Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Österreich"

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[SOZIALISTISCHE JUGEND] www.sjoe.at

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Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.

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IMPRESSUM

Medieninhaber: Trotzdem Verlag GmbHSondernummer II/ 2004 Verlagspostamt: 1050 Wien, Erscheinungsort WienZulassungsnummer: GZ02Z032957SHerausgeberin: Sozialistische Jugend ÖsterreichAlle: Amtshausgasse 4, 1050 WienErscheinungsjahr: 2004 Autor: Florian WenningerLayout: [email protected]

Herzlichen Dank für alle Hilfestellungen, besonders an: Prof. Hugo Pepper, HannesDolleisch, Torsten Engelage, Peter Friesenbichler, Wolfdietrich Hansen, TobiasHeinrich, Andrea Kappel, Klaus Kienesberger, Andreas Kollross, Peter Larndorfer,Martina Punz, Sabine Schatz, Stefan Schmid, Michael Schneider, Stephan Sturm,Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung - Mag. Christian Stadelmann, HelmutWartlik, Rene Wintereder

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Umschlagfoto: Treueschwur anlässlich des "zweiten Bundesappells der Vater-ländischen Front", 17. Oktober 1936

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00| INHALT

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1. EINLEITUNG2. DIE GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER GEGENWART

Geschichte wie wir sie lernen...Die Funktion von WissenschaftWissenschaft und HerrschaftWas ist Geschichte?Wie aus Geschichte lernen?

3. FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

Soziale Funktion im Widerspruch zur sozialen BasisIdeologie: Führerprinzip, Nationalismus und RassismusPseudorevolutionäre Rhetorik und faschistische MassenbasisDie Absage an die Aufklärung - der faschistische WertekatalogFaschistische Machtergreifung und Machterhalt

4. FASCHISTISCHE BEWEGUNGEN IN ÖSTERREICH: HEIMWEHR UND NAZIS

Die revolutionäre Phase in Österreich nach dem Ersten WeltkriegDie ArbeiterInnenbewegung bleibt geeintDer revolutionäre Elan flaut abDie "Sanierung des Staatshaushaltes" als Mittel im Kampf gegen die Arbeiter-InnenbewegungDie Anfänge der HeimwehrDie Frühphase der österreichischen NazisDie Linke reagiert auf die Gefahr von rechtsDie Heimwehr schwächeltDer Justizpalastbrand und seine FolgenDie Heimwehr vor der SelbstauflösungDie Heimwehr versucht die Einigung mit den NazisDie Nazis verbuchen nach langer Durststrecke erste ErfolgeDer Weg in die Diktatur

5. EXKURS I: DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND - BILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE

6. "WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK" - ZEITZEUGENBERICHTE ÜBER DIE FEBRUARKÄMPFE

7. DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

Die "Ständische Gesellschaft": Ideologisches Trugbild und soziale RealitätVersuche der "Faschisierung" des Staates und das Ende der HeimwehrGescheiterte Einheitspartei - Die Vaterländische Front (VF)Die letzte Phase des "Ständestaates" und die Mär vom Widerstand gegen die Nazis

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INHALT 8. EXKURS II: "IM NAMEN GOTTES": POLITISCHER KATHOLIZISMUS IN DERERSTEN REPUBLIK

Was ist "Politischer Katholizismus"?Kirche und Kapitalismus: Stand oder Klasse?Die Macht der Kirche in der jungen RepublikSchützenhilfe für antidemokratische KräfteDer Klerus und die Errichtung der DiktaturDas "Vergelt's Gott" der Diktatur 1934 - 1938

9. AUSTRO"FASCHISMUS"? ZUM WESEN DES REGIMES 1934 - 1938

10. LÜGEN UND LEGENDEN UM DAS ENDE DER ERSTEN REPUBLIK

Die "antidemokratische" Sozialdemokratie und der Anschluss an DeutschlandDie "Weigerung der Sozialdemokratie"Die "geteilte Schuld" am Ende der DemokratieDie "Selbstausschaltung" des Parlaments 1933Die "plötzliche Eskalation der Geschehnisse"Der "Ständestaat" als "Antwort auf den Roten Terror"Der "Ständestaat" als die "bessere Diktatur"Der "gemäßigte Patriot Dollfuß"Der "Bruderkrieg"Der "Widerstandskampf" gegen die Nazis

11. NACHWORT

12. KOMMENTIERTE LITERATURLISTE

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HINWEIS:

Die vorliegende Broschüre ist in geschlechtergerechterSprache abgefasst. Dadurch soll darauf hingewiesen wer-den, dass Geschichte von Männern und Frauen gemachtwird, was in den herkömmlichen (rein männlichen)Formulierungen untergeht. Frauen werden dort bestenfallsmitgedacht, es geht aber darum, ihren Anteil und sie selbstsichtbar zu machen. Aufmerksamen LeserInnen wird den-noch nicht entgehen, dass in der Broschüre nicht ge-schlechtsneutral formuliert wird. Das stellt keineAchtlosigkeit dar. Es wurde bewusst davon abgesehen,Frauen "mitzumeinen", wenn Geschichte dargestellt wird,in der so gut wie ausschließlich Männer eine aktive Rolle

spielten und Frauen zur Passivität gezwungen wa-ren: zu den Merkmalen des Faschismus zählt einescharf antifeministische Haltung. Das und derUmstand, dass Frauen innerhalb faschistischerBewegungen und Systeme nie Schlüsselrollen besetz-ten, ändert zwar nichts an den Sympathien, die zwei-fellos auch viele Frauen für den Faschismus empfan-den. Da sie aber nicht aktiv ins Geschehen eingreifenkonnten, sondern praktisch nur Statistinnen abga-ben, bleiben sie sprachlich ausgeklammert, wennvon faschistischen Akteuren die Rede ist.

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01| EINLEITUNG

WARUM DARÜBER REDEN? DIE LEBENDIGKEIT DER GESCHICHTE

Im Jahr 2004 jährt sich zum 70. Mal der Aufstand derösterreichischen ArbeiterInnen gegen die Errichtungdes "Ständestaates", der christlichsozialen Diktaturdes Engelbert Dollfuß. Auf viele wirken die Appelle,die damaligen Entwicklungen in Erinnerung zu behal-ten, überholt, eigenbrötlerisch, ja "hysterisch" oderschlicht "lächerlich". Was also bewegt SozialistInnen,allen Unkenrufen zum Trotz, sich mit dem österreichi-schen Bürgerkrieg und seiner Vorgeschichte zu be-schäftigen?

Der Staat, in dem wir leben, ist nicht vom Himmel ge-fallen. Nach dem Zusammenbruch des faschistischenRegimes 1945 wurde ein Gebilde erneut aus der Taufegehoben, das schon nach dem Ersten Weltkrieg 15Jahre lang existiert hatte: die Republik Österreich. Inder politischen Auseinandersetzung standen sich dieselben politischen Kräfte gegenüber wie vor dem"Anschluss" an Deutschland 1938. Im Bemühen auchnur irgendeine gemeinsame Basis zu finden, auf dereine demokratische Politik möglich war, wurde von derSozialdemokratie ein stillschweigender Kompromissakzeptiert: Um der Zweiten Republik eine Zukunft zueröffnen, wurde das Scheitern der Ersten Republikhöchstens auf Gedenkveranstaltungen thematisiert. Inder Öffentlichkeit einigten sich ÖVP und SPÖ auf dieSprachregelung von der "geteilten Schuld". Die dazu-gehörige Legende besagt kurzgefasst, dass in der har-ten Zwischenkriegszeit hüben wie drüben radikaleElemente an Einfluss gewonnen hätten. Statt sich zueinigen, hätten beide Seiten hochgerüstet, bis schließ-lich ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebrachthabe. Die Geschichte der Diktatur ab 1934, verharm-losend "Ständestaat" genannt, blieb weitgehend imDunklen. Die einigende Klammer bildete dieVerklärung Österreichs als "Erstes Opfer der deutschenAggression" und der "gemeinsame Wille zumWiederaufbau" nach 1945.

Die Sozialdemokratie nahm mit diesem Kompromissviel in Kauf. Denn es war ja die Linke gewesen, dienach dem Ersten Weltkrieg der Monarchie das Grabgeschaufelt und die Demokratie erkämpft hatte.Weder Christlichsoziale und Kirche, noch die deut-schnationale Großdeutsche Partei waren Freunde desallgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts ge-wesen. Nach 1945 tolerierte die SPÖ dann trotzdemdie Mär von der "Republik, die keiner wollte". Nichtnur 1918, auch später war die Linke jene politischeKraft gewesen, die sich bis 1934 gegen alle diktatori-schen Bestrebungen der Rechten für den Erhalt der de-mokratischen Republik eingesetzt hatte. Nun stimmtesie dennoch indirekt einer Version zu, die ihr eine er-hebliche Mitschuld an der Beseitigung der Demokratiezuwies.Die Christlichsozialen hatten bis 1934 (und danachwieder ab 1935) intensiv versucht, sich mit den Naziszu arrangieren, um Sozialdemokratie und Ge-werkschaften ungestört vernichten zu können. Nach1945 nahm die Sozialdemokratie jene Legende mehroder weniger unwidersprochen hin, die behauptete,der "Ständestaat" wäre nichts als ein österreichischesAbwehrprojekt gegen den deutschen National-sozialismus gewesen. Unwidersprochen verklärte dieÖVP Dollfuß & Co. zu Widerstandskämpfern und be-hauptet bis heute, der kleine Diktator wäre "das ersteOpfer der Nazis" gewesen. Jene aber, die lange Jahrealleine gegen die Nazis gekämpft hatten, wurden undwerden im gleichen Atemzug als "antidemokratischeBolschewisten" denunziert.

Die Spätfolgen des Schweigens treten auch heute nochoft genug zu Tage. Besonders offensichtlich dann,wenn der österreichische Nationalratspräsident einDollfuß-Portrait, das bis heute den ÖVP-Parlamentsklub ziert, mit dem Argument verteidigt,Dollfuß sei als "Märtyrer im Kampf gegen die Nazis"

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wen sie steht und was einmal ihr Ziel war, dann ist dasfatal. Die Sozialdemokratie hat keinen Grund, sich ih-rer Geschichte zu schämen. Aber sie hat allen Grund,aus ihr zu lernen. Etwa, dass der Versuch, sich als diebessere bürgerliche Partei zu präsentieren, von vorn-herein zum Scheitern verurteilt ist. Oder, dass sichkompromisslerisches Zurückweichen vor den Bürger-lichen früher oder später rächt.

Bildungsarbeit tut also bitter not. Selbstverständlichkann das Leisten von Bildungsarbeit keine Ange-legenheit von Jubiläen sein. Es wäre jedoch eine sträf-liche Nachlässigkeit, das 70-Jahre-Gedenken 1934-2004 der ÖVP zu überlassen. Deren Bemühen wird -wie schon in der Vergangenheit - darauf gerichtet sein,vor allem die Auseinandersetzungen des österreichi-schen Bundesheeres und der Heimwehr mit dem Nazi-Putschversuch im Juli 1934 in den Mittelpunkt der hi-storischen Betrachtung zu stellen. Es wird nicht nur ander SPÖ, sondern auch an uns jungen SozialistInnenliegen, ob sie dabei auf Widerspruch stößt oder nicht.

Die vorliegende Broschüre versteht sich als Einstieg insThema und als Argumentationshilfe für Diskussionenim Alltag. Sämtliche Zitate stammen, so nicht andersangeführt, aus den im Anhang aufgeführten Büchern.Diese seien zur weiteren Vertiefung empfohlen.

Wien, im März 2004

Florian Wenninger

gestorben. Weitaus weniger offensichtlich - aber nichtminder besorgniserregend wie so plumpe Ge-schichtsklitterung sind die Parallelen der gegenwärti-gen Politik mit Entwicklungen in der Ersten Republik,die allgemein kaum aufzufallen scheinen: Schon da-mals führten die Zerschlagung sozialer Sicherungs-systeme, der aberwitzige konservative Sparfeti-schismus (der Schuldenmachen immer nur dann gou-tiert, wenn Reiche davon profitieren) und die"Verschlankung" des Staates zu Massenarbeitslosigkeitund Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Schondamals galten die Angriffe der Konservativen denHochburgen der Sozialdemokratie: Wie heute wurdedie "rote" Eisenbahn zerschlagen und das "Rote Wien"finanziell ausgehungert; damals wurden Gewerk-schaften in Betrieben von den Unternehmern, unter-stützt von konservativen Politikern, bekämpft - heutewerden verstaatlichte Betriebe mit einem hohen sozi-aldemokratischen bzw. gewerkschaftlichen Organisa-tionsgrad gegen jede ökonomische Vernunft verscha-chert um den politischen Gegner zu schwächen; wieheute kamen autoritäre Tendenzen schrittweise zumTragen - von der dauernden Verbrämung von Politikund Religion über die großangelegte Ausweitung derPolizeikompetenzen auf Kosten fundamentaler staats-bürgerlicher Rechte bis hin zum systematischen Ver-fassungsbruch.

Auch abseits der Tagespolitik ist innerhalb der Linkenein Mangel an entsprechendem Geschichtsbewusstseindeutlich spürbar. Wenn ein führender sozialdemokra-tischer Politiker der Meinung ist, "unsere schärfsteWaffe gegen den Faschismus" sei ja bekanntlich "derStimmzettel", dann ist das peinlich. Wenn die Ge-werkschaft in ihrem Kampf gegen neoliberale Politikausgerechnet die Sozialpartnerschaft als die idealeForm der Mitbestimmung herbeisehnt ist das tragisch:Der "Korporatismus"1 war ein Ziel der Rechten gewe-sen, als sie im Februar 1934 das Feuer aufArbeiterInnenhäuser eröffnete.

Wenn Manche in der Sozialdemokratie aber überhauptzu vergessen scheinen, woher diese Partei kommt, für

1 "Korporatismus": Faschistische Wirtschafts- und Gesellschafts-doktrin, durch die der "Klassenkampf aufgehoben" werden sollte.Kerngedanke ist eine organisch gewachsene "Volksgemeinschaft", inder alle verpflichtet seien, zum Wohle benachteiligter "Volks-genossInnen" aktiv zu sein - allerdings ohne an den bestehendenBesitzverhältnissen etwas zu ändern. Unternehmer hätten demnachgrundsätzlich ähnliche Interessen wie Arbeitende und sollten sich mitdiesen gütlich einigen. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüre überdie katholische Soziallehre. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüreüber die katholische Soziallehre, S 65

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02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

"Fragen eines lesenden Arbeiters"Bert Brecht

Wer baute das siebentorige Theben?In den Büchern stehen die Namen von Königen.Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?Und das mehrmals zerstörte Babylon -Wer baute es so viele Male auf? In welchen HäusernDes goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?Wohin gingen an dem Abend,Wo die Chinesische Mauer fertig warDie Maurer? Das große RomIst voll von Triumphbögen.Wer errichtete sie? Über wenTriumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene ByzanzNur Paläste für seine Bewohner?Selbst in dem sagenhaften AtlantisBrüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlangDie Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte IndienEr allein?Cäsar schlug die Gallier.Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?Philipp von Spanien weinte, als seine FlotteUntergegangen war. Weinte sonst niemand?Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.WerSiegte außer ihm?Jede Seite ein Sieg.Wer kochte den Siegesschmaus?Alle zehn Jahre ein großer Mann.Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.So viele Fragen.

GESCHICHTE, WIE WIR SIE LERNEN...

Die Frage, warum wir uns mit Geschichte allgemeinund jener des Faschismus im Besonderen befassensollten, wird sich jede/r im Lauf der eigenen Schulzeitgestellt haben. Und tatsächlich: Warum sollen wirBescheid wissen über Feldherren und ihre Schlachten,über das pompöse Leben am Hof der Kaiser undKönige, über die Dekrete der Päpste? Was macht esaus, wer Amerika "entdeckt" hat? Welchen Sinn hatdas Auswendiglernen der endlosen Abfolgen vonJahreszahlen und Herrschernamen?Wozu sollen wir wissen, dass Ludwig XIV. angeblichstolz darauf gewesen sein soll, in seinem Leben inNichts außer Parfum gebadet zu haben? Welchen Werthat für uns die Information über das Leben auf Burgenund die stolzen Taten der Ritter? Ist das alles wirklich"unsere" Geschichte? Weshalb haben wir das Gefühl,dass die Menschheitsgeschichte, die wir in der Schulelernen, so wenig mit uns zu tun hat? Wieso bleibt beiall dem, was uns da erzählt wird, die Geschichte von99,9 Prozent der Bevölkerung ausgeklammert? ImUnterschied zur Geschichte der Herrschenden erfahrenwir über das Schicksal der Beherrschten so gut wienichts - ein Zufall?

DIE GESCHICHTEALS SCHLÜSSEL

ZUMVERSTÄNDNIS

DER GEGENWART

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nötigten. Alles, was darüber hinaus ging, konnte nunin Vorratslagern aufbewahrt werden. Es war aber abdiesem Zeitpunkt auch möglich, sich den Überschuss,den andere produzierten, anzueignen. Diejenigen, dieüber die Macht verfügten, sich fortan den - von ande-ren geschaffenen - Überschuss anzueignen, werden inder marxistischen Theorie als herrschende Klasse be-zeichnet. Ein zentrales Element ihrer Herrschaft warund ist seitdem der Versuch, die Wissenschaften mög-lichst weitgehend zu monopolisieren. Damit war dieMasse der Menschen auf das Wissen einiger wenigerangewiesen. Solange die herrschende Klasse dieWissenschaft kontrollierte, hatte sie maßgeblichenEinfluss auf den gesellschaftlichen Fortschritt.2

Wissenschaft erhielt nun eine ideologische Funktion.Es ging nämlich nicht mehr nur darum, Naturgesetzezu beobachten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen.Die Wissenschaft begann auch, die Welt zu interpretie-ren. Das heißt, sie begann, gesellschaftliche Phäno-mene mit dem gleichen "objektiven" Anspruch zu er-klären wie zuvor Vorgänge in der Natur. Es war nahe-liegend, dass diese Analysen überwiegend denInteressen der Herrschenden entgegenkamen:

Arm und Reich wurden zu "natürlichenZuständen" erklärt.HerrscherInnen waren damit "natürlich" bzw.gottgewollt.Den beherrschten Massen wurde "wissenschaft-lich" erklärt, sie seien zur Unterordnung ver-pflichtet, dies wäre zu ihrem eigenen Besten.Folgerichtig waren alle Bestrebungen, die sichgegen die Herrschenden und die ungerechtenBesitzverhältnisse richteten, "unnatürlich" bzw."sündhaft".

Fragen wir nach dem Sinn von Geschichtswissenschaft,bekommen wir meist eine verschwommene Antwort,die in der Erklärung mündet, wir sollten "aus derGeschichte lernen". Nur: Wie soll das gehen?

DIE FUNKTION VON WISSENSCHAFT

In anderen Bereichen der Wissenschaft lässt sich dieFrage einfach beantworten: Durch die jahrhundertelan-ge Beobachtung von Naturphänomenen war es demMenschen mit der Zeit möglich, Gesetzmäßigkeiten zuerkennen. Die Menschen stellten beispielsweise fest,dass Pflanzen abhängig von Jahreszeiten undWetterlagen besser oder schlechter gedeihen. Sie leite-ten ab, wann die Saat ausgebracht werden und dieErnte vonstatten gehen sollte - der Beginn vonAstronomie und Agronomie (Landwirtschaftslehre). DieErkenntnis, dass der Verzehr bestimmter Substanzenheilende Wirkung hat, bildete den Ursprung derMedizin - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Aufder Basis des gewonnenen Wissens begannen dieMenschen, Naturphänomene bewusst zu nützen undschließlich zu steuern. Kurz gesagt: Wissenschaft bildetezu allen Zeiten die Grundlage des technischen, somitaber auch des gesellschaftlichen Fortschritts.

WISSENSCHAFT UND HERRSCHAFT

Mit dem Anfang der Wissenschaft in den altorientali-schen Hochkulturen vor ungefähr 5000 Jahren gingdie Entwicklung der Klassengesellschaft einher. Bis da-hin hatten die Menschen mehr oder weniger von derHand in den Mund gelebt: Sie waren als NomadInnenumher gezogen und hatten von dem gelebt, was siegerade jagen bzw. sammeln konnten. Die Anhäufungvon größeren Reichtümern war kaum bzw. gar nichtmöglich gewesen, weil alle nur besaßen, was sie tra-gen konnten. Das änderte sich zunächst mit dem Beginn der Vieh-zucht und in weiterer Folge mit den Anfängen desAckerbaus und der damit verbundenen Sesshaftwer-dung. Nun waren die Menschen erstmals in der Lage,mehr zu produzieren, als sie zum täglichen Leben be-

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2 Diese Tatsache ist keineswegs auf die graue Vorzeit beschränkt,Beispiele aus der Gegenwart gäbe es zuhauf - so etwa den Streit umMedikamente, die zur Bekämpfung von AIDS entwickelt wurden. Durchdie Patentierung dieser Medikamente verhindern Pharma-Konzerneseit Jahren, dass Millionen Menschen diese, für sie lebensnotwendigenErkenntnisse, nutzen können. Die Pharmaindustrie kann durch ihrWissensmonopol die Preise diktieren, zu denen die Medikamente ab-gegeben werden. Wer nicht zahlen kann, ist zum Tod verurteilt.

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02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

3 Ein historisches Beispiel wäre die Verfolgung und Reglementierungvon Medizin, Physik und Astronomie durch die katholische Kirche.

Wie vollzieht sich Geschichte?

1. Bürgerliche sagen:

Geschichte ist einmalig und wiederholt sich nicht,weil..

Geschichte keine Struktur besitzt, sondern nureine chaotische Ansammlung individuellerBegebenheiten darstellt.Menschen einmalig sind und "große Menschen"(meist Männer) diese Geschichte machen.

Aus den oben genannten Gründen ist ein Teil derBürgerlichen folgerichtig auch der Meinung, es lassesich wissenschaftlich nichts aussagen über das Woherund Wohin der Geschichte. Eine zweite Gruppe unter ihnen ist aber der Meinung,Geschichte folge durchaus eigenen Gesetzen. DurchMenschen "gemacht" wird die Geschichte aber trotz-dem nur bedingt, weil...

... der Mensch durch Triebe und Instinkte gesteu-ert und diesen "Naturgesetzen" unterworfen ist.... der Mensch nach dem Willen Gottes handelt:"Den letzten Sinn der Geschichte als Ganzes ver-mögen wir nicht zu verstehen; den kennt Gottalleine."

Beiden Argumentationsmustern gemeinsam ist dieGrundannahme, dass Geschichte kaum bzw. gar nichtdurch rationales menschliches Handeln beeinflusstwerden könne.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieWissenschaft die Möglichkeit bietet, Gesellschaft undNatur planvoll zu gestalten und damit menschlicheBedürfnisse besser zu befriedigen. Gleichzeitig istWissenschaft aber ein Mittel der Herrschaft und derUnterdrückung. Wenn es im Interesse der Herr-schenden lag, wurden Erkenntnisse verfälscht. Durchdiese Verfälschung und deren Einbettung in ein irra-tionales Weltbild wurde der wissenschaftliche samtdem gesellschaftlichen Fortschritt gehemmt.3

Das irrationale Bild der Welt, das in den vergangenenJahrhunderten im Dienste der Herrschenden entwor-fen worden war, wurde in zwei Etappen von denNaturwissenschaften entscheidend ins Wanken ge-bracht:

Kepler, Galilei und Newton wiesen nach, dassdie Welt der toten Materie von innerenBewegungsgesetzen gesteuert wird und nichtdurch göttlichen Willen.Darwin erbrachte den Beweis, dass sich alleLebewesen (und damit auch der Mensch) durchEvolution weiterentwickeln. Die menschlicheEntwicklung war damit nicht länger ein "gött-licher Schöpfungsakt", sondern ein erklärbarerProzess.

WAS IST GESCHICHTE?

Wir befinden uns in der dritten Etappe derAuseinandersetzung mit dem irrationalen Weltbild.Deren Kernfrage lautet: Ist die Menschheitsgeschichteein zusammenhängender Prozess, der bestimmtenGesetzen folgt, oder besteht sie aus einer mehr oderweniger zufälligen Abfolge von einzigartigenVorgängen und Persönlichkeiten? Darauf gibt es zwei Antwortmöglichkeiten:

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Der Reichsverband der Deutschen Industriezur "Autorität der Persönlichkeit":"Solange man in der Geschichte zurückblicken kann,vermag man festzustellen, dass die Schicksale derVölker von großen Persönlichkeiten geformt sind. ...Diese schöpferische Kraft der Persönlichkeit, die unsleider heute auch im Staate fehlt, können wir in kei-nem Wirtschaftsbetrieb entbehren. ..."

Quelle: Veröffentlichungen des RDI, Nr. 48, 1929, Berlin 1919 - 1932.

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Welchen Wert hat nun die Auseinandersetzung mitGeschichte? Eine Antwort darauf gibt uns die für Bildung undWissenschaft zuständige Sektion der VereintenNationen, die UNESCO. Sie definiert Wissenschaft als"eine planvolle Anstrengung der Menschen, durch dasobjektive Studium betrachteter Phänomene Kausal-zusammenhänge zu erkennen und zu beherrschen, umaus dem Verständnis der in der Natur und in derGesellschaft beobachteten Prozesse und PhänomeneNutzen zum Wohle der Menschheit zu ziehen".4

Bezogen auf die Geschichtswissenschaft bedeutet das,dass aus der Entwicklung der menschlichenGesellschaft Schlüsse auf deren Gegenwart undZukunft gezogen werden können. Die Geschichtswissenschaft ist gewissermaßen das"Gedächtnis der Menschheit": So wie die Erinnerungan den Schmerz ein Kind davon abhält, mehrmals aufeine heiße Herdplatte zu greifen, kann alsoGeschichtsschreibung Gesellschaften davor bewahren,Fehler zweimal zu machen. Geschichte wiederholt sichnie exakt gleich. Aber es gibt Grundtendenzen, diegleich bleiben. Und genau diese Grundtendenzenmüssen wir ausfindig machen.Dazu ist es notwendig, unsere Geschichte zu kennen.Unsere Geschichte ist nicht die der Herrschenden, son-dern die der Beherrschten. Um Lehren für unserenKampf um bessere Lebensbedingungen ziehen zu kön-nen, brauchen wir den Erfahrungsschatz der vergan-genen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende. Dennum ein besseres Leben kämpft die breite Masse derBeherrschten seit Menschheitsgedenken. Wie viel aberwissen wir über die Erfolge, wie viel über die Ursachender Niederlagen in diesem Kampf? Was wissen wirüber unsere GegnerInnen? Wie haben sie sich in derVergangenheit Reichtum und Macht gesichert, mit wel-chen Mitteln übten sie ihre Herrschaft in welchenSituationen aus? Diese Broschüre soll solche Fragen imBezug auf den Faschismus klären helfen. Es ist klar,dass es sich nur um einen Einstieg handeln kann,jede/r ist aufgerufen, sich selbst weiterzubilden.

4 Aus der "Deklaration zur Stellung der wissenschaftlichen Forscher",verabschiedet von der Generalkonferenz der UNESCO am 23.11.1974.

2. SozialistInnen sagen:

Die Menschen machen ihre Geschichte selbst. Esgibt keinen Gott, der uns lenkt, und es gibt kein"Endziel der Geschichte"!Geschichte ist nichts als die Summe mensch-lichen Handelns. Menschen tun Dinge, um be-stimmte Zwecke zu erreichen. Geschichte bestehtaus den Resultaten dieses Handelns, unabhän-gig davon, ob dabei die selbstgesteckten Zieleder Menschen letztlich erreicht werden odernicht.Trotzdem ist Geschichte kein "Zufall". Men-schen können nicht unabhängig von einanderund von ihrer Umwelt agieren, sondern siemüssen immer auf dem aufbauen, was sie vor-finden. Z. B. ist die Entwicklung neuer Medi-kamente nur möglich, weil auf bereits beste-henden Erkenntnissen aufgebaut werdenkann; Sesshaftwerdung war nur dort möglich,wo die Nutzpflanzen angebaut werden konn-ten etc.Veränderungen in der Gesellschafts- und Eigen-tumsordnung werden in der Geschichte immererkämpft gegen den Widerstand der jeweilsherrschenden Klasse. Das Grundgesetz der Geschichte ist die perma-nente Auseinandersetzung zwischen den Klassen- der "Klassenkampf".

WIE AUS DER GESCHICHTE LERNEN?

Warum ist die Beantwortung der Frage, was Geschichteist, so wichtig? Ganz einfach - weil von der jeweiligenAntwort abhängt, ob und wie wir aus Geschichte ler-nen können. Ist alles in der Vergangenheit nur Zufall,das Werk großer Männer oder gar Gottes gewesen,folgt daraus, dass wir am Lauf der Geschichte imGrunde gar nichts ändern können.

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03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

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Der Begriff "Faschismus" leitet sich ursprünglich von einer Bewegung ab, die in Italien nach demErsten Weltkrieg gegründet wurde, dem "fascio di combattimento" (Kampfbund). Das Wort "fa-sces" bezeichnet lateinisch das Herrschaftssymbol der Liktoren (einer Art Leibgarde derHerrscher im alten Rom), ein Rutenbündel mit einer Axt in der Mitte.

Schon bald wurde der Name dieser Bewegung um Mussolini, die 1922 in Italien an die Machtgekommen war, zum (oft ungenauen) Sammelbegriff für ähnliche Bewegungen in anderenLändern. Gemeinsam war ihnen ihre nationalistische, antisozialistische, autoritäre und antipar-lamentarische Stoßrichtung. Was nun als "faschistisch" zu gelten habe und was nicht, darübergibt es seit beinahe achtzig Jahren eine rege Diskussion mit vielen verschiedenen Ansätzen.Schwierig ist die Klärung dieser Frage auch deshalb, weil kaum eines der in Frage kommendenRegime sich selbst "faschistisch" nannte.

Große Teile der Heimwehrbewegung in Österreich bei-spielsweise machten aus ihren Sympathien fürMussolini keinen Hehl. Der "Korneuburger Eid", dendie versammelten Heimwehrführer am 18. Mai 1930schworen, diente nach den Worten des Heim-wehrführers Steidle dazu, "sich ... für das faschistischeSystem zu erklären". Was das aber, neben derAbschaffung der parlamentarischen Demokratie undder Niederschlagung der organisierten Arbeiter-Innenschaft, genau hieß, darüber herrschte auch in derHeimwehr wenig Einigkeit. Nicht wenige Re-präsentanten der Heimwehr lehnten den Faschismusals "undeutsch" ab. Ebenso sahen viele italienischeGefolgsleute Mussolinis im "Fascismo" etwas typischItalienisches, das nur in Italien funktionieren könne.

Um heute zu einer brauchbaren Definition zu kom-men, genügt es nicht, Geschichte oberflächlich nachzu-erzählen. Es reicht nicht aus, sich in der Analyse derbetreffenden Regime nur auf einzelne Aspekte zu kon-zentrieren, z. B. auf die Art und Weise, wie geherrschtwird. Und es ist auch nicht gut möglich eine Art"Checklist" zusammenzustellen, um eine Partei oder

FASCHISMUS -VERSUCH EINER DEFINITION

Ein Liktor im alten Rom trägt einFasces als Symbol kaiserlicher Macht:zu züchtigen (Rutenbündel) und mitdem Tod zu bestrafen (Axt)

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bild zusammenzufügen, aus dem sich die sozialeFunktion des Faschismus in seiner Aufstiegsphase undin der ersten Zeit an der Macht erklären lässt. Denn auch wenn ein Maschinengewehr aus vielen ver-schiedenen, für TechnikerInnen interessanten Teilenbesteht, darf doch in der Auseinandersetzung mit die-sem Sammelsurium von Schrauben, Federn und Roh-ren der eigentliche Sinn und Zweck nicht außer Achtgelassen werden: zu schießen - und zu töten.

Der Versuch eine "faschistische Typologie" aufzustellenist also aus den genannten Gründen problematisch,doch ist sie unerlässlich, wenn das Thema eingehendanalysiert werden soll. Dazu sind Abgrenzungen nö-tig: Nicht jede bösartige Diktatur ist automatisch fa-schistisch. Die nachfolgende Liste übereinstimmenderMerkmale versteht sich als grober Leitfaden.

Bewegung anhand ihres Programms zweifelsfrei als"faschistisch" einstufen zu können. Ein politischesPhänomen wie der Faschismus kann nur verstandenwerden, wenn die Vorbedingungen eingehend analy-siert werden, unter denen er in der Vergangenheitgroß werden konnte. Denn eine der größten Gefahrendes Faschismus ist seine Wandlungsfähigkeit, seineTarnung, seine Eigenschaft, erst wenn er an die Machtgelangt ist, zu zeigen, was ihm wirklich innewohnt.Das heißt, ein Urteil kann und darf nicht allein darausabgeleitet werden, was ein Agitator oder eine Parteisagt bzw. in Programmen und Beschlüssen nieder-schreibt. Entscheidend ist die Tat, die real betriebenePolitik.

Wenn wir uns nun der Geschichte faschistischerBewegungen in der Vergangenheit zuwenden, nützt esrelativ wenig, nur die Schriften und Reden der"Führer" zu studieren, um das Wesen des Faschismuszu begreifen.5

Ebenso mag es zwar durchaus wichtig sein, dieGemeinsamkeiten faschistischer Bewegungen imAuftreten, hinsichtlich der (wie gesagt sehr wider-sprüchlichen) "Ideale" und der Organisationsstrukturetc. zu beleuchten. Aber eine Erklärung des Fa-schismus dürfen wir uns davon nicht erwarten. Dennvon entscheidender Bedeutung ist die Frage, wer voneiner Gesellschaftsordnung, wie sie der Faschismushervorbrachte, profitiert hat und welche sozialenSchichten unter ihr gelitten haben. Es geht kurz gesagtdarum, die verschiedenen Aspekte zu einem Gesamt-

Der "Duce" Mussolini mit seiner Gefolgschaft. Zu den wichtigstenKennzeichen des Faschismus gehört eine Politik, die sich letztlich

gegen die Masse der eigenen AnhängerInnen richtete

5 Es kann aber durchaus gewinnbringend sein, diese für die Öffent-lichkeit bestimmten Gedanken von Hitler & Co. mit dem zu verglei-chen, was dann in der Praxis aus ihnen wurde. So lässt sich nämlichfeststellen, was davon einer vorauseilenden Legitimierung diente,etwa der Antimarxismus, der die Zerschlagung der Arbeiter-Innenbewegung im Voraus zu rechtfertigen begonnen hatte. Darüberhinaus wird aber auch klar, was lediglich der Propaganda gedienthatte und nun, da die Möglichkeit bestand es auch tatsächlich umzu-setzen, links liegen gelassen wurde.

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03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

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versteht sich. Im Unterschied zu vielen anderen pro-klamierten Inhalten und Zielen waren weder Führer-Prinzip noch Rassismus bloße Propaganda. DieseInhalte dienten nicht der Maximierung des eigenenGefolges in der Aufstiegsphase der jeweiligenBewegungen. Sie sollten vielmehr geistig auf derenaggressive Außen- und Wirtschaftspolitik vorbereitenund der totalen Militarisierung der Gesellschaften inden betroffenen Ländern den Weg ebnen. Wenn näm-lich Raubkriege geführt und Völker unterjocht undausgebeutet werden sollen, dann bedarf das einerErklärung.6 Die Minderwertigkeit der anderen Völkerund die "natürliche Überlegenheit" der eigenenNation ist die nächstliegende, simpelste und wirksam-ste propagandistische Rechtfertigung. Erstens, weilAngriffskriege und das Ausplündern fremder Länderdann zu "natürlichen" Vorgängen werden. Zweitens,weil sich damit auch für sozial deklassierte Schichtenin der angeblich "höherwertigen Nation" dieMöglichkeit ergibt, sich der Schar der Auserwähltenzugehörig zu fühlen. Drittens, weil vorhandeneMissstände im eigenen Land auf konstruierte"Außenfeinde" zurückgeführt werden, die es zu be-kämpfen gelte.7

"Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbstauseinanderliegende Gegner immer als nur zu einerKategorie gehörend erscheinen zu lassen ... Dahermuss eine Vielzahl von innerlich verschiedenenGegnern immer zusammengefasst werden, so dass inder Einsicht der Masse der eigenen Anhänger derKampf nur gegen einen Feind allein geführt wird."

Adolf Hitler in "Mein Kampf"

SOZIALE FUNKTION IM WIDERSPRUCHZUR SOZIALEN BASIS

Durchgehend haben sich faschistische Bewegungen inihrer Aufstiegsphase als Bewahrer des kapitalistischenPrivateigentums vor dem "marxistischen Bolsche-wismus" dargestellt. Gleichzeitig präsentierten sie sichals Retter der ArbeiterInnenschaft bzw. des "Mittel-standes" vor dem "raffgierigen Kapitalismus".

In der Realität blieb von den Ankündigungen nur derSchutz der herrschenden Schichten vor der organisier-ten ArbeiterInnenschaft übrig: Zerschlagung derLinksparteien und der Gewerkschaften, Abschaffungbisher erkämpfter ArbeiterInnen-Rechte, die Aus-stattung von Unternehmen mit militärischer Ver-fügungsgewalt über ihre ArbeiterInnen usw. Damit be-gannen die faschistischen Bewegungen, nach ihren je-weiligen "Machtergreifungen", Politik gegen einenGroßteil ihrer eigenen Gefolgschaft zu machen. DieMasse des faschistischen Fußvolks kam nämlich ausdem Mittelstand, dem Kleinbürgertum und der unor-ganisierten ArbeiterInnenschaft.

IDEOLOGIE: FÜHRERPRINZIP,NATIONALISMUS UND RASSISMUS

Die Vorstellung von der prinzipiell unterschiedlichenWertigkeit von Menschen und Völkern, von der "natür-lichen Auslese", die dafür Sorge tragen würde, dassdie "von Natur aus am meisten Befähigten" dieGeschicke der Gemeinschaft leiten würden, ist vermut-lich der Kernpunkt faschistischer Ideologie. Ein Blick indie politische Landschaft der Gegenwart genügt aller-dings, um festzustellen, dass dieses hierarchischePrinzip keineswegs auf faschistische Bewegungen be-schränkt ist. Im Gegenteil: Die unterschiedlicheWertigkeit, das Prinzip der Auslese, der Konkur-renzkampf - all das sind auch die bestimmendenElemente der "freien Marktwirtschaft", wenn mittler-weile auch ohne (zumindest offen geäußerter)Ausdehnung auf "Rassen": "Der/die Tüchtige" oder"das beste Produkt" setzt sich durch - zum Wohle aller,

6 Hier muß erwähnt werden, dass eine aggressive Aussenpolitik nichtKennzeichen aller faschistischer Bewegungen war. In kleinen Län-dern ohne entsprechendes militärisches Potential, wie z.B. Österreich,richtete sich der Faschismus "nur" gegen die Linke im eigenen Land.7 Der deutsche Faschismus benannte etwa als Grund für die Wirt-schaftsmisere "jüdische Machenschaften" sowie die Tatsache, dassDeutsche und Italiener Völker "ohne Raum" seien. Der benötigte"Lebensraum" (bzw. seine Reichtümer) sei "von Minderwertigen be-setzt" und müsse "erkämpft werden".

