. An dieser Stelle ist anzumerken, dassdie Wertungen im Untersuchungsausschuss gleichwohl über-wiegend in die umgekehrte Richtung weisen, namentlich denHamburger ermittelnden Dienststellen vorgeworfen wird, ab-wegige Ermittlungsansätze verfolgt, über den OK-Rahmen hin-ausgehende Ermittlungsansätze jedoch nicht verfolgt zuhaben.

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(NSU) nunmehr zur Last gelegt werden, in irgend-einer Art und Weise beteiligt war, diese unterstützteoder billigte, ... dass vor dem 4. November 2011 ir-gendeine Behörde Kenntnis gehabt hätte von derVerantwortung des NSU für die ihm nunmehr zurLast gelegten Taten (und, BIS) … dass irgendeineBehörde den NSU dabei unterstützt hätte, sichdem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen.Auch das jahrelang unerkannte Leben des Triosmitten in Deutschland wurde von Behörden wederunterstützt noch gebilligt. Diese Feststellung giltnicht für die von Sicherheitsbehörden geführten V-Personen aus der rechten Szene. Jedoch hat derAusschuss keine Belege dafür gefunden, dassBöhnhardt, Mundlos oder Zschäpe noch einer der anderen Angeklagten vor dem OLG Münchenjemals V-Personen einer Sicherheitsbehördewaren.“130)

Hinsichtlich der festgestellten „Fehler“ stellt derBericht heraus: (1) Vorbereitung und Durch-führung der Durchsuchungen 1998, die zumUntertauschen der drei NSU-Mitglieder führte, (2) mangelhafte Auswertung der so genannten„Garagenliste“ sowie (3) mangelhafter Informa-tionsaustausch in Hinsicht auf Erkenntnisse derV-Person Piatto des LfV Brandenburg.

Seine Untersuchungen hat der Ausschuss im We-sentlichen in 4 Komplexen konzentriert, namentlich

– Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbe-hörden in der Tatserie

– Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehördensowie der Nachrichtendienste über die Mitglie-der des NSU vor und nach ihrem Untertauchen

– Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zurechtsterroristischen Ansätzen ab Mitte der90er Jahre, insbesondere operative Maßnah-men sowie die Vernichtung von Akten hierzu

– Einsatz von Personen als V-Leute, die heutedem Umfeld des NSU zugerechnet werdendurch die Sicherheitsbehörden von Bund undLändern.131)

In seinen gemeinsamen Bewertungen undSchlussfolgerungen geht der Ausschuss kritischauf diese und weitere Untersuchungskomplexeein, zieht daraus Schlüsse für Empfehlungen anRegierungen und Parlamente in Bund und Län-dern, die in 47 konkrete Empfehlungen sowie dieabschließende Forderung nach einer inhaltlichenNeuorientierung und finanziellen Stärkung im Be-reich der Rechtsextremismusprävention münden.Die gemeinsamen Bewertungen des Ausschus-ses in 6 Bereichen werden im Folgenden kurz dar-gestellt.

Scheitern der Strafverfolgungsbehörden bei den Ermittlungen zu den Tötungsdeliktenund Sprengstoffanschlägen

Zunächst werden fallbezogen oder länderübergrei-fend mehrere Ursachen für das Scheitern derStrafverfolgungsbehörden bei den Ermittlungen zuden Tötungsdelikten und Sprengstoffanschlägenidentifiziert und entsprechend kritisiert, darunter

– das Bestehen von Ermittlern auf der so ge-nannten Organisationstätertheorie mit OK-Hin-tergrund und die Ablehnung der Einzeltäter-theorie unter Einbeziehung einer rassistischenMotivation trotz fehlender Belege für OK-Be-züge auch nach längeren Ermittlungen in meh-reren Behörden sowie dabei

– der Umgang mit den Opferfamilien im Rahmender Ermittlungen im Opferumfeld

– die generell fehlende Offenheit für bzw. derWiderstand gegen alternative Ermittlungs-ansätze, darunter auch der verhältnismäßiggeringe Aufwand für die Abarbeitung von Spu-ren aus Nicht-OK- bzw. nicht auf das Opferum-feld bezogenen Ermittlungsansätzen sowie diemangelnde Einbeziehung der Staatsschutz-dienststellen

– der fachliche Umgang mit den diversen opera-tiven Fallanalysen bzw. deren Gehalt in Hin-sicht auf alternative Erkenntnisansätze

– die überlange Dauer einiger Maßnahmen,mangelnde oder zögerliche Bearbeitung beieinigen Ermittlungsbehörden (Beispiele u. a.Prüfvorgänge im BKA, bei einem LfV bzw. beieiner Staatsanwaltschaft, Verfolgung der Waf-fenspur beim BKA, Ermittlungsmaßnahmen imFall Kiesewetter)

– zweifelhafte Ermittlungsmethoden (Beispiele:Massendatenabgleich, Betrieb von zwei Döner-imbissen), teilweise schnelle Beendigung derErmittlungen

– mangelndes Engagement der Staatsanwalt-schaft in Bayern bei der Gewichtung von Er-mittlungsergebnissen und der Impulsgebungfür polizeiliche Ermittlungen

– fehlende Zusammenführung der Ermittlungenauf polizeilicher Seite beim BKA, aber auch aufSeiten der Staatsanwaltschaften, die in beidenFällen sachgerecht gewesen wäre

– mangelndes Engagement des GBA bei derPrüfung eigener Zuständigkeit; mangelnde In-formation der Länder ggü. dem GBA.132)

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130) A. a. O., 829ff. 131) A. a. O., 832ff.132) A. a. O., 833ff.

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Scheitern der Sicherheitsbehörden bei der Prävention von Radikalisierung im Bereich des Rechtsextremismus

Des Weiteren geht der Ausschuss davon aus,dass die teils zögerliche Intervention, teils unzu-reichende Strafverfolgung durch Polizei und Ju-stiz seit den 90er Jahren mitursächlich für dieletztlich im Rechtsterrorismus endende Radikali-sierung vieler Extremisten war: „Das Spannungs-feld zwischen lange Zeit zögerlichem polizeilichemEinschreiten und ineffektiver Strafverfolgung einer-seits und Partei- und Organisationsverboten ande-rerseits förderte ein neonazistisches Selbstver-ständnis, das sowohl von Allmachtsphantasien alsauch von Verfolgungswahn geprägt war und ist.“133)

Hinsichtlich der Radikalisierung von Uwe Böhn-hardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe stellt derAusschuss zur Situation in Thüringen fest:

„Der Ausschuss hat den Eindruck gewonnen, dassschleppend verlaufende polizeiliche Ermittlungengegen Neonazi-Aktivisten mit darauf folgendenEinstellungen durch Staatsanwaltschaften oderGerichte in den 1990er Jahren in Thüringen zumAlltag gehörten. (…) Der Ausschuss ist zu derÜberzeugung gekommen, dass die Strafverfol-gungsorgane in Thüringen damit die Radikalisie-rung innerhalb des THS und der mit ihm verbunde-nen Kameradschaften nicht ausreichend ernst ge-nommen, die in diesem Zusammenhang verübtenStraftaten nicht mit dem notwendigen Nachdruckverfolgt und geltendes Recht nicht konsequent an-gewendet haben.“134)

In diesem Zusammenhang wird auch der dama-lige Umgang der Bundeswehr mit rechtsradikalenBundeswehrangehörigen kritisiert.

Scheitern der Behörden bei der Suche nach den im Januar 1998 untergetauchtendrei NSU-Mitgliedern

Hinsichtlich der Ursachen für das Scheitern derBehörden bei der Suche nach den im Januar1998 untergetauchten drei NSU-Mitgliedern kriti-siert der Ausschuss vor allem handwerkliche Feh-ler des LKA Thüringen und der Staatsanwalt-schaft Gera im Verlauf und nach der Durchsu-chung im Jahr 1998, die das Untertauchen derdrei Verdächtigen ermöglicht haben und zum Mis-serfolg der nachfolgenden Ermittlungen beitru-gen, darunter die mangelhafte Auswertung dersogenannten Garagenliste und weiterer Hinweisebei der Polizei wie beim Verfassungsschutz inThüringen.135) Insgesamt sei die Zusammenarbeitder Sicherheitsbehörden in Thüringen mangel-haft gewesen, die Ergreifung der drei NSU-Mit-glieder sei auch deshalb gescheitert, „weil sich

die beteiligten Sicherheitsbehörden Thüringensgegenseitig den Erfolg nicht gönnten.“136) Entspre-chend wird auch die Arbeit der sächsischenBehörden bei den Ermittlungen zu dem Trio bzw.seinen Unterstützern in Hinsicht auf Informations-austausch, Auswertung und Dokumentation mitwenigen Ausnahmen kritisiert. Hinsichtlich derZusammenarbeit mit anderen Ländern und mitBundesbehörden stellt der Ausschuss fest, dasswesentliche Hinweise des BKA, des MAD wie desLfV Brandenburg, die zu einer Ergreifung derNSU-Mitglieder hätten führen können, nicht oderunzureichend beachtet bzw. an das LKA weiter-gegeben worden waren.

Mängel in Beschaffung, Analyse und Aufklärung des Verfassungsschutzes

Der mangelnden Analysefähigkeit der Verfas-sungsschutzbehörden des Bundes und der Län-der gilt dann auch ein weiterer Komplex der Kritikdes Ausschusses. Der Abschlussbericht geht hiervor allem auf das Bundesamt für Verfassungs-schutz ein, das in zweierlei Hinsicht versagt habe,namentlich bei (1) der falschen und verharmlo-senden Einschätzung der rechtsterroristischenGefahr und der Anhaltspunkte, die dafür vorlagensowie bei (2) der fehlenden Eigeninitiative bei derInformationsbeschaffung, systematischen Ana-lyse und der Aufklärung des „auch damals schonals potentielle Terrorgruppe erkennbaren Trios“.137)

Daneben kritisiert der Ausschuss die fehlendeAufklärung der internationalen Verflechtungendes deutschen Rechtsextremismus und entspre-chender internationaler Vorbilder für wachsendeGewaltbereitschaft. Den in der öffentlichen Dis-kussion immer wieder erhobenen Vorwurf, die Si-cherheitsbehörden seien „auf dem rechten Augeblind“, macht der Untersuchungsausschuss sichzwar ausdrücklich nicht zu eigen, doch bleibt dieKritik an der fachlichen wie der politischen Ebenedeutlich:

„Nach den Feststellungen des Ausschusses warkeine Verfassungsschutzbehörde in dem Sinn „aufdem rechten Auge blind“, dass Befunde bewusstübersehen worden wären. Die Untersuchungendes Ausschusses zeigten aber, dass die Gefahren,die von der militanten neonazistischen Szene und

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

133) A. a. O., 845. 134) A. a. O., 846.135) A. a. O., 847.136) A. a. O., 850. 137) A. a. O., 854. Daneben kritisiert der Ausschuss auch die Zu-

sammenlegung der Abteilungen Linksextremismus undRechtsextremismus zu einer Abteilung Deutscher Extremis-mus innerhalb des BfV im Jahr 2006.

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einzelnen Gruppierungen in Deutschland ausgin-gen bzw. ausgehen, vom Verfassungsschutz (undvon der Polizei gleichermaßen) unabhängig vomFall NSU immer wieder unterschätzt und bagatelli-siert wurden. (…) Zwar fand der Ausschuss keineBelege oder Beweise dafür, dass es politische oderministerielle Vorgaben in Bund und Ländern dafürgab, eine rechtsterroristische Bedrohung kleinzu-reden oder zu verharmlosen. Die wiederkehren-den, zum Teil über Jahre gleichlautenden Formulie-rungen hierzu in den Verfassungsschutzberichtenund internen Lageberichten deuten aber daraufhin, dass die Analysen von den Referatsleitern,Gruppen- und Abteilungsleitern bis hin zur Amts-leitung, den aufsichtführenden Ministerien bis zuderen Spitzen gar nicht mehr hinterfragt wurden.(…) Aus den ausgewerteten Akten und Zeugenver-nehmungen138) gewann der Ausschuss den Ein-druck, dass Vorurteile und eingefahrene Denkmus-ter in den Verfassungsschutzbehörden auf allenEbenen das Erkennen neonazistischer terroristi-scher Bedrohungen behinderten.“139)

Auswahl und Führung von V-Leuten

An Beispielen aus dem BfV sowie den LfV Thürin-gen und Brandenburg zeigt der Ausschuss

– Probleme bei der Auswahl von Straftätern undanderen ungeeigneten Personen als V-Leuteauf, kritisiert

– die Praxis jahrelanger Führung durch densel-ben V-Mann sowie die Entlohnung der V-Leute,

– die unsystematische Herangehensweise desBfV bei der Dokumentation von Quellenberich-ten sowie dem Einsatz von V-Leuten zur Er-kenntnisgewinnung im Fall NSU sowie

– die häufig unterbleibende Informationsweiter-gabe aus Quellenberichten durch Verfas-sungsschutzbehörden mit dem pauschalenVerweis auf Quellenschutz.140)

Löschung von Akten zum NSU nach November 2011

Hier kritisiert der Ausschuss die Löschung vonAkten im BfV, im LfV Berlin sowie beim MAD, derdaneben für seine insgesamt mangelnde bzw. zö-gerliche Kooperation mit dem Ausschuss kritisiertwird. Hamburger Sicherheitsbehörden sind hiererneut nicht genannt.141)

6.4.4 Empfehlungen des Untersuchungsaus-schusses und Stellungnahme der Sicher-heits- und Strafverfolgungsbehörden

Da sich der Untersuchungsauftrag auf den Zeit-raum seit den 90er Jahren sowie auf die Auf-klärungstätigkeit der Nachrichtendienste im Be-reich des Rechtsextremismus und die entspre-

chende Zusammenarbeit mit den Strafverfol-gungsbehörden bis 2011 bezog, gehen die insge-samt 47 einvernehmlich beschlossenen Empfeh-lungen des Untersuchungsausschusses über denBereich der Strafverfolgungsbehörden deutlichhinaus. So standen Kritik an der Zusammenarbeitin der föderalen Sicherheitsarchitektur oder anfestgestellten strukturellen Mängeln bei der Be-obachtung und Strafverfolgung des Rechtsextre-mismus im Mittelpunkt der öffentlichen Debattebzw. der o. g. Debatte im Deutschen Bundestag.

Die 47 Empfehlungen des Untersuchungsaus-schusses betreffen die Bereiche Polizei, Justiz,Verfassungsschutz sowie das Thema V-Leute.142)

In der Bundestagsdebatte vom 2. September2013 haben Sprecher sämtlicher Fraktionen be-tont, die nächste Legislaturperiode müsse zurweiteren Debatte, Ausgestaltung und Umsetzungdieser Empfehlungen genutzt werden. Im Rah-men der Meinungsbildung hierzu werden im Fol-genden erste Stellungnahmen der Hamburger Si-cherheits- und Strafverfolgungsbehörden zu deneinvernehmlichen Empfehlungen des Ausschus-ses dargestellt.143)

Bevor im Folgenden die Stellungnahmen derBehörde für Justiz und Gleichstellung sowie derBehörde für Inneres und Sport (Polizei Hamburgund LfV) zu den (jeweils kursiv zitierten) Empfeh-lungsziffern des Untersuchungsausschusses dar-gestellt werden, ist jedoch festzustellen:

– Die Debatten auf Ebene des Bundes und derLänder zu Prüfung und ggf. Umsetzung derEmpfehlungen des Abschlussberichtes, der imAugust 2013 vorgelegt wurde, sind im Gegen-satz zu dem Abschlussbericht der BLKR, derbereits seit April 2013 vorlag, bei weitem nochnicht so weit fortgeschritten wie im Fall derBLKR, sondern lediglich in den Anfängen. Beiden hier vorgelegten Stellungnahmen kann es

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138) Da kein Zeuge aus dem Verfassungsschutz Hamburg vernom-men wurde, kann sich diese Kritik jedenfalls nicht konkret aufHamburg beziehen, sondern trifft den gesamten Verbund ausBundesamt und Landesämtern für Verfassungsschutz.

139) A. a. O., 854f. 140) A. a. O., 856f. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich

auch das Informationsverhalten des LKA Berlin in einem Ein-zelfall 2001/2002 kritisiert. Kritik an Hamburger Behörden fin-det sich nicht.

141) A. a. O., 858ff.; zu den in Hamburg verfügten Löschmoratorienvgl. Kapitel 4.

142) A. a. O., 861-865. Die Empfehlungen des Untersuchungsaus-schusses sind im Folgenden jeweils kursiv, die Stellungnah-men unkursiv gesetzt.

143) Empfehlungen, die aus Minderheitsvoten resultieren, sollenhier zunächst vernachlässigt werden.

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sich daher nur um eine jeweils erste Positionie-rung in einer länger andauernden Debatte han-deln, die daher nicht unmittelbar handlungslei-tend sind. Wie zuvor (Kapitel 6.3.4) soll dahernicht den Ergebnissen der andauernden Bera-tungen der zuständigen innen- und justizpoliti-schen Gremien zur Prüfung von Vorschlägenvorgegriffen werden.

– Hinsichtlich auch hier in Einzelfällen institutio-nell geprägter und ggf. abweichender Positio-nen von Staatsanwaltschaft, Polizei und Ver-fassungsschutz gelten die entsprechendenVorbemerkungen zu Kapitel 6.3.4. „I. Empfehlungen für den Bereich der Polizei Nach den Feststellungen des Ausschusses wardie polizeiliche Ermittlungsarbeit nicht ausrei-chend offen für unterschiedliche Ermittlungs-richtungen. 1. In allen Fällen von Gewaltkriminalität, die

wegen der Person des Opfers einen rassis-tisch oder anderweitig politisch motiviertenHintergrund haben könnten, muss dieser ein-gehend geprüft und diese Prüfung an geeig-neter Stelle nachvollziehbar dokumentiertwerden, wenn sich nicht aus Zeugenaussa-gen, Tatortspuren und ersten Ermittlungenein hinreichend konkreter Tatverdacht in eineandere Richtung ergibt. Ein vom Opfer oderZeugen angegebenes Motiv für die Tat mussvon der Polizei beziehungsweise der Staats-anwaltschaft verpflichtend aufgenommenund angemessen berücksichtigt werden. Essollte beispielsweise auch immer geprüftwerden, ob es sinnvoll ist, den polizeilichenStaatsschutz zu beteiligen und Informatio-nen bei Verfassungsschutzbehörden anzu-fragen. Dies sollte in die Richtlinien für dasStraf- und das Bußgeldverfahren (RiStBV)sowie in die einschlägigen polizeilichenDienstvorschriften aufgenommen werden.“

Tatsächlich berührt diese Empfehlung ein Defizit,das auch die Polizei Hamburg uneingeschränktanerkennt. Alle möglichen Tathypothesen, so-lange keine konkreten belastbaren Anhaltspunktefür die Verfolgung einer priorisierten Hypothesevorliegen, sind im Fall der Tatserie mit Sicherheitauch im Tatortland Hamburg nicht hinreichendbzw. hinreichend nachhaltig verfolgt worden. Diesgilt ausdrücklich auch unter Hinweis auf die be-sondere Hinweislage in Hamburg.144) Gleichwohlist die praktische Umsetzung dieser Empfehlungdetailliert zu prüfen; denkbar sind hier als wesent-liche Alternativen

– Einführung der verpflichtenden regelmäßigenPrüfung einer politischen Motivlage bei Ge-

walttaten mit Einführung einer Dokumenta-tionspflicht dieser Prüfung

– erhöhte grundsätzliche Sensibilisierung sämt-licher Ermittler bzw. Staatsanwälte für einePrüfung politischer Motivlagen

– ggf. Einbeziehung des polizeilichen Staats-schutzes in Ermittlungen bei Gewalttaten mitungeklärter Motivlage

– entsprechende Änderung der Richtlinien undVorschriften

– entsprechende Akzentuierung der Aus- undFortbildung.

Gerade erstere Variante ist – vor dem Hintergrundseiner Feststellungen konkreter Defizite im NSU-Komplex – offenbar vom Untersuchungsausschussgewollt und gefordert, begegnet aber – bezogenetwa auf die Situation in Hamburg – klaren quan-titativen Problemen, die hier, unabhängig voneiner ausstehenden politischen Entscheidung,darzustellen sind. Legt man die polizeiliche Krimi-nalstatistik der Jahre 2011 bis 2013 zugrunde, sowürden zumindest a priori nachfolgend genannteFallvolumina im erweiterten Bereich „Gewalt“ füreine derartige formal verbindliche Prüfung bzw.die Einbeziehung des polizeilichen Staats-schutzes in Hamburg infrage kommen: 145)

PKS-Schlüssel 2011 2012 2013

892000 Gewalt-kriminalität gesamt146) 8.851 8.680 8.665

224000 (Vorsätz-liche leichte) Körperverletzung 15.261 15.131 14.703

GESAMT 24.112 23.811 23.368

Angesichts derartiger – wenn auch zunächst nurtheoretisch relevanter – Fallvolumina wird die lau-fende polizeifachliche Prüfung der Empfehlungendes Untersuchungsausschusses vor allem derFrage dienen müssen, wie – nicht ob – dieseEmpfehlung in der polizeilichen Praxis effektivwie effizient umgesetzt werden kann. Dazu kann

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144) Vgl. hierzu Kapitel 2 und 3. 145) Vgl. Polizei Hamburg, Polizeiliche Kriminalstatistik 2012,

http://www.hamburg.de/contentblob/3843 560/data/2013-02-27-bis-pm-pks-2012-pdf-langfassung.pdf : 1 und 75, Anhang I,4, Anhang II, 1.

146) Der Summenschlüssel Gewaltkriminalität der Polizeilichen Kri-minalstatistik umfasst – neben Mord, Totschlag, Vergewalti-gung etc. – u. a. schwere und gefährliche Körperverletzungsowie Körperverletzung mit Todesfolge, jedoch nicht Fälle vor-sätzlicher leichter Körperverletzung. Diese wird in der PKS ge-sondert erfasst, zählt jedoch in der öffentlichen Wahrnehmungsowie in der Praxis unstreitig zu den Delikten, die bei der Be-trachtung von Hasskriminalität eine große Rolle spielen.

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eine Kombination einzelner der o. g. Aspektegehören. Bei voller Anerkennung der grundsätzli-chen Notwendigkeit, hier aus erkannten DefizitenKonsequenzen zu ziehen, präferieren die Sicher-heitsbehörden in Hamburg den weniger formali-sierten Ansatz einer erhöhten Sensibilisierungsämtlicher Ermittler und deren Verankerung inAus- und Fortbildung. Die Staatsschutzdienst-stelle des LKA wäre in jedem Fall mit der regel-mäßigen begleitenden Prüfung auch nur einesgeringen Bruchteils der o. g. Gesamtfallzahlenüberfordert. Die Polizei Hamburg wird sich an denanstehenden Prüfungen beteiligen. Die mit derEmpfehlung geforderte verstärkte Einbeziehungdes Verfassungsschutzes wird vom LfV ausdrück-lich begrüßt.

Allerdings zeigt sich in der polizeilichen Praxis be-reits jetzt, dass sowohl die Sensibilität im Bereichdes Staatschutzes als auch in anderen Ermitt-lungsdienststellen gewachsen ist, so werden ver-mehrt entsprechende Vorgänge an den Staats-schutz zur Prüfung herangetragen. Die Beteili-gung des Verfassungsschutzes bei einer solchenPrüfung erfolgt durch den Staatsschutz und istobligatorisch. Darüber hinaus sind Dienststellenwie der Führungs- und Lagedienst, die Leitungenvon Ermittlungsdienststellen oder der Krimi-naldauerdienst zunehmend aufmerksamer in Hin-blick auf Einbeziehung des Staatsschutzes. Hin-sichtlich der geforderten Aufnahme und Berück-sichtigung der von Opfern und Zeugen angege-benen Motive für eine Straftat entspricht dies prin-zipiell kriminalistischer Praxis sowie dem Grund-satz der Aktenwahrheit und Aktenklarheit.147) EinVerstoß gegen diese Regel kann disziplinar- undstrafbewehrt sein.

