Bürgerliches Recht I Allgemeiner Teil · Bürgerliches Recht I – Allgemeiner Teil § 17 Das...

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Bürgerliches Recht I – Allgemeiner Teil § 17 Das fehlerhafte Rechtsgeschäft Wintersemester 2019/20 Prof. Dr. Burkhard Boemke Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht

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  • Bürgerliches Recht I –Allgemeiner Teil§ 17 Das fehlerhafte Rechtsgeschäft

    Wintersemester 2019/20

    Prof. Dr. Burkhard Boemke

    Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht

  • I. Arten der Unwirksamkeit

    Arten der Unwirksamkeit

    Nichtigkeit AnfechtbarkeitSchwebende

    UnwirksamkeitRelative

    Unwirksamkeit

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  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    1. Nichtigkeit

    • Stärkster Grad der Unwirksamkeit

    • Hindert bereits wirksames Zustandekommen

    • Von Anfang an und regelmäßig gegenüber jedermann unwirksam

    • Vom Parteiwillen unabhängig

    • Im Prozess von Amts wegen zu beachten

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    1. Nichtigkeit

    • Gründe für die Nichtigkeit:• Gesetzes- oder Sittenverstoß (§§ 134, 138 BGB)• Mentalvorbehalt sowie Schein- und Scherzgeschäft (§§ 116 S. 2-

    118 BGB)• Geschäftsunfähigkeit (§ 105 BGB)• Formmangel (§ 125 BGB)

    • Wenn aufgrund des nichtigen Rechtsgeschäfts Leistungen ausgetauscht wurden, entsteht zwischen den Beteiligten ein gesetzliches Schuldverhältnis auf Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung

    • Ausn.: aus Gesellschaft wird ‚fehlerhafte Gesellschaft‘, aus Arbeitsverhältnis wird ‚fehlerhaftes Arbeitsverhältnis‘ gültiges Rechtsgeschäft, soweit nicht der Zweck der Norm, auf der die Nichtigkeit beruht anderes verlangt (z. B. Schwarzarbeit, Geschäftsunfähigkeit)

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    2. Anfechtbarkeit

    • §§ 119, 120, 123; §§ 2078, 2079, 2281 BGB

    • Rechtsgeschäft ist wirksam zustande gekommen

    • Anfechtbarkeit erlaubt lediglich, das Rechtsgeschäft nachträglich mit Rückwirkung zu beseitigen (§ 142 Abs. 1 BGB)

    • Vorläufig gültig

    • Auch nichtiges Rechtsgeschäft kann angefochten werden Voraus. Anfechtung: Willenserklärung, nicht: wirksame

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    3. Schwebend unwirksame Geschäfte

    • In manchen Fällen lässt BGB eine Dritte über Wirksamkeit eines zwischen zwei Personen abgeschlossenen Geschäfts entscheiden

    Bsp.:

    • Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin bei Geschäften beschränkt Geschäftsfähiger (§§ 107 ff. BGB)

    • Zustimmung der Vertretenen bei der Vertretung ohne Vertretungsmacht (§§ 177 ff. BGB)

    • Zustimmung der Berechtigten zur Verfügung einer Nichtberechtigten (§ 185 BGB)

    • Zustimmung des Vormundschaftsgerichts zu bestimmten Geschäften der Eltern (§§ 1643 BGB) und der Vormündin (§§1819 ff. BGB) oder der Betreuerin (§§ 1908i Abs. 1 BGB)

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    3. Schwebend unwirksame Geschäfte

    • Zweck der Zustimmungserfordernisse:• Das Geschäft trifft die Entscheidungsbefugte selbst (§§ 177 ff., 185

    BGB) oder• Kontrollfunktion

    • Mittelweg zwischen:• Wirksamkeit ohne Zustimmung und • endgültiger Unwirksamkeit

    • Das ohne vorherige Einwilligung (§ 183 BGB) geschlossene Geschäft ist zunächst unwirksam, kann aber durch nachträgliche Genehmigung (§ 184 BGB) noch wirksam gemacht werden

    • Schwebezustand kann auch durch Verweigerung der Genehmigung mit dem entgegengesetzten Ergebnis beendet werden (endgültige Unwirksamkeit)

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    3. Schwebend unwirksame Geschäfte

    • Bei der Anfechtung kommt Entscheidung über Wirksamkeit von der Urheberin der WE, bei schwebender Unwirksamkeit von außen