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Parteien verfügte über eine aktivierbare Massenbasis,die im Stande war den "Roten" entgegenzutreten. Unddie Polizei- und Armeekräfte waren entweder - wieetwa in Österreich - selbst von "Umstürzlern" unter-wandert oder ganz einfach militärisch nicht in derLage, eine etwaige rechte Diktatur gegen den breitenund organisierten Widerstand der Bevölkerung zu er-zwingen. Die Antwort der herrschenden Schichten aufdieses Problem war das Bündnis mit dem Faschismus.Denn als einzige rechtsradikale Strömung verfügte derFaschismus über eine relativ große und radikalisierteAnhängerschaft. Und weder Mussolini noch Starhem-berg oder Hitler hatten Schwierigkeiten damit, in ihrerPropaganda zwar die Ausbeutung des "kleinenArbeiters" durch "das Großkapital" und "die Bonzen"zu geißeln, gleichzeitig aber Gewerkschaften undLinksparteien vehement zu bekämpfen. Während aufden Straßen von einer "faschistischen Revolution" dieRede war, wurde den Reichen signalisiert, man werdesie und ihr Eigentum vor dem "Kommunismus" retten.

Dem linken Begriff des "Klassenkampfs" setzte die fa-schistische Propaganda die Parole von der "Volks-gemeinschaft" entgegen. Das Wirtschaftssystem dieser"Volksgemeinschaft" sollte "die Interessen sowohl derArbeitenden als auch der UnternehmerInnen bündelnund damit letztlich dem Wohle aller dienen, statt sichgegenseitig unsinnig zu bekriegen."8 Dem Ruf nachder sozialistischen Revolution begegnete derFaschismus mit der Forderung nach einer "nationalenRevolution". Diese "nationale Revolution" würde"Arbeit und Brot für alle" bringen, ebenso das Endedes "volkszersetzenden Klassenkampfes". Statt dessenwürden "Ruhe und Ordnung wieder(!)hergestellt".

PSEUDOREVOLUTIONÄRE RHETORIK UNDFASCHISTISCHE MASSENBASIS

Eine der Kernforderungen der ArbeiterInnenbewegunghatte sich bis nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten eu-ropäischen Staaten durchgesetzt - die Einführung des all-gemeinen Wahlrechts. Diese Konzession, das war auch denwildesten Gegnern eines solchen Schrittes in den Reihender Rechten klar, war in Anbetracht eines drohenden linken"Umsturzes" nicht zu umgehen. Die Gründe für dieAblehnung des allgemeinen Wahlrechtes durch die Konser-vativen und Rechten liegen auf der Hand: Wer dann näm-lich nicht Politik im Sinne der Mehrheit macht, läuftzwangsläufig Gefahr, von dieser früher oder später abge-wählt zu werden (was, wie die Geschichte zeigt, allerdingslang dauern kann). Bevor die breite Masse der Bevölkerung wählen durfte, wa-ren die bürgerlichen Parteien elitär strukturiert gewesen.Nach der Demokratisierung ihrer Länder, als der gehasste"Pöbel" wählen durfte, sah sich die politische Rechte genö-tigt sich ideologisch zu öffnen und zumindest öffentlich zubehaupten, ihre Politik auf die Bedürfnisse der Bevöl-kerungsmehrheit abstimmen zu wollen. Anders war derAbstieg in die politische Bedeutungslosigkeit nicht zu ver-hindern. Das wohl sichtbarste Zugeständnis an die neueZeit war in diesem Zusammenhang die Aufnahme derAdjektive "demokratisch" bzw. "sozial" in die verschiede-nen Parteinamen.

Der Horror der Schützengräben, das kriegsbedingt weiterverschlimmerte Elend breiter Schichten und schließlich dieWirtschaftskrise im Gefolge des Ersten Weltkriegs ließendie breiten Massen nach einer Alternative zum kapitalisti-schen System suchen, um Not und Armut endgültig zuüberwinden. Diese Suche drückte sich anfangs vor allem inAufständen, Hungerrevolten und Revolutionsversuchenaus. Nachdem sich die bürgerliche Demokratie alsStaatsform fürs erste einigermaßen behauptet hatte, wurdeder breite Wunsch nach grundlegenden Änderungen be-sonders in den Verliererstaaten des Weltkrieges auch inWahltriumphen der Linksparteien deutlich. Diese schicktensich nunmehr an, so schien es vielen, das System auf demo-kratischem Weg aus den Angeln zu heben. Guter Rat warteuer, denn keine der bis dahin existierenden rechten

8 Hier wird deutlich, dass viele Vorstellungen des Faschismus wedervon ihm geboren wurden, noch mit ihm untergingen: Noch heute er-klären PolitikerInnen häufig, dass ArbeitnehmerInnen undUnternehmerInnen im selben Boot säßen. Dabei wird die Tatsache ig-noriert, dass es einen grundlegenden Interessensunterschied gibt -UnternehmerInnen wollen für möglichst viel geleistete Arbeit mög-lichst wenig zahlen, ArbeitnehmerInnen hingegen möchten für mög-lichst wenig Arbeit möglichst viel Lohn erhalten.

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03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

besten nichts - von ihrem Reichtum abgeben. Es gibtkeinen vernünftigen Grund dafür, einem wie auch im-mer gearteten Führer zu folgen, ohne Rücksicht dar-auf, für wen er Politik macht. Es gibt - auch abseitsmoralischer Einwände - kein vernünftiges Argumentdafür, sich im Rahmen eines Raubkrieges, von dem diemeisten Menschen nicht profitieren, verstümmeln odergar töten zu lassen oder selbst zum Mörder zu werden.Von der Unmöglichkeit angebliche "rassische" Höher-und Minderwertigkeit rational zu belegen ganz zuschweigen.

Ganz logisch steht der Faschismus daher im Wider-spruch zu den Werten der Aufklärung, also rationalemHandeln, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diefaschistische Ideologie schafft dementsprechend ihreeigenen Werte: An die Stelle der Vernunft und des"schnöden Verharrens im Materiellen" tritt das Idealeines organischen Volkskörpers, dessen angeblicheInteressen über den Interessen der Einzelnen stehen.Statt für die möglichst große Freiheit der Person zukämpfen, gibt der Faschismus vor "Volksfeinde zu be-kämpfen", die "nationale Demütigung" revidieren zuwollen und der Nation jene Größe zukommen zu las-sen, die ihr angeblich zustünde. Wem diese nationale"Größe" nützt - nämlich einigen wenigen - wird be-greiflicherweise nicht thematisiert. Dem Ideal derGleichwertigkeit der Menschen wird die angeblich"wissenschaftlich bewiesene" Ungleichheit der Men-schen und Völker, der Rassismus, entgegengestellt.Rassistische Politik, Ausplünderung ganzer Länderoder systematischer Völkermord werden so zu einem"natürlichen", angeblich unausweichlichen Prozess.

Mit diesem in sich widersprüchlichen Mix an Ver-sprechungen und Beschuldigungen konnte derFaschismus große Teile des KleinbürgerInnentums, derBeamtInnenschaft, der Bildungseliten und der bäuer-lichen Schichten für sich gewinnen. Ihm gelangen auchnicht unbeträchtliche Einbrüche in die Arbeiter-Innenschaft,9 aber der ursprüngliche Zweck wurde ver-fehlt: Im demokratischen Wettbewerb konnte dieLinke auch vom Faschismus nicht gestoppt werden, dernicht in der Lage war, aus eigener Kraft die Macht imStaat zu übernehmen. Das vermochte er in allenLändern nur in einem breiten Bündnis mit den herr-schenden Eliten.

DIE ABSAGE AN DIE AUFKLÄRUNG - DER FASCHISTISCHE WERTEKATALOG

Eine Bewegung, die in sich derartig widersprüchlich istwie der Faschismus, muss in ihrer Propaganda gewis-sermaßen die Quadratur des Kreises schaffen, um so-wohl die reichen Gönner als auch das arbeitendeWahlvolk anzusprechen. Naturgemäß liegt es daher im Interesse faschistischerFührer, dass sich möglichst große Teile ihrerGefolgschaft nicht rational, also vernunftgeleitet, mitPolitik auseinandersetzen. Es gibt keine vernünftigeErklärung dafür, dass Besitzende und Besitzlose diegleichen Interessen haben sollen - die einen wollenmehr haben, die anderen aber möglichst wenig - am

9 Allerdings gelang es kaum, die in Gewerkschaften oder Links-parteien organisierten ArbeiterInnen anzusprechen. Sie erwiesen sichgegenüber der faschistischen Propaganda als weitgehend immun.

Die Verhöhnung derWerte der Aufklärung in

einem Nazi-Schulbuch. Originalunterschrift:

"Freiheit - jeder kann tunwas er will. Gleichheit -

der Fleißige gilt nichtmehr als der Lump.Brüderlichkeit - AlleRassen sind gleich."

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Der Kerngedanke des Faschismus, der Glaube an dieUngleichheit der Menschen, schließt drei Grund-gedanken mit ein:

Im Rahmen der "natürlichen Auslese" wird alles"Schwache" ausgesondert. Geschieht das nichtvon selbst, muss eben nachgeholfen werden."Schwäche", gleichgültig ob physisch, psychischoder sozial, wird "vernatürlicht". Solidarität mitden Betroffenen ist von vornherein ausgeschlos-sen - ihr "natürliches Schicksal" ist in der faschi-stischen Ideologie die "Ausmerzung".Ebenso "natürlich" wie "Schwäche" ist der faschi-stischen Ideologie zufolge auch "Stärke". Dem-zufolge sind Machtpositionen in einer Gesell-schaft nicht etwa durch Privilegien, wirtschaftli-ches Potential oder militärische Macht begründet(und somit auch wieder änderbar), sondern siesind "natürlich" und damit irreversibel ("unver-änderlich"). Der "Führer" wird von der "Natur"bzw. der "Vorsehung" für seine Funktion auser-koren, seine Befehle sind naturgewollt, wer sichwidersetzt, handelt "wider die Gesetze derNatur".10

Indem der Faschismus die Mechanismen einermenschlichen Gesellschaft jenen der Naturgleichsetzt, sieht er Menschen und Völker einempermanenten "Lebenskampf" ausgesetzt. Andersals viele bürgerliche TheoretikerInnen meinen,wäre etwa ein "judenreines" Herrschaftsgebietnicht der vom deutschen Faschismus angestrebte"Endzustand der Geschichte" gewesen: DieAggressivität und das Vernichtungspotential desFaschismus kann sich schon deshalb nicht er-schöpfen, weil er aus der Bekämpfung vermeint-

11 Ausnahmen bildeten etwa die Ustascha-Bewegung in Kroatien undTeile der österreichischen Heimwehr, die dezidiert katholisch waren.

licher "Feinde" und vorgeblicher "Bedrohungen"einen wesentlichen Teil seiner eigenen Legi-timation ableitet. Dies schließt ein friedlichesZusammenleben aus und bedarf der Verklärungvon Gewalt und Brutalität als Vorbedingungenfür eine umfassende Militarisierung der Gesell-schaft. Durch die Überhöhung dieser ("männ-lichen") Ideale ist der Faschismus seinem Wesennach scharf antifeministisch.

Obwohl in den meisten Fällen säkular,11 erhebt der Fa-schismus zudem den Anspruch, eine "Gegenreligion"zu sein, in der "Gott" durch den "Führer", die "Natur"bzw. "Naturgesetze" ersetzt wird. Die faschistischenRituale (Totenehrungen, etc.) und die Inszenierungvon Auftritten der Führer hatten pseudo-religiösenCharakter. Interessant in diesem Zusammenhang sinddie Querverbindungen speziell der nationalsozialisti-schen Bewegung zu esoterischen Inhalten und Grup-pierungen, die im Versuch gipfelten, die SS zu einemquasi-religiösen Orden zu machen.

FASCHISTISCHE MACHTERGREIFUNG UND MACHT-ERHALT: DAS BÜNDNIS MIT TRADITIONELLEN ELI-

TEN, MASSENBEWEGUNG UND MASSENTERROR

Sowohl die italienischen Faschisten als auch die deut-schen Nationalsozialisten verwendeten erheblicheMühe darauf, ihre jeweiligen Machtergreifungen imNachhinein zu mystifizieren. Im einen Fall war es der"Marsch auf Rom" durch die italienischen Schwarz-hemden, im anderen die "nationale Erhebung" bzw.die "nationale Revolution". Sinn dieser Verklärung wares, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass es wederdem deutschen noch dem italienischen Faschismus(auch keiner faschistischen Bewegung irgendwo sonst)gelungen war, die Macht im Staat aus eigener Kraft zuerobern. Es handelte sich also nirgends, wo derFaschismus an die Macht kam, um eine Macht"ergrei-fung" sondern nur um eine Macht"übernahme" imBündnis mit anderen konservativen Kräften.

10 Und wieder: Etwas abgeschwächt ist dieser Gedanke weder vomFaschismus erfunden worden, noch endete er mit diesem (Kaiser undKönige führten ihre Machtbefugnisse stets auf das "Gottgewollte",mithin in gewisser Weise auch "Natürliche" zurück; der Grund, warumes Reichtum und damit gleichzeitig Armut geben muss, wird auch heu-te noch von den ApologetInnen der Marktwirtschaft damit begründet,dass dem schon immer so gewesen, es mithin "natürlich" sei. DerWunsch, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen, musssomit eine Illusion bleiben, weil "widernatürlich").

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DIE REVOLUTIONÄRE PHASE IN ÖSTERREICHNACH DEM ERSTEN WELTKRIEG

Als sich am 21. Oktober 1918 im niederösterreichischenLandhaus zu Wien die "Provisorische NationalversammlungDeutschösterreichs" konstituierte, verließ damit auch dieletzte Nationalität im k.u.k.-Vielvölkerstaat offiziell dassinkende Schiff der Donaumonarchie. An den Fronten mili-tärisch geschlagen, im Inneren konfrontiert mit einer hun-gernden Bevölkerung, Unruhen und Revolten, war derVersuch des letzten Habsburger-Kaisers, Karl I.,fehlgeschlagen, die Monarchie als Staatsform indie Nachkriegsordnung hinüberzuretten.

Alleine die Tatsache, dass, trotz einer breiten parlamentari-schen Mehrheit bürgerlicher Parteien, mit Karl Renner einSozialdemokrat Regierungschef wurde, lässt einiges vonden gewaltigen Kräfteverschiebungen erahnen,die stattgefunden hatten.12

Die "traditionellen Eliten", dieaus verschiedenen Gründen mitdem bestehenden System unzu-frieden waren oder die Gefahr ei-nes linken Umsturzes fürchteten,ebneten dem Faschismus seinenWeg zur Macht. Sie taten das,weil sie aus eigener Kraft zuschwach waren (oder sich zuschwach fühlten), die Demokratiegegen den Widerstand der linkenParteien zu stürzen. Dabei erla-gen sie aber dem Trugschluss,dass es ihnen gelingen werde,Hitler, Mussolini & Co. auch nachderen Aufrücken an die Spitzedes Staates vollständig zu kon-trollieren.

FASCHISTISCHE BEWEGUNGIN ÖSTERREICH

Am 12. November 1918 wird in Wien dieRepublik ausgerufen. Über vierhunderttau-

send Menschen feiern in den Straßen derHauptstadt das Ende der Habsburger-

monarchie HEIMWEHR UND NAZIS

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ten Landbevölkerung und im städtischen Bürgertumden Hass auf die "rote Regierung des Pöbels imWasserkopf Wien".

Mit ihr wollten Leute wie der spätere Heimwehrführer"Fürst" Ernst Rüdiger Starhemberg "abrechnen, sobald sich die Gelegenheit ergäbe", wie er späterschrieb.Während die Gelegenheit zur Rache in den Industrie-gebieten noch einige Zeit auf sich warten ließ, verebb-te die revolutionäre Welle im ländlichen RaumWestösterreichs bereits im Frühjahr 1919.Ein Mitgrund dafür war, dass es die Sozialdemokratie13

verabsäumt hatte, die stark radikalisierte Masse derLandarbeiterInnen politisch zu organisieren. Tage-löhnerInnen, Knechte und Mägde lebten unter entwür-digenden Bedingungen und forderten zur Linderungihrer Not vor allem eine gerechte Verteilung vonGrund und Boden. Weil eine umfassende Bodenreformaber im Forderungskatalog der SDAPÖ eine ehernachgeordnete Rolle spielte, fühlte sich diese großeBevölkerungsgruppe bald im Stich gelassen und wand-te sich enttäuscht von der Sozialdemokratie ab.Darüber hinaus wandelte sich das politische Be-wusstsein bei kleinen und mittleren Bauern undBäuerinnen, die ursprünglich durchaus Sympathienfür die demokratische Republik gehabt hatten.

Mit der Monarchie verloren Aristokratie und (Groß)-Bürgertum die wesentliche Stütze ihrer Privilegiengegenüber den weitgehend rechtlosen ArbeiterInnenund der kleinbäuerlichen Bevölkerung. Auf den plötz-lichen Wegfall der bisherigen Ordnung folgte einMachtvakuum, das die Sozialdemokratie kurzfristignützen konnte. Es gelang ihr, in dieser Ausnahmesi-tuation gegen die verängstigten Privilegierten voneinst politische und soziale Reformen im großen Stildurchzusetzen.

Die politischen Umwälzungen verliefen in den länd-lichen Gebieten "Deutschösterreichs" meist friedlich.Nicht so in den industriellen Zentren, den Hochburgender ArbeiterInnenbewegung, allen voran Wien undLinz. Dort kam es zu stürmischen Demonstrationen,Plünderungen und gewalttätigen Auseinandersetzun-gen mit Repräsentanten der alten Mächte, vor allemmit ehemaligen Offizieren.

Zeitzeugin Steffi S. über die Behandlung vonOffizieren in den Strassen von Wien 1918:"Mein Bruder war ein kleiner Leutnant. Wie den letz-ten Dreck hat man ihn behandelt. Den Leutnantsternvom Rock gerissen, den Orden, den er kurz vorKriegsende bekommen hat, auf den Boden geworfen,und dann sind sie johlend darauf herumgetrampelt.Wie ein kleines Kind hat er geweint, wie er nach Hausegekommen ist."

Zitiert nach: Kinz, Maria 1993: Photoalbum 1918-1938. DerAlltag war nicht immer grau, Wien, S 14.

Gerade deren öffentliche Demütigung durch revolutio-näre ArbeiterInnen machte tiefen Eindruck auf die tra-ditionellen Eliten. Plünderungen und eigenmächtigeBeschlagnahmungen durch die hungernde Bevöl-kerung und heimkehrende Soldaten verstärkten inTeilen der bäuerlichen, katholisch-konservativ gepräg-

So sieht die von Konservativen verklärte ländliche Idylle in den 20ernund 30ern des letzten Jahrhunderts in Wirklichkeit aus: Statt Ochsen

oder Pferden werden Mägde vor den Pflug gespannt - für den Bauern sind sie billiger als das Vieh

12 Den 174 Abgeordneten der Christlichsozialen und Großdeutschenstanden in der provisorischen Nationalversammlung nur 42 sozialde-mokratische Abgeordnete gegenüber. 13 "Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs", SDAPÖ.

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Folgen von Hungerunruhen in Graz, Juni 1920. Um die Bevölkerung inden Städten ernähren zu können, lässt die Regierung schließlich aufdem Land Lebensmittel beschlagnahmen

Baron Alfons Rothschild am Pferderennplatz (links) und Madeleine [von] Kuh, die österreichische Golf-meisterin (rechts), genießen das süße Leben - mit dem nötigen Kleingeld kein Problem. Während rund-herum bittere Not herrscht, denken die Reichen im Land nicht daran, von ihrem Besitz etwas abzugeben.Sie stehen den sozialdemokratischen Versuchen, die Armut der Bevölkerung zu lindern, feindseliggegenüber und fordern die Beseitigung des "sozialen Schutts"

04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

Erlaubnis der Besitzer abzuwarten. Und um das vonder Unternehmerschaft betriebene Lohndumping zubeenden, wurden vereinzelt sogar Fabriken von ihrenBelegschaften übernommen. Die Bürgerlichen warenderartig verängstigt, dass christlichsoziale Politikerwie der spätere Kanzler Seipel wiederholt dieSiegermächte des Weltkrieges ersuchten, Österreichmilitärisch zu besetzen, um "der bolschewistischenBrut Einhalt zu gebieten".

Um die hungernde Bevölkerung in den Städten versor-gen zu können, ließ die Regierung auf dem LandNahrungsmittel beschlagnahmen. Anfangs wurde dasdort murrend hingenommen, relativ bald aber aggres-siv protestiert und vereinzelt sogar bewaffneterWiderstand geleistet. Diesen Unmut machten sich dieKonservativen zunutze. Nicht die Not von MillionenMenschen, die aufgrund der Folgen des ErstenWeltkrieges hungerten, sei die Ursache für dieBeschlagnahmungen, behaupteten sie in ihrerPropaganda. Die Schuld treffe ausschließlich die"Roten" und ihre "bolschewistische Regierung", ja ge-nerell die "Wiener Demokraten".

In den Großstädten hielt die "revolutionäre Phase" be-deutend länger an. Den Kern der Bewegung bildetenim Spätherbst 1918 vor allem ehemalige Angehörigeder Streitkräfte, die jetzt arbeitslos waren, und jungeIntellektuelle14. Unter dem ehemaligen Offizier JuliusDeutsch war bereits in der Endphase der Monarchiemit dem Aufbau einer republikanischen Armee begon-nen worden. Diese sozialdemokratisch dominierte"Volkswehr" war dazu gedacht gewesen, die später ge-gründete Republik gegen reaktionäre Putschversuchezu schützen. Und es waren auch tatsächlich derenSoldaten, die es Aristokratie und Großbürgertum inder unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ratsam er-scheinen ließ, eine militärische Konfrontation zu ri-skieren.

Im Winter 1918/19 wurde in Österreichs Städten ge-hungert. Zehntausende waren obdachlos, die Arbeits-losigkeit stieg weiter an und die staatliche Verwaltungerwies sich als unfähig, der Not Herr zu werden. ArbeiterInnen und die von ihnen gebildeten Gremien,die Räte, griffen zur Selbsthilfe: Bis ins Frühjahr 1919fanden alleine in Wien 12.000 Beschlagnahmungenstatt. In den umliegenden Wäldern wurde das zumHeizen dringend benötigte Holz geschlägert, ohne die

14 Unter den Angehörigen der Volkswehr fanden sich so prominenteNamen wie die Literaten Egon Erwin Kisch oder Franz Werfel.

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Obwohl sich die Sozialdemokratie also zu Demokratieund Republik bekannte, auf deren legalem Boden sieden Sozialismus herbeiführen wollte, stellte sich dieSache in manchen Äußerungen von Parteiführern radi-kaler, revolutionärer dar. Dies geschah, um die eigene,stark radikalisierte AnhängerInnenschaft bei derStange zu halten und ein Abwandern zur KP zu ver-hindern. Darüber hinaus wurde mit dem verbalenTrommelwirbel bezweckt, den bürgerlichen Gegnereinzuschüchtern und ihn zu Konzessionen zu zwingen.

Beide Ziele wurden - das zweite allerdings nur vorläu-fig - erreicht. Die Sozialdemokratie in Österreich er-reichte eine beispiellose Stärke. Auch wenn es nichtgelang, im Parlament die Pläne zur Vergesell-schaftung der Schwerindustrie und von Teilen derEnergie- und Forstwirtschaft gegen die bürgerlicheMehrheit durchzubringen, war der Druck der Straßeallemal stark genug, den Konservativen eineSozialgesetzgebung abzutrotzen, die weltweit einzig-artig war.

Kampf mit unseren Gegnern führen ... Das deutsch-österreichische Proletariat vertraut auf seine Machtund hofft, dass diese ausreichen wird, auf dem Wegeder politischen Demokratie und der organischenEntwicklung den Sozialismus zu verwirklichen."

(Aus der Botschaft der SDAPÖ an die ungarische Räteregierung, 1919)

15 In Ungarn war nach dem Ersten Weltkrieg kurzfristig ebenfallseine Rätebewegung an die Macht gekommen.

Friedrich Adler (links, neben Otto Bauer und Karl Kautsky) erschießt 1916 den österreichisch-ungarischen Ministerpräsidenten Graf Barthold Stürgkh. Seinen Prozess nützt Adler, um öf-

fentlich gegen die Gräuel des Ersten Weltkrieges und die Untätigkeit der eigenen Partei, be-sonders Karl Renners, zu protestieren. Sein Mut und seine Ehrlichkeit verhelfen ihm unter

ArbeiterInnen zu ungeheurer Popularität

DIE ARBEITERiNNENBEWEGUNG BLEIBT GEEINT

Im Unterschied zu fast allen anderen europäischenStaaten verblieb in Österreich der linke Flügel derArbeiterInnenbewegung in der Sozialdemokratie.Damit gelang es der Kommunistischen Partei nie,ernsthaft Einfluss zu gewinnen. Ein wichtiger Grund dafür, dass die Spaltung derSozialdemokratie misslang, war der unter Arbeiter-Innen als Held verehrte Friedrich Adler. Er schlug alsprominentester Parteilinker das Angebot aus, dieFührung der KPÖ zu übernehmen. Die andereHauptursache für den Erhalt der Einheit derArbeiterInnenbewegung in Österreich lag in der politi-schen Ausrichtung der SDAPÖ. Anders als ihre deut-sche Schwesterpartei, gab sie sich zumindest in ihremöffentlichen Auftreten offensiv links und hielt weiteram Ziel einer Sozialistischen Gesellschaftsordnungfest. Diese sollte aber - im Unterschied zumBolschewismus - auf demokratischem Weg friedlich er-reicht werden.

Austromarxismus: Auf demokratischem Wegzum Sozialismus

"Wir Sozialdemokraten wollen nicht in dasFahrwasser der Kommunisten in Russland und Un-garn15 geraten, die durch Methoden der Gewalt dieFreiheit der Kritik nicht nur der Bourgeoisie, sondernauch großen Teilen des Proletariats entziehen. Wirwollen auf dem Boden der Meinungsfreiheit, derPressefreiheit und der Versammlungsfreiheit den

Der Wortführer der Linken innerhalb derSDAPÖ, Otto Bauer, ist unter Bürger-lichen der bestgehasste Mann im Land.Der brillante Redner gehört mit seinerFrau Helene und dem Philosophen MaxAdler zu den bedeutendsten Vorden-kerInnen des Austromarxismus

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04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

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Die wichtigsten Sozialgesetze, die in derErsten Republik erkämpft wurden:

• 8-Stunden-Tag• Betriebsrätegesetz• Arbeiterkammergesetz• Verbot der Kinderarbeit• Mieterschutz• Kollektivvertragsrecht• Unfallversicherung• Krankenversicherung• Arbeitslosenversicherung

DER REVOLUTIONÄRE ELAN FLAUT AB

Die Verbesserung ihrer Lebenssituation durch die vonder SDAPÖ erkämpften Sozialgesetze trug maßgeblichdazu bei, dass eine breite Mehrheit der ArbeiterInnendiversen kommunistischen Putschversuchen 1919 dieGefolgschaft versagte.

Als Modell einer neuen, gerechten Gesell-schaft entworfen: Das Rote Wien.

Innerhalb weniger Jahre gelang der Sozialdemokratieein weltweit einzigartiges Projekt. Durch die konse-quente Besteuerung der Reichen wurde die Obdach-losigkeit durch kommunalen Wohnbau radikal verrin-gert, die Mieten gesenkt, die grassierenden Seuchenunter Kontrolle gebracht, medizinische Versorgungund Hygiene-Einrichtungen auch für Arme geschaffen,Kindergärten und Schulen gebaut, ein Volks-bildungssystem aufgebaut und eine möglichst vieleLebensbereiche umfassende humanistische Gegen-kultur der Arbeitenden geschaffen. Ziel war die Erziehung eines neuen Menschen, der denSozialismus aufrichten sollte.

Das Rote Wien in Bildern; oben: Eröffnung eines Gemeindebaus, mitte: Kinderfreibad, un-ten: Zentralkinderklinik

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Rechten war somit weitgehend Rechnung getragenworden. Nachdem die Koalition von Christlichsozialenund Sozialdemokratie 1920 zerbrochen war, konntedie neue Regierung in aller Ruhe daran gehen, dasMilitär von unliebsamen "Roten" zu säubern.Nach den Wahlen 1920, als die Sozialdemokratie ihre1919 errungene Stellung als stärkste Partei verlorenhatte, setzte der linke Flügel der Partei um Otto Bauerden Gang in die Opposition durch. Grund für dieseEntscheidung war, dass die Christlichsozialen, die nunden richtigen Zeitpunkt für gekommen hielten, dieLinke aus der Regierung zu werfen, völlig unannehm-bare Forderungen stellten, die sich fast ausschließlichgegen die Interessen der ArbeiterInnen richteten. DieSozialdemokratie, argumentierten Bauer und seineGenossen, würde jegliche Glaubwürdigkeit unter ihrenWählerInnen verlieren, wenn sie wirklich zurVollstreckungsgehilfin einer derartigen Politik würde.Statt dessen, so ihre Überlegung weiter, solle diePartei damit fortfahren, die ArbeiterInnenschaft zu or-ganisieren, um nach dem Erreichen der magischen"Fünfzig Prozent plus einer Stimme" auf demokrati-schem Weg den Sozialismus zu erlangen.

Verkannt wurde dabei, dass die Bürgerlichen imUnterschied zur Sozialdemokratie keinerlei Absichthatten, sich an demokratische Spielregeln zu halten.Im Gegenteil nützten sie die Chance, den Einfluss derArbeiterInnenschaft zurückzudrängen, um damit dieVoraussetzungen für die Beseitigung der demokrati-schen Verfassung zu schaffen. Der staatlicheVerwaltungsapparat wurde "von Roten befreit", imBundesheer kehrten wieder die alten k.u.k-Offizierean die Schalthebel der Macht zurück und um dieErfolge der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitikzu untergraben wurde das "Rote Wien" auf dem Wegedes Finanzausgleiches monetär ausgehungert.Christlichsoziale und Großdeutsche hatten vor denWahlen erwogen, die Demokratie mit Hilfe von rechts-radikalen bayrischen und ungarischen Wehrverbändendurch eine Diktatur zu ersetzen. Doch die Mühen einesPutsches waren gar nicht nötig gewesen, jetzt fiel ih-nen kampflos in den Schoß, wofür sie andernfalls ein

Nachdem außerdem die Arbeiter- und Soldatenräte,die bis dahin quasi eine zweite Regierung gebildethatten, durch das Betriebsrätegesetz stark an Einflussverloren hatten, war die bürgerliche Demokratie weit-gehend stabilisiert. Damit begann sich aber dasKräfteverhältnis, das bis dahin zugunsten vonSozialdemokratie und Gewerkschaft bestanden hatte,langsam nach rechts zu verschieben.

Wie bereits erwähnt, fürchteten die Bürgerlichen be-sonders den Umstand, dass mit der Volkswehr die be-waffnete Macht im Staat fest in sozialdemokratischerHand war. Die Soldaten der Volkswehr, fast durchwegspolitisch linksstehend, kriegserfahren und schwer be-waffnet, waren der Garant dafür, dass rechteStaatsstreiche vorläufig kaum Aussicht auf Erfolg hat-ten. Gleichzeitig sahen die Bürgerlichen in derVolkswehr nicht ganz zu Unrecht ein revolutionäresPotential. Denn die zumeist aus ärmeren Schichten derBevölkerung stammenden Soldaten waren stark radi-kalisiert und galten somit eher als zweifelhafteWächter der bestehenden Besitz- und Gesell-schaftsordnung. Nachdem die Entente16 dem Wunsch nach einer militä-rischen Besetzung Österreichs nicht nachgekommenwar, wurde Anfang 1919 von konservativen Kreisenvor einem angeblich direkt bevorstehenden Umsturzgewarnt. Damit erreichten sie zumindest, dass dieWaffenstillstandskommission die Weisung erließ, dieVolkswehr müsse von 56.000 Mann auf höchstens12.000 reduziert werden. Der Sozialdemokratie ge-lang es nur, die Umsetzung dieser Weisung noch etwashinauszuzögern. Mit dem Friedensvertrag von St.Germain wurde der jungen Republik aber endgültigein Milizheer (in dem die Linke zwangsläufig ein ge-wichtiges Wörtchen mitzureden gehabt hätte) verbo-ten. Statt dessen durfte Österreich lediglich über einSöldnerheer ("Berufsarmee") von 30.000 Mann verfü-gen. Dem flehentlichen Bitten der österreichischen

16 Entente, frz.: Bündnis, bezeichnet alle Staaten, die im ErstenWeltkrieg gegen die "Mittelmächte" Deutschland, Österreich-Ungarnund das Osmanische Reich (die spätere Türkei) kämpften.

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DIE "SANIERUNG DES STAATSHAUSHALTES"ALS MITTEL IM KAMPF GEGEN DIE

ARBEITERINNENBEWEGUNG

Wie in ganz Europa war auch in Österreich dieNachkriegsperiode geprägt von einer wirtschaftlichenTalfahrt: Nach 1918 erreichte die Volkswirtschaft inÖsterreich bis zum "Anschluß" 1938 nie wieder dasNiveau von 1913, sie schrumpfte im Gegenteil konti-nuierlich. 1918 setzte wie in den anderen europäi-schen Ländern eine verheerende Inflation (Geld-entwertung) ein, die 1922 ihre Höhepunkt erreichte.Von der Inflation betroffen war die breite Mehrheit derLohnempfängerInnen und der SparerInnen (also derMittelstand), während gleichzeitig die großen Unter-nehmen zum Teil massiv profitierten: Die Beträge, dieUnternehmen vor der Inflation Banken, Privaten unddem Staat geschuldet hatten, waren über Nacht nichtsmehr wert; zudem tendierten die effektiven Steuer-leistungen während der Inflation gegen Null, weil diechristlichsoziale Regierung unter Prälat Ignaz Seipelsich strikt weigerte, die Steuersätze der galoppieren-den Geldentwertung anzupassen.

erhebliches militärisches Risiko in Kauf nehmen hättenmüssen.

Als Folge dieser Politik wuchsen die Staatsschuldenenorm an und um "die Inflation einzudämmen sowieden Staatshaushalt und damit die österreichischeVolkswirtschaft zu sanieren", wie BundeskanzlerSeipel meinte, wurde 1922 ein folgenschweres Sa-nierungskonzept durchgesetzt: Im Rahmen der soge-nannten "Genfer Sanierung" wurden Auslandskreditein der Höhe von 650 Millionen Goldkronen aufgenom-men. Damit aber die vom Völkerbund eingesetzte"Österreich-Kommission" der Kreditvergabe zustimm-te, verpflichtete sich die österreichische Bundes-regierung verschiedene Bedingungen zu erfüllen:

Sanierung des Staatshaushaltes innerhalb vonzwei Jahren.Sondervollmachten der Regierung, damit "diezur Sanierung notwendigen harten Maßnah-men" in den folgenden zwei Jahren auch ohneparlamentarische Kontrolle durchgeführt wer-den können.Kontrolle der österreichischen Finanzpolitikdurch einen ausländischen "Generalkommissär"mit faktisch diktatorischen Befugnissen.

Eine eigenständige österreichische Wirtschaftspolitikwar unter solchen Umständen de facto unmöglich.Österreich wurde auf Gedeih und Verderb den ausländi-schen Geldgebern ausgeliefert. Die Sozialdemokratiekritisierte die "Genfer Sanierung" in der Öffentlichkeitvehement. Im Parlament jedoch beging sie den ent-scheidenden Fehler, sich bei der Ratifizierung der Sa-nierungsauflagen der Stimme zu enthalten und damitdie notwendige bürgerliche 2/3-Mehrheit zuzulassen.

Schon innerhalb eines Jahres wurde ein ausgegliche-ner Staatshaushalt erreicht, doch die sozialen Folgender "Genfer Sanierung" waren katastrophal: Durch dieEntlassung zehntausender Beamter und die Einhe-bung neuer Steuern, die vor allem die unteren Ein-kommen schwer trafen, erfolgte eine rasanteVerarmung breiter Bevölkerungsschichten. Gleich-zeitig hatte die Regierung begonnen, den "sozialenSchutt wegzuräumen" (Prälat Seipel). Damit meintesie die Sozialgesetzgebung, die von der Sozial-

Bundeskanzler Ignaz Seipel (Mitte), Repräsentant des rechten, anti-demokratischen Flügels der Christlichsozialen. Nach dem Polizei-

massaker anlässlich des Justizpalastbrandes 1927 wird er von sei-nen GegnerInnen als "Prälat ohne Milde" tituliert

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Finanziert wurden die rechten Trupps anfangs von lo-kalen Großbauern, Aristokraten, der Kirche und ein-zelnen Unternehmern. Ihre Befehlshaber setzten sichbesonders aus ehemaligen Offizieren und Unter-offizieren sowie aus rechtsstehenden Studenten zu-sammen. Das Fußvolk bildeten mehrheitlich bezahlteSöldner aus den Reihen der arbeitslosen Land-bevölkerung, die von ihren GegnerInnen deshalb spöt-tisch "5-Schilling-Mandeln" genannt wurden.Als es im Winter 1921 in Wien zu Hungerrevolten kam,beschloss der Hauptverband der Industrie auch in derHauptstadt einen "Selbstschutz" aufzustellen, für denerhebliche Geldmittel locker gemacht wurden. Dieserantisozialistischen Miliz wurden nun schrittweise dieverstreuten, unkoordiniert agierenden Paramilitärsauf dem Land einverleibt. Aus den Schlägertruppswurde so in den darauf folgenden Jahren eine (starkföderalistisch gegliederte) reaktionäre Privatarmee,die sich schließlich "Heimwehr" nannte.

