Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer,...

202
Anton A. Bucher Bibel- Psychologie Psychologische Zugänge zu biblischen Texten

Transcript of Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer,...

Page 1: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Anton A. Bucher

Bibel­Psychologie

Psychologische Zugänge zu biblischen Texten

Page 2: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Anton A. Bucher

Bibel-Psychologie Psychologische Zugänge zu biblischen Texten

Hatte Jakob einen Ödipuskomplex, den er abarbeiten mußte, als ein Unbekannter ihn am Jabbok überfiel? Wußte Jesus, als er nach Jerusalem aufbrach, daß er dort sterben würde? Entsprangen die apokalyptischen Bilder der Geheimen Offenbarung dem Gehirn eines Psychotikers? Mit solchen Fragen haben sich - seit den Tagen Freuds bis hin zu Eugen Drewermann - Dutzende von Autoren aus­einandergesetzt, die die Psychologie für die Exegese frucht­bar zu machen versuchten. Zunächst werden die u~terschiedlichen psychologischen Zugänge zur Bibel entfaltet, anschließend einer gründlichen Kritik unterzogen, die - anders als bisher - überwiegend von der Psychologie aus vorgenommen wird. Damit ist die Thematik einer »Bibel-Psychologie« vor­gezeichnet: Psychologische Theorien sollen Rezeption und Interpretation biblischer Texte durch heutige Leser und »Exegeten« erläutern und verständlich machen. Dieser pro­grammatisch-innovative Ansatz wird entwicklungs­psychologisch und psychopathologisch konkretisiert.

Dr. theol. habil. Anton A. Bucher ist Privatdozent an der Universität Mainz und Leiter der Arbeitsstelle Religions- und Bibelunterricht Kt. Luzern.

ISB N 3- 17-012007-7

Page 3: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)
Page 4: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

I I I I I I I I I I I I I

I I I ! I

I I I I I I I I I I I I I I I I I

Page 5: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Anton A. Bucher

Bibel-Psychologie Psychologische Zugänge

zu biblischen Texten

Verlag w. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln

Page 6: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bucher, Anton A.: Bibel-Psychologie: psychologische Zugänge zu biblischen Texten I Anton A. BucheL - Stuttgart ; Berlin ; Köln: Kohlhammer, 1992

ISBN 3-17-012007-7

Alle Rechte vorbehalten © 1992 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln Verlagsort: Stuttgart Umschlag: Studio 23 Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. Stuttgart Printed in Germany

Page 7: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

INHALT

EINLEITUNG 9

Erster Teil PSYCHOLOGISCHE DEUTUNGEN BmIJSCHER TEXTE 13

1. AUCH JAKOB HATTE IHN - DEN ÖDIPUSKOMPLEX Psychologische Bibelauslegung im Anschluß an Sigmund Freud 15

1.1. Kämpfte Jakob am Jabbok gegen Gott oder den Phallus? 15

1.2. Charakteristika psychoanalytischer Bibelauslegung nach Sigmund Freud 18 1.2.1. Hermeneutische Grundlagen 18 1.2.2. Bedeutungskonstanz der Symbole 19 1.2.3. Der allgegenwärtige Ödipus 23

1.3. Kritik 28 1.3.1. Auslegen oder Hereinlegen? - zu den hermeneutischen

Grundlagen 28 1.3.2. Symbolik oder pansexualistische Psychoallegorese? 32 1.3.3. Hatte Ödipus seinen Komplex? 33

1.4. Zusammenfassung 37

2. BIBLISCHE GESTALTEN AUF DEM WEG ZU IHREM SELBST Tiefenpsychologische Auslegung nach C.G. Jung 39

2.1. Kämpfte Jakob am Jabbok gegen Gott oder sich selbst? 39

2.2. Charakteristika tiefenpsychologischer Auslegung nach C.G. Jung 42 2.2.1. Hermeneutische Grundlagen: Subjekt- und Objektstufe 42

2.2.2. Die Archetypen 46 aJ Der Archetyp der Mutter 49 bJ Der Archetyp des Schattens 49

2.2.3. Individuation 50

2.3. Zur Kritik 58 2.3.1. Schrankenlose Subjekte in geschichtslosen Räumen 58 2.3.2. "Archetypen" - Wurzeln der Welt oder mysteriös

gehaltene Oberflächlichkeiten 60 2.3.3. Individuation ohne Individualität 64

2.4. Abschließende Überlegungen 68

5

Page 8: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

3. NICHT MIT DEM WORT, SONDERN DEM TRAUM Die tiefenpsychologische Bibelhermeneutik von Eugen Drewermann 71

3.1. 'Gottlose' historisch-kritische Exegese? 71

3.2. Psychologen schweigen zu Drewermanns Bibelpsychologie 72

3.3. Die jahwistische Urgeschichte als symbolische Psychogenese? 73 3.3.1. Nach Freud 73 3.3.2. Nach Jung 77

3.4. Invalide Konstrukte - invalide Exegesen 78

3.5. Zeitlose Archetypen anstelle historisch-kritischer Exegese? 79

3.6. Kritische Würdigung 81 3.6.1. Wo bleibt die Sozialpsychologie? 82 3.6.2. Noch einmal: der Archetyp 83 3.6.3. Eisegese 84

3.6.4. Wo sind die Subjekte? 85

4. AUCH BIBLISCHE GESTALTEN SIND SOZIALE WESEN

Sozial psychologische Zugänge zur Bibel 87

4.1. Auch Paulus reduzierte kognitive Dissonanzen 87

4.2. Paulus - Jerusalemer Gemeinde - jüdisches Gesetz: Ein schwieriges Verhältnis 91

4.3. Paulus redete anders mit Titus als mit Timotheus: Komplementäre und symmetrische Kommunikationsformen 93

4.4. Eine Bitte des Paulus kann Befehl sein: Die Theorie der Reaktanz 95

4.5. Warum sich Barnabas auf die Seite der anderen begab? Die Attributionstheorie 96

4.6. Würdigung und Grenzen sozialpsychologischer Zugänge zur Bibel 98

Zweiter Teil ZUR PSYCHOLOGIE DER DElß'UNG BIBUSCHER TEXTE 101

5. OHNE AKTIVE SUBJEKTE GEHT ES NICHT Alltagspsychologie und Psychologie der Textverarbeitung

5.1. Jeder ist Psychologe - und auch Theologe

5.2. Lesen als Konstruktion: Zur Psychologie der Textverarbeitung

6

103

103

106

Page 9: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

6. ALS KIND HABE ICH VOR ALLEM DAS HERAUSGELESEN ... Entwicklungspsychologische Aspekte der Bibelauslegung 111

6.1. "Stuf' um Stufe" - Die Rekonstruktion von Bibeltexten und die kognitive Entwicklung 111

6.1.1. Die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Jean Piaget 111 6.1.2. Bibelrezeption auf der prä- und der frühen konkret-

operatorischen Stufe der kognitiven Entwicklung 113 6.1.2.1. Entwicklung des Verstehens von Erzählungen 113 6.1.2.2. Zur Interpretation biblischer Geschichten 117

aJ Tendenz zur Anthropomorphisierung 118 bJ Artifizialismus 120 cJ Archaisches Weltbild 122 d'> Bibelkonzepte 124 e.> Kaum gattungsgemäße Interpretationen 125 fJ Und die Metapher? 127 g.> Keine abstrakten theologischen

Interpretationen 128 6.1.3. Bibelrezeption auf den weiteren Stufen

der kognitiven Entwicklung 130 6.1.3.1. Späte konkret- und formaloperatorische Phase 130 6.1.3.2. Und nach den formalen Operationen? 131

6.2. Entwicklungstheorien der Moralität und Religiosität und ihre Bedeutung für die Bibelinterpretation 132

6.2.1. Bibelinterpretation und moralische Entwicklungsstufen 132 6.2.1.1. 15 kaputte Tassen sind schlimmer:

Die Moralpsychologie von Jean Piaget 132 6.2.1.2. "The child as a moral philosopher":

Die Moralpsychologie von Lawrence Kohlberg 134 6.2.2. Bibelinterpretation und religiöse Entwicklungsstufen 138

6.2.2.1. Entwicklungsstufen des religiösen Urteils nach Fritz Oser 138

6.2.2.2. Entwicklungsstufen des Glaubens nach James W. Fowler 145

6.3. Entwicklungspsychologische Aspekte üblicher bibelpsychologischer Auslegung 149 6.3.1. Das linbewußte - eine Entdeckung der Adoleszenz 149 6.3.2. "Werde der du bist!" - "Der bin ich ja schon" 152

6.4. Eine kleine Synopse 154

7. BIBEL - FURCHT UND ZITTERN Psychopathologische Aspekte der Bibelauslegung

7.1. Die Apokalypse als Tatsachenbericht

7.2. Wie Frohbotschaft Angst machen kann

156

158

163

7

Page 10: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ANSTAlT EINES NACHWORTS: "ZWISCHEN SKYILA. UND CHARYBDIS"

Thesen zur Bibelpsychologie

1. Bibelpsychologie als Psychologie der Rezeption biblischer Texte

2. Wider das Psychologisieren

3. Bibelpsychologie: empirisch und deskriptiv

4. Der notwendige Dialog

5. Bibelpsychologie in der Spannung von Psychologie und Theologie

6. Bibelpsychologie als praktisch-theologische Disziplin

7. Bibelpsychologie als Anwalt des Subjekts

8. Eine mögliche Konkretisierung: Das Bibliodrama

ANHANG

- Zitierte Literatur

8

167

167

167

168

169

170

172

172

174

175

176

Page 11: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Einleitung

Wußte Jesus, als er nach Jerusalem aufbrach (Lk 9,51), daß er dort sterben würde? Wenn ja, seit wann und warum war er von "Todeser­wartung und Todesgewißheit" erfüllt? Aus welchen Motiven ging er dennoch? Solche Fragen fielen und fallen zwar in den Zuständigkeits­bereich der Exegese, speziell der historisch-kritischen, sowie der allerdings umstrittenen Leben Jesu-Forschung. Aber sie sind unbe­streitbar auch psychologischer Art. Selbst Oberlinner, ein in der hi­storisch-kritischen Methode ausgewiesener Exeget, arbeitete, als er in seiner Studie »Todeserwartung und Todesgewißheit Jesu« dessen Be­wußtsein zu rekonstruieren versuchte, zumindest implizit, d.h. still­schweigend psychologisch1. Seine implizite Psychologie floß in die exegetischen und theologischen Analysen mit ein. Dies ist kein Vor­wurf, sondern schlicht unvermeidlich. Selbst professionelle Psycholo­gen räumen mittlerweile ein, daß jeder Mensch Psychologe ist, zumin­dest "Alltagspsychologe" 2. Auch der Exeget. Es gibt schlechterdings keinen Zugang zur Bibel, der nicht - zumindest implizit - auch psy­chologische Beigaben enthält.

Nun werden auch Wege zur Bibel beschritten, die von ihren Ver­fechtern als explizit, d.h. ausdrücklich psychologisch ausgegeben wer­den. Zahlreiche! Aber nicht alle führen nach Rom! Von Anfang an legt sich eine grundlegende Unterscheidung nahe, die die Gliederung dieses Buches abgibt. Jesu Aufbruch nach Jerusalem kann - psychologisch -darauf befragt werden: Was geschah in seiner Psyche? Suchte er die tödliche Konfrontation mit den Repräsentanten jüdischer und römi­scher Macht? Gibt es psychologische Theorien, die beispielsweise sein energisches Vertreiben der Händler aus dem Tempel (Mk 11, 15-19) überzeugend erklären, einmal vorausgesetzt, daß es auch wirklich so erfolgt ist? Die Aufgabe des Psychologen besteht darin, das Verhalten von Menschen, wie es die Bibel erzählt, psychologisch zu erklären oder im Lichte psychologischer Theorien zumindest zu erhellen. Ge­genstand der Analysen sind die in den biblischen Texten handelnden Akteure, sowie ihre - zumeist zwar anonymen - Verfasser, beispiels­weise Paulus.

Aber man kann - psychologisch - auch anders fragen: Was geht in der Psyche hier und heute lebender Menschen vor sich, wenn sie die Perikope von der Tempelreinigung lesen oder hören? Erregt sie Zorn? Befremden? Genugtuung? Ist mit entwicklungs- oder sozial bedingten Unterschieden in der Interpretation zu rechnen? Wie gehen Kinder mit dieser Perikope um? Wie Erwachsene? Wie Menschen, die an einer religiösen Neurose leiden?

Die erste Variante, sich psychologisch der Bibel zu nähern, bezeich­ne ich als "objektiv". "Objektiv" ist sie insofern, als der Gegenstand

1 Oberlinner, A.: Todeserw-artung und Todesgew-ißheitJesu 1980.

2 ZUD1 Konzept der "Alltagspsychologie": ThoD1D1en, B.: Alltagspsy­chologie von Lehrern über verhaltensauffällige Schüler 1985, 21-97; Kelly, G.A.: Die Psychologie der persönlichen Konstrukte 1986 (vgl. auch Beginn von Teil 2 dieses Buches>.

9

Page 12: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

der psychologischen Analysen die Inhalte und Akteure der Bibeltexte selber sind. Texte sind historisch entstandene 'Objektivationen' frühe­rer Erfahrungen. Diese vermögen aber neue Erfahrungen auszulösen. Genau diese bilden den Gegenstand der zweiten Variante. Sie kann insofern als "subjektiv" bezeichnet werden, als im Zentrum der psy­chologischen Betrachtung die psychischen Prozesse stehen, die durch Bibeltexte in hier und heute lebenden Subjekten ausgelöst werden.

Objektiv

Psychologe/Exeget-----) Texte, bzw. ihre Akteure und ihr Ver­analysiert halten im Lichte psychologischer Theorien

Subjektiv

Psychologe -------) Subjekte < ------- Texte, ihre Akteure, Inhalte analysiert

Im ersten Teil des Buches, der "Psychologische Deutungen biblischer Texte" überschrieben ist, werden unterschiedliche 'objektive' psycholo­gische Zugänge zur Bibel kritisch gesichtet. Obgleich sie nicht immer zu übereinstimmenden Ergebnissen geführt haben {oftmals widerspre­chen sich psychologische Auslegungen gleicher Bibelstellen diametraD, sind sie zweifellos populärer als die der zweiten, der 'subjektiven' Variante. Zu ihnen gehören auch die umfangreichen und auflagenstar­ken Werke Eugen Drewermanns. Seine psychologische Bibelauslegung ist weitestgehend der Tiefenpsychologie verpflichtet. Damit steht er in einer gut 80 Jahre währenden Tradition 'bibelpsychologischen' Arbei­tens, die schon in der Gründerphase der Psychoanalyse begann.

Im ersten Kapitel werden psychoanalytische 'Exegesen' dargestellt, die sich zumal Sigmund Freud verpflichtet wissen. In seinem letzten Werk »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« versuchte sich der "Erzvater" der Psychoanalyse in dieser Thematik selber, in­dem er eine ebenso originelle wie umstrittene Deutung der Mosesge­schichte vorlegte. Zu Ende geführt wird dieses Kapitel mit kritischen Rückfragen an die psychologische Referenztheorie solcher Exegese, wie sie zumal in den letzten Jahren von unterschiedlichen Seiten her artikuliert worden sind, von der akademischen Psychologie gleicher­maßen wie von der Neopsychoanalyse.

Das zweite Kapitel beinhaltet psychologische Auslegungen, die auf der Analytischen bzw. Komplexen Psychologie C.G. Jungs fundiert wurden. Auch ihr Begründer griff wiederholt auf die Bibel zurück und lieferte Bausteine psychologischer Exegese, mit denen in den letzten Jahren Autoren wie Wolfgang Kretschmer, Helmut Harsch, Gerhard Wehr, Maria Kassel, Helmut Hark sowie Hanna Wolf, Eugen Drewer­mann, Paul Schwarzenau und andere mehr weitergearbeitet haben. Im

10

Page 13: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Gefolge der gegenwärtigen C.G. Jung-Renaissance erfreut sich solche Exegese einer großen Popularität, sodaß die abschließenden kritischen Rückfragen an die psychologische Referenztheorie - mit der die Aus­legungen stehen und fallen - besonders wichtig scheinen.

In einem dritten und kürzeren Kapitel gehe ich auf dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen auf die psychologische Exegese von Eu­gen Drewermann ein. Gerechtfertigt ist dies nicht nur wegen der immensen Popularität, sondern zumal deshalb, weil in der zwar inten­siven und kontroversen Diskussion seines Ansatzes dezidiert psycholo­gische Gesichtspunkte - wenn überhaupt - dann nur am Rande ange­sprochen werden.

Ein viertes Kapitel beschließt den ersten Teil, indem es weitere psychologische Zugänge zur Bibel aufgreift, die ebenfalls der objekti­ven Variante zugeordnet werden können, in erster Linie sozialpsycho­logische.

Im zweiten Teil, "Zur Psychologie der Deutung biblischer Texte" überschrieben, werden psychologische Zugänge zur Bibel erörtert, die nicht mit dem Anspruch auftreten, jeweils die richtige Deutung von Bibeltexten zu erbringen. Vielmehr beschränken sie sich darauf, zu beschreiben, wie unterschiedliche Subjekte Bibeltexte rekonstruieren und deuten. Das fünfte Kapitel entfaltet dieses Programm in der Perspektive der kognitiven Psychologie, speziell der der Textverarbei­tung; das sechste ist entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten vorbehalten, denen ich eine zentrale Bedeutung beimesse; das siebte schließlich geht auf psychopathalogische Phänomene in der Bibelrezep­tion ein.

Das Buch schließt, indem auf dem Hintergrund der bisherigen Aus­führungen und in thesenhafter Form generelle Fragen angesprochen werden, wie sie sich im Spannungsfeld zwischen Psychologie(n) und Bibel unvermeidlich stellen.

Die Darstellung versteht sich als Überblick und kritische Orientierungs­hilfe. Sie will die Vielfalt an psychologischen Zugängen zur Bibel aufzeigen. Trotz oder gerade wegen der nach wie vor anschwellenden Publikations flut zur 'Bibelpsychologie' wird diese nicht immer wahrge­nommen. Vor allem will sie verdeutlichen, daß es neben dem tiefen­psychologischen Zugang, der sich momentan einer breiten Zustimmung erfreut, auch andere bibelpsychologische Wege gibt, so den entwick­lungs- und sozial psychologischen. Dies relativiert den hin und wieder vertretenen Absolutheitsanspruch einzelner Zugänge und ruft nach einer multidimensionalen und komplementären Betrachtungsweise.

Zudem will dieses Buch die psychologischen Hintergrundstheorien der unterschiedlichen psychologischen Bibelauslegungen aufdecken. Vielfach werden diese Theorien unbefragt übernommen. Kritische Rückfragen etwa an das Konzept der Archetypen von C.G. Jung oder des Ödipuskomplexes von Freud unterbleiben, obgleich sie mittlerweile ebenso differenziert wie kritisch diskutiert werden. Dem gegenüber will dieses Buch auch in die kritische Diskussion gerade dieser psy-

11

Page 14: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

chologischen Theorien einführen und Informationen für ein weiterfüh­rendes Studium bieten. Wenn es dazu beiträgt, daß speziell der theo­logisch und exegetisch gebildete Leser befähigt wird, psychologische Exegesen auch nach psychologischen Gesichtspunkten zu prüfen und zu beurteilen, ist seine Niederschrift gerechtfertigt, sein Ziel erreicht.

Danksagung

Konzeptuell liegt diesem Buch die öffentliche Vorlesung zugrunde, die ich im Rahmen des Habilitationsverfahrens in Religionspädagogik am Fachbereich Katholische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz am 20.12.1990 gehalten habe. Die Idee, eine kleine Monographie zu schreiben, gab - anstachelnd ermunternd wie immer - mein Dok­torvater Prof. Dr. Günter Stachel. Prof. DDr. Fritz Oser ermunterte mich bereits im zweiten Semester meiner Studien dazu, nicht nur 'abgehobene' Exegese zu betreiben, sondern zusätzlich auf die 'Exege­sen' der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu hören. An dieser Stelle möchte ich meinen hauptsächlichen akademischen Lehrern herz­lich danken, desgleichen der Professorenschaft am Fachbereich Katho­lische Theologie in Mainz für die wohlwollende Abwicklung des Habi­litationsverfahrens.

Die meisten Kapitel entstanden im Rahmen des Seminars "Psycholo­gische Zugänge zur Bibel auf dem Prüfstand. Ihre religionspädagogi­sche Bedeutung", das ich während einer Lehrstuhlvertretung in Mainz abgehalten habe. - Den Studenten möchte ich für ihr konstruktiv-kri­tisches Engagement aufrichtig danken, für ihre Zustimmung ebenso wie für ihren Widerspruch, wie er Entwicklung mächtig vorantreibt.

12

Page 15: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Erster Teil

PSYCHOLOGISCHE DEUTUNGEN BIBLISCHER TEXTE

13

Page 16: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)
Page 17: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische For­schung erfahren ... " (Sigmund Freud 1915).

1. Kapitel

Auch Jakob hatte ihn - den Ödipuskomplex Psychologische Bibelauslegung im Anschluß an Sigmund Freud 1

Dieses Kapitel beginnt mit der Wiedergabe einer an Sigmund Freuds Psychoanalyse orientierten Auslegung von Gen 32, 23-33: Jakobs Kampf mit einem Engel bzw. Gott (1.1.). Ausgewählt wurde diese Bibelstelle nicht zuletzt deshalb, weil auch Autoren sie deuteten, die sich dafür auf C.G. Jungs Analytische Psychologie berufen haben, was einen konkreten Vergleich ermöglichen wird. Aus der in 1.1. dargeleg­ten psychoanalytischen Auslegung werden in 1.2. zentrale Elemente der Freudschen Psychoanalyse herausgearbeitet, wie sie in die Interpretation auch anderer Bibelstellen einzugehen pflegen. Daran schließen sich in 1.3. kritische Rückfragen an die Freudsche Psychoanalyse selber, mit der die entsprechenden Exegesen stehen und fallen.

1.1. Kämpfte Jakob am Jabbok gegen Gott oder den Phallus?

Die Verse 23-33 im 32. Kapitel des Buches Genesis gehören zu den schwierigsten und dunkelsten des ganzen Alten Testaments. Jakob, der eben seine Familie über den Fluß Jabbok gebracht hat, wird in der Dunkelheit von einem Unbekannten überfallen, der bis ins Morgen­grauen mit ihm ringt, ihm die Hüfte ausrenkt und schließlich einen neuen Namen verleiht, ja den Segen gibt. Nach Auskunft der histo­risch-kritischen Exegese steht hinter dieser Erzähleinheit, an der viele Generationen gearbeitet haben, ursprünglich eine Gespenstergeschichte. Später sei sie in eine Kultortsage vom schrecklichen Gott von Penuel umgestaltet und schließlich in die Jakob-Esau Erzählung aufgenommen worden2 . Aber auch so gedeutet bleibt sie dunkel und rätselhaft genug, um gerade psychoanalytisch geschulte Interpreten herauszufor­dern. Sollte es nicht gerade der Psychoanalyse, die nach Freud in ih­rer menschheitsgeschichtlichen Bedeutung den Entdeckungen von Kopernikus und Darwin ebenbürtig sei3 , vorbehalten sein, Licht in ihr numinoses Dunkel zu bringen? Bereits 1917 versuchte dies der Freud-

1 Sigtnund Freud (1861-1839) wird nach der von Alexander Mitscherlich besorgten Studienausgabe zitiert, die 1969 ff. in Frankfurt erschienen ist. Dabei w-ird die Abkürzung SA tnit entsprechender rötnischer Zif­fer verw-endet (Eingangszitat SA I, 284). Einführungen in seine Psychoanalyse bieten unter anderetn: Wyss, D.: Die tiefenpsychologi­schen Schulen 41972, 3-98; Rattner, J.: Klassiker der Tiefenpsycho­logie 1990, 3-27; über sein Leben infortnieren u.a.: Jones, E.: Sig­tnund Freud, Leben und Werk, 3 Bände 1962.

2 Vgl. die ebenso kurzen w-ie bündigen Ausführungen bei Ohler, A.: Grundw-issen Altes Testatnent, Band 1, 1986, 41-44.

3 SA I, 284 f.

15

Page 18: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

schüler und -freund Theodor Reik, 1954 der in Amerika tätige Psycho­analytiker William Niederland 4 .