  • I. Arten der Unwirksamkeit

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    4. Relative Unwirksamkeit

    • Rechtsgeschäft ist bloß ggü. einer Person unwirksam, während es ggü. allen anderen Personen wirksam ist

  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    „Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es

    auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.“

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    1. Problemaufriss:

    • Unwirksamkeitsgrund betrifft bloß einen Teil eines Rechtsgeschäfts

    Bsp.:

    • Ein im Übrigen unbedenklicher Kreditsicherungsvertrag enthält ein nach § 138 Abs. 1 BGB nichtige Klausel, weil sie den Schuldner knebelt

    • Ein privatschriftlicher Kiesausbeutungsvertrag endet mit einer unter § 311b Abs. 1 BGB fallenden Verpflichtung zur Grundstücksübereignung

    • Eine Bestimmung eines seitenlangen Gesellschaftsvertrags ist wegen Irrtums anfechtbar

    • In einem Vertrag wird entgegen § 276 Abs. 3 BGB auch die Haftung für Vorsatz ausgeschlossen

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    1. Problemaufriss:

    • Denkbare Lösungsmöglichkeiten:• Die Unwirksamkeit des Vertragsteils zieht die Unwirksamkeit

    des ganzen Geschäfts nach sich (nach § 139 BGB gilt dies „im Zweifel“)

    • Der Vertragsrest soll ohne den unwirksamen Teil gelten (so im Erbrecht in §§ 2085, 2195, 2279 Abs. 1 BGB aus dem Gedanken der Begünstigung von Testamenten – „favor testamenti“)

    • Aufrechterhaltung des Geschäfts, nämlich auch hinsichtlich des betroffenen Teils: anstelle der unwirksamen Bestimmung wird eine abweichende wirksame gesetzt, also der Geschäftsinhalt geändert (§ 306 Abs. 2 BGB, statt unwirksamer AGB soll das dispositive Gesetzesrecht gelten)inhaltlich schon ein Fall der Konversion (§ 140 BGB)

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    2. Voraussetzungen der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB:

    a) Einheitliches Rechtsgeschäft

    b) Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts

    c) Nichtigkeit eines Teils des einheitlichen Rechtsgeschäfts

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    2. Voraussetzungen der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB:

    a) Einheitliches Rechtsgeschäft

    • Äußere Indizien: • Einheit des Zustandekommens

    • einheitliche mündliche Absprache oder Unterzeichnung einer einheitlichen Urkunde

    • enge wirtschaftliche Verflechtung

    • Verschiedenheit der Vertragstypen steht Geschäftseinheit nicht entgegen (z. B. Grundstückskauf- und Baubetreuungsvertrag)

    • Entscheidend ist Parteiwille

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    2. Voraussetzungen der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB:

    a) Einheitliches Rechtsgeschäft

    • Auch zeitlich getrennt abgeschlossene Geschäfte können zu einer Einheit zusammengefasst werden, wenn die mehreren Vereinbarungen nach dem Parteiwillen „miteinander stehen und fallen sollen“

    • Achtung: Das Abstraktionsprinzip schließt die Annahme einer Geschäftseinheit zwischen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft aus

    • Zulässig: Vertragliche Verknüpfung, z. B. EV

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    2. Voraussetzungen der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB:

    b) Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts

    • Abtrennung des unwirksamen Teils muss noch ein als wirksam denkbares Geschäft übrig lassen, das auch nicht von dem abweichen darf, was die Parteien gewollt haben

    • Teilbarkeit insb. dann, wenn die Teile des Geschäfts auch allein hätten abgeschlossen werden können

    • Quantitative Teilbarkeit: bei vertretbaren Sachen kann man regelmäßig auch die halbe Menge zum halben Preis kaufen (Ausn.: Mengenrabatt u. ä.)

