brand eins - Downshifting

6
Darf es etwas weniger sein? Warum viele gern herunterschalten würden. Und wieso sich das so wenige trauen. Text: Stefan Reinecke Foto: Anne Schönharting/Ostkreuz 150 BRANDEINS 04/12 WAS MENSCHEN BEWEGT _DOWNSHIFTING

description

 

Transcript of brand eins - Downshifting

Page 1: brand eins - Downshifting

Darf es etwas weniger sein?Warum viele gern herunterschalten würden.Und wieso sich das so wenige trauen.

Text: Stefan Reinecke Foto: Anne Schönharting/Ostkreuz

150 BRAND EINS 04/12

WAS MENSCHEN BEWEGT _DOWNSHIFTING

Page 2: brand eins - Downshifting

151BRAND EINS 04/12

Page 3: brand eins - Downshifting

152 BRAND EINS 04/12

WAS MENSCHEN BEWEGT _DOWNSHIFTING

• Es gab kein Schlüsselerlebnis. Keine Erfahrung,die die Welt plötzlich in anderem Licht erschei-nen ließ. Es wuchs langsam, beinahe unmerklich.Doch irgendwann wusste Gerhard Hüttermann,54: Es reicht. Es muss sich etwas ändern.

Seit 1990 arbeitet er als Unternehmensbera-ter, steigt 1995 bei einem der ganz Großen derBranche ein, Jahresumsatz weltweit mehrere Mil -liarden Euro. Er bleibt 15 Jahre, ist an vier Tagenpro Woche auf Tour, immer in fremden Städten,arbeitet von 9 bis 22 Uhr, manchmal länger. Wenner mit den Kollegen danach noch an der Bar et-was trinkt, reden sie über den Job. So stehen sievier Tage lang „hundert Prozent unter Strom“.Fremdenlegion nennen sie diese Einsätze, die ihrLeben sind. Am fünften Tag wird im Büro odervon zu Hause gearbeitet. Nur die Wochenendenverbringt Hüttermann mit seiner Partnerin. Es istkein schlechtes Leben, wirklich nicht.

Im Laufe der Jahre steigt er in der Firma auf.Er verdient sehr gut, kauft eine schöne Wohnung.Er hat keine materiellen Sorgen, aber eine Frage:Wozu das Ganze? Die Konzernzentrale verlangt,was alle Konzernzentralen verlangen: Wachstumbei Umsatz und Profit. „Alles folgte dem Primat:schneller, höher, weiter. Es wurde kaum hinter-fragt, welche Folgen das für Gesellschaft undUmwelt hat“, sagt er im Rückblick.

Solche Gedanken gehen ihm auch durch denKopf, wenn er montags morgens in der BusinessLounge des Flughafens Berlin-Tegel sitzt und die Kollegen sieht,im teuren Anzug, Laptop auf den Knien, das Handy in der einen,zwei Tageszeitungen in der anderen Hand. Er ist einer dieser vielbeschäftigten Leute, die sich zur Elite zählen, weil sie eine MengeGeld verdienen und sich für unentbehrlich halten.

Früher galt nur: schneller, weiter, höher.Jetzt weiß er, dass freie Zeit ein Gewinn ist

2007 macht er dreieinhalb Monate Pause, ein Sabbatical, weil erin der alltäglichen Mühle nicht dazu kommt, sich Gedanken übersein Leben zu machen. Er paddelt im Kajak durch Mecklenburg-Vorpommern und nimmt an zwei Schweige-Wochen mit Yogaund Meditation teil. Dabei wandelt sich das Unbehagen in eineErkenntnis: dass weniger mehr ist. Dass er mit weniger Geld, weniger Arbeit, weniger Kommunikation, weniger Ablenkungbesser leben könnte – und dafür mit mehr Aufmerksamkeit be-lohnt würde für das, was wirklich wichtig ist.