„2. Notwendig ist eine neue Arbeitskultur, die aner-kennt, dass z. B. selbstkritisches Denken kein Zei-chen von Schwäche ist, sondern dass nur derje-nige bessere Arbeitsergebnisse erbringt, der ausFehlern lernt und lernen will. Zentral ist dabei dieDiskurs- und Kritikfähigkeit, d. h. es muss eine„Fehlerkultur“ in den Dienststellen entwickelt wer-den. Reflexion der eigenen Arbeit und Umgang mitFehlern sollte daher Gegenstand der polizeilichenAus und Fortbildung werden. Mithilfe des Einsat-zes von Supervision als Reflexions- und Bera-tungsinstrument für Polizeibeamten sollen die Er-folge der individuellen Bildungsmaßnahmen ge-prüft und nachhaltig gesichert werden. Rotationsollte als Führungsinstrument eingesetzt werden,um der Tendenz entgegenzuwirken, dass sichDienststellen abschotten.“148)

Die Feststellung von Defiziten in der Fehlerkulturder Polizeien bezieht sich im Abschlussbericht

des Untersuchungsausschusses ausdrücklichauf die festgestellte mangelnde Offenheit einzel-ner Strafverfolgungsbehörden bzw. länderüber-greifender Ermittlungsgruppen für alternative Er-mittlungsansätze im Fall der Česká-Taten.148a) Un-geachtet dessen ist jedoch seit geraumer Zeit diegrundsätzliche Fehlerkultur der Polizei ein Themaöffentlicher, vor allem aber polizeiwissenschaftli-cher Debatten, wenn es etwa um die Schaffungunabhängiger Beschwerdestellen oder um dieAufarbeitung umstrittener Polizeieinsätze geht.Unstreitig ist, dass sich hier in den letzten Jahren– parallel zum gesellschaftlichen Wandel – be-deutende Verbesserungen ergeben haben, un-streitig ist aber auch, dass sich die Sicherheits-behörden grob vereinfacht in dem Dilemma befin-den, einerseits Sicherheit produzieren und ver-körpern, andererseits Unsicherheit (Fehler, Kritik,interne Differenzen) zulassen und damit offen um-gehen zu sollen. Dies bleibt notwendig, aberschwierig, und ist eine Frage der Personalent-wicklung, der Führung und letztlich der Organisa-tionskultur, die sich im Übrigen keineswegs alleinin Sicherheitsbehörden, sondern auch in Unter-nehmen zeigt.

Auch hier hat jedoch das Versagen der Sicher-heitsbehörden im NSU-Komplex bereits jetzt zueiner Reflexion geführt; die an anderer Stelle ge-forderte Verankerung der Lehren aus dem Kom-plex und seiner Aufarbeitung in der polizeilichenAus- und Fortbildung muss hier weiter wirken.149)

In Hinsicht auf die Verantwortung der Legislativein den jetzt anstehenden Debatten der Berichteund Aufarbeitungen zum NSU-Komplex zeigensich aber hier wie bei anderen Empfehlungen –etwa betreffend die Verstärkung der Dienst- undFachaufsicht oder der parlamentarischen Kon-trolle – die Erfordernisse, Möglichkeiten, aberauch Grenzen einer über die interne Aufarbeitungdurch die Sicherheitsbehörden deutlich hinaus-gehenden politischen Debatte bzw. entsprechen-der formaler Entscheidungen.

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147) So haben u. a. auch Zeugenaussagen die Ermittler bei den Er-mittlungen unmittelbar nach dem Tötungsdelikt an SüleymanTasköprü OK-Zusammenhänge als Arbeitshypothese formulie-ren lassen.

148) Fehler im Original.148a) Vgl. BT-Drs. 17/14600, 861. 149) Zu der in den deutschen Polizeien immer noch üblichen Domi-

nanz der legalistischen Sichtweise auf polizeiliche Verantwort-lichkeit in kritischen öffentlichen oder wissenschaftlichen De-batten (mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Fehler-kultur) vgl. einen Aufsatz zur vergleichsweise jungen deut-schen Polizeiwissenschaft und „Verantwortlichkeit“ als einerihrer Forschungsgegenstände: Joachim Kersten und AnsgarBurchard, Police Science in Germany: History and new Per-spectives, in: European Journal of Police Science, 1 (1), 2013,21-39.

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Hinsichtlich der Forderung nach Rotation ist fürdie Polizei Hamburg festzuhalten, dass diesesInstrument (ungeachtet des Aspekts Korruptions-prävention) bereits heute als Instrument derFührung und Personalentwicklung genutzt wird.Jeder Dienststellen- oder Abteilungsleiter mit Per-sonalverantwortung muss dabei angemessenzwischen dem der Verwendungsbreite der Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter förderlichen regel-mäßigen Personalwechsel und einer an Fach-oder Spezialdienststellen erforderlichen Erfah-rung der Mitarbeiter finden. Daneben gibt es be-reits seit April 2008 eine Verfügung über die Vor-gabe von Rotationen in unterschiedlichen, beson-ders sensiblen Bereichen wie etwa Beschaf-fung/Auftragsvergabe oder Ermittlungstätigkeitenim Bereich Organisierte- oder Milieukriminalität.Ob zur Frage der Rotation darüber hinaus weitereEmpfehlungen, ggf. länderübergreifend, zu for-mulieren sind, wird Gegenstand der weiteren Prü-fung der Empfehlungen durch die polizeilichenFachgremien sein.

„3. Die Überprüfung ungeklärter Straftaten auf Be-züge zu Rechtsterrorismus und insbesondere zurTerrorgruppe NSU muss mit Hochdruck vorange-trieben werden. Dabei sind entsprechend der Tat-orte und Tatzeiten der vom Ausschuss beleuchte-ten Fälle Schwerpunkte zu setzen. Über die erziel-ten Zwischenergebnisse ist regelmäßig dem In-nenausschuss des Deutschen Bundestages zuberichten. Die teilweise eingeleitete Nachbewer-tung bisher fälschlich nicht der politisch motivier-ten Kriminalität Rechts zugeordneter Tötungsde-likte und Sprengstoffanschläge muss zeitnah zumAbschluss gebracht, ihre Ergebnisse transparentöffentlich gemacht und im Bundestag debattiertwerden.“

Diese Empfehlung ist bereits weitgehend umge-setzt. Hamburg beteiligt sich aktiv an dem durchdas BKA koordinierten Phasenkonzept zur Über-prüfung ungeklärter Straftaten auf Bezüge zuRechtsextremismus/-terrorismus. Darüber hinaushat Hamburg im Rahmen eigener Überprüfungenin der eigens dafür eingerichteten BAO Fokuseinen entsprechenden retrograden Überprü-fungsprozess für die relevanten Hamburger Fälleeingeleitet und bereits abgeschlossen.150)

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wurdedie Gefahr des gewaltbereiten Rechtsextremismusund Rechtsterrorismus auch vom polizeilichenStaatsschutz völlig falsch eingeschätzt. Die poli-zeiliche Analyse rechtsextremistischer Gewalt warfehlerhaft, das Lagebild dadurch unzutreffend. DieErfassung rechtsmotivierter Straftaten erfolgt bis-lang rein polizeilich über das derzeitige Definitions-

system PMK (Politisch motivierte Kriminalität), dasgroße Schwächen hat. Dies zeigt sich exempla-risch an der Debatte um die Anerkennung der To-desopfer rechter Gewalt seit 1990.

4. Notwendig ist die grundlegende Überarbeitungdes „Themenfeldkatalogs PMK“ – unter Hinzuzie-hung von Expertenwissen aus Wissenschaft undZivilgesellschaft. Zweitens rät der Ausschuss da-zu, einen verbindlichen gegenseitigen Informa-tionsaustausch zwischen Polizei und Justiz einzu-führen (ggf. eine „Verlaufsstatistik PMK“) – zumin-dest bei PMK-Gewaltdelikten.“

Diese Empfehlung ist nicht isoliert zu betrachten,sondern fügt sich in eine Reihe von Empfehlun-gen, die den Defiziten bei der Erkennung der Ent-wicklung des Rechtsterrorismus gelten, von derVerbesserung der praktischen Ermittlungsarbeitüber den Komplex Erfassung bis hin zu Bewer-tung/Lagebilderstellung reicht und den entspre-chenden interinstitutionellen Informationsaus-tausch umfasst. Dabei gründet die Empfehlungnicht allein auf den Feststellungen im Rahmender Tatserie, sondern vor allem auf ihrer Betrach-tung in Verbindung mit der langfristigen parla-mentarischen Debatte um die polizeiliche regis-trierte bzw. die von zivilgesellschaftlichen Organi-sationen bzw. in der Presse behauptete, weithöhere Zahl rechts motivierter Tötungsdelikte inDeutschland seit 1990.151) In diesem Zusammen-hang hat es bereits mehrfach Debatten um Defini-tionen, Erfassung bzw. Defizite in der StatistikPMK gegeben.

Dass die entsprechenden, teils jahrelangen For-derungen im Zusammenhang mit der Aufarbei-tung des NSU-Komplexes erneuert werden, istverständlich. Unstreitig ist auch, dass Erfas-

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150) Vgl. Kapitel 4.2 sowie Schriftliche Kleine Anfragen „Straftatenmit möglicherweise rechtsextremem Hintergrund“, Druck-sachen 20/10209, 20/10555 und 20/10927.

151) Siehe zuletzt Antwort der Bundesregierung auf die Große An-frage der Fraktion DIE LINKE, „Rechtsextreme Tötungsdelikteseit 1990 und antisemitisch motivierte Schändungen jüdischerFriedhöfe seit 2000“, 7. Oktober 2009, Drucksache 16/14122,in der die Bundesregierung die unterschiedliche Zahl der poli-zeilich registrierten und der in der Presse angegebenen Tö-tungsdelikte u. a. wie folgt erklärt: „Demgegenüber haben dievon Journalisten des ,Tagesspiegels‘ und der „Frankfurter Rund-schau“ in der Vergangenheit vorgelegten Listen zu Tötungendurch rechte Gewalt nach eigenen Angaben (vgl. DER TAGES-SPIEGEL vom 22. September 2000, 4) darüber hinaus all jeneFälle enthalten, bei denen der Täter nachweislich einem rechts-extrem eingestellten Milieu zuzurechnen ist und ein anderes Tat-motiv nicht erkennbar ist.“, hier 4. In diesem Zusammenhangkommt der in Kapitel 5.1 dargestellten retrograden Überprü-fung ungeklärter bzw. möglicherweise rechts motivierterStraftaten enorme Bedeutung zu.

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sungssystematiken nicht statisch bleiben können,während die zu erfassenden Phänomene dyna-misch sind. So verweist das LfV Hamburg auf be-stehende Defizite im Bereich Hasskriminalität/Is-lamfeindlichkeit, bei der Abgrenzung extremisti-scher von übrigen Straftaten sowie die erforder-liche differenzierte Bewertung der Motivlage beiPropagandadelikten oder Volksverhetzung. DieEmpfehlung des Untersuchungsausschusseswird daher in den Facharbeitsgruppen der IMK zuprüfen sein, dies unter Einbeziehung wissen-schaftlichen Sachverstands, der bereits bei derFormulierung des jetzt gültigen Definitionssys-tems hinzugezogen wurde.

Dabei wird auch zu prüfen sein, ob und inwieweitdas Problem der Nichterkennung der Todesopferrechter Gewalt eine Überarbeitung des Themen-feldkataloges oder eher eine Qualitätssicherungin der Anwendung des bestehenden Definitions-systems PMK in einigen Bundesländern erfordert.Jedes Meldesystem ist bei der Eingruppierungder Sachverhalte von der Professionalität undSensibilität der Sachbearbeiter abhängig. Ham-burg hat der jeder persönlichen Einschätzung in-newohnenden Fehlermöglichkeit bereits vor Jah-ren entgegengewirkt, indem ein spezielles – vonder eigentlichen Sachbearbeitung getrenntes –Sachgebiet des Staatsschutzes mit der Qualitäts-sicherung des Kriminalpolizeilichen Meldedien-stes Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK)betraut ist. Jährliche Abgleiche mit dem BKA be-legen, dass Meldungen, also auch die Einstufungin die Themenfelder, mit stets hoher Qualität er-folgen. Hamburg profitiert zwar in dieser Hinsichtvon der Stadtstaatsituation mit der generellen Zu-ständigkeit der Staatsschutzdienststelle des LKAfür alle Taten der PMK; das Qualitätssicherungs-instrument ist aber grundsätzlich überall anwend-bar, daher wird Hamburg in jetzt anstehenden De-batten das Hamburger Qualitätssicherungsinstru-ment auch anderen Bundesländern zur Über-nahme empfehlen.

Schließlich ist die abschließende Empfehlung,den Informationsaustausch zwischen Polizei undJustiz weiter zu verbessern, schon aus grundsätz-lichen Überlegungen niemals abzulehnen. Auchhier bietet die Stadtstaatsituation besondere Vor-teile.

„5. Ermittler unterschiedlicher Fachzuständigkei-ten müssen dergestalt zusammenarbeiten, dassbei mutmaßlichen Straftätern deliktsübergreifendihre Gefährlichkeit richtig eingeschätzt wird. Rä-delsführer der rechtsextremistischen Szene mussder Staatsschutz im Blick haben – was nach dem„Blood & Honour“-Verbot bei den Führungsfiguren

der aufgelösten Organisation möglicherweise Kon-takte zum Trio aufgedeckt hätte.“

Grundsätzlich wird bei Ermittlungen der erforder-liche Sachverstand hinzugezogen. Die bereitsseit 2011 laufenden Debatten zur Frage der Zu-sammenführung allgemeinkrimineller und staats-schutzrelevanter Erkenntnisse rechts motivierterTäter werden in diesem Bereich sicher weitereVerbesserungen bringen.

Im Rahmen der Aufarbeitung des NSU-Komple-xes wurde das bisher vor allem im Bereich der po-litisch motivierten Ausländerkriminalität/Islamis-mus angewandte Gefährderkonzept auch auf dieanderen Bereiche der PMK ausgedehnt. Auch inHamburg werden besonders auffällige Straftäterder PMK rechts in entsprechenden Fallkonferen-zen und ggf. unter Hinzuziehung wissenschaftli-chen Sachverstandes interdisziplinär erörtert undeingeschätzt.

Hamburg profitiert auch in dieser Hinsicht vonden Vorteilen des Stadtstaates, die einen schnel-len und engen Erkenntnisaustausch ermöglichen.Polizeiintern steht für die Erstellung von Gefähr-dungsanalysen im LKA Hamburg eine kriminal-psychologische Fachdienststelle zur Verfügung,in der Psychologen sowie Polizeibeamte mit un-terschiedlichem Erfahrungshintergrund u. a. Ana-lysen zur Gefährlichkeit von Straftätern erstellen.Im speziellen Bereich der Staatsschutzkrimina-lität findet ein weiterer fachlicher Austausch mitdem LfV statt.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wares ein Hindernis für die Ermittlungen zu der län-derübergreifenden Tatserie der Ceska-Morde, dasssie zwar koordiniert, aber nicht einheitlich geführtwurden. Erfolgreiche Ermittlungen in komplexenFällen bei Beteiligung verschiedener Polizeidienst-stellen erfordern eine zentrale ermittlungsführendeDienststelle mit klar geregelten Weisungsbefugnis-sen. Der Ausschuss hat den Bericht über die Zu-sammenarbeit des BKA und der Polizeien der Län-der aus dem Jahr 2010 zur Kenntnis genommenund hält auch diese überarbeiteten Leitlinien nochnicht für ausreichend:

6. Zentrale Ermittlungsführung heißt nach Auffas-sung des Ausschusses keineswegs zwingend Er-mittlungsführung durch das BKA. Auch für einezentrale Ermittlungsführung durch eine Länderpoli-zei mit Weisungsrecht gegenüber bei anderen Län-derpolizeien gebildeten regionalen Ermittlungsab-schnitten müssen rechtliche Grundlagen geschaf-fen werden. Dies kann durch einen Staatsvertraggeschehen, den die Länder gegebenenfalls unterBeteiligung des Bundes schließen. Die jeweilige

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Zuständigkeit soll sich dabei so eng als möglichaus Kriterien der Tat oder Tatserie (Tatorte, Beginn,Häufigkeit von Einzeltaten) ergeben, aber auch dieKapazität der beteiligten Länderpolizeien berück-sichtigen.“

Die Überprüfung der Bedingungen für eine zen-tralisierte Ermittlungsführung bei Polizei undStaatsanwaltschaften in länderbergreifenden Tat-serien ist ein Schwerpunkt der Empfehlungen desUntersuchungsausschusses wie zuvor der BLKR;auf die entsprechende Stellungnahme zu Emp-fehlungsziffer 3.3 wird daher zunächst verwiesen.Die Erfahrungen der Staatsschutzdienststellender Länderpolizeien nach dem 11. September2001 mit einer zentralen Ermittlungsführungdurch das BKA wie durch die Bundesanwaltschaftsind nach Einschätzung der Polizei Hamburgüberwiegend positiv. Die Zusammenarbeit mit derBundesanwaltschaft und dem Bundeskriminal-amt (BKA) funktionierte auch in entsprechendenanderen Fällen weitgehend reibungslos. Ham-burg befürwortet daher die Schaffung weitererklarer rechtlicher Rahmenbedingungen für einederartige Zentralisierung polizeilicher wie staats-anwaltschaftlicher Zuständigkeiten an eine Bun-des- oder Landesbehörde in Fällen länderüber-greifenden Straftaten von herausragender Bedeu-tung.

„7. Die informationstechnischen Grundlagen fürdie notwendige Vernetzung aller an einer Ermitt-lung beteiligten Dienststellen müssen jederzeit so-fort verfügbar sein. Es darf nicht nochmals vor-kommen, dass Zeit und Kraft dafür verloren gehen,unterschiedliche Systeme wie „EASy“ und „INPOLFall“ während einer laufenden Ermittlung zu ver-knüpfen. Die eingeleiteten Maßnahmen, die Inter-operabilität der Datensysteme zu schaffen, müs-sen zügig zu einem guten, verfassungsrechtlicheinwandfreien Ergebnis geführt werden.“

Der Empfehlung ist uneingeschränkt zuzustim-men. Die Problematik der inkompatiblen Dateisys-teme des Bundes und der Länder ist seit Jahrenein bekanntes Problem; das gilt zum Beispiel fürden polizeilichen Staatsschutz bei der konkretenGefahrenabwehr und bei der Reaktion auf terrori-stische Anschläge. Auch die Schaffung von In-dexdateien wie der Antiterrordatei (ATD) und derRechtsextremismusdatei (RED) kann bei länder-übergreifenden Sachverhalten bzw. Ermittlungenden Zugriff auf gemeinsame Datenbestände inVerbundanwendungen nicht ersetzen. Derzeitlaufen mehrere Initiativen zur schrittweisen Ver-besserung des unstreitig unbefriedigenden Sta-tus quo.

Zum einen wurde im Oktober 2013 beim BKA eineeigene Datei als Vorstufe bis zu der seit Jahrengeplanten, nach vollständiger Umsetzung Ge-meinsamen Ermittlungsdatei (GED) in Betrieb ge-nommen; diese Datei beim BKA soll als Zwi-schenlösung bis zu der Einführung einer GEDdienen, mit der dann im Fall länderübergreifenderErmittlungen oder Lagen, etwa bei Terrorismus,Entführungen oder Tatserien, ermittlungsrele-vante Informationen gesammelt und verarbeitetwerden können.

Ein weiterer Schritt zur Verbesserung der mit derEmpfehlung kritisierten IT-Vielfalt ist die laufendeEntwicklung des Polizeilichen Informations- u.Analyseverbundes (PIAV). Mit PIAV wird – schritt-weise voraussichtlich ab 2015 und erstmalig bun-desweit – ein einheitliches Datenmodell (Informa-tionsmodell Polizei, IMP) genutzt werden. AlleDaten, die aus den unterschiedlichen, zum Teilderzeit nicht kompatiblen Datenerfassungs- undVerarbeitungssystemen der Länderpolizeien,152)

der Bundespolizei, des Zoll und des BKA an PIAVgeliefert werden, müssen IMP-konform zur Verfü-gung gestellt werden. Durch die Einführung vonPIAV und die damit verbundene Nutzung des IMPwerden in den beteiligten PIAV-Land-Anwendun-gen weitere Probleme im länderübergreifendenDatenaustausch behoben oder zumindest deut-lich reduziert werden.

Hamburg beteiligt sich an sämtlichen der ge-nannten länderübergreifenden Projekte aktiv.

„8. Sowohl in Nürnberg wie in Köln haben sich dieErmittler auf den Irrweg locken lassen, die Tätermüssten in der Nähe des Tatorts wohnen oder dortzumindest einen „Ankerpunkt“ haben. Zentral ge-führte Ermittlungen mit Weisungsrechten für regio-nale Ermittlungsabschnitte in anderen Bundeslän-dern werden einer solchen örtlichen Verengungdes Blickwinkels ebenso entgegenwirken wie einbesseres Verständnis von deutschlandweit und in-ternational agierenden rechtsextremen Netzwer-ken.“

Diese Empfehlung fügt sich in die Empfehlungenzur Verbesserung der praktischen Ermitt-lungstätigkeit in länderübergreifenden Fällenoder in Fällen mit unklarer Motivlage. Unstreitig

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152) Die meisten Länder nutzen länderspezifisch ausgeformte Da-tenerfassungs- und Verarbeitungssysteme auf der Grundlagedes Produktes rs-case der Firma Rola, dessen bayerische –und damit in der BAO Bosporus angewandte – Version EASyheißt; andere Länder, darunter Hamburg, nutzen eine Produktnamens Crime. Während der Ermittlungen in der Česká-Tat-serie hat die SOKO 061 von Hamburg aus direkt im bayeri-schen System EASy gearbeitet.

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sind insbesondere bei herausragenden Ermitt-lungsvorgängen mit erkennbar überörtlichen Be-zügen zentral geführte Ermittlungen ein unver-zichtbarer Ermittlungsansatz, der Grundvoraus-setzung für ein koordiniertes Vorgehen ist. Zu-gleich ist allein durch eine zentrale Ermittlungs-führung mit Weisungsbefugnis für die ermitt-lungsleitende Staatsanwaltschaft bzw. die polizei-lichen Ermittler nicht auszuschließen, dass Er-mittlungen ausschließlich in eine Richtung ge-führt werden. Daher ist hiesigen Erachtens weni-ger die hier geforderte zentrale Ermittlungs-führung, die an anderer Stelle unstreitig Bedeu-tung hat, als vielmehr die in Ziffer 1 der Empfeh-lungen des Untersuchungsausschusses wie ananderen Stellen geforderte grundsätzliche Offen-heit der Ermittlungen und Verfolgung sämtlicherdenkbarer Ermittlungshypothesen der Ansatz zurVermeidung der hier adressierten konkreten Defi-zite im NSU-Komplex. Auch diese Frage wird Ge-genstand der laufenden polizeifachlichen Erörte-rung der Empfehlungen zur Verbesserung der Er-mittlungstätigkeit sein, an denen die Polizei Ham-burg sich beteiligen wird.

„9. Bei komplexen Verfahren fallen häufig eine Viel-zahl von Hinweisen, Spuren und Erkenntnissen an.Gleichzeitig besteht gerade bei schweren Strafta-ten mit ungeklärter Tatmotivation die Gefahr, dassdie Ermittlungen von eingefahrenen Denkmusterngeprägt sind und bleiben, so dass Ermittler Hin-weisen und Spuren, welche in andere Richtungendeuten, mit geringerer Intensität nachgehen. EineOrganisationseinheit innerhalb der ermittlungs-führenden Dienststelle, die sich der kontinuierli-chen und kritischen Evaluation der einzelnen Er-mittlungsschritte und Auswertungsergebnissewidmet, könnte rechtzeitig falsche Schwerpunkt-setzungen oder unterlassene Ermittlungsansätzeidentifizieren und ihnen entgegenwirken.“

Grundsätzlich adressiert auch diese Empfehlungzur Verbesserung der Ermittlungspraxis dasSpannungsfeld zwischen der geforderten, weilunerlässlichen Erfahrungsbasierung polizeilicherErmittlungsarbeit und der gefährlichen Veren-gung der Sicht auf Ermittlungsergebnisse. Auchhier wird die zu Recht geforderte Aufnahme desNSU-Komplexes in die polizeiliche Aus- und Fort-bildung sicher künftig erhöhte Sensibilität für al-ternative Hypothesen und Hinterfragung beste-hender Praxis bzw. Ansätze bewirken. Völlig un-abhängig davon, dass (1) die kritische Reflexionder Arbeit und Ergebnisse jeder Dienststellezunächst immer Führungsaufgabe ist und bleibenmuss sowie (2) der anhaltenden Problematikknapper Ressourcen ist fraglich, ob eine eva-luierende „Organisationseinheit innerhalb der er-

mittlungsführenden Dienststelle“ im Zweifelsfallim eben gewünschten Maße von bestehenden Er-mittlungshypothesen der eigenen Dienststelle be-freien würde. Die Empfehlung des Untersu-chungsausschusses wird daher im Landeskrimi-nalamt Hamburg zunächst skeptisch gesehen,dies jedoch in voller Anerkennung der festgestell-ten Defizite und in dem Bewusstsein um die Not-wendigkeit einer deutlichen Neuorientierung alsAntwort auf den NSU-Komplex. Ihre inhaltlicheAusfüllung wird Gegenstand laufender wie weite-rer polizeifachlicher Erörterungen sein.