Niederland beginnt mit Ausführungen über die symbolische Bedeu­tung von Flussübergängen. In der Antike hätten sie auch zentrale und kritische Lebensereignisse symbolisiert. Unzweifelhaft hatte Jakob am fluß Jabbok ein solches durchzustehen, nachdem er sich mit Laban entzweit und ihn verlassen hatte, um nun mit seinem Zwillingsbruder Esau fertig zu werden, der, von ihm um den Erstgeborenensegen betrogen, zwischenzeitlich Anführer einer vierhundertköpfigen Krieger­schar geworden war. Insofern handelt es sich um "ein sehr wichtiges Ereignis, vielleicht den entscheidenden Kampf im Leben des Helden"s.

Zu diesem Befund könnte man zwar auch gelangen, wenn man hi­storisch-kritisch arbeitet. Ein psychoanalytisches Proprium setzt Nie­derland, indem er hinter den manifesten Inhalten der Erzählung tie­ferliegende psychische Motive aufsucht. Diese befänden sich im Unbe­wußten von Jakobs Psyche. Weil sie latent (verborgen) sind, müßten sie entschlüsselt werden. So handle es sich beim Dämon nur vorder­gründig um ein Flußgespenst, wie sie in der antiken Mythologie ver­schiedentlich bezeugt sind. In psychoanalytischer Sicht repräsentiere er vielmehr "die Angst aus dem Ödipus- und Kastrationskomplex"6. Der fluß meine eigentlich die Schwester, die aber ihrerseits als ein Symbol der Mutter zu verstehen sei. Begründet wird die "symbolische Glei­chung Fluß = Schwester = Brust = Mutter" mit einem Hinweis auf Freud, der in seiner »Traumdeutung« behauptet hatte, daß man "an gesicherten Beispielen die Schwestern als Symbole der Brüste" erken­ne, zumal die der Mutter7 .

Niederland fährt fort, indem er wie im psychoanalytischen Schrifttum üblich - Kasuistiken (Einzelfallbeispiele) aus der Literatur sowie aus seiner psychoanalytischen Praxis heranzieht, in denen In­zestwunsch (speziell mit der Schwester) und Flußsymbolik eng ver­bunden sind. Sich wieder der Jakobsgeschichte zuwendend, muß er feststellen, daß in ihr zumindest auf den ersten Blick das für den Inzest notwendige Motiv der Schwester fehlt. Dieses findet er aber in

4 Reik, T.: Psychoanalytische Studien zur Bibelauslegung I, 1. Jaakobs Ka.Il1pf 1917/1919 (zu Reik: Rattner, J.: Klassiker der Tiefenpsycholo­gie 1990, 191-22S); Niederland, W.G.: Jakobs Ka.Il1pf a.Il1 Jabbok 1972 (erstInals 19S4). Vgl. auch Metehnann, V.: Der Jakobskarn.pf arn. Jabbok 1974. Autoren, die diese Bibelstelle von der Analytischen Psychologie C.G. Jungs her auslegten, W"erden in 2.1. aufgeführt.

S Niederland, W.G.: Jakobs Ka.Il1pf aITI Jabbok 1972, 129.

6 Ebd. Der "Ödipuskorn.plex" besteht darin, "daß der kleine Mann die Mutter für sich allein haben W"ill, die AnW"esenheit des Vaters als störend eITIpfindet ... der Mutter (verspricht), daß er sie heiraten W"ird" (SA I, 327>' Als "Kastrationskorn.plex" W"ird die Furcht be­zeichnet, aufgrund genitaler Betätigung - zurn.al in der ödipalen Phase - des Penis beraubt zu W"erden, W"as "der ITIächtigste Motor seiner W"eiteren EntW"icklung W"ird" (SA I, SSS); vgl. auch Abschnitt 1.2.3. soW"ie - kritisch - 1.3.3.

7 SA 11, 3S2; vgl. auch SA I, 201.

16

Page 19: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Jakobs Frauen Lea und Rahel. Als zwei Schwestern sollen sie die Brüste der Mutter Rebekka und damit diese selber symbolisieren 8. Ja­kobs Heiraten bei Laban hätten "eine Neu-Inszenierung der ursprüng­lichen Ödipussituation zwischen Mutter und Sohn" bewirkt. Zur ödi­palen Situation gehört aber auch der Konflikt mit dem Vater. Gemäß der Erzählung war dieser damals bereits tot. In psychoanalytischer Sicht werde er aber durch Laban repräsentiert: "Wieder sehen wir unseren Helden, wie er dabei ist, seinen neuen Vater des väterlichen Phallus zu berauben"9. Bevor der Konflikt gefährlich eskalierte, er­folgte die Flucht, mit ihr der Übergang über den reißenden Jabbok, der von schweren Realängsten begleitet gewesen sei, die "panikartig" verstärkt worden seien durch "(a) Ängste aus dem Ödipus- und Ka­strationskomplex", sowie "(b) ... aus Jakobs latenten homosexuellen Gefühlen für den Bruder"lO.

Dies führt zu einer entsprechenden Deutung des Kampfes selber: ein "intensiver, innerpsychischer Konflikt"l1. "Der »Engel« (muß) als Phal­lus verstanden werden, den er (Jakob) sich ursprünglich vom Vater angeeignet hatte - und auf dessen Besitz Esau als Erstgeborener Anspruch hatte". Die Verletzung an der Hüfte wird zur "symboli­sche(n) Kastration", zur Buße für die streng tabuisierte Skrotophilie, den genitalen Wettstreit mit dem Vater12 .

Theodor Reik geht in seiner psychoanalytischen Auslegung noch weiter. In Gen 32, 23-33 sieht er zusätzlich einen Initiationsritus. Er­sichtlich werde dies aus dem neuen Namen, mit dem Jakob aus dem Ringen hervorging13. Der abgepreßte Segen bedeute zudem eine "par­tielle Besiegung des Vaters", ohne die "kein Mann zum ungestörten Glück im Leben und in der Liebe gelangen könne". Diesen Sieg über den Vater stellt er auch in Beziehung zu dem von Freud in »Totem und Tabu« als historisch behaupteten Vatermord in der Urhorde, der die Entwicklung von Kultur, Moral und Religion initüert habe14.

Zusammenfassend: Jakobs Kampf in der Furt des Jabbok ist in psy­choanalytischer Sicht ein innerpsychischer Konflikt mit den symboli-

8 Niederland, W.G.: Jakobs KaIIlpf 1972, 134 heißt es: "Entsprechend der Freudschen Interpretation von »Schw-estern« als Brüsten der Mutter verbindet sich Jakob sYIIlbolisch w-ieder IIlit seiner Mutter, als er zw-ei Schw-estern aus ihrer FaIIlilie heiratet."

9 Ebd.

10 Ebd. 136.

11 Ebd. 137. 12 Zur Skrotophilie: Arlow-, J.A.: Die Konsekration des Propheten 1972,

234 f.; vgl. auch: Fenichel, 0.: Schautrieb und Identifizierung 1985, bes. 401 (erstlIlais 1935), sow-ie: AbrahaIIl, K.: Psychoanalytische Studien I, 1969, 370-373.

13 Reik, T.: Psychoanalytische Studien zur Bibelauslegung I, 1917/1919, 343.

14 »ToteIIl und Tabu«, in SA IX, 287-444. Eine Kurzfassung bietet Freud in SA IX, 529-532. Vgl. Abschnitt 1.2.3. dieses Buches sow-ie Paraphrasen bei Rattner, J.: Tiefenpsychologie und Religion 1990, 13-19; Küng, H.: Existiert Gott 1978, bes. 316-319.

17

Page 20: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

schen Repräsentanten der familiären Bezugspersonen. Sein Ausgang sei insofern positiv, als Jakob, eine symbolische Kastration erleidend, den Ödipuskomplex weitgehend überwindet, wie er aufgrund vorangegan­gener Erlebnisse intensivert worden war.

1.2. Charakteristika psychoanalytischer Bibelauslegung nach Freud

1.2.1. Hermeneutische Gnmdllllfen: Psychoanalytische Bibelauslegung nach Freud unterstellt, daß hinter dem manifesten Inhalt des Textes latente Gehalte liegen. Die Unterscheidung von manifestem Inhalt und latenten Gedanken hat Freud in seinem epochalen Werk »Die Traum­deutung« entwickelt, das 1900 erschienen ist15. Infolgedessen sei psy­choanalytische Bibelauslegung in Analogie zur Traumdeutung durchzu­führen 16. Bibeltexte und Träume entsprächen einander sowohl darin, daß sie prinzipiell sinn-voll, deutungswürdig und -bedürftig seien, als auch hinsichtlich der erforderten Deutungstechnik.

Warum aber werden im Traum <und auch in der Bibel} die latenten Gedanken nicht unverhüllt dargestellt? Weil die sogenannte "Traum­zensur"17 es 1.) gar nicht zuläßt, daß diese überhaupt ins Bewußtsein gelangen, oder, wenn schon, dann 2.) nur in maskierter Form. Als Beispiel für die erste Variante führt Freud den Traum einer Frau auf, in dem sie in einem Garnisonsspital verwundeten Soldaten ihre Dienste anbieten wollte 18. Aber immer dann, wenn in den Gesprächen mit den Stabsärzten greifbar zu werden begann, daß es ihr um Liebesdienste ging, erinnerte sie sich bloß an ein unverständliches Gemurmel: nach Freud ein Produkt der Traumzensur, die die Frau vor der eigenen "frech libidinösen Phantasie" verschonen will.

Die zweite Variante begegnet zumal als "Traumentstellung" 19. Ver­werfliche Wünsche zumeist sexueller Natur werden in Traumbilder eingekleidet, die normal und anständig scheinen. Was ist dagegen einzuwenden, wenn ein Mann träumt, eine Stiege hochzugehen und ein fremdes Zimmer zu betreten? Aber wie, wenn das fremde Zimmer Symbol einer fremden Frau sein soll?20 Für die psychoanalytische Bibelauslegung ist zumal Freuds Konzept der Traumentstellung be­deutsam geworden. Ist es nicht weniger anstößig, in Jakobs Gegner einen manifesten Engel des Herrn denn einen Phallus zu sehen?

15 SA 11, sovvie SA I 101-244. Sekundärdarstellungen bei: ThoIIlas, K.: TräuIIle - selbst verstehen 1989, 63-79; FroIIlIIl, E.: SigIIlund Freud 1979, 91-126; Ricoeur, P.: Die Interpretation 1974, bes. 101-113.

16 Vgl. dazu Spiegel, Y.: Psychoanalyse - InstruIIlent der Exegese? 1972, 14 f. - Dies vvird auch fUr den Mythus behauptet: AbrahaIIl, K.: Psychoanalytische Studien I, 1969, bes. 270-282 (erstIIlals 1909), so­vvie von Rank, 0.: Der Mythus von der Geburt des Helden 1909.

17 Vgl. dazu SA 11, 159 f., 217, 486 u.ö.; SA I, 148-158.

18 SA I, 149.

19 Vgl. dazu SA 11, bes. 151-176.

20 Vgl. solche und ähnliche Beispiele in SA 11, bes. 348 ff.; SA I, 162-177.

18

Page 21: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Nun stellt sich aber die hermeneutisch ganz zentrale Frage: Wie denn kann von den manifesten Bildern, sei es des Traumes, sei es der Bibel, auf die latenten Gehalte geschlossen werden? Nach Freud zu­nächst mittels der Technik der "freien Assoziation". Der Analysand, im verdunkelten Zimmer des Analytikers auf der Couch liegend, nennt zu den einzelnen Motiven des Traumes alle spontanen Einfälle; der Analytiker fragt gezielt weiter.21 So berichtet Freud aus seiner Praxis, wie beispielsweise eine Frau, die davon träumte, in ihrem Garten sei durch das Ausreißen eines Baumes eine tiefe Grube entstanden, den Weg zur angeblich richtigen Deutung anbahnte, indem sie spontan sagte, dabei einen "großen Verlust" empfunden zu haben, was sich als Reminiszenz an Kastrationskomplex und Penisneid zu erkennen gege­ben habe22.

Nun gibt es aber Traummotive, zu denen dem Analysanden nichts einfällt. Da gerade sie der Deutung bedürftig sind, mußte eine Metho­de gefunden werden, auch ihnen die latenten Inhalte zu entlocken. Nach Freud leistet dies die "Symbolik, ... das merkwürdigste Kapitel der Traumlehre,,23, ohne das psychoanalytische Bibelauslegung, wie am Beispiel von Gen 32 vorgestellt, nicht möglich geworden wäre. Des­halb ist sie ausführlicher darzustellen und aufzuzeigen, wie sie auch bei anderen Bibeltexten zum Zuge gekommen ist.

1.2.2. BedeutungskollBtanz der Symbole: Von zahlreichen manifesten Trauminhalten nahm Freud an, sie würden eine feststehende Bedeu­tung konstant vertreten. In den 1915 niedergeschriebenen »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« versah er diese mit dem Begriff "Symbol"24. Insofern Symbole als "feststehende Übersetzungen" auf­gefaßt und diese Bedeutungen nicht nur als erkennbar, sondern bereits als bekannt postuliert werden, ergibt sich die Möglichkeit, "einen Traum zu deuten, ohne den Träumer zu befragen ... , ihn gleichsam vom Blatt weg zu übersetzen,,25. Da Bibeltexte den Träumen weit­gehend analog sind, trifft dies auch für sie zu. Jakob kann sich ja nicht mehr auf die Couch legen und über seine Jabbok-Erfahrung frei assozieren.

Freud räumt selber ein, sich mit der Annahme einer Bedeutungskon­stanz von Symbolen wieder der Deutungsposition zu nähern, die

21 SA 11, bes. 121-124, 506-509; SA I, bes. 128.

22 SA I, 197.

23 SA I, 160. 24 SA I, 160. Freuds SYlnboltheorie kann hier nicht in ihre biogra­

phisch unterschiedlichen, teilw-eise w-idersprtichlichen Varianten ausdifferenziert w-erden: Vgl. Lorenzer, A.: Kritik des psychoanaly­tischen SYlnbolbegriffs 1970, 11-63; Neulnann, E.: Herrschafts- und SexualsYlnbolik 1980, bes. 49-58, 64-69; Eckes-Lapp, R.: SYlnbolbil­dung und SYlnbolik in psychoanalytischer Sicht 1988, bes. 172-176; Bucher, A.: SYlnbol SYlnbolbildung SYlnbolerziehung 1990, 147-153.

25 SA I, 161.

19

Page 22: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Traumbüchern und -lexika zugrundeliegt26. In der »Traumdeutung« von 1900 hatte er diese zwar noch als "wissenschaftlich unbrauchbar" abgelehnt: man müsse darauf gefaßt sein, "daß derselbe Trauminhalt bei verschiedenen Personen und in verschiedenem Zusammenhang auch einen anderen Sinn verbergen mag"27 Von dieser hermeneutischen Vor-Sicht ist aber dort nichts mehr zu bemerken, wo Freud "Symbo­lik" konkret entfaltete. Zwar würden im Traum nur wenige Dinge symbolisch dargestellt, in erster Linie die Sexualität. Aber dies in ei­ner kaum überschaubaren symbolischen Vielfalt! So werden als Sym­bole des männlichen Gliedes unter anderem aufgeführt: "Heilige Zahl 3, Stock, Schirm, Stange, Baum, Messer, Dolch, Lanze, Säbel, Gewehr, Pistole, Revolver, Wasserhahn, Gießkanne, Springbrunnen, Hängelampe, Bleistift, Federstiel, Nagelfeile, Hammer, Luftballon, Luftschiff, Reptil, Fisch, Schlange, Hut, Mantel...',28.

Freud stellt die Frage selber, woher diese Kenntnisse gewonnen werden können29. Da diese Symbolik angeblich zu allen Zeiten und in allen Kulturen auftritt, kann sie nicht auf individuelle Quellen und damit auch nicht auf das subjektive Unbewußte zurückgeführt werden. Vielmehr sei sie eine "archaische Erbschaft" und als solche angebore­nes Allgemeingut der Menschheit, das sich ohnehin nicht nur im Traum zu erkennen gebe, sondern auch "im Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines Volkes"30. Und damit auch in der Bibel!

Es war naheliegend, diese Symbol theorie an manifeste Inhalte und Bilder der Bibel heranzutragen. Bereits 1914 erschien in der »Zeit­schrift für Sexualwissenschaft« ein Aufsatz mit dem Titel »Die Sexu­al symbolik der Bibel und des Talmud«. Als Verfasser zeichnete Lud­wig Levy, der über umfassende Kenntnisse des jüdischen Schrifttums verfügte und ausgewählte Stellen mit Hilfe der "Forschungen der Psychoanalytiker", der Völkerpsychologie Wundts sowie der Ethnologie interpretierte. So legte er - in einem späteren Aufsatz - das hebräische

26 Ebd. 160. Zu den TrauInbUchern speziell der Antike: ThoInas, K.: TräuIne - selbst verstehen 1989, 12-19. Beispiele populärer TrauIn­bUch er der GegenW"art: Doucet, F.: Taschenlexikon der SexualsYIn­bole 1971; ders.: Das große Buch der TrauIndeutung 1978, bes. 203-216.

27 SA 11, 120-125, hier 125.

28 ZusaInInengestellt aus SA I, 164 f., vgl. auch SA 11, 345-394.

29 SA I, 174. 30 SA 11, 346. AusfUhrlicher auf die sogenannte "archaische Erbschaft"

geht Freud in SA IX, 545-549 ein, W"O er auch behauptet, daß diese "nicht nur Dispositionen, sondern auch Inhalte UInfaßt, Erinne­rungsspuren an das Erleben frUherer Generationen" (546). Da=it steht Freud in ausgesprochener Nähe zur zentralen AnnahIne C.G. Jungs, es gäbe neben deIn subjektiven UnbeW"ußten auch ein kollek­tives (v gl. Abschnitt 2.2.2.). Insofern trifft die Unterscheidung:

20

Freud - persönliches UnbeW"ußtes / C.G. Jung - kollektives Unbe­W"ußtes, trotz ihrer Popularität so nicht zu!

Page 23: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Verb "essen" als symbolische Darstellung des Koitus aus (Spr 30, 20); auch "pflanzen" soll die gleiche Tätigkeit symbolisieren31 . _

Für eine sexualsymbolische Deutung boten sich zumal Motive an, die, weil dunkel und rätselhaft, den Exegeten besonderes Kopfzerbre­chen bereiteten. Solche finden sich beispielsweise in der Simsonge­schichte (Ri 13-16). Die Exegese des ausgehenden 19. Jahrhunderts neigte, von Religionskunde und -wissenschaft beeinflußt, dazu, in diesem Erzählzyklus einen Sonnenmythus , in Simson selber eine Son­nengottheit zu sehen32. Dem widersprach der Nestor der alttesta­mentlichen Wissenschaft, Hermann Gunkel: die Geschichte sei von Märchen- und Sagenmotiven her auszulegen33. Aber auch so ist es nach Levy nicht gelungen, ihr Problem zu lösen34. Gerecht werde ihr nur, wer sie in der Sprache lese, in der sie geschrieben worden sei: der der "Sexualsymbole" .

Ein besonders sperriges Motiv ist das sogenannte Hochzeitsrätsel (Ri 14, 14), das Simson 30 Philistern aufgab. In der Einheitsüberset­zung lautet es:

Vom Fresser kommt Speise, vom Starken kommt Süßes.

Um es zu verstehen, muß man wissen, daß Simson zuvor mit bloßen Händen einen Löwen in Stücke gerissen hatte (Ri 14, 6). Als er kurze Zeit später den Kadaver wieder aufsuchte, entdeckte er, in diesen ein­genistet, einen Bienenschwarm. Simson aß vom Honig, von der süßen Speise also, die vom Fresser (Löwe) kam. Die nichtsahnenden Philister mußten seine Frau überreden, ihrem Gatten die Antwort zu entlocken (V. 15).

Levy hingegen behauptet, das Rätsel hätte prinzipiell erraten werden können35. Die Lösung bestehe im "Koitus"; der "Fresser" sei das männliche Glied, die "Speise" der Same; das "Starke" - gemäß dem Parallelismus membrorum - wiederum der Penis, das "Süße" noch ein­mal der Samen. Dies belegt er mit den "Forschungen der Psychoanaly­tiker" sowie mit völkerkundlichem Material, wie es auch Freud heran­zuziehen pflegte, beispielsweise einem russischen Hochzeitslied, in dem die Mutter der Braut, als diese vor dem Ehegemach zögert, zu­singt: "Still, Tochter, still. Nur Honig man dir geben wilL"36

Gleich gedeutet werden weitere Motive der Simsongeschichte, so die in Brand gesteckten Fuchsschwänze (Ri 15, 4 f-l. Ihre Bedeutung als phallisches Symbol reklamiert Levy auch für Vers 2,15 im Hohelied:

31 Levy, L.: Die Sexualsyxnbolik des Ackerbaus in Bibel und Talxnud 1916, bes. 438 f.

32 Vgl. bspw-. Steinthal, H.: Die Sage von Sixnson 1862. In diesexn Sin­ne legte auch der Freudschiiler Abrahaxn, K. : Psychoanalytische Studien I, 1969, 304-306 diese biblische Erzählung aus.

33 Gunkel, H.: Reden und Aufsätze 1913, 38-64. 34 Levy, L.: Sexualsyxnbolik in der Sixnsonsage 1972 (erstxnals 1916).

35 Ebd. 78. 36 Ebd. 80.

21

Page 24: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Fanget uns die Füchse, die kleinen Füchse" - wiederum "die membra", von den singenden Mädchen begehrt 37. Allerdings klagte nur wenige Jahre später Eduard König zu Recht, das Hohelied werde so einem "sexuellen Martyrium" überantwortet38 . - Auch die Blendung von Sim­son (Ri 16, 2V interpretierte Levy sexualsymbolisch: als "Kastration", und selbst seine Strafe, das Mühletreten: "Die Mühle ist Symbol für die vulva, mahlen für den Koitus,,39 - wie denn aber, wenn doch eben die Kastration erfolgt sei?!

Aber: Hat der als rational nüchtern geltende Freud in dermaßen überzogener sexualsymbolischer Bibeldeutung nicht einen Bärendienst gesehen? Dem ist nicht so:

"Die heiligen Schriften der Juden sind in ihrem dem poetisch so an­genäherten Stil erfüllt von sexualsymbolischen Ausdrücken, die nicht immer richtig verstanden worden sind und deren Auslegung z.B. im Hohen lied zu manchen Mißverständnissen geführt hat. In der späteren hebräischen Literatur ist die Darstellung des Weibes als Haus, wobei die Tür die Geschlechtsöffnung vertritt, eine sehr verbreitete. "40

Damit legitimierte er die eben geschilderte sexualsymbolische Inter­pretation der Bibel, wie sie nicht nur von Reik, Levy und Niederland praktiziert wurde, sondern auch von Emil Lorenz, der die sieben Kühe im Traum des Pharaos (Gen 41, 2) als die "Weiber des Vaters" enträt­selte. Oder von Efraim Rosenzweig: das von den Israeliten ersehnte Land, in dem Milch und Honig fließen (Dtn 6, 3), sei ein sexuell geladenes weiblich-mütterliches Symbol und habe für die Verdrängung früherer Muttergottheiten entschädigt. Auch Schwellen bei Zelten und Gebäuden, wie sie in mehreren Riten eine wichtige Rolle spielen: Symbole der Vulva. Zu erwähnen ist auch der Freud-Biograph Ernest Jones: selbst die Taube - für Christen ein Symbol des Heiligen Gei­stes - ein Phallossymbol! Karl Abraham legte die Arche in Gen 6-7 als Symbol des Mutterleibes aus, den Noah "während eines Zeitraumes (bewohnte), der genau der menschlichen Schwangerschaft entspricht". Nach Fingert soll sogar der Wurm, der in der Jonageschichte den Rizinusstrauch stach Uona 4,7), die "Zerstörungskraft des Penis im Geschlechtsverkehr" repräsentieren. Ebenfalls als phallisches Symbol gedeutet wurde noch in den siebziger Jahren der Turm zu Babel, dies

37 Ebd. 83 38 König, E.: Die Sexualität iIn Hohelied und ihre Grenze 1922, 4. 39 Ebd. 88. 40 SA I, 170. Freud selber W"andte diese Methode in seinen literatur­

psychologischen Abhandlungen an (SA X). Zur Thematik: Groddeck, G.: Psychoanalytische Schriften zur Kunst 1964 (erstmals 1923), der W"ohl arn W"eitesten ging, interpretierte er doch Mephistopheles in Goethes Faust als Geschlechtsteil des Mannes. Vgl. auch den Reader von Wolff, R. (Hg.): Psychoanalytische Literaturkritik 1975, soW"ie: Cremerius, J.: Literatur und Sexualität 1991, darin: ··Eine systematische und annotierte Bibliographie" (221-309). Kritisch:

22

Stannard, D.E.: Shrinking his tory: On Freud and the failure of psychohistory 1980.