Er zögert lange, bis er den Job kündigt. Es ist ein Wechsel, dergründlich bedacht sein will, ein Sprung aus dem gewohnten und

satten hinein ins materiell ungesicherte Leben. Er muss sich um-stellen, aber kaum einschränken. Bahn statt Flugzeug, zu Hausekochen statt ausgehen, seltener und billiger Urlaub machen als zuvor: Er fühlt sich bereichert durch die Zeit, die er gewonnenhat, die neuen Kontakte, den offenen Blick. Nur die Ungewiss-heit, wie viel er im nächsten Monat verdient, verunsichert ihnmanchmal. Er arbeitet jetzt als Partner für eine Unternehmens-beratung, die sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert hat, und als Coach für Führungskräfte. Es geht um mehr Sinn, nicht mehr darum, „zu bewerten, ob es sich für Unternehmen lohnt, dieBuchhaltung nach Rumänien oder Asien zu verlagern“. Sein Ar-beitspensum und Einkommen hat er im Vergleich zu früher hal -biert. Er sagt: „Es war eine Werte-Entscheidung.“

Gerhard Hüttermann ist ein Downshifter. Downshiften heißtherunterschalten, freiwillig und bewusst auf Geld verzichten, umZeit für anderes zu haben. Es bedeutet weniger Konsum, weni-ger soziale Sicherheit, aber mehr Freiheit. Die Idee entwickelte sich vor etwa 20 Jahren in verschiedenen Industriegesellschaften,besonders in den USA, in Großbritannien und Australien. Es wareine Bewegung von Leuten wie Hüttermann, aufgeklärte obere

Nicht mehr „hundert Prozent unter Strom“: Gerhard Hüttermann (vorige Seite: beim Kopfstand)

Page 4: brand eins - Downshifting

WAS MENSCHEN BEWEGT

153BRAND EINS 04/12

Mittelschicht, die nicht radikal aussteigen wollten und auch keinWeltverbesserungsfuror antrieb. Sie fühlten sich eingesperrt imHamsterrad von Karriere und Konsum. Ihr Motto lautet: „Lebens -standard ist, wenn du mit Geld, das du nicht hast, Dinge kaufst,die du nicht brauchst, um Leute zu beeindrucken, die du nichtmagst.“ So wuchs aus der Mitte der Gesellschaft eine praktische,pragmatische Kritik an der Wachstumsökonomie.

Radikales Downshifting, wenn auch auf Zeit, probiert CasparRichter. Der 31-Jährige ist gut ausgebildet, polyglott, schlagfertig,energisch. In Maastricht hat er den Bachelor in European Studiesgemacht, danach in London Umwelt- und Techniksoziologie studiert. 2008 bekam er einen Job in Berlin bei einer Klimaschutz -agentur. Als Projektmanager war er für eine Studie über den Effekt energiesparender Techniken in 1000 Haushalten verant-wortlich. Umweltmanagement, das passte perfekt. „Ich kommeaus einem grünen Elternhaus“, sagt er. Obwohl Berufsanfänger,wurde er ordentlich bezahlt. Er war auf dem Weg nach oben, wiees schien, angetrieben von Idealismus, ausstaffiert mit robustemSelbstbewusstsein und wachem Verstand.

Doch seit drei Monaten ist er arbeitslos, aus freien Stücken.Weil er kein Rädchen in einem Getriebe werden will, das sich inseinen Augen in die falsche Richtung bewegt. „Geld reicht nichtals Begründung, um zu arbeiten“, sagt er. Von Öko-Illusionen ister kuriert. „Wenn man den Klimakollaps vermeiden will, geht dasnur mit Verzicht und höheren Preisen für Energie.“ Stromspar-steckdosen hält er für Placebos, die Ökogutachter-Branche für teilweise sinnlos.

Er lebt nun von Erspartem, braucht 1000 Euro im Monat. Die Wohnung kostet 350 Euro, Krankenversicherung 150. Frü-her hatte er 1800 Euro netto. Er muss sich einschränken. Bars inBerlin-Mitte sind gestrichen. Dafür hat er keine Zeitnot mehr.

In Japan gälte er als Neet. Neet ist ein Akronym: Not in edu-cation, employment or training. Neets sind Leute zwischen 15 und34 Jahren, die sich Schule, Arbeit, Universität verweigern. Alleinin Japan wird ihre Zahl auf mehr als 600 000 geschätzt. Sie wol-len nicht zur normierten, fordernden Arbeitswelt gehören.