„10. Es sind zeitnah die Voraussetzungen zu schaf-fen, dass jederzeit eine bundesweite Abklärungmöglich ist, wie viele untergetauchte Rechtsextre-misten mit Haftbefehl gesucht und welche Strafta-ten ihnen zur Last gelegt werden.“

Die zuständige polizeiliche Arbeitsgruppe derIMK hat hierzu bereits kurz nach dem November2011 eine bundeseinheitliche Verfahrensweisebeschlossen und umgesetzt. Das LKA Hamburghat alle Voraussetzungen geschaffen, die neu ein-gerichtete Haftbefehlsdatei mit Daten zu be-stücken. Inzwischen sind die beschlossenenMaßnahmen in der Polizei Hamburg umgesetzt,so dass in die Vollstreckung aller Haftbefehle beiPersonen, die nach polizeilichen Datenbankender politisch motivierten Kriminalität zuzurechnensind, sowohl die örtliche Ebene als auch die Ab-teilung Staatsschutz des LKA eingebunden wird.Nötigenfalls wird auch die Personen-Zielfahn-dung des LKA durch den Staatsschutz eingebun-den. Darüber hinaus findet in regelmäßigen Ab-ständen eine Abgleich aller offenen Haftbefehlemit vorliegenden Informationen des Verfassungs-schutzverbundes statt.153)

„Nach den Feststellungen des Ausschusses warder Umgang mit den Opfern und ihrem Umfeld imRahmen der Ermittlungen in vielen Fällen nicht an-gemessen und sachgerecht.

11. Deutschlands Gesellschaft ist vielfältig – dieseVielfalt müssen die Polizeibehörden widerspiegeln,mit dieser Vielfalt müssen sie kompetent umgehen.Die Bemühungen, junge Menschen unterschiedli-cher Herkunft für den Polizeiberuf zu gewinnen,müssen intensiviert werden.“

Hamburg als Stadt der Vielfalt – und die PolizeiHamburg als ein Teil davon – setzt diese Empfeh-lung bereits um. Schon seit Mitte der 90er Jahre,noch einmal verstärkt seit 2006, geht die Polizei

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153) Zum Sachstand der Überprüfung offener Haftbefehle in Ham-burg vgl. Kapitel 5.1.4.

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Hamburg in ihrer Mitarbeitergewinnung aktiv aufMenschen mit Migrationshintergrund zu. DerSenat der Freien und Hansestadt Hamburg hatdas Ziel ausgegeben, den Anteil von Mitarbeiternmit Migrationshintergrund in der Öffentlichen Ver-waltung auf 20% zu erhöhen. Auch die Polizeistrebt an, noch mehr Nachwuchs aus diesem Be-völkerungsanteil zu gewinnen. So hat die PolizeiInformationsflyer für Einstellungsinteressierte inverschiedenen Sprachen erarbeitet, in der Inter-netpräsentation der Einstellungsstelle sind aus-drücklich auch Mitarbeiter mit Migrationshinter-grund abgebildet, daneben haben zwei der dreiEinstellungsberaterinnen der Polizei selbst einenMigrationshintergrund und können Bewerberauch damit noch besser ansprechen. Die Einstel-lungsberater und –beraterinnen besuchen Schu-len, Migrantenorganisationen oder fremdspra-chige Redaktionen in Hamburg verbreiteter Me-dien, um über die Bereitschaft der Polizei zur Ein-stellung von Migranten zu informieren.

Der Migrationshintergrund von Mitarbeitern154) wirdstatistisch nicht erfasst, doch lassen die Einstel-lungsdaten Rückschlüsse auf den Erfolg der ent-sprechenden Initiativen der Polizei Hamburg zu:

Eingestellte EingestellteAnzahl mit Migra- mit Migra-

Einstel- Eingestellte tionshinter- tionshinter-lungsjahr – gesamt – grund grund in %

2006 56 5 8,92007 82 8 9,82008 178 19 10,72009 183 17 9,32010 202 20 9,92011 238 26 10,92012 261 42 16,12013 232 34 13,5

„12. „Interkulturelle Kompetenz“ muss ein festerund verpflichtender Bestandteil der Polizeiausbil-dung sein und zum professionellen Umgang mitgesellschaftlicher Vielfalt befähigen. Vordringlichdie unmittelbaren Vorgesetzten der Kriminal- undSchutzpolizeibeamten sollen durch Aus und Fort-bildung sensibilisiert werden. Die Umsetzung derAus- und Fortbildungsziele in der Praxis muss kon-tinuierlich überprüft werden.“

Polizeiarbeit ohne interkulturelle Kompetenz ist ineiner Metropole wie Hamburg grundsätzlich nichtvorstellbar; gleichwohl sind Kompetenzen immersteigerbar. Das hat sich gerade im NSU-Komplexgezeigt, wo es etwa um den Umgang mit Opferfa-milien oder die mögliche Bildung ethnischer Ste-

reotype ging. Interkulturelle Kompetenz ist dabeibereits jetzt fester Bestandteil der Aus- und Fort-bildung der Polizei Hamburg. In der Ausbildungzum mittleren Polizeivollzugsdienst wird dasThema im Rahmen der Polizeiberufskunde ge-lehrt, um in einem interdisziplinären Ansatz dieAuszubildenden zu einem angemessenen situati-ven Handeln unabhängig von der Herkunft einesMenschen auszubilden. In diesem Zusammen-hang lernen die Auszubildenden bereits frühzei-tig, auf die Besonderheiten im Umgang mit Men-schen nationaler und ethnischer Minderheiteneinzugehen. Ferner setzen sich die Auszubilden-den während des ersten Ausbildungsjahres mitdem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG)auseinander.

In der Ausbildung zum gehobenen Dienst werdendie entsprechenden Inhalte vor allem in den Mo-dulen „Individuelle Grundlagen beruflichen Han-delns“, „Individuelle und berufliche Problemfel-der“ sowie allgemein in den Fächern Soziologie,Politologie und Kriminologie vermittelt. In derFortbildung wird in Zusammenarbeit mit der Uni-versität Hamburg ein fünftägiges Seminar mitdem Thema: „Kompetenz im Umgang mit Men-schen anderer Kulturen“ angeboten, mit dem rd.160 Teilnehmer pro Jahr erreicht werden können.Das Seminar soll den Teilnehmern Hintergrund-kenntnisse zur Wahrnehmung von Verhaltenswei-sen von Menschen fremder Kulturen vermitteln,um eigene Kommunikations- und Handlungsmu-ster reflektieren und gegebenenfalls neue Alter-nativen entwickeln zu können. Im Zusammen-hang mit der Prüfung sämtlicher Handlungsemp-fehlungen der BLKR und des Untersuchungsaus-schusses wird die Polizei Hamburg zu prüfenhaben, ob angesichts dieser bereits breiten Ver-ankerung des Themas weitere Intensivierung er-forderlich ist.

„13. Die Kommunikation mit Opfern beziehungs-weise Hinterbliebenen, deren nächsten Angehöri-gen und ihnen nahestehender Personen ist eine –für die Opfer und ihre Angehörigen, für den Erfolgvon Ermittlungen und das Vertrauen der Bevölke-

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154) In Hamburg werden auf Grundlage des vom Hamburger Senatam 19. Dezember 2006 beschlossenen Hamburger Hand-lungskonzeptes zur Integration von Zuwanderern (Drucksache18/5530) Personen mit Migrationshintergrund wie folgt um-schrieben: 1. alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik

Deutschland Zugewanderten,2. alle in Deutschland geborenen Ausländer sowie3. alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest

einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschlandgeborenen Elternteil.

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rung in den Rechtsstaat – wichtige Aufgabe, dievon dafür speziell geschulten Beamten wahrge-nommen werden soll.“

Die Überbringung von Todesnachrichten, der Um-gang mit Kriminalitätsopfern und ihren Angehöri-gen sowie insbesondere die tatzeitnahe Verneh-mung von Opferangehörigen gehören mit Sicher-heit zu den besonderen Herausforderungen poli-zeilicher Kommunikation. Auch hier erkennen dieSicherheitsbehörden ausdrücklich die Feststel-lungen der Untersuchungsgremien an, verweisenzugleich aber auch auf abweichende Wahrneh-mungen in einzelnen Sachverhalten.155) Bereitsjetzt spielt das Thema „Kommunikation“ in der po-lizeilichen Aus- und Fortbildung in Hamburg eineherausgehobene Rolle. Beispielhaft seien hier dieElemente (1) Verbale und nonverbale Kommuni-kation, (2) Kulturelle Unterschiede in der nonver-balen Kommunikation, (3) Kommunikation und In-dividualisierung sowie (4) Kommunikationsstörun-gen im Modul „Individuelle und gesellschaftlicheGrundlagen beruflichen Handelns“ sowie die Ele-mente (5) Opferbedürfnisse und -erwartungensowie (6) Umgang mit Opfern von Straftaten imLehrfach Soziologie in der Ausbildung zum geho-benen Dienst zu nennen.156)

Insgesamt bezeichnet die Empfehlung des Unter-suchungsausschusses die Schnittstelle zwischenden Empfehlungen, die überwiegend die Verbes-serung der Ermittlungspraxis und denjenigen, dieüberwiegend den Umgang mit Opfern betreffen.Wie bei der Evaluation von Ermittlungsansätzen(s. o.) ist – ungeachtet personeller Ressourcenund der Führungsverantwortung – auch hier frag-lich, ob eine regelmäßige personelle Abtrennungdieser Aufgabe von der eigentlichen Ermitt-lungstätigkeit im Sinne der Gesamtheit der Emp-fehlungen, aber auch bezogen auf den Einzelas-pekt, zielführend wäre. Dies ist Gegenstand lau-fender polizeifachlicher Erörterungen.

„14. Opferzeugen müssen, wenn sie bei Ermittlun-gen befragt werden oder selbst Anzeige erstatten,verpflichtend und wenn erforderlich in ihrer Mutter-sprache auf ihr Recht hingewiesen werden, dassneben einem Anwalt auch eine Person ihres Ver-trauens an der Vernehmung teilnehmen kann. Die-ser Hinweis muss dokumentiert werden.“

Diese Empfehlung des Untersuchungsausschus-ses ist vor dem Hintergrund mancher Feststellun-gen im Rahmen der Vernehmungen oder auchangesichts der Äußerungen der Angehörigen undder Nebenklagevertreter im Prozess gegen BeateZschäpe und drei Unterstützer des NSU vor dem Münchener Oberlandesgericht verständlich.Gleichwohl entspricht sie geltender Rechtslage:

Nach § 406f i. V. m. § 406h StPO haben „Ver-letzte“, also im Sinne der Empfehlung Opferzeu-gen, das Recht, „dass neben einem Anwalt aucheine Person des Vertrauens an der Vernehmungteilnehmen kann.“157) Die darin definierten Rechtewerden Betroffenen mit dem „Merkblatt überRechte von Verletzten und Geschädigten im Straf-verfahren“ mitgeteilt, das in mehreren Sprachenzur Verfügung steht. Ungeachtet der Empfehlungkann an der grundsätzlichen Notwendigkeit einererhöhten Sensibilität im Umgang mit Opfern undZeugen als Lehre aus dem NSU-Komplex jedochkein Zweifel bestehen.

„15. Opfer mutmaßlich rassistisch oder anderwei-tig politisch motivierter Gewalt müssen, wenn sieAnzeige erstatten, Strafantrag stellen oder alsZeuge vernommen werden, auf die spezialisiertenBeratungsangebote auch in freier Trägerschaft undauf Entschädigungsansprüche für Betroffene sol-cher Straftaten hingewiesen werden und derenKontaktdaten ausgehändigt erhalten. Auch dieseHinweise müssen dokumentiert werden.“

Diese Forderung des Untersuchungsausschus-ses spiegelt Forderungen der Delegationen, diedie Signatarstaaten etwa im Rahmen der UN-Anti-folter-Konvention, der Konvention des Europara-tes zur Verhütung von Folter und unmenschlicheroder erniedrigender Behandlung oder Strafe bzw.der Konventionen zur Bekämpfung von Rassen-diskriminierung, inspizieren. Hamburg kann hierstets feststellen, dass jedem Opfer einer Straftatin Hamburg das Merkblatt über die Rechte vonVerletzten und Geschädigten im Strafverfahrenausgehändigt wird, das in zahlreichen Sprachenvorliegt. Dies ist in der Vorgangsbearbeitung ver-

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155) Vgl. etwa Ausführungen in Kapitel 6.4.2. 156) Daneben gibt es in der täglichen Polizeiarbeit durchaus bereits

Spezialisierungen im Bereich Kommunikation, so etwa durchSachbearbeiter für Beziehungsgewalt an den Kriminalermitt-lungsdienststellen oder durch die Einrichtung einer Dienst-stelle mit der Aufgabe des Zeugen- und operativen Opfer-schutzes, den Einsatz der Verhandlungsgruppe zur Opferbe-treuung bei Entführungen, aber auch im Staatsschutzbereichdurch Einrichtung eines eigenen Einsatzabschnittes „An-gehörige“ in herausgehobenen Sonderfällen.

157) § 406f, Absatz 2 StPO: „Bei einer Vernehmung von Verletzten istauf deren Antrag einer zur Vernehmung erschienen Person ihresVertrauens die Anwesenheit zu gestatten, es sei denn, dass diesden Untersuchungszweck gefährden könnte. Die Entscheidungtrifft die die Vernehmung leitende Person; die Entscheidung istnicht anfechtbar. Die Gründe einer Ablehnung sind aktenkundigzu machen.“§ 406h StPO: „Verletzte sind möglichst frühzeitig, regelmäßig,schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichenSprache auf ihre aus den §§ 406d bis 406g folgenden Befug-nisse … hinzuweisen… (…) Die Sätze 1 und 3 gelten auch fürAngehörige und Erben von Verletzten, soweit ihnen die entspre-chenden Befugnisse zustehen.“

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pflichtend zu dokumentieren. Dasselbe gilt fürdas Merkblatt über Entschädigungsleistungen fürOpfer von Gewalttaten. Darüber hinaus werdenweitere Broschüren ausgehändigt: Neben der In-formation zu Opferhilfeeinrichtungen und Bera-tungsstellen auch spezielle Informationen überSoforthilfefonds des Bundes für Opfer extremis-tischer Übergriffe und erforderlichenfalls einemehrsprachige Informationsbroschüre des Mobi-len Beratungsteams gegen Rechtsextremismus.Für Hamburg ergibt sich daher hier derzeit keinweiterer Handlungsbedarf.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses habenneben strukturellen auch schwere individuelle Feh-ler zum Scheitern der Suche nach Böhnhardt,Mundlos und Zschäpe seit dem 26. Januar 1998geführt. Alle Organisationen und Institutionenmüssen damit rechnen, dass immer wieder vonEinzelnen Fehler gemacht werden – und sie müs-sen Vorsorge dafür treffen, dass solche Fehler er-kannt und korrigiert werden können. Hier habenBehördenleitung und Fachaufsicht besondere Ver-antwortung.

16. Laufende, aber erfolglos bleibende Ermittlun-gen zu herausragend schweren Straftaten solltennach einer bestimmten Zeit von Grund aufnochmals durch bisher nicht mit dem Fall befassteerfahrene Ermittler überprüft werden. Auch in die-sem Zusammenhang ist die Entwicklung einer in-ternen Fehlerkultur von besonderer Bedeutung.“

Der Empfehlung ist grundsätzlich zuzustimmen,ihre Umsetzung muss wegen des besonderenAufwandes aber auf herausragende Fälle be-schränkt bleiben; die länderübergreifende Tat-serie mit einer Tatwaffe der Marke Česká wäre mitSicherheit nach heutigen Erkenntnissen ein sol-cher Fall. Bereits jetzt findet eine solche ergän-zende Überprüfung zum einen durch die Fachauf-sicht der Vorgesetzten,158) regelhaft bei herausra-genden Taten, etwa in der Mordkommission oderin ermittlungsunterstützenden Spezialdienststel-len wie der Dienststelle Kommissionsermittlun-gen159) oder der Dienststelle Operative Fallanaly-sen statt. Künftig wird die Erforderlichkeit einersolchen ergänzenden, ermittlungsunabhängigenBetrachtung jedoch offensiver zu prüfen sein; inFällen der politisch motivierten Kriminalität wirddas LfV zu beteiligen sein, um auch hier durcheine erneute Prüfung ggf. weiterführende Ermitt-lungsansätze zu erlangen.

„17. Als ungelöst abgeschlossene Fälle schwererStraftaten sollten bei Fortschritten insbesondereder technischen Ermittlungsmöglichkeiten darauf-hin gesichtet werden, ob erfolgversprechende Er-mittlungsansätze gewonnen werden können und

dann gegebenenfalls neu aufgerollt werden („coldcase units“).“

Selbstverständlich sind nicht nur technischerFortschritt, sondern auch veränderte rechtlicheoder tatsächliche Möglichkeiten insbesondere beischweren Straftaten Anlass, bis dahin erfolgloseErmittlungen fortzusetzen oder neu aufzuneh-men. Dieses findet im LKA Hamburg grundsätz-lich statt. Herausragendes Einzelbeispiel ist hiersicher die DNA-Analytik in Verbindung mit dersystematischen Überprüfung von Altfällen, die invielen Ermittlungsverfahren zu neuen Ermitt-lungsansätzen geführt hat. Ob hierfür generell dieEinrichtung eigener Ermittlungseinheiten erfor-derlich wäre, ist hingegen zu bezweifeln.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wur-den im Bundeskriminalamt vorhandene Daten undRecherchemöglichkeiten durch die Länderpoli-zeien für die Ermittlungen mehrfach nur unvoll-ständig genutzt.

18. Zu den Zentralstellenaufgaben des BKA musses deshalb künftig gehören, bei Anfragen zuschweren Straftaten zu prüfen, ob die gestelltenAnfragen alle Informationsmöglichkeiten aus-schöpfen, die das BKA bieten kann. Zu bestehen-den zusätzlichen Informationsmöglichkeiten sollden ermittelnden Polizeidienststellen Beratung undHilfeleistung angeboten werden.“

Die mit der Empfehlung angesprochenen Defizitein der Zentralstellenfunktion des BKA als Dienst-leister für andere Polizeibehörden können seitensder Polizei Hamburg nicht bestätigt werden. Nachden hier vorliegenden Erfahrungen ist die Zusam-menarbeit mit dem Bundeskriminalamt vertrau-ensvoll und professionell in der Informations-steuerung. Der gegenseitige Austausch der Infor-mationen zu Ermittlungsverfahren formell aufBasis der detaillierten Erstmeldung (so genannteKriminaltaktische Anfrage, KTA) des KPMD PMKsowie weiterer Folge- und Abschlussmeldungen,direkter persönlicher Kontakte und über die ge-meinsamen Extremismus- und Terrorismusab-wehrzentren erfolgt reibungslos. Das Bundeskri-minalamt wie auch andere Dienststellen regen im

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158) Vgl. auch die Stellungnahme zu Empfehlungsziffer 9 oben.159) Die Dienststelle Kommissionsermittlungen (LKA 44) wird als

Teil der Abteilung Schwerkriminalität ausschließlich mit kom-plexen Vorgängen von besonderer Bedeutung und hoher Öf-fentlichkeitswirksamkeit betraut. Mit der jüngsten Umorganisa-tion des LKA kann die Dienststelle – in der Regel direkt durchden Leiter des Landeskriminalamtes – mit Ermittlungen, etwabei Geiselnahmen, Flugzeugentführungen Erpressungen mithoher Öffentlichkeitswirksamkeit und in länderübergreifendenErmittlungen besonderer Fälle der Schwerkriminalität beauf-tragt werden.

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Sinne der vertrauensvollen Zusammenarbeit Maß-nahmen an, soweit dieses Erfordernis erkanntwird. Aus Sicht der Hamburger Sicherheitsbehör-den ist eine formelle Verpflichtung des BKA zur ei-geninitiativen Prüfung aller Anfragemöglichkeiteneines Landes, etwa in nationalen oder internatio-nalen Datenbanken, für die das BKA deutscheZentralstelle ist, ohne Mehrwert; für andere Län-derpolizeien kann dies nicht beurteilt werden. Injedem Fall läge eine rechtliche Änderung in Bun-deszuständigkeit.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wurdedie Gefahr von Rechtsterrorismus auch vom poli-zeilichen Staatsschutz völlig falsch eingeschätzt.

19. Die Ermittlungen zu Fällen, die der Untersu-chungsausschuss beleuchtet hat, sollen in derAus- und Fortbildung für Polizisten aller Laufbah-nen in Bund und Ländern in geeigneter Weise be-handelt werden. In der Aus- und Fortbildung fürFührungskräfte sollen die Fälle analytisch aufgear-beitet und szenarienmäßig durchgespielt werden.“

Der Empfehlung ist eindeutig zuzustimmen. DieErmittlungen zur Tatserie und die dabei festge-stellten Fehler und Versäumnisse haben einenbesonderen Platz in der deutschen Kriminalge-schichte und bieten sich daher für die Aufnahmein Lehrpläne und Curricula der Ausbildung inmehreren Laufbahnabschnitten sowie für die Fort-bildung an, wie es in vergleichbar herausragen-den Fällen auch geschehen ist, etwa in Hinsichtauf die Geiselnahme in Gladbeck. Eine Ausbil-dung am Beispiel des NSU-Komplexes wird auchjene erhöhte Wachsamkeit und Sensibilität för-dern, die mit verschiedenen Forderungen des Un-tersuchungsausschusses adressiert wird. Ham-burg wird dies landesintern umsetzen und die For-derung in länderübergreifenden Zusammenhän-gen nachdrücklich unterstützen.

„20. In der Aus- und Fortbildung müssen Grundla-gen für eine reibungslose Zusammenarbeit allerPolizeibehörden in der föderalen Sicherheitsarchi-tektur gelegt und Verständnis für die unterschiedli-chen Aufgaben unterschiedlicher Sicherheits-behörden geweckt werden.“

Länderübergreifende Zusammenarbeit ist ebensoGrunderfordernis der föderalen Sicherheitsarchi-tektur wie das Verständnis für die Belange ande-rer Sicherheitsbehörden; die Empfehlung des Un-tersuchungsausschusses findet sich denn auchim Abschlussbericht der BLKR.160) Ob über diebisherige Lehre der Grundlagen länderpolizeili-cher Zusammenarbeit sowie die bedarfsorien-tierte, also funktionsbezogene Fortbildung im Be-reich kriminalpolizeilicher Ermittlungen (etwa

durch Nutzung länderübergreifender Zusammen-arbeitsformen bzw. Datenbanken) weitere gezielteVeränderungen der Aus- und Fortbildungsinhalteim Sinne der Empfehlung erforderlich und ziel-führend sind, kann zumindest für den Bereich derhier gut aufgestellten Polizei Hamburg bezweifeltwerden. Im Gegensatz dazu wird die Notwendig-keit einer weiteren Intensivierung der Kenntnisseund des Verständnisses für die Aufgaben der je-weils anderen Sicherheitsbehörde bei Polizei wieVerfassungsschutz betont. Zu prüfen ist hier bei-spielsweise die Erweiterung gegenseitiger Hospi-tationen zur Steigerung des Verständnisses fürdie unterschiedlichen Rechtsvorschriften, Aufga-benstellungen und Herangehensweisen.

„21. Die Aus- und Fortbildung der Polizeien mussinsbesondere für den Staatsschutz die Grundlagedafür legen, dass Rechtsextremismus und Rechts-terrorismus in ihrer Gefährlichkeit nicht unter-schätzt werden. Zudem sollen in die Aus- und Fort-bildung auch die Wissenschaft und zivilgesell-schaftliche Organisationen einbezogen werden.“

Dass die Gefahren durch den Rechtsextremismusund dessen Eskalation zum Rechtsterrorismusüber einen langen Zeitraum nicht erkannt wurde,gehört zu den schmerzlichen Erkenntnissen derSicherheitsbehörden aus dem NSU-Komplex.Gleich mehrere Empfehlungen des Untersu-chungsausschusses wie der BLKR adressierenArbeitsweisen und Strukturen der Sicherheits-behörden, etwa in den Bereichen Ermittlungspra-xis, statistische Erfassung, Erlangung, Zusam-menführung bzw. Auswertung von Informationen,die – jeweils für sich genommen – hierfür mitur-sächlich gewesen sein könnten, ohne dass diesrückwirkend einzeln und konkret zu belegen wäre.

