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BREMEN,PARIS UND ZURÜCK …. 50 JAHRE BREMER ROLAND CHUCHI 04.10.1962 – 04.10.2012 1 Bremen, Paris – und zurück … 28.09.2012 – 30-09.2012 Frage, liebe Brüder: Was verbindet Roland-Chuchi und James Bond? Na? Ja, klar – 50 Jahre! Was unterscheidet uns vom Agenten seiner Majestät? Vielleicht sein schlanker Spruch… O-Ton: »Shaken not stirred!« Transferiert in unseren Halb-Jahrhundert-Männer- Kochclub-Roland-Chuchi lautet dieser etwas passender: »Geraffelt, nicht gewürfelt!« Geraffelt haben wir uns allemal, denn wir sind ja schließlich nicht der Feind der Genüsse. Da volksnahe Küchenpsychologie noch nie unser Ding war, wollen wir uns den wahren kulinarischen Herausforderungen des Lebens stellen. Folglich unser Entschluss zum Jubiläum: Auf nach Paris! Entlang meiner subjektiven Wahrnehmung an die späten Septembertage 2012 will ich nun versuchen, die attraktive Reise (als Reisender bitte – und nicht mit schwer behaarten Waden als Tourist!) zurück in unser Bewusstsein zu holen. Vorneweg aber große Anerkennung an unseren Kochbruder Robert: In der Musik kann man das hohe C sauber treffen. Man kann immer die quälende Achtelnote daneben oder auch völlig woanders liegen, aber bei dieser Art von Reise-Organisation gibt es keine soliden Parameter oder richtigen Töne; es gibt nur die Resonanz. Und dieser Widerhall ist stark, anhaltend und wohlklingend. Das lag einmal an der professionellen Planung, zum anderen an der Auswahl die Locations. Ein Programm, das uns von Stunde zu Stunde mitschwingen ließ. Ich glaube einfach, Robert, Paris ist dein Ort. Du hast uns nicht hingelockt, sonder ehrlich mitgenommen. Dafür im Namen aller reisenden Kochbrüder lieben Dank! Freitag, 28. September. Unsere bunte Köche-Truppe, morgens 06.15 Uhr, Bremen- Airport. Alter querbeet. Junge dynamische Gesellen sind darunter – manche auch in einem Alter, das man als Fitnessstudiofrei bezeichnen kann. Gehen wir aber einem Missverständnis aus dem Weg, denn es ist eher belanglos, wie jemand unterwegs ist. Ob allein, ob zu zweit, ob in einer Gruppe, ob im knallig-fluoreszierenden Outfit oder mit der (kurzen) Lederhose, ob gründlich vorbereitet oder spontan entschlossen, ob Mann oder Frau, ob heimatverliebt oder Kosmopolit, alles Schall und Rauch, alles ohne Bedeutung. Alles. Denn nur ein Einziges entscheidet über den Wert einer Reise: die mitgenommene Neugier, der Wissensdurst, die Freude am Entdecken, der Hunger nach allem – besonders nach Austern, Gambas und Sancerre! Den besagten „Hunger“, ich kann es beschwören, war in jedem Gesicht meiner Brüder zu erkennen. Na ja, vielleicht war auch ein etwas verschlafener „Hungerblick“ dabei.

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Frage, liebe Brüder: Was verbindet Roland-Chuchi und James Bond? Na? Ja, klar – 50Jahre! Was unterscheidet uns vom Agenten seiner Majestät? Vielleicht sein schlankerSpruch… O-Ton: »Shaken not stirred!« Transferiert in unseren Halb-Jahrhundert-Männer-Kochclub-Roland-Chuchi lautet dieser etwas passender: »Geraffelt, nicht gewürfelt!«Geraffelt haben wir uns allemal, denn wir sind ja schließlich nicht der Feind der Genüsse. Davolksnahe Küchenpsychologie noch nie unser Ding war, wollen wir uns den wahrenkulinarischen Herausforderungen des Lebens stellen. Folglich unser Entschluss zumJubiläum: Auf nach Paris!

Entlang meiner subjektiven Wahrnehmung an die späten Septembertage 2012 will ichnun versuchen, die attraktive Reise (als Reisender bitte – und nicht mit schwer behaartenWaden als Tourist!) zurück in unser Bewusstsein zu holen.

Vorneweg aber große Anerkennung an unseren Kochbruder Robert: In der Musik kannman das hohe C sauber treffen. Man kann immer die quälende Achtelnote daneben oder auchvöllig woanders liegen, aber bei dieser Art von Reise-Organisation gibt es keine solidenParameter oder richtigen Töne; es gibt nur die Resonanz. Und dieser Widerhall ist stark,anhaltend und wohlklingend. Das lag einmal an der professionellen Planung, zum anderen ander Auswahl die Locations. Ein Programm, das uns von Stunde zu Stunde mitschwingen ließ.Ich glaube einfach, Robert, Paris ist dein Ort. Du hast uns nicht hingelockt, sonder ehrlichmitgenommen. Dafür im Namen aller reisenden Kochbrüder lieben Dank!

Freitag, 28. September. Unsere bunte Köche-Truppe, morgens 06.15 Uhr, Bremen-Airport. Alter querbeet. Junge dynamische Gesellen sind darunter – manche auch in einemAlter, das man als Fitnessstudiofrei bezeichnen kann. Gehen wir aber einem Missverständnisaus dem Weg, denn es ist eher belanglos, wie jemand unterwegs ist. Ob allein, ob zu zweit, obin einer Gruppe, ob im knallig-fluoreszierenden Outfit oder mit der (kurzen) Lederhose, obgründlich vorbereitet oder spontan entschlossen, ob Mann oder Frau, ob heimatverliebt oderKosmopolit, alles Schall und Rauch, alles ohne Bedeutung. Alles. Denn nur ein Einzigesentscheidet über den Wert einer Reise: die mitgenommene Neugier, der Wissensdurst, dieFreude am Entdecken, der Hunger nach allem – besonders nach Austern, Gambas undSancerre! Den besagten „Hunger“, ich kann es beschwören, war in jedem Gesicht meinerBrüder zu erkennen. Na ja, vielleicht war auch ein etwas verschlafener „Hungerblick“ dabei.

