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Bei Franz Riegel geht es dieses Mal um Schweine. Es hätten auch Atomkraftwerke oder Landminen sein können. Es geht zugleich um Grenzen und um Mauern und um verschlossen gehaltene Türen. Es geht auch um die punktuelle Aufhebung von Dissoziation. Es geht um die Gratwanderung, welche die Frage „Wie wollen wir unter den Bedingungen aller möglichen Möglichkeiten leben?“ abverlangt.

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Diese Ausstellung ist einem Tier gewidmet, das esohne den Billigfleischkonsum gar nicht gäbe: dem Fabrikschwein. 99% aller in Deutschland ge-schlachteten Schweine sind Fabrikschweine.LEBEN STERBEN WURST

Danke

Dr. Brigitte Arendfür Text und Kuratierung

www.soylent-network.comDokumentations- und Informationsportal zu Tierrechten, Veganismus, Vegetarismus, Ethik. Aus dem Bildarchiv stammen zahlreiche Vorlagen für meine Bilder.

Familie WiechmannBei ihnen durfte ich die Hausschlachtung fotografieren

Matthias RietschelVon Matthias Rietschel stammt die Vorlage für das Foto Rebellion

Katalog zur Ausstellung border lines im Bildhaueratelier Lelkendorf Pfingsten 2011

Franz Riegel17168 Klein Markow 16www.power-riegel.de

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46 Schweine

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Borderlines 27000Installationsansicht, digital montiert

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29847Installationsansicht, digital montiertam Hamburger Hauptbahnhof

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Es genügt nicht, die Welt zu verändern. Das tun wir ohnehin. Und weitgehend geschiehtdies sogar ohne unser Zutun. Wir haben diese Veränderung auch zu interpretieren. Undzwar, um diese zu verändern. Damit sich die Welt nicht ohne uns verändere. Und nichtschließlich in eine Welt ohne uns.Aus: Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: C.H. Beck 1956.

border linesvon Dr. Brigitte Arend

Franz Riegels border lines (Grenzlinien) zitiert aus seinem Prozess der Erfahrung undReflexion von Entfremdung und Dissoziation in der gesellschaftlichen und persönlichenRealität.

Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeiten in der Reihe border lines ist ein Gefühl,in dem es um das von Günter Anders so benannte „prometheische Gefälle“ und diedamit verbundene „prometheische Scham“ geht: Der Mensch erlebt eine tiefer werdendeKluft, ein Gefälle zwischen den Möglichkeiten der fortschreitenden Technik und seinemUnvermögen, die Folgen dieses sich teilweise verselbständigenden Prozesses zu kon-trollieren. Dabei werden die zerstörerischen Folgen der technologischen und gesell-schaftlichen Entwicklung weitgehend aus dem Bewusstsein entfernt, geleugnet,abgespalten. Aber auch die Bewertung dem Produktionsprozess innewohnender ethi-scher Normen entzieht sich leicht und aus Scham dem Bewusstsein und der Erfahrung,weil dieser sich hinter der „Grenze“ des Sichtbaren abspielt.

Zunächst verblüfft, dann bestürzt, vielleicht beschämt sehen wir in dieser AusstellungSchweine. Zwei Erfahrungen haben Riegels aktuelles Projekt befördert, zum einen dieBeobachtung von Menschen in der Region, die andernorts bereits ausgestorbene For-men der Selbstversorgung betreiben, in dem sie Hühner, Gänse und eben auch einSchwein halten und schlachten. Zum anderen die Ankündigung des Agrarministeriums,Fleischproduktionsanlagen mit einer Anzahl von – unvorstellbaren - 30.000 Tieren zugenehmigen. Das Produkt Fleisch ist als Resultat der technologischen Entwicklung imBewusstsein der Konsumenten von der Kreatur, deren Teil es war, vom Produktions-prozess, der industriellen Vernichtungsmaschine und deren Implikationen getrennt wor-den. Das Stück Fleisch ist für die meisten Menschen heute ein leckeres Nahrungsmittelaus dem Supermarkt. Die Mastanlagen und Schlachthöfe werden schamhaft abgespal-ten.