Die an verschiedenen Stellen geforderte Veranke-rung der Lehren aus dem NSU-Komplex in Aus-und Fortbildung der Polizeien wird hier – wie ananderer Stelle – die in der Empfehlung geforderteerhöhte Sensibilisierung unterstützen. Hinsicht-lich der geforderten verstärkten Einbeziehungvon Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die Er-kenntnisgewinnung ist mit der Kernaufgabe Auf-klärung und Information naturgemäß zunächst derVerfassungsschutz adressiert, aber auch die Poli-zeien verschließen sich dem Ansatz keineswegs,wie die begonnene Akademisierung der Ausbil-dung ebenso zeigt wie das polizeiliche Engage-ment in zivilgesellschaftlichen Zusammenhän-gen, etwa der Rechtsextremismusprävention.161)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

160) Auf die entsprechende Stellungnahme in Kapitel 6.3.4, Emp-fehlungsziffer 3.4 wird verwiesen.

161) Vgl. Kapitel 5.

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Zwangsläufig hat sich in sämtlichen Sicherheits-behörden mit der Aufdeckung der Tatserie dasWissen um die nationalen Entwicklungen bzw. die„unbekannten Unbekannten“162) im Bereich desRechtsextremismus seit 1998 signifikant erwei-tert.163) Entscheidend ist daher für die Zukunft, einderartig folgenschweres Defizit im Spannungsfeldzwischen Informationsauswertung, Prognose-möglichkeit und folgender Erkenntnisvertiefungnach Möglichkeit nicht wieder entstehen zu las-sen und dem mit konkreten Maßnahmen entge-genzuwirken. Mehrere der konkreten Empfehlun-gen des Untersuchungsausschusses adressierenhier konkrete denkbare Maßnahmen, deren Kom-bination das entsprechende dauerhafte – keines-wegs ausschließlich oder erstmalig im KomplexNSU/Rechtsterrorismus erwiesene – und niemalsvollständig auszuschließende Risiko in der Arbeitder Sicherheitsbehörden minimieren soll, aberauch niemals wird vollständig ausschließen kön-nen.164) Als Beispiel hierfür seien so unterschiedli-che (und grundsätzlich unumstrittene) Empfeh-lungen genannt wie die schnellere Konsultationder Staatsschutzdienststellen bei Gewalttaten mitungeklärter Motivlage oder die Beiziehung wis-senschaftlicher Expertise in der Informationsaus-wertung, der statistischen Erfassung von Strafta-ten bzw. der Aus- und Fortbildung.

„II. Empfehlungen für den Bereich der Justiz

Bei der Mehrheit der Straftaten, zu denen der Ge-neralbundesanwalt aktuell ermittelt und Anklageerhoben hat, hielt er sich nach dem Ergebnis sei-ner Prüfungen vor dem 4. November 2011 für nichtzuständig. Nach den Feststellungen des Aus-schusses erfolgten die Prüfungen seiner Zustän-digkeit durch den Generalbundesanwalt auf un-genügender Grundlage.

22. Beim Generalbundesanwalt müssen künftigQualitätsstandards für die Prüfvorgänge seinerZuständigkeit in Staatsschutzsachen (ARP-Vor-gänge) gelten. Diese Prüfvorgänge müssen den je-weils aktuellen polizeilichen Sachstands- oder Er-mittlungsbericht und eine Stellungnahme der aktu-ell verfahrensführenden Staatsanwaltschaft enthal-ten.“

Diese Empfehlung fällt ausschließlich in die Zu-ständigkeit der Bundesregierung bzw. insbeson-dere des aufsichtführenden Bundesministers derJustiz und für Verbraucherschutz. Dazu wird indem Bericht der Bundesregierung über den Um-setzungsstand der Empfehlungen des 2. Untersu-chungsausschusses des Deutschen Bundesta-ges in der 17. Wahlperiode (NSU-Untersuchungs-ausschuss)“165) mitgeteilt, dass sich die Bundes-anwaltschaft der Forderung bereits im Februar

2012 eigeninitiativ zugewandt und Standards füreine einheitliche Sachbehandlung der sogenann-ter APR-Vorgänge festgelegt hat.

„23. Für die Zuständigkeit des GBA sollte der Ge-setzgeber beim Erfordernis des Staatsschutzbe-zugs des zu verfolgenden Kapitaldelikts einengrößeren Spielraum eröffnen. Bisher fordert § 120Abs. 2 Nr. 3 GVG, dass ein Kapitaldelikt ,bestimmtund geeignet ist‘, den Bestand eines Staates oderVerfassungsgrundsätze zu beeinträchtigen. Künf-tig sollte hier lediglich gefordert werden, dass dieTat ,bestimmt und geeignet sein kann‘.“

Eine Änderung des § 120 Abs. 2 Nr. 3 Gerichts-verfassungsgesetz (GVG), mit welcher der Staats-schutzbezug eines Kapitaldelikts – unter Beach-tung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zurBundesgerichtsbarkeit (Art. 96 Abs. 5 GG) – soausgestaltet wird, dass dies der Rechtspraxiseine flexiblere Handhabung der Vorschrift eröff-net, ist aus Sicht der Strafverfolgung grundsätz-lich zu begrüßen. In dem bereits genannten Be-richt der Bundesregierung über den Umsetzungs-stand der Empfehlungen des NSU-Untersu-chungsausschusses hat das BMJV angekündigt,dass die Empfehlungen zur Modifizierung der Re-gelungen zur Zuständigkeit des Generalbundes-anwalts im Rahmen eines derzeit in Erarbeitungbefindlichen Gesetzentwurfs aufgegriffen wür-den. Hamburg wird diesen Gesetzentwurf im an-stehenden Gesetzgebungsprozess über den Bun-desrat konstruktiv begleiten.

„24. Das gesetzliche Erfordernis der besonderenBedeutung einer Straftat als Voraussetzung einerZuständigkeit des GBA wird von der Rechtspre-chung eng ausgelegt. Der Gesetzgeber sollte hier

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162) Zu den bekanntesten Zitaten des ehemaligen US-amerikani-schen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld gehört: „Esgibt bekanntes Bekanntes; es gibt Dinge, von denen wir wissen,dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbe-kannte gibt: Das heißt, wir wissen, es gibt Dinge, die wir nichtwissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – Dingealso, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“ –News Briefing des US-Verteidigungsministeriums, 12. Februar2002, Übersetzung: Arno Widmann, Berliner Zeitung,19.03.2011. Quelle: www.wikiquote.org.

163) Kenntnisse über internationale Vorbilder, etwa Erörterungendes „führerlosen Widerstandes“ oder gewalttätiger Modi Ope-randi im skandinavischen Raum lagen nach den Feststellun-gen des Untersuchungsausschusses im Gegensatz dazu imBfV und dessen Veröffentlichungen frühzeitig vor; eine Über-tragung auf Deutschland wurde jedoch nicht erkannt. Vgl. BT-Drs. 17/14600, zweiter Teil, C.3, 234f. und 875.

164) Als Beispiele sind hier etwa zu nennen: die Geiselnahme beiden Olympischen Spielen 1972, die Geiselnahme von Glad-beck 1988, die Terroranschläge vom 11. September 2001 in denVereinigten Staaten, der Amoklauf am Gutenberg-Gymnasiumin Erfurt 2002.

165) BT-Drs. 18/710, vgl. auch Kapitel 8.1.

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durch Bildung von Regelbeispielen schwerpunkt-mäßig deutlich machen, für welche Kapitaldelikteeine Zuständigkeit des GBA bestehen soll.“

Dem Vorschlag, nunmehr durch Bildung von Re-gelbeispielen deutlich zu machen, für welche Ka-pitaldelikte eine Zuständigkeit des Generalbun-desanwalts bestehen soll, wird in der Behörde fürJustiz und Gleichstellung mit Zurückhaltung be-gegnet. Zum einen können sich bei der ins Augegefassten Konkretisierung Schwierigkeiten undMissverständnisse durch die konkrete Ausformu-lierung der Regelbeispiele ergeben. Zum anderenist in der Rechtsprechung bereits eine weitge-hende Konkretisierung des Tatbestandsmerkmalserfolgt.166) Die aufgestellten strengen Anforderun-gen an die Bejahung des Merkmals der besonde-ren Bedeutung werden damit gerechtfertigt, dassdurch die Übernahmeerklärung des Generalbun-desanwalts nicht nur der gesetzliche Richter be-stimmt (Art. 101 GG), sondern auch in die verfas-sungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischenBund und Ländern eingegriffen wird.167)

Die Behörde für Justiz und Gleichstellung geht je-doch davon aus, dass der vom BMJV angekün-digte Gesetzentwurf auch im Hinblick auf dasMerkmal der besonderen Bedeutung einen Rege-lungsvorschlag unterbreiten wird, der dann imweiteren Gesetzgebungsverfahren fundierter be-urteilt werden kann.

„25. Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaftender Länder, in entsprechenden Fällen dem GBA In-formationen zur Prüfung seiner Zuständigkeit zuübermitteln, die bisher in Nr. 202 der Richtlinien fürdas Straf- und Bußgeldverfahren geregelt ist, sollteim Gerichtsverfassungsgesetz verankert werden.“

Sofern sich in einem Verfahren der Verdacht einerzur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte ge-hörenden Straftat ergibt (§ 120 GVG), wird dielandgerichtliche Staatsanwaltschaft – unabhän-gig davon, ob sich eine entsprechende Pflicht ausden RiStBV oder aus dem GVG ergibt – das Ver-fahren dem Generalbundesanwalt zur Prüfungseiner Zuständigkeit vorlegen. Dabei ist die Zur-verfügungstellung von hinreichenden Grundla-gen essentiell, um der vorliegend zutage ge-tretenen Problematik entgegenzuwirken, dasssich der Generalbundesanwalt für nicht zuständigerachtet, weil die Prüfungen seiner Zuständigkeitauf ungenügender Grundlage durchgeführt wer-den mussten. Dennoch würde der Gesetzgeberdurch die Überführung der Regelung aus Num-mer 202 RiStBV in das GVG die Bedeutung derVorlagepflicht auf begrüßenswerte Weise unter-streichen.

Unabhängig von der zukünftigen Verortung derRegelung der Nummer 202 RiStBV hat die Bun-desregierung in ihrem Bericht über den Umset-zungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersu-chungsausschusses darauf hingewiesen, dassdie geforderte Verbesserung des Informations-austausches zwischen den für den Staatsschutzzuständigen Staatsanwaltschaften des Bundesund der Länder für den Phänomenbereich„Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus“ und diebisherige Vorlagepraxis durch die Länderstaats-anwaltschaften in diesen Fällen seitens des GBAmit den Generalstaatsanwältinnen und General-staatsanwälten der Länder wiederholt und einge-hend besprochen worden sei. Dabei wurde sei-tens der Länder die konsequente Beachtung dersich aus dem geltenden Recht ergebenden und inNummer 202 RiStBV näher ausformulierten Vorla-gepflicht zugesagt.

„26. Der Ausschuss erwartet, dass die eine Zu-ständigkeit des GBA begründenden Vorschriften inallen Phänomenbereichen politisch motivierter Kri-minalität nach den gleichen Maßstäben ange-wandt werden.“

Dieser Erwartung des Ausschusses ist uneinge-schränkt zuzustimmen.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses hat esdie Ermittlungen erschwert, dass es nicht zu einemstaatsanwaltschaftlichen Sammelverfahren kam –denn als Ermittlungsbehörde wird die Polizei unter-stützend für die zuständige Staatsanwaltschafttätig, bei der die Sachleitungsbefugnis liegt. Derbeste Weg zu einer einheitlichen Ermittlungs-führung ist deshalb eine einheitliche staatsanwalt-schaftliche Verfahrensführung – in der Regel durchein staatsanwaltschaftliches Sammelverfahren, inden Fällen seiner Zuständigkeit durch den Gener-albundesanwalt.

27. Die Führung eines Sammelverfahrens nachMaßgabe der Nr. 25 ff. der Richtlinien für das Straf-und das Bußgeldverfahren (RiStBV) darf im Inter-esse einer zügigen und wirksamen Strafverfolgungnicht an einer zu restriktiven Einschätzung der dortgenannten Kriterien scheitern.“

Grundsätzlich erscheint es nach Auffassung derBehörde für Justiz und Gleichstellung sachdien-lich, gegen bundesweit agierende Täter Sammel-verfahren in der Hand einer Staatsanwaltschaft zuführen. In erster Linie dürfte dies für massenhaft

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166) Vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000, Az.: 3 StR 378/00und BGH, Beschluss vom 21. März 2002, Az.: StB 4/02, Quellejeweils: www.juris.de.

167) BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009, Az.: AK 20/08, Quelle:www.juris.de.

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begangene Taten in immer gleicher Begehungs-weise (beispielsweise Internetkriminalität miteiner Vielzahl von Geschädigten, die sich überdas gesamte Bundesgebiet verteilen) gelten.Aber auch nach dem Erkennen sonstiger länder-übergreifende Tatserien ist jedenfalls eine frühzei-tige Prüfung angezeigt, ob im Interesse einer zü-gigen und wirksamen Strafverfolgung die Füh-rung einheitlicher Ermittlungen als Sammelver-fahren geboten ist oder ob entweder die Verschie-denartigkeit der Taten oder ein anderer wichtigerGrund einer Zusammenführung der Ermittlungenentgegenstehen.168)

„28. § 143 Abs. 3 GVG sollte um eine Bestimmungergänzt werden, die ausdrücklich festlegt, dasssich „übernahmewillige“ oder „abgabewillige“Staatsanwaltschaften zur Herstellung einer Sam-melverfahrenszuständigkeit antragstellend an denGBA wenden können.“

Sofern eine Staatsanwaltschaft bereit ist, ein bun-desweites Sammelverfahren zu führen, meldetdies gegebenenfalls die zuständige General-staatsanwaltschaft den übrigen Generalstaatsan-waltschaften, welche dafür Sorge tragen, dassalle bundesweit anhängigen Verfahren dorthin ab-gegeben werden. Einer Einschaltung des Gene-ralbundesanwalts bedarf es in dieser Konstella-tion nicht. In erster Linie könnte die Einschaltungdes Generalbundesanwalts daher in solchen Fäl-len sachdienlich sein, in welchen sich dieFührung eines Sammelverfahrens durch eine be-stimmte Staatsanwaltschaft anbietet, diese sichaber weigert, ein derartiges Sammelverfahren zuführen. Für diesen Fall dürfte aber zu erwartensein, dass die Vorschrift des § 143 Abs. 3 GVG be-reits eine ausreichende Gewähr für eine sachge-rechte Verfahrensführung bietet.

Das BMJV hat jedoch angekündigt, im derzeit inder Entwicklung befindlichen Gesetzentwurf auchden Vorschlag für eine Zuständigkeitsbestim-mung durch den Generalbundesanwalt bei Sam-melverfahren zu berücksichtigen. Hamburg wirdeiner diesbezüglich möglicherweise lediglich klar-stellenden Neuregelung offen begegnen und denGesetzgebungsprozess auch in dieser Hinsichtkonstruktiv begleiten.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses ist dieAuswahl der bearbeitenden Staatsanwälte nachallgemeinen Geschäftsverteilungskriterien bei kom-plexen Großverfahren wie den vom Ausschuss un-tersuchten nicht immer sachgerecht.

29. Der Ausschuss empfiehlt daher, in solchen Fäl-len die Vorschrift des § 145 GVG auch tatsächlichzu nutzen, die eine gezielte Auswahl eines geeig-

neten sachleitenden Staatsanwalts durch dieBehördenleitung ermöglicht.“

Eine praktische Anwendung des § 145 GVG, derdie Leiter der Generalstaatsanwaltschaften undStaatsanwaltschaften dazu befugt, für ein be-stimmtes Verfahren eine Staatsanwältin odereinen Staatsanwalt abweichend von allgemeinenGeschäftsverteilungskriterien mit den Ermittlun-gen zu beauftragen, ist für die StaatsanwaltschaftHamburg von eher untergeordneter Bedeutung.Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg kann die Be-arbeitung von komplexen Großverfahren durchgeeignete – in der Regel einer entsprechendenSpezialabteilung angehörende – Dezernenten alsgewährleistet gelten.

Zuletzt ist im Januar 2013 die staatsanwaltschaft-liche Organisation zur weiteren Verbesserung derErmittlungsergebnisse neu ausgerichtet worden.In einer neu gegründeten Abteilung für Kapitalde-likte, die für die Bearbeitung von Straftaten gegendas Leben und von Straftaten der OrganisiertenKriminalität zuständig ist, ermitteln Staatsanwäl-tinnen und Staatsanwälte zentral. Durch diesezentrale Bearbeitung wird gewährleistet, dass dieErmittlungsmaßnahmen bei Tötungsdelikten vonbesonders erfahrenen Staatsanwälten getroffenwerden. Alle Dezernenten in der neu geschaffe-nen Abteilung haben fundierte Kenntnisse hin-sichtlich der Bearbeitung von Tötungsdeliktenund von komplexen Großverfahren aus dem Be-reich der Organisierten Kriminalität. Die Dezer-nenten der neu eingerichteten Abteilung sindrund um die Uhr für die Bearbeitung derartigerVerfahren und damit für die Wahrnehmung derSachleitungsbefugnis vor Ort zuständig. Ergebensich Hinweise auf eine Sonderzuständigkeit, bei-spielsweise der Staatsschutzabteilung, ist dersachleitende Staatsanwalt angehalten, zeitnahKontakt mit dem zuständigen Abteilungsleiter auf-

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168) Ein Garant für eine schnelle Aufklärung – hierauf hat der Aus-schuss auch im Hinblick auf die untersuchte Tatserie hingewie-sen (vgl. BT-Drs. 17/14600, 837) – wäre eine solche zentrale Or-ganisationsstruktur jedoch nicht. Dabei ist im vorliegenden Fallzu berücksichtigen, dass eine Koordination der Ermittlungenim NSU-Komplex durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg statt-fand. Nach Sachlage wäre ein Sammelverfahren ebenfalls beider Staatsanwaltschaft Nürnberg geführt worden. Wären einer-seits auch alle polizeilichen Aufgaben auf die Polizei Nürnbergübertragen worden, hätte dies praktische Schwierigkeiten zurFolge gehabt, da die Nürnberger Polizeibeamten an einer Viel-zahl auswärtiger Tatorte hätten ermitteln müssen, was der Ef-fektivität der Ermittlungen möglicherweise abträglich gewesenwäre. Wäre hingegen die polizeiliche Zuständigkeit, wie vorlie-gend geschehen, bei den für den jeweiligen Tatort zuständigenPolizeidienststellen verblieben, hätte dies den persönlichenKontakt zwischen dem sachleitenden Staatsanwalt und denKriminalbeamten beeinträchtigt, was auch die Ermittlungsar-beit erfahrungsgemäß erschwert.

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zunehmen und die weitere Verfahrensweise zu re-geln.

„30. Auch die Aus- und Fortbildungsangebote fürRichter und die Aus- und Fortbildung für Staatsan-wälte und Justizvollzugsbedienstete müssen dieGrundlage dafür legen, dass Rechtsextremismusund Rechtsterrorismus in ihrer Gefährlichkeit nichtunterschätzt werden. Auch hier sollen in die Ausund Fortbildung die Wissenschaft und zivilgesell-schaftliche Organisationen einbezogen werden.“

Die Empfehlung des Ausschusses zur Stärkungder Aus- und Fortbildung(sangebote) für Richter,Staatsanwälte und Justizvollzugsbedienstete istunterstützenswert. Es ist ein besonderes Anlie-gen der Hamburger Justiz, betreffende Richter,staatsanwaltschaftliche Dezernenten und Justiz-vollzugsbedienstete im Hinblick auf Rechtsextre-mismus und Rechtsterrorismus weiter zu sensibi-lisieren. Das LfV Hamburg hat bereits angeboten,sich – neben den in der Empfehlung genanntenwissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichenOrganisationen – an einer Verbesserung der Aus-und Fortbildungsangebote für die Justiz zu betei-ligen.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aufdie Fortbildungsveranstaltungen der DeutschenRichterakademie, bei denen im überregionalenMaßstab Fortbildungen der Richterinnen undRichter sowie der Staatsanwältinnen und Staats-anwälte erfolgen.169) Bei der Deutschen Richter-akademie wurden und werden Fortbildungen zuThemen wie „Rechtsradikalismus und Neonazis-mus – Neueste Tendenzen“, „Politischer Extre-mismus – Herausforderung für Gesellschaft undJustiz“ sowie „Aktuelle Entwicklungen desRechtsextremismus“ durchgeführt und von denHamburger Richterinnen und Richtern sowieStaatsanwältinnen und Staatsanwälten genutzt.Daneben gab es in den letzten Jahren landes-eigene Fortbildungen zur „Interkulturellen Kom-munikation im Gerichtssaal“. Ziel dieser Fortbil-dungen war auch, Opfer aus anderen Kulturen inihrem Kontext zu sehen und die Richterschaftsowie die Staatsanwaltschaft für die Besonderhei-ten der Kulturkreise zu sensibilisieren.

In der Ausbildung zum Allgemeinen Vollzugs-dienst findet – wenngleich bisher in allgemeine-rem Maßstab – ebenfalls eine Sensibilisierung zudem Thema „Nationalsozialismus“ statt. Im Rah-men der Ausbildung besuchen die Anwärterinnenund Anwärter des Allgemeinen Vollzugsdienstesdie KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme. Ineinem zweitägigen Seminar werden vor Ort In-halte zur Geschichte des Nationalsozialismus inHamburg vermittelt. Dabei stehen die Geschichte

des ehemaligen KZ Neuengamme und die Rolleder Justiz, der Polizei und der Verwaltung derStadt Hamburg im Mittelpunkt.

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung istzudem immer Gegenstand des Lehrplans derAusbildung zum Allgemeinen Vollzugsdienst.Dies umfasst auch die Gefahren aus unterschied-lichen politischen Richtungen. Somit wurden inder Vergangenheit zwar geschichtliche undgrundsätzliche Inhalte zum Thema des Rechtsex-tremismus vermittelt, moderne und konkreteszenennahe Ansätze wie rechtsextreme Organi-sationsstrukturen, der Medieneinsatz dieserKreise, ihre Erkennungszeichen und sonstige Ver-dachtsmomente sind jedoch nicht systematischbehandelt bzw. thematisiert worden.

Aus diesem Grund wurde seitens des Vollzugs-bereichs nunmehr mit dem FachkommissariatLage/Analyse des Landeskriminalamts Hamburgvereinbart, dass zukünftig im Bereich des mittle-ren Justizvollzugsdienstes im Lehrplan fest instal-lierte Unterrichtseinheiten zu der Thematik durch-geführt werden. Dies betrifft auch die bereits lau-fenden Durchgänge. Ein entsprechendes Ange-bot als Fortbildung für das Stammpersonal istebenfalls in Planung.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wur-den nach den damaligen Ermittlungen zu Straf-taten, die der GBA in seine Anklage vor dem OLGMünchen einbezogen hat, in mehreren Fällen As-servate vernichtet, die heute bedeutsam sein könn-ten.

31. Gesetzlich geregelt werden sollte, dass Asser-vate zu ungeklärten Verbrechen nicht vor Ablaufder jeweiligen gesetzlichen Verjährungsfrist (bzw.frühestens nach Ablauf der längsten gesetzlichenVerjährungsfrist bei nicht verjährenden Verbre-chen) amtlich vernichtet werden dürfen.“

Im Hinblick auf das Legalitätsprinzip bestehtgrundsätzlich das Erfordernis, Beweismittel solange aufzubewahren, wie sie für ein Verfahrenmöglicherweise relevant sind. In der Regel solltedaher in Verfahren zu ungeklärten Verbrechen vorAblauf der Verfolgungsverjährung keine Vernich-tung von beweiserheblichen Asservaten erfolgen.

Die Schaffung einer diesbezüglich klarstellendenVorschrift (ggf. auch in den RiStBV), wird insbe-sondere vor dem Hintergrund nicht absehbarerFortschritte wissenschaftlicher Untersuchungs-methoden begrüßt. Zur Umsetzung erscheint bei-spielsweise eine Orientierung an Nummer 622

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

169) Vgl. BT-Drs. 18/710, Ziffer 5b; vgl. auch Kapitel 8.1.