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Flug AF: Wer checkt ein? Es sind die Brüder Robert, Udo, Norbert, Eckhardt,Christian, Peter, Rolf, Niklas, Stefan und Hannes. 06.20 Uhr - Premiere im Bremen Airport.Kochbruder Eckardt die Erste: Eins – zwei – drei ….zehn! Alle da! Voilà!

Das fliegende System erhebt sich pünktlich in den noch nächtlichen Himmel RichtungWesten. Manch einer nutzt die Dunkelheit um in der beengten Röhre ein wenig Schlafnachzuholen. Ich denke für einen kurzen Moment an die Geburtsstunde des Begriffs„Reisen“. Nicht von ungefähr, denn das germanische Wort „reisa“ bedeutet „sich erheben“.(He! Keine Belehrung hier). Gemach, gemach, es passt nur zu gut für das Abheben auf derRollbahn! Also, aus „reisa“ wurde schließlich altdeutsch „risen“, mit zwei scheinbarwidersprüchlichen Bedeutungen: steigen und fallen. Wie nett, denn schließlich sind wir inParis-CDG präzise und zuverlässig eingefallen.

CDG-Paris! Normalerweise der Horror. Doch hier existiert, zu meiner Überraschung,auch ein überschaubares, kleines Terminal. Alles geht zu Fuß. Die totale Ausnahme.Obendrein begrüßt uns ein stahlblauer Himmel, prickelnde Morgenluft, Sommerfeeling EndeSeptember. Petrus hat auf Befehl eines Herrn R. gehandelt. Ein Tag, prall mit Aktivitäten stehtbevor. Laut Programm sind auch ein paar aufopferungsvolle Bistro-/Brasseriebesuche geplant.Robert zeigt damit einen kulinarforschenden Ansatz, der seine Entschlossenheit verrät, aufunsere Hüften keine Rücksicht nehmen zu wollen. Zwei Shuttlebusse sind geordert.Aufteilung 5:5. Kochbruder Eckardt: Die Geschichte ist nicht schlicht – wer trägt hier allesRückennummern? Aber bitte – er hat das perfekt gemacht und nahtlos durchgestanden. Kaumzwei Kilometer gefahren fragt Robert die Besatzung: »Wer macht eigentlich den Bericht?«Udos, Stefans, Roberts und Norberts Blick fokussieren sich. Das habt ihr nun davon …

Die morgendliche Anfahrt zum Hotel La Perle, wurzelnd in der engen Rue desCanettes, wird auf dem Shuttlerücksitz zu einer Fahrt der laufenden Bilder imStummfilmverfahren. Déjà-vu-Phänome am laufenden Band. Man ist ja schließlich schonöfter hier gewesen. Alltagsimpressionen in Farbe implementieren sich entlang der AchseCDG-Autoroute du Nord - Le Bourget-Saint Denis - Stade de France, ins Kurzzeitgedächtnis.Wegschauen zwecklos. Banlieue wörtlich: „Bannmeile“, in der sowohl der Anteil derSozialwohnungen in Plattenbauweise als auch der Anteil der Immigranten vergleichsweisehoch ist. Gebiete sozialer Brennpunkte mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität undDrogenkonsum. Zwischen Kreuzungen, Brücken und Mauernischen sehen wirBretterverschläge, Plastikzelte, belebt von Menschen, die vielleicht nie eine echte Chancebekamen ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie persistieren wie selbstverständlichneben protzigen Glaspalästen global agierender Firmen. Hier wohnen Glanz und Elend Tür anTür.

Auf der Rue St. Denis fahren wir bis in das Herz von Paris. Der Verkehr stockt. EinWunder, dass wir überhaupt vorankommen. Nördlich der Ile de la Cité ist die Stadt fürmanche wieder eine bekannte Bühne, für andere wiederum eine unergründlicheGedächtnislandschaft. Durch die steinernen Adern der Metropole passieren wir Bauten,Namen und Plätze, deren Historie ganze Reiseführer füllen. Es gibt Städte, die erinnern anEros, Sex und Liebe, andere an Architektur, wieder andere an intellektuellen Kulturreichtumund es gibt auch Städte, die empfindet man einfach nur als sympathisch. Paris, so scheint es,besitzt all diese Gesichter. Endlich queren wir die Ile de la Cité und rollen hinein in dasgelobte VI. Arrondissement Luxembourg, Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Das 1. Ziel inParis ist erreicht: Unser Hotel „La Perle“.

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Paris ändere sich schneller als das Herz eines Sterblichen, schrieb einst CharlesBaudelaire. Um das nachzuvollziehen treten wir hinaus auf die Rue des Canettes und reihenuns ein in das Heer der Pflastertreter, um durch das bekannte Studentenviertel Saint-Germain-des-Près mit seinen berühmten Cafés zu streifen; allerdings mit einer klar angepeilten Kampagne:Frühstück im Les Deux Magots. Ein Mann reiferen Alters in unserer Truppe lässt einenverzückten Brunftschrei los: »Aaaaaaahhhh, Pa-riiiiiiiihhh!«