    • Zeitliche Teilbarkeit: Bsp.: Ein Pachtvertrag, der wegen seiner langen Laufzeit der vormundschaftlichen Genehmigung bedarf (§§ 1822 Nr. 5, 1643 Abs. 1 BGB), kann bei Ausbleiben der Genehmigung für die höchstzulässige genehmigungsfreie Laufzeit aufrechterhalten werden

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    2. Voraussetzungen der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB:

    c) Nichtigkeit eines Teils

    • Ein Teil des einheitlichen Geschäfts muss nichtig sein (egal aus welchem Grund)

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    a) Gesetzliche Regelung:

    Verstößt die Regelung gegen gesetzliches Verbot, entscheiden dieses darüber, ob Gesamt- oder Teilnichtigkeit eintritt

    • Bsp.: Unwirksame Bestimmung in Arbeitsvertrag, z. B. Wucherlohn: bloße Teilnichtigkeit, weil andernfalls Schutz nicht realisierbar wäre

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    b) Parteiwille

    • Gibt es keine gesetzliche Regelung, entscheidet der Parteiwille

    aa) Ausdrücklicher Parteiwille

    • Nach dem Wortlaut des § 139 BGB ist Gesamtnichtigkeit die Regel und Teilnichtigkeit die Ausnahme

    • Parteiwille, ob Rest des Geschäfts gültig oder nichtig sein soll

    • Durch Auslegung ermitteln

    • Manchmal haben Beteiligte auch mit der Möglichkeit der Teilnichtigkeit gerechnet und für diesen Fall eine Regelung getroffen (sog. salvatorische Klausel)

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    b) Parteiwille

    bb) Hypothetischer Parteiwille

    • Methode: ergänzende Auslegung

    • Maßgebend ist, welche Entscheidung die Beteiligten vernünftiger Weise nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten. Alle Umstände sind zu berücksichtigen

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    b) Parteiwille

    bb) Hypothetischer Parteiwille

    • Bsp.: A, B und C schließen einen Gesellschaftsvertrag. Die WE des C ist, wie sich später herausstellt, wegen unerkannter Geisteskrankheit nichtig. A und B haben aber nur in Hinblick auf die hohen Kapitaleinlagen des C den Vertrag geschlossen: GesamtnichtigkeitHat man C hingegen nur symbolisch (1 €) beteiligt, um dem Vater des C einen Gefallen zu tun: Teilnichtigkeit

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    b) Parteiwille

    bb) Hypothetischer Parteiwille

    • Indizien für Teilnichtigkeit:• Nur ein geringfügiger Teil eines Geschäfts in nichtig

    • Wenn der nichtige Teil des Rechtsgeschäfts allein oder vorwiegend den Interessen einer Beteiligten dienen soll und sich die Gesamtnichtigkeit zugunsten einer anderen Beteiligten auswirken würde

    • Wenn das Geschäfts abgewickelt wurde, ohne dass es auf die nichtige Bestimmung angekommen wäre

    • Auslegungsregel des § 139 BGB: Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts, solange nicht die Auslegung etwas anderes ergibt oder einem Gesetzeszweck zuwiderlaufen würde

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  • II. Teilnichtigkeit (§ 139 BGB)

    3. Rechtsfolge: Gesamt- oder Teilnichtigkeit

    b) Parteiwille

    bb) Hypothetischer Parteiwille

    • Bsp.: Für die Kündigung einer Vermieterin schreibt § 573c Abs. 4 BGB bei der Wohnraummiete zum Schutz der Mieterin zwingende Mindestfrist vor; die Vereinbarung einer kürzeren Frist ist nichtig. Hätte das die Nichtigkeit des ganzen Mietvertrags zur Folge, wäre die Mieterin ganz schutzlos, weil sie ohne Kündigung sofort räumen müsste. Damit würde der Sinne der Bestimmung ins Gegenteil verkehrt.

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    Zur Vertiefung: Petersen, Die Teilnichtigkeit, JuS 2010, 419-421

  • III. Umdeutung (§ 140 BGB)

    „Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn

    anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.“

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  • III. Umdeutung (§ 140 BGB)

    • Beteiligte sind i. d. R. am wirtschaftlichen Erfolg ihres Handelns interessiert und allenfalls in zweiter Linie an der Art des dazu geeigneten Mittels

    • Das von den Parteien gewählt untaugliche Mittel kann gem. § 140 BGB durch ein anderes, taugliches ersetzt werden

    • Voraussetzungen:

    • a) Nichtiges Rechtsgeschäft

    • b) Vorliegen der Erfordernisse des Ersatzgeschäfts

    • c) „Gewolltsein“ des Ersatzgeschäfts

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  • III. Umdeutung (§ 140 BGB)

    a) Nichtiges Rechtsgeschäft

    Fehlt, wenn Unwirksamkeit noch behoben werden kann, etwa durch Vollzug oder Genehmigung

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  • III. Umdeutung (§ 140 BGB)

    b) Vorliegen der Erfordernisse des Ersatzgeschäfts

    • Ersatzgeschäft muss im nichtigen ‚enthalten‘ sein

    • darf in seiner Wirkung also nicht weiter gehen

    • Das Ersatzgeschäft muss ein Weniger ggü. dem Mehr des nichtigen Geschäfts darstellen. Minus nicht aliud.