„Ich bin in einer Findungsphase“, sagt Richter. Ob er in einemJahr an einer Dissertation arbeitet, in einer Kneipe oder auf einemÖkohof, hält er sich offen. Er liest viel, Psychoanalyse, Marx, Kri-tische Theorie, Buchtipps von Freunden. Und er spielt Klavier. Ander Hand trägt er eine Manschette – Sehnenscheidenentzündung.Zu viel geübt. Auch mit dem, was man gern tut, kann man sichüberfordern. Er sitzt in Cafés, raucht wieder, trifft Freunde undsucht eine Antwort auf die Frage: Welche Arbeit ist nicht ent-fremdet? Eine Doktorarbeit, vielleicht. Doch „mein Wissensdrangist noch zu unreif dafür“. Deshalb diese Pause. „Freiheit ist nichtdas, was die Leute dafür halten. Freiheit ist nicht Fernseher an-machen, Chips essen, Füße hoch. Freiheit ist anstrengend.“

Er duscht seit drei Monaten morgens kalt. Wegen des Energie -verbrauchs. Und weil er wissen will, ob das geht. Es geht.

Caspar Richter und Gerhard Hüttermann stehen für den post-materiellen Wertewandel, den der US-Politologe Ronald Inglehartin den westlichen Ländern seit vier Jahrzehnten auf dem Vor-marsch sieht. Auch in Deutschland: Disziplin, Erfolg, Fleiß undGehorsam haben als dominierende Leitbilder ausgedient. An ihreStelle sind Freiheit, Individualität und Selbstverwirklichung ge-rückt. Ingleharts These: Sobald ein gewisses Wohlstandniveau erreicht ist, bleicht der traditionelle Tugendkanon aus.

Sie suchen das Glück am Arbeitsplatz.Und erleben, dass die Seele dabei schlappmacht

Es ist nicht überraschend, dass 87 Prozent der Befragten einer Allensbach-Umfrage 2007 bekundeten, dass es im Leben wichtigsei, „gute Freunde zu haben“, doch nicht einmal halb so viele (42Prozent) „wachsendes Einkommen“ für erstrebenswert erklärten.81 Prozent wollen „für die Familie da sein“, aber nur 44 Prozentim Beruf aufsteigen. Manche deuten solche Zahlen als ein Alarm-signal: Das Leistungsprinzip sei auf dem absteigenden Ast, derökonomische Abstieg Deutschlands vorgezeichnet.

Jedenfalls ist der Wertewandel unbestreitbar. Und er beschreibtlängst mehr als das Selbstverständnis des postalternativen Bürger -tums in der Kölner Südstadt, im Hamburger Schanzenviertel oderin Berlin-Mitte. Doch Selbstbilder und Lebenswirklichkeit sindnicht identisch. In der Arbeitswelt schlägt sich der Bewusstseins-wandel nur vereinzelt nieder.

Vielmehr steigt die tatsächliche Wochenarbeitszeit in Deutsch-land seit zehn Jahren, die Arbeitsverdichtung nimmt zu. MögenKlagen über Burn-out auch extrem medial verstärkt sein, gibt esdoch Daten, die zeigen, dass Arbeitsdruck krank macht. Psychi-sche Erkrankungen sind inzwischen der häufigste Grund für Früh-verrentungen. In der IT-Branche, die sich wenig um Einsatzzeitenschert, registrierte eine Studie des Instituts für Arbeit und Technikbei 41 Prozent der Teilnehmer „massive Anzeichen einer chroni-schen Erschöpfungssymptomatik“. Über Müdigkeit oder Nervosi -tät klagen IT-Arbeiter drei- bis viermal häufiger als der Durchschnitt.

Der französische Soziologe Alain Ehrenberg hat die Überfor-derung als Signatur der Epoche beschrieben. In „Das erschöpfteSelbst“ skizziert er eine Gesellschaft, in der die Menschen nichtso sehr unter Kontrollen und Zwängen leiden als an dem Gefühl,dass ihnen etwas Wesentliches fehlt. Der Fabrik-Kapitalismus hatseine Prägekraft verloren. Die moderne Arbeitswelt setzt auf dasselbstbewusste und selbstbestimmte Individuum, das sich im Jobverwirklicht. Von den Schattenseiten ist selten die Rede.