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der in Hamburg geltenden Aufbewahrungsfristenfür das Schriftgut der ordentlichen Gerichtsbar-keit, der Staatsanwaltschaften und der Justizvoll-zugsbehörden sachgerecht. Danach sind Aktenin allen Fällen mindestens so lange aufzubewah-ren, als nicht die Strafverfolgung durch Ver-jährung ausgeschlossen ist; in den Fällen, indenen die Tat der Verjährung nicht unterliegt, sindsie so lange aufzubewahren, wie eine Strafverfol-gung den Umständen nach noch möglich ist.170)

„III. Empfehlungen für den Bereich der Verfassungsschutzbehörden

Nach den Feststellungen des Ausschusses hattenmehrere Verfassungsschutzbehörden Informatio-nen gewonnen, die für die Suche nach dem Trio be-deutsam gewesen wären. Diese Informationenwurden aber teilweise nicht oder unzureichendausgewertet, nirgends zusammengeführt undnicht verlässlich für die Ermittlungen nutzbar ge-macht. Die unterschiedlichen Schlussfolgerungender Fraktionen dazu reichen von Empfehlungen fürverbesserte Auswertung und Informationsweiter-gaberegelungen bis zur Abschaffung der Verfas-sungsschutzbehörden in der jetzigen Form, begin-nend mit der Abschaffung nachrichtendienstlicherMittel. Entsprechend sind die nachfolgenden ge-meinsamen Empfehlungen als Sofortmaßnahmenund Minimalkonsens zu verstehen – da DIE LINKEden Verfassungsschutz als Inlandsnachrichten-dienst letztlich abschaffen und Bündnis 90/DieGrünen ihn auflösen und neu strukturieren wollen.

32. Künftig muss sichergestellt sein, dass im Ver-fassungsschutzverbund vorliegende Informatio-nen von länderübergreifender Bedeutung zentralzusammengeführt und auch tatsächlich gründlichausgewertet werden sowie die Ergebnisse dieserAuswertung allen zuständigen Verfassungsschutz-behörden zur Verfügung stehen. Zur Vermeidungvon Doppelarbeit muss für eine effiziente Abstim-mung im Verfassungsschutzverbund Sorge getra-gen sein.“

Wie bereits eine Empfehlung der BLKR171) zielenauch die Empfehlungen 32 und 34 des Untersu-chungsausschusses auf die festgestellten Defi-zite im Informationsaustausch der Verfassungs-schutzbehörden im Rahmen der Entwicklung desRechtsterrorismus wie im Zusammenhang mitdem Untertauchen des NSU bzw. seiner Unter-stützung aus der rechten Szene.

Die Empfehlung des Untersuchungsausschussesentspricht zwar weitgehend dem bereits existie-renden Regelwerk (BVerfSchG, HmbVerfSchG,ZAR); gleichwohl sind die Defizite der praktischenZusammenarbeit bei der Kommunikation und Ko-

ordination der Zusammenarbeit der Sicherheits-behörden im Fall NSU nicht zu leugnen. Seit 2011sind daher bereits mehrere Initiativen zur Verbes-serung des Informationsaustausches ergriffenworden:172)

– Überarbeitung der Richtlinie für die Zusam-menarbeit des BfV und der LfV (ZAR) im Jahr2012 mit Stärkung der Zentralstellenfunktiondes BfV (Lagebilder, Koordinierungsaufgabenund „Evokationsrecht“ des BfV) expliziter Ver-pflichtung der Landesämter für Verfassungs-schutz zur Übermittlung relevanter Informatio-nen. Gemäß Vorschlag der Bund-Länder-Kom-mission Rechtsterrorismus soll die Vorschrift indie Neufassung des BVerfSchG einfließen.

– Einführung von NADIS – WN als umfassendegemeinsame Datei der Verfassungsschutz-behörden mit einem automatischen Zugriffaller Behörden bzw. der jeweiligen Fachberei-che auf sämtliche vorliegenden Erkenntnissezu einzelnen Personen oder Gruppierungen.Das neue System bietet diese Möglichkeitenallerdings zunächst nur in einigen Bereichen,darunter dem Rechtsextremismus.173)

– Gründung des Gemeinsamen Abwehrzen-trums Rechtsextremismus (GAR) bzw. des Ge-meinsamen Extremismus- und Terrorismusab-wehrzentrums GETZ174) als Plattformen für den

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

170) Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine grundsätzlichlängere Verwahrung von Asservaten zusätzliche Lagerkapa-zitäten bei Polizei und Staatsanwaltschaft erfordern würde. DieAsservatenstellen sind bereits derzeit stark belastet. Eine Er-weiterung der Kapazitäten mit den entsprechenden baulichenVoraussetzungen sowie Sicherheitsvorkehrungen etc. würdeerhebliche finanzielle Aufwendungen erfordern; dies sollte beider konkreten Ausgestaltung der Umsetzung der Empfehlungdaher berücksichtigt werden.

171) Vgl. Stellungnahme in Kapitel 6.3.2., Empfehlungsziffer 3.1.172) Vgl. hierzu und im Folgenden die ausführlicheren Darstellun-

gen von einzelmaßnahmen in Kapitel 4 und 5.173) Der vor dem Hintergrund des NSU-Komplexes geänderte § 6

Satz 8 BVerfSchG lautet: „Die Führung von Textdateien oder Da-teien, die weitere als die in Satz 2 genannten Daten (d. h. Grund-daten und Fundstellen, BIS) enthalten, ist unter den Vorausset-zungen dieses Paragraphen nur zulässig für eng umgrenzte An-wendungsgebiete zur Aufklärung von sicherheitsgefährdendenoder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, vonrechtsextremistischen Bestrebungen oder von Bestrebungen,die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltan-wendung vorzubereiten.“ Insofern kann das neue Systemebenso wie die bis Juni 2012 betriebene, alte Version vonNADIS in anderen Phänomenbereichen in vielen Bereichenweiterhin nur als Fundstellendatei, die Rückfragen bei den er-kenntnisführenden Dienststellen erfordert und keine Verknüp-fungen ermöglicht, genutzt werden. Radikalisierungsverläufesind so in vielen Fällen nicht nachzuvollziehen.

174) Das GAR ist nach Gründung des GETZ als GETZ-rechts in des-sen Organisation integriert worden, die Abkürzung GAR wirdaber häufig weiter verwendet.

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laufenden Informationsaustausch der Sicher-heits- und Strafverfolgungsbehörden

– Schaffung der Rechtsextremismus-Datei (RED)als Grundlage für eine Verdichtung und Ver-knüpfung vorliegender Informationen zur Ver-hinderung strafrechtlich relevanter rechtsextre-mistischer Aktivitäten bzw. der Verfolgungrechtsextremistischer Straftaten175)

– Verstärkung der Koordination innerhalb desVerfassungsschutzverbundes mit dem Ziel ar-beitsteiligen Vorgehens im Rahmen von Bund-Länder-Projektgruppen und gemeinsame Aus-werteprojekte sowie weitere Abstimmungsver-fahren bei operativen Maßnahmen, insbeson-dere im Bereich der VP-Führung.

Im Rahmen der fachlichen Prüfung des Ab-schlussberichtes des Untersuchungsausschus-ses wird zu erörtern sein, ob und inwieweit dieseMaßnahmen zu ergänzen sind.

„33. Die auf Grund der geltenden Rechtslage oh-nehin bestehende Verpflichtung, die Vorschriftenfür die Übermittlung von Informationen der Nach-richtendienste von Bund und Ländern an die Straf-verfolgungsbehörden konsequent anzuwenden,muss unter Beachtung des Trennungsgebotes um-gesetzt werden.“

In Hamburg ist das Trennungsgebot zwischen Poli-zei und Verfassungsschutz landesgesetzlich in §2Abs. 2 des Hamburgischen Verfassungsschutzge-setzes (HmbVerfSchG) normiert. Dies bedeutet inerster Linie eine Trennung von Befugnissen, ins-besondere spezifischen polizeilichen Exekutivbe-fugnissen, die dem LfV nicht zustehen. Es bein-haltet jedoch nicht, dass es zwischen beiden Ver-waltungsbereichen keinen Austausch von Infor-mationen geben darf. Dies ist möglich, indes istder Informationsaustausch zu beschränken. Einegesetzliche Beschränkung erfolgt zum einendurch die für das LfV Hamburg geltende landes-gesetzliche Übermittlungsvorschrift in § 14 Hmb-VerfSchG. Danach können grundsätzlich Informa-tionen einschließlich personenbezogener Datenvom LfV an inländische öffentliche Stellen über-mittelt werden, wenn dies zum Schutz vor Bestre-bungen oder Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 Hmb-VerfSchG zwingend erforderlich ist oder der Emp-fänger eine Sicherheitsüberprüfung durchführt.

Zusätzlich dürfen Informationen einschließlichpersonenbezogener Daten an die Polizei und dieStaatsanwaltschaft übermittelt werden, wenntatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dassjemand bestimmte Straftaten begangen hat, hierinsbesondere die Staatsschutzdelikte des Straf-gesetzbuches, aber auch Straftaten aus straf-

rechtlichen Nebengesetzen wie dem Außenwirt-schaftsgesetz und dem Kriegswaffenkontrollge-setz. Bezogen auf personenbezogene Daten, diedas LfV selbst mit nachrichtendienstlichen Mittelnerhoben hat, darf das LfV nach § 14 HmbVerf-SchG die Daten an Staatsanwaltschaft und Polizeinur übermitteln, wenn diese die tatsächlichen undrechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebungnach den entsprechenden Regelungen der Straf-prozessordnung oder des Gesetzes über die Da-tenverarbeitung der Polizei gehabt hätten. Fürden Bereich der aus einer Maßnahme nach demGesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- undFernmeldegeheimnisses (G10) erlangten Datenergeben sich die Übermittlungsvoraussetzungenaus dem G10 selbst.176)

Die vorliegende Forderung des Untersuchungs-ausschusses adressiert, wie die entsprechendenEmpfehlungen der BLKR,177) eine komplexe Pro-blemstellung, die mit dem Urteil des Bundesver-fassungsgerichts und den Maßgaben zum infor-mationellen Trennungsgebot178) zusätzlich akzen-tuiert worden ist. Handlungs- bzw. zunächst Prü-fungsbedarf ergibt sich daher aus drei Quellen,namentlich BLKR-Empfehlung, Empfehlung desUntersuchungsausschusses sowie Bundesver-fassungsgerichtsurteil, wobei die Empfehlungennicht ohne weiteres mit dem Urteil vereinbar sind.Zur Prüfung der Empfehlungen wie der Folgerun-gen aus dem Urteil sind Bund-Länder-Arbeits-gruppen eingesetzt, deren Arbeit Hamburg kon-

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175) Die Folgen des in Kapitel 7 kurz dargestellten Urteils des Bun-desverfassungsgerichts zum Antiterrordateigesetz auf die Da-tenhaltung in der ATD bzw. der nach ihrem Vorbild aufgebautenRED und damit auf die Funktionen dieser Dateien sind zumZeitpunkt der Erstellung der Drucksache (März 2014) nochnicht vollständig absehbar.

176) § 4 Abs. 4 G10 bestimmt, dass Daten nur übermittelt werdendürfen„1. zur Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten, wenn

a) tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen,dass jemand eine der in § 3 Abs. 1 und 1a genanntenStraftaten plant oder begeht,

b) bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass je-mand eine sonstige in § 7 Abs. 4 Satz 1 genannte Straftatplant oder begeht,

2. zur Verfolgung von Straftaten, wenn bestimmte Tatsachen denVerdacht begründen, dass jemand eine in Nummer 1 be-zeichnete Straftat begeht oder begangen hat, oder

3. zur Vorbereitung und Durchführung eines Verfahrens nach Ar-tikel 21 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes oder einer Maß-nahme nach § 3 Abs.1 Satz 1 des Vereinsgesetzes,

soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforder-lich sind.“

177) Vgl. Stellungnahme in Kapitel 6.3.2., Empfehlungsziffer 6.178) Vgl. Kapitel 7.

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struktiv begleitet. Landesgesetzlicher Änderungs-bedarf wird – unter Beachtung der auf Harmoni-sierung zielenden Empfehlungen der BLKR – inEntsprechung zu bundesgesetzlichen Vorgabenzu prüfen sein.

„34. In allen Verfassungsschutzbehörden mussdurch Controlling für einen sorgsamen und effekti-ven Umgang mit den vorliegenden Informationengesorgt werden.“

Dieser Forderung ist sowohl durch entsprechendeRegelungen zur Verarbeitung und Übermittlungvon Daten, insbesondere in den entsprechendenDienstvorschriften, als auch durch die Kontrolleder praktischen Arbeitsabläufe Rechnung zu tra-gen. Letzteres ist überwiegend unersetzbareFunktion der Dienst- und Fachaufsicht durch Vor-gesetzte sowie eine Frage der Qualifizierung derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daneben hatdas LfV Hamburg seit 2011 bereits die Dienstvor-schrift zum Umgang mit G10-Vorgängen (DV-G10,VS-NfD) überarbeitet; überarbeitete Fassungender DV-Nachrichtendienstliche Mittel (VS-V) so-wie der DV-Beschaffung (VS-V) sind am 1. April2014 in Kraft getreten; damit soll nach Möglichkeitauch dem mit der Empfehlung verfolgten ZielRechnung getragen werden.179) Bei der Bearbei-tung so genannter G10-Maßnahmen werden imLfV bereits sämtliche Vorgänge durch die G 10-Stelle gesteuert; daneben findet eine übergrei-fende Kontrolle der Abläufe durch eine Clearing-Stelle mit Mitarbeitern aus allen beteiligten Berei-chen statt. Bei der Einstellung von Informationenin das Informationssystem NADIS-WN des Verfas-sungsschutzverbundes ist außerdem die erforder-liche Qualitätssicherung im LfV personell ver-stärkt worden. Ob neben den genannten weitereMaßnahmen erforderlich sind, wird im Rahmender fachlichen Erörterungen der Empfehlungendes Untersuchungsausschusses zu prüfen undim Rahmen der anstehenden Befassung mit demzuständigen PKA zu erörtern sein.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses warendie im BfV im Untersuchungszeitraum geltendenVorschriften für die Datenspeicherung und Daten-löschung, Aktenhaltung und Aktenvernichtungnicht zeitgemäß. Als Sofortmaßnahmen empfiehltder Ausschuss:

35. In den gesetzlichen Grundlagen der Nachrich-tendienste muss Rechtsklarheit hinsichtlich derdatenschutzrechtlichen Prüfung und Vernichtungvon elektronischen und Papierakten herbeigeführtwerden, um so die Erfüllung der gesetzlichen Auf-gaben des grundrechtlich gebotenen Datenschut-zes und der rechtsstaatlichen Grundsätze der Ak-tenklarheit und Aktenwahrheit zu gewährleisten.“

Die Empfehlung hebt zunächst auf die umfang-reichen Feststellungen des Untersuchungsaus-schusses zu Daten- und Aktenführung im BfVab.180) Daher ist zu prüfen, inwiefern die dortgeäußerte Kritik auf Rahmenbedingungen oderdie Praxis im LfV Hamburg zutrifft. GesetzlicheRegelungen zum Umgang mit Daten finden sichin §§ 9 ff. des HmbVerfSchG. Insbesondere sindZeiträume für Erforderlichkeitsprüfungen, Aufbe-wahrungsfristen und Löschpflichten benannt. ImÜbrigen ist über einen Verweis im HmbVerfSchGauch im LfV die behördenübergreifende Rege-lung zu Berichtigung, Sperrung und Löschungvon Daten in § 19 Hamburgisches Datenschutz-gesetz (HmbDSG) einzuhalten. Für den Bereichder G10 Maßnahmen bestehen eigene, ebensoklare Vorschriften im G10-Gesetz.

Zwar ähneln die Vorschriften des HmbVerfSchGdenen des Bundesverfassungsschutzgesetzes(BVerfSchG), doch trifft beispielsweise ein we-sentlicher Kritikpunkt des Bundesbeauftragtenfür den Datenschutz die unterschiedlichen Rege-lungen zu Akten und Dateien im BVerfSchG;zudem hatte der Datenschutzbeauftragte kriti-siert, die Regelungen zu Akten im BVerfSchGseien unvollständig, und es fehle eine konkreteRegelung, welche Vorschriften auf elektronischeAkten in einer für den NSU-Komplex relevantenDatei des BfV anzuwenden seien. Diese Kritik-punkte des Bundesdatenschutzbeauftragten sindnicht auf das HmbVerfSchG übertragbar. In den§§ 9 ff. HmbVerfSchG werden Speicherungs-dauer und Löschpflichten einheitlich für Daten inAkten und Dateien geregelt.181) Zudem wird eineelektronische Akte im LfV nicht geführt.

Ungeachtet dessen werden jedoch Belange desDatenschutzes bei den laufenden und anstehen-den Neuregelungen gesetzlicher, untergesetz-licher Regelungen und interner Vorschriften unterWürdigung der Feststellungen des Untersu-chungsausschusses auch in Hamburg sorgfältigzu prüfen sein.182)

„36. In den Nachrichtendiensten müssen auf deraktualisierten gesetzlichen Grundlage Vorschriften

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179) Zum selben Datum trat auch eine weiteren überarbeiteteDienstvorschrift in Kraft, die DV Funkbeobachtung und Stand-ortbestimmung gemäß § 8 Absatz 2 Nummer 8 HmbVerfSchG.

180) BT-Drs. 17/14600, 745ff. 181) Dabei werden auch die Bestimmungen zum Umgang mit

Registraturgut innerhalb der Freien und Hansestadt Hamburgberücksichtigt, die sich aus Hamburgischen Archivgesetz (HmbArchG) ergeben.

182) Vgl. hierzu Stellungnahme zu Empfehlungsziffer 37.

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und Dienstanweisungen zu Datenspeicherung undAktenhaltung, Datenlöschung und Aktenvernich-tung geschaffen werden, die für die Bearbeiterin-nen und Bearbeiter verständlich und möglichst un-kompliziert handhabbar sind.“

Diese wie die vorangegangene Empfehlung desUntersuchungsausschusses wird – nicht zuletztin Hinsicht auf die allgemeine Forderung nachHarmonisierung rechtlicher Vorschriften durchdie BLKR – in Hamburg zu prüfen sein. Ungeach-tet einer vertieften Prüfung dieser Empfehlung,die eine ganze Reihe landesinterner wie Vor-schriften mit länderübergreifender Wirkungadressiert, sind nachfolgend genannte Änderun-gen in Hamburg zunächst zu betrachten:

– Die o. g. überarbeitete Dienstvorschrift G10wurde im September 2013 in der Sitzung desParlamentarischen Kontrollausschusses (PKA)erörtert und ist am 1. Oktober 2013 in Kraft ge-treten.183)

– Die Novellierung der Verschlusssachenanwei-sung für die Behörden der Freien und Hanse-stadt Hamburg (HmbVSA) – zentrales Rege-lungswerk für den Umgang mit Verschluss-sachen – ist überfällig und gerade in Hinsichtauf die zunehmende Bedeutung digitaler Me-dien dringend geboten. Allerdings ist insbe-sondere in Bezug auf den bundesweiten Aus-tausch von Verschlusssachen zwischen denBehörden ein wichtiges Ziel, bund- und lan-desübergreifend harmonisierte Vorschriften zuschaffen, die einen möglichst praktikablen unddennoch sicheren Umgang mit Verschluss-sachen auch im Informationsaustausch zwi-schen dem Bund und den Ländern sowie denLändern untereinander ermöglichen. Daherwartet Hamburg dringend auf die Novelle derentsprechenden Bundesregelungen durch daszuständige Bundesministerium des Innern, dienach jetzigen Ankündigungen im Jahresver-lauf 2014 beschlossen werden könnte. Mit derOrientierung der HmbVSA an der Novelle aufBundesebene würde nicht nur dem Harmoni-sierungs-Paradigma der BLKR auch in diesemBereich Rechnung getragen, sondern be-trächtlicher Mehraufwand durch eine mögli-cherweise zweite erforderlich Novellierung in-nerhalb kurzer Zeit vermieden.

Im Übrigen dienen weitere Dienstvorschriften desLfV, wie z.B. die Datei- oder die Registraturanwei-sung, dem Ziel der Empfehlung. Bei jeder aktuel-len Anpassung dieser wie der anderen im Sinneder Empfehlung relevanten Vorschriften werdendie Grundsätze der Klarheit und der Handlungssi-cherheit stets beachtet.

„37. Die Rolle des behördeninternen Datenschutz-beauftragten in den Nachrichtendiensten soll ge-stärkt und dieser direkt an die Amtsleitung ange-bunden werden.“

Die BIS hat zu Beginn des Jahres 2013 gemäß § 10a HmbDSG einen Behördlichen Datenschutz-beauftragten (behDSB) bestellt; dieser ist fürsämtliche Fachämter der BIS einschließlich desLfV zuständig. Der behDSB ist gemäß HmbDSGweisungsfrei und berichtet direkt an Senator undStaatsrat der BIS, denen zugleich direkt dieDienst- und Fachaufsicht über das LfV obliegen,und hat dort ein Vortragsrecht.184) Gemäß dembehördenübergreifend gültigen Konzept zumBehördlichen Datenschutzbeauftragten, das aufeinem Senatsbeschluss vom 28. August 2008 be-ruht,185) ist dieser „Ansprechperson der Behördefür alle grundlegenden datenschutzrechtlichen Be-lange und informiert die Behördenleitung ggf. übermögliche Problemlagen“.

Die Feststellungen des Untersuchungsausschus-ses berühren Aspekte des Datenschutzes in meh-reren Fällen und führen zu insgesamt drei Emp-fehlungen in diesem Bereich. So haben die Ver-nehmungen des Untersuchungsausschusses ge-zeigt, dass notwendige und zulässige Informa-tionsübermittlungen in einigen Fällen (außerhalbHamburgs) unter unzutreffendem Verweis auf Da-tenschutzgesichtspunkte unterblieben;186) dane-ben spielen Aspekte der Datenhaltung, -führungund des Datenschutzes auch an anderen Stellenimmer wieder eine herausgehobene Rolle, diesungeachtet der zusätzlichen Feststellungen zuden Datenlöschungen nach dem 11. November2011. Eine weitere Reaktion auf die Aufarbeitungdes NSU-Komplexes wird daher – neben dem viel-fach angesprochenen Erfordernis erhöhter Sensi-bilisierung sowie Aus- und Fortbildung – auch ge-setzliche und untergesetzliche Neuregelungen(sowie den Aspekt der von der BLKR gefordertenHarmonisierung) umfassen. Hinzu kommen dieabsehbar auch datenschutzrechtlich relevanten

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183) Zur Überarbeitung weiterer Dienstvorschriften vgl. Kapitel5.1.3.

184) Im Zuge der Bestellung des derzeitigen behDSB der BIS wurdefür diesen eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicher-heitsermittlungen (Ü 3) nach dem Hamburgischen Sicher-heitsüberprüfungs- und Geheimschutzgesetz durchgeführt.Somit verfügt er über das erforderliche Niveau zur uneinge-schränkten datenschutzrechtlichen Beratung und Begleitungdes LfV.

185) Drs. 2008/01549.186) Beispielhaft genannt sei hier die Vernehmung eines ehemali-

gen Mitarbeiters des LfV Baden-Württemberg, in BT-Drs.17/14600, 468ff., hier 470.

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Folgerungen, die sich aus dem Urteil des Bun-desverfassungsgerichts zum Antiterrordateige-setz ergeben und die im Jahr 2014 umzusetzensind.

Für sämtliche dieser anstehenden Aufgaben istmit dem behDSB spezialisierte Kompetenz beider Behördenleitung der BIS angesiedelt. Diesgilt für die anstehenden Neufassungen gesetzli-cher, untergesetzlicher bzw. interner Regelungenzur Informationsübermittlung zwischen Polizeiund Verfassungsschutz, zwischen Bundes- undLandesebene sowie für das Hinwirken auf dieUmsetzung und Einhaltung der datenschutzrecht-lichen Vorschriften für die Sicherheitsbehördenund die entsprechenden datenschutzrechtlichenSensibilisierungsmaßnahmen in den jeweiligenBereichen.187) Als auf Belange der Sicherheits-behörden übergreifend spezialisierte Einrichtungkann der behDSB daher Polizei wie Verfassungs-schutz beraten, Schnittstellen würdigen, Doppel-arbeit vermeiden, abgestimmte Empfehlungengeben und Amtsleitungen wie die Behördenlei-tung beraten; daneben ist nach §23 Abs. 4 S. 2HmbDSG der Hamburgische Beauftragte für Da-tenschutz und Informationsfreiheit für eine ex-terne Kontrolle zu beteiligen.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses wurdedie Gefahr von Rechtsterrorismus von den Verfas-sungsschutzbehörden völlig falsch eingeschätzt.Solchen Fehleinschätzungen kann aus Sicht desAusschusses durch Maßnahmen begegnet wer-den, die unter anderem auf eine „Öffnung“ des Ver-fassungsschutzes zielen.