Fotografie ist Abbild und Konstruktion der Wirklichkeit zugleich: Im Falle des border linesProjektes von Franz Riegel eröffnen die Abbilder und deren künstlerische digitale Kom-position einen Blick auf eine verborgene gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit,die Nahrungsmittelproduktion. Sie machen zugleich die darin wirksame Dissoziation desBewusstseins sichtbar.

In mehreren Bildern hat Franz Riegel sich mit der Ökonomie von Masse und Raum beschäftigt. Verschiedene Flächen werden unterschiedlich gefüllt. Als amorphes Gewühl, in militärisch akkuraten Clustern angeordnet, als unendlichesRaster geklonten Materials und als fast pulsierendes Meer von gefängnisartigen Metall-gittern, hinter denen die Kreatur nur zu erahnen ist. 30.000 Schweine. Masse erzeugtDistanz, auch Ästhetik durch verschiedene Muster, die die Anordnung der Schweine imRaum ergibt. Das langsame Füllen der Fläche, die Berührung jedes einzelnen Objektes– Riegel arbeitet mit industriell gefertigten Plastikschweinen, die er im Raum anordnetund fotografiert - ist dabei einerseits Widerspiegelung der repetitiven Mechanisierung

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der Produktion im künstlerischen Prozess, aber auch Ausdruck des Respektes vor demLebendigen. Wie bei einem Satellitenbild zeigt Franz Riegel die Distanz, die sich in derDissoziation des Produktes vom Tier ausdrückt. Dann wieder macht er diese Distanzmit den Mitteln der Pixelmalerei rückgängig, in dem er das individuelle Detail und dieÜbersicht zugleich zeigt. In diese Bilder wird man gleichsam hinein gesogen. Der Be-trachter kann sich kaum orientieren. Wo ist oben wo unten? Welche Perspektive nehmeich ein, Fern- oder Nahakkomodation? Grauen und Bestürzung werden der Wahrneh-mung durch Vervielfältigung als technische Massenproduktion mit den Mitteln digitalerBildbearbeitung wieder hinzugefügt.

Dreißig Tausend. Dies ist nur als industrialisierte Fabrikation denkbar.

Die Erfindung der Maschine macht gierig. Technik stellt her, was möglich ist. Effizienzabstrahiert von den Bedingungen ihrer Herstellung. In Riegels border lines sind dieseGrenzbereiche sichtbar gemacht und treten gleich wieder zurück. Das Konkrete bleibtdem Abstrakten anhaften. Dieser künstlerische Integrationsversuch verschiedener Be-wusstseinsebenen zeigt sich auch in der Hängung der kleinen Vignetten zu den großen:die Wunden treten als Scherenschnitt neben der Abstraktion hervor.

Seitlich hängen weitere kleine Formate. Mit schwarz-weißen klassischen Portraits vonIndustrieschweinen würdigt Franz Riegel diese als Individuen, als Lebewesen. Hier teilensich differenzierte Emotionen mit. Diese Bilder setzen sich in Beziehung zur maschinellenProduktion und Vernichtung von Material. Daneben finden sich, ebenfalls als Serie ge-hängt, border lines: Grenzlinien, die aus der Ferne abstrakte Wirkung entfalten, aus derNähe eine unendlich anmutende Reihung von Mauerelementen und fabrikähnlichen Boll-werken darstellen. Auch in diesen Arbeiten spielt Riegel auf der digitalen Klaviatur derPerspektiven.

Ein anderer Zyklus zeigt farbige Bilder einer Hausschlachtung. Hier sind die Menschenwichtiger. Deren Haltung und Mimik drückt jeweils das Bemühen aus, es richtig und gutzu machen. Eindrucksvolle Menschenportraits, die einladen, sich den Akt näher anzu-sehen. Diese Bilder sind ästhetisch und zeigen doch, worum es geht: um das Töten mitdem Ziel des Genusses. Durch den Einsatz von Licht und Schatten hat er archaisch an-mutende Szenen geschaffen, die wie durch eine Bühnenbeleuchtung aus der Dunkelheitheraustreten und in diese zurück fallen. Sie machen uns zu Zeugen vergessener Ritenund vortechnischer Wirtschaftsweisen.