Übrigens: Alle an Bord…

Das Leben wird leichter, als wir endlich unsere Plätze im Les Deux Magots eroberthaben. Der verheißungsvolle Slogan: »Hier gibt’s die besten Croissants von Paris.« DieLocation bietet aber mehr als den Tiefgang eines frisch gebackenen Hörnchens. Damit wiruns dessen noch einmal bewusst werden, wo wir den wunderbaren sonnigen Vormittagverbracht haben, bemühe ich an dieser Stelle einmal die Historie: »Les Deux Magots,bekannte Literatencafé, in dem Dichter wie Verlaine, Hemingway, Sartre und de Beauvoirihre Werke zu Papier brachten. Das Les Deux Magots vergibt heute sogar seinen eigenenLiteraturpreis. Die gegenüberliegende Brasserie Lipp gehört auch zu einer Reihe hiersituierter Künstlercafés aus dem 19. Jahrhundert. Auch das Café Procop lohnt einen Besuch:Es gilt als das älteste Café Europas…« Das 5., 6. und 7. Arrondissement ist aber nicht mehrnur den Studenten und Literaten vorbehalten, sondern nunmehr auch den großen

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Markennamen, den Designern und Modeschöpfern. Trotzdem erwähnenswert – das Areal istdie Geburtsstätte des Existenzialismus (Das Sein und das Nichts.) Also ein poetischerBrennpunkt in dieser Weltstadt. Jedenfalls saßen am gleichen Eck einst Menschen, dieGeschichte von „unten“ machten. Uns kann es ja fast egal sein, wie es sich mit derExistenzphilosophie in Wahrheit verhält, denn wir sind allemal das Sein. Das muss an dieserStelle reichen!

Was wir nun besonders schätzen lernen, ist der ständig „wechselnde“ Kochbruder ander Seite. Ob beim Bummeln, im Bistro oder Brasserie. Nun, wir sind ja kommunikativeTypen, was man aber während des monatlichen Kochtreffens neben Gasherd, Topf, Pfanne,Glas, Besteck und Teller weniger ausleben kann. Dabei sind wir thematisch, wie jeder von unssicher registrieren konnte, keinesfalls eindimensional angelegt. Viel miteinander Reden –wozu sind die Tage da …

Frisch gestärkt sind wir nun in der Lage, uns rund 400 Meter weiter (über Google-Earth ausgemessen) zu bewegen, hin zur Rue de Buci. Dort befindet sich das Objekt L' Atlas.Ein Titan? Das Himmelsgewölbe? Gebirge? Nein! Es ist die Brasserie L‘ Atlas.Unverwechselbares Charakteristikum: Eine „Musterkollektion“ an Meeresfrüchten, mitUnmengen Bouteillen von Sancerre und Roberts wahre Heimat in Paris. Reserviert istreserviert. Man hat uns erwartet. Es ist gemütlich eng und voll typisch. Erster Eindruck: Hierwird man bedient und nicht abserviert. Die Arbeit beginnt. Das französische Wort „travail“(Arbeit) hat denselben Ursprung wie das englisch „travel“, Reise. Reisen soll also mitAnstrengung zu tun haben. Soll uns bewusst machen, dass wir Kraft investieren müssen, umden Genüssen in der Fremde nahezukommen. Wir tun es mit Vorsatz und ich hoffe, ich habehier nichts verwechselt.… Jedenfalls erfordern die Platten, bestückt mit Austern, Seeigel,Schnecken und Gambas, feinste Arbeit im kulinarischen Sinne.

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So nebenbei haben wir alles im Blick, was sich in der Rue de Buci so rauf und runterbewegt. Im Focus das Ballett der Passanten. Das soziale und emotionale Leben des riesigenStadtkörpers wogt in Miniformat an uns vorüber. Dort eine Frau mit einem Baguette, dort eineim aufreizenden Mini, Coffe to go, da ein Lachen, dort trägt einer tiefe Sorgenfalten imGesicht, eine Taube sucht ihren Anteil zwischen Tisch und Stuhl. Beobachtungen werden wieüblich je nach Gusto kommentiert. Alles bewegt sich, alles wiederholt sich. Und werinnehalten kann, wer entschleunigt wie der Kochclub in jenen Stunden, hat Grund zumLächeln.

Doch irgendwann ist Beschleunigung angesagt. Metro-Premiere. Ziel Basilika SacréCœur. Ein äußerst teures Pflaster, das wir betreten. Episode Immobilien-Schaufensterunterhalb des Montmartre. Angebot im Schaufenster gesichtet: 9 ½ qm Atelier für 69.000 €.Ein Schnäppchen offenbar! Mit Potential! Weiter bergauf geht’s per Standseilbahn, mit derberühmten Funiculaire de Montmartre, die uns vom Place de St-Pierre direkt auf den Hügelbefördert. Treppensteigen ist nicht mehr drin, nachdem wir uns aus der Metrostation nachoben gewühlt haben. Sancerre – wir lieben dich. Nach mechanischer Überwindung weiterer100 Höhenmeter blicken wir die lange Treppe abwärts. Wer mag hier schon alles vor uns den„Märtyrerberg“ hochgestiegen sein? (Nur so nebenbei: Der Schutzpatron von Frankreich, derBischof von Denis wurde dort 272 n. Chr. enthauptet. Der Legende nach, packte der Kopfloseseinen Schädel unter den Arm und marschierte so angeblich 6 Kilometer weit bis nach St.Denis. Montmartre wurde zu einem wichtigen Wallfahrtsort) Also, zu unserer Erbauung:Welche berühmte Künstler haben in der Vergangenheit am Montmartre in der unmittelbarenUmgebung gelebt und gewirkt? Brüder, die Liste ist schier endlos. Vier davon, die damalsallerdings noch weitgehend unbekannt waren als sie den Hügel erklommen, sollten an dieserStelle Erwähnung finden: Henri de Toulouse-Lautrec, Paul Gauguin, Henri Matisse, Pierre-Auguste Renoir. Montmartre hat daher seine Berühmtheit vor allem der Belle Époque zuverdanken. Das Areal wurde im 19. Jahrhundert zum Zentrum der Bohème. "Die Straßensingen, die Steine sprechen. Die Häuser triefen von Geschichte, Ruhm und Romantik."(HenryMiller).