38. Der Verfassungsschutz braucht mehr Wissenund eine größere Sensibilität für die Gefahren, dieDemokratie und Menschenwürde in Deutschlanddurch die Verbreitung rechtsextremen Gedanken-guts und rechtsextremer Strukturen drohen. In denVerfassungsschutzbehörden wird ein umfassen-der Mentalitätswechsel und ein neues Selbstver-ständnis der Offenheit gebraucht – und keine„Schlapphut-Haltung“ der Abschottung.“

Diese und die folgenden Empfehlungen spiegelndie die Polizeien betreffende Empfehlungsziffer 2.Dabei ist – stärker noch als bei den polizeilichenAufgaben Prävention und Repression – Offenheiteine Grundvoraussetzung der Aufgabe Auf-klärung und Informationsgewinnung. Dabei gehtes um Offenheit (1) gegenüber den Parlamentenim Sinne der an anderer Stelle von BLKR wie Un-tersuchungsausschuss geforderten verbessertenTransparenz und Kontrolle, (2) gegenüber ande-ren Behörden und deren Aufgaben, (3) gegenüberder Zivilgesellschaft oder auch der Wissenschaftund schließlich (4) gegenüber gesellschaftlichen

Entwicklungen und dem o. g. „Unerkannten“ derbeobachteten Phänomenbereiche. Die Verein-barung dieser geforderten Offenheit mit derebenso funktionsbedingten Geheimhaltung isteine enorme Herausforderung, der die Nachrich-tendienste mit ihrer – teils funktionsbedingten –ausgeprägten Binnenorientierung unstreitig nichtimmer gerecht werden.

Grundsätzlich ist zunächst gerade in Hinsicht aufden hier wie an anderer Stelle geforderten Menta-litätswechsel realistisch festzustellen, dass derar-tige Änderungsprozesse sich weitgehend schrift-licher Anweisung, kurzfristiger Fortbildung oderähnlich kurzfristig wirksamen Instrumenten ent-ziehen, sondern bestenfalls Ergebnis mittel- bislangfristiger institutioneller Entwicklung unddamit immer auch Führungsaufgabe sind. Ob diemit der bereits ausführlich dargestellten Neuaus-richtung des Verfassungsschutzes, etwa in denBereichen Aus- und Fortbildung oder Personalge-winnung, bereits ergriffenen Initiativen zur Öff-nung der Verfassungsschutzbehörden in diesemSinne ausreichend sind, wird im Rahmen derfachlichen Erörterung der Empfehlungen des Un-tersuchungsausschusses innerhalb der IMK wieder anstehenden Debatten des Bundestages wieder Landesparlamente zu prüfen sein.

„39. Die Verfassungsschutzbehörden werdendurch Öffnung gewinnen. Sie müssen sich im Be-reich der Personalgewinnung und in ihrer Arbeits-weise deutlich verändern. Dazu gehören u. a. dieÖffnung der Ausbildungswege und die Einstellungvon Quereinsteigern, mehr Mitarbeitertausch mitanderen Behörden auch außerhalb des Geschäfts-bereichs des BMI sowie die laufende inhaltlicheAuseinandersetzung mit Wissenschaft und Zivilge-sellschaft.“

Der einleitenden Einschätzung ist uneinge-schränkt zuzustimmen. So hat sich im LfV Ham-burg in den Phänomenbereichen Rechtsextremis-mus wie Islamismus die Hinzuziehung sozial-bzw. islamwissenschaftlichen Sachverstandesbereits als außerordentlich hilfreich erwiesen. DiePersonalgewinnung aus der Wissenschaft solldaher fortgesetzt werden, steht jedoch in Abhän-gigkeit zu finanziellen Ressourcen. Derzeit stam-men rd. 75% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes LfV nicht aus dem LfV selbst bzw. aus der Po-lizei, sondern aus anderen Behörden und Dienst-stellen.

Im Rahmen der o. g. „Neuausrichtung des Verfas-sungsschutzes“ befasste sich im Jahr 2013 eine

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187) Die originären datenschutzrechtlichen Zuständigkeiten vonDienststellen der BIS sind davon nicht berührt.

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Arbeitsgruppe des Arbeitskreises Verfassungs-schutz der IMK (AK IV) mit Kriterien der Personal-gewinnung und -auswahl und weiteren denkbarenMaßnahmen mit dem Ziel einer Erhöhung der Öff-nung des Verfassungsschutzes. Neben Maß-nahmen, die noch zu prüfen sind und solchen, die erst Ergebnis mittel- und langfristiger Entwick-lungen sein können, ist bereits jetzt im LfV ge-plant:

– Einführung einer verbindlichen, insgesamt 12-monatigen Zusatzausbildung für neue Mitar-beiter mit abgeschlossener Berufsausbildungan der gemeinsam von Bund und Ländern ge-tragenen Schule für Verfassungsschutz (SfV)

– Einführung von Hospitationen zwischen BfVund LfV Hamburg bzw. anderen Landesäm-tern, dies u. a. mit dem Ziel der auch an ande-rer Stelle geforderten erhöhten Sensibilität fürdie Aufgaben anderer Sicherheitsbehördenbzw. anderer Ebenen der Sicherheitsarchitek-tur.

Weitere Maßnahmen im Sinne der o. g. weiterenAspekte der Öffnung und Erhöhung der An-schlussfähigkeit der Institution Verfassungs-schutz188) werden zu prüfen sein.

„40. Die Verfassungsschutzbehörden müssen mitgesellschaftlicher Vielfalt kompetent umgehen.Das muss sich auch in ihrem Personalbestand wi-derspiegeln. Wie auch bei der Polizei müssen In-terkulturelle Kompetenz, Diskursfähigkeit und eineFehlerkultur zum Leitbild gehören und durch inten-sive Aus- und Fortbildung entwickelt werden.“

Grundsätzlich ist in Hinsicht auf diese unstreitigrichtige Empfehlung zunächst festzuhalten: Auf-klärung ausländerextremistischer Szenen aus freizugänglichen Quellen wie mit nachrichtendienst-lichen Mitteln, hier insbesondere V-Personen, istohne interkulturelle Kompetenz in den Verfas-sungsschutzämtern ebenso wenig zu leisten wiedie professionelle Zusammenarbeit mit ausländi-schen Nachrichtendiensten. So gewinnt das LfVüber die VP-Führung in den Bereichen Islamis-mus und auslandsbezogener Extremismus viel-fältige Einsichten in die kulturelle Lebenswirklich-keit vieler Zuwanderungsgemeinden. Das LfVverfährt daher bereits seit geraumer Zeit entspre-chend der Empfehlung, wobei nicht geleugnetwerden soll, dass diese Kompetenzen zum einenauszubauen, zum anderen mit dem Wandel derKulturen beständig fortzuentwickeln sind.

Die Grundlagen hierfür sind gelegt: Bereits jetzthaben mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes Amtes einen Migrationshintergrund und/odereine wissenschaftliche Ausbildung. Die SfV bietet

zudem verschiedene Fortbildungsveranstaltun-gen an, die dem Ausbau interkultureller Kennt-nisse und Kompetenz dienen, etwa zu Themenwie

– Frauen im Islam, Islamismus und Jihadismus– muslimische Jugendmilieus– Umgang mit Angehörigen ausländischer Nach-

richtendienste in Praxis und Theorie.Die jetzt im Rahmen des Maßnahmenpakets zurNeuausrichtung beschlossene Weiterentwicklungder SfV zu einer Akademie, die vom LfV Hamburgunterstützt wurde, wird sowohl die wissenschaft-liche Basis als auch den internationalen Aus-tausch des Verfassungsschutzes fördern.

Die Forderung nach Verbesserung der Diskurs-fähigkeit und Fehlerkultur fügt sich in die an an-derer Stelle bereits erörterte Forderung nacheinem Mentalitätswechsel189) und trifft auf die dortdargestellten Rahmenbedingungen, d. h., siekann kaum Gegenstand kurzfristig wirksamerMaßnahmen oder Anordnungen sein, sondern istvor allem Führungsaufgabe in mittel- und lang-fristigen Prozessen der institutionellen- wie derPersonalentwicklung.

„Nach den Feststellungen des Ausschusses fehltees im Untersuchungszeitraum weitgehend an einerparlamentarischen Kontrolle der Arbeit der Verfas-sungsschutzbehörden zum Untersuchungsgegen-stand.

41. Es bedarf der Stärkung einer systematischenund strukturellen Kontrolle. Einzelne Tätigkeitsbe-reiche der Nachrichtendienste, so beispielsweiseauch der in der Arbeit des Untersuchungsaus-schusses als höchst problematisch erkannte Be-reich des Einsatzes von V-Personen, müssen ge-zielt untersucht werden. Die parlamentarischenKontrollgremien müssen schlagkräftiger werdenund eine dauerhafte Kontrolltätigkeit ausüben kön-nen. Dafür bedarf es einer ausreichenden profes-sionellen Personal und Sachausstattung.“

Die Ertüchtigung der parlamentarischen Kontrolleder Nachrichtendienste bzw. die Verstärkung derDienst- und Fachaufsicht190) sind Themen, die insämtlichen Untersuchungsberichten eine bedeu-tende Rolle spielen, komplementär zu den an an-derer Stelle erhobenen Forderungen nach gestei-

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188) Vgl. insbesondere Stellungnahme zu Empfehlungsziffer 38. 189) Vgl. Empfehlungsziffern 2 und 38.190) Vgl. Empfehlungen der BLKR, Empfehlungsziffern 1 und 7

bzw. die Darstellung der Ergebnisse des Untersuchungsaus-schusses in Kapitel 6.3.4.

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gerter Transparenz und verringerter Binnenorien-tierung der Nachrichtendienste. Maßnahmen zurVerbesserung in diesem Bereich haben zweiSchwerpunkte, zum einen die Reformbemühun-gen innerhalb der Institution, zum anderen diekünftigen Entscheidungen von Parlamenten, diesinsbesondere in Hinsicht auf eine Erweiterung dergesetzlichen Verpflichtungen zur Information derparlamentarischen Kontrollgremien (Ausmaß, Um-fang und Häufigkeit) sowie in Hinsicht auf diekünftig bessere personelle Ausstattung der Kon-trollinstanzen bzw. ihrer Unterstützungsdienst-stellen. Der letztgenannte Schwerpunkt bzw. dieEmpfehlung insgesamt betreffen die Arbeit derParlamentarischen Kontrollgremien und könnendaher nur in den jeweiligen Parlamenten bewertetwerden. Auch die Entscheidung über Art und Um-fang einer Umsetzung kann nur dort getroffenwerden.191)

Hinsichtlich der erstgenannten innerinstitutionel-len Maßnahmen hat das LfV im Jahr 2013 in Ab-stimmung mit dem PKA bereits mehrere Dienst-vorschriften überarbeitet (s. o.), dies auch mit demZiel einer weiteren Präzisierung und Kontrollier-barkeit vieler Arbeitsabläufe. Hierzu gehört eineNeufassung der Dienstvorschrift „Beschaffung“,in der die Einzelheiten der VP-Führung geregeltwerden. Der Entwurf, der mit dem Parlamentari-schen Kontrollausschuss erörtert wurde, nimmtbereits vollumfänglich die Standards der VP-Führung auf, die im Jahr 2013 durch den länder-übergreifenden Arbeitskreis Verfassungsschutz(AK IV) entwickelt und von der IMK beschlossenwurden, um den unterschiedlichen, dringendeninhaltlichen Forderungen zu diesem Bereich zumeinen und der Forderung der BLKR nach Rechts-klarheit, Handlungssicherheit und Harmonisie-rung zum anderen192) Rechnung zu tragen.

„42. Hinsichtlich der Anhörungsrechte der parla-mentarischen Kontrollgremien sollte gesetzlich dieMöglichkeit eröffnet werden, in Fällen, in denenneben den Nachrichtendiensten beispielsweiseauch andere Behörden (BKA, ZKA, Landesbehör-den für Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft,Wehrdisziplinaranwalt o. ä.) involviert sind, auchAngehörige dieser Behörden anzuhören, um sichbesser Klarheit über den Sachverhalt verschaffenzu können. § 5 Abs. 2 Satz 1 PKGrG müsste dem-nach um „sonstige Personen“ erweitert werden.“

Die abschließende Empfehlung einer Gesetzes-änderung betrifft ausschließlich die Arbeit bzw.gesetzliche Grundlage des ParlamentarischenKontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundes-tages und richtet sich damit zunächst an die Bun-desebene. Gemäß § 5 Abs. 2 des PKGrG kann das

Kontrollgremium bereits jetzt Beschäftigte ande-rer Bundesbehörden befragen oder von ihnenschriftliche Auskünfte einholen. Da der die Emp-fehlung begründende Sachverhalt jedoch auchauf die Landesverfassungsschutzämter zutrifft,muss in den ausstehenden parlamentarischenBeratungen erörtert werden, ob auf Landesebenein Hamburg vergleichbare Befugnisse für denPKA gesetzlich verankert werden sollten. Glei-ches gilt für die in der Empfehlung vorgeseheneAnhörung von Landesbediensteten durch dasPKGr des Bundestages, der ggf. entsprechendeAuskunftspflichten auch auf Seiten der Länderentsprechen sollten; dies wäre landesgesetzlichzu regeln. Dabei darf die Wahrnehmung der Kon-trollfunktion eines Landesparlamentes nicht ansich von der Benehmensherstellung mit einemGremium eines anderen Parlaments abhängig ge-macht werden. Insgesamt kann über den Tenorder Empfehlung und ihre Umsetzung daher nur inden Landesparlamenten entschieden werden.

„43. Im Falle kooperativer Tätigkeiten der Dienstein Bund und Ländern soll sich das PKGr mit denKontrollgremien der beteiligten Bundesländer insBenehmen setzen.“

Diese Empfehlung betrifft die Arbeit der Parla-mentarischen Kontrollgremien und kann dahernur in den Parlamenten bewertet werden. Auchdie Entscheidung über Art und Umfang einer Um-setzung kann nur dort getroffen werden.

Zum derzeitigen Sachstand: Die in der Empfeh-lung genannte Benehmensherstellung zwischenden Verfassungsschutzbehörden erfolgt bereitsjetzt bei entsprechenden Maßnahmen, dies aufgesetzlicher und untergesetzlicher Basis (§ 5 Abs. 2 BVerfSchG sowie ZAR). Auch kann die je-weilige Beteiligung einzelner Länder und desBundes bereits jetzt in den zuständigen parla-mentarischen Gremien kontrolliert werden. Da einGroßteil der nachrichtendienstlichen Arbeit Ko-operationen zwischen Bundes- und Landesbehör-den bzw. zwischen einzelnen Landesbehördenumfasst und diese Kooperationen künftig intensi-viert werden sollen, wären künftig fortlaufendeBenehmensherstellungen zu vielen Einzelmaß-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

191) Vgl. hierzu etwa Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für einGesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hes-sen und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, Hessi-scher Landtag, Drs. 18/7352, 14. Mai 2013. Der Gesetzentwurfzielt darauf, die Informationsbefugnisse des Gremiums zu er-weitern sowie die Arbeitsfähigkeit und die Kontinuität der Arbeitzu verbessern, die – so die Annahme – in Hessen im Länder-vergleich unterentwickelt seien.

192) Vgl. in beiden Fällen Kapitel 6.3.3 und 6.3.4, Empfehlungsziffer 4.

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nahmen zwischen den verschiedenen Kontroll-gremien erforderlich.

„IV. Empfehlungen für den Bereich Vertrauens-leute der Sicherheitsbehörden

Nach den Feststellungen des Ausschusses be-standen im Untersuchungszeitraum schwere Män-gel bei der Gewinnung und Führung von Quellensowie der Verwertung der durch sie gewonnenenInformationen. Über Schlussfolgerungen und Emp-fehlungen hinsichtlich des weiteren Einsatzes vonV-Leuten herrscht unter den Fraktionen kein Kon-sens. Die folgenden Maßnahmen sind daher alsSofortmaßnahmen und Minimalkonsens zu verste-hen – da DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünenauf den Einsatz von V-Personen in Polizei undNachrichtendiensten letztlich verzichten wollen.“

Neben Informationsaustausch der Sicherheits-behörden und Kontrolle ist der Bereich V-Leutebzw. verdeckte Informationsgewinnung ein weite-rer gemeinsamer Schwerpunkt der Untersuchun-gen und Empfehlungen der BLKR und des Unter-suchungsausschusses. Auf die entsprechendeausführliche Stellungnahme wird daher zunächstverwiesen.193)

„44. Der Ausschuss empfiehlt klare gesetzlicheRegelungen schon im Hinblick auf einen einheit-lichen Sprachgebrauch für menschliche Quellen –Quellen, die gelegentlich unentgeltlich Informatio-nen geben, sei es auf eigene Initiative oder nachAnsprache durch eine Sicherheitsbehörde; Quel-len, die gelegentlich Informationen geben unddafür Gegenleistungen erhalten; Quellen, die sichzur Zusammenarbeit verpflichtet haben und in die-sem Rahmen Gegenleistungen erhalten.“

Auf die Stellungnahme zur entsprechenden Emp-fehlung der BLKR wird verwiesen.194) Mit dem Be-schluss des neu gefassten Leitfadens zur Opti-mierung der Zusammenarbeit von Polizei undVerfassungsschutz (VS-NfD) durch die IMK im De-zember 2013 liegt hierzu eine einheitliche Termi-nologie vor.

„45. Der Ausschuss fordert klare Vorgaben hin-sichtlich der Auswahl und Eignung von Vertrauens-leuten (u. a. bezüglich Vorstrafen), für deren An-werbung und die Beendigung der Zusammenar-beit.“

Die hier und in der folgenden Empfehlungsziffergeforderten Regelungen fordert die BLKR mitzwei ihrer Empfehlungen ebenfalls; auf die ent-sprechenden Stellungnahmen wird verwiesen.195)

Angesichts der offenkundigen und von unter-schiedlichen Seiten festgestellten Defizite in die-sem Bereich hat eine Arbeitsgruppe des Arbeits-

kreises IV der IMK bereits im Dezember 2012Standards für die Werbung und Führung von V-Personen erarbeitet. Die IMK hat den entspre-chenden Bericht beschlossen und die Verfas-sungsschutzbehörden mit der Umsetzung beauf-tragt. Im LfV Hamburg wurde bereits der Entwurfeiner neuen Dienstvorschrift erarbeitet. Die Auf-stellung einheitlicher und verbindlicher Standardsist zu begrüßen. Sie sind klar, praxisnah undgeben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inden für Informationsbeschaffung zuständigenDienststellen die erforderliche Handlungssicher-heit. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden,dass die in der Folge der Feststellungen im Rah-men der Aufarbeitung des NSU-Komplexes zuRecht erweiterten Überprüfungs- und Dokumen-tationspflichten zusätzliche personelle Ressour-cen erfordern.

„46. Der Ausschuss fordert klare Vorgaben hin-sichtlich der Dauer der Führung einer Quelle durcheinen Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde, diedas Entstehen eines zu engen persönlichen Ver-hältnisses unterbinden.“

Die BIS befürwortet diese Empfehlung; das LfVHamburg setzt sie mit der Anwendung einesstrukturierten Rotationsverfahrens, das in Anleh-nung an entsprechende Empfehlungen derBehördlichen Innenrevision im Zusammenhangmit der Korruptionsbekämpfung entwickelt wurde,bereits um. Im Regelfall ist die Führung einer V-Person durch einen Mitarbeiter des LfV auf maxi-mal 5 Jahre begrenzt. In der Auswertung der Er-kenntnisse aus der Zusammenarbeit mit einer V-Person wie in der Führung der V-Personen giltdas 4-Augen-Prinzip. Im o. g. Entwurf der neuenDienstvorschrift Beschaffung ist das genannteRotationsverfahren bereits enthalten.

„47. Der Quellenschutz ist nicht absolut. DerSchutz von Leib und Leben der Quelle sowie ande-rer Personen, die Arbeitsfähigkeit der Verfassungs-schutzbehörden und die berechtigten Belange vonStrafverfolgung und Gefahrenabwehr sind in einangemessenes Verhältnis zu bringen.“

Die Empfehlung entspricht in weiten Teilen wört-lich der Empfehlung der BLKR; auf die entspre-chende Stellungnahme wird daher verwiesen.196)

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

193) Vgl. Kapitel 6.3.4, Empfehlungsziffer 4. 194) Vgl. Kapitel 6.3.4, Empfehlungsziffer 4.2.195) Vgl. Kapitel 6.3.4, Empfehlungsziffern 4.2 und 4.4.196) Vgl. Kapitel 6.3.4, Empfehlungsziffer 4.5.

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6.5 Schwerpunkte und Handlungsfelder

Mit dem Bericht der BLKR und des Bundestags-untersuchungsausschusses liegen die beiden ab-sehbar wichtigsten Dokumente für die laufendenund künftigen länderübergreifenden Debatten um(weitere) konkrete Folgemaßnahmen aus der Auf-arbeitung des NSU-Komplexes vor. Die verschie-denen, in Kapitel 6 dargestellten Empfehlungender Untersuchungskommissionen – hier insbe-sondere der BLKR und des Bundestags-Untersu-chungsausschusses – adressieren, sofern siesich nicht direkt und ausschließlich Maßnahmenoder Sachverhalte innerhalb eines Landes odereiner Bundesbehörde betreffen, im Wesentlichendie nachfolgend genannten Schwerpunkte bzw.Handlungsfelder:

I.Polizeiliche Praxis und Arbeitsweise

1. Ermittlungspraxis verbessern, Ermittlungstä-tigkeit intensivieren

2. Retrograde Maßnahmen (Überprüfung unge-klärter Straftaten, offene Haftbefehle, Cold CaseUnits)

3. Dienst- und Fachaufsicht (kein Handlungsbe-darf bei Polizeien)

4. Erfassung und Bewertung rechter bzw. rechts-extremer Straftaten

5. Informationsaustausch Polizei/Justiz bei PMK-Gewaltdelikten

II.Zusammenarbeit der Polizeien

1. Bedingungen und Möglichkeiten zentraler Er-mittlungsführung (ggf. Staatsvertrag)

2. Zentralstellenfunktion des BKA3. Zentrale/dezentrale Ermittlungsführung bei Po-

lizei/Staatsanwaltschaften bei länderübergrei-fenden schweren Straftaten

III.Polizei: Verbesserung der sozialen Kompetenz

und Anschlussfähigkeit

1. Mentalitätswechsel, Offenheit, Arbeitskultur(Supervision, Rotation)

2. Öffnung der Sicherheitsbehörden3. Umgang mit Opfern/Opferzeugen/Angehörigen4. Aus- und Fortbildung

IV.Zusammenarbeit von Polizeien

und Verfassungsschutz

1. Trennungsgebot/Amtshilfe2. Harmonisierung gesetzlicher Vorschriften

3. Zusammenarbeit Polizei und Verfassungs-schutz in der Praxis

V.Verdeckte Informationsgewinnung

1. Anordnung von Maßnahmen2. Standards3. Strafbarkeit von Quellen4. Umgang mit Quellenschutz

VI.Geheimschutz

1. Umgang mit Geheimschutz und eingestuftenInformationen

2. Verbesserung der Einstufungspraxis3. Need to know vs. Need to share

VII.Verfassungsschutz: Verbesserung der sozialen

Kompetenz und Anschlussfähigkeit

1. Mentalitätswechsel, Arbeitskultur, Offenheit2. Aus- und Fortbildung

VIII.Zentralisierung bzw. Informationsaustausch

im Verfassungsschutzverbund

1. Stärkung der Zentralstellenfunktion des BfV2. Intensivierung der Zusammenarbeit im Verfas-

sungsschutzverbund

IX.Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden

1. Qualität der Auswertung2. Einführung Controlling3. Datenhaltung und Datenschutz4. Dienst- und Fachaufsicht

X.Parlamentarische Kontrolle

der Verfassungsschutzbehörden

1. Stärkung und Ertüchtigung der parlamentari-schen Kontrolle

XI.Justiz (insbesondere Zuständigkeitsfragen)

1. Erweiterung der Zuständigkeiten des GBA2. Informationsverpflichtungen der Staatsanwalt-

schaften 3. Aus- und Fortbildung für Staatsanwälte und Ju-

stizvollzugsbedienstete4. Umgang mit Asservaten aus ungeklärten Ver-

brechen

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

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Im November 2013 hat die JuMiKo den Bericht derBLKR sowie den Abschlussbericht des Bundes-tags-Untersuchungsausschusses zur Kenntnisgenommen und Prüfaufträge in Hinsicht auf ge-setzgeberischen und sonstigen Handlungsbedarfvergeben; erste Ergebnisse werden voraussicht-lich im Sommer 2014 vorliegen. Im Dezember2013 hat sich die IMK mit dem ersten Bericht einerArbeitsgruppe von Experten befasst, die die Um-setzung der Empfehlungen der BLKR geprüft hat-ten. Zu den Empfehlungen des Bundestags-Un-tersuchungsausschusses hat die IMK eine erstekursorische Prüfung der 47 Handlungsempfeh-lungen, die unter maßgeblicher Beteiligung Ham-burgs kurzfristig erarbeitet worden war, zur Kennt-nis genommen und eine weitere länderoffene AGder Arbeitskreise II und IV mit der vertieften Prü-fung der Empfehlungen bis zur Herbstsitzung derIMK beauftragt.197) Die die Bundesregierung tra-genden Parteien haben im Koalitionsvertrag, derBundestag der 18. Legislaturperiode hat in eineminterfraktionellen Antrag die Empfehlungen desBundestags-Untersuchungsausschusses bekräf-tigt und Umsetzung angekündigt.198) Die Bundes-regierung hat im Februar 2014 den o. g. Berichtüber den Umsetzungsstand der Empfehlungendes Untersuchungsausschusses vorgelegt.