Dass in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen mitDepressionen leben, die ärztliche oder therapeutische Hilfe brau-chen, ist ein Zeichen. Ehrenberg hält Depression für „die Krank-heit par excellence des demokratischen Menschen“.

Sabine Meer, 45 (Name geändert) wollte nicht, dass es bei ihrso weit kommt. Seit zwei Jahren arbeitet sie nur noch knapp 3

Page 5: brand eins - Downshifting

154 BRAND EINS 04/12

WAS MENSCHEN BEWEGT _DOWNSHIFTING

20 Stunden in der Woche. Als sie 2011 die Titelgeschichten in»Stern«, »Spiegel« und »Zeit« über Burn-out las, sah sie sich bestä -tigt. „Hätte ich meine Arbeitszeit nicht radikal gekürzt, wäre ichauch einer der Fälle geworden, die da beschrieben wurden.“ DasVerhältnis zu ihrem Chef war schwierig. Ständig änderte er seineVorgaben. Aber einen Ausweg fand Meer erst, als sie sich fragte:Was kann ich, was will ich?

1998 hatte sie über ein religionswissenschaftliches Thema promoviert. In Fachkreisen kannte man ihren Namen. Aber sietraute sich nicht zu, es bis zur Professorin zu bringen. Auf Tagun -gen auftreten, Seilschaften bilden, Konkurrenten ausstechen, dasschreckte sie ab. Der Kälte des Universitätsbetriebs fühlte sie sichjedenfalls nicht gewachsen.

Deshalb stieg sie in die Verwaltung ein, war bald zuständig fürein achtköpfiges Team. Froh machte sie diese Verantwortungnicht. Wollte sie wirklich Abteilungsleiterin sein? Immer so wei-ter, vielleicht noch 25 Jahre lang? Es war eine typische Krise für40-Jährige, wenn sie spüren, dass es mit den einst unbegrenztenMöglichkeiten wohl doch nicht mehr so weit her ist und diegrößten Chancen endgültig passé sind.

„Ich habe die Arbeit reduziert, weil ich wusste, dass ich sonstzusammenklappe“, sagt sie. Sie verdient jetzt 1500 Euro netto,vorher waren es 2700. Sie spielt wieder Geige und hofft, als Musikerin semiprofessionell arbeiten zu können. Sie träumt ins-geheim von einer Rückkehr in die Wissenschaft und genießt es,von ihren Freunden beneidet zu werden, weil sie eine Balance zwi-schen Freiheit und Sicherheit gefunden zu haben scheint.

50 Prozent träumen von einem Sabbatical.Aber nur ein Prozent gönnt sich die Auszeit

Weniger zu arbeiten ist eine Möglichkeit. Nach einem Burn-outist der zumindest zeitweilige Rückzug ohnehin üblich, um im Anschluss an eine Erholungsphase wieder ins Unternehmen zu-rückzukehren. Downshifting ist deshalb gerade für Arbeitnehmerin hoch individualisierten und gut bezahlten Branchen eine Alter -native, wenn sie ihre Karriere nicht abbrechen, aussteigen und denBeruf hinter sich lassen wollen.

Tatsächlich sind Downshifter hierzulande Ausnahmeerschei-nungen. Die Hürden auf dem Weg zu weniger Arbeit erscheinenmanch einem plötzlich unüberwindbar. Dass es im Deutschenkein brauchbares Wort für Downshifter gibt, ist kein Zufall.