Von ihren Kumpanen in Regierung, Polizei und Justizunbehelligt und von den Unternehmern finanziert, be-gannen die selbsternannten Heimatschützer bald flä-chendeckend die sozialdemokratische ArbeiterInnen-bewegung zu terrorisieren. Es handelte sich bei derHeimwehr daher keineswegs, wie heute noch oft be-hauptet wird, um quasi unpolitische Vereinigungenzur Verteidigung von Hab und Gut. Die "Hahnen-schwanzler" kooperierten eng mit deutschen Rechts-radikalen17, ebenso wie mit der konservativen ungari-schen Diktatur, die in Budapest die Räteregierungmassakriert hatte. In der Heimwehr war politisch fast

demokratie erkämpft worden war und die nun schritt-weise abgebaut wurde. Die daraus resultierende sozi-ale Not, verbunden mit einer neuerlichen, ebenfallsdurch die Sparpolitik verschuldeten Wirtschaftskrise,führte zu einer Verschärfung der innenpolitischenAuseinandersetzung. Denn in der Krise gingen auchdie Unternehmen daran - unterstützt von den Christ-lichsozialen - die angeblich "exorbitant hohen Löhne"zu drücken. Das hohe Lohnniveau würde, so argumen-tierten sie, das Wachstum und die Konkurrenzfähigkeitder österreichischen Volkswirtschaft behindern. Beidieser Behauptung handelte es sich (übrigens ebensowie in der gegenwärtigen politischen Debatte) umeine glatte Lüge: Im internationalen Vergleich warendie Löhne in Österreich selbst zu Spitzenzeiten äußerstniedrig, sie hatten 1921 gerade erst etwa 40% desVorkriegsniveaus erreicht.

DIE ANFÄNGE DER HEIMWEHR

Bereits 1918 und 1919 waren, vor allem in den länd-lichen Regionen, in enger Kooperation mit rechtenPolitikern wie Richard Steidle, Anton Rintelen undIgnaz Seipel bewaffnete reaktionäre Verbände ge-gründet worden, die sich Namen wie "Heimwehr","Heimatschutz" oder "Ordnertruppe" gaben. Sie warenursprünglich dazu gedacht, den Besitz der Bauern vorheimkehrenden Soldaten und der hungernden Stadt-bevölkerung zu schützen. Zusätzlich sollten sie vor al-lem dem "schleichenden Bolschewismus" Einhalt ge-bieten, womit jegliche sozialdemokratische Agitationunter den LandarbeiterInnen gemeint war.

Söldnertruppe derBesitzenden: Heimw-ehrabteilung in martialischerPose im Atelier eines lokalenFotografen, WestösterreichAnfang der 20er Jahre

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das gesamte rechte Spektrum vereinigt, von Christ-lichsozialen und Monarchisten über Deutschnationalebis hin zu organisierten Antisemiten. Die einigende Klammer bildeten der Antimarxismusund der Antiparlamentarismus. Abgesehen von dieserprinzipiellen Einigkeit herrschten innerhalb derHeimwehr und ihren Gönnern aber unterschiedlicheVorstellungen darüber, welche Richtung die "Be-wegung" einschlagen sollte. Die christlichsozial domi-nierten Verbände in Vorarlberg und Tirol kritisiertendie ihrer Meinung nach zu enge Zusammenarbeit mitden bayrischen Monarchisten und den sich formieren-den deutschen Nazis. Andererseits standen die "völki-schen" (d. h. deutschnationalen) Landesorganisatio-nen in Wien, Kärnten und Teilen der Steiermark einerstärkeren Einbindung der Christlichsozialen ableh-nend gegenüber. Diese und andere Meinungsverschie-denheiten innerhalb der Heimwehr arteten mit derZeit zu derartigen Streitigkeiten aus, dass den Geld-gebern schließlich Zweifel kamen, ob ihre Investitio-nen in diesen zerstrittenen Haufen sinnvoll angelegtseien. Besonders die Industriellen waren ausschließ-lich an einer rein militärischen Formation unter ein-

heitlicher Leitung interessiert und nicht an einem völ-lig zerstrittenen Sammelsurium relativ eigenmächtigagierender Landesorganisationen. Neben der Verär-gerung ihrer Sponsoren machten der Heimwehr zu-sätzlich bald die Nazis zu schaffen, die auch in Öster-reich Anfang der 20er Jahre begannen, Anhänger umsich zu scharen und nach deutschem Vorbild zu organi-sieren. Denn die Braunen, für die viele in derHeimwehr politisch durchaus Sympathien hegten, wa-ren mit zunehmender Größe mehr und mehr eineKonkurrenz geworden - sowohl was die finanziellenZuwendungen der Unternehmen betraf, als auch imBezug auf die kleinbürgerlichen Schichten, die manansprechen und organisieren wollte.

DIE FRÜHPHASE DER ÖSTERREICHISCHEN NAZIS

Die Vorläuferin der NSDAP bildete in Österreich eine1904 gegründete Splittergruppe, die "Deutsche Ar-beiterpartei". Sie hatte ihre Hochburg ursprünglich imSudetengebiet und richtete sich in erster Linie gegenTschechInnen, die auf der Suche nach Arbeit in die bisdahin deutsch dominierten nordböhmischen Industrie-zentren der Monarchie strömten. Die internationali-stisch orientierte Sozialdemokratie bemühte sich umein solidarisches Vorgehen von deutschen und tsche-chischen ArbeiterInnen: Gemeinsam sollten sich dieBetroffenen gegen die Politik der Unternehmen zurWehr setzen, die Löhne zu drücken, indem weitgehendrechtlose (mehrheitlich tschechische) Billigarbeits-kräfte beschäftigt wurden. Statt "Tschechen raus" lau-tete die sozialdemokratische Parole "gleicher Lohn fürAlle". Die DAP dagegen versuchte, die Schuld amLohndumping den ausgebeuteten tschechischen Arbei-terInnen in die Schuhe zu schieben. In ihrer Propa-ganda hetzte die Partei gegen "Slawen", die "... trach-ten, im Bündnis mit dem jüdischen Finanzkapital demdeutschen Arbeiter seine Existenzgrundlage zu rau-ben." Obwohl die Sozialdemokratie bei weitem diestärkste Partei blieb, erlangte die DAP besonders un-ter deutschsprachigen Facharbeitern und Beamten be-achtlichen Einfluss.

17 Zu den deutschen Partnern der Heimwehr zählte etwa die "Orgesch"("Organisation Escherich"), eine reaktionäre Terrororganisation, dieprominente SozialistInnen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburgermordet hatte.

Wegen des markanten Auerhahnstoßes, den sie an ihre Hüte stecken,werden die Heimwehrmänner im Volksmund "Hahnenschwanzler" ge-

nannt. In den (rot regierten) Städten sind die Milizionäre verhasstund werden wie hier oft verspottet, sobald sie sich öffentlich zeigen

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wickelte sich die "normale" Rechtspartei nun schritt-weise zu einer Bewegung im faschistischen Sinne.

Das kurze Hoch war vorüber, als in München HitlersPutschversuch scheiterte. Nun fehlte es der bisher vorallem aus Bayern finanzierten österreichischen NS-Partei an Geld, hinzu kam ein Streit innerhalb derFührung, der schließlich in einer Spaltung mündete.Fortan gab es eine "Hitlerbewegung", die sich vollendsals österreichischer Ableger der NSDAP verstand, undeine "Schulz-Richtung", die erfolglos zur ursprüng-lichen Form der DAP zurückzufinden versuchte. Selbstder beginnende Niedergang der Großdeutschen Parteihalf den österreichischen Nazis nicht aus ihrer Misere.Sie wurden im Gegenteil mit in die politischeVersenkung gezogen, in der sie nun auf Jahre ver-schwanden. Während die politischen Parteien derDeutschnationalen vor sich hindümpelten, traf das aufihre Verbände nicht zu. Besonders Sportvereine wieder noch immer existierende Deutsche Turnerbund(statt "DTB" nennt sich der Turnerbund in Österreichheute allerdings "ÖTB") waren hochaktiv. Hier wurde keineswegs nur geturnt, sondern politischeSchulungsarbeit betrieben, "völkisches" und antisemi-tisches Gedankengut verbreitet. Die deutschnationalenOrganisationen arbeiteten eng mit Nazis undHeimwehren zusammen, weil sie ihrem Selbstver-ständnis nach nicht nur national, sondern auch explizitbürgerlich und antisozialistisch waren.

DIE LINKE REAGIERT AUF DIE GEFAHR VON RECHTS

Die beiden faschistischen Gruppierungen waren auf-grund ihrer internen Streitereien bis Mitte der 20erJahre relativ schwach. Trotzdem stellten die Stoßtruppsvon Nazis und Heimwehr für die ArbeiterInnen-bewegung eine durchaus ernstzunehmende Gefahrdar. Vor allem deshalb, weil Sozialdemokratie undGewerkschaften außerhalb der Großstädte (besondersWien und Linz) sowie der Industrieregionen (Mur-Mürz-Furche, Hausruckviertel, Salzkammergut, nie-derösterreichisches Industrieviertel, usw.) über ver-

Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Sudetenland andie neugegründete Tschechoslowakei. Die nunmehrigeDeutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei(DNSAP) verkraftete den Verlust aber verhältnismäßiggut. Das hing vor allem mit der Rückwanderungdeutschsprachiger BeamtInnen aus der gesamten ehe-maligen Monarchie ins kleine Österreich zusammen.Unter ihnen befanden sich viele Sympathisanten derNS-Ideologie, die nun eine wichtige Rolle bei derenVerbreitung spielten. Bei den Parlamentswahlen 1920erreichte die DNSAP zwar nur 34.000 Stimmen, damitübertraf sie aber deutlich ihr gesamtösterreichischesErgebnis bei den Reichsratswahlen von 1911. Auchwenn es für den Einzug in den Nationalrat bei weitemnicht reichte, war der Erfolg für eine kleine Splitter-gruppe aber ganz beachtlich.

Den Vorstellungen der Parteiführung genügtenAchtungserfolge allerdings nicht. Aus ihrer Sicht kamendie Nazis in Österreich wie ihre Schwesterpartei inDeutschland nicht recht vom Fleck. Es wurden öffentli-che Veranstaltungen organisiert, die samt und sonderseher geringen Zuspruch fanden, einzig ihre antisemiti-sche Propaganda, radikaler und aggressiver als jeneder Großdeutschen und Christlichsozialen, war inMaßen erfolgreich. Ein echter Aufschwung setzte erstdrei Jahre später mit der Wirtschaftskrise ein, die durchdie "Genfer Sanierung" hervorgerufen worden war.1923 verdreifachten sich die Mitgliederzahlen undübertrafen nach eigenen Angaben die Marke von30.000 Personen. In der Zwischenzeit waren auch inÖsterreich nationalsozialistische Milizen gebildet wor-den, die sich vor allem Straßenschlachten mit sozialde-mokratischen ArbeiterInnen lieferten. Man orientiertesich zunehmend am Beispiel der NSDAP inDeutschland, übernahm sowohl deren "aktivistische"Propaganda als auch das uniforme, gewalttätigeAuftreten - "münchnerisch reden" wurde zum geflügel-ten Wort für die eigene Gewalt auf der Straße. Dochnicht nur Propaganda und Auftreten änderten sich,auch das Wesen der Partei erfuhr einen tiefgehendenWandel: War sie bisher weder klar antidemokratischnoch nach dem Führerprinzip organisiert gewesen, ent-

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schlossen. Der Schutzbund griff nie - wie die Heimwehr -systematisch Veranstaltungen politischer GegnerInnen oderderen Einrichtungen an. Er war von Anfang an eher dazugedacht eine Art Drohkulisse zu bilden, um die Bürger-lichen von Angriffen abzuhalten, als tatsächlich eineBürgerkriegsarmee im herkömmlichen Sinn darzustellen.

DIE HEIMWEHR SCHWÄCHELT

Als auf die Wirtschaftskrise von 1923 ein fast vier Jahre an-haltender wirtschaftlicher Aufschwung folgte und sich diegespannte innenpolitische Situation in dieser Zeit etwasentschärfte, half das der krisengeschüttelten Heimwehr we-nig, im Gegenteil. Die Geldgeber, deren panische Angst vorlinken Umsturzversuchen etwas abgenommen hatte, hiel-ten sich jetzt mit Zuwendungen eher zurück. Auch diechristlichsozialen Politiker begannen nun, da keine un-mittelbare Gefahr von den "Roten" mehr drohte, dasTreiben der Heimwehren zunehmend misstrauisch zu beob-achten. Einerseits, weil ihnen der Einfluss der antiklerika-

hältnismäßig schwache Strukturen verfügten. Es waroffensichtlich, dass die Rechte in Österreich - ähnlichwie in Deutschland - intensiv aufrüstete.Am Beispiel der Nachbarländer war deutlich, dass dieregelmäßigen rechten Übergriffe nur die Vorboten ei-ner weit gefährlicheren Entwicklung sein konnten. Umeiner etwaigen militärischen Offensive der Bürger-lichen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, wurde des-halb 1923 eine eigene sozialdemokratische Wehr-formation gegründet, der "Republikanische Schutz-bund". Bereits im Herbst 1923, lange vor demBürgerkrieg im Februar 1934, kam es zu ersten be-waffneten Zusammenstößen. Dutzende Auseinander-setzungen folgten in den nächsten Jahren, bei fast al-len waren Provokationen der Heimwehren die Ur-sache. Wenn heute also in der historischen Be-trachtung der 20er Jahre die Rede ist von zwei sichfeindlich gegenüberstehenden Parteiarmeen, diehochrüsteten, um irgendwann übereinander herfallenzu können, so ist das unwahr: Die rechten Militär-verbände hatten früher existiert, waren wesentlichbesser ausgerüstet und ihre Mitglieder bezogen mehr-heitlich Gehalt. Vor allem aber waren die Heimwehrund ihre Verbündeten von Beginn an aggressiv gegenalles, was sie für "marxistisch" hielten, vorgegangen,hatten Streiks niedergeschlagen, linke Veranstal-tungen gesprengt und ArbeiterInnen angegriffen.

Der Republikanische Schutzbund war eine Antwort aufden rechten Terror, nicht dessen Ursache. Im Vergleichzu den Heimwehren war der Schutzbund armselig be-waffnet, seine Einheiten bestanden aus Freiwilligen,die sich ihm in einem Akt kollektiver Notwehr an-

MG-Abteilung der Heimwehr. Die schwere Bewaffnung derHeimwehr ruft in der Linken mit gutem Grund Besorgnis

hervor. Neben Infanteriewaffen in Hülle und Fülle verfügen die Hahnenschwanzler über einige hundert

Geschütze und sogar über Flugzeuge

Arbeiterselbstschutz vor einem bestreikten Betrieb, 1923. Um sich gegen die dauern-den rechten Attacken zur Wehr setzen zu können, werden allerorts Arbeiterwehren ge-gründet, die sich 1923 zum Republikanischen Schutzbund zusammenschließen

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DER JUSTIZPALASTBRAND UND SEINE FOLGEN

Im Jahr 1927, nach langen Jahren des Kleinkrieges,eskalierte die Situation dann unvermittelt. Im Jännerdieses Jahres wurde im burgenländischen OrtSchattendorf eine sozialdemokratische Versammlungvon Rechtsradikalen beschossen. Ein Kriegsinvalideund ein Kind wurden getötet, mehrere andere schwerverletzt. Sechs Monate später, am 14. Juli 1927, wur-den die Täter vor Gericht freigesprochen. Auf das"Schandurteil von Schattendorf" folgten spontaneStreiks und Demonstrationen der ArbeiterInnen inganz Österreich. In Wien wurde von der wütendenMenge der Justizpalast als Symbol der verhasstenKlassenjustiz in Brand gesteckt.

len Deutschnationalen nicht geheuer war. Anderer-seits, weil einzelne Heimwehr-Führer immer stärkerversuchten, aus dem bewaffneten Haufen eine politi-sche Gruppierung im herkömmlichen Sinn zu machenund eigenständige Politik zu betreiben - damit be-stand die Gefahr einer Konkurrenz zu den Christ-lichsozialen. Die Unterstützung durch Industrie undChristlichsoziale Partei in den wirtschaftlich relativstabilen Jahren bis 1927 blieb also relativ gering. Weilaußerdem die internen Widersprüche nicht bewältigtwerden konnten, geriet diese Zeit so gar nicht nachdem Geschmack der selbsternannten Retter des Vater-landes. Die Heimwehren lieferten sich zwar regelmä-ßig gewalttätige Auseinandersetzungen mit Arbeiter-Innen bzw. dem Republikanischen Schutzbund, einmaßgeblicher politischer Faktor waren sie aber nicht.

Klassenjustiz

Die Justiz der jungen Republik war keineswegs unab-hängig. Während Arbeitende bereits bei geringenVergehen mit drakonischen Strafen rechnen mussten,wurden Besitzende selbst bei von ihnen begangenenKapitalverbrechen äußerst schonend behandelt. Gut il-lustriert wird das durch die ersten beiden Urteile nachWiedereinführung der Todesstrafe durch Dollfuß imJahr 1933. Der erste Fall betraf den Sohn eines rei-chen Bauern, Breitwieser (Bild unten links). Er hatte sei-ne von ihm geschwängerte Magd ermordet und wurdevon einem Standgericht zu lebenslänglichem Zucht-haus verurteilt. Das zweite Verfahren befasste sich mitPeter Strauß, einem geistig und körperlich behinder-ten Taglöhner (Bild unten rechts). Er hatte angeblich,nachdem er von einem Bauern von dessen Hof verjagtworden war, als Rache dessen Heustadel angezündet.Der entstandene Schaden betrug 2.500 Schilling. Meh-rere Indizien deuteten auf einen Versicherungsbetrugdes Eigentümers hin, dennoch wurde durch die Polizeivon vornherein nur Strauß als Täter in Betracht gezo-gen. Das Gericht verhängte, obwohl niemand verletztworden war, die Todesstrafe. Strauß wurde gehenkt.

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18 Mehrere Aspekte dieses Massakers lassen darauf schließen, dass dieSituation nicht "einfach eskalierte". Schober wollte - mit der aus-drücklichen Billigung Seipels - vermutlich ein Exempel bürgerlicherMacht statuieren. So wurde die Polizei entgegen den sonstigenGepflogenheiten im Vorfeld extra vom Bundesheer mit Militär-karabinern ausgerüstet. Das Feuer wurde darüber hinaus nicht inNotwehr eröffnet, sondern zu einem Zeitpunkt, als die Situation umden Justizpalast schon begonnen hatte, sich zu beruhigen und derRepublikanische Schutzbund gerade daran gehen wollte, dieDemonstration endgültig aufzulösen.19 Anhand dieses Verkehrsstreiks wurde zum ersten Mal deutlich, dassdie Zermürbungstaktik der Bürgerlichen und das permanenteZurückweichen der Sozialdemokratie unter deren AnhängerInnennicht ohne Folgen geblieben war: Vor allem in Westösterreich wurdeder Streikaufruf von Beginn an nicht flächendeckend befolgt.

Auf Befehl des großdeutschen Wiener Polizei-präsidenten Schober eröffnete die Polizei daraufhindas Feuer auf die unbewaffneten Menschen.18 DieFolge war ein Blutbad mit mehr als 80 Toten. Zu-sätzlich verschärft wurde die Situation durch dieHaltung von Bundeskanzler Seipel. Der Prälat forder-te öffentlich dazu auf, "gegen die Aufrührer keineMilde" walten zu lassen. Sozialdemokratie und Ge-werkschaften antworteten mit einem Verkehrsstreik,der ganz Österreich lahm legen sollte.19

Für die Heimwehr bedeutete das eine ungeheureChance, die sie zu nutzen wusste: Ihre Propaganda er-klärte den aufgeschreckten, verstörten Bürgerlichen,nun zeige "der Bolschewismus sein wahres Gesicht:Terror, Blut und Umsturz". Gegen den Streik müsseman energisch vorgehen, ansonsten werde "derBolschewismus aus dem Roten Wien auf ganz Öster-reich übergreifen."

Die Panikmache hatte Erfolg. Breite Teile derMittelschichten und der bäuerlichen Bevölkerung wur-den mobilisiert und forderten ebenfalls ein hartesDurchgreifen - und die Gelder der Industrie sprudeltenwieder. Der ausgerufene Streik wurde zum Desaster.In den westlichen und südlichen Bundesländern gin-gen Exekutive und Heimwehr gemeinsam gegen dieStreikenden vor, binnen weniger Tage brach der ge-samte Arbeitskampf bundesweit zusammen.

Das "Schandurteil von Schattendorf" ruft unter ArbeiterInnen eine Welle der Empörung hervor. Eskommt überall in Österreich zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen (Bild obenlinks). In Wien wird am 15. Juli 1927 der Justizpalast angezündet - als Symbol eines Rechtssystems,für das Arbeitende Menschen zweiter Klasse sind. Die Polizei schießt in die unbewaffnete Menge undrichtete ein Blutbad an. Bilanz: über 80 Tote, mehrere hundert Verletzte (Bild oben rechts)

Der Justizpalastbrandwird in der Folge vonChristlichsozialen undHeimwehr erfolgreichdazu benützt, antisozi-alistische Ressenti-ments zu schüren.Wahlplakat von 1930

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Möglichkeit, dieses Ziel mit Hilfe der Heimwehren um-zusetzen. Zur Vorbedingung für größere Subventionenmachten sie daher eine schriftliche Erklärung derHeimwehrführer, in der sich diese verpflichteten, dieösterreichische Verfassung bis spätestens März 1930 zubeseitigen und "die Stadt Wien völlig auszuräuchern".Nachdem sie eine entsprechende Erklärung wunschge-mäß unterzeichnet hatten, gingen nun die Heim-wehrführer im Sommer 1928 daran - finanziert durchösterreichische Banken und Industrielle, mit zusätz-lichen Mitteln und Waffen aus Italien und Ungarn ver-sorgt - konkrete Putschpläne zu entwerfen. Mit Ratund Tat standen ihnen dabei der Wiener Polizei-präsident Schober und Verteidigungsminister Vaugoinzur Seite.

Die Pläne sahen vor, durch Heimwehraufmärsche inroten Hochburgen Zwischenfälle zu provozieren, dieals Anlass zum Bürgerkrieg dienen sollten. Gleich-zeitig wollte man versuchen, für die Heimwehren un-ter ArbeiterInnen zu werben, um der Militärformationvon Mittel- und Oberschicht auch tatsächlich eineMassenbasis in den Städten zu verschaffen. Dem beab-sichtigten Bürgerkrieg, den die Heimwehr gemeinsammit dem Bundesheer und Polizeieinheiten zu gewin-nen gedachte, würde schließlich nicht nur die Sozial-demokratie, sondern das ganze parlamentarischeSystem zum Opfer fallen.

Mehrere Aufmärsche der Heimwehren hatten zwarGegenmobilisierungen des Schutzbundes zur Folge,führten aber nicht zu den erhofften ernsterenZwischenfällen. Deshalb wurde seitens der Heim-wehrführung versucht, durch politischen Druck auf dieChristlichsoziale Partei die Demokratie "friedlich" ab-schaffen zu lassen. Die Führer der Christlichsozialen,besonders Seipel, waren durchaus willig, mit derHeimwehr zu kooperieren. Allerdings nur in genau derRolle, die sie selbst nicht mehr spielen wollte: alsKettenhund gegen die Sozialdemokratie bereit zu ste-hen. Ähnlich wie in Italien und Deutschland wolltendie etablierten bürgerlichen Kreise auch hierzulandeden Faschismus als Waffe gegen die ArbeiterInnen-

Übrig blieben eine geschlagene Sozialdemokratie undeine ungeheuer gestärkte Heimwehr, die einen be-achtlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnte undsich von nun an noch besserer Beziehungen zu Polizeiund Militär erfreute. Mit dem wiedergewonnenenSelbstbewusstsein der Heimwehr ging auch ein neuerMachtanspruch einher. Heimwehrführer Steidle, eindeklarierter Faschist, und sein Stellvertreter, der zumNazismus neigende Führer der steirischen HeimwehrWalter Pfrimer, ließen in einem Memorandum an denungarischen Ministerpräsidenten István Bethlen imFrühjahr 1928 wissen, die Heimwehr könne und wolle"sich nicht mit der Rolle begnügen, als drohenderKettenhund auf der Wacht zu liegen und zu kuschenbis der Hundebesitzer, d. h. in diesem Falle die bür-gerlichen Parteien ihn, wie am 15. Juli 1927, einmalloslassen um ihn dann sofort nach getaner Arbeit ge-gen den Dieb wieder an die Kette zu legen, sondernsie wollen mitreden bei der Gestaltung des Staates."20

Durch den enormen Zustrom neuer Mitglieder sei esnun möglich, Ernst zu machen und zusätzliche bewaff-nete Einheiten aufzustellen, wurde dem Ungarn mit-geteilt - allein, es mangle an Geld. Ob nicht die unga-rischen Freunde da ein wenig aushelfen könnten?

Sowohl das autoritär regierte Ungarn als auch das fa-schistische Italien waren damals an einer rechtenDiktatur in Österreich interessiert. Nun sahen sie die

Exekutive und Heimwehr machen bei der Niederschlagung desVerkehrsstreiks, der als Antwort auf das Massaker beim Justizpalast-

brand 1927 ausgerufen wurde, gemeinsame Sache. Der Streik wirdbinnen kurzer Zeit erfolgreich abgewürgt

20 Zitiert nach: Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einer Demokra-tie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien-Frankfurt-Zürich, S 15

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auf den schnell wachsenden Heimwehrapparat ge-währleistet bleiben. Doch die Heimwehr hatte zu die-sem Zeitpunkt eine Stärke erreicht, die es ihr ermög-lichte, Streeruwitz die Stirn zu bieten und ihn schließ-lich nach wenigen Monaten zu stürzen.

Sein Nachfolger war Schober, in den die Heimwehrgroße Hoffnungen setzte. Nach ihren Vorstellungensollte Schober durch eine neue, autoritäre Verfassungaus der Republik den "Heimwehr-Staat der Stände"machen. Der neue Bundeskanzler hatte außerdem be-wiesen, dass er kaum Skrupel haben würde, in be-währter Manier eventuelle Widerstände der Sozial-demokratie gegen die Errichtung einer Diktatur zubrechen.

bewegung benutzen, ohne die Kontrolle über ihn zuverlieren. Nachdem Seipel nur zu gut wusste, dass erden Umbau Österreichs zu einer Heimwehr-Diktaturpolitisch kaum überleben würde, schlug er das An-sinnen ab, die Demokratie auf dem Gesetzesweg zubeseitigen.

Im Frühjahr 1929 kam es wegen der fatalen wirt-schaftlichen und sozialen Situation in Österreich zu ei-ner Regierungskrise. Seipel trat zurück, ihm folgte dereinflussreiche Industrielle Streeruwitz. Wie seinVorgänger stand Streeruwitz den Putschplänen derHeimwehr reserviert gegenüber und sah in ihr ehereine Gefahr als einen Verbündeten. Der neue Kanzlerwar daher bemüht, den Einfluss der Heimwehr zurück-zudrängen, indem er ihre Geldgeber aus derIndustriellenvereinigung dazu veranlasste, die Zu-wendungen zu drosseln. Zusätzlich versuchte er, durcheinen Rechtsruck der Christlichsozialen Partei, denHeimwehren auch ideologisch den Wind aus denSegeln zu nehmen. Durch Masseneintritte von Christ-lichsozialen sollte außerdem der bürgerliche Einfluss

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Um einen Bürgerkrieg zuprovozieren veranstaltetdie Heimwehr 1928 und1929 im ganzen LandAufmärsche und greift so-zialdemokratischeEinrichtungen an·

Johann Schober, der "Wiener Bluthund"von 1927, wird nach dem Sturz vonStreeruwitz neuer Bundeskanzler. Ihmtraut die Heimwehr die angestrebteBeseitigung der Demokratie zu

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Der ungarische Historiker Lajos Kerekes urteilt darü-ber: "Der Text des Eides war eine komprimierteZusammenfassung aller antidemokratischen geistigenStrömungen der 20er Jahre." Mit anderen Worten: Fürjede unterschiedliche ideologische Richtung innerhalbder Heimwehr sollte etwas dabei sein - ein ideologi-

Aber selbst wenn: welche Politik? Wie bereits darge-stellt, war die Heimwehr ein bunter Haufen reaktionä-rer Kräfte aller Schattierungen. In ihr versammeltensich Deutschnationale, Nazis, Christlichsoziale undMonarchisten, die nur vom Ziel zusammengehaltenwurden, "dem Marxismus" den Garaus zu machen.Jetzt, wo der finanzielle Spielraum geringer wurde,musste die Heimwehr ihre öffentliche Agitation massiveinschränken. Dafür war nun Zeit, interne Rechnungenzu begleichen - es entbrannten die lange schwelendenKonflikte zwischen den verschiedenen Fraktioneninnerhalb der Heimwehr. Der Flügel um BundesführerSteidle weigerte sich, mit der Christlichsozialen Parteiganz zu brechen, während die Deutschnationalen undNazis um den steirischen Heimwehrführer Pfrimer füreinen Zusammenschluss mit den Nazis waren. EinVersuch, die politischen Grabenkämpfe zu beendenund zu einer gemeinsamen Ideologie zu finden, warder "Korneuburger Eid". Im Rahmen eines Heimwehr-Aufmarsches im Mai 1930 im niederösterreichischenKorneuburg21 schworen die versammelten Heimwehr-führer und ihre Gefolgschaft einen faschistischen Eid.

DIE HEIMWEHR VOR DER SELBSTAUFLÖSUNG

Relativ bald wurde aber klar, dass Schober dieKonfrontation mit der Sozialdemokratie noch nicht ris-kieren wollte. Er unternahm zwar nichts gegen diepermanenten Provokationen und Übergriffe derHeimwehr, war aber nicht bereit, gemeinsam mit ihrloszuschlagen. Die Heimwehr, Bankiers wie BaronLouis Rothschild und der rechte Flügel der Christ-lichsozialen sahen ihre Felle davonschwimmen unddrängten zur Offensive. Sie befürchteten zu Recht, dieHeimwehr könnte ihre Stoßkraft verlieren und durchinterne Konflikte zerrieben werden, wenn mit dem"Entscheidungsschlag" noch lange zugewartet werdenwürde. Aber Schober gab nicht nach und machte so-wohl den aus-, wie den inländischen Gönnern derHeimwehr erfolgreich klar, er würde ihre Interessenallemal besser vertreten und die Abschaffung derDemokratie sei nur aufgeschoben, keinesfalls aufge-hoben. Als daraufhin die Heimwehr-Finanzen wiederempfindlich reduziert wurden, zeigte sich, wie sehr de-ren Stärke von den Zuwendungen der herrschendenEliten abhing. Über eine entsprechende Massenbasisverfügte die Faschistentruppe nur, so lange sie ihreAnhänger angemessen bezahlen konnte. Sie war dem-nach durch die Abhängigkeit von ihren Geldgebernrein praktisch gar nicht in der Lage, eigenständigePolitik zu betreiben.

Sozialstruktur der Heimwehr

21 Organisiert hatte das Treffen in Korneuburg übrigens der "verdien-te Demokrat" und damalige niederösterreichische Heimwehr-Landesführer Julius Raab. Aufgrund seiner faschistischen Vergan-genheit hielten die Alliierten nach 1945 Raab zunächst für ungeeig-net, ein hohes politisches Amt zu bekleiden und verhinderten deshalbseine Ernennung zum Regierungsmitglied.

70%

Herkunft dder HHeimwehr-MMitglieder nnach BBerufsgruppenBäuerliche BevölkerungAlte [städtische] Oberschichten der HabsburgermonarchieIndustrie- und Gewerbearbeiter

QQuueellllee:: New York Times, 2. 12. 1928, Zitiert nach: Botz, Gerhard 1980:

Soziale Basis und Typologie der österreichischen Faschismen im inner-

österreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, Bertrand u. a.

(Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 21.

20%

10%

Die Heimwehr war - trotz ihresAnspruchs eine "Volksbewegung"

zu sein - eine bäuerlicheBewegung mit starkem Rückhalt

im städtischen Bürgertum

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sches Flickwerk sollte zum programmatischen Prunk-teppich werden. Der Nutzen dieses Manövers war da-her naturgemäß eher gering, nur kurze Zeit späterentflammten die Auseinandersetzungen von Neuem.

Plötzlich zog aber ein taktischer Schritt Schobers dieAufmerksamkeit der Streithähne auf sich: Um auslän-dische (besonders westliche) Geldgeber zu beruhigen,hatte Schober öffentlich ein Gesetz zur Entwaffnungder paramilitärischen Verbände vorgeschlagen. Davonbetroffen sollten die Heimwehren nur auf dem Papiersein, der Vollzug des Gesetzes hätte ausschließlich denRepublikanischen Schutzbund betroffen, wie denHeimwehrführern vom Bundeskanzler schon vorabversichert worden war. Trotzdem lehnten sie denEntwurf mit viel Getöse kategorisch ab und behaupte-ten, Schober stecke mit der Linken unter einer Deckeund sei ein Feind der Heimwehr.

Als Ersatz für den Verlust Schobers als mächtigenFürsprecher wollte die Heimwehr bei der anstehendenNeubestellung des Bundesbahnpräsidenten einenGewährsmann ins Amt hieven: Der Direktor derGrazer Verkehrsbetriebe, Strafella, sollte in derChefetage der Eisenbahn Sorge dafür tragen, dass die"Reorganisation" der Eisenbahn möglichst schnell undreibungslos vonstatten ginge. Gemeint war damit, dieBahn von jeder sozialdemokratischen Einflussnahmezu säubern, um ungestört Waffen- und Truppen-transporte der Heimwehren bewerkstelligen zu kön-nen. Strafella schien hierfür genau der Richtige zusein, hatte er sich doch als ehemaliger Chef derGrazer Verkehrsbetriebe beim Abwürgen von Streiksschon mehrfach bewährt und galt als untadeligerSozihasser.

Die Sozialdemokratie teilte diese Einschätzung undmachte eine Korruptionsaffäre während der Infla-tionszeit publik, an der Strafella maßgeblich beteiligtgewesen war. Schober setzte eine Untersuchungs-kommission ein; nachdem diese die sozialdemokrati-schen Vorwürfe bestätigte, war Strafella in der Öffent-lichkeit moralisch erledigt. Als wäre diese Niederlage

Der Korneuburger Eid im Wortlaut

"Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! Wirwollen den Volksstaat des Heimatschutzes. Wir fordern von jedem Kameraden: den unverzagtenGlauben ans Vaterland, den rastlosen Eifer der Mit-arbeit und die leidenschaftliche Liebe zur Heimat.Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zumWohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neuordnen. Wir müssen eigenen Vorteil vergessen, müssen alleBindungen und Forderungen der Parteien, müssen un-sere Kampfziele unbedingt unterordnen, da wir derGemeinschaft des deutschen Volkes dienen wollen! Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parla-mentarismus und den Parteienstaat! Wir wollen anseine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzenund eine starke Staatsführung, die nicht ausParteienvertretern, sondern aus den führendenPersonen der großen Stände und aus den fähigstenund bewährtesten Männern unserer Volksbewegunggebildet wird. Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkesdurch den marxistischen Klassenkampf und liberal-ka-pitalistische Wirtschaftsgestaltung. Wir wollen auf berufsständischer Grundlage dieSelbstverwaltung der Wirtschaft verwirklichen. Wirwerden den Klassenkampf überwinden, die sozialeWürde und Gerechtigkeit herstellen. Wir wollen durch eine bodenständige und gemeinnüt-zige Wirtschaft den Wohlstand unseres Volkes heben.Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen, seineMacht und Führung wacht darüber, dass die Ständeden Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft einge-ordnet bleiben. Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger derneuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gutund Blut einzusetzen, er erkenne die drei Gewalten:den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, dasWort seiner Führer!"

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klamation fest: Egal, wie das Wahlergebnis aussehenwürde, sein fester Wille sei die Zerschlagung des par-lamentarischen Systems und die Errichtung eines"Heimwehrstaates".23 Die faschistischen Heimwehrenbedrohten damit aber nicht nur die Demokratie. Siemachten darüber hinaus auch gegenüber ihren bür-gerlichen Gönnern in den Reihen der Christlich-sozialen klar, dass es mit der Rolle als deren Ketten-hund vorbei wäre. In einem Anfall maßloser Selbst-überschätzung beschloss die Heimwehr, bei den Parla-mentswahlen als "Heimatblock" selbst zu kandidieren.

Der Wahlkampf des Heimatblocks 1930 war in Formund Inhalt konsequent faschistisch. Von KanzlerVaugoin stillschweigend toleriert, kam es zu perma-nenten Provokationen und Übergriffen gegen dieSozialdemokratie. Dass aber auch die Christlich-sozialen sich letztlich vor der Heimwehr nicht sicherfühlen durften, bewiesen neuerliche Putschpläne24. ImRahmen eines militärischen Handstreichs, dessenDetails einer der höchsten Offiziere des Bundesheeres,General Ellison, für die Heimwehr ausgearbeitet hatte,sollte Vaugoin gestürzt werden und Starhemberg zumDiktator gemacht werden. Das Vorhaben scheiterteallerdings an der mangelnden Unterstützung durchUngarn und Italien, die das Unternehmen anBundeskanzler Vaugoin verrieten.

Das Ergebnis der Wahl schließlich war für Star-hemberg und seine Recken niederschmetternd: DieSDAPÖ wurde mit Abstand zur stärksten Partei, der"Heimatblock", der sich während des Wahlkampfeszum "einzigen Wahrer nationaler Interessen" stilisierthatte, errang von insgesamt 165 Mandaten im neuenParlament jämmerliche acht Plätze.

für die Heimwehrführung nicht schon bitter genug ge-wesen, ging nun Schober seinerseits zumGeneralangriff über. Er begann, die ihm feindlich ge-sinnte Führungsriege der Heimwehr zu demontieren,um sie durch einen Mann seines Vertrauens, den jun-gen Fürsten Starhemberg, zu ersetzen.

Unterstützt von den italienischen Geldgebern wurdeder bisherige Bundesführer Steidle gestürzt,22 aller-dings täuschte sich der große Intrigant Schober in derTreue seines neuen Gefährten Starhemberg. Als nämlich der rechte Flügel der Christlichsozialen umSeipel und Carl Vaugoin überraschend an derErnennung Strafellas zum Bundesbahnpräsidentenfesthielt und zwei Bundesminister auf Schobers Wei-gerung dem nachzukommen zurücktraten, war damitdie gesamte Regierung am Ende. Mit der Bildung ei-ner Übergangsregierung wurde Schobers ErzrivaleVaugoin beauftragt. Und der schanzte das damalswichtigste Ministerium, jenes für Innere Angelegen-heiten, zur allgemeinen Überraschung ausgerechnetStarhemberg zu. Dessen Aufgabe als frischgebackenerInnenminister wäre die Vorbereitung der Neuwahlengewesen. Doch schon vor dieser Wahl legte sich derneue Heimwehrführer in einer öffentlichen Pro-

22 Als formaler Grund für den Sturz diente die zwielichtigeVerwendung italienischer Fördermittel, für die Steidle verantwortlichgewesen war.