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Paris ist wie jede echte Metropole in Bewegung, deren kulturelle und angesagte Orteständig wechseln. War Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch der Montmartre angesagt, soverließen die meisten Künstler am Ende des Ersten Weltkriegs das Viertel und zogen wiederin Richtung Montparnasse. So verhält es sich auch heute. Gestern waren die Pyramide desLouvre oder der Triumphbogen Orte kulturellen Austausches, heute ist es das Musée des ArtsPremiers. Gestern waren noch das Quartier Latin oder Saint-Germain angesagte Viertel, heutesind es die Viertel Bastille oder Marais. Egal wie es sich verhält, unterhalb der Treppe derBasilika, genießen wir den atemberaubenden Blick über Paris. Rasch sind wir uns einig, aufeigene Faust für eine Stunde auf Entdeckungstour zu gehen. Bei dem Gewusel um uns herumein weiser Entschluss.

Keine fünf Minuten später treffe ich Stefan bei der Fotodokumentation. Wirbeschließen in Richtung Place de Tertre zu wandern. Für mich ist der Platz neben Sacre Cœur,einer der Hauptattraktionen auf dem Hügel Montmartre. Auf dem kleinen Platz mitten imViertel tummeln sich, so meine Ansage an Stefan, hunderte Maler und Grafiker … Schock!Weit gefehlt. Der Platz ist komplett eingegrenzt, aufgeteilt und bestuhlt wie Boxen in einemOktoberfestbierzelt. Früher war der Platz natürlich auch ein Touristenspektakel und hatte miteiner echten Künstlerkolonie so viel zu tun wie eine Flughafen-Bockwurst mit der Haute-Cuisine, doch nun, so vermuten wir, müssen neuerdings Busse voller Menschen hierirgendwie ihren Platz finden. Wir bestellen einen Kir-Royal, um das Beste daraus zu machenund philosophieren über unser Glück, dies alles erleben zu dürfen. Nach einer Stunde geht‘swieder abwärts und via Metro zurück ins Hotel, um die Zimmer zu beziehen. Jeder hat aufseine Weise die Stunde genutzt. Ein Bruder erzählt, er habe auf einer Bank die Stille in derBasilika genossen. Ein sinnvoller Fluchtpunkt, geht es mir durch den Kopf, um den er imNachhinein vielleicht auch von anderen beneidet wird.

Das Finale des Tages naht. 19.00 Uhr, Treffen in der Hotelhalle zum „Apero“.Surprise, surprise, Bruder Wolfgang hat aus der Ferne eine Flasche Champagner zumJubiläum gestiftet. »Auf ein langes und gesundes Leben des edlen Spenders!«

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Ein kurzer Fußmarsch ist angesagt. Die GPS-Koordinaten stehen: 48051’11.60‘‘N und2020’27-42‘‘O. Im Schnittpunkt liegt das Restaurant Allard, 41 Rue Saint-André des Arts.Das „Allard“, einstige Lieblingskneipe von Alain Delon, bemüht sich schon seit über 70Jahren den nicht enden wollenden Strom an Gästen zufrieden zu stellen. Es ist gewiss nichtleicht, „in die Jahre“ zu kommen, doch das Allard hat sich offensichtlich erstaunlich gutgehalten für sein Alter. Beim Betreten kann man schon mal einen Blick in die offene Küchewerfen. Geflügel wird gerade tranchiert … Wir werden an unseren Tisch geleitet. Ich gewinneden Eindruck, Roberts Stammplatz befindet sich in dem kleinen Saal links mit dem kleinenTresen rechts an der Wand. Man fühlt sich wie zu Hause.

Herausfinden konnte ich, Google sei’s gedankt, dass sich das Allard viele Jahrerühmen konnte, als einziges Bistro von Paris zwei Michelin-Sterne zu besitzen. Auch wenndiese glorreichen Zeiten inzwischen Vergangenheit sind, genau wie die einstigen EigentümerFernande und André Allard, so zaubern die jetzigen Küchenchefs immer noch denfranzösische Klassiker: Coq au vin, „Huhn in Wein“, das klassische französischeNationalgericht, die wunderbar zarte Lammschulter, die herzhaft krosse Ente mit Oliven, oderBressehuhn aus der wahrlich nicht gerade großen Küche hervor.

Paarweise wählen sich die Kochbrüder ihre Leckerbissen. Nach den Bestellungen zuurteilen, sind durchgängig Highlights geordert. Robert, zwei weitere Brüder und ichentscheiden sich für das Bressehuhn. Das Schmankerl kommt aus der Region Bressenordöstlich von Lyon, zwischen Jura und Saône gelegen. Seit Jahrhunderten werden sie vonKochbuchautoren besungen. Auffällig sollen ja die blauen Beine des Tieres sein. Habe zwarselbst noch keines kennengelernt, aber zusammen mit dem weißen Gefieder und seinem rotenKamm, so sagt man, ergeben sich die Nationalfarben Frankreichs. Wir haben darauf keineRücksicht genommen und das fesche, noble Ding völlig abgeräumt. Der Rotwein fließt – eswird viel miteinander geredet. Das Leben kann so leicht sein. Zum Abschluss wird Apfeltartemit Sahne gereicht. Wir sind sehr zufrieden, schließen ab. Alle machen sich auf den Wegzurück ins Hotel. Verzeihung! Nicht alle, denn Robert macht den Vorschlag, ihn auf einenPastis ins Café de la Mairie am Place St. Sulpice, zu begleiten. Einige von uns haben auch dasnoch geschafft. Andere waren froh, endlich ins Bett zu kommen. Bilder, Episoden wollenverarbeitet werden, Psyche will entspannen. Ich gehöre zur letzten Fraktion.

