Bär-Mensch-Interaktionen in der Slowakei...Der „Methusalem der Slowakei“, der bis heute...

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Andrea von Braun Stiftung voneinander wissen 1 Bär-Mensch-Interaktionen in der Slowakei Eine interdisziplinäre Betrachtung der beidseitigen Auswirkungen und Einflüsse Autor: Michaela Skuban / Projekt: Bär-Mensch-Interaktionen in der Slowakei – eine interdisziplinäre Betrachtung der beidseitigen Auswirkungen und Einflüsse / Art des Projektes: Dissertation

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Bär-Mensch-Interaktionen in der Slowakei

Eine interdisziplinäre Betrachtung der beidseitigen Auswirkungen und Einflüsse

Autor: Michaela Skuban / Projekt: Bär-Mensch-Interaktionen in der Slowakei – eine interdisziplinäre Betrachtung der beidseitigen Auswirkungen und Einflüsse /Art des Projektes: Dissertation

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Prinzipielles Wissen über die Ernährung von Bären sowohl im Herzstück seiner Verbrei-

tung als auch in den peripheren Gebieten erlaubt einen Rückschluss auf die Nutzbarkeit

von Ressourcen in weiteren Gebieten, die von den Bären wiederbesiedelt werden könnten.

Da der Mensch mit all seinen Wünschen und Ängsten für eine Koexistenz mit großen

Raubtieren von entscheidender Bedeutung ist, können die hier gewonnenen Ergebnisse für

zukünftige Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen in neu besiedelten Gebieten außer-

halb der Karpaten hilfreich sein. Eine pro und contra Auswertung der verschiedenen

Managementpraktiken garantiert eine bessere und effektivere Präparierung in diesen Gebie-

ten. Von einem sozioökologischen und sozioökonomischen Standpunkt darf die Rolle eines

verantwortungsvollen und sinnvollen Ökotourismus nicht unterschätzt werden. Er könnte

eine wirtschaftlich vielversprechende Alternative zu bestehender Trophäenjagd, finanziert

durch ausländische Jäger, darstellen. Dieses Wissen soll in den deutschsprachigen Raum

über ein populärwissenschaftliches Buch transferiert werden und in die biologische For-

schung mittels der Ausarbeitung einer Dissertation eingehen.

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Nachdem mir dieses interdisziplinär ausgerichtete Projekt von der Andrea von Braun Stif-tung bewilligt wurde, musste ich mir als erstes darüber klar werden, welches prinzipielle Zielich verfolgen werde. Ich wollte über den europäischen Braunbären eine bunte Collage anfer-tigen, um somit ein Mosaik zu kreieren, wer denn der Bär überhaupt ist. Somit sollten nebenbiologischen Fakten auch sämtliche Meinungen, Einstellungen und Gedanken hinsichtlichdieses großen Waldbewohners ihren Platz bekommen. Der Bär gehört zu den Karnivoren,den Raubtieren. Gerade von den Arten dieser Klasse weiss man, dass sich die Menschen oftin zwei grundsätzlich gegensätzliche „Lager“ bezüglich ihrer Einstellung hin aufspalten. ImFalle des Bären lassen sich die häufigst genannten Attribute so definieren:

1. Der Bär ist interessant, faszinierend, besonders, schön, spannend, aufregend, niedlich, intelligent und ein gutes, unschuldiges Tier.

2. Der Bär ist erschreckend, furchteinflößend, aggressiv, zerstörerisch, gefährlich und somit ein böses Tier.

Abgesehen davon, dass ich nicht mit den Attributen „Gut und Böse“ für ein Tier überein-stimme, können alle anderen genannten Punkte von mir nachvollzogen werden und sindsomit richtig.