23 In seinen Memoiren schrieb Starhemberg später über seine neuenministeriellen Würden: "Ich gestehe offen, dass ich in das KabinettVaugoin mit der Absicht eintrat, einen Staatsstreich zuwege zu brin-gen. (...) Obwohl ich vorhatte für einen Staatsstreich zu arbeiten,wollte ich gleichzeitig loyal gegenüber Vaugoin bleiben und denStaatsstreich mit seiner Mitarbeit und der Armee durchführen."24 Später bekannt geworden unter der Bezeichnung "Ellison-Putsch".

Der nunmehrige Bundesführer der Heimwehr, "Fürst" RüdigerStarhemberg in Feldherrenpose. Nach dem Ersten Weltkrieg hat ersich in rechtsradikalen Zirkeln in Deutschland umgetan, kämpfte inden berüchtigten "Freikorps" für die großdeutsche Sache und nahm

am Naziputsch 1923 in München teil

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Dadurch wurde deutlich, dass von einer faschistischenMehrheitsfähigkeit keine Rede sein konnte, dieParolen Starhembergs, der sich als Volkstribun gebär-det hatte, waren endgültig zur Lachnummer verkom-men. Schwer deprimiert zog die Heimwehrführung dieKonsequenzen und kündigte an, sich zwecks "Reo-rganisation" auf außerparlamentarische Aktivitätenzurückzuziehen. Durch die Weigerung desHeimatblocks, mit den Christlichsozialen zu koalieren,war das Schicksal Vaugoins als Kanzler besiegelt. Eskam schließlich zu einer gemeinsamen Regierung vonChristlichsozialen und Schober-Block unter Ender.

Die angekündigte "Reorganisation" der Heimwehr er-wies sich als erneutes Ausbrechen von Flügelkämpfenzwischen deutschnationalen und katholisch-reaktionä-ren Elementen, die beinahe das Ende der Heimwehreingeläutet hätten.

Starhemberg, der sich mit Müh und Not behauptenkonnte, entdeckte in dieser misslichen Lage unerwar-tet seine Loyalität zu den Christlichsozialen wieder.Dabei dürften aber weniger ideologische Überlegun-gen eine Rolle gespielt haben, als schwere Finanznötedes Jungaristokraten. Weil er für den Aufbau derHeimwehr beträchtliche Mittel aus eigener Tasche bei-gesteuert hatte, bewegte er sich am Rande des Ruins.Als Baron Rothschild, der mächtigste Mann in Öster-reichs Bankenkreisen, nun sämtliche Wechsel (d. h.Schuldscheine) Starhembergs aufkaufte, machte erden Heimwehrführer finanziell praktisch von sich ab-hängig. Vor dem Schicksal, als "Bundesführer" der inAuflösung befindlichen Heimwehr am Ende als Kaiserohne Reich da zu stehen, bewahrten Starhemberg amEnde nur äußere Umstände.

Sozialdemokratisches Spottlied auf die Kandi-datur des "Heimatblocks" bei den National-ratswahlen 1930 (nach der Melodie von Prinz Eugen):

Starhemberg, der edle Ritter

Starhemberg, der edle Ritter,Wollt´ den Kaiser wied´ rum kriegenÖsterreich und die Stadt Wien.Los auf Wien tut er marschieren,Wird die Sozi malträtierenBis sie liegen auf den Knien.

Starhemberg, der edle Ritter,Lernte putschen bei Herrn Hitler,Und er lernte rasch und gleich,Und so war nach kurzer Frist erJüngster PolizeiministerIn dem Staate Österreich.

Starhemberg, du edler Ritter,Im November wird es bitter,Denn dann geht das Volk ans Werk.Donnernd dröhnt der Massen WilleUnd du gehst in aller StilleWied´rum heim nach Waxenberg.

Quelle: Erika Weinzierl u. a. (HgIn) 1983: Österreich 1918-1938.Geschichte der Ersten Republik, 2 Bände, Graz; Zitiert nach: Hanisch,Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesell-schaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien, S 127.

* Einheitsliste von Großdeutschen und Christlichsozialen° Eingerechnet die 6 Prozent, die vom Heimatblock erreicht wurden+ Summe von 101 Prozent aus gerundeten Einzelergebnissen

Parteien 1919 1920 1923+ 1927 1930+

Christlichsoziale 36 42 45 49* 36

Sozialdemokratie 41 36 40 42 41

Deutschnationale 18 17 13 6 12°

Sonstige 5 5 3 3 12

Wahlergebnisse 1919 - 1930

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Duldung unternahm Starhemberg einen neuenAnlauf, die marode Heimwehr auf Vordermann zubringen und konzentrierte sich dabei auf zwei Punkte:Die Heimwehr nahm zähneknirschend zur Kenntnis,dass sie in den Städten den verhassten "Roten" nichtdas Wasser reichen konnte und es ihr nicht gelungenwar, Arbeiter in ernstzunehmendem Ausmaße zu ge-winnen. Folgerichtig wurde fortan versucht, vor allemunter den von der Wirtschaftskrise arg gebeuteltenBauern Mitglieder zu rekrutieren. In den Ballungs-zentren nahmen die Heimwehraufmärsche ab jetztpraktisch ausschließlich den Charakter von Macht-demonstrationen gegenüber der ArbeiterInnenbe-wegung an. Darüber hinaus war auch den größtenOptimisten innerhalb der Heimwehr durch dasWahlergebnis im November 1930 klar geworden, dasssie aus eigener Kraft die Macht im Staate nicht würdenerringen können. Deshalb versuchte Starhembergnach dem Vorbild der "Harzburger Front"27 alle rechtenund rechtsradikalen Organisationen unter derFührung der Heimwehr zu einem Bündnis zusammen-zufassen. Um mit den Nazis, die von den deutschenEntwicklungen bestärkt auch in Österreich rasch anEinfluss gewannen, handelseins zu werden, reisteStarhemberg Anfang 1932 nach Berlin und verhandel-te dort unter anderem auch mit Hitler persönlich.28

DIE HEIMWEHR VERSUCHT DIE EINIGUNG MIT DEN NAZIS

Bedingt durch die Wirtschaftskrise und einen vonFrankreich und seinen Verbündeten schließlich verei-telten Zollunionsplan Österreich-Deutschland fühltesich der deutschnationale Block der Heimwehr umPfrimer stark genug, einen Umsturz zu versuchen("Pfrimer-Putsch"). Unterstützt von deutschen Indus-triekreisen und Rechtsradikalen25 startete die steirischeHeimwehr am 13. September 1931 einen Putsch, derjedoch innerhalb kürzester Zeit desaströs zusammen-brach.

Auch wenn die Drahtzieher des Putsches samt undsonders frei gingen26, hatten sie nach einer solchenNiederlage keine Möglichkeiten mehr, Starhembergals bundesweiten Chef der Heimwehr in Frage zu stel-len. Im Juni 1931 trat das Kabinett Ender zurück,Grund dafür waren die gescheiterten Zollunionspläne,neuer Regierungschef wurde Buresch. Mit dessen

25 Der wichtigste deutsche Finanzier der Heimwehr hatte durch seineUnterstützung für die Nazis bereits Erfahrung im Sponsoring vonFaschisten: Albert Vögler, Generaldirektor der VereinigtenStahlwerke, ließ den Hahnenschwanzlern über die Alpine-Montan(den bedeutendsten Industriebetrieb in Österreich, der durch deut-sches Kapital dominiert war) große Summen zukommen. 26 Die Freisprüche gegen Pfrimer und Konsorten - trotz der Toten undVerletzten, die der Putsch gekostet hatte - spiegelten den generellenUmgang der Justiz mit politisch motivierter Gewalt wider. Ging dieGewalt, wie in diesem Fall, von der Rechten aus, galt sie als Kava-liersdelikt und wurde, wenn überhaupt, nur mit lächerlich geringenStrafen belegt, während linke Gewaltakte drakonisch geahndet wur-den.

27 Die "Harzburger Front" war jenes Abkommen gewesen, durch dassich die Nazis in Deutschland 1931 die grundsätzliche Unterstützunganderer rechter Organisationen gesichert hatten.28 Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass es der Heimwehr zukeinem Zeitpunkt darum ging, die Nazis grundsätzlich zu bekämp-fen: Solange sie den Führungsanspruch der Heimwehr nicht in Fragestellten, war man dort für weitgehende Allianzen jederzeit zu haben.

Die steirische Heimwehr unternimmt unter dem Kommando ihres Führers, des eingefleischten Nazi Walter Pfrimer, im September 1931 einen Putschversuch. ImVerlauf von Kämpfen werden mehrere Arbeiter von Heimwehrleuten getötet (links: Begräbnis eines Schutzbündlers). Pfrimer wird nach dem

Zusammenbruch des Putsches vor Gericht freigesprochen und verlässt unter dem Jubel seiner Anhänger den Gerichtssaal (rechts)

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Thematik auseinander setzten, unterwanderten dieseschrittweise und übernahmen sie schließlich. Auf dieseWeise konnten ganz unterschiedliche gesellschaftlicheGruppen mit teils widersprüchlichen Interessen ge-wonnen werden, von bäuerlicher Bevölkerung überAngestellte bis hin zu Gewerbetreibenden.

Waren die anfänglichen Mitgliederzuwächse eher be-scheiden, so stiegen sie in der Wirtschaftskrise ab 1930schlagartig an und explodierten Anfang 1933 richtig-gehend. Erst das Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933bremste den Zulauf wieder nachhaltig. Auffallend da-bei war besonders die hohe Fluktuation der Mit-glieder: Es war durchaus keine Seltenheit, dass diesemehrmals aus- und wieder eintraten, im Gegenteiltraf das auf etwa 45 Prozent aller Parteimitglieder vor1938 zu (!).29 Dieses Faktum beweist eindeutig, dassdie oft behauptete "magische Anziehungskraft" derNazis keineswegs so total war, wie im Nachhinein oftbehauptet, sondern dass sich schon in derAufstiegsphase viele wieder enttäuscht abwandten.Das ließe sich übrigens auch anhand des Ge-schlechterverhältnisses des NS-Wahlvolks nachweisen:Bis 1932 waren nur etwa 7 Prozent der österreichi-schen NSDAP-Mitglieder weiblich, 1933 kletterte die-ser Wert auf ca. 11 Prozent. Von der sozialen Herkunft

Den Christlichsozialen waren diesbezügliche Ambi-tionen Starhembergs begreiflicherweise nicht ganz ge-heuer. Um die Wirtschaftskrise zu bewältigen, bemüh-te sich Buresch intensiv um neue Auslandskredite undverhandelte zu diesem Zweck mit Frankreich. Gleich-zeitig nahm der Bundeskanzler eine Kabinetts-umbildung vor: Der Schober-Block flog aus der Koali-tion, an seine Stelle trat der ebenfalls deutsch-nationale Landbund, der den Heimwehr-Bestrebungenskeptisch gegenüberstand. Als die Heimwehr sich denVerhandlungen mit Frankreich massiv widersetzte,wurde von der Regierung einmal mehr ihre Ent-waffnung erwogen. Aber wie auch davor in solchenFällen wurde letztlich davon abgesehen - im Hinblickauf die Sozialdemokratie meinten die Herren, auf ih-ren Kettenhund nicht verzichten zu können.

DIE NAZIS VERBUCHEN NACH LANGERDURSTSTRECKE ERSTE ERFOLGE

Nach der tiefen Krise von 1923 organisierten sich dieösterreichischen Nazis im Jahr 1926 neu. Sie nanntensich jetzt "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-partei - Hitlerbewegung" und unterstellten sich in ih-rem Statut der deutschen NSDAP. Wie die Nazis im"Altreich" setzten auch ihre Konsorten in der "Ost-mark" auf ein ausgeklügeltes System von Vor-feldorganisationen. Diese konzentrierten sich jeweilsauf ganz spezifische Teile des Parteiprogramms. Sieknüpften Kontakte zu bereits bestehenden Gruppenund Organisationen, die sich mit der gleichen

29 Vgl. Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichi-schen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich,in: Perz, Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien,S 34.

Nazis in Innsbruck 1933.Die österreichischen Nazisprofitieren massiv von derWirtschaftskrise. IhreWahlsiege gehen aber fastvollständig zulasten derbürgerlichen Parteien, un-ter demokratischen Vor-zeichen erweist sich das so-zialdemokratische Klientelals weitgehend resistent

s

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Berufsgruppe Anteil unter denNSDAP-Mitglie-dern

Anteil an der Ge-samtbevölkerung

Bauern 13,8 % 10,8 %

Selbständige (Gewerbe/Handel) 6,4 %12,3 %*

Handwerker 11,7 %

Arbeiter 18,1 % 53,5 % °

Angestellte 14,9 % 11,4 %

Beamte 26,5 % 10 %

Freie Berufe 4,3 % 1 %

Studenten 4,3 % k.A.

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Ein Ereignis im April 1932 steigerte die Nervositätinnerhalb von Regierung und Heimwehr beträchtlichund bestärkte und vereinte sie schließlich auch in ih-rem Streben nach einer raschen und "totalen" Lösung:Bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 24.April 1932 konnten die Nazis gewaltige Zugewinneverbuchen. Wie schon zuvor in Deutschland gelangdieser Sieg aber nicht auf Kosten der Linken, die eben-falls vielerorts hatte zulegen können, sondern es mus-sten vor allem die Rechtsparteien, allen voranLandbund und Großdeutsche, Federn lassen. Aberauch die christlichsozialen Verluste an die Nazis warenbeträchtlich.

DER WEG IN DIE DIKTATUR

Ab diesem Zeitpunkt war das österreichischeKräfteverhältnis neu gemischt. Die Christlichsozialenhatten entweder die Möglichkeit, gemeinsam mit denSozialdemokratInnen dem wachsenden Einfluss derNazis entgegenzuwirken, oder gemeinsam mit denNazis die Sozialdemokratie endgültig zu zerschlagen.Als dritte Option blieb ein Zweifrontenkrieg, sowohlgegen die Linke, als auch gegen die Nazis. Nachdemaber bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mehrdamit zu rechnen war, dass eine rechte Mehrheit ab-seits der Nazis möglich sein würde, musste rasch eineEntscheidung her. Als Verbündete für eine christlichso-ziale Diktatur bot sich die Heimwehr an. Denn durchdie starken Zugewinne der Nazis war spätestens jetztendgültig klar, dass in einer österreichischen Neu-auflage von Harzburg nicht nur die Heimwehr, son-dern auch die Nazis einen Führungsanspruch geltendmachen würden. Nach den Landtags- und Gemeinde-ratswahlen forderten sowohl Nazis als auch Sozial-demokratie vehement Neuwahlen.30

ihrer Mitglieder her waren die Nazis ebenso wie inDeutschland vor allem eine mittelständische Partei.

Erst die Zerschlagung der Sozialdemokratie und derfreien Gewerkschaften durch die Dollfuß-Diktaturmachte es den Nazis möglich, in der ArbeiterInnen-schaft Fuß zu fassen. Die österreichische NSDAP waralso lange Zeit besonders eine Partei von An-gestellten, BeamtInnen und AkademikerInnen. Ihrgelang es auch nur kaum, Anfang der 20er rechteKriegsheimkehrer an sich zu binden - diese organi-sierten sich vorrangig in der Heimwehr. Der Aufstiegder Nazis ging in erster Linie auf Kosten der Groß-deutschen Partei, etwas abgeschwächt auch derChristlichsozialen. Erst relativ spät gelang derEinbruch ins bäuerliche Milieu, wo bis in die 30erJahre der "Konkurrenzfaschismus" der Heimwehr ton-angebend war. Die Entwicklung der NSDAP zurMassenpartei geschah in Österreich ebenso wie inDeutschland erst unter dem Eindruck der Wirt-schaftskrise.

* Selbstständige in Handel, Gewerbe und Handwerk zusammen° Arbeiter und unselbstständige Handwerker zusammen

Quelle: Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichischenFaschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz,Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 41.

Die Sozialstruktur der NSDAP in Österreich 1932

30 Die Führung der SDAPÖ hoffte, durch Neuwahlen erneut Stimmenzulegen zu können und die Christlichsozialen (weil diese stark an dieNazis verloren hätten) in eine Koalition gegen die Nazis "zwingen"zu können - eine naive Annahme. Die Nazis ihrerseits hatten ähnli-ches unter umgekehrten Vorzeichen im Sinn. Sie wollten dieChristlichsozialen in ein "Harzburg" unter ihrer Führung drängen.

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Während sich die Sozialdemokratie passiv und abwar-tend verhielt, wurde sie von Dollfuß und seinen faschi-stischen Handlangern permanent provoziert und öf-fentlich gedemütigt: Das Parteiorgan der SDAPÖ, die"Arbeiterzeitung" wurde beschlagnahmt und mit derAuflösung des Schutzbundes in Tirol dessen landes-weites Verbot eingeläutet.

Gleichzeitig erhielt die Heimwehr, von der dauerndÜberfälle und Anschläge auf die Linke ausgingen, offi-ziell den Status einer "Notpolizei". Hinzu kam eine

Unter dem Druck dieser Forderungen trat BureschAnfang Mai 1932 zurück. Sein Nachfolger wurde derbisherige Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß.Er suchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit denAusgleich mit den deutschnationalen Kräften, soweitdiese (noch) keine deklarierten Nazis waren. Um die"Völkischen" einzubinden, holte Dollfuß drei deut-schnationale Heimwehrführer, unter ihnen den steiri-schen Landeshauptmann Rintelen, in die Regierung.Diese Maßnahme wiederum rief das faschistischeItalien auf den Plan: Um ein Erstarken anschluss-freundlicher Kräfte zu verhindern und eine baldige"Abrechnung mit dem Marxismus" zu forcieren, stei-gerte Mussolini seine Unterstützung für die Heimwehrdrastisch.

Seine Hilfe bestand unter anderem in riesigen illega-len Waffenlieferungen. Eine davon wurde im Jänner1933 durch Eisenbahngewerkschafter aufgedeckt unddie Causa sorgte als "Hirtenberger Waffenaffäre" imIn- und Ausland für Schlagzeilen. Konsequenzen fürdie Heimwehr blieben aber wie immer aus.Allerspätestens jetzt hätte der Sozialdemokratie klarsein müssen, dass sie in ihrem Hoffen auf eine antifa-schistische Koalition gemeinsam mit den Christ-lichsozialen einem Wunschtraum aufgesessen war.Dollfuß war nicht an einer Koalition mit den verhas-sten "Bolschewiken" interessiert. Statt dessen einigteer sich mit Starhemberg und legte sich damit auf einenantidemokratischen Kurs fest.31

31 Es hat also keineswegs - wie heute oft noch behauptet - nur den Weg in die Diktatur gegeben. Es war eine politische Entscheidung derChristlichsozialen, nicht in einer gemeinsamen Front mit den SozialdemokratInnen den faschistischen Strömungen die Stirn zu bieten. Es war einepolitische Entscheidung, gemeinsam mit der Heimwehr eine Diktatur zu errichten und den einzigen mächtigen Verbündeten im Kampf gegenrechts, die Sozialdemokratie, niederzumachen. Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg verkannten die politische Lage völlig. Um den Nazis imeigenen Land Paroli bieten zu können und dem Druck durch das faschistische Deutschland Stand zu halten, wäre die einzige Perspektive mit tat-sächlichen Erfolgsaussichten ein Bündnis mit der Sozialdemokratie gewesen. Die aber wurde zerschlagen, ihre FunktionärInnen verfolgt, einge-sperrt und ermordet. Damit lieferten sich der "Ständestaat" und seine christlichsozialen Diktatoren auf Gedeih und Verderb dem ebenfalls faschi-stischen Italien aus. Von diesem endgültig fallen gelassen, konnte dem Vordringen des deutschen Faschismus einige Jahre später nichts mehr ent-gegengesetzt werden.

Streikende Eisenbahner am 1. März 1933. Sie protestieren gegen die offensichtlichen Putschpläneder Heimwehr, der Streik wird auf Befehl von Dollfuß durch die Exekutive gewaltsam unterdrückt

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Der somit vorprogrammierte Konflikt mit den Nazishielt Dollfuß aber nicht davon ab, weiterhin aus-schließlich gegen die Linke vorzugehen. Gestützt aufdie "Hahnenschwanzler" ging es ab dem Frühjahr1933 Schlag auf Schlag:

Am 4. März wurde unter fadenscheinigen Gründen dasParlament ausgeschaltet33. Dollfuß regierte von nun andiktatorisch mit Hilfe von Notverordnungen auf Basisdes "kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes"von 1917, das seine Juristen ausgegraben hatten, umder Beseitigung der Demokratie einen legalenAnstrich zu verpassen.34 Am 7. März wurde die Presse-Vereins- und Versammlungsfreiheit massiv einge-schränkt. Am 31. März 1933 wurde der Repu-blikanische Schutzbund verboten, ein Monat späterkam es zu großangelegten Verhaftungswellen gegenMitglieder und FunktionärInnen der ebenfalls aufge-lösten KPÖ. Zeitgleich wurde der traditionelle "Mai-aufmarsch" der Sozialdemokratie verboten.

Währenddessen hatten die Nazis Zeit, in aller Ruheihre Offensive vorzubereiten. Als vom Deutschen Reicham 27. Mai 1933 die "1000-Mark-Sperre"35 erlassenwurde, um den österreichischen Fremdenverkehr zumErliegen zu bringen, war der Moment zum Los-schlagen gekommen: Mit einer bis dahin beispiellosenTerrorwelle überzogen die Nazis Österreich. Und nun

permanente Terrorisierung der Sozialdemokratiedurch Polizei, Bundesheer und Heimwehr, offiziell als"Waffensuchen" bezeichnet.

Im Jänner 1933, mitten in der Aufregung um die ita-lienischen Waffenlieferungen an die Heimwehr, wurdevon der Exekutive ein Eisenbahnstreik gewaltsamunterdrückt. Auch darauf reagierte die Sozialdemo-kratie nur sehr verhalten und beschränkte sich auf for-melle Proteste. Aus heutiger Sicht scheint es fast so, alsob sich ihre Führung schlicht weigerte, die Realität an-zuerkennen - dass Dollfuß' Politik sich ausschließlichgegen sie und kaum gegen die Nazis richtete. Mit denen war der Kanzler nämlich durchaus bereit zupaktieren - trotz der permanenten Gewalt, die von ih-nen gegen andere Gruppen, vor allem gegenSozialdemokratInnen, ausging.32 Unter der Voraus-setzung, dass sie seiner als "Verfassungsreform" be-zeichneten, endgültigen Abschaffung der Demokratiezustimmten, bot Dollfuß den Nazis wiederholt eineRegierungsbeteiligung an. Die österreichischen Nazisstanden grundsätzlich einem Bündnis mit Dollfuß undder Heimwehr zwar offen gegenüber, lehnten aber ab,nachdem Berlin Druck auf sie ausgeübt hatte.

Während Dollfuß die Sozialdemokratie Schritt für Schritt drangsalieren und demütigenlässt, wird die faschistische Heimwehr von der Regierung zur "Notpolizei" ernannt. Jetzt

wird sie auch hochoffiziell aus den Arsenalen des Bundesheeres und der Polizei mitWaffen versorgt. Im Bild: An die nunmehrigen "Notpolizisten"

werden Gewehre aus Polizeibeständen ausgegeben

33 Von der vielzitierten "Selbstausschaltung" konnte keine Rede sein.Nachdem während der Sitzung am 4. März alle drei Parlaments-präsidenten zurückgetreten waren, um als einfache Abgeordnete aneiner Abstimmung teilnehmen zu können, war das Parlament zwarkurzzeitig ohne Präsidenten, existierte aber natürlich als gesetzge-bende Kraft weiterhin. Dollfuß ließ seine Polizei mit Waffengewaltein neuerliches Zusammentreten des Nationalrats verhindern undsprach davon, der Parlamentarismus habe "sich selbst geköpft".34 Wie wackelig das Konstrukt der "Notverordnung" war, ist aus derTatsache ersichtlich, dass dem Verfassungsgerichtshof, der durchge-hend aus Gefolgsleuten von Dollfuß bestand, nichts anderes übrig ge-blieben wäre, als die Verordnungen aufzuheben. Bevor es aber dazukam, wurde der Verfassungsgerichtshof liquidiert.

32 Die Nazis hatten ihre terroristischen Aktivitäten während desJahres 1932 kontinuierlich gesteigert und übertrafen schon gegenEnde der ersten Jahreshälfte die Heimwehr in der Zahl von Überfäl-len auf sozialdemokratische Einrichtungen und Veranstaltungen.Ein wichtiger Grund dafür war besonders die Befürchtung, größereTeile der eigenen Basis könnten zur SDAPÖ überlaufen. Um das zuverhindern, waren die Nazis daran interessiert, die Sozialdemokratieso schnell als möglich aus dem Weg zu räumen.

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waren zur Überraschung der Christlichsozialen nichtmehr nur sozialdemokratische Einrichtungen Ziel derbraunen Banden. In den nächsten zwei Monaten kam es beinahe täglichzu Bombenanschlägen, Attentaten und Überfällen.Weil die Strategie der Nazis offensichtlich die völlige

Destabilisierung der innenpolitischen Situation zumZiel hatte, sah sich Dollfuß gezwungen zu handeln.Die NSDAP wurde im Juni 1933 verboten und gegendie deutsche Unterstützung ihrer gewaltsamenUntergrundaktivitäten protestiert. Es ist aber festzu-halten, dass die Nazis durch ihre EskalationsstrategieDollfuß zu diesem Schritt drängten. Der Kanzler selbstwäre viel lieber mit ihnen handelseins geworden, stattnun einen - wie er meinte - "Bruderkrieg" führen zumüssen. Je mehr die Nazis der österreichischenRegierung zu schaffen machten, desto größer wurdeder Einfluss der Heimwehr. Ihr schanzte Dollfuß dasgerade in dieser Situation äußerst wichtige Sicher-heitsministerium zu, das Emil Fey fortan bekleidete.

35 Alle Deutschen, die fortan nach Österreich reisen wollten, musstendafür die astronomisch hohe Summe von 1.000 Reichsmark bezah-len. Die Auswirkungen waren nicht nur für den österreichischenFremdenverkehr, sondern für die gesamte Volkswirtschaft fatal. DieseProvokation war der offene Versuch, Österreich nicht mehr nur voninnen zu destabilisieren, sondern es auch von außen wirtschaftlich inden Schwitzkasten zu nehmen. Dollfuß wusste jetzt, dass eineKonfrontation mit den Nazis unausweichlich war - und tat, als seinichts geschehen. Er rüstete weiterhin zur endgültigen Zerschlagungder Sozialdemokratie.

1. Mai 1933 in Wien: Nachdem die Regierung den traditionellen so-zialdemokratischen Maiaufmarsch verboten hat, ruft die Parteilei-tung der SDAPÖ ihre AnhängerInnen zu einem "Mai-Spaziergang"auf. Das Bundesheer riegelt Straßenzüge mit Stacheldraht ab und

überwacht die DemonstrantInnen mit schussbereiten MGs. Wer sich "auffällig" verhält wird verhaftet (unten)

Nazis haben eine Lokomotivegesprengt. Obwohl die Brau-nen permanent im ganzenLand Bombenanschläge undAttentate verüben, richtet sichdie Politik der RegierungDollfuß fast ausschließlichgegen die Linke

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berg eine Woche später die Heimwehr-Parla-mentsfraktion, den "Heimatblock", auf und überführteihn in die im Mai 1933 gegründete "VaterländischeFront" (VF). Die VF war nach dem Vorbild der faschisti-schen Bewegungen in Italien und Deutschland geformtund sollte die Einheitspartei des künftigen faschisti-schen Staates darstellen.36

Im Herbst und Winter 1933 bemühte sich Dollfußweiterhin verbissen um ein Arrangement mit denNazis, während er gleichzeitig alle Angebote derSozialdemokratie zu einer Zusammenarbeit aus-schlug. Somit konnte niemandem mehr verborgenbleiben, wen der Kanzler tatsächlich zu bekämpfengedachte.

Erst jetzt begann die SDAPÖ, zögernd und viel zu spät,Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen. Im Herbst1933 wurde beschlossen, einer endgültigen Auflösungder Partei bzw. der Gewerkschaft mit einem General-streik, notfalls auch mit Waffengewalt, zu begegnen.37

Die Österreichische Sozialdemokratie hatte mitange-sehen, was mit ihrer Schwesterpartei in Deutschlandnach der Machtübernahme der Nazis geschehen war.Sie wusste, dass ihr eigenes Bestehen direkt mit Öster-reichs Eigenständigkeit verknüpft war. Daher wäre diePartei zu sehr weitgehenden Zugeständnissen bereitgewesen, um mit den Christlichsozialen eine Koalitioneinzugehen und gemeinsam die Nazis, und damit ei-nen drohenden Anschluss, zu bekämpfen. An sozialde-mokratischen Angeboten zur Zusammenarbeit man-gelte es nicht - doch Dollfuß setzte seinen Feldzug ge-gen die Linke unbeirrt fort. Er sah ausgerechnet im fa-schistischen Italien den einzigen Garanten der öster-reichischen Unabhängigkeit. Dieser Kurs war selbstinnerhalb des bürgerlichen Lagers nicht unumstritten:Zu den GegnerInnen der Dollfußschen Politik zähltenneben prominenten Köpfen der Christlichsozialen auchder Landbund-Vizekanzler Winkler. Um sich dieserKritiker zu entledigen, nahm Dollfuß im September1933 abermals eine Kabinettsumbildung vor und er-nannte Fey zum Vizekanzler - eine weitere Auf-wertung der Heimwehr. Im Gegenzug löste Starhem-

36 Nach der endgültigen Ausschaltung der Demokratie im Mai 1934wurde die "Vaterländische Front" per Gesetz zur einzigen politischenOrganisation Österreichs, in ihr ging schließlich auch die Heimwehrauf. VF-Führer wurde zunächst Engelbert Dollfuß, sein StellvertreterStarhemberg. Nach den Worten von Dollfuß konnte "jedermann [alsoauch Nazis, Anm.] Mitglied der VF werden, außer Sozialisten undKommunisten". Nach Dollfuß’ Ermordung war Starhemberg bis zuseiner politischen Entmachtung 1936 Führer der VF.

Major a. D. Emil Fey in vollerAdjustierung. Ausgerechnetder rabiateste Scharfmacherunter den Heimwehrführernwird von Dollfuß im Mai1933 zum Sicherheits-minister ernannt

Dollfuß kündigt auf einer VF-Großveranstaltung am 11. September1933 auf dem Wiener Trabrennplatz die endgültige Errichtung einerDiktatur an. Die Rolle der Einheitspartei nach faschistischem Mustersoll die VF übernehmen

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04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

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Arbeiterkammern abgesetzt. Am 3. Februar wurdendie wichtigsten Führer des RepublikanischenSchutzbundes verhaftet und als sich noch immer keinWiderstand regte, der einen Grund zum militärischenLosschlagen geboten hätte, wurde am 8. Februar auchnoch das sozialdemokratische Parteihaus in Wien vonbewaffneten Exekutivkräften durchsucht.

Während in den Bundesländern die Heimwehr schonbegonnen hatte, sozialdemokratische Einrichtungenund Organisationen per Verordnung aufzulösen, be-gann damit auch der Sturm auf das "Rote Wien". Am11. Februar 1934, dem Vorabend der Kämpfe, verkün-dete Vizekanzler Fey bei einer Heimwehr-Veran-staltung in Langenzersdorf, Dollfuß habe für denEndkampf gegen die Sozialdemokratie grünes Lichtgegeben: "Die Aussprachen von vorgestern und ge-stern haben uns die Gewissheit gegeben, dass KanzlerDr. Dollfuß der unsrige ist ... Wir werden morgen andie Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit lei-sten."

Das Jahr 1934 begann mit einer erneuten braunenTerrorkampagne: Alleine im Jänner 1934 verübten dieNazis 140 Bombenanschläge in Österreich. Dazu ka-men fast tägliche Übergriffe durch von Deutschlandaus agierende bewaffnete Kommandos der "Österrei-chischen Legion".38 Dollfuß ließ bei Mussolini anfra-gen, wie dieser über die österreichische Entwicklungdenke und befolgte den postwendenden Rat des"Duce": Um den Nazis den Wind aus den Segeln zunehmen, solle endgültig Schluss gemacht werden mitden "marxistischen Umtrieben", in der eigenenPropaganda der Antisemitismus etwas stärker betontund die endgültige Faschisierung Österreichs durcheine entsprechende Verfassungs"reform" rasch abge-schlossen werden.39

Das Trio Dollfuß-Starhemberg-Fey ließ sich nicht lan-ge bitten: Ende Jänner 1934 kam es erneut zuWaffensuchen, die lediglich darauf abzielten, denSchutzbund zu provozieren. Zur selben Zeit wurde vonder Regierung die demokratisch gewählte Führung der

37 Es blieb damit aber bei einer rein defensiven Strategie, die auf einefaktische Akzeptanz der Präsidialdiktatur von Dollfuß hinauslief.38 Die "Österreichische Legion" war eine bewaffnete Miliz österreichi-scher Nazis, die nach Deutschland geflüchtet waren. Angehöriger ei-ner dieser Gruppen, die bei einem Überfall auf eine österreichischeGrenzstation einen Gendarmen tötete, war übrigens Robert Haider,der Vater Jörg Haiders.39 Wie sehr sich Dollfuß am italienischen Faschistenführer orientierteund anbiederte, ist glänzend nachzulesen im geheimen Briefwechselder Beiden, der nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde -siehe Literaturliste im Anhang.

Die Selbstbeweihräucherung der Totengräber derDemokratie: "Bauet auf das neue Österreich. Gemeinsam

ans Werk mit Dollfuß - Starhemberg"

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Arbeiterklasse bisher erreicht hatte: die demokrati-sche Republik."40

Mit anderen Worten: Der jungen Demokratie, die demKaiserreich gefolgt war, wurde keineswegs ungeteilteSympathie entgegengebracht. Viele, die zu KaisersZeiten privilegiert gewesen waren, bangten um ihrePositionen und fürchteten einen sozialen Abstieg.Großgrundbesitzer, Aristokratie, Fabriksbesitzer undBankiers, denen die kurz vorangegangene RussischeRevolution noch gut in Erinnerung war, fürchteten eineähnliche Entwicklung nun auch in Österreich. Hinzukamen viele heimkehrende Soldaten, die vom Kriegschwer traumatisiert waren, nicht mehr ins zivileLeben zurückfanden und sich durch die herrschendeWirtschaftskrise jeglicher Perspektiven beraubt sahen.Alle diese Leute waren geeint vom Hass auf die jungeRepublik und wollten sie lieber heute als morgen wie-der beseitigt sehen. Versuche des abgesetzten Habs-burgerkaisers Karl I., in Ungarn 1921 durch einenPutsch an die Macht zu kommen, zeigten deutlich, dasses auch in Österreich vermutlich nicht bei verbalenHasstiraden gegen die Demokratie bleiben würde. DieAnhängerInnen der Republik standen daher vor derOption, entweder tatenlos auf rechte Versuche zu war-ten, die "alte Ordnung" wiederherzustellen, oder

Nachdem die alte Ordnung mit dem Ende des ErstenWeltkrieges zusammengebrochen war, machte sich inner-halb der Sozialdemokratie vor allem der linke Flügel um

Otto Bauer und Julius Deutsch für die Aufstellung einesneuen Militärapparates stark. Aufs Erste mag das heute

paradox klingen, denn nie zuvor war Pazifismus sopopulär, selten Krieg und Militär allgemein so

verhasst, wie nach den vier Jahren des großen Grauens in den europäischen

Schützengräben.

Warum galt das Hauptaugenmerk der Linken zur sel-ben Zeit, als Offizieren in den Straßen die Rang-abzeichen von den Uniformen gerissen, sie beschimpftund verhöhnt wurden, ausgerechnet dem Aufbau einerneuen Armee? Der spätere politische Führer desSchutzbundes, Julius Deutsch, meinte zu diesemscheinbaren Widerspruch: "War man pazifistisch ge-sinnt, dann musste man die Kasernen meiden und denAufbau eines neuen Heeres zu verhindern versuchen.Stellte man sich aber auf den Boden der Revolution,dann galt es, gerade umgekehrt zu verfahren, nämlichselbst in die Kasernen einzudringen und eine revolu-tionäre proletarische Wehrmacht aufzustellen. Selbstwenn man nämlich nicht an die Möglichkeit einerdurchgreifenden, gesellschaftlichen Umwälzung in die-sem Augenblick glaubte, musste man auf dieAufstellung einer verlässlichen Truppe bedacht sein,um wenigstens das schützen zu können, was die

EXKURS I

DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUNDBILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE

Friedensdemonstration in Wien 1922. Noch niezuvor war Pazifismus so populär wie nach dem

Ende des Ersten Weltkrieges

40 Julius Deutsch (o. J.): "Wehrmacht und Sozialdemokratie", Berlin,S. 15.

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05| DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND

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Die Bürgerlichen bemühten sich daher nicht ohneGrund, bei den Friedensverhandlungen mit denAlliierten zu erreichen, dass Österreich eine eigeneArmee gänzlich untersagt wurde. Zur alleinigen be-waffneten Macht im Staat sollten nach den Vor-stellungen der Konservativen Polizei und Gendarmeriewerden, die nach wie vor mehrheitlich rechts standen.Dem Wunsch wurde von den Alliierten zwar nur zumTeil entsprochen, die sozialdemokratischen Vorstel-lungen aber gänzlich zunichte gemacht: Österreichwurde ausschließlich ein kleines Berufsheer zuge-standen. Damit hatte die Rechtsregierung, die 1920der Koalition von Christlichsozialen und Sozial-demokratie folgte, alle Möglichkeiten in der Hand, dieVolkswehr zu einem willfährigen Instrument ihrerPolitik umzubauen. Und die Bürgerlichen wussten ihreChance zu nutzen - innerhalb weniger Jahre machtensie durch Entlassungen, Versetzungen und Aus-schaltung der Soldatenräte den sozialdemokratischenEinfluss auf das Militär zunichte.

In dem Maß, in dem der Einfluss der SDAPÖ auf dieArmee sank, nahmen gewalttätige Übergriffe undMorde durch rechte Organisationen und Gruppen zu.

Nach der Ermordung des Semperit-Betriebsrats KarlBirnecker Anfang 1923 in Wien war auch der letzteRest Unklarheit beseitigt: Der organisierten Gewaltvon rechts musste eine organisierte Verteidigung vonlinks entgegenstellt werden. Mit der Gründung desRepublikanischen Schutzbundes wurden zunächst nurbereits bestehende Arbeiterwehren organisatorischunter einem Dach erfasst.

Von einer nach traditionellem Muster militärisch diszi-plinierten Parteiarmee war die neue Organisation weitentfernt: Wert gelegt wurde neben der "Wehr-haftmachung" besonders auf die politische Erziehungder Mitglieder. Der Schutzbund wurde so zu einerGruppe mit regem Eigenleben und entwickelte eineselbstständige Organisationskultur. Seine Aktivistenverstanden sich nicht nur militärisch, sondern auch po-litisch als "Garde der Arbeitenden".