Page 25: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

von Christa Meves; von Eugen Drewermann im Anschluß an Freud und Abraham die Paradiesschlange41.

Die eben geschilderte Bibelpsychologie gehört also nicht endgültig der Vergangenheit an, ist aber doch deutlich zurückgegangen. Ihre weite Verbreitung in der Frühzeit der Psychoanalyse könnte als tiber­dehnung einer neuen und <anfänglich?) faszinierenden Theorie verstan­den (und relativiert) werden, die die Wahrnehmung der Wissenschaft­ler in gleicher Weise trübte wie bei Faust die Liebe zu Helena. Wie dieser die Geliebte in jedem Weibe erblickte, so Freuds Schüler Sexu­alsymbole sowie ödipale Konstellationen (s.u.) in jedem {Bibel-Hext und jedem Bild.

1.2.3. Der allgegenwärtige (jd1pUJI: Freud schreibt der Tragödie »Oidi­pous Tyrannos« von Sophokles eine "erschütternde Wirkung" zu. Al­lerdings nicht deshalb, weil die Götter es nicht nur dulden, sondern vielmehr veranlassen, daß Ödipus unwissend seinen Vater Laios er­schlägt und seine Mutter lokaste ehelicht, sondern weil der Zuschauer reagiert, "als hätte er durch Selbstanalyse den Ödipuskomplex in sich erkannt und den Götterwillen sowie das Orakel als erhöhende Ver­kleidungen seines eigenen Unbewußten entlarvt". 42

Der Ödipuskomplex durchzieht Freuds gesamtes Werk. Besonders aufschlußreich ist die berühmt gewordene Geschichte des "Kleinen Hans", die als empirisches Indiz für dieses psychologische Konstrukt herangezogen zu werden pflegt 43 . Der "kleine Hans", Sohn eines wohlhabenden Wieners, der für die Psychoanalyse großes Interesse zeigte, begann sich im Alter von fünf Jahren heftig vor Pferden zu fürchten. In psychoanalytischer Betrachtung hätten sich diese als Symbole seines Vaters zu erkennen gegeben. Ihm gegenüber habe der Junge vor seinem fünften Lebensjahr Todeswünsche gehegt, diese aber

41 Lorenz, E.: Die Träume des Pharao, des Mundschenken und des Bäckers 1972 (erstmals 1930) 105; RosenzW"eig, E.: Historische und psychoanalytische Bemerkungen Uber Volk und Land Israel 1972 (erstmals 1939/40); Jones, E.: Zur Psychoanalyse der christlichen Religion 1970, bes. 139; Abraham., K.: Psychoanalytische Studien 11, 1971, 227; Fingert, H.: Psychoanalytische Studie Uber den Propheten Jona 1977, 188 (erstmals 1954); Meves, C.: Die Bibel antW"ortet uns in Bildern 1973, 60; DreW"ermann, E.: Strukturen des Bösen 11, 1978, 100 (ausfUhrlicher: Kap. 3).

42 SA I, 325 f.; vgl. auch SA 11, 265-268. Entsprechend interpretierte Freud (ebd. 268-270, soW"ie SA X, 166 f. das Hamlet-Motiv; vgl. auch: Jones, E.: Das Problem des Harnlet und der Ödipus-Komplex 1975 (erstmals 1910>. Ebf. aus der FrUhzeit der Psychoanalyse: Abraham., K.: Psychoanalytische Studien 11, 1969, 254-257, w"o der DreiW"eg, an dem Ödipus unW"issend seinen Vater Laios erschlägt, als Symbol der Vulva ausgelegt W"ird. Die umfassendste Studie stammt vorn Niederländer Sterren, D. van: Ödipus. Nach den Tra­gödien des Sophokles 1974 (niederländisches Original 1948).

43 SA VIII, 9-123, vgl. auch SA IX, 414. Vgl. bspW". die emphatische WUrdigung bei Rosenberger, L.: tiber Probleme der Kinderanalyse 1965, 51, W"O diese Fallgeschichte zu den "vollkommensten Mittei­lungen Uber Kindheitsneurosen" gezählt W"ird, soW"ie: Köhler, T.: AbW"ege der Psychoanalyse-Kritik 1989, 190-212.

23

Page 26: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

verdrängt, bis sie schließlich in der Phobie zum Ausbruch kamen. Zwar sah Freud den Jungen, der in die Psychologiegeschichte einge­gangen ist, nur einmal, schrieb aber über ihn:

"Er ist wirklich ein kleiner Ödipus, der den Vater »weg«, beseitigt haben möchte, um mit der schönen Mutter allein zu sein, mit ihr zu schlafen ".44

Von der Lösung des Ödipuskomplexes hänge die gesamte weitere Psychogenese des Menschen ab. Zwar beginne um das 7. Lebensjahr herum die sogenannte "Latenzzeit"45. Sie erstrecke sich bis in die Pubertät, in der die ödipale Problematik, sofern sie nicht ausreichend verarbeitet worden sei, wieder mit unverminderter Kraft hervorbreche und Neurosen erzeuge. In diesem Sinne bilde der Ödipuskomplex den "Kern aller Neurosen,,46.

Warum komme jeder Junge dazu, den Tod des Vaters zu wünschen und die Mutter zu begehren, jedes Mädchen den Vater? Weil die Mut­ter die Söhne an sich binden, die Väter zu den Töchtern besonders zärtlich sind? Freud zieht solche Faktoren zwar in Betracht47 . Aber: auf diese Weise erklärt, würde es sich beim Ödipuskomplex um ein bloß kontingentes Phänomen handeln, das auftreten kann, aber nicht muß. Seine Wurzeln sollen viel tiefer reichen: bis in die Urgeschichte, als die Menschen in Urhorden gelebt hätten48 . Despotische Urväter hätten sie beherrscht und die heranwachsenden Söhne vertrieben, um "alle Weibchen" für sich zu behalten. Eines Tages aber sollen die Söhne den Vater erschlagen und verzehrt haben. Da aber ihre Einstel­lung ihm gegenüber ambivalent gewesen sei, hätten Schuldgefühle sie übermannt, aus denen die beiden Tabus des Totemismus hervorgingen: Das Inzestverbot und der unbedingte Schutz des Totemtiers, das den erschlagenen Vater repräsentiere, dem nicht noch einmal ein Leid angetan werden dürfe 49.

Dieser kannibalistische Akt war folgenschwer. Nach Freud gehört er zur "archaischen Erbschaft" der Menschheit, so daß "ohne Bedenken" angenommen werden könne, "die Menschen haben es - in jener beson­deren Weise - immer g.ewußt, daß sie einmal einen Urvater besessen und erschlagen haben" o. Zutreffend habe Paulus darin die "Erbsünde" erkannt 51. Das aus dem Urmord resultierende Erbschuldgefühl sei der eigentliche Motor des Zivilisations prozesses im allgemeinen und der Entwicklung der jüdisch-christlichen Religion im besonderen. In dieser

44 SA VIII, 96. 45 SA I, 321 f., IX, 525 f.

46 SA IX, 439 u.ö.

47 Beispielsw-eise in SA I, 328. 48 ZUIll folgenden: vgl. insbes. SA IX, 424-430

49 Ebd. 427. 50 Ebd. 547 f.

51 Ebd. 534; vgl. auch 436 f., 580.

24

Page 27: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

sah Freud einen unzureichenden, weil illusionären Versuch, die aus der Urtat resultierende ödipale Schuld zu bewältigen52.

Aus den bisherigen Darlegungen wird eine doppelte Relevanz des Ödipuskomplexes für die psychoanalytische Auslegung der Bibel greif­bar:

1.) Die Heilige Schrift selber erweist sich als Folgelast dieses Kom­plexes, der damit zum "hermeneutischen Schlüssel" zentraler reli­giöser Konzepte wird 53. Ohne Ödipuskomplex: Keine Bibel, keine Exegese!

2'> Konflikte, die biblische Individuen bedrängen, beinhalten - wie alle Neurosen - als Kern die ödipale Verstrickung.

Zu 1: Die gesamte biblische Heilsgeschichte bis hin zur Kreuzigung des Jesus von Nazareth - nach Freud die "ausgiebigste Sühne" 54 für den Urmord - präsentiert sich demnach als Versuch, mit der ödipalen Schuld fertig zu werden. Desgleichen die zentralen religiösen Inhalte, allen voran die Gottesvorstellung. In phylogenetischer (menschheitsge­schichtlicher) Perspektive sei sie entstanden, als die Söhne ihren ermordeten Vater, um ihn zu ersetzen, in das "Totem" projizierten55, aus dem sich später anthropomorphe Gottesbilder entwickelt hätten. In der Ontogenese (der psychischen Entwicklung des Einzelnen) wie­derhole sich dieser Vorgang insofern, als in der ödipalen Phase das Kind damit beginne, sein Vaterbild in einen transzendenten Bereich zu projizieren, so "daß Gott im Grunde nichts anderes ist als ein erhöh­ter Vater"56.

Diese psychischen Mechanismen sah Freud zumal in der Entwicklung des jüdischen Gottesbildes am Werk, die von magisch-anthropomor­phen Vorstellungen zu einem "hochvergeistigten Monotheismus" hin­führte. Initiiert habe sie Moses, "ein - wahrscheinlich vornehmer -Ägypter"57, der dem Monotheismus anhing, wie ihn in der 18. Dynastie Pharao Amenophis IV. (Echnaton) gegen die Priesterschaft des Ammun durchzusetzen versuchte. Nachdem die Atonreligion aber zerschlagen worden war, habe sich der schwer enttäuschte Moses eine neue Volksgruppe gesucht, um in ihr sein monotheistisches Ideal weiter-

52 Ebd. bes. 439. Vgl. dazu auch die Schrift »Das Unbehagen in der Kultur«, in: SA IX, 191-270.

53 Nase, E. & Scharfenberg, J.: Psychoanalyse und Religion 1977, 15.

54 SA IX, 437 f. 55 Vgl. dazu bes. SA IX, 431; vgl. 156-158 in der religionskritischen

Schrift »Die Zukunft einer Illusion«.

56 Ebd. 430 f.; Neopsychoanalytiker, auch an Freud orientierte, haben die Behauptung, die Gottesvorstellung entstehe erst in der ödipalen Phase, schon längst zurlickgeW"iesen: Exemplarisch Rizzuto, A.M.: The birth of the living God 1979, bes. 44.

57 SA IX, 466 in der aus drei Aufsätzen bestehenden Schrift: »Der Mann Moses und die monotheistische Religion«, die in den Jahren 1936-1939 entstanden sind.

2S

Page 28: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

leben zu lassen. Gefunden habe er sie in "gewissen semitischen Stäm­men", den angeblichen Vorfahren der Israeliten. Unfähig, "eine so hoch vergeistigte Religion zu ertragen"58, hätten sie sich gegen Moses erhoben und ihn erschlagen. Dieses wiederum ödipale Verbrechen sei verdrängt und zusammen mit der Religion des Moses vergessen wor­den. Aber - so will es die Freudsche Neurosenlehre 59 - Verdrängtes kehrt wieder, in ontogenetischer Perspektive gleichermaßen wie in phylogenetischer. Die vergleichsweise späte Durchsetzung des Mono­theismus in der israelitischen Geschichte wird denn auch in "Analogie" zur Genese der Neurose erklärt: "Frühes Trauma" (gipfelnd in der Ermordung des Mose) - "Abwehr" (Verdrängung dieser Tat) - "Latenz" (Phase in der israelitischen Geschichte ohne strengen Monotheismus) -"Ausbruch der neurotischen Erkrankung - teilweise Wiederkehr des Verdrängten" (Durchsetzung des mosaischen Monotheismus} 60.

Eine weitere Folgelast des Ödipuskomplexes bestehe in der für die jüdische Identität zentralen Einrichtung des Sabbath. Diese These ver­trat der junge Erich Fromm, als er, noch ganz im Banne Freuds ste­hend, in der psychoanalytischen Zeitschrift »Imago« den Aufsatz »Sabbath« veröffentlichte. Seine Zusammenfassung lautet:

"Der Sabbath galt ursprünglich der Erinnerung an die Tötung des Vaters und die Gewinnung der Mutter, das Arbeitsverbot gleichzeitig der Buße für das Urverbrechen und seine Wiederholung durch Re­gression auf die prägenitale Stufe" 61.

Später erkannte Fromm neben den "Größen" der Psychoanalyse Freuds auch ihre "Grenzen" und gelangte er zu einer neuen Sicht des Sabbaths: "ein Tag, an dem die Zeit besiegt ist und ausschließlich das Sein herrscht,,62.

Zu 2: Wenn vom Ödipuskomplex behauptet wird, in jedem Menschen­leben unvermeidlich aufzutreten, dann auch in biblischen Individuen. Daß Jakob letztlich nur an diesem Komplex gelitten haben soll, hat die Deutung von Gen 32 bei Niederland und Reik unmißverständlich gezeigt. Auch die Menschen vor der Sintflut hätten sich eines ödipa­len Vergehens schuldig gemacht, indem sie sich inzestuös mit den Engelssöhnen einließen - für Gott "ein verkappter Mord" und Anlaß zu schwerster Bestrafung63. Sogar Pharaonen seien von diesem Kom-

58 Ebd. 496. 59 Zur Freudschen Neurosenlehre: SA I, 245-445; SA VIII: "Zvvei Kin­

derneurosen« .

60 SA IX, bes. 521 - 538, hier 528.

61 FroInIn, E.: Der Sabbath 1927, 234. Ähnliche Auffassungen vertrat auch Reik, T.: Die Bedeutung des Schvveigens 1917/1919, der das "Schvveigen vor Gott", vvie es beispielsvveis in Hab 2,20 gefordert vvird, Init deIn betroffenen Schw-eigen der Vatertöter in Verbindung brachte (bes. 357).

62 FroInIn, E.: SigInund Freuds Psychoanalyse - Größe und Grenzen 1979. Zur neuen Sicht des "Sabbath": ders.: Haben oder Sein 1976, 57; vgl. auch ders.: Märchen, Mythen, TräuIne 1980, 182 - 188.

63 Graber, H.G.: Zeugung, Geburt und Tod, 0.1., 86.

26

Page 29: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

plex überwältigt worden, so der in der Josefsnovelle, als in seinem Traum die sieben mageren Kühe die sieben fetten zu verschlingen be­gannen (Gen 41, 4): die dramatische Wende sei auf den "Ödipuskom­plex und das aus ihm stammende Schuldgefühl" zurückzuführen 64.

Ödipalen Ursprungs sollen auch Josefs Erlebnisse im Hause des Poti­phar gewesen sein (Gen 39>' Da er aber im Kerker dafür büßen mußte, habe der Pharao, selber an diesem Komplex leidend, am Jüngling aus Kanaan Gefallen fand. Lorenz meint,

..... daß wir vor einer Szene voll ewiger Bedeutung steh.f!n: der ge­bändigte Sohnestrotz, in losef verkörpert, an dem das Odipuserleb­nis im Hause des Potiphar haftet, der aber jetzt vor dem Vaterbild des Königs zum Retter des Vaters wird, die Empörung gegen den Vater, die seit Urzeiten in jeder Seele schlummert, sühnt und dafür das Wohlgefallen des Vaters gewinnt, nach dem Leiden erhöht und aus dem Verlies ins Paradies erhoben ... "65

Einen ödipalen Konflikt mit dem Vaterimago machte Fingert bei Jo­na aus, der zu einer Regression geführt habe, wie sie symbolisch durch das Verschlungenwerden durch den Walfisch dargestellt werde. Schendler und Reider 'entdeckten' ödipale Konflikte bei Judas, Monchy bei Adam und Kain, Parcells und Segel sowie Tolbert beim Verlorenen Sohn. Und nach Jork - in einer Publikation aus dem Jahre 1978 - sei Adams Ödipuskomplex (gegenüber seiner "Mutter" Eva) untergegangen, als ihm vom Engel mit dem flammenden Schwert die Kastration ange­droht worden sei 66 .

Mit dem Ödipuskomplex verknüpft ist ein weiteres psychologisches Konstrukt, das in psychoanalytische Exegese eingegangen ist: Der Trieb, die eigenen Kinder zu töten, der den Ödipuskomplex allererst hervorbringe. 67 Nicht nur Abraham sei von ihm befallen worden, der seinen Sohn zwar nur auf "symbolische Weise" getötet habe, indem er einen Widder schlachtete (Gen 22), aber dadurch psychisch befriedigt worden sei. Vor allem das Buch Hiob sei der "Ausdruck der Geistver­fassung, in der der Mensch von dem Komplex heimgesucht wird, in dessen Zentrum der kindesmörderische Trieb steht". Diesen Trieb spürt Bakan auch in der Passion Jesu auf: "Ich glaube, daß Jesus sich selbst als Opfer des kindesmörderischen Triebes verstand .. 68 . Von einem

64 Lorenz, E.: Die Träunle des Pharao, des Mundschenken und des Bäckers 1972 (erstnlals 1930), 105.

65 Ebd. 111.

66 Fingert, H.H.: Psychoanalytische Studie iiber den Propheten Jona 1977, bes. 186 (erstmals 1954); Schendler, D.: Judas, Oedipus and various saints 1953/54; Reider, N.: Medieval Oedipal legends about Judas 1960; Monchy, S.J.R.: Adam - Cain - Oedipus 1962; Parcells, F.H. & Segel, N.P.: Oedipus and the Prodigal San 1955; Tolbert, M.A.: The Prodigal San: An essay in literary critcism from a psy­choanalytic perspective 1977; Jork, G.: Sexualität. Eine uralte Ge­schichte (Gen 3), 1978, bes. 52.

67 Bakan, D.: Das Opfer im Buch Hiob 1972.

68 Ebd. 157. Ähnlich: Poensgen, H.: Verkiindigung und Pastoralpsycho­logie 1990, 524-528.

27

Page 30: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

weiteren Psychoanalytiker, Theodor Reik, wurde Jesus jedoch unter­stellt, seinem Vater Jahwe gegenüber Tötungswünsche gehegt zu ha­ben. Am Kreuz habe er dafür büßen müssen69. Daß aber Jesus seinen Vater zärtlich "abba" ansprach (Mk 14, 36), wird unterschlagen - Zeit genug, um zur Kritik überzugehen.

1.3. Kritik

1.3.1. Auslegen oder HerehJlegen? - zu den bermeneutischen Grundla­gen: Die meisten der bisher aufgeführten psychoanalytischen Bibelin­terpreten haben die Befunde speziell der historisch-kritischen Exegese - wenn überhaupt - dann nur spärlich einbezogen. Eine bemerkens­werte Ausnahme bildet Freud selber, dem die bereits 1753 vom fran­zösischen Hofarzt Jean Astruc eingeführte Unterscheidung zwischen einem Jahwisten und Elohisten geläufig war70. Das Ausblenden der kritischen Bibelwissenschaft, die zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits beachtliches Format aufwies, führte dazu, daß die biblischen Individuen als historische Gestalten behandelt wurden. Keine Rede davon, daß gerade in Jakob eine sogenannte "Korporativperson" zu sehen ist, in deren Widerfahrnissen das Volk Israel sich selbst wiedererkannte und bei deren literarisch-theolo~ischer Gestaltung es eigene geschichtliche Erfahrungen einfließen ließ 1. Wenn es in der Tat niemals gelingen wird, "im Sinne moderner Historie eine Biographie Abrahams, Isaaks oder Jakobs zu schreiben"72 - wie kann dann Jakob unterstellt wer­den, sein Ödipuskomplex sei beim Übergang des Jabbok intensiviert worden - was doch eindeutig Psychobiographie ist!

Jedenfalls müßte von Anfang an zugegeben werden, daß solche psy­chologischen Analysen über den Status bloßer Mutmaßungen niemals hinaus gelangen. Ohnehin beziehen sie sich in erster Linie auf die Subjekte, die diese Motive bzw. Korporativpersonen literarisch gestal­teten und verarbeiteten, so den Jahwisten, Elohisten und die Verfasser der Priesterschrift - ihrerseits exegetische Konstruktionen und keine historisch greifbaren Individuen.

Anzumerken ist zudem, daß der Analytiker zahlreiche Einblicke in die Psyche des Klienten auf nicht-verbale Weise erhält, durch ein Er­röten, ein Hüsteln, ein zögernd ausweichendes Antworten. Unbestreit­bar hat die Psychoanalyse wesentliche Einsichten in die damit verbun­denen psychischen Mechanismen erbracht. Aber dieser Erkenntnisweg ist in diesem Falle versperrt. Zudem können bei der psychoanalyti­schen Exegese Mechanismen nicht einsetzen, die ein Proprium von psychoanalytischer Di<!-~nose und Therapie bilden: "Übertragung" und "Gegenübertragung" . "Ubertragung" - nach Malcolm "Freuds originell-

69 Ebd. 157; Reik, T.: Der eigene und freInde Gott 1972, bes. 110.

70 Vgl. bspW". SA IX, 491 f.

71 Zur "Korporativperson": Fraine, J. de: AdaIn und seine NachkoInInen 1962.

72 Vaux, R. de: Die Patriarchenerzählung und die Geschichte 1965, 37.

28

Page 31: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ste und radikalste Entdeckung"73 - besteht darin, daß der Klient Gefühlsregungen wie Liebe oder Haß auf den Analytiker bezieht, ob­gleich sie faktisch anderen Personen gelten, zumal dem Vater. Dies ermögliche Einblicke in die psychische Struktur der Klienten, zumal in die infantilen Sexualwünsche und in die damit verbundenen Traumata speziell aus der ödipalen Phase. Bei der biblischen Sara, der noch 1989 von der "Psychosymbolikerin" Juana Danis eine ödipale Problematik andiagnostiziert wurde, ist dies nicht mehr möglich.74

Ein weiteres grundlegendes Postulat psychoanalytischer Bibelausle­gung besteht darin, daß biblische Texte - darin den Träumen gleich -die bloß manifeste Oberfläche tieferliegender und vorläufig verborge­ner Inhalte sind. Wie Ricoeur in seinem - vielleicht überschätzten -Freud-Essay »Die Interpretation« dargelegt hat, qualifiziere genau die­se Deutungsarbeit die Psychoanalyse als eine hermeneutische Disziplin 75, obgleich Freud selber in seinem letzten Aufsatz »Abriß der Psycho­analyse« behauptet hatte, "die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere" gemacht zu haben 76. Ohne an dieser Stelle den wissenschaftstheoretischen Status der Psychoanalyse weiter zu erör­tern - renomierte Psychologen und Wissenschaftstheoretiker beurteilen ihn eher skeptisch, mitunter vernichtend 77 -, die aufgelisteten psy­choanalytischen Auslegungen können aber darauf befragt werden, ob und inwieweit sie grundlegenden hermeneutischen Kriterien genügen.

Hermeneutik, wie sie in bereits klassischer Weise von Hans Georg Gadamer entfaltet worden ist, zielt darauf, zu verstehen. Sie hat deutlich gemacht, daß der Interpret immer mit einem sogenannten "Vorvers tändnis " , einem "Vorurteil" im ursprünglichen Wortsinn an den Text herangeht. Im Akt der Auslegung muß dieses aber perma­nent revidiert werden, damit es zur sogenannten "Horizontverschmel-

73 Malcolm, 1.: Fragen an einen Psychoanalytiker - Zur Situation eines unmöglichen Berufs 1983, 14; vgl. SA I, 415-430, bes. 425. Die "Ge­genUbertragung" besteht darin, daß auch der Analytiker dem Ana­lysanden gegenUber GefUhle entvvickelt, die aber streng kontrolliert

vverden mUßten.

74 Danis, 1.: Psychosystnbolik - Das ödipale Triangulum 1989, 45-50. Auf die Problematik vervveisen auch Nase, E. & Scharfenberg, 1.: Psychoanalyse und Religion 1977, bes. 16.