Nicht umsonst üben gerade deshalb Fotos und Filme über diese Tiere eine starke Anzie-hungskraft auf viele Menschen aus, die gebannt sowie mit Furcht und Faszination, dieseBilder betrachten. Artikel oder Bücher über blutrünstige oder brutale Übergriffe des Bärenauf den Menschen finden grossen Anklang. Konträr dazu ist der Bär ein großer Sympathie-träger. Der Mensch betrachtet ihn gerne, bewundert seine Kraft und Stärke, und bezeichnetseine rundlicheren Proportionen und die knopfförmigen Augen als niedlich. Sein arteigenerName dient in verkleinerter Form als Kosebezeichnung (Bärchen, Bärli, entsprechende Über-einstimmungen auch in der slowakischen Sprache) und in jüngster Vergangenheit trat er sei-nen Siegeszug als Teddybär ins Kinderzimmer an.

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Ein altes, bereits ergrautes Weibchen im Freiland. Unsicher, an einen Baum gelehnt und leichtim Unterholz versteckt, blinzelt sie in die aufgehenden Strahlen der Morgensonne. VieleMenschen werden sie zweifelsohne als schön bezeichnen, einige eventuell als niedlich und „süß“.Ein Naturfotograf ist fasziniert, pirscht heran und übersieht im Eifer des Gefechtes um ein gutesBild bisweilen die theoretisch ausgehende Gefahr des großen Tieres. Der Waldarbeiter jedoch,der schon am frühen Morgen seinen Dienst zwischen den Bäumen antreten muss, empfindetden Bären nicht nur als störend, da er ihn irgendwie umgehen muss und somit von der Arbeitabgehalten wird. Zudem kann oder wird sich der Mann auch erschrecken, da er nicht weiß, obdas Tier eventuell Junge hat und ihm somit gefährlich werden könnte. Ist er zudem allein, undvielleicht ohne Handyempfang, verstärkt sich seine Unsicherheit. Ein Tourist, typischerGroßstadtbewohner, auf der Suche nach Erholung, Ruhe, frischer Luft und Natur, wird auf die-sen Anblick fast ausschließlich mit nackter Angst reagieren. (Photo: Vladimir Vician)

In dem Projekt habe ich mich im Endeffekt auf Spurensuche nach dem Bären begeben,sowohl klassisch im Freiland, als auch im übertragenen Sinne in der Literatur, der Ethno-grafie, der Kunst und in der Mythologie.

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Es stellten sich sehr bald zwei entscheidende Dinge heraus, die der interdisziplinäre Ansatzmit sich brachte:

Zeichnung des auffallend „menschenähnlichen“ Pfotenabdrucks einesBären von Ludvik Kunc.

Mir stellte sich nicht die Frage, welche Disziplinen ich in dieses Pro-jekt involviere, sondern welche Disziplinen ich weglassen darf, da ichsie nicht zwingend für die Ausarbeitung benötige.

Der Bär berührt sehr viele Aspekte des menschlichen Lebens, wenn er mit Menschen ineinem Land zusammenlebt. Zum einen ist er Teil der natürlichen Umwelt, verändert somitbiologische Wechselwirkungen im Wald und hat zudem eine Art „Indikatorwirkung“ inBezug auf den Gesundheitszustand des Waldes. Wer ist der Bär, wie lebt er eigentlich undwas braucht er für sein Überleben?

Neben der vielen Feldarbeit, den Spurensuchen, den Kotanalysen und den GIS-Kartierun-gen, hatte ich das große Glück, während der zwei Jahre gleich zwei männliche, „normale“Bären überwachen zu können. Ich habe sehr viel Zeit mit ihnen und draußen verbracht, oftalleine oder auch tief in der Nacht. Neben dem Stolz, den jeder Biologe kennt, wenn ererfolgreich ein Tier besendert hat und es überwachen kann, habe ich von diesen beidenTieren sehr viel gelernt und konnte an ihnen viele Dinge nachvollziehen, welche ich in derwissenschaftlichen Literatur gelesen habe oder später wieder finden konnte.

Den 1. März 2007 werde ich wohl in meinemLeben niemals vergessen. Ein Bär hatte in einenMetallkübel seinen Kopf hineingesteckt und warsomit hoffnungslos verklemmt.

Mein Kollege Dr. Slavomir Findo narkotisierteerfolgreich den Bären. Es war möglich, ihn nichtnur zu befreien, sondern auch zu besendern. Er warder erste Bär in der Geschichte der Slowakei, derjemals mit einem Radiosender markiert worden ist.