Bei Franz Riegel geht es dieses Mal um Schweine. Es hätten auch Atomkraftwerke oderLandminen sein können. Es geht zugleich um Grenzen und um Mauern und um ver-schlossen gehaltene Türen. Es geht auch um die punktuelle Aufhebung von Dissoziation.Es geht um die Gratwanderung, welche die Frage „Wie wollen wir unter den Bedingungenaller möglichen Möglichkeiten leben?“ abverlangt.

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Das Konkrete bleibt dem Abstrakten anhaften. Dieser

künstlerische Integrationsversuch verschiedener Bewusst -

seins ebenen zeigt sich auch in der Hängung der kleinen

Vignetten zu den großen: die Wunden treten als Scheren-

schnitt neben der Abstraktion hervor.

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Borderlines 22176Fotografie, montiertgedruckt auf Affichenpapier, 1750 x 1180 mm

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6272 | 4050Fotografieen, montiert, gedruckt auf Affichenpapier1750 x 1180 mmInstallationsansicht

Fabrikschwein ISiebdrucke auf Aluminium9 x 12 cm

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Fabrikschwein IISiebdrucke auf Aluminium9 x 12 cm

6025 Fotografieen, montiert, gedruckt auf Affichenpapier1750 x 1180 mmInstallationsansicht

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12296 | 1537Fotografie, montiert gedruckt auf Affichenpapier1750 x 1180 mm

Fabrikschwein IIISiebdrucke auf Aluminium9 x 12 cm

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Fabrikschwein IVSiebdrucke auf Aluminium9 x 12 cm

13500Fotografie, montiertgedruckt auf Affichenpapier,1750 x 1180 mm

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Durch den Einsatz von Licht und Schatten hat

Franz Riegel archaisch anmutende Szenen geschaffen.

Sie machen uns zu Zeugen vergessener Riten und

vortechnischer Wirtschaftsweisen.

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Hausschlachtung IIIFotografie30 x 45 cm

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Du stalinistischer Pups4 Siebdrucke auf Aluminiumje 9 x 18 cm

Es geht zugleich um Grenzen und um Mauern und um

verschlossen gehaltene Türen. Es geht um die Gratwan-

derung, welche die Frage „Wie wollen wir unter den Be-

dingungen aller möglichen Möglichkeiten leben?“

abverlangt.

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Verschlossen gehaltene TürenSiebdruck auf Aluminium9 x 21,5 cm

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"Die Leute sollen das Zeug fressen, und nichtfragen, wo es herkommt"

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Hoffnungslos ISiebdruck auf Aluminium12 x 12 cm

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Hoffnungslos IISiebdruck auf Aluminium9 x 12 cm

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Hoffnungslos IIISiebdruck auf Aluminium9 x 12 cm

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Hoffnungslos IVSiebdruck auf Aluminium9 x 12 cm

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Hoffnungslos VSiebdruck auf Aluminium9 x 12 cm