75 Ricoe ur , P.: Die Interpretation 1974, bes. 15-18, 100-114, 352-428. Auch Habermas, 1.: Erkenntnis und Interesse 1968, bes. 262-300 vertritt diesen Standpunkt.

76 Zit. aus Zimmer, D.: Tiefenschvvindel 1986, 65. Habermas, 1.: Er­kenntnis und Interesse 1968, 300 bezeichnete dies als "szientisti­sches Selbstmißverständnis"; vgl. die Gegenkritik des Philosophen GrUnbaum, A.: Die Grundlagen der Psychoanalyse 1988, 20-78.

77 Vgl. Popper, K.: Conjectures and refutations. The grovvth of scien­tific knovvledge 1963, bes. 36, vvo die Psychoanalyse als nicht falsi­fizierbare Pseudovvissenschaft bezeichnet vvird (38); Cioffi, F.: Freud and the idea of a pseudo-science 1970; Perrez, M.: Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft? 21979, der in der Psychoanalyse eine "Noch-Dicht-Theorie" sieht <196, vgl. auch 166).

29

Page 32: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

zung" zwischen Text und Interpreten kommen kann78 , worin adäqua­tes Verstehen besteht.

Auch psychoanalytische Bibelausleger können dem anskizzierten "hermeneutischen Zirkel" nicht entrinnen. Die Problematik ihrer Her­meneutik liegt aber darin, daß sie ihr Vor-Urteil, das sich aus den verwendeten psychologischen Interpretamenten zusammensetzt, kaum zu revidieren gewillt sind. Vielmehr zeigte sich, daß die Texte so lan­ge 'gedeutet' werden, bis sie in ihrer angeblich 'tieferen' und 'wirkli­chen' Bedeutung den psychologischen Referenztheorien völlig entspra­chen. Dann erübrigt es sich, sie in Frage zu stellen.

Geradezu kraß praktizierte Freud diese 'Hermeneutik' bei der Inter­pretation eines Traumes im Rahmen seiner "zweifellos wichtigste(n) aller Krankengeschichten", die unter dem Titel »Der Wolfsmann« in die Psychologiegeschichte eingegangen ist79. Hinter diesem verbirgt sich Sergej Konstantinowitsch Pankejeff (1887-1979), Sohn eines russi­schen Großgrundbesitzers, der sich 1910 bei Freud in eine Psychoana­lyse begab, nachdem er in seinem 18. Lebensjahr zusammengebrochen und lange Jahre weitgehend arbeits- und existenzunfähig war. Die Analyse zog sich über vier Jahre hin und ist von Freud im 1918 erst­mals veröffentlichten Aufsatz »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose« dargestellt worden8o . In ihrem Mittelpunkt steht die Analy­se eines Traumes, den der Klient im Alter von vier Jahren geträumt haben will. In einer Winternacht sei plötzlich das Fenster aufgegan­gen, auf dem Nußbaum davor sechs weiße Wölfe, die unbeweglich ins Zimmer blickten und das Kind dermaßen verängstigten, daß es auf­schrie und erwachte81. Der Traum gehe darauf zurück, daß der Junge im Alter von eineinhalb Jahren seine Eltern bei einem dreimaligen "coitus a tergo" beobachtet habe82 . Die unbeweglichen Wölfe symbo­lisieren den 'beschäftigten' Vater: Obgleich nur diesen fürchtend, habe er gewünscht, von ihm "koitiert, d.h. so befriedigt zu werden wie die Mutter,,83. Freud befürchtet selber, hier sei die Stelle erreicht, "an der der Glaube der Leser mich verlassen wird". Dennoch: der Angst­traum des vierjährigen Kindes sei erst jetzt "restlos aufgeklärt" 84.

Ohne die verschlungenen Wege der Freudschen Deutung im einzel­nen nachzuzeichnen: sie zeigt deutlich, in welchem Maße seine 'Her­meneutik' von vorgefaßten Interpretamenten (beispielsweise Urszene)

78 Dazu Gadamer, H.G.: Wahrheit und Methode 51986, bes. 270-312. 79 So die Einschätzung der Herausgeber der Studienausgabe: SA VIII,

127. Vgl.: Jones, E.: Sigmund Freud 11, 325: "Die Geschichte dieses Kranken ... ist sicherlich die beste der Reihe. Freud stand damals auf der Höhe seines Könnens", sow-ie die Einleitung in: Gardiner, M.: Der Wolfs mann vorn Wolfsmann 1982.

80 SA VIII, 125-232. 81 Ebd. 149 f.

82 Ebd. 157. 83 Ebd. 164. 84 Ebd. 156, bzw-. 161.

30

Page 33: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ausgeht, auf die die Traumsymbole zurechtgebogen werden. Alternativ­erklärungen wie die, der Junge habe von Wölfen geträumt, weil ihn die dominierende ältere Schwester mit Wolfsbildern aus Märchenbü­chern zu erschrecken pflegte, bis er "entsetzt zu schreien begann", werden nicht in Betracht gezogen85 . "TraumentsteIlung" , wie sie für die Symbolisierung verantwortlich gemacht wird, ereignet sich in Freuds Traumdeutung selber. In dem von Psychoanalytikern heftigst angegriffenen Buch: »Hier irrte Freud«, spricht Eschenröder hinsicht­lich dieser Traumexegese noch schonend von der "manchmal recht seltsame(n) Logik Freuds,,86. Härter formuliert der Wissenschaftsjour­nalist Dieter Zimmer:

"Diese Glanzleistung psychoanalytischer Traumdeutung, sie ist der grandios krampfige Versuch, einen Traum der vorgefertigten Theorie gefügig zu machen, um diese dann wiederum aus ihm ableiten zu können. In der Tat, nichts garantiert, daß es sich nicht um ein bloßes Phantasiegebilde des Deuters handelt. "87

Auch der Wolfsmann äußerte sich später enttäuscht: "In meiner Ge­schichte, was ist da eigentlich durch Träume erklärt worden? Ich wüßte nicht, was"88.

Wenn es schon bei Träumen fragwürdig ist, hinter ihren angeblich nur vordergründigen Bildern - koste es, was es wolle - einen latenten und angeblich eigentlichen Gehalt aufzuspüren, so trifft dies auf Bi­beltexte noch mehr zu. Die Reduktion ist massiv und theologisch nicht vertretbar, wenn ein Bibeltext dem Traum gleichgestellt wird, sofern dieser - so bei Freud - als "(verkleidete) Erfüllung eines (un­terdrückten, verdrängten) Wunsches" definiert wird - was die Traum­forschung schon längst weit differenzierter sieht 89.

Davon ganz abgesehen: Bei den bisher dargestellten Bibelauslegungen handelt es sich ohnehin nicht um Aus-Legung, sondern vielmehr um Eis-Egesis, um Hereinlegung in einem doppelten Sinn:

85 Ebd. 150. Eine plausible Alternativerklärung skizziert auch der an der Lerntheorie orientierte Perrez, M.: Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft 21979, 144-147.

86 Eschenröder, T.: Hier irrte Freud 21986, 94. 87 Zimmer, D.: Tiefenschwindel 1986, 229. 88 Obholzer, K.: Gespräche mit dem Wolfs mann 1980, 51. Freud pfleg­

te in der Therapie vielen Klienten seine Deutungen aufzuoktroyie­ren. Sperrten sie sich dagegen, wurde dies als Verdrängung und Widerstand interpretiert, was die Theorie abermals bestätigte. Vgl. dazu Eschenröder, C.: Hier irrte Freud 21986, 124; Zimmer, D.: Tiefenschwindel 1986, 42-64; Drigalskis, D.v.: Blumen auf Granit 1980 sowie Hemminger, H.l. & Becker, V.: Wenn Therapien schaden 1985.

89 SA 11, 175; vgl. Schrnidbauer, W.: Mythos und Psychologie 1970, bes. 63. - Neuere und differenziertere Traumtheorien: Thomas, K.: Träume - selbst verstehen 1990; Bossard, R.: Traumpsychologie 1987; Lischer, E.: Der Zweck des Träumens 1986; Foulkes, D.: Die Psychologie des Schlafs 1969.

31

Page 34: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

- Erstens: Psychologische Theorien, die nicht weiter hinterfragt, son­dern dogmatistisch hochgehalten werden, werden in die Texte hin­eingelegt. Manifeste Bilder, sofern sie sperrig sind, werden ihnen bedenkenlos geopfert.

- Zweitens: Auch der Leser wird hereingelegt und getäuscht, sofern es ihm nicht möglich ist, die hineingelegten Theorien zu hinterfra­gen.

Denn die generell fragwürdigen psychoanalytischen Deutungen stehen und fallen mit den 'psychologischen' Referenztheorien, zumal der Freudschen Symbolik und seiner 'Entwicklungspsychologie', deren Herzstück der Ödipuskomplex ist.

1.3.2. Symbolik oder plUlsexualistlsche Psychoallegorese? Abschnitt 1.2.2. zeigte, in welchem Maße die paraphrasierten Exegesen von Freuds Symbollehre 'leben'. Die Behauptung, Symbole verfügten über eine universale Bedeutungskonstanz, bot sich an, empirisch untersucht zu werden, beinhaltet sie doch die Hypothese, daß Männer runde visuelle Formen, weil Symbole der Vulva, bevorzugen, Frauen hingegen längliche (Symbole des Phallos). Mehrere, teilweise auch interkulturel­le Untersuchungen erbrachten gegenteilige Befunde 90. In einem Expe­riment, das Eysenck und Soueif mit 451 männlichen und 445 weibli­chen ägyptischen Studenten durchführten, bevorzugten die Befragten signifikant häufiger die visuellen Formen des eigenen Geschlechts!91 Latente Homosexualität! - anders ließe sich die Freudsche Symbol­theorie nicht aufrecht halten.

Zwar brachten vereinzelte Studien eine signifikante Bevorzugung der 'anders geschlechtlichen' Symbole zu Tage. Beispielsweise die von Krout, der auf der Basis einer Stichprobe von bloß 169 Personen behauptete, die Sexualsymbole im Sinne Freuds seien "universal',92. Aber selbst Kline, der in seinem Buch »Fact and fantasy in Freudian theory« alle greifbaren Untersuchungen zusammentrug, die - und sei es auch nur geringfügigst - für Freuds Theoriegebäude sprachen, meldete gegenüber dieser Untersuchung schwerwiegende methodologische Vorbehalte an 93. Dieter Zimmer dürfte recht haben:

"Wenn man nun fragt, welche objektiv empirischen Bestätigungen es für diese Theorie der Traumsymbole gibt, so lautet die schlichte Antwort: Es gibt keine. "94

Und damit auch nicht für die meisten klassisch psychoanalytischen Bibelauslegungen und Literaturinterpretationen, gegen die sich auch

90 Vgl. den tiberblick bei NeuDlann, E.: Herrschafts- und SexualsYDl­bolik 1980, 79-89; ZiDlDler, D.: Tiefenschw-indel 1986, 232-238.

91 Eysenck, H.j. & Soueif, M.: An eDlpirical test of the theory of se­xual sYDlbolisDl 1972.

92 Krout, T.j.: SYDlbol Elaboration Test (SET): The reliability and va­lidity of a new- projective technique 1950.

93 Kline, P.: Fact and fantasy in Freudian theory 1972, 208. 94 ZiDlDler, D.: Tiefenschw-indel 1986, 234.

32

Page 35: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

davon betroffene Literaten wie Nabokow entschieden zur Wehr setz­ten.9S

Die klassische psychoanalytische Symbol theorie übersieht die sozio­historische und soziokulturelle Bedingtheit der Symbole96. Ein Lippen­stift kann für einen Europäer in der Tat ein Phallossymbol sein, von islamischen Fundamentalisten hingegen als Symbol der Dekadenz aufgefaßt, von Prärieindianern mit einer Gewehrkugel und mit Gefahr und Tod in Verbindung gebracht werden. In Rechnung zu stellen wäre zusätzlich die Diachronie, die Geschichtlichkeit, was sich am Kreuz­symbol zeigen läßt: Aus dem Symbol des Schreckens, der Marter und des Todes wurde nach Golgotha auch ein Zeichen des Heils. Aner­kannt werden müßte vor allem der subjektive Faktor, die Tatsache, daß Symbole vom Menschen in seiner Auseinandersetzung mit der Mit- und Umwelt gebildet werden und die konkreten Spuren seines einmaligen Lebens tragen 97.

1.3.3. Hattei:JdJpus selD.en Komplex? Negativ fällt auch das psycholo­gische Urteil über Freud's Entwicklungspsychologie aus, speziell über den Ödipuskomplex. Zwar bindet die Psychoanalyse ihre Identität noch immer an diesem Konstrukt fest, was die heftige Reaktion zeigte, die den Psychoanalytikern Deleuze und Guattari entgegenschlug, als sie - 1972 auf französisch, zwei Jahre später in deutscher Übersetzung -ihren »Anti-Ödipus« herausgaben98 . Aber schon 1927 hatte der Ethno­loge Malinowski aufgrund seiner Feldforschungen speziell in Melane­sien und auf den Trobrianden schwerwiegende Zweifel an der Univer­salität dieses psychologischen Konstrukts angemeldet99. 16 Jahre spä­ter veröffentlichte der britische Kinderpsychologe Valentine die Er­gebnisse langjähriger Beobachtungen zur affektiven und psychosexuel­len Entwicklung sowohl seiner eigenen als auch anderer Kinder. Es sei

"nicht der geringste Anhaltspunkt für einen Ödipuskomplex zu fin­den. Das meiste Material widerspricht ihm sogar diametral, vor al­lem die Tatsache, daß die Mädchen ihre Mutter nach dem zweiten

9S "Wenn jedes «cotne» (kotntnen) und jedes «part» (Teil) auf den Sei­ten tneiner Bücher von tnir angeblich gebraucht wird, Utn «Orgas­tnus» und «Geschlechtsteil» auszudrücken, dann kann tnan sich gut einen Begriff tnachen von den verwerflichen Schätzen, die Mr. Ro­we in jedetn französischen Rotnan heben könnte, wo die Vorsilbe «con» so häufig ist, daß jedes Kapitel geradezu zu einetn Ragout aus weiblichen Geschlechtsteilen wird" (zit. aus Zitntner, D.: Tie­fenschwindel 1986, 237).

96 Beispielshaft: Neutnann, E.: Herrschafts- und Sexualsytnbolik 1980.

97 Bucher, A.: Sytnbol - Sytnbolbildung - Sytnbolerziehung 1990.

98 Frankfurt 1974; vgl. die z.T. entrüsteten Erwiderungen in Chasse­guet-Stnirgel (Hg.): Wege des Anti-Ödipus 1978; Sterren, D. v. Ödi­pus 1974, 140, wo die Kritik sogar tnit einer "totalitären Ideologie" und tnit "1933" in Verbindung gebracht wird.

99 Malinowski, B.: Geschlecht und Verdrängung in pritnitiven Gesell­schaften 1962, bes. 140 (ersttnals 1927). Gegen die Universalität spricht auch das Phänotnen der "vaterlosen Gesellschaft" (A. Mit­scherlich), in der eine ödipale Konstellation nicht tnehr tnöglich ist.

33

Page 36: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Lebensjahr deutlich vorzogen, wenn die Jungen sich Freud zufolge von ihrem Vater abwenden und die Mädchen ihn vorziehen soll­ten." 100

Die empirischen Daten von Valentine überzeugen mehr als die von Freud. Diese bestehen in erster Linie in der bereits erwähnten »Analy­se der Phobie eines fünf jährigen Knaben«, der Krankengeschichte des "Kleinen Hans··101. Wie vielen anderen Patienten wurde auch dem Fünf jährigen eine ödipale Deutung seiner Ängste förmlich indoktri­niert. So unterstellte ihm der eigene Vater: "»Du möchtest der Vati sein und mit der Mammi verheiratet sein wie ich und einen Schnurr­bart haben und möchtest, daß die Mammi ein Kind bekommen soll« ... Hans: »0 ja.«"102

Auch Kline konnte von insgesamt 14 Studien zum Ödipuskomplex nur vier als positiv bezeichnen103. Eine davon beinhaltet die Analyse der Träume von 120 Studenten und Studentinnen, die daraufhin ausge­wertet wurden, wieviele symbolische Hinweise auf Kastrationsangst und Penisneid vorgekommen seien104. In der Tat: Studenten hätten häufiger von Kastrationsangst geträumt, Studentinnen häufiger von Penisneid. Da als Indiz für Penisneid beispielsweise gewertet wurde, wenn eine Frau im Traum einen Regenschirm <Symbol des Phallos} erwarb, fällt diese angebliche empirische Bestätigung mit den frag­würdigen Spekulationen der Freudschen Symbollehre dahin. Könnte es nicht auch sein, daß der Traum darauf hinweist, den verloren gegan­genen Regenschirm endlich zu ersetzen?

Sollte die Lehre des Ödipuskomplexes richtig sein - in gewissen Fällen kommt diese Konstellation sicherlich vor, in streng patriarcha­lischen Verhältnissen häufiger -, müßte zudem die Initiative für inze­stuöse Triebregungen und Handlungen den Kindern angelastet werden. Aber solche gehen in erster Linie von Vätern aus, an zweiter Stelle von älteren Geschwistern, speziell Brüdern, und erst an dritter und ohnehin äußerst selten von Müttern105. Gewiß ist mit einer erschrek-

100 Valentine, C.W.: The psychology of early childhood 1942, 316.

101 SA VIII, 9-123.

102 Ebd. 82. Vgl. die utnfassendere Kritik dieses Vorgehens bei Wolpe, ]. & Rachtnan, S.: Psychoanalytischer 'BeW'eis': Eine Kritik anhand von Freuds Fall des Kleinen Hans 1979.

103 Kline, F.: Fact and fantasy in Freudian theory 1972.

104 Hall, C. & Van de Castle, R.: An etnpirical investigation of the castration cotnplex in dreatns 1963. Bei Kline noch nicht aufgeli­stet: Silvertnan, L. u.a.: Sitnple research paradigtn for detnonstra­ting sublitninal psychodynatnic activation 1978. 30 Studenten W'ur­den gebeten, Pfeile auf eine Zielscheibe zu W'erfen. Die unter­schW'ellige Botschaft: "Papa schlagen ist okay" habe die Treffsi­cherheit erhöht. - Massive, aber berechtigte Kritik bei: Eysenck, H.].: Niedergang und Ende der Psychoanalyse 1985, 101-123; Ey­senck, H.]. & Wilson, G.: Experitnentelle Studien zur Psychoanaly­se Sigtnund Freuds 1979.

105 Ketnpe, R. & Ketnpe, H.: Kindestnißhandlung 1984, 68; vgl. auch Rauchfleisch, U.: Psychoanalyse und theologische Ethik 1986, 68-72.

34

Page 37: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

kenden Dunkelziffer zu rechnen106, was für ein zumindest teilweises Vorkommen ödipaler Verstrickungen sprechen könnte. Aber die These Freuds und Abrahams, inzestuöse Handlungen würden von den Kindern insgeheim gewünscht und selber verschuldet107, entspricht nicht den Tatsachen, sondern dem pessimistischen und für die frühe Psychoana­lyse bezeichnenden Bild des Kindes, wonach dieses "zutiefst sexuell orientiert, großspurig ... , ohne jedes moralische Empfinden ... , rück­sichtslos und sadistisch ist"108. Sagt dies über den Psychoanalytiker nicht mehr aus als über die wirklichen Bedürfnisse des Kindes, die folgenschwer verkannt werden, beispielsweise das nach "Bindung" {attachmentl ?109

Vieles spricht dafür: Der Ödipuskomplex ist selber ein Mythos, weitverbreitet zwar, aber mit potentiell verheerenden Folgen für den angeblichen Täter: Das Kind. Wie soll eine Dreizehnjährige, der der Vater nachstellt und schließlich den Weg aus dem Badezimmer ver­sperrt, mit ihrer Angst und ihrem Ekel fertig werden, wenn ihr der Psychiater mitteilt, alle kleinen Mädchen würden ihren Vater zu ver­führen suchen?ll0

Vor diesem Hintergrunde erstaunt und erschreckt es gleichermaßen, wie unkritisch nicht nur psychoanalytische Bibelausleger auf dieses Konstrukt zurückgriffen, sondern - nachdem sich der anfängliche Widerstand gegen die Psychoanalyse einigermaßen gelegt hatte selbst Theologen111 . Nicht zuletzt im Interesse einer angemessenen

106 Vgl. bspw. Rutgers, J.: Sexueller Mißbrauch von Kindern 1990.

107 Abrahatn, K.: Psychoanalytische Studien 11, 1971, 168: ··Ich werde dabei insbesondere den Nachweis fUhren, daß in einer großen An­zahl von Fällen das Erleiden des Trautnas (sexueller Mißbrauch A.B.) VOtn Unbewußten des Kindes gewollt wird ...... Hinzuweisen ist auch auf die schwerwiegende Modifizierung der Freudschen "VerfUhrungstheorie": Anfänglich hielt er die von seinen Klientin­nen berichteten sexuellen Verflihrungen (speziell durch den Vater) flir reale Begebenheiten. Später widerrief er: ··Ich tnußte endlich zur Einsicht kotntnen, daß diese Berichte unwahr seien, und lernte so verstehen, daß die hysterischen Sytnptotne sich von Phantasien, nicht realen Begebenheiten ableiten" (SA I, 551). Dieser Gesin­nungswandel veranlaßte Alice Miller, Das verbannte Wissen 1990, aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung auszutre­ten. Vgl. Masson, E.: Was hat tnan dir, du artnes Kind, getan? Sigtnund Freuds Unterdrlickung der VerfUhrungstheorie 1984.

108 So der englische Psychoanalytiker Edward Glover itn Jahre 1922, zit. aus: Montagu, A.: ZUtn Kind reifen 1984, 164. Freud (SA IX, 530) sprach von den Kindern als den "Pritnitiven der Gegenwart".

109 Bowlby, J.: Bindung 1975.

110 Beispiel aus Rush, S.: The best kept secret 1980, 103. 111 Zur Rezeption der Psychoanalyse: Cretnerius, J. (Hg.): Rezeption

der Psychoanalyse 1981; Nase, E. & Scharfenberg, J.: (Hg.): Psycho­analyse und Religion 1977; eher unkritische Rezeption des Ödipus­kotnplexes bspw. bei Poensgen, H.: Verklindigung und Pastoral­psychologie 1990, 526 f .. Obgleich er auch kritische Psychologen­stitntnen nennt, hält Kling, H.: Existiert Gott 1978, 355 f. an der Relevanz des Ödipuskotnplexes fest. Selbst Pannenberg, W.: Anth­ropologie 1983, 186-188, 295 f. stellt ihn nicht weiter in Frage.

3S

Page 38: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

theologischen Anthropologie des Kindes, mehr noch aufgrund der Erkenntnisse der akademischen Psychologie, die diesem Konstrukt mehr als distanziert gegenübersteht112, wäre es an der Zeit, diesen Mythos zu verabschieden. Auch in der Geschichte der Psychologie gesellten sich neben geniale Entdeckungen geniale Irrtümer.

Das gleiche trifft auf zwei weitere Konstrukte der Freudschen Ent­wicklungs psychologie zu, die in die Exegese im besonderen, in die Theologie im allgemeinen eingezogen sind: die "orale" und "anale Phase", wie sie in der fsychosexuellen Entwicklung dem Ödipuskom­plex vorausgehen sollen 13. Auf diese Entwicklungsphasen stieß Freud beim Studium der Perversionen von Neurotikern, für die sich "Mund­höhle" und "Afteröffnung .. .in ded~r Hinsicht wie ein Stück des Ge­schlechtsapparats" benähmenil . Ahnlich bei den Kindern: Bis in die Mitte des zweiten Lebensjahres bildeten die Mundschleimhäute die erogene Zone, später der Mter. Kinder würden fortan dazu neigen, "die Stuhlmassen zurück(zu) halten, bis diesselben durch ihre Anhäu­fung heftige Muskelkontraktionen anregen und beim Durchgang durch den Mter einen starken Reiz auf die Schleimhaut ausüben können. ,,115

Orale Probleme wurden von Tarachow in die Judasfigur hineingelegt, von Fingert in die Jona-Geschichte: Der Wunsch nach aktiver Oralität habe sich in den verkehrt, selber verschlungen zu werden; eine anale Triebproblematik liege - so Kühnholz - in der Sündenfallgeschichte (Gen 3,1-7) vor, und alle drei Entwicklungsphasen (oral - anal - ödi­pal-genital) begegnen hin und wieder als psychologisches Interpreta­ment der drei Versuchungen Jesu in der Wüste (Mt 4,1-11)116.