7. Exkurs: Urteil des Bundesverfassungsgerichts

zum Antiterrordateigesetz

7.1 Zusammenfassung des Urteils

Die Antiterrordatei ist eine gemeinsame Datei derPolizeien und Nachrichtendienste von Bund undLändern zur Informationsanbahnung für die Be-kämpfung des islamistischen Terrorismus unddes gewaltbereiten islamistischen Extremismus.Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom24. April 2013 zu der Rechtsgrundlage für die An-titerrordatei, dem Antiterrordateigesetz (ATDG),wird möglicherweise auch Folgen für die Zusam-menarbeit und den Informationsaustausch der Si-cherheitsbehörden im Bereich des Rechtsextre-mismus haben, da die Rechtsgrundlage der nachdem Vorbild der Antiterrordatei im Jahr 2012 neugeschaffenen Rechtsextremismusdatei ebenfallsnach den Maßgaben des Urteils anzupassen seinwird. Daher werden das Urteil und seine unmittel-baren Folgen hier kurz dargestellt.

Das Gericht hat entschieden, dass die Antiterror-datei in ihren Grundstrukturen verfassungsgemäßist. Hinsichtlich ihrer Ausgestaltung im Einzelnenist sie jedoch teilweise nicht verfassungskonform.Zu den Aspekten, die das Bundesverfassungsge-richt mit seinem Urteil als ganz oder teilweisenicht verfassungskonform erachtet, gehören

– die Definition des in der Datei zu erfassendenPersonenkreises

– die Unklarheit einiger anderer Begriffsdefinitio-nen

– die Befugnis zum Datenaustausch zu so ge-nannten Kontaktpersonen

– einzelne Regelungen zur Verwendung ausge-tauschter Daten

– die Befugnis zur personenunabhängigen,merkmalbezogenen Recherche in der Datei(so genannte Inverssuche)

– die uneingeschränkte Einbeziehung von Datenin den Informationsaustausch, die aus Eingrif-fen in das Telekommunikationsgeheimnis oderdas Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Woh-nung stammen.

Das Gesetz ist entsprechend bis 31. Dezember2014 zu novellieren. Bis zu diesem Zeitpunkt gel-ten Maßgaben des Gerichts, die Datenlöschun-gen erfordern und den Zugriff auf einige der übri-gen Daten einschränken.

7.2 Sofortmaßnahmen in Hamburg

Die von dem Gericht bis zu einer Neuregelung ge-forderten Maßnahmen für die weitere Nutzung derAntiterrordatei sind im Landeskriminalamt Ham-burg sowie im Landesamt für Verfassungsschutzunverzüglich umgesetzt worden. Im Landeskrimi-nalamt hat sich der zuständige behördliche Da-tenschutzbeauftragte bei einem Termin vor Ort imJuni persönlich davon überzeugt; und entspre-chend hat die BIS auch in einem Schreiben vom19. Juli 2013 entsprechende Fragen des HmbBDIzum Umsetzungsstand des Urteils bei LKA undLfV beantwortet. Im Einzelnen sind von beidenDienststellen (1) Daten zu Kontaktpersonen, so-weit vorhanden, gelöscht worden. (2) Daten ausTelekommunikationsüberwachungsmaßnahmenwurden, soweit vorhanden, ebenfalls umgehendgelöscht. Daten, die durch eine Wohnraumüber-wachung erlangt wurden, waren nicht eingestellt.(3) So genannte Inverssuchen werden derzeitnicht mehr vorgenommen. Schließlich werden (4)Daten von Unterstützern einer terroristischen Ver-einigung bzw. Befürwortern von Gewalt derzeitnicht eingestellt.

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

197) Beschlussniederschrift über die 198. Sitzung der StändigenKonferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom4.-6. Dezember 2013 in Osnabrück, TOP 4; vgl. Kapitel 6.3.4.

198) Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich Kapitel 8.1.

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7.3 Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkun-gen des Urteils des BVerfG auf die Zusammenar-beit und den Austausch von personenbezogenenDaten zwischen der Polizei und dem Verfas-sungsschutz

Das zuständige Bundesinnenministerium des In-nern hat nach Konsultation der Länder im Oktober2013 einen Bericht vorgelegt, der auf die unmittel-bar erforderlichen Veränderungen in der Nutzungbzw. im Datenbestand, die Anforderungen an dieGesetzesnovellierung und die Auswirkungen desUrteils auf die Zusammenarbeit und den Aus-tausch von personenbezogenen Daten zwischender Polizei und dem Verfassungsschutz eingeht.Danach sieht das Bundesinnenministerium vor-dringlichen Änderungsbedarf bei den Rechts-grundlagen für die ATD sowie die RED.199) Dane-ben sollen aber auch die Übermittlungsvorschrif-ten des Verfassungsschutzes an die Polizeien imBundesverfassungsschutzgesetz im Licht des Ur-teils überprüft werden.

Im Hinblick darauf, dass die Bund-Länder-Kom-mission Rechtsterrorismus eine Harmonisierungder entsprechenden Übermittlungsregelungen inBund und den Ländern empfohlen hat,200) werdensich aus der bundesgesetzlichen Überprüfungauch Auswirkungen auf Hamburger Landesrechtergeben. So kam auch die von der IMK mit der Be-wertung der Empfehlungen der BLKR beauftragteArbeitsgruppe aus Experten der Arbeitskreise IIund IV in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergeb-nis, dass die genannte Harmonisierung erst sinn-voll sei, wenn die in der Folge des Gerichtsurteilserforderlichen bundesrechtlichen Änderungenvorgenommen worden seien.

Daher hat die IMK auf ihrer Tagung im Dezember2013 den Bundesminister des Innern gebeten, bisHerbst 2014 einen Vorschlag zur Neufassung des§ 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zuerarbeiten, der die Übermittlung von Erkenntnis-sen, die das BfV mit nachrichtendienstlichen Mit-teln gewonnen hat, an inländische und ausländi-sche Dienststellen regelt.201) Hierzu wurde eineBund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, an dersich das LfV Hamburg beteiligt, um zugleich dieVoraussetzungen für eine entsprechende Ände-rung der Landesgesetze zu entwickeln. Im Fe-bruar 2014 hat diese Arbeitsgruppe Grundlagenfür einen Vorschlag zur Neufassung des § 19,Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzesentwickelt, der die Übermittlung an Polizeibehör-den regelt. Dieser Vorschlag wurde danach in denLändern abgestimmt.

Am 8. April 2014 hat das Bundeskabinett den Ent-wurf eines Gesetzes zur Änderung des Antiterror-

dateigesetzes beschlossen. Damit sollen die Vor-gaben des Bundesverfassungsgerichts zum In-halt und den zu speichernden Datenarten sowohlfür die Antiterrordatei, als auch für die Rechtsex-tremismusdatei umgesetzt werden.202)

8. Geplante Maßnahmen und Prüfvorhaben ab

2014

Hamburger Sicherheitsbehörden haben bereitszwischen 2011 und 2013 in vielen der in Kapitel6.5 von BLKR und Bundestags-Untersuchungs-ausschuss benannten Schwerpunkten und Hand-lungsfeldern Maßnahmen ergriffen bzw. habensich an Bund-Länder-Maßnahmen beteiligt (sieheKapitel 5 und 6). Daneben haben Bundestag undBundesregierung der 18. Legislaturperiode desDeutschen Bundestages Anfang 2014 die Emp-fehlungen des Untersuchungsausschusses der17. Legislaturperiode bekräftigt und Vorschlägefür Umsetzungsmaßnahmen bzw. für die entspre-chende Zusammenarbeit des Bundes mit denüberwiegend zuständigen Ländern vorgelegt.Nach einem Überblick über diese Initiativen desBundes sollen im Folgenden kurz solche Maßnah-men dargestellt werden, die nach hiesiger Auffas-sung im Vordergrund der im Jahr 2014 erforderli-chen Erörterungen und Prüfungen in Hamburgstehen sollten und die sich überwiegend direktoder indirekt aus den Empfehlungen der BLKRbzw. des Bundestags-Untersuchungsausschus-ses und der entsprechenden Gesamtschau erge-ben.

8.1 Maßnahmen des Bundestages und Bericht derBundesregierung

Nach den Bundestagswahlen im September 2013stellt der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSUund SPD zum Umgang der neuen Bundesregie-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

199) Vgl. Bericht des Bundesministeriums des Innern zu den Aus-wirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013, 1BvR – 1215/07 (ATDG) auf die Zusammenarbeitund den Austausch von personenbezogenen Daten zwischender Polizei und dem Verfassungsschutz.

200) Vgl. Kapitel 6.3.4, Empfehlungsziffer 3.4.201) § 19 Absatz 1 BVerfSchG in der geltenden Fassung: „Das Bun-

desamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Datenan inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Er-füllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger dieDaten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundord-nung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt.Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlichnichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zudem sie ihm übermittelt wurden.“

202) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzeszur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze;Link: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Bro-schueren/2014/gesetzentwurf.pdf;jsessionid=48FEE6325A03B286B63795083810DA33.2_cid373?__blob=publicationFile.

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rung mit den Empfehlungen des Bundestags-Un-tersuchungsausschusses fest:

„Der Untersuchungsausschuss des DeutschenBundestages zum sogenannten „Nationalsozialis-tischen Untergrund“ (NSU) hat parteiübergreifendzahlreiche Reformvorschläge für die Bereiche Poli-zei, Justiz und Verfassungsschutz, zur parlamenta-rischen Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichten-dienste sowie zur Zukunft der Förderung zivilge-sellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextre-mismus, Rassismus und Antisemitismus erarbei-tet. Soweit die Bundesebene betroffen ist, machenwir uns diese Empfehlungen zu Eigen und werdensie zügig umsetzen. Soweit die Länder betroffensind, werden wir im Dialog mit ihnen Wege für dieUmsetzung dieser Empfehlungen erarbeiten, etwabei der einheitlichen Verfahrensführung der Staats-anwaltschaften.

Wir stärken die Zentralstellenfunktion des Bundes-amtes für Verfassungsschutz (BfV), bauen dessenKoordinierungskompetenz im Verfassungsschutz-verbund aus und verbessern die technische Analy-sefähigkeit des BfV. Der gegenseitige Austauschvon Informationen zwischen Bund und Ländernwird gemeinsame Lagebilder ermöglichen.

Wir wollen eine bessere parlamentarische Kon-trolle der Nachrichtendienste. Die Anforderungenan Auswahl und Führung von V-Leuten des Verfas-sungsschutzes werden wir im Bundesverfas-sungsschutzgesetz regeln und die parlamentari-sche Kontrolle ermöglichen. Die Behördenleitermüssen die Einsätze der V-Leute genehmigen.Bund und Länder informieren sich wechselseitigüber die eingesetzten V-Leute.

Bei Polizei und Justiz stärken wir die interkulturelleKompetenz und steigern die personelle Vielfalt. DieMöglichkeiten für Opferbetreuung und -beratungstärken wir. Weil Opfer rassistischer, fremdenfeind-licher oder sonstiger menschenverachtenderStraftaten den besonderen Schutz des Staates ver-dienen, wollen wir sicherstellen, dass entspre-chende Tatmotive bei der konkreten Strafzumes-sung ausdrücklich berücksichtigt werden.“203)

Sämtliche in der 18. Legislaturperiode des Deut-schen Bundetages vertretenen Parteien habendie einvernehmlichen Empfehlungen des Bun-destags-Untersuchungsausschusses im Februar2014 noch einmal mit einem interfraktionellen An-trag bekräftigt, die Bundesregierung aufgefordert,„diese Empfehlungen zügig und umfassend umzu-setzen“ sowie die Absicht der Bundesregierungbegrüßt, „im Dialog mit den Ländern Wege für dieUmsetzung der Empfehlungen auch für den Zu-ständigkeitsbereich der Länder und ihrer Behör-

den zu erarbeiten.“204) Der Antrag wurde am 20. Februar 2014 im Bundestag debattiert und alsSelbstverpflichtung des 18. Deutschen Bundesta-ges auf die Ergebnisse der Arbeit des 17. Bun-destages einstimmig angenommen.205)

Am 26. Februar 2014 beschloss das Bundeskabi-nett zudem den Bericht der Bundesregierungüber den Umsetzungsstand der Empfehlungendes 2. Untersuchungsausschusses des Deut-schen Bundestages in der 17. Wahlperiode,206) derals Ergänzung bzw. Fortschreibung des in Kapitel5.4 dargestellten Berichts der Bundesregierungaus dem April 2013 verstanden wird und einen„Überblick über das seitdem Erreichte, die laufen-den Anstrengungen der Bundesregierung bei derAufarbeitung des NSU-Komplexes und ein(en) Aus-blick auf noch anstehende Umsetzungsschritte“geben soll.207) Dabei werden teils Maßnahmen, diebereits vor dem Bericht des Bundestags-Untersu-chungsausschusses getroffen oder begonnenworden waren, ex post in Verbindung mit entspre-chenden Empfehlungen des Ausschusses ge-setzt, teils werden unter Bezug auf derartige Emp-fehlungen weitere Maßnahmen angekündigt. Zuder entsprechend erforderlichen Zusammenar-beit mit den Ländern bemerkt der Bericht:

„Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diegetroffenen Maßnahmen eine gute Basis darstel-len, um den begonnenen Reformprozess in engerZusammenarbeit des Bundes mit den Ländernund gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag,den Landesparlamenten und Landesregierungenkonsequent fortzusetzen.

Einige Themen, die in den Empfehlungen aus denBereichen Polizei, Justiz und Nachrichtendienste

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

203) Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischenCDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Ziffer 5.1, 144. Link:http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?_blob=publicationFile&v=2. Mit der letztgenannten Initiative greift der Bundestag Initiativenzur Strafverschärfung bei Delikten insbesondere fremdenfeind-lichen Inhalts aus der 16. und der 17. Legislaturperiode auf, diejeweils von Hamburg unterstützt bzw. betrieben wurden; vgl.Kapitel 5.1.5.

204) Vgl. BT-Drs. 18/558, Bekräftigung der Empfehlungen des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode „Terrorgruppe Nationalsozialistischer Unter-grund“, Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 19. Februar 2014, 3.

205) In der genannten Bundestagsdebatte am 20. Februar 2014äußerten insb. die Abgeordneten Clemens Binninger und PetraPau Kritik an aus ihrer Sicht mangelndem Aufklärungs- undHandlungswillen einiger Landesregierungen und Landesparla-mente; dabei wurde Hamburg jedoch nicht genannt.

206) BT-Drs. 18/710.207) A. a. O., 5.

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angesprochen werden, berühren zuvörderst denAufgabenbereich der Länder. Hier wird die Bun-desregierung den Umsetzungsprozess insbeson-dere über die zuständigen Gremien der StändigenKonferenz der Innenminister und -senatoren sowieüber die Justizministerkonferenz begleiten.“208)

In einer kurzen Darstellung der bereits getroffe-nen Maßnahmen fasst die Bundesregierungzunächst – jeweils unter Bezug auf die entspre-chenden Empfehlungen des Bundestags-Unter-suchungsausschusses – eigene und Bund-Län-der-Maßnahmen mit solchen auf Ebene der IMKzusammen:

– Einrichtung des Gemeinsamen AbwehrzentrumsRechtsextremismus/-terrorismus (GAR/GETZ),flankiert durch die Koordinierte Internetauswer-tung Forum Rechtsextremismus (KIA-R)209)

– Einrichtung der Rechtsextremismusdatei– verschiedene Projekte zur Überprüfung von

nicht aufgeklärten Fällen aus verschiedenenDeliktsbereichen der Schwer- und Gewaltkri-minalität (Bund-Länder-Maßnahme)

– bundesweite Abklärung offener Haftbefehle(Bund-Länder-Maßnahme)

– Einrichtung der Task Force Gewaltdelikte so-wie weitere Maßnahmen zur Überprüfung un-geklärter Fälle beim BKA

– Erarbeitung verschiedener Änderungsvor-schläge zu polizeilichen wie justiziellen Aspek-ten für die Richtlinien für das Strafverfahrenund das Bußgeldverfahren (RiStBV) (Bund-Länder-Maßnahme)

– Projekt zur Einführung des Polizeilichen Infor-mations- und Analyseverbundes PIAV (Bund-Länder-Maßnahme)

– Erarbeitung von Standards für die einheitlicheBearbeitung von Prüfvorgängen (zu Fragender Zuständigkeit) bei dem Generalbundesan-walt

– Erweiterte Mitwirkung des MAD, etwa im GAR– Weiterentwicklung des nachrichtendienstli-

chen Informationsaustausches durch die Inbe-triebnahme von NADIS-WN im Juni 2012(Bund-Länder-Maßnahme)

– Aktualisierung des Leitfadens für die Zusam-menarbeit von Polizei und Verfassungsschutz(Maßnahme der IMK)

– Verbesserung der Dienst- und Fachaufsichtüber die Auswertetätigkeit im BfV

– Verbesserung der datenschutzrechtlichen Vor-schriften und der Organisation des Daten-schutzes im BfV

– Einzelmaßnahmen zur Binnenreform des BfVin 4 Arbeitspaketen (Transparenz und Verstär-kung der parlamentarischen Kontrolle, Strate-gie für eine aktive und verstärkte Öffentlich-keitsarbeit, Wissenschaftliche Expertise/Aus-und Fortbildung, Priorisierung und Arbeits-weise (betreffend Beobachtungsobjekte))

– Erarbeitung einheitlicher Standards für denEinsatz von V-Leuten (Maßnahme der IMK).

Weitere in dem Bericht genannte Maßnahmen be-treffen den Bereich der politischen Bildung undAufklärungsarbeit, der zivilgesellschaftlich getra-genen Prävention bzw. des zivilgesellschaftlichenEngagements gegen Rechtsextremismus.

In Hinsicht auf aktuell anstehende Maßnahmennennt der Bericht u. a.:

– Modifizierung der Regelungen zur Zuständig-keit des Generalbundesanwalts bei länder-übergreifenden Ermittlungsverfahren210)

– Änderung des Strafgesetzbuches mit dem Ziel,rassistische, fremdenfeindliche oder sonstigemenschenverachtende Tatmotive bei der Straf-zumessung ausdrücklich zu berücksichtigen211)

– Gesetzentwurf zur Verbesserung der Opfer-rechte im Strafverfahren

– Überprüfung des Umgangs mit Asservaten– Änderung des Bundesverfassungsschutzge-

setzes zur Stärkung der Zentralstellen- und Ko-ordinierungsfunktion des BfV, zur Verbesse-rung der Analysefähigkeit im Verfassungs-schutzverbund sowie zur Verbesserung derRegelungen zum Einsatz von V-Personen

– Regelungen zum Umgang mit Akten sowie Re-gelungen mit dem Ziel eines „Verfassungs-schutzes durch Aufklärung“

– Neue Regelungen für die Arbeit des MAD beider Rechtsextremismusbekämpfung bzw. beimUmgang mit Rechtsextremismus in der Bun-deswehr

– Verstärkung bzw. Verstetigung von Präven-tionsprogrammen, Förderung des zivilgesell-schaftlichen Engagements gegen Rechtsextre-mismus sowie Demokratieförderung.

Gleich mehrere Empfehlungen der BLKR wie desBundestags-Untersuchungsausschusses betref-fen die generelle Arbeitsweise und Daueraufga-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. Wahlperiode Drucksache 20/11661

208) Ebda.209) Vgl. hierzu und im Folgenden a. a. O, 10ff. sowie die jeweilige

inhaltliche Darstellungen der genannten Maßnahmen in denKapiteln 4 und 5.

210) Vgl. hierzu und im Folgenden a. a. O., 22ff. 211) Zu entsprechenden Initiativen Hamburgs und anderer Länder

in der Vergangenheit vgl. Kapitel 5.1.5.

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ben der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehör-den, so etwa Empfehlungen zu Aus- und Fortbil-dung, Stärkung der interkulturellen Kompetenz,Verbesserung der Fehlerkultur oder Öffnung derInstitutionen im Sinne des Austausches mit Wis-senschaft und Öffentlichkeit, die mittel- und lang-fristige Veränderungen erfordern und sich regula-tiven oder punktuellen Maßnahmen entziehen.212)

Zu den Bereichen (1) Steigerung interkulturellerKompetenz sowie (2) stärkere Verankerung vonRechtsextremismus und politisch motivierter Kri-minalität als Themen von Aus- und Fortbildungnennt der Bericht beispielhaft mittel- und langfris-tig angelegte Maßnahmen auf Ebene der Bundes-polizei, des BKA, des BfV, des BMVg im Bereichdes MAD sowie des BMJV im Bereich der Fortbil-dung von Richtern und Staatsanwälten, die inhalt-lich im Wesentlichen den Maßnahmen auf Lan-des- und Bund-Länder-Ebene entsprechen, dieim Rahmen der Stellungnahmen zu den Empfeh-lungen in den Kapiteln 6.3.4 und 6.4.4 bereits dar-gestellt wurden.213)

Abschließend betont die Bundesregierung nocheinmal die Notwendigkeit der Zusammenarbeitmit den Ländern in Bereichen gemeinsamer Zu-ständigkeit oder ausschließlicher Länderzustän-digkeit; hier würden sich die jeweiligen Bundes-ministerien aktiv an entsprechenden Arbeitsgrup-pen der IMK und der JuMiKo zur Umsetzung derEmpfehlungen des Bundestags-Untersuchungs-ausschusses beteiligen. Hinsichtlich der dort er-hobenen Forderungen nach einer Stärkung derparlamentarischen Kontrolle der Verfassungs-schutzbehörden des Bundes verweist die Bunde-regierung auf die Zuständigkeit des DeutschenBundestages.214)

8.2 Beteiligung Hamburger Sicherheitsbehördenan Bund-Länder-Maßnahmen

Die Mehrheit der für das Jahr 2014 geplantenMaßnahmen im Bereich des Verfassungs-schutzes und der Polizei Hamburg betrifft die Fort-führung solcher Maßnahmen, die bereits in denKapiteln 4 und 5 ausführlich dargestellt wordensind. Dazu gehören:

– Fortsetzung der Arbeit in den gemeinsamenZentren (GETZ)

– Fortsetzung der Arbeiten zur Umsetzung desKonzepts zur Neuausrichtung des Verfas-sungsschutzes

– Verstärkung der Präventionsarbeit bzw. derPresse- und Öffentlichkeitsarbeit im BereichRechtsextremismus und -terrorismus

– Arbeitsaufnahme nach neuen Regelungen,hier etwa dem Leitfaden zur Optimierung der

Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungs-schutz, der im Dezember 2013 von der IMK be-schlossen wurde

– vertiefte Prüfung der Handlungsempfehlungendes Bundestags-Untersuchungsausschussesund Gesamtschau mit den Prüfergebnissen zuden Empfehlungen der BLKR, die im Novem-ber 2013 von der JuMiKo, im Dezember 2013von der IMK beauftragt wurde

– Betrachtung der Auswirkungen des Urteils desBundesverfassungsgerichts zum ATDG aufsämtliche Regelungen bzw. Datenbanken zumInformationsaustausch von Polizeien und Ver-fassungsschutz, darunter auch die RED, undUmsetzung des gesetzgeberischen Hand-lungsbedarfs

– Prüfung der geforderten gesetzlichen Ände-rungen auf Bundes- bzw. Landesebene, diesim Licht der übergreifenden Harmonisierungs-empfehlung der BLKR.