Samstag, 29. September. »Liegt dir Gestern klar und offen, wirkst du heute kräftigfrei; kannst auch auf ein Morgen hoffen, das nicht minder glücklich sei.« (Goethe) DasGestern, meine Brüder, hätte nicht klarer und offen sein können, daher ran an des Lebenserquicklichste Quelle: Das Frühstücksbuffet. (Okay, eine der erquicklichsten davon…)Danach raus aus dem Hotel. O Morgenzeit, du frische Zeit! Es passt. Roberts Verbindung„nach oben“ steht. Himmel wolkenlos – die Sonne strahlt uns an, verwöhnt uns einenweiteren langen Tag. Dazu das Programm - absolut verheißungsvoll. Zunächst geht es perMetro ab in den Norden von Paris, hin zum Marché aux Puces de St-Quen. Dahinter verbirgtsich der größte, älteste und berühmteste aller Pariser Flohmärkte. »Taschen dicht! Geld engam Mann!«, lautet der Rat, denn um an die Geschäfte der wahren Schnäppchen zu kommenmüssen wir erst den etwas schäbigen Marché Malik (Taschendiebe inklusive) passieren. Dersechs Hektar (!) große Markt, nahe der Porte de Clignancourt, ist ein Zusammenschluss vonmehr als einem Dutzend Flohmärkte - ein Komplex von 2.500 bis 3.000 offenen Ständen undGeschäften. Der Markt beginnt tatsächlich mit Ständen billiger Kleidung entlang der Avenuede la Porte de Clignancourt. Dahinter wird es allerdings interessant. Das bestätigen rund 11Millionen Besucher pro Jahr. Auf der riesigen Fläche wird offensichtlich alles verkauft, von

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Antiquitäten bis Trödel, von neu bis uralt. Neben Einheimischen, die von ihrem Kofferraumaus handeln, gibt es auch einige gigantische Hallen voller Verkaufsstände unterschiedlicherQualitäten. Dort hinein setzen wir zuerst unsere Füße. Auf geht’s: Eine Stunde aufEntdeckungstour. Kleingruppen bilden sich, manch einer von uns streift auch allein durch dieeinstöckigen Hallen. Mich faszinieren alte Filmplakate, Drucke, Fotos, Bücher,Spiegelrahmen, Möbel aller Stilrichtungen und alte maritime, nautische Geräte. Das Angebotist schier erdrückend. Unerschöpfliche Motive für die Speicherkarten der Kameras. Aus allenPerspektiven wird „geschossen“. Die größte Ausbeute davon dürfte bei Stefan und Christianlagern. Nach dem Rundgang durch jene Hallen fällt man am Ausgang direkt ins „LeVoltaire“. Dort haben Udo, Niklas, Christian, Norbert und Robert schon ausreichend Stühleokkupiert. Zeit für mehrere Pastis. Der Rest der „coolen Gang“ stößt in kurzen Abständenhinzu. Noch mehr Pastis… Den edlen Spendern gebührt ein herzlicher Dank!

Die Pause tat gut. Bewaffnet mit dem Guide des Puces wollen wir nun zusammen denMarché Biron durchstreifen. Sind die Hallen schon beeindruckend, dann sind die engenGassen und Winkel des Marché Biron überwältigend. Hier erleben wir hautnah die größteKonzentration von rund 220 Antiken-, Kunst-, und Second-Hand-Händlern der Welt. Werseiner Leidenschaft für Möbel, Schmuck, Grafik im X-Jhd.-Design frönt, liegt hier völligrichtig. Eine Route durch das Zeitalter in der Geschichte, Variationen und Perioden der Kunst,möchte man meinen. Hier kuscheln provinzielle Prachtmöbel mit Keramiken, fernöstlicheKunst mit Jugendstil und Art Deco. Die Kunst-Palette zwischen „Traum und Wirklichkeit“könnte nicht breiter sein. Wie mag es hier während der Hauptreisezeiten zugehen? Wir habenschieres Glück, denn bei diesem Kaiserwetter haben wir eher mit einen Ansturm vonTouristen gerechnet. Doch offenbar sind diesmal nur „Reisende“ unterwegs.

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Der Markt hat Tradition, denn an diesem illustren Ort konnte noch im 19. Jhd. einversierter Kunde dem nichtsahnenden Verkäufer mitunter billig ein Meisterwerk abhandeln.Diese Zeiten sind zwar längst vorbei, doch die neuen Warenlieferungen (immer freitags)werden nach wie vor von professionellen Einkäufern aus aller Welt abgeklappert. Wieangewurzelt bleibe ich an einem üppigen „Silber-Stand“ kleben. Was da so alles versilbertwird? Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Ebenso schlage ich Wurzeln an einem Geschäft miteiner verlockenden Kollektion vergoldeter Rahmen für alle möglichen Gestaltungszwecke.Schon sieht mein inneres Auge einen Kaminspiegel und dazu den passenden Rahmen. MeinEntschluss: Ich komme wieder! Mit Frau und Lieferwagen. Versprochen.

Das Auge ist satt, der Magen etwas geleert. Mitten im Labyrinth der Gassen desMarktes betreten wir ein Refugium, das funky, informell und freundlich wirkt. Wir kehrenein. Nicht irgendwo, nein! Wir erscheinen, mithin zur rechten Zeit, im Chez Louisette. EineKombination aus Musiksaal, Brasserie und Tanzbühne. An den Wänden Plakate,Künstlerportraits und Fotos aus dem letzten Jahrhundert. Das Ganze hat Charme, obwohl sichin heutigen Zeiten, wie überall in Großstädten mit einschlägigen Vierteln dieser Art, meist nurnoch Touris verirren. Das wäre aber bei Chez Louisette zu kurz gesprungen. DiesesTanzlokal, so ist zu lesen, wurde in den Dreißiger Jahren von Madame Louisette eröffnet undgleicht daher einer Zeitreise zurück in die Vergangenheit.