Beeinträchtigungen in der oralen und/oder analen Triebbefriedigung wirkten sich für das ganze Leben verheerend aus. Im ersten Fall neige das Individuum sein Leben lang zum Pessimismus, im zweiten enstehe der "anale Charakter", der durch Putzsucht, Geiz und Eigensinn cha­rakterisiert ist. Beide Behauptungen boten sich an, empirisch überprüft zu werden; aber für keine ließen sich wirklich überzeugende Indizien

112 In aktuellen Handbüchern der Entwicklungspsychologie wie etwa Oerter, R. & Montada, L.: Entwicklungspsychologie 1982 konunt der Ödipuskomplex nur in einern historisch orientierten Unterka­pitel vor (97 f.): Damon, W.: Die soziale Entwicklung des Kindes 1989, bes. 245: Flammer, A.: Entwicklungstheorien 1988, 90: "So genießt z.B. die Unterstellung, daß alle Knaben einen Ödipus­Konflikt und alle Mädchen einen Elektra-Komplex zu lösen haben, heute wenig Anerkennung".

113 Vgl. dazu SA I, 316-332.

114 SA V, 77.

115 SA V, 92. Thornton, E.: Freud and cocaine 1983 sah in dieser Be­hauptung eine pathologische Nachwirkung von Freuds Kokainexpe­rirnenten.

116 Tarachow, S.: Judas, der geliebte Henker 1972: Fingert, H.H.: Psy­choanalytische Studie über den Propheten Jona 1977, 183: Kühn­holz, W.: Sexualität 1978, bes. 42 f.: Riess, R.: Psychologische Erwägungen zur Perikope von der Versuchung Jesu 1970: Drewer­mann, E.: Kleriker 1989, 347.

36

Page 39: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

nachweisen.117 Eysenck äußerte

"nur Staunen darüber ... , daß jene unbewiesenen Spekulationen (Preuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung, A.B.) bei Psychia­tern und Psychoanalytikern eine so breite Zustimmung gefunden haben ... Mir scheint allerdings, daß an ihr (der genannten Theorie, A.B.) weniger die wissenschaftliche Uberzeugungskraft eine Rolle gespielt hat als eine Art religiöser Bekehrung, die sich auf Vertrau­en und Glauben gründete, anstatt auf Tatsachen und Experimente, und die mehr auf Suggestion und Propaganda baute als auf Beweis­führung und Verifikation"118.

Auch wer die Heftigkeit dieser Kritik nicht teilt und - zu Recht -auf die möglichen schwerwiegenden Folgen frühkindlicher Traumatisie­rungen hinweist, muß zugeben, daß Freuds Entwicklungspsychologie, wie sie in biblische Individuen hineingelesen zu werden pflegt, reduk­tionistisch ist. Keine Rede vom Spracherwerb, von den Fortschritten in der Motorik und später der symbolisch-begrifflichen Intelligenz! Kein Wort, daß Entwicklung ein dynamisches Geschehen ist, das mit der Kindheit keineswegs abgeschlossen ist!119 Damit gekoppelt ist eine ausgesprochen deterministische Sicht von Entwicklung, wie sie in der Entwicklungspsychologie schon längst als überwunden gilt120.

1.4. Zusammenfassung Ohne Zweifel hat Freud die Psychologie ungemein inspiriert, am fruchtbarsten vielleicht gerade dort, wo sie sich von ihm abwenden mußte. Auch nicht bestritten werden kann, daß er selber sowie zahl­reiche seiner Schüler vielen seelisch leidenden Menschen geholfen haben (wobei aber die Effizienz seiner Psychotherapie auch massiv bezweifelt worden ist 121).

117 Überblicke bei ZitnIIler, D.: Tiefenschw-indel 1986, 164-168; Eschen­räder, C.: Hier irrte Freud 21986, 112-115. Eine neUere Untersu­chung statIlIIlt von Kiine, P.: Zw-anghafte Eigenschaften, Zw-angs­SYIIlptoIIle und Analerotik 1979. Den Versuchspersonen w-urde auch eine Zeichnung von eineIIl kotenden Hund vorgelegt. Wer darauf heftig reagierte, habe eine starke Analität.

118 Eysenck, H.].: SigIIlund Freud 1985, 122.

119 Baltes, P.B.: Entw-icklungspsychologie der Lebensspanne 1990; FlaIIlIIler, A.: Entw-icklungstheorien 1988, bes. 87. Mit deIIl psycho­analytischen DogIIla, allein die (friiheste) Kindheit stelle die Wei­chen, setzt sich uIIlfassend auseinander: HeIIlIIlinger, H.].: Kindheit als Schicksal? 1986; vgl. auch Brunner, H.: Menschenbilder in der Psychotherapie 1990, 83.

120 Bronfenbrenner, U.: Die Ökologie der IIlenschlichen Entw-icklung 1989, bes. 27; Piaget, ]. & Inhelder, B.: Die Psychologie des Kindes 1977, bes. 113; vgl. die Übersicht unterschiedlicher Auffassungen von IIlenschlicher Entw-icklung in Oerter, R. & Montada, L.: Ent­w-icklungspsychologie 1982, 24-29; iiber konstruktivistisch-interak­tionistische Entw-icklungstheorien inforIIliert: Garz, D.: Sozialpsy­chologische Entw-icklungstheorien 1989 (vgl. auch Kap. 6).

121 Freud, S.: SA (Ergänzungsband); vgl. HoffIIlann, S.O.: Psychoanaly­se und davon abgeleitete Verfahren 1980; kritisch: Eysenck, H.].: SigIIlund Freud: Niedergang und Ende der Psychoanalyse 1985, 45-67; Eschenräder, C.: Hier irrte Freud 1986, 144-167.

37

Page 40: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Neuartig, wie die Psychoanalyse zu Beginn dieses Jahrhunderts war, bot sie sich auch für die Auslegung der Bibel an, nachdem Freud und mehrere seiner Schüler versucht hatten, sie für die Mythendeutung fruchtbar zu machen. Über das ganze 20. Jahrhundert hinweg wurden psychoanalytische Studien zu biblischen Texten und biblischen Gestal­ten vorgelegt. Das Gros entspricht sich darin, daß der Bibeltext in Analogie zum Traum angegangen wird und hinter den manifesten Bildern eigentliche latente Gehalte aufgespürt werden. Als zentrale psychoanalytische Konstrukte wurden dafür regelmäßig die entspre­chende (Sexual-)Symboltheorie sowie der Ödipuskomplex herangezo­gen.

Von der Problematik abgesehen, Bibeltexte den Träumen gleichzu­stellen, zeigte sich, daß die Exegesen - die sich ohnehin als Eisegesen (Hereinlegungen) zu erkennen gaben - mit den psychologischen Refe­renztheorien nicht stehen, sondern fallen. Weder für die Freudsche Symbollehre, noch für den angeblich universalen Kern aller Neurosen, den Ödipuskomplex, lies sen sich überzeugende Indizien nachweisen. Psychologische Symbolforschung und Entwicklungspsychologie präsen­tierten sich bereits zu Freuds Lebzeiten weit differenzierter als inner­halb der Psychoanalyse,122 was dem gewiß berechtigten Einwand entgegengehalten werden kann, Freud müsse vor dem Hintergrund seiner Zeit mit ihrer viktorianischen Prüderie und einem weitgehend unangefochtenen Patriarchalismus betrachtet werden, dem zumal das Konzept des Ödipuskomplexes zu entsprechen scheine. Ohnehin wur­den bereits in den Zwanzigerjahren auch von psychologischer Seite her heftige Einwände gegen die anskizzierte psychoanalytische Bibelinter­pretation vorgetragen, beispielsweise von Allwohn, der dem amerikani­schen Autor Povah - dieser wollte die alttestamentlichen Propheten als Psychoanalytiker ausweisen - vorhielt:

''Bei näherem Zusehen aber wird es klar, daß es ihm gar nicht dar­auf ankommt, die persönliche Entwicklung Hoseas zu erklären. Er will vielmehr lediglich in den Worten des Propheten versteckte psychoanalytische Erkenntnisse finden". 123

Insgesamt: Die aufgelisteten psychologischen Exegesen erwiesen sich als wenig valide. Von Bedeutung sind sie in erster Linie in histori­scher Hinsicht. Sofern aber psychologische Auslegung dieser Art heute noch vorgetragen wird, muß sie sich auf ebenso berechtigte wie mas­sive Kritik gefaßt machen. - Trifft dies auch auf Bibelauslegungen zu, die an Freuds berühmtestem Antipoden, an C. G. Jung orientiert sind?

122 Vgl. v.a. Stern, W.: Psychologie der frühen Kindheit 1927, w-o Freud vorgew-orfen w-ird: "Denn sYInbolisch erdeuten läßt sich schließlich alles aus alleIn; und eine vorgefaßte Meinung oder eine bestiInInte Hypothese legt dann leicht die Wege der Interpretation von vorn herein fest. .... (251); zurückgew-iesen w-ird auch der Ödi­puskoInplex (474-476).

123 Allw-ohn, A.: Die Ehe des Propheten Hosea in psychoanalytischer Beleuchtung 1926; Povah, j.W.: The new- psychology and the He­brew- prophets 1925.

38

Page 41: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

2. Kapitel

"Er hatte aber u.a. die großartige Idee entdeckt, daß die Welt sein Bilderbuch sei, in dem er nach Belieben blättern könne ... " (C.G. Jung, 1934)

Biblische Gestalten auf dem Weg zu ihrem Selbst Tiefenpsychologische Auslegung nach C.G. Jung1

Der Aufbau des zweiten Kapitels orientiert sich an dem des ersten. Zunächst (2.1.) wird eine tiefenpsychologische Auslegung von Gen 32, 23-33 paraphrasiert, die der Analytischen Psychologie des 1875 im thurgauischen Keßwil geborenen und 1961 in Zürich verstorbenen Carl Gustav Jung verpflichtet ist. Anschließend (2.2.) werden die dabei aufgefundenen psychologischen Konstrukte näher dargestellt und wird aufgezeigt, wie sie bei der Exegese weiterer Bibelstellen in Erschei­nung treten. In 2.3. erfolgt eine kritische Sichtung dieser psychologi­schen Interpretamente, mit denen die Auslegungen stehen und fallen.

2.1. Kämpfte Jakob am Jabbok gegen Gott oder gegen sich selbst?

Im 1912 erstmals erschienenen Buch »Wandlungen und Symbole der Li­bido«, das Jung 1952 in »Symbole der Wandlung« umbenannte, äußerte er sich selber zu Gen 32, 23-33. Innerhalb von Ausführungen über den Heldenmythos bestimmte er Jakobs Ringen mit dem Engel als "Anfall der Triebgewalt", die aber dann zum "Gotteserlebnis" werde, "wenn der Mensch der Übermacht nicht erliegt, d.h. nicht blindlings ihr folgt, sondern sein Menschsein gegen den animalischen Charakter der göttlichen Kraft mit Erfolg verteidigt"2.

Diese beiläufigen Ausführungen Jungs beinhalten wesentliche Bau­steine nicht nur seines gesamten Theoriegebäudes, sondern auch sol­cher psychologischer Auslegungen, die auf dieses abgestützt wurden 3 .

1 Jung -wird aus seinen GesanlInelten Werken zitiert, die 1958 ff. er­schienen sind und Ifiit GW und entsprechender römischer BandnuIfi­Ifier abgekürzt -werden. Eingangszitat: GW VII, 157. - Zu C.G. Jungs Leben: Ders.: Erinnerungen, TräuIfie, Gedanken 1962; Wehr, G.: Carl Gustav Jung. Leben, Werk, Wirkung 1985; Jaffe, A.: C.G. Jung - Bild und Wort. Eine Biographie 21982. - Einfiihrungen in sein Werk bie­ten u.a. Rattner, J.: Klassiker der Tiefenpsychologie 1990, 67-88; Jacoby, J.: Die Psychologie von C.G. Jung 1971; zu seiner Religionspsy­chologie: Wehr, G.: Tiefenpsychologie und ChristentuIfi 1990; Schär, H.: Religion und Seele in der Psychologie C.G. Jungs 1946; Mann, U.: Theogonische Tage 1970; Spengler, E.: C.G. Jungs Religionspsycholo­gie 1982; Martin, G.M.: Die Bedeutung der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs fiir eine praktisch-theologische HerIfieneutik 1991; kritisch: Rattner, J.: Tiefenpsychologie und Religion 1990, 67-103.

2 GW V, 431-

3 Harsch, H.: Gottesbilder. Jakobs KaIfipf aIn Jabbok. Gen 32, 23-33, 1978, bes. 84-87; Kassel, M.: Biblische Urbilder. Tiefenpsychologi­sche Auslegung nach C.G. Jung 1980, 258-279; Hark, H.: Der TrauIfi als Gottes vergessene Sprache 1982, 43-48; Betz, 0.: Psychologische Grundlagen der Bibelarbeit 1987, 235; SchellenbauIfi, P.: Gottesbilder 1989, 82.

39

Page 42: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Zwar bringt er den nächtlichen Kampf Jakobs mit innerpsychischen Mächten in Verbindung, mit der Triebgewalt, die aber als Gotteser­lebnis gelten gelassen wird, sofern das Subjekt dabei nicht unterliegt. In späteren Jahren hätte er gewiß von "Individuation" (Selbstwerdung) sowie davon gesprochen, daß sich dabei zugleich eine Gottesgeburt ereigne4 - ein Topos, der in jungianischer Schriftauslegung noch und noch begegnet. Aber » Wandlungen und Symbole der Libido« ist ein Frühwerk. Es markiert den Bruch mit Freud, der den damals an der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich angestellten Arzt zum füh­renden Nachfolger auserkoren hatte5 . Jungs eigener Weg führte zu­nächst in eine tiefe Krise, bis er in der Erforschung seines Unbewuß­ten eine geradezu lebensrettende Lebensaufgabe erkannte6 . Ihre Aus­führung brachte ihm Weltruhm und eine breite Gefolgschaft gerade unter Theologen ein, wie sie bislang noch keinem Psychologen be­schieden war. Bibelauslegung, die sich auf ihn beruft, erfreut sich gerade in den letzten Jahren einer wachsenden Popularität7 .

Eine ausführliche Auslegung von Gen 32, 23-33, die der Analytischen Psychologie C.G. Jungs verpflichtet ist, stammt von Maria Kassel8 .

"Jakobs Kampf mit dem Schatten. Selbsterfahrung als Eröffnung von Gotteserfahrung" überschrieben, beginnt sie mit der Schilderung von "Jakobs Doppelnatur"9. Auf einer sogenannten "Objektstufe" werde sie durch das "archetypische Motiv der feindlichen Brüder" veranschau-

4 GW XII, 59-260; vgl. auch Abschnitt 2.2.3.

5 GW V; vgl. auch Erinnerungen, Träume, Gedanken 1962, 151-173. Or­thodoxe Freudschiiler w-ie Ferenczi, S.: Kritik der Jungschen "Wand­lungen und Symbole der Libido« 1927 (erstmals 1913) fanden an diesem opus magnum nur w-enig Gutes. Zur Trennung von Freud: Wilson, C.: Der Herr der Unterw-elt. C.G. Jung und das 20. Jahr­hundert 1987, bes. 64-85; Jones, E.: Sigmund Freud. Leben und Werk 11, 1984, 169-185.

6 Jung, C.G.: Erinnerungen, Träume, Gedanken 1962, bes. 174-203.

7 Kretschmer, W.: Psychologische Weisheit der Bibel 1955; How-es, E.B: Die Evangelien im Aspekt der Tiefenpsychologie 1968; Harsch, H.: Psychologische Interpretation biblischer Texte 1968; Meves, C.: Die Bibel antw-ortet uns in Bildern. Tiefenpsychologische Textdeutungen im Hinblick auf Lebensfragen heute 1973; Wehr, G.: Wege zu religi­öser Erfahrung. Analytische Psychologie im Dienste der Bibelausle­gung 1974; Wolff, H.: Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsy­chologischer Sicht 1975; dies.: Jesus als Psychotherapeut. Jesu Men­schenbehandlung als Modell moderner Psychotherapie 1978; Via, D.O.Jr.: The Prodigal San: A Jungian reading 1977; Kassel, M.: Bibli­sche Urbilder 1980; dies.: Sei, der du w-erden sollst. Tiefenpsy­chologische Impulse aus der Bibel 1982; dies.: Tiefenpsychologische Bibelauslegung 1987; Hark, H.: Der Traum als Gottes vergessene Sprache. Symbolpsychologische Deutung biblischer und heutiger Träume 1982; Rollins, W.G.: Jung and the bible 1983; Drew-ermann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese 1984/85 (siehe Kap. 3 dieses Buches); Slusser, G.H.: From Jung to Jesus: Myth and consciousness in the New- Testament 1986; Fischedick, H.: Von einern, der auszog, das Leben zu lernen. Glaube und Selbstw-erdung 21988; Morgenroth, H.: Den Brunnen aufschließen. Selbstentdeckungen mit biblischen Geschichten 21990.

8 Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, 258-279.

9 Ebd. 259-264.

40

Page 43: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

licht. Jakob sei ein kluger und findiger Kopf, bestrebt, der erste zu sein, listig und zielstrebig. Dem gegenüber sei Esau "der dunkle Bru­der"10, am ganzen Körper behaart, trieb- und tölpelhaft zugleich.

Für eine adäquate tiefenpsychologische Auslegung erweise es sich als notwendig, die Objektstufe zu verlassen und zur sogenannten "Subjektstufe" vorzudringen. Auf dieser ist Esau nicht mehr Jakobs Bruder, sondern vielmehr "die dunkle Seite von Jakobs Psyche, der Archetyp des Schattens,,11. Nachdem Jakob den Erstgeborenensegen erschlichen hatte und zu Laban geflohen war, habe er diese "von ihm abgewehrte, unbewußte Seite seiner selbst, die dunkle animalische Lebensbasis" mehr und mehr verdrängt. Das bevorstehende Zusam­mentreffen mit Esau habe seinen "Schatten" aber reaktiviert. Am Fluß - nach Kassel ein "Archetyp der Wandlung"12 - sei, was er bisher nie habe wahrhaben wollen, über ihn gekommen: "der dem Jakob unbe­kannte Mann Jakob". Da er sich der Auseinandersetzung nun stellte, sei aus ihm ein "neuer Mensch" geworden, der zu Recht einen neuen Namen erhalten habe:

"Jakob hat ein neues, erweitertes Bewußtsein erlangt und ist damit dem Ziel der Ganzheit des Menschen ein Stück näher gekommen. ''13

In ihrer Intensität sei diese Selbsterfahrung zugleich eine positive Erfahrung von Gott selber. Offensichtlich unterlegte Kassel dieser Bi­belstelle Jungs Ansicht, (positive) Gotteserfahrung bestehe zumal in der menschlichen Selbstwerdung14.

Was sich beim nächtlichen Ringen in Jakob abspielte, sei am fol­genden Tag ratifiziert worden. Israel verneigt sich vor Esau und spricht ihn mit "Herr" an (Gen 33, 8>' Damit bekenne er, "daß er von dem dunklen Urgrund seiner Lebensbasis aus gelenkt wird ... Das Unbe­wußte wird sozusagen wieder in sein Erstgeborenenrecht eingesetzt"1S.

Esau

?Fluß ~Engel

10 Ebd. 264 f. 11 Ebd. 200. Vgl. dazu den ersten Teil des Abschnittes 2.2.

12 Ebd. 272.

13 Ebd. 277.

14 Ebd. 182; vgl. Abschnitt 2.2.3.

1S Ebd. 278.

41

Page 44: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Diese Auslegung unterscheidet sich erheblich von der im Anschluß an Sigmund Freud entwickelten (Kap. 1.1.). Zwar wird, was Gen 32, 23-33 erzählt, hier wie dort als symbolische Darstellung eines intra­psychischen (innerseelischen) Geschehens aufgefaßt. Während es sich im ersten Falle aber um einen ödipal sexuellen Konflikt gehandelt ha­be, so im zweiten um eine schmerzhafte Konfrontation mit den dun­klen Schichten des eigenen Selbst, die sich für die Individuation aber als förderlich erwiesen habe. Noch deutlicher treten die Unterschiede hervor, wenn die Interpretationen der einzelnen Motive einander ge­genübergestellt werden:

Motive in Gen 32, 23-33

Fluß

Engel

Ausgerenkte Hüfte Esau

Eigentliche Bedeutung nach Freud

Symbol der eigenen Mutter Symbol des Phallos

nach Kassel/Jung

Archetypisches Symbol der Wandlung Symbol des eigenen Schattens

Symbolische Kastration Folge der Anerkennung des Schattens

Symbol des Vaters Jakobs eigener Schatten

Als hermeneutisches Proprium dieser psychologischen Auslegung stell­te sich die Unterscheidung zwischen Subjekt- und Objektstufe heraus (2.2.1.); als charakteristisch zudem die Bezugnahme auf "Archetypen" und "archetypische Symbole", die in einem "kollektiven Unbewußten" beheimatet sein sollen (2.2.2'>, sodann das psychologische Konstrukt der "Selbstwerdung", bzw. "Individuation", das für die Analytische Psychologie in gleicher Weise identitätsstiftend ist wie der Ödipus­komplex für die Psychoanalyse Freuds (2.2.3).

2.2. Charakteristika tiefenpsychologischer Auslegung nach C.G. Jung

2.2.1. Hermeneutische Grundlagen: Subjekt- und Objektstufe. Jung ent­faltete diese Unterscheidung bei seiner Arbeit an Träumen16. Illustra­tiv ist der Traum einer Patientin, in dem - wie bei Jakob am Jabbok -eine Furt eine wichtige Rolle spielte. Die Träumerin, latent homosexuell veranlagt, will einen Bach überschreiten und findet eine seichte Stelle. Wie sie den Fuß hineinsetzt, wird sie von einem Krebs gebissen. Angstvoll wacht sie auf. - Auf der Objektstufe gedeutet, beinhalte der Traum, da der Fuß den Phallos symbolisiere, "verdrängte sexuelle Wünsche auf ihre Freundin,,17. Weil der Traum in "Reminiszenzkom-

16 Kurze tibersichtsdarstellungen seiner TrauDltheorie finden sich u.a. bei ThoDlas, K.D.: TräuDle selbst verstehen 1990, 81-84; FroDlDl, E.: Märchen, Mythen, TräuDle 1980, 75-83; Doucet, F.: Das große Buch der TrauDldeutung 1978, 87-92.

17 GW VII, 90.

42

Page 45: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

plexe zerlegt" werde, "welche auf äußere Situationen bezogen sind", handle es sich um eine "analytische" Deutung18. Sie fiel geradezu orthodox freudianisch aus und genügte Jung nicht. Vielmehr müsse man zur Subjektstufe weiterschreiten, auf der es sich so verhalte:

"Die Träumerin ist der ganze Traum; sie ist der Bach, der Übergang und der Krebs, resp. diese Einzelheiten sind Ausdrücke für die Be­dingungen und Tendenzen im Unbewußten des Subjekts "19.

In diesem Sinne, d.h. "synthetisch" gedeutet, besage der Traum, sich vermehrt mit dem kollektiven Unbewußten (symbolisiert durch den Bach) auseinanderzusetzen, dabei aber noch behutsam zu sein und auch "den im Unbewußten versteckten dynamischen Inhalt" (symboli­siert durch den Krebs) zu bedenken2o . Im Zentrum steht wiederum die Individuation, die mit "Religion" in Verbindung gebracht wird21 , sodaß der Traum die gleiche Deutung erhält wie Gen 32, 23-33.