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Grausamkeit gegen Tiere kann weder bei wahrer Bildung nochwahrer Gelehrsamkeit bestehen. Sie ist eines der kennzeichnen-den Laster eines niederen und unedlen Volkes. Alexander Frei-herr von Humboldt (1769 - 1859) | Ich bin für die Rechte derTiere genauso wie für die Menschenrechte. Denn das erst machtden ganzen Menschen aus. Abraham Lincoln (1809 - 1865 er-mordet) | Die vermeintliche Rechtlosigkeit der Tiere, der Wahn,daß unser Handeln gegen sie ohne moralische Bedeutung sei,daß es gegen die Tiere keine Pflichten gäbe, ist geradezu eineempörende Rohheit und Barbarei. Erst wenn jene einfache undüber alle Zweifel erhabene Wahrheit, daß die Tiere in der Haupt-sache und im wesentlichen ganz dasselbe sind wie wir, ins Volkgedrungen sein wird, werden die Tiere nicht mehr als rechtloseWesen dastehen. Es ist an der Zeit, daß das ewige Wesen, wel-ches in uns, auch in allen Tieren lebt, als solches erkannt, ge-schont und geachtet wird. Arthur Schopenhauer (1788 - 1860) |Die Tiere empfinden wie der Mensch Freude und Schmerz,Glück und Unglück; sie werden durch dieselben Gemütsbewe-gungen betroffen wie wir. Charles Darwin (1809 - 1892) | DieFrage heißt nicht: Können Tiere denken oder reden? Sondern:Können sie leiden? Jeremy Bentham (1748 - 1832) | Das Tierist zum Denken unfähig und ist mithin nichts anderes als einbiologischer Automat. Tiere sind ohne Verstand und Gefühl,Maschinen gleichzusetzen. Ihre Schmerzensschreie bedeutennicht mehr als das Quietschen eines Rades. René Descartes(1596 - 1650) |Wenn die Schlachthäuser Wände aus Glas hät-ten, wären alle Menschen Vegetarier. Paul McCartney (* 1942) |Sie haben gerade ein Stück Fleisch zu Mittag gegessen, undegal in welch taktvoller Distanz der Schlachthof von Ihrem Zu-hause entfernt liegt – und seien es auch mehrere Kilometer au-ßerhalb der Stadt - Sie sind mitschuldig! Ralph Waldo Emerson,(1803 - 1882) | Die Tiere teilen mit uns das Privileg, eine Seelezu haben. Pythagoras von Samos (570 - 500 v. Chr.)

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Mindestanforderung an einen Zwinger Bei einer Widerristhöhe von 65 cm muss dieBodenfläche mindestens 10 m2 betragen,wobei die Länge jeder Seite mindestens derdoppelten Körperlänge des Hundes entspre-chen muss und keine Seite kürzer als zweiMeter sein darf.Objekt, 10 x 30 cm

”Schweine lassen sich nicht halten wie Kanarienvögel.

Wenn die Bauern Tiere wie Haustiere halten würden,

gäbe es morgen nichts mehr zu essen.”

Rainer Tietböhl nach seiner Wiederwahl als Bauernpräsident Mecklenburg-Vorpommerns 2012.

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„Das Ziel einer Rebellion ist nur die Befreiung , während

das Ziel der Revolution die Gründung

der Freiheit ist“. Hannah Arendt: Über die Revolution, dt. Ausgabe 1965; Piper, 4. Aufl. München 1994

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Die Bestimmung des Schweins ist das Kotelett.Karl-Heinz Funke ehemaliger Landwirtschaftsminister.

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Die Bestimmung des Schweins ist das KotelettFotografie20 x 30 cm

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Die Maske wird entfernt IIInstallationsansicht, digital montiertDruck auf Affichenpapier1185 mm x 11750 mm

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Die Maske wird entfernt ISiebdruck auf Aluminium9 x 9 cm

Die Maske wird entfernt IISiebdruck auf Aluminium9 x 9 cm

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LIED VOM KLEINEN ENGEL

Nähert der Tod sich dem Fleisch,

sucht in der Höhe die Seele

zu verstehen, warum ihr Leben

so früh abgeschnitten wurde,

zu verstehen, dass nach dem Tode

sie gefangen liegt im Grabe.

Nähert der Tod sich dem Fleisch,

wird ewig dunkel die Seele.

VIOLETTA PARRA

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Der kleine EngelFotografie20 x 30 cm

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Ohne AuswegObjekt

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Bei Franz Riegel geht es dieses Mal um Schweine.Zunächstverblüfft, dann bestürzt, vielleicht beschämt sehen wir in dieserAusstellung Schweine, es hätten auch Atomkraftwerke oderLandminen sein können. Es geht zugleich um Grenzen und umMauern und um verschlossen gehaltene Türen. Es geht auch umdie punktuelle Aufhebung von Dissoziation. Es geht um dieGratwanderung, welche die Frage „Wie wollen wir unter denBedingungen aller möglichen Möglichkeiten leben?“ abverlangt.