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Das Frankreich vergangener Zeiten lebt hier auf. Beim Klang der Lieder von EdithPiaf und anderen 'Hits' aus alten Zeiten, kostet man traditionelle Küche Hähnchen mitPommes Frites, Muscheln, Schalengetier, Kalbsragout, und Boeuf bourguignon. Umgebenvon einem völlig veralteten Dekor, der Deckenschmuck erinnert an die Adventszeit, regt sichguter Appetit. Wir setzen die Kette der Traditionen fort, denn schließlich haben hiernachweislich Serge Gainsbourg & Jane Birkin und viele andere Prominente (MarleneDietrich, Romy Schneider, Yves Montand) vor Zeiten gerne getafelt, gesungen und getanzt...

Plötzlich steigt die Stimmung unwiderstehlich, befeuert durch Wein, Manuela (Weib)und Gesang. Der Mittagstisch wird unerwartet zu einem unvergesslichen Erlebnis DieAtmosphäre wird jetzt nachhaltig geprägt durch die vorzügliche Stimme der ChanteuseManuela, die a la Edith Piaf singt. Und wie. Wenn man die Augen schließt und nur seinenOhren traut, steht „die Piaf“ gleich neben einem.

Non! Rien de rien ...Non! Je ne regrette rien ...C'est payé, balayé, oublié

Je me fous du passé!No, je ne regrette rien …

Nein, nichts von nichts,Nein, ich bereue nichts.

Das ist bezahlt, weggekehrt, vergessenDie Vergangenheit ist mir total egal!

Nein, ich bereue nichts …

Peter und Norbert wiegen sich rhythmisch im Arm von Manuela, während sie weitersingt. Der Wein, gestiftet wiederum von Robert, rundet das Mittags-Event mehr als ab.Herzlichen Dank für Deine Großzügigkeit! Als wir das Chez Louisette verlassen, schwingendie schönen Momente nach: »Non! Je ne regrette rien ... «

Auf der Rückfahrt in den Stadtteil St-Germain-des-Prés, entscheiden sich Niklas,Norbert, Rolf und Stefan für eine private Tour auf der Avenue des Champs-Elysées, derbreitesten, berühmtesten Verkehrsader und touristischen Schaufenster der Hauptstadt. Auf ihrwollen sich die Koch-Brüder hin zum Place de Charles de Gaule bewegen, auf demunübersehbar der Arc de Triomphe die Szene beherrscht. Die angepeilten Sehenswürdigkeitensind für manch einen Bruder reine Premiere, doch wir vermuten, die Gruppe wollte sich auchdurch Luxus und Macht (5-Sterne Hotels, Luxusgeschäfte, Botschaften), die hier zu Hausesind, bestäuben, bzw. befruchten lassen. Wann sind die Früchte reif? Wie später auszuverlässiger Quelle berichtet wurde, musste Niklas danach dringend zum Tour Eiffel, um aufdem Trocadéro einen per Foto dokumentierten Handstand zu absolvieren. Das Dokumentbeweist das Gelingen dieser einzigartigen Darbietung …

Am Ende hat die Gruppe noch einen Besuch des Ehrenhofes, dem Cour d’Honneur,des Hôtel des Invalides geplant, doch offenbar gilt der Schauplatz von Militärparaden undVerleihungen von Verdienstmedaillen an diesem Tag als „no go area“. Macht nichts – siewerden wieder kommen.

Der andere Teil bewegt sich – na wohin? Richtig! In die Rue de Buci. Dort existiert einMagnet. Man kann sich gegen diese Anziehung auch an diesem Nachmittag einfach nichtsträuben. „L’Atlas“ saugt uns an, empfängt uns, lässt uns wurzeln. Gedüngt wird mit Sancerreund dem üblichen Meeresgetier. Wir frönen wie auch immer der Leichtigkeit des Seins bis derRest der Truppe, der auf der Achse „Champs-Arc-Eiffel-Invalides“ wandelte, sichdazugesellt. Eckardt kann nun wieder die Vollzähligkeit überprüfen.

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Der Abend naht und wir bereiten uns im Hotel mit einem „Apero“ – der hatinzwischen schon etwas Sakrales - auf den Besuch der Brasserie Julien vor. Cavé: RobertsHemd ist ein kulinarischer Tarnanzug.

Nach einer kurzen Fahrt mit der Metro, machen wir einen kleinen Spaziergang bis zurBrasserie. Das ist eine alte Tradition, ja eine Kunst für sich. Wichtig ist nur, man findet amEnde das Julien. Im Ernst: Man spricht von "flâner", gemeint ist das ziellose Bummeln, undder ausübende Koch-Bruder ist der "flâneur", der Mann (Frauen sind zu umtriebig für dieseBetätigung), der die Straßen der Stadt durchstreift, auf der Suche nach Inspiration für dasleibliche Wohlergehen.

Eine kleine Beobachtung will ich an dieser Stelle noch festhalten: An Straßenlaternenhängen Skelette! Weniger gefährlich, dafür sind die vielen Skelette dekorativer. Dabei handeltes sich nicht um die Überreste von Touristen, die sich verlaufen haben und von Parisernignoriert wurden, weil sie sich, ohne "bonjour" zu sagen, nach dem Weg erkundigten, sondernum Fahrräder, die, an Geländer, Straßenlampen oder Verkehrspfosten angeschlossen, soschlimm ausgeschlachtet wurden, dass ihren Besitzern nicht zuzumuten ist, sie wiederabzuholen. Diese Metallkadaver sind eine traurige Folge des Pariser Lebensstils – in dengeräumigen Eingangshallen oder Innenhöfen der Wohnblocks darf man meist wederZweiräder noch Kinderwagen parken. Folglich wird das Straßenbild durch jeneFahrradgerippe aufgelockert, die an den Geländern der Metrostationen oder auch an denoffiziellen Fahrradständern zurückgeblieben sind. Bei manchen fehlt nur ein Rad oder derSattel, andere gleichen – verrostet, kopfüber baumelnd, ein Rahmen ohne Räder, Kette undLenker – einem wie im Mittelalter aufgeknüpften Übeltäter, über den bereits die Krähenhergefallen sind.