Gelegentlich kam er durch unwissende Wanderer oder Spaziergänger unabsichtlich enger inmenschliche Nähe, als es „ihm offensichtlich lieb war“. Ich als wissende dritte Person konnte oftbeobachten, wie er sich daraufhin zurückzog und die Distanz zu den Menschen erneut vergrö-ßerte.

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Leider verlor er Ende Juli desselben Jahres seinen Telemetriesender an einem Markierungs-baum. Beim Scheuern seines Halses am Stamm streifte er sich das Halsband ab.

Der zweite Bär wurde erfolgreich am 26.6.2008 in Pol’ana in einer Boxfalle gefangen und miteinem GPS-Sender versehen. Dieser Bär führte mich noch stärker auf die Felder, zeigte mir seineVorliebe für Getreide und seinen 24-Stunden-Rhythmus. Momentan hält er seinen Winter-schlaf und umgeht somit erfolgreich die kalte Jahreszeit.

Alleine durch seine Biologie interagiert der Bär stark mit dem Menschen: Er verursachtSchaden an Bienen und auf Feldern, er tötet gelegentlich Nutztiere und bereitet selbst denFörstern oft genug Kopfzerbrechen, wenn er wertvolle Bäume zu Markierungszweckenbenutzt und somit entwertet oder gar Wildfütterstellen demoliert und die Holzschober mitFutter zerstört, um an den verführerischen Inhalt zu gelangen.

Ich habe für die biologische Disziplin viel auf russische Literatur zurückgegriffen, da mir indieser wichtige Fragen des Verhaltens beantwortet wurden. Sehr viele Stunden und Nächtewidmete ich somit der reinen Übersetzung. Hierbei ist auffällig, dass die moderne Biologieoft nur wenig Zeit zulässt. Der starke Publikationsdruck macht langdauernde Forschung oftunmöglich. Somit gehen viele Details des interessanten Verhaltens gerade bei langlebenden

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Tierarten verloren. Ein Bär erreicht im Freiland ohne Schwierigkeiten ein Leben zwischen20 und 30 Jahren. Der „Methusalem der Slowakei“, der bis heute gefunden worden ist, hatteein Alter von 33 Jahren und erlag der Altersschwäche.

In den ersten Punkt flossen die wirtschaftlichen Bereiche des menschlichen Lebens mithinein. Schadensstatistik und jährliche Ausgaben für den Bären und der Vergleich mit ande-ren Wildtieren: Was kostet der Bär? Wie viel macht er kaputt? Wer zahlt und wer trägt dieZeche?

Obwohl der Bär ein Kostenfaktor ist, hält sich der von ihm verursachte Schaden im Ver-gleich mit anderem Wild noch im Rahmen. Jedoch betreffen seine Beschädigungen mensch-liche Einzelschicksale, für welche ein solcher Verlust sehr einschneidend sein kann. Schonfrüher waren die Bedingungen für Bauern und Viehzüchter beschwerlich. Unter dem wirt-schaftlichen Druck der heutigen Zeit hat diese Bevölkerungsgruppe erneut mit harschenKonditionen zu kämpfen.

Das Entschädigungssystem der Slowakei hinkt und viele „geschädigte“ Leute beklagen die-sen Punkt. Die Verfahren sind zu lange, die Gutachter oft nicht ausgebildet und häufig gehendie Betroffenen leer aus. Dieser Punkt erschwert nicht nur dem Bär, sondern auch ganz starkdem Wolf eine wertfreie Koexistenz.

Wie gefährlich ist der Bär? Was macht ihn gefährlich und welche Situationen sind für unsMenschen kritisch: Unsere moderne Zeit mit dem Ausbau von Hotelanlagen in tieferWildnis, die Wegwerfgesellschaft mit ihrem Abfallproblem und das Eindringen in immerunberührtere Gegenden verändert die natürliche Umwelt des Braunbären, auf welche er rea-giert. Das große Thema der verhaltensgestörten, unnormalen Bären taucht hierbei auf: dieAbfallfresser, die bärigen Dorfbewohner und konsequenterweise die Frage, was sich derMensch gefallen lassen muss.