Wie viele der 41 Millionen Deutschen, die erwerbstätig sind,schon einmal ein Sabbatical eingelegt haben, das Angebot für einen besser bezahlten, aber zeitfressenden Job ausgeschlagenoder dauerhaft die Arbeit reduziert haben, ist unbekannt. Es gibteine europaweite, bislang nicht ausgewertete Studie aus dem Jahr2004, die Anhaltspunkte gibt. Laut Eurobarometer scheuen dieDeutschen – viel stärker übrigens als Briten oder Niederländer –das Risiko, aus dem Job auszusteigen. Auf die Frage „Planen Sie,

Ihre Arbeitszeit zu reduzieren?“ antworteten in Deutschland nur3,3 Prozent mit Ja und 5 Prozent mit „Ja, vielleicht“. In Großbri-tannien waren 13,1 Prozent fest entschlossen, 17,5 spielten mitdem Gedanken. Ganz ähnlich in den Niederlanden: Knapp einDrittel der Befragten erklärte mehr oder weniger entschlossen, dieArbeitszeit zu beschränken. Hierzulande wollte das dagegen nichteinmal jeder Zehnte.

Dass die Deutschen beim Tausch Geld gegen Freizeit zöger-lich sind, zeigt beispielhaft der öffentliche Dienst in Berlin. Des-sen Beschäftigte können seit Mitte der Achtzigerjahre ganz regu-lär eine bezahlte Auszeit nehmen, indem sie drei Jahre lang aufein Viertel des Gehalts verzichten und im vierten Jahr ein bezahl -tes Sabbatical einlegen. 1999 nahmen das weniger als ein Prozentder Berechtigten in Anspruch. Laut Umfragen aber ist fast jederzweite an einem Sabbatical interessiert.

Warum diese Kluft zwischen Traum und Tat? Was hindertuns? Ein Grund ist offenbar, dass wir mehr als unsere Nachbarnaufs Geld schauen. Laut Eurobarometer bekundeten 19 Prozentder Briten und Niederländer, weniger arbeiten zu wollen, auchwenn sie mit weniger Geld auskommen müssten. Bei den Fran-zosen waren es 17 Prozent, bei den Deutschen nur neun.

Dieser Befund deckt sich mit den Erfahrungen von ArndCorts, der als Coach seit acht Jahren in Hagen Leute berät, dieweniger arbeiten möchten. Der Anteil der Downshifter, sagt er,sei sehr niedrig. Er habe Klienten, „die ihr ganzes Arbeitsleben ändern wollen. Aber am Ende bleibt davon nur übrig, dass sie mitdem Fahrrad und nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren.Arbeit garantiert eben Geld und Anerkennung. Dass Leute wirk-lich drastisch weniger arbeiten, passiert selten.“

Spätestens am Gelde scheiden sich in Deutschland offenbardie Geister – doch der Umkehrschluss, dass sich nur die obereMittelklasse ein Zurückschalten finanziell leisten kann, ist falsch.Wie vielfältig die Motive der Downshifter sind, zeigt das Beispielvon Manuela Ludwig, 40. Sie hat zwei Kinder im Alter von dreiund zwölf und hat beide in ihren ersten drei Lebensjahren zuHause versorgt. Klingt normal? Ist es aber nicht. Ihr Mann warzu jener Zeit arbeitslos und das Geld knapp. Doch die Fremd-sprachenassistentin Manuela Ludwig hatte einen Vorsatz: „Ichwill meine Kinder selbst erziehen.“

Sie wohnt in Berlin und weiß, wie exotisch ihr Lebensentwurffür viele der liberalen, emanzipierten Hauptstädter klingt. „Ichwar Mutter und Hausfrau. Das darf man ja heute kaum noch sagen.“ Weil weibliche Erwerbsarbeit im großstädtischen Mittel-schichtmilieu als Zeichen von Selbstbehauptung gilt, deutet sieihren Ausstieg als nonkonformistische Geste der Selbstverwirkli-chung gegen gesellschaftliche Erwartungen um. Die Familie lebtevon 1600 Euro – Kindergeld, Elterngeld, Hartz IV. Das Budgetwar so knapp, dass eine kaputte Waschmaschine eine Krise aus-löste. Nach Abzug der Fixkosten blieben knapp 800 Euro im Monat zum Leben. Die Geldknappheit war ein reales Problem,

Page 6: brand eins - Downshifting

155BRAND EINS 04/12

nicht der Status. „Ich bewege mich nicht in Kreisen, in denen Leu-te viel Geld haben“, sagt Ludwig.