Vorkehrungen zu treffen, reaktionäre Umsturzver-suche im Keim zu ersticken.

Die österreichische Sozialdemokratie entschied sich fürdie zweite Variante und sicherte damit vorerst nichtnur die republikanische Staatsform, sondern auch allein ihrem Rahmen erreichten Zugeständnisse an dieArbeitenden.Noch in Kriegszeiten hatte der ehemalige OffizierDeutsch Pläne für ein republikanisches Militär entwor-fen und konkrete Vorbereitungen zu dessen Ver-wirklichung getroffen. Als mit dem Ende der Monar-chie auch deren Armee unterging und die heimkeh-renden Soldaten zu hunderttausenden in endlosenKolonnen durchs Land zogen, wurde in Wien die"Volkswehr" gegründet. Ihre Soldaten erhielten 6Kronen Taggeld, die SDAPÖ sorgte für systematischeEintrittswellen eigener Anhänger und sicherte sich da-mit Einfluss auf das Geschehen hinter den Kaser-nenmauern. Erheblich erleichtert wurde das Ganzedurch die herrschende Massenarbeitslosigkeit - sie be-wog viele Soldaten dazu, sich freiwillig für dieVolkswehr zu melden, um zumindest ein wenig Geld,Unterkunft und regelmäßige Verpflegung zu erhalten.

Blieb als Problem noch ein Offizierskorps, das sichmehrheitlich aus Monarchisten rekrutierte. Um hierein Gegengewicht zu schaffen, wurde für die neueArmee von ihren sozialdemokratischen Architektendas gewerkschaftliche Organisationsmuster aus denBetrieben übernommen: In der Volkswehr entstandein Vertrauensmännersystem. Die von Linken domi-nierten "Soldatenräte" waren die eigentlichen Trägerder Autorität, ohne deren Zustimmung gar nichts ging.Als Dauerlösung war die Volkswehr aber auch aus so-zialdemokratischer Sicht nicht akzeptabel. Die SDAPÖstrebte ein Milizsystem an, also die allgemeineWehrpflicht. Zusätzlich sollte das Heer weitestmöglichdemokratisiert werden. So sollte sichergestellt werden,dass die Armee sich im Fall bewaffneter sozialerAuseinandersetzungen neutral verhielt. Arbeiter inUniform, so die Überlegung, würden sich Befehlen, aufihresgleichen zu schießen, widersetzen.

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In der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde die Gefahr,die Demokratie könnte durch die Bürgerlichen besei-tigt und durch eine Diktatur ersetzt werden, immer re-aler. Die sozialdemokratische Parteiführung meinte,dem am besten durch den Aufbau einer Drohkulissebegegnen zu können. Durch die Schaffung einer lin-ken "Gegenarmee" sollte signalisiert werden: "Sehther, wir sind stark, wir sind straff militärisch organi-siert, solltet ihr es drauf ankommen lassen, wird euchdas immense Opfer kosten." Im Geiste dieser Strategiewurde der Schutzbund 1927 neu organisiert: Statt po-litischen Diskussionen und Bildungsveranstaltungenkehrten Kasernenhofdrill und Kadavergehorsam ein,die Führung übernahmen "Fachleute" - ehemaligeOffiziere der k. u. k.-Armee strukturierten den Schutz-bund nach dem Vorbild jener Armee, in der sie einstDienst getan hatten.

Die Entpolitisierung, die nun stattfand, hatte jedochschwerwiegende Folgen. Vehement kritisiert wurdedas interessanterweise besonders vom ehemaligenGeneral Theodor Körner, an sich keineswegs ein

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Parteilinker. Doch Körner war militärtheoretisch be-wandert und hatte sich intensiv mit den Erfahrungender Russischen Revolution und der Taktik vonAufstandsbewegungen in Kolonien auseinanderge-setzt. Dabei war er zu dem Schluss gelangt, dass dieArbeiterInnenschaft in einer bewaffneten Auseinan-dersetzung nur dann siegen konnte, "wenn alle [inihr] schlummernden Kräfte freigemacht werden undden reaktionären militärischen Aktionen etwas ganzAnderes, Verblüffendes, nicht ganz Selbstverständ-liches gegenübertritt."41

Folglich hielt Körner die "geistlose Militarisierung" desSchutzbundes für katastrophal und den Versuch füraussichtslos, ein "Konkurrenzunternehmen" zum her-kömmlichen, besser ausgerüsteten und gedrilltenMilitär schaffen zu wollen. Statt dessen plädierte erdafür, sich in einem Stadtguerilla-Kampf jene Stärkender ArbeiterInnenbewegung zunutze zu machen, überwelche die Gegenseite nicht verfügte. Der Schutzbundkönne nur durch eine "Taktik der tausend Nadelstiche"erfolgreich sein. Dazu seien zwei Dinge unbedingt

41 Schreiben an Karl Renner, zitiert nach: Der Standard, 14./15.Februar 2004.

Durch die Neustrukturierung1927 kehren im SchutzbundKasernenhofdrill und militäri-sches Exerzieren anstelle politi-scher Diskussionen und Schu-lungen ein. Ein verhängnisvollerFehler, wie sich spätestens inden Februar-Kämpfen 1934 zei-gen wird

Theodor Körner. Der ehema-lige General kritisiert 1927

vehement die Reform desSchutzbundes und warnt vor

einer "geistlosen Militari-sierung". Im Ernstfall, meintKörner, wird der Schutzbundmit dieser Strategie auf ver-

lorenem Posten stehen

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06| ZEITZEUGENBERICHTE

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notwendig: Erstens müsseder Schutzbund integrier-ter Bestandteil der SDAPÖsein, damit seine Kämpferim Ernstfall mit der Unter-

stützung durch die Massenbasis der Partei rechnenkonnten. Zweitens sei ein streng hierarchischer Aufbausinnlos - stattdessen sollten kleine, hoch motivierte (d.h. politisierte) Trupps, die mit ihrer direkten Um-gebung bestens vertraut waren, Aktionen selbststän-dig durchführen, ohne dauernd auf Anweisungen "vonoben" warten zu müssen.

Der alte General sollte Recht behalten. DerSchutzbund war bei Ausbruch der Bürgerkrieges groß-teils gelähmt, weil seine Anführer bereits im Vorfeldverhaftet worden waren. Dadurch sahen sich dieKämpfer einer Situation gegenüber, auf die sie nie-mand vorbereitet hatte - ohne Befehle, ohne Zugangzu den Waffenverstecken, ohne klare Zielvorgabenund vor allem ohne breite Unterstützung durch dieParteibasis war ihr Unternehmen von vornherein aus-sichtslos.

Bruno Kreisky kommentierte die Kritik Körners unddie fatalen Auswirkungen des Schutzbundkonzepts von1927 in einem Interview später so: " ... Es hat einenweiteren furchtbaren strategischen Fehler gegeben.Unter dem Kommando von Alexander Eifler, der ja einMilitär war, und unter denen, die den Schutzbund or-ganisiert hatten, hat man die These vertreten:Zivilisten sollen sich von Kämpfen fernhalten. Das ma-chen wir, wir sind die Armee. Das war konzeptiverWahnsinn. Entweder, man bereitet sich auf einenBürgerkrieg vor, dann muss jeder an die Front, auchjede Frau, dann muss alles mobilisiert werden, oderman hat eine Privatarmee. Nun ist der Kopf desSchutzbundes ein paar Tage vor den Kämpfen verhaf-tet worden und damit war der ganze Schutzbund beimTeufel."

Franz Leschanz (Schutzbündler) Über den Ausbruch der Kämpfe

im Linzer SDAPÖ-Parteihaus "Hotel Schiff":

"Wir konnten von oben das ganze Stiegenhaus überse-hen. Mäuschenstill war's, nur von unten hörte man dasRasseln der nicht passenden Dietriche. Fünf Minuten,zehn Minuten - schließlich ging die Tür auf und diePolizisten betraten die ersten Stufen des Stiegen-hauses. Aber nur die Ersten. Da krachte schon eineSalve und unter lautem Getöse platzten einigeHandgranaten. Sofort nahm auch vom Fenster aus un-ser Maschinist, Genosse Kunz, das Hoftor unterMaschinengewehrfeuer, begleitet von Gewehrschüssen,so dass die Polizisten zwischen den beiden Schuss-linien - Stiegenhaus und Hof - eingeschlossen waren.Dumpf krachten die Handgranaten im Hof und künde-ten den Genossen in der Stadt: Alles zu den Waffen!

In einer Kampfpause traf uns aber ein schwererSchlag. Maschinist Kunz, der gerade in den Hof blickte,brach nach einem scharfen Knall lautlos zusammen,während der zersprungene Stahlhelm dumpf amBoden aufschlug. An das Maschinengewehr konnteniemand von uns mehr gelangen, es wurde wütendunter Feuer gehalten. Dadurch wurde es dem Militärmöglich, eine äußerst günstige Kampfposition zu be-ziehen, da es jetzt die ganze gegenüberliegendeHäuserfront - noch dazu einen Stock höher - besetzenkonnte. Wir spürten deutlich, dass sich die Sache demEnde näherte. Da rief uns ein Polizeioffizier zu, erwolle uns einen Parlamentär zum Verhandeln schick-en. ´Ich werde Euch einen Parlamentär geben!´schrie empört ein Genosse zurück. Aber von allenSeiten widersprach man ihm. ´Waffen wegwerfen,

Motorisierte Abteilung desLinzer Schutzbundes (links).Schutzbund als Familienpro-jekt - ein Arbeiter mit seinenacht Söhnen im niederöster-reichischen Pfaffstätten(rechts). Der Schutzbund istvon einer Dominanz derParteilinken und einem regenVereinsleben gekennzeichnet,man ist stolz "dazuzugehören"

“WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK”ZEITZEUGENBERICHTEÜBER DIE FEBRUAR-KÄMPFE

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Straße hinaus, Ecke Wilhelminenstraße war eine großeUhr, die Uhr stand. Ich war der Meinung, es müssteschon viel später sein. Dann haben wir dieStraßenbahn gesehen, der 46er steht. Wir haben je-manden gefragt, was los ist. Sagt er: ´Wisst ihr esnicht, gestreikt wird! Generalstreik!´. Ich bin gleichnach Hause gelaufen, habe den Rucksack geholt. Daswar in der Vorschrift, wenn es soweit ist, nichts mitneh-men, außer dem Rucksack. Mit dem Rucksack bin ich indas Bereitschaftslokal gelaufen, dort waren bereitsWehrsportler versammelt. Unser Kommandant sagte,wir müssen ein Kommando zur Alarmabteilung desSchutzbundes schicken, zur Verstärkung. Mit dieserGruppe bin ich zum Fritz Thuma gegangen. Er hat ge-sagt: ´Kommt's hinauf in meine Wohnung, aber un-auffällig.´ Wir sind schön langsam in Abständen zuseiner Wohnung gegangen, am Richard-Wagner-Platzim 1. Stock. Man konnte gut auf die Straße sehen. Wirhaben gewartet. Dann sind die Burschen von derAlarmabteilung gekommen.

Da ist die Polizei die Hasnerstraße heraufmarschiert.Eine Kompanie, bewaffnet, Karabiner und Stahlhelme,schwarze Mäntel, wintermäßig, es war ja noch kalt. Siesind heraufmarschiert, zur Panikengasse, zur Polizei-wachstube. Wahrscheinlich haben sie befürchtet, dassdie Wachstube gestürmt wird. Wir sind sehr nervös ge-worden. Frauen haben uns in ihren EinkaufstaschenHandgranaten und Schmiervasen gebracht. Das warenziemlich primitive Handgranaten und um sie zurExplosion zu bringen, benötigte man eine Streich-holzschachtel. Wir haben uns jeder zwei in den Sackgesteckt und verzweifelt nach Streichhölzern gesucht.Die Frauen haben uns auch Zündholzschachteln be-

runter gehen. Hände hoch!´ ertönte plötzlich im all-gemeinen Lärm ein Kommando. Und so marschiertenwir, den 12. Februar 1934 Punk 12 Uhr mittags, zweiGruppen zu je 18 Mann, ´Hände hoch´, umringt vonunzähligen Polizisten."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 74 f.

Franz Jurica (Mitglied der SozialistischenArbeiterjugend [SAJ] Wien-Ottakring)

Über die Kämpfe in Wien:

"Am Vormittag des 12. Februar war ich in Sandleiten,im Jugendheim, um mit ein paar Genossen zu spre-chen. Mittags wollte ich nach Hause gehen und an-schließend in unser Bereitschaftslokal. Ich bin auf die

Der von einem Scharfschützen getötete MG-Schütze Kunz nach der Eroberung des Linzer Parteihauses durch das Bundesheer (links). Bundesheer und Heimwehr beimkollegialen Erfahrungsaustausch in den Straßen von Linz während einer Kampfpause (mitte). Gefangener Schutzbündler aus der Linzer Wollzeugfabrik (rechts)

Barrikaden und Häuserkampf in Wien-Ottakring

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06| ZEITZEUGENBERICHTE

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Polizisten sind auch auseinandergespritzt, ein paarvon ihnen sind umgefallen, es hat schon ein paarTreffer gegeben. Auf einmal haben sie sich zurückge-zogen, fluchtartig, haben die mitgeschleppt, die gele-gen sind, und sind zur Panikengasse geflohen, gleichums Eck. Der Vorteil, den wir hatten, war vorbei, dennwenn wir ums Eck gekommen wären, wären wir imSchussfeld der Polizeiwache gewesen, das haben wirnicht riskieren können. Wir haben uns in einenGemeindebau zwischen Haymerlegasse und Kopp-straße zurückgezogen. Bei den Toren haben wir Postenaufgestellt, und Fritzl Thuma hat einige auf das Dachhinaufgeschickt. Dann habe ich gehört, dass bei unszwei Leute fehlen, wir haben zwei Tote gehabt, die aufder Straße gefallen sind.

Wir sind also auf dem Dach oben gewesen, auf einmalist von der Radetzkykaserne geschossen worden. Diehaben Scharfschützen postiert und waren anders aus-gerüstet als wir, die haben auch getroffen. Der FritzlThuma hat einen Schuss in die Hüfte gekriegt. Wir ha-ben ihn vom Dachboden heruntergetragen, er war beiBewusstsein, die ganze Seite war aufgerissen, derMantel zerfetzt, alles war blutig. Wir wollten ihn in ei-ner Wohnung hinlegen, wir konnten ihn doch nicht aufdie Erde im Hof legen. Die Leute haben uns nicht auf-gemacht, wir haben gepumpert. Endlich hat sich einer

sorgt. Wir haben weiter gewartet. Nach einer Weile hates geheißen, einer nach dem anderen soll losgehen,aber möglichst unauffällig. Als Erster ist der Thumaweg, alle zehn Sekunden der Nächste, ihm folgend, indie nächste Gasse hinauf, in die Haymerlegasse. Wirsind kaum ums Eck gebogen, haben wir den Thumaschon stehen gesehen, gleich beim zweiten Haus, miteinem Stahlhelm auf und einem mächtigen Revolver.Einen uralten Trommler, den er ausgegraben hatte.Mit dem ist er da gestanden, hat herumgefuchtelt.´Hinein, tummelt's euch, holt's euch Gewehre´. Eswar ein altes Haus, ein Altbau, da sind wir hineinge-stürzt, zum Keller und der Keller war zugesperrt. VonGewehren keine Rede, der Fritz Thuma war nervös, isthinuntergekommen: ´Na, was ist?´ Der Keller war zu.´Der Hausmeister hat die Schlüssel´. Der Haus-meister war natürlich nicht zu finden. Jetzt hat er mitdem gewaltigen Revolver das Schloss durchgeschossen.Das Kellerabteil haben wir noch aufbrechen müssenund fanden die Kisten mit den Gewehren. Die wareneingegraben, aber bloß mit einer dünnen Schicht be-deckt. Wir haben die Gewehre herausgezogen, jederhat sich einen Karabiner geschnappt, jeder hat sichnoch zwei Magazine in die Taschen gesteckt. Alles hatsehr schnell gehen müssen und auf der Straße hat esschon eine Ansammlung gegeben. Auf einmal hat ei-ner geschrieen: ´Polizei ist im Anmarsch.´

Die Nervosität ist noch ärger geworden, mit Mühe undNot habe ich im Laufen das Magazin ins Gewehr hin-eingeschoben und bin raus auf die Straße. Wir sind biszur Koppstraße gelaufen. Wie wir ums Eck kommen,ich war so im hinteren Teil der Gruppe, ist vorne schongeschossen worden. Die Polizei ist die Koppstraße run-termarschiert, über die ganze Straße, in Ketten, for-miert und die Gewehre im Anschlag. Es war wahr-scheinlich so, und das war unser Glück, dass die ge-nauso überrascht waren wie wir, weil die hätten unsglatt über den Haufen schießen können. Es ist zu einerunregelmäßigen Schießerei gekommen, wir haben imLaufen geschossen, ohne Ziele, eben auf das Ganze davor uns. Dann ist schon gezielter geschossen worden,und wir haben uns hinter Bäumen verschanzt. Die

Viele der FebruarkämpferInnen auf sozialdemokratischer Seite sind Angehörige derJugendorganisationen. Im Bild jugendliche Wehrturner bei den Republikfeiern 1932

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gefunden und hat gesagt: `Bringt ihn zu mir.` Es istfinster geworden und wir haben die Schießerei vomArbeiterheim gehört. Dieses ist nicht weit entfernt, undwir hörten dazwischen Maschinengewehrfeuer. Wirwollten mit denen Verbindung aufnehmen und habenden Franzl Meier hingeschickt. Aber er ist zurückge-kommen und hat gesagt: `Da kommt man nichtdurch.` Wir haben weiter gewartet, es wurde Nacht.Nach Mitternacht haben wir Artillerieschüsse gehört,ganz in der Nähe, und gewusst, das muss beimArbeiterheim sein. Keiner hat gewusst, wie es aussieht,wo man hin soll. Wir saßen in einer Mausefalle. Wennes hell wird, dann wird ganz bestimmt die Polizeikommen. Die Verteidiger des Ottakringer Arbeiter-heims haben sich in der Früh zurückgezogen.

Vom Wehrsport und von der SAJ waren Barrikaden ge-baut worden. Um dieselbe Zeit, wie die dasArbeiterheim geräumt haben, sind auch wir aus demGemeindebau raus, solange es noch dunkel war. Wirhaben sonst keinen Schutz mehr gehabt, und von derKaserne hätte man uns unter Beschuss nehmen kön-nen, die Straße ist frei gelegen. Irgendwie ist es unsgelungen, wegzukommen. Wir sind über Privathäuserbei den Fenstern raus. Jetzt hat jeder auf eigene Faustversucht durchzukommen. Ich bin in RichtungArbeiterheim, aber es war alles abgesperrt, nicht nurvon der Polizei, hauptsächlich waren dort Heimwehrund Bundesheer. Später habe ich die Nachricht erhal-ten, dass ich gesucht werde. Ich bin natürlich nichtmehr nach Hause, sondern habe im Garten bei mei-nem Vater am Satzberg geschlafen. Mein Vater hatgroßes Verständnis für die Sache gezeigt. Er hat nichtviel geredet, nur gefragt, ob ich etwas bei mir habe,was die Polizei interessiert. Einen Revolver habe ichnoch gehabt. Er hat gesagt: `Gib her, den lasse ichverschwinden.` Dann hat die Jagd angefangen."

Zitiert nach: Scheuer, Georg und Pittler, Andreas 1988: Wer kämpftefür Österreich? Wien, S 36 ff.

Neue Zürcher Zeitung:Über die Atmosphäre in Wien während des

13. Februar 1934:

"Das Bild Wiens als einer belagerten Stadt ist am(zweiten) Abend, gegen 20 Uhr, unverändert. DieVerkehrsregelung wird heute vorwiegend von derHilfspolizei versehen, weil die Bundespolizei nach denKriegsschauplätzen an der Peripherie abgegangen ist.Das Rathaus selbst wird von Heimwehr bewacht. ... DieStimmung in Regierungskreisen ist ernst. Man hat denEindruck, dass sich besonders die Heimwehr die Aktionviel leichter vorgestellt hat, als es sich nun heraus-stellt."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 81.

Heinz Roscher (Schutzbündler) Über die schweren Kämpfe in Wien-Floridsdorf und

das Verhalten der Heimwehr:

"Einige Frauen des Schlingerhofes wurden verhaftetund in zwei Gliedern vor den Gewehren der Faschistengegen den Straßenbahnhof gejagt. Kaltes Entsetzenpackte uns, als wir sahen, dass sich die Faschisten hin-ter den Körpern unserer am ganzen Leibe zitterndenFrauen deckten. ... Wir hatten nur die Wahl, dieRemise aufzugeben, oder unsere eigenen Frauen zuerschießen."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96.

"Unbeschreiblich sind die Brutalitäten, mit denen dieVerhaftungen vorgenommen wurden. Viele - meistNichtkämpfer, denn die Schutzbündler hatten sich zu-rückgezogen - wurden von den Polizeibestien wiewahnsinnig geprügelt. Deren Wut kannte keineGrenzen, unzählige Bajonettstiche in Brust undRücken der Verhafteten sind beredte Zeichen dafür.Auf dem Weg vom Schlingerhof zum Kommissariat

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mussten die 300 Gefangenen auf der Brünnerstrassein der Nähe der Feuerwache anhalten.

Als das Militär die Gefangenen an die Polizei übergabund sie währenddessen, allerdings nur einenAugenblick, allein standen, benutzten die Heim-wehren und die Mannschaft eines Panzerautos dieseGelegenheit und beschossen die dichtgedrängt, wehr-los und mit erhobenen Händen dastehendenGefangenen aus zwei Maschinengewehren. DieWirkung war unbeschreiblich. Viele wälzten sich in ih-rem Blute."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96 f.

Chicago Daily NewsÜber die Beschießung von Gemeindebauten durch die

Artillerie des Bundesheeres:

"Ich sah die Resultate des Kanonenfeuers, mit demDollfuß die sozialistische Regierung von Wien vernich-tete, eine der blutrünstigsten, unnötigsten und unent-schuldbarsten Verwendungen bewaffneter Macht ge-gen hilflose Frauen und Kinder, die die Geschichtekennt…"

Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004.

Karl Stern (Schutzbündler)Über die Rolle von Frauen während der Kämpfe in

Wien-Floridsdorf:

"Wir verbrauchten ungeheuer viel Munition. Aberdank der wahrhaft heldenmütigen Arbeit unsererFrauen hatten wir keinen Mangel an Patronen. UnsereFrauen legten eine bewunderungswürdige Tapferkeitan den Tag. Sie behielten klaren Kopf und konnten oftbesser überlegen als wir Männer."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 98.

Gefangene Schutzbündler werden nach den zähen Kämpfen inFloridsdorf schwer misshandelt, einige getötet. Kurz nach der

Aufnahme dieses Fotos schießen Heimwehrangehörige undBundesheersoldaten auf die wehrlosen Gefangenen

und richten ein Blutbad an

Das Bundesheer beschießt in meh-reren Städten während derFebruarkämpfe Gemeindebautenmit Feldhaubitzen. Die Folge sindhunderte getötete ZivilistInnen. ImBild: Die BewohnerInnen einesGemeindebaus ergeben sich

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Unbekannter SAJler aus Bruck an der Mur Über den missglückten Sturm auf die dortige Gendar-

meriekaserne unter dem Kommando des SAJ-Vorsitzenden von Bruck, Sepp Linhart:

"Ich befand mich bei Sepp Linhart. Wir waren nichtmehr als 14 bis 15 Mann und sollten die Kaserne vonvorne angreifen, während die beiden anderenGruppen von rückwärts kommen sollten. Auf demWege zur Kaserne provozierte ein Heimwehrmann undwurde von einem Genossen kurzerhand erschossen.Das war sehr dumm, denn die Gendarmerie musstediesen Schuss hören und dadurch gewarnt werden. ImLaufschritt ging es zur Kaserne; wir stürmten durchdas Tor, vorbei an den Gendarmen, die links und rechtsaus den Fenstern schossen, durch die Einfahrt gegenden Hof. Im Hof standen Gewehrpyramiden, imHintergrund des Hofes war ein schussfertiges Maschi-nengewehr gegen uns gerichtet.

Wir nahmen sofort die Gendarmen unter Feuer, dieversuchten zu ihren Waffen zu kommen, konnten aberselbst nicht in den Hof eindringen, da er von denFenstern aus beschossen wurde. In unserer Aufregungschossen wir alle gleichzeitig und es trat der Momentein, in dem alle laden mussten. Da sprangen dieGendarmen aus den Seitengängen zu den Waffen unddas MG begann zu arbeiten. Linhart fiel, ein Schutz-bündler wurde schwer verletzt Es war völlig unmög-lich, sich in der Einfahrt, die keinerlei Deckung bot,gegen diese Übermacht zu halten. Unter Zurück-lassung von Linhart - den Verletzten konnten wir mit-schleppen - verließen wir das Gebäude."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kältedes Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 114 f.

New York TimesÜber die Frage nach der Schuld an den Kämpfen:

"Warum die Sozialisten das Objekt dieses Angriffswurden, ist immer noch ein Rätsel … Es waren dochnicht die Sozialisten, sondern die Nazis, die Bomben inÖsterreich zur Explosion brachten … Die Unsinnig-keit, der Wahnsinn und die Gemeinheit der ganzenAngelegenheit wird mit jedem Detail offensichtlicher."

Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004.

Während des Bürgerkrieges kommt es zu diversen Gräueltaten durch Exekutive, Bundesheerund Heimwehr. Oben: Ermordung eines gefangengenommenen Schutzbündlers in Bruck an derMur durch ein Erschießungskommando des Bundesheeres. Mitte: Die Bühne des Arbeiterheimes

Holzleithen (OÖ), nachdem dort sechs junge Schutzbündler von Angehörigen der Heimwehrund des Bundesheeres niedergemetzelt wurden - die Einschusslöcher in der Wand sind deutlich

erkennbar. Unten: Der schwerverletzte Kommandant einer Schutzbundeinheit in Wien-Hietzing, Karl Münichreiter, kurz bevor er auf einer Bahre zum Galgen geschafft wird

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Fritz Inkret (Schutzbündler) Über die Hinrichtung des steirischen Arbeiterführers

und sozialdemokratischen Nationalrats-abgeordneten Koloman Wallisch:

"Ich werde nie vergessen, wie der Wallisch zu seinerFrau, der Paula, auf dem Weg in den Galgenhof g'sagthat: Paula, sei tapfer, mach's mir net so schwer. Sie hateinen Schreikrampf bekommen."

Zitiert nach: Der Standard, 7./ 8. Februar 2004.

Unter dem Kommando des SAJ-Bezirksvorsitzenden Sepp Linhartversucht der Schutzbund in Bruck an der Mur die dortige

Gendarmeriekaserne zu stürmen. Linhart wird im Verlauf derKämpfe getötet (Mitte)

(Bild: links/unten) Der vom Dollfuß-Regime hingerichtete steirischeArbeiterführer Koloman Wallisch beim Begräbnis von Opfern einesHeimwehrüberfalls, St. Laurenzen 1929. Da Wallisch bis zum offi-ziellen Ende der Kämpfe am 15. Februar 1934 nicht gefasst werdenkann, wird auf Anweisung des Justizministers Schuschnigg extra dasStandrecht verlängert um Wallisch doch noch hängen zu können -ein Fall von glattem Justizmord. Auf dem Bild unten rechts ist in derMitte Wallischs Witwe, Paula, bei geflüchteten Schutzbündlern in derTschechoslowakei zu sehen

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Die Februarkämpfe 1934 waren derHöhepunkt eines Staatsstreichs, den dieChristlichsozialen seit 1932 schrittweise um-setzten. Was mit der Ausschaltung desParlaments im März 1933 begonnen hatteund im Februar 1934 mit Waffengewalt ge-gen ein letztes verzweifeltes Aufbäumendurchgesetzt worden war, fand seinen offi-ziellen Abschluss - wohl inszeniert - am1. Mai 1934. Bewusst an diesem traditions-reichen Feiertag der geschlagenenArbeiterInnenbewegung wurde eine neueVerfassung verkündet, die nun auch den of-fiziellen Bruch mit der Demokratie bedeute-te. Schon im neuen Namen des Landes wur-de deutlich, woher der Wind wehte: Fortanhieß es nicht mehr "Republik" sondern"Bundesstaat" Österreich. Sämtliche Parteienwurden verboten,42 als einzige politischeOrganisation überhaupt blieb die vonDollfuß gegründete "Vaterländische Front"übrig. Der Bundeskanzler und seineRegierung waren mit diktatorischenVollmachten ausgestattet und gingen daran,Politik und Gesellschaft neu zu gliedern. Wie sah er nun aus, der neue Staat?

DIE "STÄNDISCHE GESELLSCHAFT":IDEOLOGISCHES TRUGBILD

UND SOZIALE REALITÄT

Die Gesellschaft, die sich aus den Produktions-verhältnissen des modernen Industriekapitalismusentwickelt hatte, war den Christlichsozialen vonBeginn an ein Graus gewesen. Ihr Ideal war die vorin-dustrielle Gesellschaft: ländlich, bäuerlich, gläubig,konservativ. Der "Bruderzwist", also der "unselige

DIE WIRKLICHKEIT DES"STÄNDESTAATES"

Der mittelalterliche Wunschtraum von Dollfuß und seinen AnhängerInnen: Knecht undBauer essen unter dem Kruzifix friedlich aus der selben Schüssel. Mit der Realität der

Landbevölkerung in den 30-er Jahren hat das freilich wenig zu tun - die meistenKnechte und Mägde leben in der "Hofgemeinschaft" unter entwürdigenden

Bedingungen und sind dem Willen des "Herrenbauern" schutzlos ausgeliefert

42 Im Fall der Christlichsozialen Partei kann allerdings nicht von ei-nem tatsächlichen Verbot gesprochen werden: Mit Ausnahme des umseinen Posten als Parteiobmann bangenden Vaugoin befürwortetedie gesamte christlichsoziale Bundesparteileitung die Auflösung derPartei und ihr Aufgehen in der Vaterländischen Front.

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07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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hatten keinerlei Möglichkeiten, ihre Interessen durch-zusetzen. Die gesetzliche Grundlage dafür bildete dasWerksgemeinschaftsgesetz,43 das die betrieblicheMitbestimmung der Arbeitenden, etwa durchBetriebsräte, beseitigte. Aber selbst wenn dem nicht sogewesen wäre, wenn es tatsächlich einheitliche"Standesinteressen" gegeben hätte, wären Konflikteunvermeidbar gewesen: Wer hätte der jeweiligenInteressensorganisation vorstehen sollen (Wahlen hät-ten die unter der vaterländischen Oberfläche natürlichweiterhin bestehenden Konflikte offensichtlich werdenlassen)? Wie hätten darüber hinaus Konflikte zwischenden Ständen gelöst werden sollen? Aus diesem Grundwurde in der Maiverfassung von 1934 der Han-dlungsspielraum der Stände von vornherein eng be-grenzt. Wer mit der Vertretung des jeweiligen Standesbetraut wurde, bestimmte die Bundesregierung.Welcher Wert Beschlüssen von Standesvertretungen

Klassenkampf, der unsere Nation zerrissen und ausge-höhlt hat" (Schuschnigg), sollte der Vergangenheit an-gehören. Angelehnt an die katholische Soziallehreproklamierten die Christlichsozialen den "Staat derStände". In ihm sollten Arbeitende und Unternehmergleichberechtigt in sieben, nach Berufssparten geglie-derten Interessensverbänden ("Ständen") zusammen-gefasst werden. Das Proletariat solle "entproletari-siert" werden, hieß es.

Dollfuß über die "Ständische Ordnung"

"Wir werden ... wieder zurückgreifen müssen auf älte-re Formen, aber nicht nur formalistisch, sondern esmuss uns zum Bewusstsein kommen, dass die Arbeitdie Menschen einigt. Im Bauernhause, wo der Bauermit seinen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abendsam gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seineSuppe isst, da ist berufsständische Zusammen-gehörigkeit, berufsständische Auffassung. Und ver-schönert wird das Verhältnis noch, wenn sie beide nachFeierabend zum Rosenkranz sich niederknien. Nur sowerden wir den Marxismus, die falsche Lehre vom not-wendigen Kampf der Arbeitnehmer und Arbeitgeber,wirklich in unserem Volk überwinden. Die äußerenOrganisationsformen der berufsständischen Vertre-tung neu zu gestalten, ist die Aufgabe dieser Re-gierung."

Zitiert nach: Talos, Emmerich, Neugebauer, Wolfgang (Hg.) 1984:Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur

1934 - 1938, Wien, S 78.

Von den ursprünglich geplanten sieben Ständen wur-den in den darauffolgenden vier Jahren allerdings nurzwei auch tatsächlich verwirklicht - jener der Land-und Forstwirtschaft und der des öffentlichen Dienstes.Die Ursache für dieses Scheitern lag in der Natur derSache: Zum einen war es keineswegs so, dass sichinnerhalb der geplanten Stände Unternehmer undArbeitende gleichberechtigt gegenüberstanden: ImBetrieb hatte der Unternehmer Vetorecht, die Ar-beitnehmerInnen waren ihm faktisch ausgeliefert und

43 Das "Werksgemeinschaftsgesetz" orientierte sich an der faschisti-schen Gesetzgebung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht undwar vergleichbar mit der "Carta del Lavoro" und dem "Gesetz zurOrdnung der nationalen Arbeit".

Im Zeichen der Kreuzfahrer, des Kruckenkreuzes, soll die Uhr in Österreich zurückgedreht werdenund eine "ständische Gesellschaftsordnung" wieder Einzug halten: Bizarr anmutender Versuch auf

einem Werbeplakat der Vaterländischen Front, die Brücke zwischen mittelalterlicherChristianisierungsromantik und faschistischer Ästhetik zu schlagen

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schließlich Sache der Arbeitenden waren;44 Löhne undGehälter stagnierten, während die Lebenshal-tungskosten ständig stiegen und die Erhöhung derSteuern auf Massengüter besonders die Armen traf;Der jährlichen Nettolohnsenkung von fünf bis achtProzent standen durchgehend steigende Unterneh-

Der kommunale Wohnbau war der ganze Stolz der sozialdemo-kratischen Stadtregierungen gewesen. Unter der christlichsozia-len Diktatur werden die Bauprojekte praktisch eingestellt.Zehntausende müssen weiterhin zusammengepfercht inElendsquartieren hausen

JahrArbeitslosen-

rateAnteil der Unterstützten an der

Gesamtzahl der Arbeitslosen

1932 21,7% 66%1933 26% 60%1934 25,5% 53%1945 24,1% 51%

Endstation "ausgesteuert"

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zukam, illustriert zudem eine Stellungnahme desSozialministers Neustädter-Stürmer. Er beruhigte denFinanzminister, der sich Sorgen machte, die berufs-ständischen Ausschüsse könnten etwas gegen seine ge-planten Maßnahmen einzuwenden haben, mit denWorten: "Diese Befürchtungen seien jedoch nicht be-gründet, da die Beschlüsse der berufsständischenAusschüsse keinerlei bindende Kraft besäßen." Der"Ständestaat" war also von vornherein eine irrationaleIdee, die deshalb auch nie Gesetz wurde. Als realerMachtfaktor blieben die autoritäre Regierung und ihreVerbündeten übrig, namentlich Militär, Unternehmerund Großgrundbesitzer, Kirche und Staatsapparat.Dementsprechend fiel die politische, aber auch die so-ziale Bilanz aus.

Noch vor der endgültigen Zerschlagung der Sozial-demokratie und der freien Gewerkschaften hatte dieRegierung Dollfuß wichtige soziale und demokratischeErrungenschaften mit Hilfe von Notverordnungen ein-geschränkt oder gleich abgeschafft: Einschränkung derPressefreiheit, Demonstrationsverbot, Streikverbot,Beschränkung des Arbeitslosengelds auf maximal 20Wochen, zeitweilige Verhängung des Standrechts,massive Ausweitung der Kompetenzen von Verwaltungund Polizei (speziell Strafbefugnisse), Einrichtung von"Anhaltelagern" für politisch Missliebige, Beseitigungder unabhängigen Gerichtsbarkeit - all das war bereitsvor den Februarkämpfen Wirklichkeit geworden.

Danach konnten in Ruhe die Früchte dieser Politik ge-erntet werden: Die Lohnkosten wurden gesenkt, in-dem die Sozialversicherungsbeiträge künftig aus-

Die Zahl der staatlich unterstützten Arbeitslosen sank im "Stände-staat" kontinuierlich. Den Betroffenen blieb das Betteln bei denStellen der Heilsarmee oder der Hunger

Quelle: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983: Österreich1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, Band I, Graz-Wien-Köln,S 408.

44 Parallelen in der Gegenwart sind unübersehbar - durch dieZerschlagung des öffentlichen Sozialversicherungssystems werden zuLasten der ArbeitnehmerInnen zwei Interessensgruppen massiv be-günstigt: Zum einen die Unternehmen allgemein, da ihre Sozial-versicherungsbeiträge wegfallen (zur vielgerühmten "Privatvor-sorge" tragen sie ja nichts bei) und zum anderen die Versiche-rungskonzerne, die plötzlich eine gewaltige Zunahme ihrer Kun-dInnen verzeichnen können.

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Anstieg von Löhnen und Gehältern (nominal)gegenüber dem Anstieg unverteilter Gewinne

der Kapitalgesellschaften 1934-1938

Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, S 316.

45 Die Kurzarbeit ist ein gutes Beispiel für die Aktualität vonGeschichte - auch heute erwarten sich selbst sozialdemokratischePolitikerInnen in Europa eine Besserung der Situation amArbeitsmarkt durch schlecht bezahlte und rechtlich benachteiligte "McJobs" und Scheinselbstständigkeit à la "Ich-AG". Tatsächlich liefernderartige Gesetze den Unternehmen auf Kosten der ArbeitendenBilligarbeitskräfte und führen zu Konsumrückgang und Verarmung.

Löhne und Gehälter + 2%

Gewinn: + 121%

Kinder schuften im Kohlebergbau. Eine der ersten Maßnahmen der sozialdemokratisch geführtenRegierung nach 1918 war das Verbot der Kinderarbeit. Mit dem "Ständestaat" kehrt die Ausbeutungvon Kindern als billige Arbeitskräfte wieder zurück

Sozialausgaben im Budget

Anteil der Angehörigen von Polizei undBundesheer an der Gesamtzahl der

Staatsbediensteten

07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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war auch die Situation von Arbeitslosen: Während das"ständische Österreich" konstant die höchste Arbeits-losenrate Europas hatte, erhielt lediglich die Hälfteder Betroffenen eine - ohnehin armselige - staatlicheUnterstützung, sämtliche jugendlichen Arbeitslosenhatten nicht einmal darauf Anspruch.

mensgewinne entgegen; das Krankengeld wurde ge-kürzt, die Mitversicherung für Angehörige stark einge-schränkt, die Unfallrenten und Pensionen gekürzt,gleichzeitig erlebten Polizei und Militär eine starkeAufwertung; der Kommunale Wohnbau wurde prak-tisch eingestellt und Schutzbestimmungen für Mie-terInnen abgeschafft;

Infrastrukturinvestitionen unterblieben abseits eini-ger Prestigeprojekte (z. B. Hochalpenstrasse), Mil-lionen aus dem Bundesbudget flossen statt dessen indie Sanierung maroder Banken, speziell der Credit-anstalt.