Wie kam C.G. Jung zur Unterscheidung dieser Stufen, wie sie für die tiefenpsychologische Exegese charakteristisch wurde? Auf schlüsse vermitteln seine postum erschienenen Lebenserinnerungen. In seiner Basler Studentenzeit habe er über sich selber "zwei voneinander ab­weichende Auffassungen" vertreten, die er als "Nr. 1" und "Nr. 2" zu bezeichnen pflegte22 . "Nr. 1" sei "ein wenig sympathischer und mäßig begabter junger Mann mit ehrgeizigen Ansprüchen"; "Nr. 2" hingegen "eine Totalschau der menschlichen Natur selber", die sich "in heimli­cher Übereinstimmung mit dem Mittelalter (gefühlt)" habe. "Nr. 1" ist offensichtlich das bewußte Ich, das den alltäglichen Anforderungen von Mit- und Umwelt gegenüber steht, was an die Objektstufe den­ken läßt; "Nr. 2" hingegen birgt "die unermeßliche Dunkelheit der Welt (in sich), wo man nichts sieht und nichts wahrnimmt als Ober­flächen hintergründiger Geheimnisse" - eine wahrhaftig romantische Weltsicht!23. Der Mikrokosmos, die einzelne Seele dehnt sich über den gesamten Makrokosmos und seine gesamte Geschichte aus, nolens volens auch über die biblischen Gestalten - ein Welterleben, das der Subjektstufe entspricht.

Nicht immer gelang es Jung, den Waagbalken, auf dessen Enden sich Nr. 1 und Nr. 2 befanden, im Gleichgewicht zu halten. Zumal die

18 Ebd. 92.

19 Ebd. 91. 20 Ebd. 97, vgl. auch 106 f.

21 Ebd. 110.

22 jung, C.G.: Erinnerungen, Träume, Gedanken 1962, bes. 91.

23 Ebd. 93. BemerkensW"ert die Ausfiihrungen dazu von Wilson, C.: Herr der UnterW"elt 1987, 29-31, 93, 168-177, der diese unterschied­lichen ErfahrungsW"eisen, W"ie sie iibrigens bereits vor jung von dem Amerikaner jay Hudson in seinem Buch »The laW" of psychic phe­nomena« (1893) beschrieben W"urden, hirnphysiologisch (rechte - lin­ke Hirnhälfte) zu erklären versucht. Zur romantischen WeItsicht: Bucher, A.A.: Symbol - Symbolbildung - Symbolerziehung 1990, 65-71. In der Tat W"urde jung von Creuzer, F.: Symbolik und My­thologie der alten Völker 1810, dem symboltheoretischen Haupt­W"erk der ROlllantik, nachhaltig beeinflußt.

43

Page 46: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Trennung von Freud hatte zur Folge, daß Nr. 2 die Nr. 1 mit Phanta­siebildern förmlich überschwemmte 24. Nicht nur dem gehörnten Sieg­fried sei er begegnet25, sondern auch "Philemon", einem "alten Mann mit weißem Bart und einem schönen jungen Mädchen", die sich als der Prophet Elias und die biblische Salome zu erkennen gaben und ein von "Ewigkeit" her zusammengehörendes Paar seien, bei dem auch eine "schwarze Schlange" lebe26.

Wochen und Monate rang Jung mit diesen Phantasiebildern. Die seltsamen Dinge, die dabei in seinem Haus geschahen, kann man nicht anders als Spuk bezeichnen: eine Tochter habe in der Nacht eine weiße Gestalt durchs Zimmer schweben sehen; mitunter sei das ganze Haus von Geistern dermaßen bevölkert gewesen, daß man "kaum at­men" konnte 27.

Was sich - psychopathologisch - in C.G. Jung abgespielt hatte und die für die tiefenpsychologische Exegese folgenschwere Unterschei­dung von Objekt- und Subjektstufe bestärkte, beschrieb er später an anderen Patienten: Eine "Inflation" des Ich, die dazu führte, daß, was üblicherweise für Phantasie gehalten und als solche gehandhabt wer­den kann, zur unmittelbaren und einzigen 'Wirklichkeit' wird 28. Aber nicht immer ende ein Mensch, wenn er von solchen Visionen überwäl­tigt wird, in einer "Dementia Praecox" bzw. einer "Schizophrenie"29. Sofern es ihm gelinge, "die primitive und bloß natürliche Vision zur abstrakten Idee und zum bewußten Allgemeingut zu erheben", werde einer "ein genialer Philosoph"30. Nahm dies C.G. Jung nicht gerade für sich selber in Anspruch?

"Es war mir aber von Anfang an klar, daß ich den Anschluß an die äußere Welt und die Menschen nur finden würde, wenn ich mich auf

24 jung, C.G.: Erinnerungen 1962, 180. AnzuInerken ist, daß C.G. jung schon in seiner Studienzeit spiritistische Erfahrungen Inachte, zu­Inal Init deIn MediuIn Helene Preisw-erk. Obgleich sie später ge­stand, an gew-issen Seancen nur siInuliert zu haben, reichte jung die Analysen Uber die dabei geInachten Erfahrungen als Doktorar­beit ein (GW I, 1-98 die Schrift: "Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter PhänoInene«). Vgl. dazu ZUInstein-Preisw-erk, S.: C.G. jungs MediuIn 1975.

25 Ebd. 183 f.

26 Ebd. 185. 27 Ebd. bes. 194. Vgl. dazu Rattner, j.: Tiefenpsychologie und Religion

1990, 77-80, w-o er U.a. forInuliert: "Es ist w-ohl nicht Ubertrieben, w-enn Inan jungs daInaligen Zustand Init einer Inilden Schizophrenie - w-ar sie w-irklich nur Inild? - vergleicht" (79).

28 GW VII, 156-160, vgl. auch 251, GW XI, 319 f., GW XVI, 281, w-o In­flation Init "Größenw-ahn" in Verbindung gebracht w-ird, U.ö. Zu den positiven Aspekten der Phantasie: HeiInbrock, H.G.: Phantasie und christlicher Glaube 1977; Duncker, L. U.a.: Kindliche Phantasie und ästhetische Erfahrung 1990.

29 Vgl. dazu in GW 111, 1-170 den Aufsatz "tiber die Psychologie der DeInentia Praecox«; Bleuler, E.: DeInentia Praecox oder Gruppe der Schizophrenien 1911.

30 GW VII, 158.

44

Page 47: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

das Intensivste bemühte zu zeigen, daß die Inhalte der psychischen Erfahrung «wirklich» sind, und zwar nicht nur als meine persönli­chen Erlebnisse, sondern als kollektive Erfahrungen, die sich auch bei anderen Menschen wiederholen können. Das habe ich später in meiner wissenschaftlichen Arbeit nachzuweisen versucht" 31.

Offensichtlich hat C.G. Jung sich in seinem "Nr. 2" gleichsam als Gefäß einer tieferen und hintergründigen Welt erfahren, in der Raum und Zeit aufgehoben und auch die biblischen Gestalten beheimatet sind. Aus der nachträglichen Reflexion dieser Erfahrungen resultierte die "Archetypentheorie", mit ihr verbunden die Lehre vom "kollektiven Unbewußten" , sowie die Forderung nach Amplifikation, die darin besteht, zu einzelnen Motiven, sei es von Träumen, Bibeltexten, My­then oder Märchen, alle vergleichbaren Parallelvarianten aus anderen Kulturen und anderen Zeiten heranzuziehen, nach Marie-Louise von Franz bis zu 2000!32. Und nicht zuletzt ergab sich die für eine adäquate Deutung auch biblischer Texte für unverzichtbar gehaltene Unterschei­dung zwischen Objekt- und Subjektstufe.

Die Konsequenz dieser Unterscheidung für die Exegese ist bei Gen 32, 23-33 bereits deutlich geworden und gelte für Bibeltexte generell. Personen, die in ihnen auftreten, Landschaften und Örtlichkeiten, in denen sie spielen, Tiere, die dabei vorkommen, Gestirne, die über sie ziehen, die Witterung, in die sie getaucht sind: alles Bestandteile der Psyche jeweils eines biblischen Individuums. Erzählte Handlungsabläu­fe: nichts anderes als symbolische Darstellungen intrapsychischer Pro­zesse - auch bei Jesus. Nach Maria Kassel ist bei Mt 4, 1-10 (Ver­suchung Jesu) von der "Prämisse" auszugehen, "daß in der Geschichte innere Vorgänge in Jesu beschrieben werden,,33. Nicht anders Abraham, als er aus Ur wegzog (Gen 12, 1): eine symbolische Darstellung für "die neue Identität, zu der er auf dem Wege ist,,34. Und als er sich in Ägypten aufhielt und aus Angst seine Frau Sarai als Schwester ausgab und so verleugnete (Gen 12, 10-20): in archetypischer Sicht die symbo­lische Darstellung eines "psychischen Desintegrationsprozesses", wobei der Herrscher des fremden Volkes "in archetypischer Sicht ein Teil­aspekt der Psyche des Stammvaters (ist) und als Schatten verstanden werden kann ... , als der abgelehnte und nicht gelebte Teil der eigenen Person,,35. Ebenso bei Gleichnissen: "Die drei Knechte (in Mt 25, 14-30: Anvertraute Talente) spiegeln daher auf der Subjektstufe drei Mög­lichkeiten eines Ich"36. Nach Jung kann auch "die Geburt des göttli-

31 Jung, C.G.: Erinnerungen 1962, 198. 32 Ebd. 412; Franz, M.L. von: Psychologische Märcheninterpretation

1989, 33.

33 Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, 13. Jung selber legte die Ver­suchungsgeschichte w-eitgehend gleich aus: GW XVII, 204-207; vgl. auch Wolff, H.: Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsycho­logischer Sicht 1975, 140; Harsch, H.: Psychologische Interpretatio­nen biblischer Texte 1968, bes. 284 f.

34 Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, 217.

35 Ebd. 232.

36 Kassel, M.: Tiefenpsychologische Bibelauslegung 1983, 251.

45

Page 48: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

chen Kindes als das Bewußtwerden des Selbst" gedeutet werden37,

was Drewermann an der Kindheitsgeschichte Jesu breit entfaltete:

"Insofern sind Maria, losef und das Kind, d!~ Magier, Herodes und der Engel, der Stern, die Stadt lerusalem, Agypten, Bethlehem und Nazareth alle gemeinsam die Gestalten und die Zonen einer Seele, einer Seelenlandschaft. " 38

2.2.2. Die Arcbetypen: Der Begriff "Archetyp" hat nicht nur in der Bi­belexegese Einzug gehalten - bis hin zur Forderung, diese in eine "ar­chetypische Hermeneutik" zu transformieren -, sondern in die Theolo­gie generell39. Selbst die beiden Exegeten Lohfink und Pesch, die tiefenpsychologische Auslegung entschieden ablehnten, haben ihn zustimmend verwendet4o . Der "Archetypus" ist in der Theologie bes­ser zu Hause als in der akademischen Psychologie.

Was sind Archetypen? 41 Auf entsprechende Phänomene, stieß C.G. Jung schon vor dem Bruch mit Freud. 1906, im Burghölzli als Psychia­ter tätig, sagte ihm ein Patient, der an akuter Schizophrenie litt, die Sonne, in die er gerade blinzelte, habe einen Penis, aus dem der Wind blase. Vier Jahre später, nach der Aufnahme intensiver mythologischer Studien, entdeckte er in einem Buch zur Mithrasliturgie die Vorstel­lung ebenfalls, von der Sonne baumle eine Röhre herunter, aus der der Wind wehe. Worauf ist diese Übereinstimmung zurückzuführen? Weil der Patient nur wenig gebildet war, ist ausgeschlossen, daß er über die notwendigen mythologischen Kenntnisse verfügte. Da C.G. Jung als Prämisse setzte, daß es sich - was zwar prinzipiell möglich wäre - nicht um eine zufällige Übereinstimmung handle, mußte er po­stulieren,

"daß die Vorstellung einer Windröhre mit Gott oder der Sonne ein kollektives Dasein unabhängig von diesen beiden Aussagen hat oder,

37 GW XI, 475; vgl. GW IX/1, 163-191 (vgl. auch Abschnitt 2.2.3).

38 Drew-ermann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese I, 1984, 502-529, hier 527 (vgl. auch Kap. 3). Weitere Beispiele, an denen die Folgen der Unterscheidung von Objekt- und Subjektstufe deutlich w-erden: Meves, C.: Die Bibel antw-ortet uns in Bildern 1973, 15; Wehr, G.: Wunder 1978, 27 u.a.m.

39 Drew-ermann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese I, 1984, 15, 71 u.ö.; verw-endet w-ird das Konstrukt auch in der Sakrarnententheologie: Baumgartner, 1.: Von der heilenden Kraft der Sakramente 1990, 553-555; der Liturgik: Kreppold, G.: Heilende Dimensionen in litur­gie und Kirchenjahr 1990, 570-575.

40 Lohfink, G. & Pesch, R.: Tiefenpsychologie und keine Exegese 1987, 76.

41 GW IX/1 (»Die Archetypen und das kollektive Unbew-ußte«); GW VII, 98-123; Sekundärdarstellungen u.a. bei Jacoby, J.: Komplex, Archetyp, Symbol 1957; Laiblin, W.: EinfUhrung in die Urbildtheorie von C.G. Jung 1977; Hark, H.: Wörterbuch der Analytischen Psy­chologie 1989, 25-29; Obrist, W.: Archetypen 1990; kritisch Balmer, H.: Die Archetypentheorie von C.G. Jung 1972; Langner, R.: Komplex und Archetypus 1983; Bucher, A.: Symbol - Symbolbildung - Sym­bolerziehung 1990, 161-172.

46

Page 49: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

um es anders auszudrücken, daß sie auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten vorkommt". 42

Archetypen sind demnach Vorstellungen, wie sie angeblich zu allen Zeiten und in allen Kulturen vorkommen. Wo aber befinden sie sich? Weil nicht nur unabhängig von subjektiven Einflüssen, sondern von universeller Natur, können sie nicht im persönlichen Bewußtsein be­heimatet sein, auch nicht im persönlichen Unbewußten, das bloß die verdrängten Traumata der persönlichen Lebensgeschichte beinhalte 43. Wie ein Haus auf einem viel breiteren Kellergewölbe ruht, so das Bewußtsein auf einem weit umfassenderen "kollektiven Unbewußten". Der Vergleich mit einem Haus und unterirdischen Gewölben bezieht sich auf einen Traum von C.G. Jung, der ihn "zum ersten Mal auf den Begriff des kollektiven Unbewußten" brachte 44. Er habe sich in ge­räumigen und lichtdurchfluteten Stockwerken aufgehalten, sei dann in immer dunklere Gewölbe hinuntergestiegen und in einer Höhle auf Schädel und Knochen aus der menschlichen Urzeit gestoßen. Gemäß dem auch von Jung vertretenen biogenetischen Grundgesetz beinhalte das kollektive Unbewußte "die Präinfantilzeit, d.h. die Reste des Ahnen­lebens"45, sowie die von dort auf den Menschen der Gegenwart ver­erbten Archetypen46 , die auch in einer besonderen Nähe zu den In­stinkten und "patterns of behavior" stünden, den Angeborenen Auslö­senden Mechanismen, wie sie die Verhaltensforschung entdeckt hat47.

Im kollektiven Unbewußten führen die Archetypen ein förmliches Eigenleben. Nicht nur, daß sie als "Partialseelen" bezeichnet werden48 ; darüber hinaus sollen sie auch "reden, pathetisch und schwülstig" zwar, was Jung anfänglich "gegen das Gefühl" gegangen sei49 . Vor allem aber könnten sie das "Schicksal bis ins kleinste determinieren" und geradezu dämonisch eingreifen: der Archetyp der Anima bei einem Ehemann "wie eine eifersüchti~e Geliebte ... , die den Mann seiner Familie abspenstig machen will" o. Selbst das Schicksal ganzer Völker scheinen sie zu beherrschen, so der Archetyp "Wotan" dasjenige Deutsch­lands. Dieser habe zumal Hitler ergriffen und wehe als "Windgott ... ,

42 GW IX/1, 65; vgl. GW V, 133 f.

43 GW VII, 69-86, 139-151; GW IX/1, bes. 13-15, 54-57; GW X, 15-42 u.Ö.

44 Jung, C.G.: Erinnerungen 1962, 162; vgl. GW XVI, 189; GW X, 45.

45 GW VII, 83.

46 Zur Vererbung: GW IX/1, 81, 95; GW X, 23 u.Ö.

47 GW VIII, 147-160: »Instinkt und Unbew-ußtes«; vgl. Heusser, H.: In­stinkte und Archetypen im Verhalten der Tiere und im Erleben des Menschen 1976.

48 GW VII, 72. 49 C.G. Jung: Erinnerungen 1962, 18t.

50 GW XI, 439 bzw-. GW VII, 220. Zum Archetyp der Anima, der der w-eibliche Seelenanteil im Manne ist: ebd. 207-232; GW IX/l, 69-87.

47

Page 50: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

wo er will"51 - wirksamer als die politischen und ökonomischen Fak­toren der Weimarerzeit!

Aber nicht nur negative Vorkommnisse, persönliche Tragödien eben­so wie gesellschaftliche Katastrophen, werden auf ihr Wirken zu­rückgeführt, sondern auch philosophische und theologische Systeme, "die Vorstellung von Engeln, Erzengeln, der «Throne und Herrschaf­ten» bei Paulus, die Archonten der Gnostiker, die himmlische Hierar­chie des DIONYSIUS AREOPAGITA"52. Zudem fungieren sie als ei­gentliche Schöpfer von Phantasie gebilden, Mythen, Märchen und groß­arti%en Kunstwerken, die niemals nur persönlichen Quellen entstamm­ten. 3 Ihre Wirkung sei jedoch ambivalent; sie können zerstören, aber - zumal in Therapien, wenn die Objektstufe zurückgelassen und die Subjektstufe erreicht ist - auch heilen und künstlerisches Erleben inspirieren.

Trotz ihrer immensen Wirkungen träten Archetypen nie unverhüllt in Erscheinung. Wie Jung im Zusammenhang mit ihrer angeblichen Ver­erbung wiederholt unterstrich, seien sie ohnehin "nicht vererbte Vor­stellungen, sondern vererbte Möglichkeiten von Vorstellungen"54. Als "formal unbestimmbare{n) Gebilde{n)" sei es ihnen aber möglich, "vermöge der Pr~ektion in bestimmten Formen zu erscheinen,,55. Zu­mal in Symbolen 6, die auch als Manifestationen bzw. "Inkarnationen" von Archetypen bezeichnet werden. Sie seien "seit den Anfängen der Menschheit" vom kollektiven Unbewußten produziert und "nie bewußt ersonnen" worden57.

Auf den Archetypen des kollektiven Unbewußten ruht nach Jung auch "unsere ganze religiöse Vorstellungswelt"58. Auch die Bibel sei

51 GW X, 212 iIn 1936 geschriebenen Aufsatz "Wotan« (203-218). Theo­logen nehmen diesen Aufsatz entweder nicht zur Kenntnis oder hal­ten dann den Hinweis auf C.G. jungs Faschismusnähe filr "mensch­lich infam und sachlich borniert" (Drewermann, E.: Tiefenpsycholo­gie und Exegese 1984, I, 232). Aber bei jung ist nun einmal zu lesen: "Das arische Unbewußte hat ein höheres Potential als das jildische" (zit. aus Doucet, F.: Geschichte der Psychologie 1971, 136), bzw.: "Die Natur ist eben aristokratisch, und ein wertvoller Mensch wiegt zehn andere auf" (GW VII, 163).

52 GW VII, 72.

53 GW XV, bes. 120; vgl. dazu Langner, R.: Literatur in der Sicht der Komplexen Psychologie 1986.

54 GW VII, 70; GW IX/1, 81, 95; GW X, 23. Allerdings bezeichnete jung die Archetypen an anderer Stelle (bspw. GW XI, 54, 558) als "Bilder", w-as zlllYlindest verW"irrend ist.

55 GW IX/1, 85.

56 Zu jungs Symboltheorie: Bucher, A.: Symbol - Symbolbildung -Symbolerziehung 1990, 172-179; Hark, H.: Der Traum als Gottes vergessene Sprache 23-28.

57 GW VIII, 53; GW VI, 256; GW XI, 665f.

58 GW XI, 389. Nach Ostow, M.: Apokalyptische Archetypen 1988 treffe dies besonders auf apokalpytische Schriften wie die Offen­barung des joh zu.

48

Page 51: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"vom ersten bis zum letzten Blatt voll archetypischer Bilder" 59. Zwei seien exemplarisch anskizziert.

a.) Der Archetyp der Mutter: Wie alle Archetypen, könne auch der der Mutter unterschiedlich erscheinen. In der voluminösen "Phänomenolo­gie der weiblichen Gestaltungen des Unbewußten", die der Jungschüler Erich Neumann vorlegte, reicht die Palette von vielbrüstigen Mutter­gottheiten bis zur Jungfrau Maria, von der erschreckenden Gorgo Medusa bis zur Sophia, der Göttin der Weisheit60. Auf solche Spann­breiten stößt archetypische Exegese auch in der Bibel. Ein negatives Bild des "Mutterarchetyps" finde sich in der Offenbarung des Johan­nes: die Hure Babyion (Offb 17) als "die chthonische Entsprechung zum Sonnenweib »Sophia«", die - wie Maria - den Archetypen insofern positiv verkörpere, als sie, vom Drachen verfolgt, ein "göttliches Kind" gebiert, das als "vereinigendes Symbol" der "Ganzheit des Le­bens" näherbringe61.

Aber nicht nur biblische Frauengestalten fungieren als symbolische Ausprägungen dieses Archetyps ; sondern - er weise ja "eine schier unabsehbare Menge von Aspekten" auf 62 - auch Örtlichkeiten. Schon in »Symbole und Wandlung der Libido« bezog Jung die Arche Noah auf den Mutterarchetyp63; desgleichen biblische Städte wie Babyion und Jerusalem64. Selbst Tiere und Pflanzen gäben sich in psychologi­scher Hinsicht als seine Manifestation zu erkennen: die Schlange als "das unheimliche Numen der » Mutter«"65, ähnlich bedrohlich der Walfisch im Buch Jona, der Jung übrigens veranlaßte, dem Ödipus­komplex einen "Jona-Walfischkomplex" gegenüberzustellen, bei dem sich "die Inzestangst in die Befürchtung (wandelt), von der Mutter aufgefressen zu werden,,66.

b.) Der Archetyp des Schattens: Oft mit dem persönlichen Unbewuß­ten gleichgesetzt, beinhaltet der Schatten den "inferioren Teil der Persönlichkeit", das im bisherigen Leben Verdrängte oder Noch-nicht­Entfaltete, dessen Integration für die Individuation unumgänglich

59 Uhsadel, W.: Die psychologische Bedeutung mythischer Gestalten 1982, 262.

60 Neumann, E.: Die Große Mutter 1956. Zum Mutterarchetyp: GW IX/1, 89-123; GW XVI, 168-170.

61 GW XI, 478, bzW". 502 ("·göttliches Kind", das aber selbst ein Ar­chetyp sei).

62 GW IX/1, 96. Sie reichen von "persönlicher Mutter und Großmut­ter" iiber die verschiedenen Muttergottheiten der Mythologie iiber "Kirche, die Universität, die Stadt, das Land" bis hin zu "jede(r) Hohlform (zum Beispiel Schraubenmuttern)".

63 GW V, 265. 64 Ebd. 262f. Entsprechend interpretiert W"ird oft auch das Wasser:

ebd. 276f.

65 Ebd. 381. 66 Ebd. 531 f.

49

Page 52: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

sei67 . Als "a priori vorhandener Archetyp" tritt auch er in der Bibel unterschiedlich in Erscheinung. Als Mensch bei Jakob in der Gestalt seines Bruders Esau, bei Moses als seine kuschitische (äthiopische) Frau (Num 12,1)68. Auch Tiere sollen ihn manifestieren: die Schlange in der Sündenfallszene (Gen 3,1)69, der Widder in der Apokalypse (Offb 5,6) 70. Am greifbarsten sei er jedoch als Satan, Teufel oder Antichrist71, worin Jung den Schatten des Christus bestimmte 72.

Weitere Archetypen, die in tiefenpsychologischer Auslegung regel­mäßig begegnen, sind die feindlichen Brüder, Kain und Abel ebenso wie Jakob und Esau 73. Ebenfalls archetypisch sei der Alte Weise, wie er dem Menschen zumal in Krisen bei der Selbstwerdung weiterhelfe, beispielsweise Laban in der Jakobsgeschichte. Besonders wichtig schei­nen jedoch Archetypen, die auf das Selbst bezogen sind, beispielsweise die "Heilige Hochzeit" (Hieros gamos), der "Held", das "göttliche Kind", vor allem aber Symbole, die dem Archetyp der "Quaternität" (Vierheit) entsprächen. Diese Symbole, wie sie in der Bibel reichlich begegnen, sind aber so eng mit dem Jungsehen Konstrukt der Indivi­duation verknüpft, daß dieses vorgängig erörtert werden muß.