    • Bsp.: • Die nichtige außerordentliche Kündigung eines Mietvertrags enthält

    als ein Minus eine wirksame ordentliche Kündigung zum nächstzulässigen Termin.

    • Die Übertragung eines Nießbrauchs ist nach § 1059 S. 1 BGB nichtig. In einem entsprechend nichtigen Rechtsgeschäft wären aber alle Merkmale einer Überlassung des Nießbrauchs zur Ausübung als ein Minus enthalten; dieses Geschäft ist nach § 1059 S. 2 BGB wirksam.

    • Sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen des Ersatzgeschäfts müssen vorliegen.

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  • III. Umdeutung (§ 140 BGB)

    c) „Gewolltsein“ des Ersatzgeschäfts

    • Das Ersatzgeschäft müsste bei Kenntnis der Nichtigkeit des vorgenommenen Geschäfts auch gewollt sein – hier ist nach dem hypothetischen Willen zu forschen, da die Nichtigkeit nicht bedacht wurde, andernfalls hätte man gleich das Ersatzgeschäft gewählt

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    Zur Vertiefung: Lieder/Berneith, Die Umdeutung nach § 140 BGB, JuS 2015, 1063-1067

  • IV. Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte (§ 141 BGB)

    (1) Wird ein nichtiges Rechtsgeschäft von demjenigen, welcher es vorgenommen hat, bestätigt, so ist die Bestätigung

    als erneute Vornahme zu beurteilen.

    (2) Wird ein nichtiger Vertrag von den Parteien bestätigt, so sind diese im Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was

    sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre.

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  • IV. Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte (§ 141 BGB)

    1. Voraussetzungen

    a) Nichtiges Rechtsgeschäft

    b) Bestätigung des Rechtsgeschäfts

    • Nicht Neuvornahme

    • Aber BGH: Bestätigung ist selbst dann formbedürftig, wenn diese beim zu bestätigenden Geschäft eingehalten worden war und dessen Nichtigkeit auf anderen Gründen beruht

    • Bei der Bestätigung müssen sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen

    • Bestätigung durch Erklärung des Bestätigungswillen

    • Das zu bestätigenden Geschäft muss nicht in allen Einzelheiten neu erklärt zu werden

    • Es genügt, dass sich die Beteiligten auf den Boden des alten Geschäfts stellen

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  • IV. Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte (§ 141 BGB)

    1. Voraussetzungen

    b) Bestätigung des Rechtsgeschäfts

    • Bestätigung nicht nur durch ausdrückliches, sondern auch durch schlüssiges Verhalten möglich

    • Bestätigungswillen setzt voraus, dass zumindest Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bestehen

    • Bloße Erfüllung eines nichtigen Vertrags ist nur dann Bestätigung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Beteiligte trotz Unwirksamkeit am Geschäft festhalten wollen

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  • IV. Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte (§ 141 BGB)

    2. Rechtsfolgen

    • Durch Bestätigung entsteht wirksames Rechtsgeschäft

    • Keine Rückwirkung!

    • Nach § 141 Abs. 2 BGB im Zweifel: schuldrechtliche Verpflichtung der Parteien, einander das zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre

    • Bsp.: Käufer darf die Nutzungen der Kaufsache seit der Übergabe behalten, obwohl der zunächst nichtige Vertrag erst später durch die Bestätigung wirksam geworden ist

    • Eigentum geht bei nichtiger Übereignung erst im Zeitpunkt der Bestätigung über

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  • IV. Bestätigung nichtiger Rechtsgeschäfte (§ 141 BGB)

    3. Die Bestätigung es anfechtbaren Geschäfts (§ 144)

    • Entspricht Verzicht auf Anfechtungsrecht

    • Formlos möglich (Abs. 2)

    • H. M.: nicht zugangsbedürftig. Kritik: unbillig. Anfechtungsgegnerin muss von Anfechtung erfahren und Anfechtungserklärerin muss nicht an Bestätigung gebunden sein, wenn Gegnerin hiervon nichts erfahren hat

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