Kollektivverträge wurden missachtet oder überhauptnicht mehr abgeschlossen; die 1919 abgeschafftenArbeitsbücher, die eine bessere Kontrolle derArbeiterInnen erlaubten, wurden wieder eingeführt;Arbeitsschutzbestimmungen wurden durch dieUnternehmer immer mehr ignoriert, der Achtstun-dentag wurde teilweise wieder abgeschafft; derKündigungsschutz wurde faktisch aufgehoben, ebensodas Verbot von Kinderarbeit; schlechtbezahlteKurzarbeit nahm stark zu, währenddessen sank dieZahl der Vollzeit-Beschäftigten stetig;45 katastrophal

Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien,S 316.

Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien,S 316.

1932: 23%

1933: 52%

1936: 65%

1937: 17%

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sollte sich dann Nazi-Deutschland als "Ordnungs-macht" einschalten und das Land nötigenfalls gewalt-sam an das "Reich" angliedern. Schutz vor derartigenBestrebungen bot für Dollfuß´ Dafürhalten einzig dasfaschistische Italien. Mussolini wiederum sah in denHeimwehren den Garanten für ein faschistisches Öster-reich und machte sich für eine starke EinbindungStarhembergs stark. Diesem Wunsch wurde nachge-kommen. Zum einen, indem die Heimwehr 1934 ander Regierung des neuen Staates beteiligt wurde,47

zum anderen durch Starhembergs Ernennung zumFührer der Wehrfront, des militärischen Arms der neu-en Monopolorganisation Vaterländische Front.48 DieHeimwehr-Führer fühlten sich schon ganz als die neu-en Herren im Staat - etwas vorschnell, wie sie baldmerken sollten. Denn die Teilhabe an der Macht wareine Konzession der Christlichsozialen an Mussolinigewesen, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.Trotz der von der Heimwehr gestellten Minister, trotzdes Kommandos über die Wehrfront, trotz des schein-baren Dualismus der Macht ("zweigeteilte Herr-schaft") liefen die Fäden nach wie vor in den Händender Regierung zusammen - und dort hatten dieChristlichsozialen als dominierende Gruppe innerhalbder Vaterländischen Front eine bequeme Mehrheit.

Am 25. Juli 1934 unternahmen die österreichischenNazis einen Putschversuch. Das Unternehmen war di-lettantisch geplant gewesen, wurde im Vorfeld vielfachverraten und brach binnen kurzer Zeit zusammen.Interessant war allerdings einmal mehr die zwielichti-ge Rolle von zwei führenden Köpfen der Heimwehr:Emil Fey und Anton Rintelen. Beide hatten im Vorfeldvom Putsch gewusst und hatten ihn gut geheißen,

Besonders betroffen von der christlichen Offensive wa-ren Frauen: Sie waren oft die Ersten, die gekündigtwurden, verheiratete Lehrerinnen verloren 1934 inmehreren Bundesländern per Gesetz ihren Arbeits-platz - eine Regelung, die bald für alle Beamtinnenübernommen wurde. Frauen sollten sich wieder ihrerAufgabe als Mutter und Hausfrau besinnen und dieRolle als Ernährer der Familie sollte künftig denMännern alleine vorbehalten sein.

VERSUCHE DER FASCHISIERUNG DES STAATESUND DAS ENDE DER HEIMWEHR

Im Unterschied zum Faschismus in Italien undDeutschland verfügte die christlichsoziale Tyrannei inÖsterreich über keine nennenswerte aktivierbareMassenbasis. Zur Errichtung der Diktatur warenDollfuß und Konsorten deshalb weitgehend auf denstaatlichen Repressionsapparat, also Polizei undMilitär, angewiesen - und auf die paramilitärischeHeimwehr.46 Dass besonders der Letztgenannten nichtrecht zu trauen war, wussten die Christlichsozialen ausleidvoller Erfahrung. Zwar waren viele ihrer Anhängergleichzeitig Heimwehrmänner, aber die Machtgelüsteund Intrigen der untereinander zerstrittenen Führerdieser Faschistentruppe bedeuteten einen permanen-ten Risikofaktor. Während der Phase der Aufrichtungder Diktatur waren die Heimwehren aber unerlässlich.Nicht so sehr aufgrund ihrer militärischen Bedeutung,hier hatte sich im Februar 1934 gezeigt, dass man sichauf das Bundesheer ausreichend verlassen konnte.Doch Dollfuß und die Seinen hatten sich mit den Nazisnicht einigen können. Als dann deren Terrorwelle an-rollte, war klar, dass sie nach der Zerschlagung derSozialdemokratie die existentiellste Bedrohung desRegimes darstellten. Ziel der österreichischen Naziswar die völlige Destabilisierung der innerenVerhältnisse des "Ständestaates". Im richtigen Moment

46 Sämtliche führenden Positionen in Polizei und Bundesheer warenvorsorglich in den 12 Jahren christlichsozialer Regierungen zwischen1920 und 1932 systematisch mit konservativen Parteigängern besetztworden.

47 "Bundesführer" Starhemberg war Vizekanzler, der Wiener Heim-wehrchef Fey Sicherheitsminister und der ehemalige Mitverschwörerim Pfrimer-Putsch, Berger-Waldenegg, wurde Justizminister.48 Die Wehrfront bildete allerdings nur einen Dachverband aller rech-ten paramilitärischen Einheiten. In ihr waren neben der Heimwehrdie Ostmärkischen Sturmscharen, der Freiheitsbund, die Burgen-ländischen Landesschützen und die Christlich-Deutsche Turnerschaftorganisiert.

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07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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räle die Hahnenschwanzler misstrauisch beäugten undsie als lästige Konkurrenz betrachteten. Nach denKämpfen im Februar 1934 und der erfolgreichenAbwehr des Nazi-Putsches im Juli selben Jahres for-derten die Militärs eine Entmachtung der Heimwehr.Sie argumentierten (nicht ganz zu Unrecht) damit,dass die Heimwehr nun zur Absicherung des Regimesnicht mehr gebraucht würde und nur einen dauerndenGefahrenherd darstellen würde. Schuschnigg teiltediese Einschätzung, auch er hielt die Heimwehr für un-berechenbar und ihren Führer Starhemberg tenden-ziell für einen wankelmütigen Schwachkopf, den mansich lieber heute als morgen vom Hals schaffen sollte.

Weil aber Mussolini auf keinen Fall verärgert werdendurfte, konnte Starhemberg nicht einfach so aus demAmt gejagt werden. Seine Entmachtung vollzog sichdeshalb in zwei Stufen. Sie begann 1935 mit derVereinheitlichung aller Wehrverbände zur "Frei-willigen Miliz - Österreichischer Heimatschutz", womitdie Heimwehr an Einfluss verlor. Als sich im Jahr 1936die außenpolitische Situation grundlegend änderte,war die Zeit reif für den zweiten und abschließendenSchlag. Der Schutzpatron der Heimwehr, Mussolini,war im von ihm vom Zaun gebrochenen Abessi-nienkrieg auf die Unterstützung Deutschlands ange-wiesen und bemühte sich daher, Hitlers Interessen inder Politik gegenüber Österreich entgegenzukommen.

Rintelen war von den Nazis sogar als neuer Bundes-kanzler vorgesehen gewesen. Währenddessen bliebStarhemberg loyal zur Regierung und bot in den zumTeil erbitterten Kämpfen (besonders in Kärnten undder Steiermark) Heimwehreinheiten zur Nieder-schlagung der Nazis auf.

Mussolini hatte gleich zu Beginn des Putsches italieni-sche Truppen am Brenner aufmarschieren lassen unddamit Deutschland klar gemacht, dass eine eventuelleInvasion Österreichs nicht geduldet werden würde. DieTreue Starhembergs und das Verhalten Mussolinis indieser heiklen Situation stärkte den Einfluss derHeimwehr innerhalb des Regimes nochmals.

Nachdem Dollfuß dem Nazi-Putsch zum Opfer gefallenwar, trat an seine Stelle der bisherige Justiz- undUnterrichtsminister, Kurt Schuschnigg. Er zeigte sicherkenntlich für die loyale Haltung Starhembergs.Dieser blieb Vizekanzler und wurde darüber hinausauch noch Bundesführer der Vaterländischen Front.Aber bald setzte innerhalb der Vaterländischen Frontund besonders innerhalb der Wehrfront ein erbitterterMachtkampf zwischen der Heimwehr und den anderenParamilitärs ein.

Zusätzlich schwerwiegend war das Konkurrenzver-hältnis der Heimwehr zum Bundesheer, dessen Gene-

Dollfuß ist seinen Verletzungen erlegen. Mit dem braunen Putschversuch im Juli1934 scheitern endgültig die Hoffnungen von Dollfuß und Starhemberg, dochnoch zu einer Einigung mit den Nazis zu kommen

Brüder im Geiste schießen aufeinander: Heimwehr im Kampf gegen denNaziputsch im Juli 1934

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Genau zwei Wochen später musste die Heimwehr den-noch ihre Ministersessel räumen und wurde durchVertraute der Nazis ersetzt. Der Heimatschutz wurdewenig später sang- und klanglos aufgelöst. Star-hembergs politische Karriere endete als Protektor desvaterländischen Mutterschutzwerkes.

GESCHEITERTE EINHEITSPARTEI - DIE VATERLÄNDISCHE FRONT (VF)

Ursprünglich als politische Monopolorganisation des"Ständestaats" gedacht, war die VF von Dollfuß bereits

kurz nach der Ausschaltung des Nationalrates im März1933 gegründet worden. Sie sollte seiner Diktatur diefehlende Massenbasis beschaffen und in weitererFolge dazu dienen, nach italienischem und deutschemVorbild die Gesellschaft im faschistischen Sinne totalzu umfassen. Um die Staatsdoktrin möglichst in alle Lebensbereicheeinfließen zu lassen wurde eine breite Palette vonVorfeldorganisationen geschaffen: vom Kulturreferatund dem Kinderferienwerk über Betriebs- undDienststellenorganisationen bis hin zum Mutter-schutzwerk und der VF-Jugendorganisation Österrei-chisches Jungvolk. Der Beitritt zur VF war formal frei-willig, umso erstaunlicher wirkt aufs Erste die vomRegime verlautbarte Mitgliederzahl von zweiMillionen im Jahr 1935, was etwa einem Drittel derGesamtbevölkerung entsprach.

Hermann Göring über die Versuche vonDollfuß und Schuschnigg, den italienischenund deutschen Faschismus zu kopieren:

"[dass Österreich] in der Staatsstruktur genau allesdem deutschen Nationalsozialismus nachmacht, dasheißt die gleichen Formen findet, die gleichenOrganisationen, die gleichen Ausdrücke, die gleichenSatzungen, die gleichen Methoden nur mit umgekehr-ten Vorzeichen ... man brauche in Österreich nur stattdes Kruckenkreuzes das Hakenkreuz zu setzen undstatt des Wortes "vaterländisch" "nationalsozialis-

Italien war nun nicht mehr länger Garant eines eigen-ständigen Österreichs - Mussolini ließ Schuschnigg wis-sen, er solle sich mit den Nazis arrangieren.

Schuschnigg war auch durchaus gewillt, diesem Ratnachzukommen, aber einer Aussöhnung mit den öster-reichischen Nazis stand die Heimwehr im Weg. Diewusste nämlich genau, dass sie von Hitlers Gewährs-männern in Ministerämtern nichts Gutes zu erwartenhaben würde.49

Starhemberg versuchte, das nun Kommende doch nochdurch martialische Sprüche aufzuhalten. Er ließ öffent-lich unter anderem wissen: "...dass der Heimatschutznicht daran denkt, als bewaffnete Formation abzurü-sten und vom Schauplatz abzutreten ... Nur über mei-ne Leiche geht derzeitig der Weg zur Abrüstung desHeimatschutzes, es gibt jetzt keine Abrüstung desHeimatschutzes."

49 Es waren also machttaktische Überlegungen und nicht etwa inhalt-liche Einwände die Ursache für die anti-nazistische Haltung derHeimwehr. Starhemberg drückte seine Bewunderung für Hitlergegenüber dem deutschen Botschafter in Wien, von Papen, so aus:"Er hat das Verdienst, der erste Staatsmann gewesen zu sein, der dieGefahr einer bolschewistisch-freimaurerischen Front für die ganzeWelt erkannte und sie kompromisslos bekämpfte." Bei andererGelegenheit sprach er von einer notwendigen Einheitsfront der auto-ritären Staaten "gegen die gemeinsame Offensive des Bolschewismusund der jüdischen Demokratie."

Das Ende einer faschistischen Karriere. Der abgehalfterteHeimwehrführer Starhemberg als "Protektor des vaterländischen Mutterschutzwerkes"

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07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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Image der Diktatur unter Arbeitenden zu verbessern,wurde 1936 in Betrieben die Wahl von Ver-trauensleuten zugelassen. Bei diesem Experimentwollte die VF aber vorsichtshalber Nichts dem Zufallüberlassen. Um zu verhindern, dass politischUnliebsame den Sieg davon tragen könnten, wurdensie - so sie bekannt waren - von der Wahl bereits imVorfeld ausgeschlossen. Umso bitterer war dasErgebnis der Wahlen, bei denen die Kandidaten derVaterländischen Front eine herbe Niederlage einste-cken mussten.

Bericht der VF über die Vertrauensleute-Wahl in den Steyrer-Werken

"Die Wahlen in den Steyrer-Werken brachten für dieVF betrübliche Ergebnisse, und zwar: Von der 3.770Mann starken Belegschaft erhielten unsereVertrauensleute ca. 320 Stimmen, die als Kom-munisten bekannten Personen erhielten gegen 1.000Stimmen und die ehemals sozialdemokratischenFunktionäre erhielten rund 1.800 Stimmen."Quelle: Politischer Bericht an das VF-Generalsekretariat vom 24.11.1936.

Zusammenfassend kann demnach über dieVaterländische Front gesagt werden, dass sie denVersuch darstellte, nach der Errichtung der Diktaturvon oben eine faschistische Massenbasis zu schaffen.Sie sollte dazu dienen, in Österreich einenKonkurrenzfaschismus zu etablieren, um den NazisBoden zu entziehen, indem man sie "überhitlerte". DieVF verfügte aber außer der Parole vom "besserendeutschen Staat Österreich" über kein Programm undkonnte deshalb auch nie eine Dynamik wie die faschi-stischen Bewegungen in Deutschland und Italien ent-falten. Über die Funktion als Karriere-Sprungbrettund Denunzianten-Organisation zur politischen Über-wachung und Kontrolle kam sie nie hinaus. Viele, diedamals den Nazis folgten, dachten ähnlich wie derAutor Ralf Roland Ringler, der über seine Ablehnung

tisch", so wäre in Österreich das lebendige Spiegelbildvon Deutschland vorhanden."

Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates.Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert,

Wien, S 314.

Die Erklärung ist allerdings simpel: Erstens gingen inder VF viele bürgerliche Organisationen und Parteienauf, die kollektiv beitraten. Zweitens war die VF-Mitgliedschaft eben keineswegs für alle freiwillig, son-dern etwa für BeamtInnen und ArbeiterInnen in vielen(zumeist großen) Unternehmen Pflicht. Und selbst fürdiejenigen, die nicht Mitglied werden mussten -Anstellungen und Konzessionen waren als VF-Ange-hörige/r um etliches leichter zu ergattern, dieSchwierigkeiten soziale Unterstützung durch den Staatzu bekommen, waren erheblich geringer, usw.Eventuellen ideologischen Bedenken von Nazis standaußerdem die Tatsache entgegen, dass in der VF kei-neswegs nur Freunde des Regimes vereint waren:Viele Teilorganisationen und Untergruppen waren alsausgesprochene Nazinester bekannt. Dieser Umstandwar Schuschnigg bekannt und wurde von ihm gutge-heißen, ab 1936 auch aktiv gefördert. Alles, was anti-demokratisch dachte, ob Heimwehrfaschist, Christ-lichsozialer oder Nazi, war willkommen. Zu jenemharten Kern der VF kamen, wie erwähnt, sämtlicheBeamtInnen und in Scharen MitläuferInnen hinzu, diesich von einem Beitritt materielle Vorteile erhofften.Die Versuche des Regimes, über die VaterländischeFront und ihre Betriebsorganisation unter Arbeiter-Innen Fuß zu fassen, scheiterten hingegen einigerma-ßen kläglich. Hauptsächlich deshalb, weil Arbeitendesich sehr wohl bewusst waren, dass ihre Interessen vonder VF nicht wahrgenommen wurden - sie sahen in VF-lern zumeist nur Spitzel, die ihnen das Leben schwermachten. Nach eigenem Bekunden wurden VF-Funktionäre inden Betrieben "von Arbeitskollegen als bestelltePolizei-Kommissäre angesehen"50. Um das schlechte

50 Bericht eines Funktionärs über seine "schwierige Stellung im Betriebe" während einer Sitzung der VF-Bezirksstelle Wien-Leopoldstadt, 8.11.1935.

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Damit nahm man sich selbst den einzigen ernst zunehmenden innenpolitischen Bündnispartner imKampf gegen die Nazis. Ideologisch und emotionalstellte die christlichsoziale Diktatur die Weichen fürden deutschen Faschismus in Österreich: Sie hatteDemokratie und Rechtsstaat abgeschafft, jahrelangwurde die Bevölkerung mit dem Führerprinzip,Nationalismus, rabiatem Antimarxismus, dosiertemAntisemitismus und Militarismus vertraut gemacht.Dollfuß beschrieb die Strategie dieser Politik so: "Diebraune Welle können wir nur auffangen, wenn wirdas, was die Nazi versprechen und in Deutschland ge-tan haben, was ohnehin gemildert wird durch ver-schiedene Richtungen bei uns, selber machen...".

Gesagt, getan. Nicht von ungefähr glich die Ins-zenierung von Großveranstaltungen der Vater-ländischen Front den Kundgebungen der Nazis bis insDetail. Nicht zufällig wurde die antisemitische Hetzeder Katholischen Kirche vom Regime nicht nur gedul-det, sondern weitgehend übernommen. Um denAntisemitismus zu entfachen, ließ etwa der christlich-soziale "Freiheitsbund" der Vaterländischen Front1936 in Wien 300.000 Flugblätter mit der Aufschrift:

der österreichischen Diktatur zwischen 1934 und 1938schrieb: "Wir aber wollten in einem großen, starkenStaat leben - nicht in einer kleinen, komischenDiktatur."

DIE LETZTE PHASE DES "STÄNDESTAATES" UNDDIE MÄR VOM WIDERSTAND GEGEN DIE NAZIS

Mit dem Verlust ihres Schutzpatrons Mussolini war dieDiktatur Schuschniggs bereits 1936, zwei Jahre vor ih-rer offiziellen Niederlage, faktisch am Ende. ImNachhinein verklärten Konservative das Regime zwarzu "Widerstandskämpfern" gegen die braunenHorden, einer näheren Betrachtung hält dieseBehauptung aber nicht stand. Dollfuß - und nach ihmSchuschnigg - hatten nicht nur mehrmals versucht, sichmit den Nazis zu arrangieren. Sie bereiteten in meh-rerlei Hinsicht den Boden für deren Machtübernahmeund trugen die Hauptschuld daran, dass es zu keinemWiderstand gegen den "Anschluss" im März 1938 kam.

Das Regime schaltete die organisierte Arbeiter-Innenbewegung aus und verfolgte bis zum Einmarschder deutschen Wehrmacht aktive AntifaschistInnen.

Faschistisches Gehabe derSchuschnigg-Diktatur: Das "VF-

Sturmkorps" soll nach demVorbild der SS in Deutschland

die Prätorianergarde des öster-reichischen Regimes bilden. Der

"Ständestaat" beweist wenigPhantasie, sogar die Uniformen

des "Sturmkorps" sind jenen vonHimmlers Totenkopforden

nachempfunden

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07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

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Praktisch bedeutete die Verpflichtung zur "deutschenPolitik" beispielsweise, dass Schuschnigg öffentlichkeinerlei Kritik mehr an den Vorgängen im "Altreich"üben durfte. Es war nun nicht mehr möglich zu erklä-ren, dass die Arbeitslosigkeit in Hitler-Deutschlandnur durch die enorme Aufrüstung für einen neuenKrieg kurzfristig verschwunden war. Die Einbindungder "nationalen Opposition" führte darüber hinausdazu, dass 17.000 illegale Nazis amnestiert wurden,während viele AntifaschistInnen weiter in denGefängnissen und Anhaltelagern eingesperrt blieben.Den Nazis wurde ein Minister, Glaise-Horstenau, zu-gestanden, Anfang 1937 erhielten sie innerhalb derVaterländischen Front auch ihre eigene Abteilung, das"Volkspolitische Referat". Der Glaube, die Nazis wür-den sich mit diesem Entgegenkommen zufrieden ge-

"Juden! Kauft nur bei Euern Glaubensgenossen!" ver-teilen.51 In Vereinen landauf landab wurden nur noch"Arier" aufgenommen, jüdische Jugendliche warenvon der Aufnahme im österreichischen Gegenstück zurHJ, dem "VF-Werk Österreichisches Jungvolk" ausge-schlossen, in Wien bekamen Menschen jüdischerHerkunft ab Sommer 1937 keine Gemeindewoh-nungen mehr. Auch der Staatsdienst wurde schleichend"entjudet". Doch die Mühe, den Nazis nachzueifern,war vergebens - die einstigen AnhängerInnen desSystems liefen scharenweise zu den illegalen Nazisüber. Wer bleibt schon beim Schmiedl, wenn auch derSchmied zu haben ist? Auf der anderen Seite konntenkeine neuen SympathisantInnen gewonnen werden,da sich die Lebenssituation der ArbeitnehmerInnenimmer weiter verschlechterte.

Mit dem Abessinien-Krieg 1936 rächte sich, dassDollfuß und Schuschnigg in den vorangegangenenJahren ihr Heil einzig und allein in einer Anbiederungan Italien gesucht hatten. Der Völkerbund verhängteein Embargo über den Aggressor Italien, das nun vorallem auf Kohle- und Stahllieferungen aus Deu-tschland angewiesen war. Nachdem sich Mussolinifolglich von Schuschnigg ab- und Hitler zugewandthatte, versuchte das außenpolitisch isolierte österrei-chische Regime zu retten, was zu retten war. Mit demJuli-Abkommen 1936 anerkannte Hitler die Unab-hängigkeit Österreichs - auf den ersten Blick ein uner-hörter Verhandlungserfolg für Schuschnigg. Wie so oftwar das wirklich Ausschlaggebende aber auch hier ge-wissermaßen kleingedruckt. In einem geheimenZusatzprotokoll verpflichtete sich Österreich "zu einerdeutschen Politik" und zur Einbeziehung "der nationa-len Opposition" (den Nazis) in die politische Ver-antwortung.

51 Die Aktion fand auch in deutschen Diplomatenkreisen großenAnklang: Deutschlands Botschafter in Wien, Franz von Papen, schlugHitler sogar vor, den Freiheitsbund finanziell zu unterstützen, damitdieser seinen "Kampf gegen das Judentum" fortführen könne.

Der Nachfolger von Dollfuß, Kurt Schuschnigg. Er ist maßgeblich ver-antwortlich für die fatale Politik der steten Konzessionen gegenüberdem Dritten Reich. Selbst als Mussolini ihn fallen lässt, verweigertder außenpolitisch völlig isolierte Diktator eine Zusammenarbeit mitder illegalen Sozialdemokratie, um den "Anschluss" doch noch aufzu-halten

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Die Elite der christlichsozialen Partei rekru-tierte sich, ebenso wie jene des "Stände-

staates", zum allergrößten Teil aus derKatholischen Kirche und ihrem Umfeld.

Keine andere Interessensgruppe profitiertederart von der Diktatur zwischen 1934 und

1938 wie die katholische Kirche. Aber damitalleine die Rolle der Kirche bzw. des politi-

schen Katholizismus bei der Beseitigung derDemokratie und der Errichtung der Diktatur

zu erklären, wäre zu kurz gegriffen.

WAS IST "POLITISCHER KATHOLIZISMUS"?

Zu den wichtigsten Forderungen der Aufklärung ge-hört die strikte Trennung von Religion und Staat. Essei, wurde proklamiert, allen Menschen selbst überlas-sen, sich Gedanken über das Woher und Wohin desMenschen und seiner "Seele" zu machen. Ob wir nachunserem Tod einfach nur in einer Holzkiste vermodernoder aber gen Himmel fahren, sollte keinerlei Einflussauf die Organisation des gesellschaftlichen Lebens aufErden haben. Zu verheerend war die Vermengung vonPolitik und Religion in der Vergangenheit gewesen, alsdass den Kirchen im Zeitalter der Vernunft weiterhinder gleiche enorme Einfluss zugebilligt werden durftewie zuvor. Im Namen keiner Religion sollten mehrKriege geführt, Menschen ausgegrenzt und umge-bracht, Herrschaft legitimiert und Wissenschaft kon-trolliert und gelenkt werden. Religion sollte von nunan bloße Privatsache sein, aber darüber hinaus keinenEinfluss mehr auf Staat und Gesellschaft haben. Womit bürgerlichen Revolutionen das Gedankengut derAufklärung gesiegt hatte und sich in den folgendenJahren und Jahrzehnten festigen konnte, waren (undsind) diese Vorstellungen unumstrittene Eckpfeiler desallgemeinen Demokratieverständnisses. Nicht so in

ben, war allerdings blauäugig. Hitler hatte ja seit je-her erklärt, "alle Deutschen in einem Reich" vereinenzu wollen und wenig Zweifel daran gelassen, dass eres diesbezüglich nicht bei Absichtserklärungen bewen-den lassen würden.

Außerdem ergaben sich durch die deutschenRüstungsanstrengungen 1937 ernste wirtschaftlicheProbleme. Der "Anschluss" Österreichs war für dieNazis nun nicht mehr "nur" ideologisch wichtig, son-dern wurde auch wirtschaftspolitisch interessant. DerMangel an Rohstoffen, vor allem an Eisen und Stahl,die knapp gewordenen Arbeitskräfte und die hohedeutsche Staatsverschuldung konnten durch einen"Anschluss" Österreichs kurzfristig gelindert werden.Schließlich gab es in der "Ostmark" einiges zu holen:die Gold- und Devisenvorräte der ÖsterreichischenNationalbank, den steirischen Erzberg und die unaus-gelasteten Arbeitskräfte waren die lukrativen Aspektedes "großdeutschen Ideals". Die abgehalfterte Dik-tatur Schuschniggs konnte dem Druck, der ab 1937 im-mer stärker wurde, nichts mehr entgegensetzen.Appelle von Seiten der illegalen Sozialdemokratie,der Gewerkschaften und der KP, sich zur Wehr zu set-zen, ignorierte Schuschnigg52 und erklärte statt dessen,er wolle "kein deutsches Blut vergießen". Am 12. Märzbesetzten deutsche Truppen unter dem Jubel vonZehntausenden das Land. "Das österreichische Huhnist in den deutschen Topf gefallen", bemerkte der ita-lienische Außenminister Galeazzo Ciano spöttisch.

52 Zu den zahlreichen Versuchen, sich mit dem österreichischenRegime auf eine gemeinsame Abwehrfront gegen die Nazis zu ver-ständigen, gehörte unter anderem eine Petition an Schuschnigg mitüber 100.000 Unterschriften, in der eine "Volksfront" gefordertwurde.

EXKURS I I

IM NAMEN GOTTES

POLITI SIN

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08| IM NAMEN GOTTES

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Die katholische Gesellschaftsanalyse stützte sich aufeine Geschichtsschreibung, die im Mittelalter die "gott-gewollte" Gesellschaftsform verwirklicht sah. Damals,so die Legende, hätte die Menschheit friedlich zu-sammengelebt, weil niemand fürchten musste, die ei-gene Position von einem Tag auf den anderen zu ver-lieren. Die Gesellschaft sei in drei "Ordines" (lat."Stände") gegliedert gewesen: Während die ersten be-teten, hätten die zweiten zu kämpfen und die drittenschließlich zu arbeiten gehabt. Alle wären in dieserständischen Gesellschaftsordnung eingebettet gewesenund hätten gewusst, wo sie hingehörten - in die be-haglichen Gemächer der Schlösser und Klöster oder indie fraglos nicht ganz so bequemen Quartiere, in de-nen das "Gesinde" hauste. Erst der aufkommendeKapitalismus hätte aus der ständischen Gesellschafteine Klassengesellschaft gemacht, in der sich plötzlichMenschen gegen ihr Schicksal auflehnten.

Einer wissenschaftlichen Betrachtung hält diesesKonstrukt der heilen mittelalterlichen Welt nicht stand:Natürlich hatte es auch im Mittelalter gesellschaftlicheKlassen gegeben, hatten Verteilungskämpfe existiertund hatten sich Beherrschte gegen ihre Unterdrückergewandt - als bekanntestes Beispiel seien hier nur dieBauernkriege genannt. Mit der Industrialisierung er-reichten diese Auseinandersetzungen jedoch eine neueQualität. Die überschaubare, von der Obrigkeit ver-hältnismäßig leicht kontrollierbare ländliche Strukturder Feudalgesellschaft hatte es der "einfachen" Bevöl-kerung im Mittelalter erschwert, sich zusammen zu tunum gemeinsame Interessen durchzusetzen. In den neuentstandenen Industriezentren des 18. und 19. Jahr-hunderts hingegen lebten Tausende auf engstem Raumunter den selben fürchterlichen Bedingungen und be-gannen daher sehr rasch, ein gemeinsames Bewusst-sein zu entwi-ckeln und sich zu organisieren. DieKirche hatte für sozialistische Bestrebungen grundsätz-lich wenig über, aber auch manche ihrer Würdenträgerkonnten nicht umhin anzuerkennen, dass die Ursachefür das Aufbegehren des Proletariats die menschenun-würdigen Lebensbedingungen der ArbeiterInnen wa-ren. Die politische Antwort auf den "hasserfüllten mar-

Österreich. Das Habsburgerreich hatte Macht undReichtum der Katholischen Kirche im großen und gan-zen nicht in Frage gestellt und gegen liberale und so-zialistische Bestrebungen meist wütend verteidigt -eine Ausnahme bildete hier lediglich Joseph II. DerKlerus dankte es der kaiserlichen Familie mit unver-brüchlicher Loyalität und leistete einen wichtigenBeitrag zur Herrschaftssicherung: Die Kirche veran-kerte eine irrationale Ideologie in den Köpfen dergläubigen Massen, die jeden Zweifel an derRechtmäßigkeit der "gottgewollten Herrschaft aufErden" von vornherein ausschloss. Unter "politischemKatholizismus" wird nun generell der Versuch derKirche zusammengefasst, ihren Einfluss auf das politi-sche Leben gegen die Säkularisierung ("Verwelt-lichung") der Gesellschaft zu verteidigen.

KIRCHE UND KAPITALISMUS:STAND ODER KLASSE?

Die Ursache für ihren schwindenden Einfluss sahen dieKirchenfürsten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts vor allem im um sich greifenden "gottlosenMarxismus". Ihn galt es auszurotten. War die Arbei-terInnenbewegung erst zum Schweigen gebracht, wür-de die Welt wieder in Ordnung sein. Kaum verwunder-lich war daher, dass die Herren mit der Demokratie, inder sie ein Werk der "Roten" sahen, wenig Freude hat-ten. Nach 1918 träumten sie von einer Rückkehr in dieselige Zeit des Habsburger-Reiches, als die Gesell-schaftsordnung noch ganz ihren Vorstellungen ent-sprochen hatte. Doch die Exzellenzen irrten, wenn siedie Republik als Grund allen Übels geißelten. Dennschon lange vor dem Zusammenbruch der Monarchiewar die traditionelle, von der Kirche dominierteLebensform des Mittelalters massiven Veränderungenvon außen ausgesetzt gewesen.

I SCHER KATHOLIZISMUS N DER ERSTEN REPUBLIK

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Parteien stand der Linken ein weiterer mächtigerGegner gegenüber: Die katholische Kirche verfügteüber beispiellose Möglichkeiten, die Meinung im Landin ihrem Sinne zu beeinflussen. Landauf, landab wet-terten Pfarrer wütend von den Kanzeln gegen den er-sten Paragraphen der neuen Verfassung, der besagte:"Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Rechtgeht vom Volke aus." Einen Staat, dessen Recht sichnicht von Gott, sondern vom Volk herleite, könne keinChrist wollen, ließen sie ihre Schäfchen wissen.

Die Macht der Kirche beruhte im Wesentlichen auf zweiEckpfeilern. Erstens waren die Eliten in Beamten-apparat und Wirtschaft nach 1918 weitgehend dieSelben wie schon in der Monarchie. Abgesehen von ei-ner Minderheit antiklerikaler Deutschnationaler wa-ren diese Eliten konservativ-katholisch geprägt. In An-betracht ihrer eigenen gefährdeten Privilegien hattensie für die antirepublikanische Hetze der Kirche allzeitein offenes Ohr.

Zweitens übte der Klerus besonders in den ländlichenRegionen seit Jahrhunderten in einem Maß sozialeKontrolle aus, das seinesgleichen suchte. Nach Schät-zungen des Salzburger Historikers Ernst Hanisch lagdie Quote all jener, die zumindest einmal wöchentlichder Messe beiwohnten, bei siebzig bis achtzig Prozentder Gesamtbevölkerung. Keine andere Organisationhatte die Gelegenheit, einmal wöchentlich praktischallen, die irgendwie kreuchen und fleuchen konnten,zu vermitteln, wer für das Gute und Rechte in der Weltund wer im Dienste des Satans stand.

Der Pfarrer bestimmte in der österreichischen Provinz,wer als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu gelten

xistischen Klassenkampf" (Kardinal Piffl) sah derKlerus in der Rückbesinnung auf das Mittelalter undseine "ständische" Gesellschaft. Dollfuß, der ganz indieser Denktradition stand, brachte die katholischeSehnsucht in seiner berühmt-berüchtigten "Trabrenn-platzrede" 1933 auf den Punkt, als er meinte, das "soge-nannte Mittelalter" sei "jene Zeit [gewesen], in der derArbeiter gegen seinen Herren nicht aufstand und orga-nisiert war, jene Zeit, wo Wirtschaft und Leben auf derZusammenfassung aller gegründet war ..."53 Prägnanterzusammengefasst hieß das, das Proletariat solle gefäl-ligst aufhören, gemeinsam für seine Rechte zu kämpfenund ArbeiterInnen ihre untergeordnete Stellung aufErden akzeptieren. Im Gegenzug sollten die Reichen -schon im eigenen Interesse - doch bitte niemanden mehrverhungern lassen. Von den Herrschenden Gnade zu er-bitten und Brot zu erhoffen sei in Ordnung. Beides aberals Recht einzufordern wäre Frevel, Terror, Anarchie.Dieses Prinzip ist bis heute Kerngedanke der Katho-lischen Soziallehre: Mildtätigkeit als Christenpflicht derReichen statt dem Recht auf gleiche Teilhabe an denGütern dieser Welt für alle - Charity statt Gesetze.

DIE MACHT DER KIRCHEIN DER JUNGEN REPUBLIK

Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der letzteHabsburger auf dem Thron der österreichisch-ungari-schen Monarchie, Kaiser Karl I, davongejagt. Mit derRepublik hatte die ArbeiterInnenbewegung einen ge-waltigen Sieg errungen. Doch neben den bürgerlichen

Angehörige des Cartell-Verbandes(CV) bei einem Aufmarsch derVaterländischen Front 1934. DieEliten des "Ständestaat"-Regimesentstammen beinahe durchgehendden katholischen Studenten-verbindungen. Auch abseits des CVbildet die Vielzahl katholischerVereine und Netzwerke einen derwichtigsten Stützpfeiler kirchlicherMacht

53 Die ganze "Trabrennplatzrede" ist abgedruckt bei: Berchtold, Klaus(Hg.) 1967: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien, S427 ff.

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08| IM NAMEN GOTTES

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Die frommen Herren konnten zwangsläufig wenigSympathien für eine Bewegung empfinden, die imselbstbestimmten (also weder von ihnen noch von Gottgelenkten) Menschen ihr Ziel sah. Selbst zumeist aus"besseren Kreisen" stammend, hatten die kirchlichenWürdenträger auch herzlich wenig für eine Sozial-politik übrig, die sie als "bolschewistische Gleich-macherei" verdammten. Die hysterischen Reaktionenauf im Grunde sehr vorsichtige Versuche der Sozial-demokratie, den Einfluss der Kirche im Unter-richtswesen zurückzudrängen, machten außerdemdeutlich: Die Kirche vertraute im Zweifelsfall weniger"der natürlichen Liebe des österreichischen Volkes zuJesus Christus" als der Zwangschristianisierung vonKindheitstagen an. Als diese Praxis nun erstmals inFrage gestellt wurde, war Feuer am Dach. Der großeSchrecken, den etwa der "Glöckel-Erlass"53 hervorrief,wird in einer Stellungnahme von Kardinal Piffl ausdem Jahr 1931 deutlich.

hatte und wer nicht. Er gab über weite Strecken vor,welche Form des Umgangs miteinander gepflogenwerden sollte, wie also das kulturelle, soziale und da-mit zu wesentlichen Teilen auch das politische Lebenauszusehen hatte. Hinzu kam ein weit verzweigtesNetz von Vorfeldorganisationen, Studentenverbindun-gen und nicht zuletzt der katholische Einfluss auf dasSchulwesen.

SCHÜTZENHILFE FÜR ANTIDEMOKRATISCHE KRÄFTE

Mit der Demokratie an sich konnte der Klerus schonwenig genug anfangen. Mit denen, die sie erkämpfthatten, der ArbeiterInnenbewegung, allerdings nochdeutlich weniger. Die Hoffnung der Kirche ruhte daherseit 1918 auf Männern, die ihren Abscheu gegen dieDemokratie teilten, wie die Wiener ChristlichsozialenIgnaz Seipel, Kurt Schuschnigg oder Engelbert Dollfuß,aber auch auf strammen Deutschnationalen (und spä-teren Nazis) wie Arthur-Seyss Inquart. Breite Unter-stützung der Kirche fanden auch die Heimwehren inihrem Kampf gegen die "gottlosen Roten". Die Abnei-gung der Kirche gegen die Sozialdemokratie war vor-wiegend ideologisch motiviert und kaum auf konkreteantikirchliche Politik der SDAPÖ zurückzuführen.