Niemand hat sich zuvor diesem Punkt so intensiv angenommen. Es ist nicht nur ein relativneues Thema, sondern zudem mit starken Emotionen behaftet. Dennoch ist die Urangst desMenschen vor Raubtieren eine sehr alte Geschichte, wobei wir selbst heute noch viele derentwickelten Mechanismen in uns tragen. Problematische Begegnungen mit Bären nährendiese Angst und verstärken die negative Seite der Koexistenz.

Ich habe versucht anhand dem Schicksal einer sehr problematischen Bärin, genannt Lilli,welche gefangen und besendert wurde, diesen schwierigen Punkt so genau wie möglich zubetrachten, inklusive rechtlicher Bestimmungen, Vorbeugemaßnahmen, Lösungen undMisserfolgen. Die hierbei gemachten Erfahrungen sind in einer tagebuchartigen Aufzeich-nung des gesamten Verlaufes gesammelt.

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Effektivere und nachhaltige Entfernung dieser Tiere aus dem Freiland ist essenziell nötig, umLerneffekte auf andere Tiere zu verhindern. Gerade dieser ungelöste Punkt sowie radikaleOrganisationen, welche diese Entfernungen verhindern, sind einer der Gründe, warum dieStimmung in der Slowakei bezüglich der Bären wackelt.

Des Weiteren habe ich Material über Attacken auf Menschen gesammelt, analysiert und aus-gewertet. In diesem Falle ist viel mehr Forschung nötig, um noch mehr über die Hinter-gründe zu erfahren und die Auslöser für einen Übergriff. Jeder Mensch, der eine solcheschmerzhafte Begegnung hatte, muss sehr ernst genommen werden.

Betrachtet man alte Dokumente, wird man sehr schnell feststellen, dass in der Vergangenheitdiese Bärenübergriffe auf Menschen sehr selten und fast nur bei der Bärenjagd, also demeffektiven Nachstellen der Tiere, aufgetreten sind.

Heutzutage bevölkert der Mensch nicht nur dichter die Landesfläche, sondern dringt immerweiter in die Wälder vor. Teilweise verhält er sich dabei zu Erholungszwecken sehr leise undkann von den im Unterholz rastenden Bären kaum geortet werden. Aus diesem Grund wer-den viele Bärenübergriffe aufgrund der Selbstverteidigung oder zum Schutz des Nachwuch-ses ausgeführt, wobei der Mensch aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit stark in Mit-leidenschaft gezogen wird.

Ausgehend von der Biologie des Bären, konnten sehr viele davon betroffene Bereiche wieWirtschaft, Futterinteraktionen, gesundheitliche Faktoren und die Angst des Menschenumrissen werden. Meine zweite Frage bezog sich auf die „schönen Künste“, die Ethnografieund somit das ständige: Wo finde ich was? Und wie steht es mit der Biologie in Zusam-menhang?

Da über den Bären niemals eine interdisziplinäre Arbeit verfasst worden ist, glich am Anfangdas Zusammentragen verschiedenster Informationen fast schon einer „nicht genau geplan-ten Spurensuche“. Nach vielen Besuchen von Museen, Schlössern und Burgen erkannte ich,dass der Bär nicht exklusiv ein Tier der Oberschicht war, sondern beim kleineren Volkwesentlich mehr Beachtung fand.

Einige wenige ethnografische Arbeiten zeigten, dass bis in die Mitte des 20. Jahrhundertsauch auf slowakischem Grund eine Involvierung des Bären in Volksfeste stattfand, welcheleider heute verloren geht.

Immer auffälliger und deutlicher wurde der Zusammenhang zwischen der Biologie desBären und der Ethnografie. Offenbar wurde gerade um biologische Besonderheiten eine

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volkskundliche Antwort geschaffen, sei es hinsichtlich des Winterschlafes und derFaschingsrituale, der Fruchtbarkeitsrituale hinsichtlich der Ernte und Hochzeit sowie derliebevollen Bärin und verwaisten Menschenkindern.