Geld, das verdeutlicht dieses Beispiel, ist eine wichtige, abernicht die entscheidende Hürde beim Downshifting. Eine Um -frage in Großbritannien im Jahr 2003 zeigte, dass dort fast jederVierte in den vorausgegangenen zehn Jahren beruflich kürzer getreten war. Noch erstaunlicher: Downshifting war von Unge-lernten bis in die Oberschicht recht gleichmäßig verteilt.

Auch der Coach Arnd Corts teilt den Eindruck, dass die Sehn-sucht nach weniger Arbeit nicht auf Besserverdienende beschränktist. „Zu mir kommen grob gesagt zwei Gruppen: In der einen sindes Mittelschichtsangehörige zwischen Mitte 30 und Mitte 40, dieihre Sinnkrise nicht mit einer Harley-Davidson oder einer jungenFreundin bekämpfen wollen. In der anderen sind es Leute, die mitihrem Beruf unglücklich sind. Wie die Krankenschwester, diemerkt, dass die Arbeitsverdichtung zu groß geworden ist. Sie istüberlastet und in einer Krise, weil sie für die Patienten kaum nochZeit hat.“

Wer den Sprung zum Downshifter geschafft hat, empfindetweniger Geld nicht als gravierend. Konsumverzicht wird eher als

gerechter Preis empfunden, den man für mehrUnabhängigkeit und Selbstbestimmung zahlt. Ir-ritierend ist nur die Ungewissheit. Wie bei Ger-hard Hüttermann, der sich fragt, wie viel Geldwohl nächsten Monat auf dem Konto ist. DieReligionswissenschaftlerin Sabine Meer sagt:„Ohne die Angst, im Alter zu verarmen, wäre al-les viel besser.“

Aussteigen oder durchhalten? Beides verlangt Mumm

Es gibt noch ein Motiv, das die Geschichten derDownshifter verbindet: Moral. Wer sich aus derArbeit zurückzieht, glaubt sich rechtfertigen zumüssen. Caspar Richter stehen mehr als 1000Euro Arbeitslosengeld zu – doch er hat es nichtbeantragt. Weil er keine Arbeit suche, sagt er,habe er kein Anrecht auf Unterstützung.

Manuela Ludwig bezog Hartz IV währendihrer Auszeit. „Ich habe mir meine Elternzeit vonLeuten finanzieren lassen, die im Unterschied zumir gearbeitet haben“, sagt sie. Dieses Ungleich-gewicht ist aus ihrer Sicht gerechtfertigt, weil die Gesellschaft ja auch etwas von ihr bekommt:zwei Kinder, die später in die Rentenkasse ein-zahlen. Insofern sieht sie ihren Hartz-IV-Bezug alsGeschäft auf Gegenseitigkeit. Damit ist sie nichtin der Rolle der Bedürftigen, die Leistung ohneGegenleistung empfängt. Es scheint, als hätte das

Arbeitsethos noch jene im Griff, die sich zeitweise aus der Ar-beitswelt verabschieden.

Die deutsche Skepsis gegenüber dem Downshifting speist sichaus vielen Quellen. Dazu gehört eine robuste Arbeitsmoral, dieoffenbar jeden Wandel überdauert, und ebenso zähes Festhaltenam Job. Der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer war 2008länger als zehn Jahre bei seinem aktuellen Arbeitgeber beschäf-tigt. In Dänemark etwa sind es statistisch nur sieben Jahre. Dortscheint Downshifting nicht als biografischer Bruch empfunden zuwerden, dessen Konsequenzen gründlich bedacht sein wollen.

Der heikelste Punkt bleibt das Geld. Weniger Gehalt heißtKonsumverzicht, drückt den sozialen Status, macht Angst, sorgtfür Ungewissheit. Was die meisten vom Herunterschalten abhält,ist jedoch nicht die Sorge, sich vom Auto trennen zu müssen. Esist das bange Gefühl, es könnte noch weit Schlimmeres geben alsnur Arbeit bis zum Umfallen.

--

WAS MENSCHEN BEWEGT

„Freiheit ist anstrengend“: Caspar Richter beim Pausieren