Turnerinnen des Halleiner Arbeitervereins in den 20ern. DasAufbegehren von Frauen gegen althergebrachte Rollenmuster, ihr

Kampf um Gleichberechtigung und Mitbestimmung war denKirchenmännern zutiefst suspekt. Inbegriff "sittlicher Zerrüttung"

war für sie besonders das neue weibliche Selbstbewusstsein, mit demein neues, positives Verhältnis zum eigenen Körper einherging

Festliche Versammlung der Ortsgruppe Holzleithen (OÖ) des Freidenkerbundes. Die antiklerika-len sozialdemokratischen "Freidenker" sind das Lieblingsfeindbild des Klerus. Nach der

Ausschaltung des Parlaments 1933 ist ihre Organisation eine der ersten, die Dollfuß verbieten lässt

53 Der sogenannte "Glöckel-Erlass" im Roten Wien des Jahres 1919besagte, dass Schulkinder von ihren Religionslehrer nicht mehr ge-zwungen werden durften, am Sonntag die Messe zu besuchen unduntersagte die Anbringung religiöser Symbole in öffentlichenSchulen.

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Katholischer Antisemitismus

Aus dem Hirtenbrief des Linzer Bischofs JohannesMaria Gföllner 1933:"Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einenüberaus schädlichen Einfluß auf fast alle Bereichen desmodernen Kulturlebens. Wirtschaft und Handel,Geschäft und Konkurrenz, Advokatur und Heilpraxis,soziale und politische Umwälzungen sind vielfachdurchsetzt und zersetzt von materialistischen und libe-ralen Grundsätzen, die vorwiegend vom Judentumstammen. Presse und Inserate, Theater und Kino sindhäufig erfüllt von frivolen und zynischen Tendenzen,die die christliche Volksseele bis ins Innerste vergiftenund die ebenso vorwiegend vom Judentum genährtund verbreitet werden. Das entartete Judentum imBunde mit der Weltfreimaurerei ist auch vorwiegendTräger des mammonistischen Kapitalismus und vor-wiegend Begründer und Apostel des Sozialismus undKommunismus, der Vorboten und Schrittmacher desBolschewismus. ..."

DER KLERUS UND DIE ERRICHTUNG DER DIKTATUR

Nachdem sich die Christlichsozialen 1933 im Bündnismit der Heimwehr endgültig auf die Abschaffung derDemokratie festgelegt hatten, unterstützte die Kircheden eingeschlagenen Kurs nach Kräften. Sie goutiertedie Ausschaltung des Parlaments und ermutigteDollfuß damit indirekt zu weiteren Schritten inRichtung offener Diktatur. Kardinal Innitzer rief denwomöglich Schwankenden im April 1933 zu: "Hintereine solche Regierung müssen wir uns geschlossenstellen".

Wie wichtig die ideologische Unterstützung der Kirchewar, wird anhand der ersten Maßnahmen nach derAuflösung des Parlaments klar: Der "Glöckel-Erlass"wurde aufgehoben und der antiklerikale sozialdemo-kratische "Freidenkerbund" mit sofortiger Wirkung

Seine Exzellenz meinte damals: "Aber gerade die zeit-weilige Gewaltherrschaft des österreichischen Marxis-mus hat den Katholiken die Augen geöffnet. Sie saheneine Weltanschauung an der Arbeit, die wohl überallniederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sahenan der Stelle des Rechts brutale Gewalt an derRegierung und sahen nicht zuletzt, wie die Grundsätzeder katholischen Weltanschauung systematisch aus al-len Gebieten des staatlichen und öffentlichen Lebensverdrängt wurden."55 Wer in der demokratischenRegierungsbeteiligung der Sozialdemokratie eine"marxistische Gewaltherrschaft" erblickte, konnteautomatisch kein großer Freund des gesamten demo-kratischen Systems sein. Allerdings hatte die Politikder Kirche, allzeit gegen die Sozialdemokratie zu het-zen und fleißig die Werbetrommel für dieChristlichsozialen zu rühren, auch einen materiellenHintergrund. Neben dem Ziel eines "Ständestaates",erhoffte sich der Vatikan von der Ausschaltung derLinken die Möglichkeit, ein vorteilhaftes Konkordatabschließen zu können.56

55 Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1984: Der Politische Katholizismus alsideologischer Träger des "Austrofaschismus" in: Talos, Emmerich undNeugebauer, Wolfgang (Hg.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträgeüber Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, 4. erweiterte Auflage,Wien, S 56."56 "Konkordate" sind Verträge zwischen dem Vatikan und anderenStaaten, die die Rechte der Kirche in den betreffenden Ländern regeln.

Gemeinsames Wahlplakat vonHeimwehr und Christlich-

sozialen. Die Sozialdemo-kratie bemüht sich in derErsten Republik um eineTrennung von Kirche und

Staat, die in anderen Staaten,wie etwa Frankreich, zum de-

mokratischen Grundver-ständnis gehört. Bischöfe und

Christlichsoziale verteufeln dieVerbannung religiöser

Symbole aus Schulen undAmtsstuben in Wien als "mar-

xistische Gewaltherrschaft"

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08| IM NAMEN GOTTES

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Als am 12. Februar 1934 schließlich die Kanonen desBundesheeres ArbeiterInnenwohnhäuser in Schutt undAsche legten und selbst schwerverletzte Schutzbündlerwie Verbrecher gehängt wurden, übernahm die Kirchebereitwillig die schwierige Aufgabe, all das vor derWeltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Sie erklärte, dieSozialdemokratie hätte am 12. Februar eine "mit lan-ger Vorbereitung und mit dem Aufgebot gewaltigerMittel außerordentlich planmäßig ins Werk gesetzteRevolution" vom Zaun gebrochen. Damit wären vonihr auch in Österreich russische Zustände herbeige-führt worden, die in Kirchen- und Klösterstürmen ge-gipfelt hätten. Vor dieser Gefahr wäre die Kirche nurdurch das beherzte Vorgehen der Regierung bewahrtworden, ihr gebühre für "den Ernst und die Milde" ih-res Vorgehens aufrechter Dank.

DAS "VERGELT'S GOTT"DER DIKTATUR 1934 - 1938

In der Verfassung des "Ständestaats" von 1934 hieß esstatt der bisherigen Feststellung, Österreich sei eineDemokratie, deren Recht vom Volk ausginge, fortanim ersten Artikel: "Im Namen Gottes, des All-mächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält dasösterreichische Volk für seinen christlich, deutschenBundesstaat auf ständischer Grundlage diese Ver-fassung". Damit begann die vorerst letzte Phase derGegenreformation in Österreich. Die Kirche und ihreGewährsmänner in der Politik gingen nicht nur daran,

aufgelöst. Gleichzeitig signalisierte Dollfuß weitrei-chendes Entgegenkommen bei den anstehendenKonkordatsverhandlungen. Eine Hand wusch die ande-re: Als endgültig klar war, dass die Dollfuß-Regierungder Sozialdemokratie militärisch den Garaus zu ma-chen gedachte, überschütteten die katholischenWürdenträger den Kanzler in der Öffentlichkeit mitLob. So wurde angesichts der Ausschaltung desParlaments und der faktischen Abschaffung derDemokratie in einem "Hirtenbrief" seitens derBischöfe verlautbart, die Kirche sei "überzeugt von dervollkommen legalen Stellungnahme und korrektenHandlungsweise der jetzigen Staatsgewalt".

Im Gleichschritt in die Diktatur:Aufmarsch von Pfarrern auf der WienerRingstrasse anlässlich des "AllgemeinenDeutschen Katholikentages" 1933. Nachder Ausschaltung des Parlaments jubelndie Bischöfe Dollfuß zu, Kardinal Innitzerschreibt begeistert: "Das Führerprinzipbricht sich in der Alten und in der NeuenWelt Bahn. In der Kirche herrscht es seitjeher." Zitiert nach: Der Standard, 13./14.März 2004.

Feierliche Unterzeichnung des neuen Konkordats 1933. DerKlerus erweist Dollfuß bei der Errichtung der Diktatur wertvolleDienste. Im Gegenzug lässt sich der Diktator nicht lumpen undschließt mit den Vertretern des Vatikan ein für die Kirche überausvorteilhaftes Abkommen

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Der Klerus revanchierte sich weiterhin für das Ent-gegenkommen, das ihm zu Teil wurde und war eifrigbemüht, seine Schäfchen auf Linie zu halten. Nach derErmordung von Dollfuß durch putschende Nazis hattedie Kirche maßgeblichen Anteil daran, den verbliche-nen Kanzler zum "Märtyrer" zu verklären, so wurdenin vielen Kirchen des Landes dem toten Diktator eige-ne Dollfuß-Altäre eingeweiht, Dollfuß-Kapellen er-richtet und im ganzen Land Dollfuß-Messen gelesen.

Doch bei aller Liebe blieb Gottes Bodenpersonaldurchaus pragmatisch. Als zu Beginn des Jahres 1938das österreichische Konkurrenzunternehmen zumdeutschen Faschismus endgültig als gescheitert be-trachtet werden musste, hatte Halsstarrigkeit aus Sichtder Kirchenfürsten keinen Sinn. Kardinal Innitzer be-schloss stattdessen, es der deutschen Geistlichkeitgleichzutun und versuchte, sich mit den neuenMachthabern gut zu stellen. War gestern die Parolenoch "Heil Österreich" gewesen, bewies der Kirchen-mann nun Flexibilität. Seine Ergebenheitsadresse anden neuen Herrscher unterzeichnete er mit einem de-voten "Heil Hitler".

den Säkularisierungsprozess des vorangegangenenJahrzehnts rückgängig zu machen - sondern jenen dervergangenen hundertfünfzig Jahre. Mit den Wortendes damaligen Bundespräsidenten Miklas: "DieEpoche der Säkularisierung des europäischen Geistes,die sich im privaten und öffentlichen Leben so unheil-voll auswirkte, neigt sich ihrem Ende zu und nach dergewaltsamen Austreibung christlichen Geistes aus demLeben der Völker, mit der frühere Generationen ge-sündigt haben, muss nun wieder mit dem Einholen derHeiligtümer begonnen werden." Gesagt, getan. DieKirche war fortan in wichtigen staatlichen Gremienvertreten, im Bundeskulturrat ebenso wie in denLandtagen. Ihren wiedergewonnenen Einfluss, speziellim Unterrichtswesen, wusste sie zu nutzen: Schul-direktoren, vielfach aber auch schon einfacheLehrerInnen, mussten katholisch sein. BeamtInnenund LehrerInnen waren verpflichtet, an kirchlichenFeiern teilzunehmen. LehrerInnen hatten für die ka-tholische Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder zusorgen, insbesondere auch für deren regelmäßigeBeichte. Nicht zur Beichte zu gehen zog künftigschlechtere Schulnoten nach sich. Im Alltag desStaatsapparates waren religiöse Kulte binnen kürze-ster Zeit allgegenwärtig. Amtsräume wurden geweiht,Amtsmessen abgehalten, bei fast allen größerenAnlässen waren Priester anwesend. Aber damit nichtgenug: Seit dem August 1933 mussten alle, die ausder Kirche austreten wollten, ihren "gesunden Geistes-und Gemütszustand" nachweisen, in Salzburg wurdenAustrittswillige überhaupt ins Gefängnis gesperrt.Pfarrern war es endlich möglich, die seit jeher mitArgusaugen überwachten "Tanzfestlichkeiten" in ihrenGemeinden zu unterbinden, ebenso konnten sie nunvielerorts Kinovorführungen zensieren oder gleichverbieten. Um die Verbundenheit des "Neuen Öster-reich" mit der Kirche zu demonstrieren, aber auch umdeutlich zu machen, welche Sorte Kampf hier geführtwurde, griff man tief in die historische Mottenkiste.Zum Symbol für die nach faschistischem Vorbild ge-schaffene Einheitsorganisation des Regimes, die"Vaterländische Front", wurde das Zeichen der altenKreuzritter, das Jerusalem- oder Kruckenkreuz.

Einweihung der "Dr.-Dollfuß-Gedächtniskirche" auf der Hohen Wanddurch Kardinal Innitzer, Sommer 1934. Die Stilisierung des totenDiktators zum "Märtyrer" gelingt nur durch die tatkräftigeUnterstützung der Kirche

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09| ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938

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Fragen gestellt und beantwortet werden. Wer war auswelcher Motivation heraus an der Beseitigung derDemokratie beteiligt? Wer profitierte von der Dik-tatur? Standen Dollfuß und seine Getreuen allein aufweiter Flur oder gab es Parallelen zu anderen europä-ischen Systemen?

"Faschismus" als allgemeine politische Kategorie wirdmehrheitlich von progressiven WissenschaftlerInnenverwendet. Konservative und Rechte würden damit inerster Linie das italienische Herrschaftsmodell Mus-solinis meinen, die Qualifizierung anderer Regime als"faschistisch" lehnen sie meist ab. Dadurch ergibt sichvon selbst, dass der Begriff "Austrofaschismus" tenden-ziell von links in die Debatte einfließt - allerdingsnicht ausschließlich. Sowohl jener Bundespräsident,der Dollfuß widerstandslos gewähren ließ, Miklas, alsauch der - linker Umtriebe unverdächtige - letzte kai-serliche Finanzminister Alexander Spitzmüller spra-chen von einem "austrofaschistischen System".

Außer Frage steht die Existenz zweier faschistischerBewegungen im Österreich der 1920er und '30er:Neben den Nazis prägte am äußersten rechten Randvor allem die Heimwehr das politische Geschehen. IhreFührer bezeichneten sich selbst mehrmals als faschis-tisch und es lässt sich anhand objektiver Kriterien fest-stellen, dass dem letztlich auch so war: Die Heimwehrkonnte zeitweise auf eine zumindest in Ansätzen vor-handene Massenbasis verweisen. Sie war nach demFührerprinzip streng hierarchisch gegliedert, militari-stisch und betont "männlich". Inhaltlich war dieHeimwehr stramm antimarxistisch und bediente sich inihrer Propaganda einer pseudorevolutionären Rhe-torik. Sie vertrat rassistische, antisemitische Vorstel-lungen und wandte sich scharf gegen ein rationalesWeltbild. Gleichzeitig war die Heimwehr ihrer Funk-

In der Wissenschaft ist bis heute umstritten,welche Herrschaftsform sich in Österreich

nach der endgültigen Zerschlagung derDemokratie im Februar

1934 etablierte.

War die Diktatur von Dollfuß undSchuschnigg "faschistisch"? War sie "bürgerlich-autoritär"? War sie "klerikalfaschistisch"? War der "Ständestaat" die "erstarrteHerrschaft der Bürokratie"? Und weshalb tut eine möglichst präzi-se Antwort auf diese Fragen Not?

Begonnen bei der letzten Frage fällt die Antwort nichtschwer. Zum einen sollte es unser aller Anliegen sein,den Versuchen aus konservativen Kreisen entgegenzu-treten, die in den Diktatoren verdiente Widerständlergegen den Nationalsozialismus sehen wollen und ihrePolitik als "Akt der Notwehr gegen Links und Rechts"zu deuten versuchen. Denn indirekt wird damit ja auchfür Gegenwart und Zukunft festgehalten, dass dieAbschaffung der Demokratie unter gewissen Umstän-den grundsätzlich legitim sein kann. Ein wesentliches Element dieser systematischen, ver-harmlosenden Geschichtsfälschung besteht in mög-lichst unspektakulären Begrifflichkeiten. "Faschistisch"ist Terror, Weltkrieg und Massenmord. "Autoritär" da-gegen ist halt nicht ganz frei. Und "Ständestaat" ist fürdie allermeisten ohnehin eine nicht nachvollziehbare,aber mithin auch kaum abstoßende Kategorie.

Neben der Widerlegung konservativer Mythen stelltsich aber natürlich auch im Fall der Diktatur '34-'38die Frage nach dem "Wie lernen?". Lernen heißt auch,sich klare Begrifflichkeiten zu erarbeiten, indem

AUSTRO"FASCHISMUS"?ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938

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bügelhalterin war sie auch nicht ansatzweise in derLage, das politische Geschehen der Diktatur zu domi-nieren, obwohl "Bundesführer" Starhemberg zu Be-ginn des Regimes 1934 noch vollmundig vom "Staatder Heimwehr" gesprochen hatte. Im Gegenteil gelanges Dollfuß - und später vor allem Schuschnigg - relativmühelos, die Chefs der Heimwehr aufs politische Ab-stellgleis zu verfrachten. Zur bitteren Enttäuschung derHahnenschwanz-Milizen bildeten nicht sie, sondern dieneugegründete Vaterländische Front (VF) jene Organi-sation, die für das österreichische Regime als Mas-senbasis nach italienischem Vorbild herhalten sollte.

Die schriftliche Versicherungen von Dollfuß gegenüberseinem alten Freund und Gönner Mussolini, dieFaschisierung des Staates voranzutreiben, stelltendennoch keine bloßen Lippenbekenntnisse dar.57

Zeitweise wurden recht konkrete Schritte in dieseRichtung unternommen: Die Linke wurde militärischniedergerungen, sämtliche Organisationen der öster-reichischen ArbeiterInnenbewegung aufgelöst undOppositionelle verfolgt. Gleichzeitig wurde versucht,möglichst breite Teile der Bevölkerung in denOrganisationen des Staates zu erfassen, zu aktivierenund zu militarisieren. Schlussendlich wurde - im gro-ßen Stil allerdings erst nach dessen Ableben - einFührerkult rund um die Person Dollfuß betrieben, derden Vergleich mit dem Faschismus in anderen Ländernnicht zu scheuen brauchte. Diese Tatsachen ließen fürsich genommen den Begriff "Austrofaschismus" als zu-lässig erscheinen.

Allerdings gibt es mehrere gute Gründe dafür, sich derDefinition Otto Bauers anzuschließen, der im FallÖsterreichs von einem "Halbfaschismus" spricht. Dennwie bereits erwähnt, wurde die ursprüngliche faschisti-sche Bewegung im "Ständestaat" völlig entmachtet.Lässt sich außerdem noch darüber streiten, ob dieHeimwehr über eine aktivierbare Massenbasis nachfaschistischem Muster verfügte, kann dies im Falle derDiktatur Dollfuß/Schuschnigg klar verneint werden.

tion nach lange Zeit eine bezahlte Privatarmee derösterreichischen Reaktion. Ähnlich wie die faschisti-schen Milizen in Italien und die SA in Deutschlandwurde sie gegen demonstrierende und streikendeArbeiterInnen eingesetzt und führte einen permanen-ten Kleinkrieg gegen linke Parteien und Gewerk-schaften. Unbestritten ist neben diesen Charakter-merkmalen der Heimwehr auch ihre Beteiligung ander Beseitigung der Demokratie und der gewaltsamenUnterdrückung der Linken.

Ab da wird es allerdings etwas komplizierter. Dennanders als in Deutschland und Italien wurde 1933/34nicht die Heimwehr von bürgerlichen Parteien undInteressensgruppen an die Macht gebracht, sondernsie war Juniorpartnerin einer Koalition von Christlich-sozialen und Deutschnationalen. Als deren Steig-

56 Zitiert nach: Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder dieSpuren der 30er Jahre, Wien, S 162. 57 Vgl. Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß.

Handshake der "Patrioten" Dollfuß und Starhemberg. Letzterer beschreibtseine politische Haltung so: "Bewusst habe ich daher den Begriff ´Austro-

faschismus`geprägt. Bewusst und wohlüberlegt habe ich mich und damitden österreichischen Heimatschutz als den Träger des österreichischen

Faschismus erklärt" 56

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Die Christlichsozialen in der Ersten Republiksind keineswegs von jeher vom "österreichi-schen Geist" erfüllt. Ihre Führer, wie IgnazSeipel, fordern mehrmals, unter anderemauch im Rahmen des "10. Deutschen Sänger-bundfestes" 1928 in Wien (Bild) denAnschluss Österreichs an Deutschland. Derspätere Kleinstaat-Patriotismus derKonservativen hat seinen Ursprung nicht inechter Überzeugung, sondern vielmehr inmachttaktischen Überlegungen

10| LÜGEN UND LEGENDEN

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Bereits in der Einleitung wurden einige der gängigstenLegenden rund um die Erste Republik und den "Ständestaat"erwähnt. In den letzten Jahren haben Publikationen undMedienbeiträge, die solche Legenden zum Inhalt haben, zu-genommen. AutorInnen, die sich bereit finden, die Rolle derChristlichsozialen, ja sogar der Heimwehr-Faschisten schönzu reden, haben im Ersten Präsidenten des Nationalrates,dem VP-Abgeordneten Andreas Khol, allzeit einen euphori-schen Fürsprecher. Welches Interesse Leute vom Schlag Kholsdamit verfolgen, sei dahin gestellt. Im Folgenden soll aberder Versuch unternommen werden, einige der populärstenLügen und Legenden zu widerlegen.

I DIE ANTIDEMOKRATISCHESOZIALDEMOKRATIE UND DER ANSCHLUSS AN DEUTSCHLAND

"Mit seiner Ablehnung der Ersten Republik standStarhemberg keinesfalls alleine dar: ... Die Sozial-demokraten ... wollten den Anschluss an Deutsch-land - über das Jahr 1938 hinaus. ... Die damaligeSozialdemokratie stellte den Sozialismus über dieDemokratie. Allen voran Otto Bauer, als er amLinzer Parteitag 1926 von der zu errichtenden

Dem Versuch des Regimes, im Nachhinein eine derar-tige Basis zu schaffen, war kaum Erfolg beschieden.Auch ihrem Anspruch nach vertraten die österreichi-schen Diktatoren im Unterschied zu anderen, eindeu-tig faschistischen Führern eine andere Politik.Während sich faschistische Bewegungen allerorts alsRenegaten gegen "das System" gebärdeten, von"Revolution" schwadronierten und versprachen, siewürden einen völlig neuen Staat erschaffen, traf aufdie österreichischen "Führer" Ähnliches nicht zu.Dollfuß kam aus einer traditionellen bürgerlichenPartei (die er allerdings weit nach rechts getriebenhatte), er sah sich als Garant des bisherigen Einflussesdieser Partei, nicht als ihr Totengräber. Die Macht vonDollfuß und Schuschnigg stützte sich ab Februar '34fast ausschließlich auf traditionelle Machtgruppen:Kirche, Beamtenschaft, Militär, Unternehmer. Mit allenFasern verkörperten die Führer des "Ständestaates" inerster Linie eines: Tradition. Sie versuchten gar nichterst so zu tun, als wollten sie etwas Neues. Sie sehntensich zurück ins Mittelalter - und das sagten sie öffent-lich. Damit sind aber wesentliche Kriterien zur Klassi-fizierung "faschistisch" nicht vorhanden. Und OttoBauer bleibt nichts hinzuzufügen.

LÜGEN UND LEGENDEN UM DASENDE DER ERSTEN REPUBLIK

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die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklassesein wird, durch planmäßige Unterbindung desWirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung,durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolu-tionären Mächten [eine Anspielung auf die gutenKontakte der Heimwehr nach Ungarn und Deutsch-land, Anm.] widersetzen sollte, dann wäre die Arbei-terklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisiemit den Mitteln der Diktatur zu brechen. DieArbeiterklasse erobert die Herrschaft in der demokra-tischen Republik, nicht um eine neue Klassen-herrschaft aufzurichten, sondern um jede Klassen-herrschaft aufzuheben..."59

Die "Diktatur des Proletariats" wurde also nicht ange-strebt, sondern stellte für die SDAPÖ einen Akt äußer-ster Notwehr dar. Noch nach der Ausschaltung desParlaments 1933 sagte Bauer in einer bekannten Redevor sozialdemokratischen Vertrauensleuten: "Wir wis-sen, dass, wenn es zur Entscheidungsschlacht kommt,dies Opfer kosten wird, die wir vor den Müttern desLandes nur verantworten können, wenn wir vorher al-les getan haben, um eine friedliche Lösung auf demo-kratischer Grundlage möglich zu machen." Wenn dieSozialdemokratie so versessen auf eine Diktatur ge-wesen wäre, dann hätte sie in den Revolutionsjahren1918/1919 mühelos zur Tat schreiten können. Sie tates aber nicht, weil sie überzeugt davon war, dass ihrZiel, der Sozialismus, nur auf demokratischem Wegeerkämpft werden konnte, wenn er eine Zukunft habensollte.

II DIE "WEIGERUNG DERSOZIALDEMOKRATIE"

"Die Ablehnung des hochherzigen Angebots desdurch die Kirchenaustrittskampagne der Austro-marxisten tief verletzten Priesters Ignaz Seipel andiese zur Bildung einer großen schwarz-rotenKoalition im Juni 1931, der sich kurz darauf zwei

´Diktatur des Proletariats` sprach." (Gudula Wal-terskirchen, Journalistin der Tageszeitung "DiePresse")58

Schon die Gleichsetzung des selbsternannten"Austrofaschisten" Starhemberg, der die junge Repu-blik von Anfang an gehasst und verachtet hatte, mitdenjenigen, die 1918 die Demokratie erkämpft hat-ten, spricht für sich. Starhemberg wollte die ErsteRepublik nicht, weil er in der Demokratie "dieDiktatur des roten Mobs" sah. Die Sozialdemokratieder Ersten Republik hingegen verlangte - ebenso wiedie Christlichsozialen bis Ende der 20er Jahre - inAnbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten deskleinen, völlig verarmten Landes eine Vereinigung mitdem demokratischen Deutschland. Dieser Wunsch war nach dem Auseinanderbrechen ei-nes Riesenreiches wie der Habsburger Monarchie, anderen Stelle sich nun eine Vielzahl von selbstständigenStaaten gründete, durchaus legitim. Denn die Grenzendieser neuen Staaten verliefen, von einigenAusnahmen abgesehen, in etwa entlang der Sprach-grenzen. Aus heutiger Sicht rückt aber dieBehauptung, sie hätten den "Anschluss" gewollt, dieSozialdemokratie in die Nähe der Nazis - eine lach-hafte Polemik. Nach der Machtübernahme Hitlersstellte Otto Bauer bei seiner Rede am SDAPÖ-Parteitag 1933 eindeutig klar: "Wir wollen denAnschluss an die Deutsche Republik, nicht aber an dasZuchthaus Hitlers."Die Behauptung, auch die SDAPÖ hätte in der ErstenRepublik auf eine Diktatur hingesteuert, stützt sich vorallem auf die Aussage Otto Bauers beim LinzerParteitag 1926. Bauer sprach aber keineswegs von ei-ner "zu errichtenden Diktatur", sondern wiederholtenur sinngemäß die betreffende Passage des neuenParteiprogramms (das später als "Linzer Programm"berühmt wurde), die im Hinblick auf den wachsendenTerror der Rechten besagte: "Wenn sich aber dieBourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung,

58 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der30er Jahre, Wien, S 118.

59 Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutsch-österreichs, zitiert nach: Sandkühler, Hans-Jörg und Vega de la,Rafael: Austromarxismus, Frankfurt-Wien, S 385.

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wurde, die sich von ihr eine Verbesserung ihrer eige-nen Lebenssituation erhofften. Die sozialdemokratische Parteiführung vertraute (nai-verweise) darauf, dass sich auch ihr politischer Gegneran demokratische Spielregeln halten würde undschlug daher das Angebot Seipels aus. Aus dieser de-mokratiepolitischen Selbstverständlichkeit abzuleiten,die SDAPÖ hätte den Christlichsozialen quasi keineandere Wahl gelassen, als sie über den Haufen zuschießen und eine Diktatur zu errichten, zeugt nichtnur von einer seltenen Unverfrorenheit, sondern wirftauch ein bezeichnendes Licht auf das heutige konser-vative Demokratieverständnis.

III DIE "GETEILTE SCHULD"AM ENDE DER DEMOKRATIE

"Der These von der einseitigen Schuld auf derbürgerlichen Seite steht die Antithese von dereinseitigen Schuld der sozialdemokratischen Seitegegenüber. [...] Schuld lag ohne Zweifel auf bei-den Seiten." (der ehemalige VP-Vizekanzler FritzBock zum 40. Jahrestag des 12. Februar)62

10| LÜGEN UND LEGENDEN

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weitere solche Koalitionsangebote des christlich-sozialen Bundeskanzlers Karl Buresch ange-schlossen hatten, war - im Rückblick und vomStandpunkt der Sicherheit Österreichs gesehen -ein Versäumnis von historischen Dimensionen zueinem Zeitpunkt, als die Weltwirtschaftskrise inDeutschland 1930 eine Verzehnfachung des na-tionalsozialistischen Wählerpotentials bewirkthatte."60 (Gottfried Karl Kindermann, Historiker)

Das von Kindermann wie von vielen anderenKonservativen gebetsmühlenartig wiederholte "groß-herzige Angebot" Seipels an die Sozialdemokratie,1931 eine große Koalition zu bilden, ist in mehrerleiHinsicht ein abstruser Versuch, die angebliche "beid-seitige Schuld" zu belegen. Die "Großherzigkeit" desPrälaten bestand in der Realität darin, der SDAPÖ einBündnis vorzuschlagen, bei dem sie in einem Kabinettmit den Christlichsozialen und der Heimwehr zurVollstreckungsgehilfin einer Politik geworden wäre,die sich ausschließlich gegen ihre eigenen An-hängerInnen richtete. Die Durchsetzung sozialdemo-kratischer Ziele wäre unmöglich gewesen, zusätzlichwäre den eigenen AnhängerInnen wohl kaum beizu-bringen gewesen, warum man gemeinsame Sacheausgerechnet mit jenen Leuten (der Heimwehr) ma-chen sollte, die unentwegt davon sprachen, das demo-kratische System zu beseitigen, die Sozialdemokratiezu vernichten und die schon seit Jahren einen perma-nenten Kleinkrieg gegen die Linke führten.Seipels Motiv war dabei weniger christliche Nächsten-liebe, als die Erkenntnis, dass der erfolgreichenSDAPÖ alleine durch den Heimwehr-Terror nicht bei-zukommen war.61 Weitere Wahlsiege der "Bolsche-wisten" sollten deshalb verhindert werden, indem dieSozialdemokratie in den Augen all jener diskreditiert

60 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europaserste Abwehrfront 1933-1938, München, S 172.61 Empfohlen sei hierzu auch der Artikel von Anton Staudinger: Kon-zentrationsregierung, Bürgerblock oder präsidiales Minderheitsre-gime? Zum angeblichen Koalitionsangebot Ignaz Seipels an die Sozial-demokratie im Juni 1931, in: Zeitgeschichte 12, Oktober 1984, S 1-19.

Jugendabteilung des Linzer Schutzbundes. ArbeiterInnen greifen aufgrund des rechten Terrors undder Untätigkeit der Behörden zur Selbsthilfe. Der Republikanische Schutzbund ist nicht einfach eine"Parteiarmee", sondern dient im Unterschied zur Heimwehr der Verteidigung von Demokratie undRepublik

62 Zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975: Das Jahr 1934:12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974.

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Das österreichische Parlament hat sich nicht "selbstausgeschalten", wie von Dollfuß und seinen Hand-langern behauptet. Am 4. März 1933 kam im Natio-nalrat eine Gesetzesvorlage der Regierung zur Ab-stimmung, die forderte, die Führer eines Eisen-bahnstreiks zu bestrafen. Der Streik war die Reaktionauf einen riesigen Waffenschmuggel gewesen, in dendie Heimwehr involviert war, die sogenannte Hirten-berger Waffenaffäre. Bei der Abstimmung befandsich ein sozialdemokratischer Abgeordneter nicht imRaum, mit dessen Stimme die Opposition in derMehrheit gewesen wäre. Vor der Abstimmung hatteder Abgeordnete jedoch seinen Abstimmungszettel ei-nem Kollegen anvertraut, der so für ihn "mitgestimmt"hatte. Die Regierung weigerte sich nun, das Ergebnisder Abstimmung anzuerkennen und argumentierte,der Abwesende hätte dem Anwesenden keine schriftli-che Ermächtigung erteilt. Aus Protest gegen dieseHaltung legte der sozialdemokratische erste Parla-mentspräsident Renner sein Amt nieder. Sowohl derchristlichsoziale zweite Präsident Ramek als auch derdritte Präsident, der großdeutsche Straffner verwei-gerten die Übernahme des Vorsitzes. Da nun kein Vor-sitzender die Sitzung leiten konnte, wurde das Plenumvertagt. Dieser Vorfall, dem ursprünglich keiner derBeteiligten sonderlich viel Bedeutung beigemessenhatte, war für Dollfuß die willkommene Gelegenheit,

Worin der Anteil von Christlichsozialen und Heimwehrbei der Beseitigung der ungeliebten Demokratie lag,ist klar. Seit Ende 1932 wollte Dollfuß nachweislich dieDemokratie beseitigen und eine autoritäre Diktaturerrichten. Was aber tat die Linke zum Untergang dervon ihr erkämpften Demokratie? Wenn es von ihrerSeite ein Versagen gab, so jenes, zu lange vor denantidemokratischen Bestrebungen der Rechten zurück-gewichen zu sein, erst gekämpft zu haben, als dieNiederlage feststand. Aber sie hat gekämpft. Gegeneine Übermacht von Heimwehr, Bundesheer undPolizei unter dem Kommando des ÖVP-AhnherrenDollfuß hat der Republikanische Schutzbund versucht,die Demokratie zu verteidigen. Selbst der bürgerliche Antimarxist, Landbundpolitikerund ehemalige Vizekanzler der Regierung Dollfuß,Franz Winkler, schrieb zwei Jahre nach den Februar-kämpfen: "Der rote Aufstand war eine in der Ge-schichte einzig dastehende revolutionäre Handlung.Denn: Rebellen, Revolutionäre gehen auf die Barri-kaden ... um bestehende Verfassungen zu stürzen undbestehende Verhältnisse zu ändern. Die Schutzbund-rebellen vom 12. Februar 1934 standen aber auf denBarrikaden zur Verteidigung der in Geltung stehendenösterreichischen Verfassung."63

IV DIE "SELBSTAUSSCHALTUNG" DES PARLAMENTS 1933

"Im Jahr 1933 schaltete sich das Parlamentselbst aus, nachdem der Reihe nach, wegen einerAbstimmungstaktik, alle drei Parlamentspräsi-denten zurückgetreten waren, in der Folge wurdekeine Sitzung des Parlaments mehr einberufen,und die Regierung beschloss, eine Zeitlang autori-tär, das heißt ohne die Mitwirkung desParlaments, zu regieren." (Gudula Walterskirchen,Journalistin der Tageszeitung "Die Presse")64

63 Winkler, Franz 1935: Die Diktatur in Österreich. Zürich; Zitiert nach: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung 1994: Februarkämpfe1934. Dokumentation 1/ 94, S 24.64 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 116.

Die angebliche ´Selbstausschaltung` in der Praxis: Polizei sperrt dasParlament ab und verhindert ein neuerliches Zusammentreten des Natio-

nalrates nach der von Dollfuß verkündeten Auflösung des Parlaments

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10| LÜGEN UND LEGENDEN

SEITE|7767 Kurt Pebal, zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975:Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5.Februar 1974, S 122.

loszuschlagen. In den folgenden Tagen sabotierte dieChristlichsoziale Partei konsequent alle Versuche zurWiederaufnahme der parlamentarischen Tätigkeit.Stattdessen proklamierte sie am 7. März die "Selbst-ausschaltung des Parlaments". Als schließlich der dritte Präsident des Nationalrates,Straffner, ordnungsgemäß eine Sitzung des National-rates für den 15. März einberief, ließ Dollfuß vor demParlament schwer bewaffnete Polizei aufmarschieren,die ein Zusammentreten des Nationalrats mit Gewaltverhinderte. Es ist auch eine Lüge, dass Dollfuß nur"eine Zeitlang autoritär regieren" wollte. Er selbstsagte im Mai 1933 offen: "Diese Form von Parlamentund Parlamentarismus wird nicht wiederkommen."65

Und wenige Monate später: "Die Zeit marxistischerVolksführung und Volksverführung ist vorüber ... Wirwollen den sozialen, christlichen, deutschen StaatÖsterreich auf ständischer Grundlage unter starker,autoritärer Führung."66

65 Rede vor einer Heimwehr-Versammlung im Mai 1933, zitiert nach:Carsten, Francis 1978: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zuHitler, München, S 213.66 Wiener Zeitung, 16.5.1933.

V DIE "PLÖTZLICHE ESKALATION DER GESCHEHNISSE"

Der Bürgerkrieg hat sich "aus einer Reihe zu über-stürzt eingeleiteter militärischer Maßnahmen aufbeiden Seiten spontan ergeben." (Kurt Pebal,Historiker)67

Der Bürgerkrieg im Februar 1934 war kein unvorher-sehbares Ereignis. Er war die Folge einer bewusstenPolitik der Provokation, die in den Worten von Dollfußschrittweise darauf abzielte, "die Sozialdemokratiezum Krüppel zu schlagen." Seit der Ausschaltung desParlaments wurde die Sozialdemokratie systematischins Eck gedrängt und gedemütigt, um sie letztlich zu

bewegen, sich zur Wehr zu setzen und so einenVorwand zum Losschlagen für Regierung und Heim-wehr zu bieten: finanzielle Aushungerung des "RotenWiens" über den Finanzausgleich, Verbot des Mai-aufmarsches 1933, Streikverbot, Lockerung des Mie-terInnenschutzes, Verbot des RepublikanischenSchutzbundes, Verbot sozialdemokratischer Veranstal-tungen, permanenter Terror in ArbeiterInnensied-lungen (getarnt als "Waffensuchen"), usw. usw. In sei-nen Memoiren befasste sich auch der ehemaligeFührer der Heimwehr, Starhemberg, mit der Frage,wer die Schuld am Ausbruch der Kämpfe am 12.Februar 1934 trage. Bemerkenswert offen (allerdingsnicht, ohne die eigene Rolle bedeutend schöner zu re-den, als sie tatsächlich war) meint Starhemberg:"Sprechen wir es nur offen aus: Die sozialdemokrati-schen Führer hatten ebenso wenig wie wir selbst denWunsch, den Zusammenstoß herbeizuführen."68 AlsSchuldigen benennt Starhemberg den Wiener Heim-wehr-Führer Emil Fey: "Aber ohne Rücksicht auf diemöglichen politischen Konsequenzen fuhr der MinisterFey auf den Republikanischen Schutzbund wie einBlitz aus heiterem Himmel nieder und begann mit derWaffensuche. Diese unprovozierte Maßnahme wirkteunvermeidlicherweise wie eine Herausforderung. Undum die Herausforderung zu verschärfen, informierteer den Wiener Heimatschutz am Abend vor derWaffensuche über die bevorstehenden Ereignisse ..."69

VI DER "STÄNDESTAAT" ALS ANTWORT AUF DEN "ROTEN TERROR"

"Aber gerade die zeitweilige Gewaltherrschaftdes österreichischen Marxismus hat den Katho-liken die Augen geöffnet. Sie sahen eine Welt-anschauung an der Arbeit, die wohl überallniederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sa-hen an der Stelle des Rechts brutale Gewalt an

68 Starhemberg, Ernst Rüdiger: Between Hitler and Mussolini, S 158ff., zitiert nach: Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuss, Wien1949, S 66.69 ebenda.