2.2.3. IndlY1duatioD.: "Mein Leben ist die Geschichte einer Selbstver­wirklichung des Unbewußten,,74. Nicht umsonst beginnt Jung seine autobiographischen Aufzeichnungen mit diesem Satz, denn: "Der Be­griff der Individuation steht bei C.G. Jung im Mittelpunkt" 75 . Ist dies - in einer Zeit der Anonymität und der Identitätskrisen - etwa der Grund für die Faszination nicht nur seiner Psychologie, sondern auch der an ihr orientierten Exegese? Wie immer dem sei: Jungs Zitat beinhaltet eine Schwierigkeit. Ist "Selbstverwirklichung des Unbewuß­ten" als Genitivus-objectivus Konstruktion zu lesen, d.h. ist das Unbewußte durch Jung selber verwirklicht worden? Oder als Geniti­vus-auctoritatis -Konstruktion, wonach Selbstverwirklichung durch das Unbewußte erfolgte?

In Jungs umfangreichen Werk finden sich beide Varianten. Einerseits spricht er von einem "natürlichen Individuationsprozeß", der "in der

67 Erinnerungen 1962, 414; GW IX/2, 17-19; GW VII, 289 f.; GW XI, 370 f.; GW XVI, 254 f.

68 GW IX/2, 244.

69 Ebd. 249 f.

70 Ebd. 114. 71 Ebd. 52; GW XI, 187-196, 340 ff.; vgl. auch Schärf, R.: Die Gestalt

des Satans im. Alten Testam.ent 1948.

72 GW IX/2, 52. Für den Jungianer Schwarzenau, P.: Das Kreuz 1990, 200 ist der Schatten Jesu jedoch Judas.

73 GW XI, 188, 430; vgl. Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, 259-266.

74 Jung, C.G.: Erinnerungen 1962, 10. Zur Individuation: GW VII, 189-264; GW IX/l, 309-372, GW XII, 59-260; Sekundärdarstellungen: Kassel, M.: Sei, der du werden sollst 1982; Jacoby, J.: Der Weg zur Individuation 1965.

75 Keintzel, R.: Individuation 1982, 264.

50

Page 53: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Regel unbewußt verläuft, wie er dies schon immer getan hat", sodaß "er nicht mehr bedeuten (will), als daß eine Eichel zur Eiche und ein Kalb zur Kuh und ein Kind zum Erwachsenen wird"76. Das Subjekt von Individuation in diesem Sinne ist in der Tat unbewußt; körperli­ches Wachstum erfolgt nicht auf grund eines Willensentschlusses. Die­se natürliche Individuation, mit dem physiologischen Wachstum iden­tisch, charakterisiere die erste Lebenshälfte 77 .

Dem gegenüber besteht die zweite Variante von Individuation darin, daß - mehrheitlich in der zweiten Lebenshälfte - das Bewußtsein be­ginnt, sich mit dem Unbewußten auseinanderzusetzen, um dieses, wenn auch nie in seinem vollen Umfang, an das Ich zu "assimilieren". Dadurch nähert es sich dem "Selbst" an. Dieses sei "eine dem bewuß­ten Ich übergeordnete Größe,,78 und enthalte nicht nur das persönli­che Unbewußte, sondern auch das kollektive und bilde die Gesamtheit der Psyche. Individuation in diesem Sinne bedeute, "zum Einzelwesen werden" und "zielt auf jenen verborgenen, noch nicht manifesten »ganzen« Menschen, welcher zugleich der größere und zukünftige ist"79. Konkret bestehe sie darin, daß das Bewußtsein die unbewußten Schichten der Psyche erkennt, sich also erweitert, und deren Inhalte integriert, zunächst den Schatten, sodann die andersgeschlechtlichen Seelenanteile, beim Manne die "anima", bei der Frau den "animus". Dies befähige das Subjekt, in die Außenwelt gerichtete Projektionen intrapsychischer Konflikte (beispielsweise das Böse in sich selbst in diskriminierte Minderheiten) zurückzunehmen und mit Mit- und Um­welt freier und unbefangener umzugehen.

Obgleich es sich bei diesem Prozeß der Bewußtseinserweiterung um eine Assimilation des Unbewußten an das Ich handelt, werde dieser nicht allein vom Bewußtsein gesteuert. Ebensosehr, wenn nicht noch stärker, wirke das Unbewußte. Mittels solcher Träume, in denen archetypische Symbole aufsteigen, sowie psychotischer oder neuroti­scher Symptome könne es sich "die Führung aneignen"80. Zwar handle es nicht "nach einem überlegten, allgemeinen Plan", sondern gemäß einem "Trieb zur Selbstverwirklichung" und dem hinter ihm stehenden, allen Menschen mitgegebenen "Archetypen der Ganzheit". Sichtbar würden die Ergebnisse dieses Prozesses zumal in Symbolen der Ganz­heit, "in der Regel Vierheits- und Kreissymbole"81.

Wiederum legt sich eine biographische Reminiszenz nahe. Vom Bruch mit Freud noch immer schwer erschüttert, von Phantasiebildern über­schwemmt und einer Psychose mehr als nahe, begann Jung nicht nur damit, diese aufzuschreiben, sondern auch frei zu malen. Mehr und

76 GW XI, 501 f.

77 jung hat sich mit den Entw-icklungsaufgaben der ersten Hälfte ver­gleichsweise wenig auseinandergesetzt (GW XVII); weitere Angaben bei jacoby, j.: Der Weg zur Individuation 1965, bes. 36 f.

78 GW VII, 195 f.; vgl. GW XI, 283, 287, 675 u.Ö.

79 GW VII, 191, bzw. GW XII,20.

80 GW VII, 203.

81 GW VII, 120 (Kursiv im Original).

51

Page 54: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

mehr hätten die Gebilde viereckige oder runde Formen angenommen, die er als "Mandalas" bezeichnete. Diese seien "Kryptogramme über den Zustand des Selbst", zugleich "das Zentrum", "Ausdruck für alle Wege ... der Weg zur Mitte, zur Individuation" 82.

Unbestreitbar hat Jung selber mit Mandalas positive (auto}therapeu­tische Erfahrungen gemacht. Niemand darf sie ihm abstreiten. Aber damit begnügte er sich nicht. Symbole der Quaternität avancierten nicht nur zu einem zentralen Interpretament innerhalb seiner Religi­onspsychologie und Theologie, sondern auch in seiner und seiner Schüler Exegese. Angewandt hat er sie zunächst im Bereich der Dog­matik: "Die spontanen Symbole des Selbst lassen sich von einem Got­tesbild praktisch nicht unterscheiden"83. Als im Traum eines Mannes, den weltanschauliche und religiöse Zweifel quälten, "viele Kerzen" vorkamen, "die in einer besonderen Form mit vier nach oben zulau­fenden Spitzen angeordnet sind", deutete dies Jung als "mehr oder weniger direkte Darstellung des in seiner Schöpfung sich manifestie­renden Gottes" 84. Mandalas symbolisieren damit nicht nur psychische Ausgewogenheit und Ganzheit, sondern zugleich auch Gott. Das Selbst und Gott scheinen austauschbar, denn: "Das Mandala bezeichnet das menschliche oder göttliche Selbst". Ohnehin könne nicht ausgemacht werden, "ob die Gottheit und das UnbewuBte zwei verschiedene Grö­Ben" seien85 .

Nun bekennt sich das Christentum aber zu einem drei- und nicht vierfaltigen Gott - für Jung eine "dogmatische Schwierigkeit". Im Auf­satz »Psychologie und Religion« löste er sie dahingehend, daß er, obgleich wiederholt die "bescheidene Rolle des darstellenden und analysierenden Psychologen" in Anspruch nehmend 86, ein Dogma der Quaternität (Vierfaltigkeit) postulierte. Als vierte Person nannte er einserseits Maria, sodaß das von Pius XII. durchgesetzte und 1950 verkündete Dogma der Aufnahme Marias (Assumptio Mariae) für "das wichtigste religiöse Ereignis seit der Reformation" zu halten sei8~ andererseits den Diabolos, dem wir bereits als Symbol des Schattens

82 Jung, C.G.: Erinnerungen 1962, 199 f., 412 f. Als "gestörtes Mandala·· wird ebd. ··jede FOrIn" bezeichnet, ··die von Kreis, Quadrat und gleichschenkligelTI Kreuz abvveicht, oder deren Grundzahl nicht vier oder acht ist"; vgl. auch GW XII, 118-260; GW IX/1, 373-414; Se­kundärdarstellungen sind Legion und fUllen ganze Regale (esoteri­scher) Buchhandlungen: Jacoby, J.: VOITI Bilderreich der Seele. We­ge und UlTIvvege zu sich selbst 21985; Dahlke, R.: Mandalas der Welt. Ein Meditations- und Malbuch 1990.

83 GW IX/2, SO.

84 GW XI, 37 bzvv. 63.

85 GW IX/2, 256, bzvv. GW XI, 502 oder 174:" des Selbst, von delTI vvir gesagt haben, daß seine SYlTIbole von Gottesbildern nicht un­terschieden w-erden können."

86 Bspvv. GW XI, 665. 87 GW XI, bes. 498· vgl. auch: Mulack, C.: Maria. Die geheilTIe Göttin

ilTI ChristentulTI 21986.

52

Page 55: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

begegneten und dessen Integration fUr die Ganzheit {auch die Gottes} unabdingbar sei 88

Auch die Bibel enthält Motive, in denen die Vierheit direkt enthal­ten ist oder zumindest auf sie bezogen werden können. Jung las sie als Mandalas und deutete die Ereignisse, die zu ihnen hinfUhrten, als Ganz- bzw. Selbstwerdungsprozesse. So die jahwistische Schilderung des Gartens Eden, aus dem die vier FlUsse Pischon, Gihon, Euphrat und Tigris fließen {Gen 2,1O-14}. In Kontrast zu dem anfänglichen Chaos, dem Tohuwabohu, drUcken sie die Ganzheit aus; die Schöpfung erweist sich damit als psychologischer Selbstwerdungsprozeß!89

Zumal in visionären Texten stieß Jungianische Exegese auf Quater­nitätssymbole, so bei Ezechiel (1, 4-28>' Während Karl Jaspers diesem Propheten noch Schizophrenie andiagnostiziert hatte 90, wUrdigte Jung die bekannte Vision von den vier Tieren mit den vier Köpfen als von "archetypischer Natur". Sie beinhalte "die Idee des höheren Menschen, vor dem Jahwe moralisch unterlag und zu dem er später werden wollte"91. Diese These findet sich im Spätwerk »Antwort auf Hiob«, in der Tat eine Schrift von dunkler Rätselhaftigkeit, die bei Theologen nicht nur Beifall fand, sondern ftir die er - zugegebenermaßen "Laie in theologicis" - auch "Sarkasmus und Spott" erntete 92. Immerhin wird behauptet, daß Hiob, seiner Kinder beraubt, von Aussatz ent­stellt, aber an Jahwe immer noch festhaltend, moralisch höher stehe als dieser. Das Geschöpf habe den Schöpfer Uberholt und diesen veranlaßt, "sein eigenes Wesen zu wandeln"93 bzw. sich selber einem Individuationsprozeß zu unterziehen. Zunächst sei er nach Vorgabe des "Archetyps Abel" in Jesus Christus Mensch geworden. Ein neues Zeit­alter habe begonnen: das der Fische94. Abgeschlossen worden sei dieser Prozeß mit dem 1950 deklarierten Dogma der Assumptio Mariae,

88 GW XI, bes. 65: "Die Einbeziehung des Teufels in die Quaternität ist keinesvvegs eine moderne Spekulation oder ein unerhörtes Er­zeugnis des Unbevvußten"; vgl. auch GW XII, 180: "Die vierte Per­son im himmlischen Drama ist zvveifellos der Teufel .....

89 GW IX/l, 44, sovvie GW IX/2 bes. 250, sovvie 213 und 241, vvo auch die topographische Gestalt der Schvveiz mit den vier FIUssen Rhein, Ticino, Rhone und Inn als "Symbol des Selbst·· interpretiert und infolgedessen als "Herz Europas·· bezeichnet vvird; vgl. auch Teichert, W.: Gärten. Paradiesische Kulturen 1986, bes. 35-50 und 69-71, vvo der Garten Gethsemane ähnlich gedeutet vvird, sovvie Uhsadel, W.: Die Bedeutung mythischer Gestalten 1982, bes. 259; Kretschmer, W.: Psychologische Weisheit der Bibel 1955, 140.

90 Zit. aus Rebell, W.: Psychologisches Grundvvissen flir Theologen 1988, 225.

91 GW XI, bes. 451. Auch die 4 Evangelistensymbole vverden als Qua­ternität gedeutet (GW XI, 62), sovvie - von Meves, C.: Die Bibel antvvortet uns in Bildern 1973, bes. 114-117 - die vier Tiere in der Apokalpyse (4,6-8), nicht aber die vier apokalyptischen Reiter (Offb 6,1-7)!

92 GW XI, 492 bzvv. 687. 93 GW XI, 426f.; zum ··neuen Äon··: 436.

94 Ebd. 435.

53

Page 56: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

das den Beginn des auch von der New-Age Bewegung verkündeten Wassermannzeitalters (Aquarius) signalisiere95.

Die gesamte biblische Heils- und spätere Dogmengeschichte : Bei Preud ein zwar unzureichender Versuch, mit der ödipalen Schuld fer­tigzuwerden und das Urverbrechen zu sühnen - bei Jung: die symboli­sche Darstellung eines Individuationsprozesses! Sein positiver Ausgang werde nebst der Assumptio Mariae durch das Bild des neuen Jerusa­lems veranschaulicht: "Die Stadt war viereckig angelegt und eben so lang wie breit", heißt es in Offb 21, 16 a. Nach Jung wiederum Qua­ternität, die "die Teile, Qualitäten und Aspekte des Einen (symboli­siert)"96.

Als Symbole der Ganzheit werden zusätzlich zu den viereckigen, quadratischen und runden Motiven - eingehender darzustellen wäre das Kreuz 97 - auch die archetypischen Motive der Heiligen Hochzeit, des Helden und des göttlichen Kindes genannt.

Die "Archetypik des Hieros gamos" erscheine besonders deutlich in der Hochzeit zu Kana (Joh 2, 1-12). Sie weise voraus auf "die Vereini­gung von 'Braut und Lamm' in der Offenbarung Johannis" 98. Solche Vereinigungen von Gegensätzen, die jeweils neue Ganzheiten bildeten, bezeichnete Jung unter Bezugnahme auf Nikolaus von Kues als "con­iunctio oppositorum" und als "mysterium" (Wunder) 99.

Der Archetyp des Helden bildet das zentrale Interpretament in Slus­sers Buch »Prom Jung to Jesus«, denn: "Ich werde den Heldenmythos diskutieren, wie er in den Evangelien exemplifiziert wird" 100. In der Tat werden die Evangelien ganz und gar vom Wirken der Archetypik des Heldenlebens her erklärt. Dieses beginne mit einer wunderbaren jungfräulichen Geburt, verkörpere doch der Held generell "die positive und wünschenswerte Seite des Unbewußten"101. Unmittelbar darauf werde er vom eigenen Schatten (bei Jesus manifestiert durch Herodes) tödlich bedroht, aber wunderbar gerettet. Weitere Meilensteine im archetypischen Heldenleben sind der Weggang und die Initiation (bei

95 GW IX/2, 96: "Die declaratio solemnis der Assumptio Mariae ... ist ein Beispiel fiir den säkularen Fortschritt der Symbolentw"icklung. Das treibende Motiv dafür liegt nicht bei den kirchlichen Autoritä­ten ... es ist im Grunde genommen das Drängen des Archetypus, der sich zu verwirklichen strebt"; vgl. GW XI, 186, 495-503.

96 GW XI, 62; vgl. auch 479 f.

97 GW XI, 186: "Es ist daher bemerkenswert, daß das Kreuz, welches eben den Zusammenstoß Christi mit dem Teufel darstellt und da­rum genau in der Mitte zwischen Himmel und Hölle errichtet ist, der Quaternität entspricht"; vgl. auch 310-312: "Kreuz als Mandala"; umfassender: Schwarzenau, P.: Das Kreuz. Die Geheimlehre Jesu 1990.

98 Vgl. dazu Wehr, G.: Wege zu religiöser Erfahrung 1974, 72-81.

99 Am umfassendsten: GW XIV, vgl. auch GW XVI, 197, 263-273 U.ö. Nikolaus von Kues sprach aber von "coincidentia" (Koinzidenz) und nicht von "coniunctio" (Vereinigung).

100 Slusser, G.H.: From Jung to Jesus 1986, 48. Der Titel ist bezeichnend!

101 Ebd. 62.

S4

Page 57: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Jesus die Taufe im Jordan): der Held verlasse die Welt der Mütter und werde in die der Väter eingeweiht. Daran schließe sich die Versu­chung bzw. die Auseinandersetzung mit dem Schatten, die durch die Anima bewirkt werde, als die der "Geist" in Mk 1, 12 bestimmt wird. Heil aus diesem Ringen hervorgegangen, be~nnt der eigentliche Hel­denkampf gegen den "tyrannischen Vater"l0 , bei Jesus das jüdische Gesetz. Am Ende auch von Jesu Heldenleben stehe "die Heilige Hoch­zeit des Helden", wie sie beim Einzug in Jerusalem vollzogen worden sei: "Jesus als König betritt die heilige Stadt der Königin; der König wohnt der Königin bei"103. Das Osterereiinis schließlich symbolisiere die notwendige Vereinigung der Gegensätze 04, worin jeweils der Arche­typ des Göttlichen sichtbar werde.

Auch "das »göttliche Kind« ist ein Gottesbild und ein Ausdruck des Selbst", heißt es bei Schwarzenau, der in der vom Kreuz-Verlag be­sorgten Reihe »Symbole« - die weitestgehend der Psychologie und Archetypenlehre C.G. Jungs verpflichtet ist - die Monographie »Das göttliche Kind« herausftab, das selbstverständlich "keine Kopie des empirischen Kindes" sei 05. - Warum aber verkörpere gerade das Kind, für viele ein Symbol des Anfangs, den Abschluß des Individuations­prozesses? Weil es - zumal in Träumen Erwachsener, die sich einer Therapie unterzogen - die Wandlung vorwegnehme, "die eigentlich erst am Ende einer über Monate und Jahre gehenden Auseinandersetzung mit dem Unbewußten stehen wird,,106. Ein solches göttliches Kind sei nicht nur das Jesuskind, sondern auch der "kleine Knabe" in Jes 11, 7, der "Kalb und Jungleu leitet", besonders aber das Kind, das in der Apokalypse von der vom Drachen verfolgten Frau geboren wird.

Als Individuationsprozesse gedeutet werden weitere biblische Erzäh­lungen, wenn nicht die Bibel als ganze. Als "therapeutischen Mythus" in diesem Sinne würdigte Jung selber die Sündenfallgeschichte (Gen 3, 1-5): "therapeutisch" insofern, als Adam und Eva, nun um Gut und Böse wissend, das Paradies mit einem erweiterten Bewußtsein verliessen107. Selbstverständlich konnte die Schlange nicht mehr - so Freud - als phallisches Symbol gedeutet werden; vielmehr sei sie auch "ein Sym-

102 Ebd. 83-99.

103 Ebd. 102.

104 Ebd. 128. 105 Sch"Warzenau, P.: Das göttliche Kind. Der Mythos VOnl Neubeginn

1984, 11 bz"W. 9. Der Verfasser behandelt Krishna, Buddha, Horus, Dionysos und Jesus. Auch die Christopherus-Legende, konkret: der Flussiibergang mit dem Jesuskind auf den Schultern, "Wird als Individuationsprozeß bestimnlt: "Das Ich (=Christopherus, A.B.) "Wird zum Träger und Diener des Selbst (= Jesusknabe, A.B.) <142>'

106 Ebd. 176; vgl. auch Hark, H.: Der Traunl als Gottes vergessene Sprache 1982, bes. 167 ff.

107 GW XI, 213 f.; vgl. auch GW VII, 172. - Ähnlich Meves, C.: Aus­treibung als Anstoß zur Reife 1972; Kretschmer, W.: Psychologi­sche Weisheit 1955, bes. 193 f.

55

Page 58: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

bol der Weisheit und mithin des Lichten, Guten und Heilsamen", so­daß sie Adam an Klugheit und Wissen übertroffen habe 108.

Vor allem aber der Auszug der Israeliten aus Ägypten wird als Selbstwerdung ausgelegt, umfassend neuerdings von Fischedick, der die Froschplage (Ex 7, 26 - 8, 11) als neu hervorquellende Trieb- und Lebensimpulse im Bewußtsein eines Menschen interpretierte, die mehr Angst als Mut machen; die Mückenplage (Ex 8, 12-15) hingegen fol­gendermaßen: "Erinnerungen an längst Vergessenes durchzucken einen plötzlich und versetzen Stiche wie eine wahre Mückenplage"l0~ Selbst die paulinische Lehre der Rechtfertigung allein aus Gnade (sola gratia) weise Parallelen mit Jungs Individuationslehre auf 110 .

Der Bibeltext jedoch, der in jungianischer Bibelauslegung die wohl höchste Reputation genießt, ist das Johannes-Evangelium: für Jung ei­ne "deutlich gnostisch angehauchte Schrift", für seinen Schüler Schwarzenau das Evangelium, das "esoterisch" gelesen werden müsse und dessen tiefere Bedeutung sich nur "Eingeweihten" erschließel11 . Jung, der sich über Jahrzehnte hinweg intensiv mit der Gnosis be­schäftigt hatte und - wie allenorts, zumal in der Alchemie - auch in ihren Gedankengängen ausschließlich symbolische Darstellungen des psychischen Selbstwerdungsprozesses erkannte, hat seine Vorliebe für diesen Evangelisten nie verhehlt. Trotz schwerwiegender Unterschiede in Stil und Theologie schrieb er ihm auch die Verfasserschaft der Apokalypse zu112 . Im "Zeichen des Adlers" stehend, nehme es - so der Jungschüler Wehr - den Leser in eine "Spiralbewegung" hinein, in eine "Umkreisung der Mitte" (von Jung als "Circumambulatio" bezeich­net), die schließlich zu Christus führe. "Psychologisch ausgedrückt (sei dieser) niemand anders als das Selbst, zu dem hin das Ich unter­wegs ist"11~ Das Evangelium "des zur Selbstwerdung entschlossenen Menschen"114 beschreibt damit weniger so etwas wie ein Leben Jesu,

108 GW IX/2, 260; ZUID SchlangensYIDbol und dessen zahlreichen Be­deutungen: ebd. 198-203, 270 f. u.ö.; vgl. auch Steffen, U.: Dra­chenkaIDpf 1984.

109 Fischedick, H.: Von eineID der auszog, des Leben zu lernen. Glau­be und SelbstW"erdung 21988, 70; eine ausführliche Interpretation StaIDIDt auch von DreW"erIDann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese I, 1984, 484-502.

110 Cox, D.: C.G. Jung und Paulus 1972. 111 GW XI, 131; SchW"arzenau, P.: Das Kreuz 1990, bes. 166 f.; Wehr, G.:

Wege zu religiöser Erfahrung. Analytische Psychologie iID Dienst der Bibelauslegung 1974, bes. 63-66; ders.: Wege zu religiöser Erfahrung 1982, bes. 157.

112 GW XI, 466 u.ö. Dabei unterläßt es Jung nicht, sich auch tiberle­gungen über das UnbeW"ußte dieses biblischen Autors anzustellen: "GeW"iß nicht ohne Grund IDacht hier das UnbeW"ußte des Johannes eine Anleihe bei der griechischen Mythologie" (GW XI, 471). - Zur Gnosis: GW XIV; HinW"eise und BezugnahIDen auf sie finden sich aber iID gesaIDten Werk.

113 Wehr, G.: Wege zu religiöser Erfahrung 1974, 64; GW IX/2, 234. Vgl. auch Wehr, G.: StichW"ort: DaIDaskus-Erlebnis. Der Weg zu Christus nach C.G. Jung 1982.