Gesamtschau auf die Empfehlungen von BLKRund Bundestags-Untersuchungsausschuss

Im Rahmen der o. g. im Jahr 2014 anstehendenvertieften Prüfung des Handlungsbedarfes in derFolge der Berichte und insgesamt 69 Empfehlun-gen der BLKR und des Bundestags-Untersu-chungsausschusses betreffend länderübergrei-fende Maßnahmen stehen nach Auffassung derSicherheitsbehörden in Hamburg im Vorder-grund:

– Präzisierung und Harmonisierung weitererVorschriften zu Informationsübermittlung undZusammenarbeit zwischen Polizeien und Ver-fassungsschutz (Empfehlungsziffer 3.4, 3.5der BLKR sowie Empfehlungsziffer 33 desBundestags-Untersuchungsausschusses, imFolgenden: BLKR bzw. PUA, Ziffer), dies unterBerücksichtigung des ATDG-Urteils des Bun-desverfassungsgerichts

– Überprüfung des Definitionssystems der PMK(Empfehlungsziffer 4 des Bundestags-Untersu-chungsausschusses) sowie der Erfassung undBewertung rechtsextremer Straftaten (PUA 3,4)

– Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs imBereich der verdeckten Informationsgewin-nung (BLKR, 4.2, PUA 44).

An den insofern anstehenden Arbeiten auf Bund-Länder-Ebene, hier insbesondere durch die denArbeitskreisen II und IV nachgeordneten Fachar-

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 20. WahlperiodeDrucksache 20/11661

212) Vgl. Kapitel 6.5.213) BT-Drs. 18/710, 25ff.214) Vgl. Kapitel 6.4.4, Stellungnahme zu Empfehlungsziffern 41-43.

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beitsgruppen, werden sich Polizei und LfV Ham-burg beteiligen.

Maßnahmen im Verfassungsschutzverbund

Bei den ab 2014 anstehenden vertieften Prüfun-gen erforderlicher Maßnahmen im Verfassungs-schutzverbund sieht das LfV Hamburg – nebender überfälligen Neufassung der VSA der Bun-desregierung als Orientierung für eine nachfol-gend harmonisierende Überarbeitung von VSAender Länder – Prioritäten bei:

– Stärkung der länderübergreifenden Verbund-struktur sowie Stärkung der Zentralstellenfunk-tion des BfV gemäß ZAR (BLKR 6)

– Entwicklung einheitlicher Standards für dieverdeckte Informationsgewinnung durch Ver-trauenspersonen (VP), Einführung der gemein-samen VP-Datei (BLKR 4.2, PUA 44-46)

– Regelungen hinsichtlich der Auswahl undFührung von VP, ggf. Änderung der StPO,(BLKR 4.4)

– Beteiligung an der geplanten bundesweitenVP-Datei

– Einführung einer vertieften interdisziplinärenAus- und Fortbildung im Bereich Auswertung(BLKR 5, PUA 32)

– Entwicklung von Konzepten zur Personalge-winnung sowie zur Verbesserung der Aus- undFortbildung; Fortentwicklung der Schule fürVerfassungsschutz zu einer Akademie mit stär-kerer Anbindung an wissenschaftliche For-schung und Bildung (Maßnahme des Pro-gramms Neuausrichtung des Verfassungs-schutzes, BLKR 8, PUA 39).

An den Arbeiten auf Bund-Länder-Ebene wirdsich das LfV Hamburg erneut aktiv beteiligen.

8.3 Landesinterne Maßnahmen von Polizei und Ver-fassungsschutz

In Hinsicht auf die landesinterne Umsetzung vonEmpfehlungen, die vor allem die Arbeitsweiseund Praxis der Zusammenarbeit der Sicherheits-und Strafverfolgungsbehörden in Hamburg be-treffen, stehen im Jahr 2014 in der Zusammenar-beit von LfV und Polizei Hamburg die nachfolgendgenannten Maßnahmen im Vordergrund.

Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz

– weitere Sensibilisierung für die Belange ande-rer Behörden beim Informationsaustausch(BLKR 3.5, PUA 33)

– Standardisierung des Verfahrens zur struktu-rierten Informationsübermittlung vom LfV andie Polizei (PUA 5)

– Fortsetzung der seit 2011 intensivierten Zu-sammenarbeit zwischen LKA und LfV bei un-geklärten Fällen der politisch motivierten Kri-minalität (PUA 16)

– Weiterführung gegenseitiger HospitationenPolizei/Verfassungsschutz215) (PUA 20)

– Fortsetzung und Intensivierung der monatli-chen gemeinsamen Sitzung der Polizeien undNachrichtendienste in Hamburg (BLKR 6).216)

Maßnahmen des LfV Hamburg

– Fortsetzung der Überprüfung von Altfällen,d. h. Personen, die ggf. mit rechtsterroristi-schen Bestrebungen in Verbindung stehenoder gestanden haben könnten

– intensivere Berücksichtigung des Strafverfol-gungsinteresses bei der Abwägung mit demQuellenschutz (BLKR 6)

– Verbesserung des Controlling, Präzisierungund Kontrolle von Arbeitsabläufen nach Über-arbeitung von einschlägigen Dienstvorschrif-ten (PUA 34 und 45)

– Einbeziehung des LfV in die Aus- und Fortbil-dung von Justizbediensteten (PUA 30)

– Neuordnung der Datenschutzkompetenz fürPolizei, Verfassungsschutz und deren Schnitt-stellen sowie der entsprechenden Beratungder Behördenleitung (PUA 37).

Maßnahmen der Polizei Hamburg

– Anhaltend erhöhte Sensibilisierung beim Um-gang mit Opfern und Angehörigen (PUA 13, 15)

– Fortgesetzte Sensibilisierung ggü. möglichenrechtsextremistischen bzw. Hate Crime-Moti-ven bei Straftaten mit ungeklärter Motivlage,entsprechende Einbeziehung von Sachver-stand der Staatsschutzabteilung des LKA(PUA 1, 3, 5)

– Fortsetzung der retrograden Maßnahmen(Überprüfung ungeklärter Straftaten, Überprü-fung offener Haftbefehle) (PUA 3, 10, 16, 17)

– Fortsetzung der Anstrengungen zu Rekrutie-rung von Auszubildenden mit Migrationshinter-grund (PUA 11).

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215) Eine erste mehrwöchige Hospitation einer Mitarbeiterin desLfV bei der Staatsschutzdienststelle des LKA hat bereits imJahr 2013 stattgefunden. Weitere sollen folgen.

216) Die Sitzung trägt in unterschiedlichen Behörden unterschiedli-che Arbeitsnamen; dabei handelt es sich um dieselbe Sitzung,die einmal pro Monat stattfindet. Vgl. Stellungnahme zu Emp-fehlungsziffer 3.6 der BLKR in Kapitel 6.3.4.

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8.4 Maßnahmen der Behörde für Arbeit, Soziales, Fa-milie und Integration

Die BASFI wird im Jahr 2014 im Rahmen des Lan-desprogramms zur Förderung demokratischerKultur, Vorbeugung und Bekämpfung des Rechts-extremismus217) mehrere Maßnahmen verfolgen,die gezielt der auch vom Bundestag-Untersu-chungsausschuss ausdrücklich geforderten Stär-kung des zivilgesellschaftlichen Engagementsgegen Rechtsextremismus dienen. Hierzu gehörtdie Veröffentlichung von zwei Förderrichtlinien zuEtablierung zivilgesellschaftlicher Angebote, na-mentlich einer

– Förderrichtlinie für zivilgesellschaftlich organi-sierte Projekte gegen Rechtsextremismus,menschenfeindliche Einstellungen und Diskri-minierung sowie zur Stärkung demokratischenBewusstseins sowie einer

– Förderrichtlinie für ein neues zivilgesellschaft-liches Beratungs- und Betreuungsangebot fürjunge Einsteiger in die rechte Szene (s. u.).

Daneben beteiligt sich die BASFI an einem ge-meinsamen Beratungs- und Betreuungsangebotder norddeutschen Länder für erwachsene Aus-stiegswillige (s. u.).

Darüber hinaus werden derzeit Konzepte für ge-eignete Fortbildungsformate zur Qualifizierungvon Opferhilfeeinrichtungen erarbeitet. Schließ-lich ist für 2014 ein Fachtag zum ThemenbereichRechtsextremismus geplant, der mit den LändernSchleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremenim Rahmen des Nord-Länder-Verbundes „Verant-wortung übernehmen im Norden“ veranstaltetwerden soll.

8.5 Maßnahmen der Justiz

Prüfung der Handlungsempfehlungen der BLKR und des Bundestags-Untersuchungsausschusses

Wie in den Kapiteln 6.3 und 6.4 bereits darge-stellt, hat die Konferenz der Justizministerinnenund Justizminister im Herbst 2013 ihren Straf-rechtsausschuss unter Beteiligung des Bundes-ministeriums der Justiz gebeten, auf der Grund-lage der in den Abschlussberichten der BLKR unddes NSU-Untersuchungsausschusses des Bun-destages enthaltenen Vorschläge das Bestehengesetzgeberischen Handlungsbedarfs oder einessonstigen Handlungsbedarfs (z.B. durch Ände-rung der RiStBV) zu prüfen und ihr über das Er-gebnis zu berichten. Eine entsprechende Arbeits-gruppe, an der sich auch Hamburg beteiligt, hatsich unter der Federführung Nordrhein-Westfa-lens Ende Januar zu einer konstituierenden Sit-

zung zusammengefunden. Die Empfehlungender genannten Abschlussberichte wurden zu The-mengebieten zusammengefasst. Anschließendwurden unter den Ländern die Zuständigkeitenfür die Aufarbeitung der einzelnen Komplexe imSinne des Auftrags der Justizministerkonferenzfestgelegt. Derzeit ist beabsichtigt, dem Straf-rechtsausschuss der Justizministerkonferenz biszum Juni 2014 ein abgestimmtes Prüfergebnisvorzulegen.

Die Umsetzung der Empfehlungen werden über-wiegend bundesrechtliche oder bundeseinheitli-che Regelungen (GVG, StPO, RiStBV) erfordern.Hamburg wird sich im Rahmen der dadurch an-stehenden Gesetzgebungsprozesse konstruktiveinbringen. Die Behörde für Justiz und Gleich-stellung wird sich zudem im RiStBV-Unteraus-schuss der Justizministerkonferenz für die Um-setzung der im Bereich der Justiz geprüftenHandlungsempfehlungen einsetzen.

Konsequente Bekämpfung der sogenannten Hasskriminalität

Die Behörde für Justiz und Gleichstellung wirdsich auch weiterhin für die konsequente Bekämp-fung der Hasskriminalität engagieren. In der Ver-gangenheit wurde bereits in entsprechenden Län-derumfragen deutlich gemacht, dass diejenigenÄnderungen, die der RiStBV-Unterausschuss derJustizministerkonferenz im Zusammenhang mitder Thematik der Hasskriminalität angedacht hat,ausdrücklich unterstützt werden:

In den Richtlinien soll an entsprechender Stelleausdrücklich hervorgehoben werden, dass – so-weit Anhaltspunkte für rassistische, fremden-feindliche oder sonstige menschenverachtendebzw. niedrige Beweggründe bestehen – sich dieErmittlungen der Staatsanwaltschaft auch auf sol-che Tatumstände zu erstrecken haben (Nummer15 RiStBV). Des Weiteren soll klargestellt werden,dass bei Privatklagedelikten und bei (einfachen)Körperverletzungsdelikten in der Regel voneinem öffentlichen Interesse an der Strafverfol-gung auszugehen ist, wenn der Täter aus rassis-tischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen men-schenverachtenden bzw. niedrigen Beweggrün-den gehandelt hat (Nummern 86 und 234RiStBV). Einer Einstellung des Verfahrens man-gels öffentlichen Interesses soll also entgegenge-wirkt werden.

Außerdem wird der vom BMJV angekündigte Ge-setzentwurf, der die Aufnahme rassistischer,fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenver-

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217) Drs. 20/9849, vgl. hierzu auch Kapitel 8.6.

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achtender Tatmotive in den Katalog der Strafzu-messungsgründe des § 46 Absatz 2 StGB vorse-hen wird (vgl. Kapitel 5.1), zustimmend im Ge-setzgebungsprozess begleitet werden.

In praktischer Hinsicht steht bei der Staatsanwalt-schaft Hamburg bereits aktuell der Leiter der fürStaatsschutzstrafsachen und sonstige Straf-sachen mit politischem Einschlag zuständigenAbteilung als Ansprechpartner für grundsätzlicheFragen der sogenannten Hasskriminalität für In-teressenverbände von Zielgruppen, die von die-ser Art der Kriminalität betroffen sein können, zurVerfügung.

8.6 Landesprogramm zur Förderung demokratischerKultur, Vorbeugung und Bekämpfung des Rechts-extremismus

Im November 2013 hat der Senat das Landespro-gramm zur Förderung demokratischer Kultur, Vor-beugung und Bekämpfung des Rechtsextremis-mus beschlossen. Darin sind alle staatlichen undgesellschaftlichen Aktivitäten gebündelt. Die Pla-nungen für ein derartiges Programm gehen zwarbis in die letzte Legislaturperiode zurück, dochwurde seine Dringlichkeit gerade durch die Auf-deckung der Tatserie noch einmal bekräftigt.Auch die in Kapitel 6 genannten Berichte betonenimmer wieder und in unterschiedlichen Zusam-menhängen die Bedeutung zivilgesellschaftlicherAktivitäten gegen Rechtsextremismus, der Bun-destags-Untersuchungsausschuss widmet demThema sogar ein eigenes Kapitel seiner ab-schließenden Empfehlungen.218)

Das Landesprogramm stellt nicht nur Erschei-nungsformen und Ursachen von Rechtsextremis-mus vor, sondern stellt die Aktivitäten des Senatsgegen Rechtsextremismus auch in den Kontextanderer emanzipatorischer Handlungsstrategien,etwa der Antidiskriminierungsstrategie. Die Be-hörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integrationhat das Landesprogramm nicht nur in einem breitangelegten Beteiligungsverfahren erarbeitet, son-dern wird es auch in enger Zusammenarbeit, etwamit den Mitgliedern des BeratungsnetzwerkesRechtsextremismus oder den Unterzeichnern von„Hamburg bekennt Farbe“, begleiten und fortent-wickeln.

In seinen handlungsorientierten Ausführungenwerden im Landesprogramm nicht nur ausge-wählte bewährte Maßnahmen dargestellt, son-dern auch ergänzende Ansätze skizziert, die inden nächsten Jahren geprüft, eingeführt oderausgebaut werden sollen. Die Maßnahmen bezie-hen sich auf vier Handlungsfelder, namentlich die

– Auseinandersetzung mit und Vorbeugung vonRechtsextremismus und menschenverachten-den Anfeindungen im öffentlichen Raum,

– Stärkung, Förderung und Sensibilisierung vonKindern und Jugendlichen,

– Unterstützung von Institutionen und individuellBetroffenen,

– Förderung von Vernetzung und der Bündelungvon Kompetenzen.219)

Unter dem Handlungsschwerpunkt „Anfeindun-gen im öffentlichen Raum begegnen und Vorur-teilen vorbeugen“ hat der Senat insbesondere dieFörderung von zivilgesellschaftlich organisiertenProjekten gegen Rechtsextremismus, menschen-feindliche Einstellungen und Diskriminierungsowie zur Stärkung demokratischen Bewusst-seins als ergänzende neue Maßnahme festgelegt.Das Landesprogramm sieht dabei u. a. Maßnah-men vor, die die Bekämpfung aller Formen grup-penbezogener Menschenfeindlichkeit unterstüt-zen. Neben den bereits seit 2008 geförderten bei-den Projekten „Landeskoordinierungsstelle desBeratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremis-mus“ und „Mobiles Beratungsteam“ sieht dasLandesprogramm zudem auch die Etablierungeines zivilgesellschaftlichen Ausstiegshilfe-Ange-bots vor, das die staatlichen Ausstiegsberatungdurch Polizei und Verfassungsschutz ergänzt. DieBASFI beteiligt sich dabei am Bundesprogramm„Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ (TFKS),mit dem für 2014 erstmalig auch Programm-Mittelfür die „Unterstützung bei Prozessen der Distan-zierung von Rechtsextremismus“ zur Verfügunggestellt werden. Vorgesehen sind zwei Maßnah-men:

– Ein Beratungs- und Betreuungsangebot sollbei jungen Menschen den Einstieg bzw. einweiteres Abgleiten in organisatorische Struktu-ren des Rechtsextremismus verhindern undeine dauerhafte Distanzierung der Zielgruppevon rechtsextremen Ideologien erreicht werden(s. o.).

– Zusätzlich wird ein länderübergreifendes Bera-tungs- und Betreuungsangebot für erwach-sene – bereits in der rechtsextremen Szene

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218) BT-Drs. 17/14600, 865ff. Die entsprechenden Aktivitäten undPlanungen der Bundesregierung werden dargestellt im bereitsmehrfach erwähnten Bericht der Bundesregierung über denUmsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersu-chungsausschusses, BT-Drs. 18/710, 18ff. und 24f., vgl. auchKapitel 8.1.

219) Senats-Drucksache 2013/2639, Bürgerschafts-Drucksache20/9849.

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fest verankerte – Ausstiegswillige etabliert, andessen Finanzierung sich neben Hamburg dieBundesländer Schleswig Holstein, Nieder-sachsen, Mecklenburg Vorpommern und Bre-men beteiligen (s. o.).

Die Sicherheitsbehörden waren in die Erarbei-tung des Landesprogramms eng eingebunden;bewährte Maßnahmen wie Cop4U oder die An-strengungen zur Erhöhung des Anteils von Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshinter-grund in der Polizei Hamburg sind ebenso darinenthalten wie Prüfvorhaben für künftige Maßnah-men in allen genannten Bereichen, darunter dieSchaffung eines neuen speziellen Beratungsan-gebots zum „Einstieg in den Ausstieg“ für recht-saffine Jugendliche und Jungerwachsene. Insge-samt jedoch orientiert sich das Landesprogrammsehr stark in den zivilgesellschaftlichen Bereichmit lediglich unterstützender Funktion von Behör-den, zumal Sicherheitsbehörden, deren spezifi-sche gesetzliche Aufgaben und Fortentwicklungim Bereich der Beobachtung bzw. Strafverfolgungdes Rechtsextremismus davon unabhängig zubetrachten sind.

8.7 NPD-Verbotsantrag

Der Bundesrat hat im Dezember 2012 beschlos-sen, beim Bundesverfassungsgericht einen An-trag auf Verbot der NPD zu stellen. Die Antrag-stellung und das weitere Verfahren werden seitdem Frühjahr 2013 von einer länderoffenen Ar-beitsgruppe (LOAG) aus Fachleuten der Innen-ministerien und der Landesverfassungsschutz-behörden unter Beteiligung des Bundesinnenmi-nisteriums und des BfV begleitet und unterstützt.Nach Ansicht der vom Bundesrat bestellten Pro-zessbevollmächtigten, Prof. Christoph Möllersund Prof. Christian Waldhoff (beide Humboldt-Universität, Berlin), hat der Antrag zumindestgute Aussichten auf Erfolg, da an der Verfas-sungswidrigkeit der NPD in der Sache keine Zwei-fel bestünden.

Die Prozessbevollmächtigen haben den Beauf-tragten in den Bundesländern im August 2013einen ersten Entwurf der Antragsschrift über-sandt. Die Verbotsbegründung stützt sich auf dieerste tatbestandliche Alternative des Art. 21 Abs. 2 GG und argumentiert, dass die NPD daraufausgehe, die freiheitliche demokratische Grund-ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Indiesem Zusammenhang werden zwei Aspekte un-tersucht:

– die verfassungswidrige Ideologie der NPD und– die politischen Aktivitäten, die auf eine Ablö-

sung der geltenden Ordnung gerichtet sind.

Des Weiteren werden in der Antragsschrift Über-legungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeitangestellt. Schließlich gehen die Bevollmächtigenauch auf die Frage ein, ob und inwieweit ein erfol-greiches Parteiverbot einer Prüfung durch denEuropäischen Menschenrechtsgerichtshof stand-halten würde.

Zur Begründung der Verfassungswidrigkeit derNPD werden ausschließlich offene Belege ver-wendet, d. h. nur solche, die ohne Beteiligungoder Beeinflussung von menschlichen Quellen,also Vertrauenspersonen (VP) des Verfassungs-schutzes oder der Polizeien entstanden sind oderbeschafft wurden. Spätestens seit der Entschei-dung, einen Verbotsantrag zu stellen, werdenauch keine Quellen mehr auf Führungsebene inder NPD und ihren Teilorganisationen eingesetzt.An der entsprechenden Frage der fehlendenStaatsfreiheit war das erste NPD-Verbotsverfah-ren 2003 gescheitert. Ein entsprechendes Risikofür das jetzige Verbotsverfahren wurde damit ver-mieden.

Die Behörde für Inneres und Sport hat – wie alleLänderinnenministerien – die Antragserarbeitunglaufend durch die Zulieferung verbotsrelevanterMaterialien unterstützt. Zudem wurden im Rah-men der Antragsstellung die in Bund und Ländernvielfältigen Maßnahmen unterschiedlicher Mini-sterien und Behörden zur Bekämpfung undPrävention des Rechtsextremismus detailliert dar-gelegt, dies mit dem Ziel nachzuweisen, dass imVorfeld des Verbotsantrages alle Möglichkeiten(d. h. Alternativen zur schärfsten Maßnahme desParteiverbotes) zur Eindämmung des Rechtsex-tremismus und insbesondere zur politischenBekämpfung der NPD ausgeschöpft wurden.Auch an der entsprechenden Sammlung von Ma-terial hat sich Hamburg beteiligt.

Im Oktober 2013 wurde ein überarbeiteter und er-gänzter Entwurf des Verbotsantrages an den In-nenausschuss des Bundesrates bzw. die für dasVerbotsverfahren zuständigen Beauftragten derLänder übersandt. Nach einer abschließendenÜberprüfung in den Ländern, Übermittlung an dieVerwaltung des Bundesrates und Befassung durchdie entsprechenden politischen Gremien wurdeder Verbotsantrag des Bundesrates am 3. Dezem-ber 2013 beim Bundesverfassungsgericht einge-reicht. Auf der Sitzung der IMK am 5./6. Dezem-ber 2013 haben die Prozessbevollmächtigten denInnenministern zu Antrag und Verfahren direkt be-richtet; die Innenminister haben die Einreichungdes Verbotsantrags begrüßt. Sämtliche Innen-minister und -senatoren hatten zuvor schriftlichbestätigt, dass das mit dem Verbotsantrag vorge-

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legte Material ohne Einbeziehung von V-Leutenzustande gekommen ist. Die Ministerpräsiden-tenkonferenz (MPK) hat sich am 12. Dezember2013 mit dem Verbotsverfahren befasst. Ebenfallsam 12. Dezember 2013 hat das Bundesverfas-sungsgericht den Verbotsantrag der NPD miteiner Frist zur Stellungnahme bis zum 31. März2014 zugeleitet.

Nach Zustimmung des Gerichts wurde die An-tragsschrift auf der Internetseite des Bundesratesveröffentlicht.220) Darin wird die Verfassungswid-rigkeit der NPD und ihrer Teilorganisationen u. a.begründet mit der ideologischen Nähe der Parteizum Nationalsozialismus, mit den Verbindungender Partei zum gewaltbereiten Rechtsextremis-

mus und Rechtsterrorismus sowie mit ihrem Zielder Abschaffung der freiheitlich-demokratischenOrdnung in Deutschland und deren aktiver Bedro-hung, die in einigen Regionen Deutschlands be-reits feststellbar sei.221) An der laufenden Aktuali-sierung der den Verbotsantrag stützenden Materi-alsammlung durch die Sicherheitsbehörden desBundes und der Länder wird Hamburg sich betei-ligen.

9. Petitum

Der Senat beantragt, die Bürgerschaft möge vonden Ausführungen in dieser Drucksache Kenntnisnehmen.

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220) Vgl.: http://www.bundesrat.de/cln_321/nn_38758/SharedDocs/Downloads/DE/themen/20140124-npd-antragsschrift,tem-plateId=raw,property=publicationFile.pdf/20140124-npd-an-tragsschrift.pdf.

221) Vgl. auch Pressemeldung des Bundesrates, Quelle: http://www.bundesrat.de/cln_350/nn_8538/DE/ presse/pm/2013/253-2013.html?__nnn=true sowie „Ideologie verfassungsfeindlich.Bundesrat unternimmt zweiten Anlauf für NDP-Verbot“, in:Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. November 2013. Quelle:http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ideologie-verfassungs-feindlich-bundesrat-unternimmt-zweiten-anlauf-fuer-npd-ver-bot-12686003.html.

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