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der Regierung und sahen nicht zuletzt, wie dieGrundsätze der katholischen Weltanschauung sys-tematisch aus allen Gebieten des staatlichen undöffentlichen Lebens verdrängt wurden." (KardinalFriedrich Gustav Piffl)70

Der renommierte Historiker Gerhard Botz hat in sei-nem Standardwerk über gewalttätige politischeAuseinandersetzungen in den 20er und 30er Jahrennachgewiesen, dass die Gewalt, die damals von linksausging, ungleich geringer war als jene von rechts.71

Was also meinte Seine Eminenz und mit ihm vieleösterreichische Bürgerliche, wenn sie vom "rotenTerror" sprachen? Der Untergang der Habsburger-Monarchie war von den Bürgerlichen mit Ausnahmeder Deutschnationalen (die ebenfalls mit derDemokratie nichts anfangen konnten) zutiefst bedauertworden. In der Demokratie sahen sie die "Herrschaft desPöbels", in den Rechten, die sich die ArbeiterInnen-

bewegung erkämpft hatte, erblickten die Bürgerlichen"revolutionären Schutt". Der "rote Terror", das war dasWahlrecht für Frauen, der Acht-Stunden-Tag, derMieterInnenschutz, der kommunale Wohnbau und vieleandere Errungenschaften der Sozialdemokratie. Der"rote Terror", das war aber auch und vor allem dieSteuerpolitik, mit der die SDAPÖ den Armen ein men-schenwürdiges Leben zu ermöglichen versuchte. Die"Terroristen" waren in ihren Augen Sozialdemokratenwie Hugo Breitner, Julius Deutsch, Otto Bauer, KarlSeitz und Otto Glöckel. Deren "Vergehen" bestand ein-zig und allein darin, sich für gerechtere Lebens-bedingungen für jene Mehrheit der Bevölkerung einzu-setzen, die unter entsetzlicher Armut litt.

VII DER "STÄNDESTAAT" ALS DIE "BESSERE DIKTATUR"

"Damals ging es um den Bestand des österreichi-schen Staates und nicht um die Frage, ob jetztwirklich demokratisch regiert wird oder nicht."(Franz Schausberger, Salzburger ÖVP-Ex-Landeshaupt-mann)72

Seit 1945 wird von konservativer Seite versucht, dieDiktatur zwischen 1933 und 1938 schön zu reden.

So sieht die "rote Gewalt-herrschaft" in Wirklichkeit aus: Eröffnung eines Gemeindebaus(links) und Außenansicht einer

Arbeiterbücherei (rechts) im RotenWien. Durch die Besteuerung von

Reichen wird durch die Sozial-demokratie ein bis dahin beispiello-

ses Sozial- und Bildungssystem ge-schaffen, das weltweit Bewun-

derung hervorruft

72 Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004.

71 Vgl.: Botz, Gerhard 1976: Gewalt in der Politik. Attentate,Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918-1938,München.

70 Hudal, Alois (Hg.) 1931: Der Katholizismus in Österreich. SeinWirken, Kämpfen und Hoffen, Innsbruck, S 6, zitiert nach: Talos,Emmerich und Neugebauer, Wolfgang: Austrofaschismus. Beiträgeüber Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, S 56.

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Dollfuß und Mussolini bei einem Treffen im italienischen Badeort Riccione, 19. und 20. August1933. Gemeinsam mit seinem italienischen Vorbild bereitet der Diktator in spe monatelang die

Beseitigung der Demokratie in Österreich vor

10| LÜGEN UND LEGENDEN

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Dabei wird einerseits auf den blutigen Terror derNazis gegen politische Gegner verwiesen, den es inÖsterreich nicht gegeben habe. Andererseits sei einwesentlicher Unterschied zwischen Hitler-Deutschlandund dem nicht "wirklich demokratisch" regiertenÖsterreich die Behandlung von Juden und Jüdinnengewesen. Dem ersten Argument ist entgegenzuhalten, dass auchwährend des "Ständestaates" politische GegnerInnendrangsaliert und ermordet wurden - über tausendSozialdemokratInnen wurden alleine während undkurz nach den Februarkämpfen getötet, hinzu kamennoch zahlreiche Todesurteile in den folgenden Jahren.Nach deutschem Vorbild wurden auch hierzulandeLager für Oppositionelle errichtet, GegnerInnen syste-matisch bespitzelt, terrorisiert und vielfach ihrerExistenzgrundlage beraubt.Andererseits wird oft und gerne vergessen, dassAntisemitismus in der Christlichsozialen Partei weitverbreitet war und auch im "Ständestaat" antisemiti-sche Politik betrieben und gegen jüdische Menschengehetzt wurde - wenn auch nicht in der gleichenIntensität wie in Deutschland. Der christlichsozialeArbeiterführer Kunschak forderte als Parteiobmannschon 1920 im Parlament die Internierung "der Judenin Konzentrationslagern." Als Reaktion auf die antise-mitische Hetze der Nazis meinte der christlichsozialePolitiker Richard Schmitz, der Antisemitismus wäreschon von jeher Teil "des geistigen Inhalts" der Parteigewesen und, dass "praktischer Tat-Antisemitismus ...wertvoller als radikaler Wort-Antisemitismus"73 sei.Ebenso wie in vielen anderen Bereichen war das an-gebliche "Abwehrprojekt" auch hier in Wirklichkeit nureine geistige und moralische Vorbereitung auf die NS-Herrschaft.

VIII DER GEMÄßIGTE PATRIOT DOLLFUß

Hitlers Hauptwidersacher in Österreich war tot.Er starb für Österreichs Unabhängigkeit, für dieer seit Übernahme des Kanzleramtes gelebt undgekämpft hatte."74 (Gottfried Karl Kindermann,Historiker)"Dollfuß war in einer Zeit, in der es viele Radikalegab, ein Mann der Mitte." (Karl Franc, ÖVP-Gemeinderat und Direktor des "Engelbert-Dollfuß-Museums")75

Dollfuß gehörte ursprünglich nicht zum deklariertantidemokratischen Flügel der ChristlichsozialenPartei. Aber mit seinem Amtsantritt als Bundeskanzleränderte sich das schlagartig. Sowohl die Ausschaltungdes Parlaments 1933 als auch die Beseitigung vonRede-, Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheitund schlussendlich die blutige Unterdrückung derSozialdemokratie 1934 (die standrechtlichen Hin-richtungen nach den Februarkämpfen geschahen auf

74 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europaserste Abwehrfront 1933-1938, München, S 218.75 Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004.

73 Zitiert nach: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983:Österreich 1918-1938, Graz-Wien-Köln, S 266.

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IX DER "BRUDERKRIEG"

"Noch niemals war die Tragik dieses Wider-streites von Bruder zu Bruder so groß, wie am 12.Februar 1934, an jenem Tag, wo Menschen ein-ander gegenüberstanden, die das Gleiche wollten,nämlich die Freiheit und Unabhängigkeit ihresVaterlandes." (VP-Bundeskanzler Figl, vormalsReichsbauernführer des "Ständestaates")78

Die Legende vom "Bruderkrieg" suggeriert, wie auchaus obigem Zitat ersichtlich, im Februar 1934 wärenaus unerfindlichen Gründen zwei Gruppen übereinan-der hergefallen, die im Wesentlichen das selbe Zielverfolgten. Wahr ist aber, dass Christlichsoziale undHeimwehr gewaltsam eine Diktatur errichteten (bzw.vollendeten), während Sozialdemokratie und Schutz-bund einen verzweifelten Kampf zur Verteidigung derbestehenden Verfassung, zur Bewahrung von Demo-

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ausdrücklichen Wunsch des Kanzlers) sind keine sehrüberzeugenden Beweise für die gemäßigte Haltungdes Diktators. Im Gegenteil drängte Dollfuß die weni-gen in seiner Partei, die sich gegen seinen rabiat anti-demokratischen Kurs aussprachen, wie Leopold Kun-schak und Ernst Karl Winter, politisch ins Abseits. DerMythos, Dollfuß sei ein Gegner der Nazis gewesen, istebenfalls Humbug. Mit den Nazis verhandelte der"Heldenkanzler" noch aufs Heftigste, als diese perma-nent Bombenanschläge im ganzen Land verübten.Offensiv gegen Hitler stellte sich Dollfuß erst, als aucher zur Kenntnis nehmen musste, dass ein Arrange-ment, das seine Macht langfristig gesichert hätte, mitden Nazis nicht zu erreichen war. Aber auch Behauptungen, Dollfuß sei zwar keinDemokrat, dafür aber Patriot gewesen, sind falsch.Der Begriff "Patriotismus" ist schon an sich höchstfragwürdig, weil er die Liebe zu einem Land bezeich-net, unabhängig von dessen politischer Verfassung.Selbst davon abgesehen war aber Dollfuß, der mitausländischen Staatschefs, namentlich Mussolini, kon-spirierte, um einen Staatsstreich herbeizuführen,kaum jemand, dem die unbedingte Loyalität zum ei-genen Land nachgesagt werden könnte.76 Die "patrio-tische" Fachbezeichnung für die Politik von Dollfußlautet im österreichischen Strafgesetz "Hochverrat".77

78 Österreichische Volkspartei (Hgin) 1946: Die ÖVP und der 12.Februar. Ein kurzer Tatsachenbericht des Hauptreferats für Presseund Publikzistik der ÖVP, Wien, S 7.

76 Zum ganzen Ausmaß von Dollfuß’ Verschwörung mit dem italieni-schen Faschismus siehe auch geheimen Briefwechsel Mussolini-Dollfuß.77 § 242, Hochverrat: "Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durchDrohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich ... zu än-dern." § 244, 2: "Ebenso ist zu bestrafen, wer einen Hochverrat in an-derer Weise vorbereitet und dadurch die Gefahr eines hochverräteri-schen Unternehmens herbeiführt oder erheblich vergrößert oder wereinen Hochverrat im Zusammenwirken mit einer ausländischenMacht vorbereitet."

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X DER "WIDERSTANDSKAMPF"GEGEN DIE NAZIS

"Erstaunlich unbekannt oder bewusst verdrängtist die Tatsache, dass Österreich nicht nur das er-ste Angriffsziel, sondern unter der Führung patrio-tischer Kräfte auch Hitlers erster entschiedenerGegner in Europa war." (Gottfried-Karl Kindermann,Historiker)79

Es war nicht die Diktatur Dollfuß´, die Hitler als erstedie Stirn bot, sondern die deutsche und österreichischeArbeiterInnenbewegung. Als die christlichsozialenParteiführer noch bei Kaffee und Kuchen mit den NazisMöglichkeiten einer Zusammenarbeit erörterten, tobteschon seit Jahren ein permanenter Krieg zwischenSozialdemokratInnen und Nazis auf der Straße. AlsHeimwehr und Nazis noch gemeinsam in Umsturz-versuche verwickelt waren, leistete der Schutzbund alseinziger dem braunen Terror Widerstand. Gerade dieentschiedensten GegnerInnen der Nazis wurden aberdann von Dollfuß und Schuschnigg verfolgt, insGefängnis geworfen und ermordet.Die Ernsthaftigkeit des "Widerstandskampfes" war alsovon Beginn an mehr als zweifelhaft. Fest stand nur, dasssich die christlichsozialen Diktatoren nicht so einfach vonden Nazis das Zepter aus der Hand nehmen lassen woll-ten und sich deshalb dem Putsch im Juli 1934 mitWaffengewalt widersetzten. Aber schon wenig spätersuchten die Repräsentanten des "Ständestaates" - be-gleitet von verzweifelten Protesten der illegalen Sozial-demokratie - wieder den Ausgleich mit den Nazis. Es warSchuschnigg, der Nazis schon 1936 in die Regierung hol-te. Es war Schuschnigg, der Angebote abwies, dem"Anschluss" bewaffneten Widerstand zu leisten. Es warSchuschnigg, der ebenfalls 1936 einen Pakt mit Hitlerschloss, durch den die Unabhängigkeit Österreichs defacto aufgegeben wurde. All das als "Widerstand" zuwerten, bedingt entweder ein gerütteltes Maß an Dumm-heit oder ist schlicht eine dreiste Lüge.

79 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europaserste Abwehrfront 1933-1938, München, Umschlagtext

kratie und Rechtsstaatlichkeit, führten. DieserWiderspruch ist keiner unter "Brüdern" sondern zwi-schen Anhängern einer Diktatur auf der einen undDemokratInnen auf der anderen Seite. Sozialdemo-kratInnen verteidigten enorme soziale Verbesserun-gen, die Christlichsozialen und ihre faschistischenHandlanger wollten dagegen den verhassten "sozialenSchutt wegräumen". Dementsprechend absurd sind auch wehleidige Klagender ÖVP nach 1945 - selbst sei man "zur Versöhnungbereit" hätte es nur leider mit einer "vom alten Hasserfüllten SPÖ" zu tun. Die Sozialdemokratie hattenichts, wofür sie sich hätte schämen und entschuldigenmüssen. Solange die ÖVP als Nachfolgepartei derChristlichsozialen Dollfuß und seine Mörderbande alsMärtyrer huldigte, mussten ihre großzügigen Ange-bote zur "Versöhnung" auf die Sozialdemokratie wieHohn wirken.

Für die Demokratie nichts alsVerachtung und Spott: Großkundgebungder Vaterländischen Front, einer von vie-len Versuchen, faschistischeMasseninszenierung zu kopieren

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"SEID UNTERTAN DER OBRIGKEIT"?

"Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist vonGott" heißt es im Brief des Paulus an die Römer im NeuenTestament. "Gott in die Verfassung" rufen dieser Tage vieleKonservative im Land. Dabei hatten wir das schon. EinBlick in die Geschichte würde ausreichen, um solche Rufezum Verstummen zu bringen - sollte man jedenfalls mei-nen.

Seit längerem, ob nun in der Diskussion um die Verfassung derEuropäischen Union, oder im Zuge des österreichischen Verfassungs-konvents, geistert der "Liebe Gott" wieder durch die Sitzungszimmer. Ermöge doch ebenfalls in die Verfassung Eingang finden, verlangen dieje-nigen, die auch vorgeben, "christliche Werte" hochzuhalten.

Es ist schon erstaunlich, wie offen hier agiert wird, wie wenig Mühe sichdie betreffenden PolitikerInnen machen, ihre wahren Wünsche zu ver-schleiern. Denn nicht nur Gott soll wieder in die Verfassung, sondern mitihm auch die alten Vorstellungen von "oben" und "unten", von Pflichtund Gehorsam. Um das erzkonservative, rechtskatholische Gedankengutsichtbar zu machen, das da im Windschatten der Forderung "Gott in dieVerfassung" auf uns zukommt, ist es wichtig, einen Blick zurück zu wer-fen und den Umgang der Katholischen Kirche mit Staat und Gesellschaftin der Vergangenheit zu analysieren.

Beginnen wir einfach im Jahr 1931 mit der Enzyklika von Papst Pius XI.Darin wurde empfohlen, die Gesellschaft neu zu strukturieren, nach"ständischen" Gesichtspunkten nämlich. Bemerkenswerterweise eifertendiesem Ideal ausschließlich Diktaturen nach - so neben dem deutschenund italienischen Faschismus auch das österreichische Regime unter denDespoten Dollfuß und Schuschnigg.

Engelbert Dollfuß war überzeugt davon, in göttlichem Auftrag zu han-deln, schreibt Stefan Moritz in seinem Buch "Grüß Gott und Heil Hitler"und zitiert den kleinen Diktator mit den Worten: "Ja wir wollen einenchristlich-deutschen Staat in unserer Heimat errichten! Wir brau-chen uns nur an die letzten Enzykliken des Heiligen Vaters zu hal-ten; sie sind uns Wegweiser für die Gestaltung des Staatswesensin unserer Heimat. Die jetzige Regierung ist einmütig entschlos-sen, im christlich-deutschen Geist die Erneuerung von Staat undWirtschaft in die Wege zu leiten".

NACHWORT

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Wie dieser "Weg zur Erneuerung" und die letztliche"neue Gestaltung des Staatswesens" tatsächlich aus-sah, versuchen wir in der vorliegenden Broschüre dar-zulegen. Zum siebzigsten Mal jährt sich heuer der 12.Februar 1934: Jener Tag, an dem die "Christlich-soziale" Partei (die ihrem Selbstverständnis nach imAuftrag Gottes handelte), die Demokratie endgültigzerschlug und dabei hunderte Oppositionelle tötenließ; Jener Tag, an dem der damalige BundeskanzlerDollfuß die Standgerichte einführte, und selbstSchwerverletzte auf der Tragbahre zum Galgen brin-gen ließ; Jener Tag schließlich, an dem Gewerkschaf-ten, Sozialdemokratie und Sozialistische Jugend in dieIllegalität getrieben wurden, SozialistInnen zu tausen-den in "Anhaltelager" gesperrt wurden und damit derWeg zur Macht für die Nazis aufbereitet wurde. DieNiederschlagung der Sozialdemokratie im Februar1934 war der Beginn der ersten faschistischen Diktaturin Österreich, die vier Jahre später, 1938, von ihremdeutschen Gegenstück abgelöst wurde.

Einige Wochen nach den Februarkämpfen, genau am1. Mai 1934, trat die neue "ständestaatliche" Ver-fassung in Kraft. Sie begann mit den Worten: "ImNamen Gottes, des Allmächtigen, von dem allesRecht ausgeht, erhält das österreichische Volkfür seinen christlichen, deutschen Bundesstattauf ständischer Grundlage diese Verfassung." Diepäpstliche Enzyklika aus dem Jahr 1931 war somit zu-mindest pro forma erfüllt, und nun zeigte sich sehrschnell, was die ärmeren Bevölkerungsschichten vonder neuen, "ständischen" Gesellschaft zu erwarten hat-ten: Nichts. Ihnen wurden alle Rechte genommen,Löhne gedrückt und Soziale Sicherungen zerschlagen -zum Wohle des Kapitals. Doch wie schrieb schonPaulus? "Seid untertan der Obrigkeit, denn jedeObrigkeit ist von Gott."

So wenig wir damals Gott in der Verfassung brauchten,so wenig wollen und brauchen wir ihn heute. Was wir

aber wollen, ist endlich eine offene Diskussion überdie Diktatur von 1933 bis 1938. Was wir wollen, isteine Diskussion über die Rolle der Katholischen Kircheund der angeblich "Christlichsozialen" Partei in dieserZeit. Was wir wollen, ist ein Ende der unsäglichenDollfuß-Verherrlichung durch die ÖVP und - spät ge-nug - das Eingeständnis der Bürgerlichen, dass dieserMann kein Held, sondern der Chef einer Bande vonVerbrechern war.

Was wir brauchen, ist kein Gottesbezug in der Ver-fassung, sondern eine wirkliche und allumfassendeTrennung von Kirche und Staat. Was wir - und hiersind wir vielleicht beim Wichtigsten angelangt - auchendlich brauchen, ist eine Diskussion darüber, wie daskapitalistische System überhaupt erst die Voraus-setzungen für den Faschismus schuf, wie "Christ-lichsoziale", Heimwehr und Nazis von Unternehmerngesponsert und aufgepäppelt wurden und welche Rolleführende Köpfe der Wirtschaft schließlich bei derMachtergreifung des Faschismus spielten. Die Fragedie wir uns dabei stellen müssen, lautet: Wer hat Inte-resse an der Zerschlagung der Demokratie, an derBeseitigung von Rechten der ArbeiterInnen, wer profi-tiert von der Knebelung der Linken? Bei der Beant-wortung dieser Frage werden wir feststellen, dassFaschismus nicht nur keine Meinung sondern einVerbrechen ist, wir werden auch sehen: er war keinZufall.

Andreas KollrossVerbandsvorsitzender

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SAMMELWERKE

Achenbach, Michael (Hg.) 2002: Österreich inBild und Ton. Die Filmwochenschau des austro-faschistischen Ständestaats, WienAuseinandersetzung mit der vom Filmarchiv Austria aufgear-beiteten Wochenschau, zugleich ein Überblick über Politik-,Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des "Ständestaats".

Fröschl, Erich und Zoitl, Helge (Hg.) 1984:Februar 1934. Ursachen - Fakten - Folgen.Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion desDr.-Karl-Renner-Instituts vom 13. bis 15.Februar 1984, Wien Mit Beiträgen österreichischer, deutscher, britischer ungari-scher und italienischer WissenschaftlerInnen zu Themen wiesozialdemokratischer Wehrpolitik, die internationalenAuswirkungen der Februarkämpfe, die Gewerkschafts-bewegung in der Ersten Republik, politischem Katholizismusu. a. m.

Löw, Raimund, Mattl, Siegfried und Pfabigan,Alfred 1986: Der Austromarxismus. EineAutopsie, Frankfurt/ Main Gewissermaßen das Gegenstück zu Lesers "Zwischen Refor-mismus und Bolschewismus" - die drei (damals noch trotzki-stischen) Autoren unterziehen den Austromarxismus einerkritischen Analyse von links. Das Buch bietet in knapper Formeinen durchaus brauchbaren Überblick, allerdings beschränktes sich auf (zu Recht kritisierte) Teilaspekte des Austromar-xismus, spricht diesem aber die Legitimation pauschal ab.

Maimann, Helene und Mattl, Siegfried (Hg.)1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933 -1938, Wien Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich des 50.Jahrestages der Februarkämpfe. Besteht in erster Linie auseiner Sammlung zeitgenössischer Quellen und Interviews mitZeitzeugInnen.

Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte(Hgin) 1980: Faschismus in Österreich und In-

ternational. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, WienMit Beiträgen prominenter HistorikerInnen zu faschistischenBewegungen in Deutschland, Österreich, Ungarn, Slowenienund (im Überblick) anderen europäischen Staaten.

Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang(HgIn.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträge überPolitik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, Wien Durchgehend gute (Überblicks-)Beiträge zum "ständestaat-lichen" System. Die Geschichte der Ersten Republik bisAnfang 30er ist leider auf eine sehr grobe Zusammenfassungbeschränkt.

Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (Hg.) 1983:Österreich 1918-1938. Geschichte der ErstenRepublik, 2 Bände, Wien-Graz-Köln Beiträge zu den Parteien, Institutionen und Verbänden imÖsterreich der Zwischenkriegszeit, der österreichischenAußenpolitik usw. Nicht durchgehend gelungen, enthält abereinige interessante Beiträge (z. B. jenen von Anton Stau-dinger zur Christlichsozialen Partei).

MONOGRAFIEN

Ausch, Karl 1968: Als die Banken fielen. ZurSoziologie der politischen Korruption, Wien-Frankfurt-ZürichEines der Schlüsselereignisse der Ersten Republik war derZusammenbruch der Boden Credit Anstalt, der den Beginnder Weltwirtschaftskrise darstellte. Auschs Werk beschäftigtsich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Christ-lichsozialen und argumentiert schlüssig gegen die Be-hauptung, Seipel hätte mit seiner Deflationspolitik und denvon ihm verhandelten Anleihen "Österreich gerettet". Sehrempfehlenswert.

Botz, Gerhard 1983: Gewalt in der Politik.Attentate, Zusammenstöße, PutschversucheUnruhen in Österreich 1918-1938, MünchenDas akribisch recherchierte Standardwerk zu politischen

KOMMENTIERTE LITERATURLISTE

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Auseinandersetzungen "auf der Straße" in der Ersten Repu-blik und im "Ständestaat". Sehr empfehlenswert.

Carsten, Francis L. 1978: Faschismus in Öster-reich. Von Schönerer zu Hitler, München Neben Kerekes' "Abenddämmerung einer Demokratie" einesder detailliertesten Bücher zur Rolle der Heimwehr in Öster-reich 1918-1934. Zusätzlich beschäftigt sich Carsten relativausführlich mit den österreichischen Nazis. Sehr lesenswert.

Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten desStaates. Österreichische Gesellschaftsgeschichteim 20. Jahrhundert, WienAuf gut fünfzig Seiten wird unter anderem in recht gelunge-ner weise die Geschichte der Ersten Republik dargestellt. Alsgrober Überblick empfehlenswert.

Huemer, Peter 1975: Sektionschef Robert Hechtund die Zerstörung der Demokratie in Öster-reich. Eine historisch-politische Studie, WienHecht trug als juristischer Berater von Dollfuß zurEtablierung der Diktatur wesentlich bei, indem er dem christ-lichsozialen Staatsstreich einen legalen Anstrich zu verpassensuchte. Interessant.

Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einerDemokratie. Mussolini, Gömbös und die Heim-wehr, Wien-Frankfurt-ZürichEin, wenn nicht das Standardwerk zur Heimwehr-Bewegung.Minutiös arbeitet Kerekes die Rivalitäten innerhalb derHeimwehr, das Verhältnis zwischen Heimwehr und Christ-lichsozialen und die Rolle Italiens und Ungarns bei derEtablierung der Diktatur in Österreich auf. Lesen!

Leser, Norbert 1968: Zwischen Reformismus undBolschewismus. Der Austromarxismus als Theo-rie und Praxis, Wien-Frankfurt-ZürichInteressante (rechtssozialdemokratische) Kritik am Austro-marxismus, allerdings in mehreren Punkten problematisch(etwa, wenn Leser bei Otto Bauer die Schuld dafür sucht, dasses 1932 zu keiner Einigung mit den Christlichsozialen kam).

Moritz, Stefan 2002: Grüß Gott und Heil Hitler.Katholische Kirche und Nationalsozialismus inÖsterreich, Wien Neben dem eigentlichen Thema des Buches sind informativeBeiträge zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegs-zeit (unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungenzwischen Katholischer Kirche und Nazis), sowie zum katholi-schen Antisemitismus vor und im "Ständestaat" enthalten. AlsÜberblickstext sehr geeignet.

Payne, Stanley 2001: Geschichte des Faschismus.Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung,München-BerlinDer Abschnitt über Österreich im Kapitel "Vier Hauptvari-anten des Faschismus" (S. 302-310) liefert in leicht verständ-licher Sprache einen kurzen thematischen Überblick, PaynesKategorisierungsversuche faschistischer Bewegungen - dar-unter auch der Heimwehr - sind aber fragwürdig.

Pelinka, Anton 1972: Stand oder Klasse? Diechristliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933-1938, Wien Lesenswertes Buch, besonders auch hinsichtlich des christlich-sozialen Antisemitismus.

Schneeberger, Franziska 1988: Sozialstrukturder Heimwehr in Österreich. Eine vergleichend-politische Sozialgeschichte der Heimwehrbe-wegung, Dissertation, SalzburgSehr gute Arbeit, leider zum Teil schwer lesbar.

Weidenholzer, Josef 1981: Auf dem Weg zum"Neuen Menschen". Bildungs- und Kulturarbeitder österreichischen Sozialdemokratie in derErsten Republik; Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiter-bewegung Nr. 12, Wien Zu den wesentlichen Merkmalen des Austromarxismus gehörtsein bildungspolitischer Anspruch. Ziel war die Formung des"Neue Mensch", der einst den Sozialismus aufrichten sollte. DerText von Weidenholzer bietet hier einen sehr guten Überblick.

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Starhemberg, Ernst Rüdiger 1942: BetweenHitler and Mussolini, New York-London Bemerkenswerte Memoiren des ehemaligen Heimwehr-führers. Starhemberg lässt sich über seine (ehemaligen) poli-tischen Vorstellungen und Ziele ziemlich unverblümt aus.(Tlw. stark überarbeitete) Neuauflagen erschienen 1971 (miteinem Vorwort des Ex-Heimwehrlers und Ex-VP-Unter-richtsministers Heinrich Drimmel) und 1991.

AUSTROMARXISTISCHE QUELLENTEXTE

Bauer, Otto 1980: Werkausgabe, 9 Bände, WienDas Werk Otto Bauers umfasst tausende von Seiten, die in der"Werkausgabe" in insgesamt neun Bänden publiziert wurden.Nachfolgend werden nur einige der wichtigsten Artikel emp-fohlen.

Bauer, Otto: Der Aufstand der österreichischenArbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkung,WA, Bd. 3, S 957-997Ursprünglich ist dieser Artikel Bauers unmittelbar nach denFebruarkämpfen in Bratislava erschienen und wurde nachdem Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt.

Bauer, Otto: Zwischen zwei Weltkriegen? DieKrise der Weltwirtschaft, der Demokratie und desSozialismus, WA Bd. 4, S 49-331Das Buch, von Bauer 1936 in Bratislava verfasst, beeindrucktmit seiner intelligenten und weitsichtigen Analysen desFaschismus aus zeitgenössischer Sicht. Sehr empfehlenswert!

Bauer, Otto: Die österreichische Revolution, WA,Bd. 2, S 489-866Befasst sich mit den gesellschaftlichen und politischen Brü-chen am Ende des Habsburgerreiches.

Bauer, Otto: Parteitagsrede 1919, WA, Bd. 5, S163-199 Schwerpunktmäßig befasst sich die Rede mit Bauers Ablehnungeiner neuerlichen Koalition mit den Christlichsozialen. Dabeientwickelt er die politische Vision, die für die sozialdemokrati-sche Politik des nächsten Jahrzehnts charakteristisch war.

KONSERVATIVE INTERPRETATIONEN DERERSTEN REPUBLIK UND DES "STÄNDESTAATS"

Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreichgegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München Der Historiker Kindermann bemüht nach Kräften alle konser-vativen Mythen und Klischees zum "Ständestaat". Kein Zufall,dass sein Werk im Parlament vom ÖVP-Rechtsaußen Kholpräsentiert und in höchsten Tönen gelobt wurde. Ebenfallsnicht zufällig stieß das Buch allerdings unter HistorikerInnen(auch bürgerlichen) zum überwiegenden Teil aufUnverständnis und Ablehnung.

Walterskirchen, Gudula 2002: Starhembergoder die Spuren der "30er Jahre", Wien Die Journalistin der Tageszeitung "Die Presse" reproduzierteinmal mehr die rechtskonservative Sicht der Dinge. Wissen-schaftlich letztklassig, aber gut geeignet als Beispiel dafür,wie aus Mördern und Putschisten im Nachhinein Helden ge-macht werden können.

Wiltschegg, Walter 1985: Die Heimwehr, Wien Der Autor, selbst ehemaliger Heimwehr-Mann, fördert durch-aus interessante Details zu Tage. Seine Analyse hat rechtsaber eindeutig eine Schlagseite und ist in vielen Fällen kaumverhohlen um Rechtfertigung der Heimwehrpolitik bemüht.

ZEITZEUGENBERICHTE

Ulrich Weinzierl (Hg.) 1984: Februar 1934.Schriftsteller erzählen, MünchenProminente ZeitzeugInnen schildern ihr Erleben des österrei-chischen Bürgerkrieges. Mit Beiträgen u. a. von Stefan Zweig,Erich Fried, Manès Sperber, Dorothea Zeemann und StellaRotenberg.

Hindels, Josef 1996: Erinnerungen eines linkenSozialisten, WienDer große Volksbildner Hindels schildert sein Erleben des Ro-ten Wien, des Bürgerkriegs und der Illegalität (die für den da-mals 17-jährigen im Gefängnis des "Ständestaates" endete).

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12| LITERATUR

der austromarxistischen Schulpolitik. Unter seinen Aufsätzensei besonders "Schule und Klerikalismus", "SozialistischeSchulpolitik nach der Revolution" und "Die österreichischeSchulreform" empfohlen - nicht vom oft pathetischen und z Tpolemischen Stil abschrecken lassen.

Brügel, J. W. (Hg.) 1967: Friedrich Adler vordem Ausnahmegericht. 18. und 19. Mai 1917,Wien-Frankfurt-ZürichDas Buch besteht aus (vom Herausgeber eingeleiteten undkommentierten) Protokollen des Prozesses gegen FriedrichAdler. Dieser erschoss 1916 den österreichischen Minister-präsidenten um gegen den Wahnwitz des Ersten Weltkriegeszu protestieren und nützte seinen Prozess eindrucksvoll umdas Massenmorden öffentlich anzuklagen. Adler spricht oh-nehin für sich, zum Teil sind die Anmerkungen Brügels (etwazur Verteidigung Karl Renners) entbehrlich.

Bauer, Otto: Parteitagsrede 1926, WA, Bd. 5, S343-390In erster Linie deshalb interessant, weil von konservativerSeite ausschließlich aus dem Kontext gerissene Fetzen derRede zitiert werden um die angebliche sozialdemokratische"Gewaltbereitschaft" zu illustrieren. Die Rede Bauers ist aberim Gegenteil ein Bekenntnis zu einer demokratischen Kulturund eine klare Absage an Gewalt in der Politik.

Leser, Norbert u. Pfabigan, Alfred (Hg.) 1981:Max Adler. Ausgewählte Schriften, WienAufsätze und Artikel von Max Adler, in denen er sich be-sonders auch mit dem "Neuen Menschen" befasst. Sehr le-senswert.

Achs, Oskar (Hg.) 1985: Otto Glöckel. Ausge-wählte Schriften und Reden, WienGlöckel war als Chef der österreichischen Schulverwaltungbzw. als Wiener Stadtschulratspräsident die zentrale Figur

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Sozialistische Jugend ÖsterreichAmtshausgasse 4

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Page 90: Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Österreich"

KONSERVATIVE QUELLENTEXTE/MATERIALIEN

Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Miteinem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf,erläuternder Text von Karl Hans Sailer, Wien1949Der ursprünglich geheim gehaltene Briefwechsel fiel den US-Truppen während ihres Vormarsches 1945 in die Hände undwurde in weiterer Folge veröffentlicht. Empfehlenswert be-sonders für AnhängerInnen der Theorie, Dollfuß sei österrei-chischer Patriot gewesen. Im Anhang finden sich kommentier-te Auszüge aus Starhembergs Memoiren.

Goldinger, Walter (Hg.) 1980: Protokolle desKlubvorstandes der Christlichsozialen Partei1932-1934, Wien Z. B. Zitat Dollfuß vom 25. März 1933: "Die braune Wellekönnen wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi ver-sprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin ge-mildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selbermachen […]" (S. 212)

Heimatschutz in Österreich. Sein Werden und dieJuli-Ereignisse, Wien 1935

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Selbstbeweihräucherung der Heimwehr (bzw. des nunmehri-gen "Heimatschutzes"). Erschienen nach der Niederschlagungdes Nazi-Putschversuches im Juli 1934, werden hier unter an-derem auch "Kampfesmut und selbstlose Hingabe" der "treu-en Kameraden" während der Februarkämpfe 1934 gewür-digt. Interessant ist das Buch aber wegen seiner nach Bundes-ländern gegliederten Chronik der Kämpfe.

Maderthaner, Wolfgang, Maier, Michaela (HgIn.)2004: "Der Führer bin ich selbst". EngelbertDollfuß - Benito Mussolini. Briefwechsel, WienÜberarbeitete und erweiterte Neuauflage oben genannterBroschüre, mit einem Beitrag von Emmerich Talós über dasaustrofaschistische Herrschaftssystem.

Kriechbaumer, Robert (Hg.) 2002: Ein Vater-ländisches Bilderbuch. Propaganda, Selbs-tinszenierung und Ästhetik der VaterländischenFront 1933 - 1938, WienEine Auswahl von Fotos aus dem Bildarchiv der Vater-ländischen Front - im doppelten Sinn sehr illustrativ.

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Page 91: Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Österreich"

13| ADRESSEN

SEITE|91

Jusos SalzburgWartelsteinstrasse 15020 SalzburgTel.: 0662/ 42 45 00 21Fax: 0662/ 42 45 00 [email protected]

SJ SteiermarkHans Resel Gasse 68020 GrazTel.: 0316/ 702 632Fax: 0316/ 702 [email protected]

Jusos TirolSalurnerstrasse 26020 InnsbruckTel.: 0512/ 53 66 15Fax: 0512/ 53 66 [email protected]

SJ VorarlbergMutterstrasse 65 a6800 FeldkirchTel.: 05572/ 23 26 30Fax: 05572/ 23 26 3 [email protected]

SJ WienLandstrasser Hauptstrasse 96/21030 WienTel.: 01/ 713 8 713Fax: 01/ 713 8 713 [email protected]

Sozialistische Jugend ÖsterreichAmtshausgasse 41050 WienTel.: 01/523 41 23Fax: 01/523 41 23 [email protected]

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Page 92: Broschüre "Die Geschichte des Faschismus in Österreich"

ODE AN ÖSTERREICHS SOZIALISTENStephen Vincent Benét

Im Namen des unbesiegten Österreichshing man um fünf Uhr dreißig

die Sozialisten auf.Der Himmel war federblauan jenen vier kalten Tagen

wenn auch in jener Nacht das Licht erlosch.

An einem Montag fing es an.Nicht leicht fiel ihnen der Entschluss,jedoch sie hatten keine andre Wahl.

Sie glaubten an den Frieden,an sichere Häuser, an Versammlungen,

an Wahlen, an Resolutionen,doch nicht an den Tod der Mauerecken,

an Panzerwagen, die sich durch die Straßen schieben,nicht an Granaten und blutüberströmte Schädel.

Sie hatten aber gesehen, was nebenanin einem andern Land dem Volk,

das auch an Frieden und an Wahlen glaubte,geschehen war.

Dieselbe Flut bedrohte sie.Der Sturm war schon zu hören.

So griffen sie in den Arbeiterbezirken,wo sie sich ihre Häuser gebaut hatten

- um Frieden zu habenund ein Heim im Alter -

nach den Gewehren.

Es waren große, schöne Häuser,vom Volk und für das Volk gebaut:jedoch Artillerie hat sie zerschlagen.

Wenn Du an Parks, Versammlungen und Wahlen glaubst,doch nicht an Tod und Tyrannei,dann fällt die Vorstellung dir schwer,dass einmal der Tag kommen kann,an dem die Frau und deine Kinder in den Keller müssen,um vor Granaten Schutz zu finden,an dem du auf der kurzen Stiege,die bis zu deiner Wohnung führt,eine kalte Pistole in der Faust hältst,ein Tag, an dem Verzweiflung sichum deine trockne Kehle schnürt.

Es waren einfache Leute,die der Gewalt nicht widerstehen konnten.Sie lagen tot, wie sie einst lebten,sie lagen zwischen Tisch und Tür,sie lagen vor dem Küchenstuhl,sie lagen tot im Hof, wo einst die Kinder spielten -ganz ohne Heroismus, ohne Kriegsbegeisterung;sie waren einfach tot.

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