Traditioneller Bärentanz, Die liebevolle Bärenmutter. Oft wurde ihr ein oft im Faschingszug. Muttergottcharakter unterstellt.Nach Olejnik (unbekannter Illustrator in Kinderbuch)

Mithilfe des professionellen Märchenlexikons Schweiz bekam ich weitere sehr wichtigeLiteraturangaben in die Hand, welche mich in eine Welt aus Märchen, Geschichten, Aber-glauben und „altem Wissen“ führten. Durch die intensive Beschäftigung mit der Literatur-wissenschaft und vor allen Dingen der professionellen Märchenforschung betrat ich einGebiet aus religiösen Zusammenhängen, welche ich niemals in diesem Bereich vermutethätte.

Leider musste ich zudem „aufgrund der erdrückenden Last der Beweise“ erkennen, dass dieRaubtierverfolgung und -vernichtung stark durch die Christianisierung vorangetriebenwurde. Sehr viel Recherche machte deutlich, dass die vorchristlichen Religionen ein ganzanderes Welt- und Tierverständnis hatten, in welchem gerade der Bär einen wichtigen Platzeinnahm. In den oft herrschenden Glauben an Widergeburt, dem Sterben und Zurückkeh-ren ins Leben, fügen sich Bären durch ihre biologische Besonderheit des Überwinternsdurch Schlafen ohne ihr Zutun nahtlos ein. Sie verschwinden im Spätherbst und tauchen imkommenden Frühjahr erneut wieder auf. Die weiblichen Tiere kann man zudem in Beglei-tung von Jungtieren sichten. Diese Vervielfältigung verfestigte ihren Status als muttergott-ähnliches Wesen.

Sowohl in der germanischen, der keltischen, der slawischen als auch der sibirischen Mytho-logie, fast die einzige, die noch in einigen Teilen praktiziert wird, kann man einen hoch

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entwickelten Kult ausmachen mit entsprechenden religiösen Zusammenhängen, spezifi-schen Feiertagen und rituellen Kultzeremonien.

Der Ursprung des Bärenkultes, welcher gelegentlich selbst heute noch praktiziert wird, hattedefinitiv seinen Ursprung in der Jagd. Des Weiteren haben sämtliche künstlerische Aktivi-täten des Menschen ebenfalls hier ihren Ursprung.

Mit diesem Hintergrund kann man den Bogen in die jüngere Vergangenheit bis zum Jetztschließen: Wie geht der Mensch eigentlich mit dem Bären um, beispielsweise in mensch-licher Obhut? Wie betrachtet er ihn und wieviel ist davon noch sehr „alt“? Wie stark hat dasgewandelte Bild von einem mystischen, halbgöttlichen Geschöpf, was mit dem Menschenirgendwie verwandt ist, zu einen sündigen, verfressenen oder tollpatischen Kreatur sich inuns festgesetzt? Was brauchen sowohl Mensch als auch Bär, um unter den modernen Bedin-gungen auch weiter erfolgreich koexistieren zu können?

Obwohl Menschen emotionale Wesen sind und sich oft in die oben aufgezeigten konträrenStandpunkte aufspalten, sollten kritische Punkte und auftauchende Probleme neutralerangegangen werden, wie etwa Problembären, verwaiste Bärenjunge und die Jagd.

Wie ging alles zusammen?