Zurück zur Brasserie Julien. Das erste, das einem beim Betreten ins Auge sticht, ist derüberbordende Stuck zwischen blumenumkränzten Damen im Jugendstil und immens großenSpiegeln. Dieses Mobiliar, in all seiner Pracht, bringt jeden Besucher dieser traditionsreichenGaststätte zum Staunen. Eine Palette von goldenen Farben, Putten, Pfauen und Weintraubenwetteifern miteinander an den Leisten. Das Dekor stammt teilweise noch aus der Zeit um

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1903, dem Jahr der Eröffnung. Es ist die Zeit, als die Gastwirte auch Förderer der Künstewaren. Die Bar, so ist zu lesen, wurde von Louis Majorelle aus kubanischem Mahagoni imreinstem Jugendstil gestaltet.

Die Tische werden uns zugewiesen. Der Platz ist ausreichend, aber die Tische steheninsgesamt unheimlich nahe nebeneinander. Da haben wir mit unserem Eck noch Glück. Wirwählen alle aus der Menükarte. Das Menü selber kostete pro Person 39 € und scheint nichteinfach so ein Alibi-Menu zu sein, sondern ein vollständiges Menü mit Aperitif. Im Preis desMenüs ist auch eine Flasche Wein für zwei Personen inbegriffen. Vorspeise, Hauptgang undNachspeise. Ambitionierte Kochkunst würde ich sagen. Das Ambiente ist Klasse. Man achtetdaher vielleicht etwas weniger auf das kulinarische Angebot, das sich, meine subjektiveMeinung, im Durchschnitt hält. Ein Essen zu beschreiben - wohlgemerkt ein anspruchsvollesEssen in einem renommierten Restaurant - ist eng verwandt mit der Beschreibung einesFußballspiels. Zehn Spieler auf dem Spielfeld entsprechen maximal zehn unterschiedlichenGängen. Da kann man den Überblick schon mal verlieren. Also verzichten wir heute generösauf eine Analyse. Nur so viel: Der Service ist bemüht, doch es herrscht mitunter das totaleChaos. Die Brasserie Julien ist zwar voll besetzt, was vielleicht auch daran liegt, dass es inunmittelbarer Nähe - so unsere Kenntnis - keine wirkliche Alternative gibt. Wirklichbeeindruckend ist am Ende die „Flambier-Show" inklusive Hitze-Welle für die traditionellenCrepes-Suzettes.

Wir verlassen die Brasserie im „historischer Rahmen“ und wandern zur Brasserie„Flo“, das versteckt in der kleinen Rue des Petites Ecuries liegt, um einen Blick hinein undauf die Karte zu werfen. Kabeljausteak mit Basilikumkruste, Rotes Thunfischsteak mitSichuan-Pfeffer … Leute, wir waren da! Danach geht es zurück ins traute Heim. Der Tag warprall, Motive gab es satt, das Kulinarische kam nicht zu kurz. Wir gehen auf der Sonnenseite(es ist zwar schon Nacht), bis wir selbst erstrahlen. Wer geht noch mit auf einen Pastis? Ichhabe nicht mitgezählt.

Sonntag, 30. September. Wir sind unterwegs zum Marché Biologique Raspail. ÜberParis geht die Sonne auf, die Häuser blinzeln mit ihren vielen Augen und auf dem BoulevardSaint-Germain erwacht am Sonntag auch nur langsam das Leben. Der Marché Biologiquefindet jeden Sonntagvormittag statt und ist an diesen kühlen Morgenstunden schon sehr gutfrequentiert. Das Auge wird gewaltsam geweitet. Hier gibt es alles direkt vom Biobauern ausFrankreich, angefangen von Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch, vorzüglichen Käse aus den

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verschiedensten Regionen in Frankreich, bis hin zu handgestreichelten Salaten. Sicherwertvolle Bio-Zutaten und Produkte – allerdings, die Idylle der Bio-Landliebe ist im Preisinbegriffen. Der Megatrend wuchert, was die vielen „Feel-good-Konsumenten“ vor Ortbeweisen. Ich muss an eine Studie denken, die erst vor ein paar Wochen bescheinigt, dassBio-Kost nicht gesünder sein soll als konventionelle Nahrung. Was soll’s, wie überall geht esum das schnelle Naturglück …

Wir wandern vorbei an Flößen aus Lachsröllchen, Gipfel aus Schalentieren,Steaklandschaften und Käsehügeln. Dazu gesellen sich verschiedene selbst gemachte Brote,Brötchen, Kuchen und was sonst noch so aus dem Backofen kommt. Auf der einen Seiteduftet es nach Grillhühnern, auf der anderen nach Pasteten und sonstigem schon fertigzubereitetem Essen, das nur darauf wartet mitgenommen zu werden um in einem der Parksoder Wohnungen verspeist zu werden. Natürlich gibt es auch Oliven, Weine und Säfte,ebenfalls aus biologischer Landwirtschaft, sowie Gewürze, Kakao, Schokoladen, Tee, Kaffeeund vieles mehr. Ganz am Ende, oder Anfang, je nachdem von welcher Seite man kommt,gibt es wohl die besten Crêpes in ganz Paris. Das Frühstück ist erst kurz vorüber, sonst hätteich mir eine mit braunem Zucker gegönnt. Wer hier nicht widerstehen kann, dem droht nochvor Ende des Tagesprogramms eine rekordverdächtige Gewichtszunahme.