Im Endeffekt versuchte ich Themenbereiche zu schaffen, in welchen entscheidende biologi-sche Zusammenhänge aufgezeigt und mit der menschlichen Seite überlappt wurden. Mirwar es dabei wichtig, die Biologie sehr anschaulich und bunt darzustellen, viele, immer mehrverschwindende Rituale zu beleuchten und die heutigen Konflikte von verschiedenen Stand-punkten zu betrachten:

Aufbau der Arbeit:

– die beeindruckende Befreiung des Bären Albin dient als Einleitung

– ein Steckbrief des Bären fasst wichtige Kernpunkte des Bären inklusive seiner Verbrei-tung und den Wappen von Bärendörfern zusammen

– im Familienleben des Bären sind wichtige Verhaltensbesonderheiten der Tiere erklärt, dieim späteren Verlauf mit der Mythologie überlappt werden. Der Muttergottcharakter der Bärin stützt sich in großen Teilen auf diese besondere Zeit

– der Winterschlaf des Bären zeigt nicht nur die exklusive Überwinterung, sondern auch die um sie herum kreierten ethnografischen Rituale und Festlichkeiten

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– die Futtertabelle des Braunbären beinhaltet nicht nur neue Erkenntnisse hinsichtlich der Ernährung, sondern auch die Überlappung mit vielen menschlichen Interessen, der Ökonomie und der alten Schäferkunst

– die Migration des Bären zeigt die Verletzlichkeit der Tiere und wirft die Frage auf, wieviel Natur sich der Mensch in seiner Schnelligkeit überhaupt noch leisten kann

– Lillies Tagebuch endet in der Schwierigkeit der problematischen Bären und beleuchtet einen wichtigen Streitpunkt der Slowakei

– wenn Mann oder Frau einen Bären trifft kategorisiert verschiedene Bärenübergriffe auf den Menschen und erzählt einige, teilweise sehr dramatische Begegnungen. Des Weiteren wird der Urangst des Menschen vor sämtlichen Raubtieren nachgespürt und der heutigen Eindringung des Menschen in den ruhigen Wald

– der Teil Gefangen oder sicher stellt viele Gründe, Ungerechtigkeiten und Schwierig-keiten dar, welche eine Haltung von Bären in der Vergangenheit bis heute mit sich bringt. Des Weiteren sind Slowakische Bärenkinder ein emotionales Thema, welches eine schnelle Lösung erfordert

– die Mythologie und der Wandel des Waldgeistes Bär findet sich in Von (Bären)märchen und Menschen wieder. Nur mithilfe der alten sakralen Ansichtsweise und der modernen Märchenforschung sowie der biologischen Besonderheiten des Bären kann dieser Punkt erklärt werden

– der letzte Teil Jagd und Kunst baut auf vielen vorherigen Teilen auf. Die Reise durch die Jagdrituale der sibirischen Völker bis in die Slowakei zeigt die Bärenjagd aus einem ganz anderen Blickwinkel. Der Bär wurde im Verlauf der Zeit aus zwei Gründen gejagt, für Fell, Fleisch und Fett sowie zum Schutz der Herden. Die Jagd in Zahlen und Gründen in der Slowakei kommt deshalb nicht ohne einen kurzen historischen Rückblick aus. Parallel wird sie mit der Kunst überlappt, welche ihren Ursprung in der Jagd hat. Die ein-zigartige Geschichte des Bärenschutzes in der Slowakei wurde durch Jäger vorangetrie-ben. Den Abschluss bildet die Situation der Jagd heute und der starke andauernde Konflikt um diesen Punkt. Mittlerweile ist der Bär zu einem politischen Thema gewor-den, was ihm nicht gut tut. Die Wichtigkeit einer schnellen Lösung dieses Disputes wird somit deutlich, damit Bär und Mensch wieder etwas ruhiger miteinander auskommen können

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Danksagung

Der Andrea von Braun Stiftung für die Ermöglichung dieses Projektes.

Herrn Dr. Slavomir Findo für die wissenschaftliche Anleitung und die vielen, stundenlangenDiskussionen über Bären.

Herrn Eduard Tschabold vom Märchenlexikon Schweiz, für seine freundliche Hilfe und diewichtigen Hilfestellungen bei der Literaturrecherche zum Thema Bär.

Der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft für die Benutzung der unter dem Projekt„Brown Bear Corridors in Slovakia“, in welchem ich involviert sein kann, gewonnenenErkenntnisse und Daten.

Dem Forstwirtschaftliches Institut in Zvolen/Slowakei (Národné Lesnické CentrumZvolen, Slovensko) möchte ich für die Zusammenarbeit und die Benutzung des Laborato-riums danken.