Der Tag nimmt Fahrt auf – wir besteigen die Metro um die Catacombes de Paris, inder Avenue du Colonel Henri Rol-Tanguy, zu besichtigen. Wäre sicher hochinteressantgewesen, denn an jenem Ort wurden vom 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhundert diesterblichen Überreste von ungefähr sechs Million Parisern gesammelt und in diesemLabyrinth eingelagert. Entlang der Gänge, Galerien und Säle ergibt das eine „romantisch-makabere“ Dekoration. Der Anblick blieb uns verwehrt, da die Lüftungstechnik streikte …

Wir entschließen uns gemeinsam, den Pariser Herbst-Sonntag so zu genießen, wie wirwollen. Die einen entschwinden daher Richtung Montparnasse, die anderen in Richtung Ile dela Cité und Ile St-Louis. Die „Zentralisten“ sind Stefan, Niklas, Rolf und Hannes. Als wir unstrennen ist jedem klar: Das L’Atlas wird uns am frühen Nachmittag alle wieder vereinigtsehen. Wir sind ja doch Gewohnheitstiere! Also, Kochbrüder on Tour. Wir nehmen die Metrobis zur Ile de la Cité. Als wir wieder aus dem Untergrund auftauchen, erleben wir gleich einStück des diskreten, idyllischen Charmes der Ile de la Cité. In der Nähe hören wir lautes

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Gezwitscher. Auf dem Place Louis Lépine findet nicht nur der Blumen-, sondern sonntagsauch der Vorgelmarkt statt. Erst mal finde ich es richtig interessant, wie die Händler dort ihreVögel verkaufen. Aber dann, beim näheren hinsehen … Ich sage euch! 20 Kanaries in einemso kleinen Käfig, dass sich kaum einer darin bewegen kann. In der gleichen Käfiggröße 30Bandfinken! Die anderen Vogelarten werden ebenso eng gefangen gehalten. Am liebstenmöchte ich allen Piepmatzen einen Freiflug spendieren. Frage ist nur, ob sie die gewonneneBefreiung in Paris auch überleben …

Ein Spaziergang entlang der Seine ist der schnellste und einfachste Weg, um Paris zuentdecken, sagt man. Wir können das nur bestätigen. Paris ist die Stadt der Flaneure undMüßiggänger. Nirgendwo sonst kann es netter sein, als sich ziellos entlang am Ufer der Seine,über Brücken, Plätze und Gassen der Ile de la Cité und der Ile St-Louis treiben zu lassen, bisman völlig entschleunigt ist. Gedacht und getan schlendern wir die Rue du Cloitre NotreDame entlang, bis dorthin, wo wir die Brasserie Esméralda entdecken. Strategisch günstiggelegen, direkt an der Ecke gegenüber der Pont Saint-Louis, die beide Inseln miteinanderverbindet. Schlemmen, genießen, schauen ist angesagt - einfach gewonnene Zeit jenseits dergroßen Boulevards auskosten mit dem gnadenlosen Fokus auf den Augenblick. Die zweiInseln im Herzen von Paris haben es uns angetan. Wir haben einen grandiosen Blick hinüberzu Ile Saint-Louis, die der Dichter Louis Aragon wegen ihrer dichten Bebauung einst treffendals „Steinschiff“ bezeichnete. Irgendwann machen Rolf und Stefan den Vorschlag, durch dieRue Saint-Louis en I’lle zu bummeln. Dazu überqueren wir die Pont Saint-Louis, auf derAkrobaten und Jazz-Musiker für Kurzweil sorgen. Was wäre Paris ohne seine 37Seinebrücken?

Die Rue Saint-Louis en I’lle, mit ihren stillen Gassen, vielen Cafés und Bistros strahltein fast dörfliches Flair aus; die steinerne Ader ist eine Oase inmitten der Millionenstadt,zentral und doch zugleich isoliert. Diese architektonische Geschlossenheit spiegelt sich auch inden Fassaden wieder. Ein feiner Ort der Sinnlichkeit, aus den Bäckereien duftet es nach

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warmem Brot, in den Cafés röcheln die Espressomaschinen, wenn sie die Milch für den caféau lait erhitzen, in den Schaufenstern locken hübsche Dinge, die niemand wirklich braucht.Boutiquen und Confiserien wechseln sich ab, zahlreiche Brasserien warten auf Gäste.Nachdem wir einmal auf und ab gewandert sind, entschließen sich Stefan und Niklas für einenRundgang durch das Louvre-Areal, Rolf und ich für die Gemütlichkeit. Das Restaurant LeFlore en I’le bietet uns das was wir suchen. Tolle Atmosphäre, Salat und Lachs, schöpferisch-geistigen Austausch mit Rolf, Wein mit Blick auf die Notre Dame und für das OhrAkkordeonklänge die ein Könner am Ende der Brücke seinem Instrument entlockt.

Zeit für den Aufbruch. Um 17.00 Uhr holt uns der Shuttelbus am Hotel ab. Ein Blickauf die Uhr. Es reicht noch für L’Atlas. Wir stoßen auf einige Brüder, die beim Meeresfrüchteplündern sind. Der Sancerre fließt. Als hätten wir uns alle abgestimmt, treffen nach und nachdie noch fehlenden Brüder ein. Es wird noch einmal geordert. Dann heißt es Abschiednehmen von der Rue de Buci und seiner saustarken Gastlichkeit. Die Adresse hat sich beiallen tief ins Gedächtnis eingegraben. Klischee? Das Gemeine an Klischees ist die Tatsache,dass sie oft unverschämt wahr sind.

Abschied von Robert. Er muss sich von uns noch einige Tage in Paris erholen. DieAnerkennung lastet schwer auf seinem Rücken. Wir haben Verständnis dafür. Die Rückreisebeginnt. Sie lässt sich nicht stoppen. Der Shuttle – die steinernen Adern von Paris werdenzügig passiert – CDG – Check-In.

Paris verändert sich! Mir bleibt Melancholie!In alter Vorstadt Blöcke und Gerüste ragenUnd neue Häuser – alles wird Allegorie,Und schwer wie Fels muss ich Erinnerung tragen.

Charles Baudelaire, Pariser Bilder 1861

…. Euer Kochbruder Hannes