Vladimir Vician für die Zurverfügungsstellung der Fotos und die Dokumentation der Fang-aktion des Bären Adriano.

Beim Zoo Bojníce will ich Dr. Michal Belák, Dr. Luptak und Dr. Schrank für die Koopera-tion danken.

Lubo Fritsch für die Kreierung eines Plakates zum Thema „Bär-Mensch-Interaktionen“.

Tomas Hulik möchte ich für die Bereitstellung von Fotos von Bären und Menschen danken.

Jan Schkoda und dem Forstangestellten aus Hybe an dieser Stelle herzlichen Dank für dieGeschichten der Bärenübergriffe.

Michal Kalasch nochmals Danke für das Foto des überfahrenen Bären, die Tagebuchnoti-zen und Daten hinsichtlich der überfahrenen Bären.

Allen Förstern aus der Gebirgsregion in Pol’ana möchte ich nochmals für die Unterstützungim Freiland bei der Arbeit mit Bären danken.

Als letztes sind all diejenigen Menschen erwähnt, welche hier nicht namentlich aufgeführtsind und die mir auf verschiedene Weise geholfen haben (Interviews, ihre eigenenGeschichten, Wissen über Bären etc.).

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Curriculum Vitae

Michaela Skuban, M. Sc.

1976 geboren am 27.12.1976 in Starnberg1983–1987 Grundschule am Isardamm, Geretsried1987–1996 Gymnasium Geretsried

Abschluss: Allgemeine Hochschulreife1996–1997 ein Semester Studium der Biologie an der TU München1998–2000 Schauspielausbildung bei „Schauspiel München“

Abschluss: Zwischenprüfung der Allgemeinen Bühnenreife

2000-2005 Studium der Biologie an der LMU MünchenHauptfach: Zoologie, Nebenfächer: Ökologie, Neurobiologie, PsychologieDiplomarbeit: „The diet of four different wolf (Canis lupus)-packs in the Biesczcady-Mountains, Southeasternof Poland“ betreut durch Dr. Matthias Starck, LMU München und Dr. Roman Gula, Ustrzyki Dolne, PolenForschungsaufenthalt in Polen:(Carpathian Wildlife Research Museum and Institute ofZoology; Polish Academy of Science; Belska 24; 38-700Ustrzyki Dolne, Polen), Dez. 2003: Vorpraktikum

4-9/2004 Datenerhebung und Analyse

Praktika bis 20007-8/1993 5-wöchiges Praktikum bei Tierarzt Dr. Ruffy in

Rosenheim1994–1996 Mitarbeit in der Tierarztpraxis bei Dr. Kalk,

Altvaterstraße in 82538 Geretsried, sowie in der integrierten TierpensionTätigkeit: Tierärztliche Assistenz bei Behandlungen, im Labor und bei Operationen sowie Pflege und Versorgung der PflegehundeParallel: Versorgung privater Pflegehunde

11/1999 Seminar „Vom Wolf zum Hund“ bei Dr. Erik Zimen im Bayrischen Wald

3-10/2000 Pflegepraktikum im Tierheim München RiemEinsatzorte:Hunde- und Krankenstation

Studienbegleitende Praktika (zusätzlich zum Studium)

8/2001 4-wöchiges Praktikum im Tierheim Demirtas, Südanatolien in der TürkeiTätigkeit: Pflege der Hunde, Ermittlung von Verhaltensdiagrammen, Fangen von Straßenhunden mit anschließender Kastration und abschließender „Auswilderung“

Verhaltenspraktikum „Ethogramm des Wolfes“ bei 2/2003Dr. Erik Zimen im Bayrischen Wald/Tierpark Lohberg4-wöchige Mitarbeit in der mobilen Eingreiftruppe 8/2005von Walter Hildbrand, angeschlossen an das Herdenschutzzentrum SchweizTätigkeit: Integration zweier Maremma-Hunde in bestehende Herde in Fuldera (Nähe italienische Grenze) aufgrund Wiedereinwanderung des Braunbären