114 Wehr, G.: Wege zu religiöser Erfahrung 1982, 158.

56

Page 59: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

verkündet auch nicht eine Theologie, sondern illustriert den intrapsy­chischen Selbstwerdungsprozeß. Desgleichen einzelne Episoden, zumal die zum Sondergut gehörende Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 17-44l. Schon Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, der in der Schülerschaft von C.G. Jung eine hohe Reputation genießt115 , sah da­rin nicht ein wirkliches (exoterisches) Geschehen, sondern vielmehr den "Schlußakt des großen Erkenntnisdramas", eine esoterische "Ein­weihung", die sich nicht an Lazarus, sondern in ihm vollzogen und ihn zum Aufsteigen in "höhere Welten" befähigt habe116 .

Zwar beteuert Jung, Jesus als archetypisches Symbol des Selbst sei "kein Eingriff in den Glauben", sondern "nicht mehr als eine psycholo­gische Angelegenheit"11~ Aber in tiefenpsychologischer Exegese und Theologie begegnet diese Gleichsetzung noch und noch, nachdem er in der umfangreichen Spätschrift »Aion« Christus als den "inneren Men­schen" beschrieben hatte, "zu welchem der Weg der Selbsterkenntnis führt, das »Reich der Himmel inwendig im Menschen«"118.

Eine ausführliche und - gewiß nicht nur auf grund der feministischen Stoßrichtung - außerordentlich erfolgreiche Monographie, die C.G. Jung gewidmet ist, stammt von Hanna Wolff. »Jesus. Der Mann« betitelt, schildert sie diesen als integralen und vollkommenen Men­schen, als den "ersten nicht-animosen Mann"119. In einer Zeit extremer Frauenverachtung habe er vermocht, seine Anima, die weiblichen Kom­ponenten seiner Psyche, voll und ganz zu integrieren und deshalb den Frauen unbefangen und ohne Projektionen zu begegnen. Seine Art und Weise, mit Menschen umzugehen und sie zu heilen, könne sogar als "Modell moderner Psychotherapie" angesehen werden12o .

Bemerkenswert an diesem Buche ist aber auch, daß Wolff vom Jungia­nis<;hen Konzept der Subjektstufe (vgl. Abschnitt 2.2.1.) abrückte. Sie richtete ihr Interesse auch auf den konkreten Jesus, und weniger auf das Allgemeine und Überzeitliche, das ausschließlich ins Auge gefaßt zu haben sie C.G. Jung sogar zum Vorwurf macht121. Dennoch über­nimmt auch sie - ihre Hinwendung zum historischen Jesus mit dem lastenden Problemberg der Leben-Jesu Forschung erkaufend - frag­würdige Jungianische Auffassungen. So die, das Fischsymbol, wie es in der Urkirche als Anakrostichon von [lJesus, [Chlristos, [Thleou, [YJios, [SJoter (= Ichthys: griechisch: Fisch) verwendet wurde, weise auf "Ganzheit, Integration, schöpferische Sinnbezogenheit usw." hin. Es

115 Wehr, G.: C.G. Jung und Rudolf Steiner 1972. 116 Steiner, R.: Das Christentum als mystische Tatsache 1961, bes. 128;

vgl. auch: SchW"arzenau, P.: Das Kreuz 1990, 167-177, W"O (170) auch behauptet W"ird, Jesus sei mit Maria Magdalena verheiratet geW"esen.

117 GW IX/2, 77 soW"ie 10 f.

118 Ebd. 218 im Kontext von Ausführungen über Joh 3, 12 und 4, 53.

119 1975, bes. 80-88. 120 Ausführlicher Wolff, H.: Jesus als Psychotherapeut 1978; vgl. auch

Jaschke, H.: Psychotherapie aus dem Neuen Testament 1987.

121 Wolff, H.: Jesus der Mann 1975, 69 soW"ie 8.

57

Page 60: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

könne sogar anstelle von Christus selber stehen. Für Jung bildete es "die Brücke zwischen der historischen Gestalt Christi und der seeli­schen Natur des Menschen,,122. - Dies ist nicht nur in theologischer Hinsicht mehr als problematisch, sondern auch in psychologischer, so daß nun die Kritik unumgänglich wird.

2.3. Zur Kritik. 2.3.1. ScbrarJlceruose Subjekte 1n gescbichtslosen Räumen: Tiefenpsy­chologische Auslegung im Sinne C.G. Jungs erfordert, zwischen Ob­jekt- und Subjektstufe zu unterscheiden; die synthetische Deutung gemäß letzterer sei vorzuziehen. Dahinter steht nicht zuletzt das eigentümliche Selbst- und Welterleben von C.G. Jung, das gleichzeitig mit der fortschreitenden Rationalisierung und Anonymisierung - kom­pensierend? - zuzunehmen scheint. Wie dem auch sei: Jeder muß sich selber fragen: Wie weit reiche ich? Verstehe ich mich - theologisch gesprochen - als kontingentes und begrenztes Geschöpf, aber als aufgehoben in einem Umfassenderen und Göttlichen, das mir voraus­liegt? Oder bin ich dermaßen 'uferlos', daß nicht nur Welt und Kos­mos, sondern auch deren Geschichte, ja selbst Gott zu Teilen von mir selbst werden - und nicht umgekehrt? Insofern handelt es sich bei den Erfahrungen C.G. Jungs auch nicht - wie verschiedentlich behaup­tet - um genuin mystisches Erleben. Denn dieses ist gerade nicht "Verselbstung" 123 , sondern - im Gegenteil - Entselbstung, Ledig-, Leer- und Zunichtewerden124

Davon abgesehen: Wenn eine biblische Geschichte als symbolische Darstellung der Seelenlandschaft jeweils eines Aktanten gelesen wer­den soll, stellt sich unausweichlich die Frage: Von welchem? Bei der Jakob-Esau-Erzählung, wie wir gesehen haben, von Jakob. Aber: Könnte nicht Jakob als Bestandteil von Esaus Psyche gedeutet werden, als Mana-Persönlichkeit, als Symbol des Geistes oder was auch im­mer? Könnte nicht Jesus, in der Wüste vom Satan versucht, ein Aspekt von dessen Psyche sein? Die Frage mag zynisch klingen. Aber sie zeigt: Auslegung gemäß der Subjektstufe ist willkürlich, weil je­weils eine biblische Gestalt auf Kosten anderer Handlungsträger als das Subjekt bestimmt wird.

Etwas ganz anderes ist es, wenn der Jungschüler Gerhard Wehr hervorhebt, bei der tiefenpsychologischen Exegese sei vor allem maß­geblich, "was der jeweilige Bibelabschnitt mir sagt; das heißt, was mir an ihm »aufgeht« "125, beispielsweise daß ich einsehe, auch Regungen wie Kain in mir zu verspüren, mich auch wie ein Pharisäer zu verhal­ten. Nicht nur wird die Rede von tiefenpsychologischer Auslegung insofern fragwürdig, als eine bewußte Kognition, eine Erkenntnis

122 Ebd. 67; Jung: GW IX/2 196, vgl. auch 81-103.

123 GW VII, 191. 124 Vgl. Stachel, G.: Gebet - Meditation - Schw-eigen 1989, 157-189.

125 Wehr, G.: Tiefenpsychologie und ChristentuD1 - C.G. Jung 1990, 159; vgl. auch SchD1itz, S.: In Menschen der Bibel sich w-iederfin­den 1988.

58

Page 61: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

erfolgt, die an Kierkegaards eindringliche Forderung denken läßt: "Wenn du Gottes Wort lesen sollst ... , so mußt du während des Lesens in einem fort zu dir selber sagen: ich bin es, zu dem gespro­chen wird, ich, von dem gesprochen wird"126. Darüber hinaus ist sol­che Auslegung kategorial ganz anders: Subjekt ist nicht ein biblisches Individuum, sondern ein konkreter Leser. Diese Form wäre denn auch den im 2. Teil zu besprechenden subjektiv-psychologischen Zugängen zur Bibel zuzuordnen.

Bibelauslegung auf der Subjektstufe ist aber nicht nur hinsichtlich der Wahl des Subjektes willkürlich; sie ebnet auch ein, was in Gada­mers Hermeneutik ebenfalls breit entfaltet wird: Die Geschichtlich­keit 127. Tendiert sie nicht dahin, die äußere Realität überhaupt aufzu­lösen?

"Im ganzen ist Jung auf der Stufe des vor 100 Jahren bereits totge­laufenen romantischen Idealismus-Standpunktes stehengeblieben. Für ihn ist jetzt das Absolute sozusagen der »Makranthropos«, der innerseelische Riesenmensch, das überzeitliche kollektive Subjekt, das in seinem überindividuellen Archetypen-Speicher Erfahrungen ja über was anhäuft. Ein Außen gibt es ja eigentlich gar nicht, da der Makranthropos alles ist "128 .

Nur zu bezeichnend ist es, daß Schwarzenau in seiner Monographie »Das göttliche Kind« betont, seine Ausführungen hätten mit "empiri­schen Kindern", wie sie uns heute in den Slums von Kalkutta oder in den Schönheits salons von Beverly Hills begegnen, nichts zu tun129. Um aber Jesu Einstellung Kindern gegenüber adäquat zu verstehen (Mk 9,36 f.; 10, 13-16), muß man wissen, wie gering das Kindsein damals geachtet war. Solche Kenntnisse sind historischer Art und be­ziehen sich nicht auf ein überzeitliches "archetypisches Symbol", son­dern auf Kinder aus Fleisch und Blut, die in der Antike nicht nur aus­gesetzt werden durften, sondern vielfach auch getötet oder geopfert wurden 13~ Die Forschung zur Geschichte der Kindheit zeigt geradezu erschütternd, daß das Kind niemals nur den erfolgreichen Abschluß eines Selbstwerdungsprozesses (von Erwachsenen!) symbolisiert hat. Im Gegenteil: in den Jahrhunderten der Schwarzen Pädagogik verkör­perte es Torheit, Verderbnis, ja Tierhaftigkeit. Zumal in der Romantik

126 Kierkegaard, S.: Auswahl aus detn Gesatntwerk 1964, 349, in der Schrift »Wie tnan Gottes Wort lesen soll« (1851).

127 Gadatner, H.G.: Wahrheit und Methode 51986, 270-312. Bezeichnend ist die Absichtserklärung des bereits erwähnten Slusser, G.H.: Frotn Jung to Jesus 1986, 85: ··My concern here is archetypical sytnbolistn, not history" .

128 Ritttneister, J.F.: Voraussetzungen und Konsequenzen der Jung­schen Archetypenlehre 1982, 1038 (Publikation aus detn Nachlaß>' In GW X, 30 fragt Jung selber: ··Geheitnnis genug, Utn unsicher zu sein, wieviel Ich Welt und wieviel Welt Ich ist'" Vgl. auch GW IX/1, 31.

129 Schwarzenau, P.: Das göttliche Kind 1984, 9 sowie: Buchutnschlag.

130 Vgl. dazu de Mause, L.: Hört ihr die Kinder weinen? Eine psy­chogenetische Geschichte der Kindheit 1984.

S9

Page 62: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

stieg es in den Rang eines idealen, ja heiligen Wesens auf 131. Auch hinsichtlich seines Kindbildes erweist sich jung als Romantiker132.

- Mit Skepsis ist aber nicht nur dem archetypischen Kindsymbol zu begegnen, sondern dem Konstrukt "Archetyp" generell.

2.3.2. "Archetypen" - Wurzeln der Welt oder mysteriös gehaltene Oberfläcbllcbke1ten? 133 Ist das psychologische Konstrukt "Archetyp" von jung und seinen Schülern präzise genug konzeptualisiert worden, um - wie verschiedentlich gefordert - der Exegese als Wegweiser zu dienen und sie von den Gebrechen zu heilen, die die historisch-kriti­sche Exegese, gerade von jungianern unermüdlich kritisiert134, verur­sacht habe? Oder ist es - bildhaft gesprochen - ein Eisenbahnzug, auf dem alle möglichen Bestimmungsorte stehen, Istanbul wie Lissabon, Kopenhagen und Syrakus?

JunI räumt selber ein, der Archetyp lasse sich nicht genau definie­ren13 . Dies trifft auf viele psychologische Konstrukte zu, auf "Intel­ligenz" ebenso wie auf "Angst", "Neurose" etc .. Konstrukte sind bloß modell hafte Vorstellungen über komplexe und nicht direkt erfaßbare psychische Prozesse und Sachverhalte. Eine ebenso heikle wie aufwen­dige Aufgabe des Psychologen, von der er nicht dispensiert werden kann, besteht darin, seine Konstrukte zu validieren bzw. ihre Validität, d.h. Sachrichtigkeit und Stimmigkeit fortlaufend zu erhöhen136 .

Ist "Archetyp" ein valides Konstrukt? Ein Prüfkriterium neben ande­ren besteht darin, ob sich die Definitionselemente miteinander vertra­gen. Bei "Archetyp" ist dies' kaum der Fall.

131 Zur Schw-arzen Pädagogik: Mallet, C.H.: Untertan Kind 1990; Rutschky, K.: Schw-arze Pädagogik 1977; ZUlTI Kindbild der ROlTIan­tik: Richter, D.: Das frelTIde Kind. Zur Entstehung der Kindheits­bilder des blirgerlichen Zeitalters 1987, 229-309; Ew-ers, H.H.: Kindheit als poetische DaseinsforlTI. Studien zur Entstehung der rOlTIantischen Kindheitsutopie ilTI 18. Jahrhundert 1989.

132 Dies auch die Einschätzung von Wilson, C.: Herr der Unterw-elt 1987, 11 u.ö.

133 Kritisch auseinandergesetzt lTIit dieselTI Konstrukt haben sich u.a. BallTIer, H.: Die Archetypentheorie von C.G. Jung. Eine Kritik 1972; Spiegel, Y.: Archetyp ilTI Talar 1987; GrolTI, B.: Die Archetypenlehre - eine Sackgasse 1988; Bucher, A.A.: Tiefenpsychologie und Exege­se. AnlTIerkungen ZUlTI Psychologiekonzept Eugen Drew-erlTIanns 1988.

134 Bereits Jung, in GW XI, 449 f.; Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, bes. 30-58; alTI schärftsten ist die Kritik bei Eugen Drew-er­lTIann (siehe Kap. 3).

135 GW VI, 506.

136 Vgl. dazu den Klassiker der Testheorie: Lienert, G.: Testaufbau und Testanalyse 3 1969, bes. 261-264.

60

Page 63: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Archetypen

a,} Kantianische Kategorien 137

b.) Urbilder c,} Formen ohne Inhalte d'} formal unbestimmbare Gebilde e,} Bilder kollektiver Natur f,} Inhaltlose Bilder g,} Patterns of behavior h'} Typische Verhaltens formen i.) Angeborene auslösende Mechanismen k'} Instinkte 1.) Mythologische Motive m,} Platonische Ideen n,} Wurzeln der Welt o,} Formen der Anschauung p,} Unanschauliche Grundformen

Gewiß kann ein psychologisches Konstrukt nicht definiert werden wie: "Ein Stuhl ist ein Möbel". Es erfordert mehrere Definitionsele­mente. Von diesen darf aber erwartet werden, daß sie a) einander nicht widersprechen und b) operationalisierbar sind, d.h. sich in Ope­rationen ausdifferenzieren lassen, die empirisch erfaßt werden können, sofern das Konstrukt - was bei "Archetypus" zutrifft138 - bean­sprucht, empirisch fundiert zu sein.

Bei "Archetypus" ist beides nicht der Fall. Wie läßt sich "Wurzeln der Welt" operationalisieren? Wie "formal unbestimmbares Gebilde"? Geradezu in die Augen springen eklatante Widersprüche: Kantianische Kategorien, speziell die in der Transzendentalen Ästhetik (Raum und Zeit), sind mit Instinkten nicht identisch (die auch nach Jung - an anderer Stelle - im "denkbar größten Gegensatz" zu den Archetypen stehen139), Bilder nicht mit Bildlosem, Platonische Ideen (Schönheit, Wahrheit, Gerechtigkeit) nicht mit Märchen- oder Sagenmotiven (feind­liche Brüder, Stiefmutter etc,). Wie in solchen Widersprüchen und ver­schwommenen Formulierungen wie: "Der Archetypus ist Geist oder Un­geist" ein Beleg für ein "zu tiefes" Denken gesehen werden kann140,

leuchtet auch dann nicht ein, wenn man jeglichem Begriffsrealismus

137 Quellenangaben On der Reihenfolge): a: GW IX/i, 95; b: GW VI, 453, GW VIII, 158; c: GW IX/i, 61; d: ebd. 85; e: GW XI, 54; f: GW VII, 209; g: GW VIII, 231; h: GW VIII, 259; i: GW VIII, 155; k: GW IX/i, 56, GW VIII, 154; 1: GW IX/i, 73; m: ebd. 91 und 95, GW VIII, 156; n: GW X, 45; 0: GW VIII, 153; p: ebd. 244.

138 GW XI, 335, 662 f., 665. Jungs 'Empirie' wird übrigens von ihm selber treffend charakterisiert: "Empirische Begriffe sind irratio­naler Natur" (GW XI, 663>'

139 GW VIII, 236.

140 Wolff, H.: Jesus, der Mann 1975, 64. Zitat aus: GW VIII, 236.

61

Page 64: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

skeptisch gegenübersteht und die Position vertritt, daß man sich gerade psychologischen Motiven komplementär von mehreren Seiten her annähern sollte und dabei der Metaphern nicht entraten kann.

Die von Jung vorgelegten Definitionen des Archetypen sind additiv und dermaßen breit und wäßerig, daß alles als "archetypisch" be­zeichnet werden kann. Damit besagt "Archetypus" alles - und nichts! Auch die Jungschülerin von Franz stellt fest: "Sobald man sich einem Archetypen ... nähert, wird alles zu allem,,141. Da einzelne Archetypen mit allen möglichen Inhalten gerade auch der Bibel in Verbindung gebracht werden könnten, der der Mutter mit biblischen Stammüttern wie mit Schraubenmuttern, stehen der Willkür Tür und Tor offen, solange nicht präzisiert wird, nach welchen Kriterien konkrete Inhalte bestimmten Archetypen zuzuordnen sind. Nicht erstaunen kann, daß umgekehrt auch biblische Inhalte unterschiedlichsten Archetypen zugewiesen werden:

- Archetyp der Wandlung

Wasser/Fluß - Archetyp der Mutter

- Archetyp des Selbst

Heißt das, es gäbe keine Phänomene, die in allen, zumindest den meisten Kulturen und zu (fast) allen Zeiten auftreten? Selbstver­ständlich nicht! Jeder Mensch ist einmal Kind und macht Erfahrungen mit Müttern und Vätern, die sich in (allerdings unterschiedlichen) Symbolen niederschlagen, wie sie Jung gewiß auf den Archetyp der Mutter bzw. des Vaters bezogen hätte. Jeder Mann macht Erfahrungen mit dem Weiblichen, die sich massiv unterscheiden können und zu entsprechenden Schemata führen. Friedrich Nietzsche, nach dem frühen Tode seines Vaters von dominierenden Tanten umgeben, schrieb später den Satz: "Wenn Du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht" -ganz anders Novalis!

Neben den persönlich-biographischen Faktoren sind auch die sozio­historischen und soziokulturellen Kontexte in Rechnung zu stellen, worauf in seiner Auseinandersetzung mit C.G. Jung zumal Vergote hingewiesen hat142. Im übrigen war Jung mit seiner Sicht der Anima selber ein Kind seiner Zeit: Angeblich fallen bei der Frau "die weiten Gebiete des Handels, der Politik, der Technik und der Wissenschaft, das ganze Reich des angewandten männlichen Geistes ... in den Be­wußtseinsschatten"143 - so der wohl berühmteste Schweizer Psy-

141 Franz, M.L., von.: Psychologische Märcheninterpretationen 1989, 14. Sie begegnet dieseIll <selbstkritischen?> EindW"and, indeIll sie be­hauptet, die Psychologie klaInIllere, anders als C.G. Jung, das Gefiihl aus, W"as aber W"enig iiberzeugt: vgl. bspW". Ulich, D.: Das Gefiihl. tiber die Psychologie der EIllotionen 1982; Greenspan, S.J. & Greenspan, N.T.: Das ErW"achen der Gefiihle. Die eIllotionale EntW"icklung des Kindes 1988.

142 Vergote, A.: Religionspsychologie 1970, 228.

143 GW VII, 227; vgl. ebd. 174 f.

62

Page 65: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

chologe gut SO Jahre vor der Annahme des Frauenstimmrechts durch die Schweizer Stimmbürger.

Von seiten seiner Psychologie dürfte eingewandt werden, "ein glei­cher Archetyp" werde eben "durch sehr verschiedenartige Bilder ver­anschaulicht,,144, der der Anima durch die Mutter Gottes oder eine Dirne. Als "archetypisch" bleiben damit bloße Trivialitäten übrig: die Tatsache, daß jeder Mann - auf unterschiedliche Weise - dem Weibli­chen begegnet und entsprechende Symbole bildet. Ist dem Psychoana­lytiker Friedrich Hacker nicht Recht zu geben, wenn er die Jungschen Archetypen als "absichtlich mysteriös gehaltene Oberflächlichkeiten" entmystifiziert?145

Fraglich ist zudem, ob Archetypen dem Menschen angeboren sind. Sofern als Instinkte oder Angeborene Auslösende Mechanismen aufge­faßt, sicherlich. Sofern als universale Bilder oder ubiquitäre Motive in Märchen, Mythen oder biblischen Geschichten bestimmt, sicherlich nicht: entsprechende Erinnerungen gelangen nicht in die Erbsubstanz DNA. Vor allem hat Rittmeister in seiner frühen C.G. Jung-Kritik nur zu Recht: Symbole wie "Bruder", "Schwester", "Mutter" etc. weisen "eine Vorgeschichte wenigstens in der eigenen Kindheit" auf146. Dieser Standpunkt entspricht dem der kognitiven Entwicklungspsychologie, die die Symbolbildung eingehend untersucht hat147. Schemata und Bil­der müssen vom Subjekt aufgebaut werden. Je nach Um- und Mitwelt unterscheiden sich die Ergebnisse - in gleicher Weise wie die vielfäl­tig möglichen Manifestationsformen von Archetypen!

Zudem ist die Entwicklungspsychologie in der Lage, die Konvergen­zen von mythologischen Motiven und entsprechenden Vorstellungen bei heutigen Kindern oder Erwachsenen (zumal in Psychosen} zu er­klären, ohne ein dermaßen problematisches Konstrukt wie den "Arche­typus" bemühen zu müssen. Das Schlüsselbeispiel von Jung - die Röh­re des Sonnengottes, aus der der Wind blase - erinnert den Entwick­lungspsychologen zunächst an die Tendenz speziell des kindlichen Den­kens, die Naturobjekte zu beleben (Animismus) und zu anthropomor­phisieren, was aus zahllosen Kinderzeichnungen etwa mit lachenden oder blinzelnden Sonnen ersehen werden kann; sodann an die Tendenz, die Herkunft von Naturphänomenen auf eine konkrete körperliche

144 Obrist, W.: Archetypen 1990, 53.

145 Hacker, F.: Psychoanalyse und Symbolik 1958, 642 f.; vgl. auch Lo­renzer, A.: Das Konzil der Buchhalter 1981, 11, der von "ersatzreli­giösem Irrationalismus·· spricht. Bedenken auch bei Kulturanthro­pologen: Neumann, E.: Herrschafts- und Sexual symbolik 1981, 71-79; Oppitz, M.: Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropologie 1975, bes. 195-197.

146 Rittmeister, J.F.: Voraussetzungen und Konsequenzen der Jung­sehen Archetypenlehre 1982, 1035.

147 Aus der FUlle der Literatur (vgl. dazu Bucher, A.A.: Symbol -Symbolbildung - Symbolerziehung 1990, 219-296): Piaget, J.: Nach­ahmung, Spiel und Traum. Zur Entstehung der Symbolfunktion beim Kinde 1975 (Studienausgabe Band 5); Werner, H. & Kaplan, B.: Symbol Formation 1963 (Zur kognitiven Entwicklungspsycholo­gie: Kap. 6).

63

Page 66: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Aktivität zurückzuführen (Artifizialismus) 148. In der Tat stieß Piaget in seiner 1926 erstmals veröffentlichten, klassischen Studie über das kindliche Weltbild auf durchaus vergleichbare Vorstellungen:149

"Woher kam dieser Wind? - Vom Himmel - Wie ist das geschehen? - Jemand hat geblasen. - Wer? - Menschen. - Welche Menschen? -Menschen, die diesen Beruf hatten" Uunge, 6 Jahre).

Die an skizzierten kindlichen Denkformen gehen im Verlaufe der Ent­wicklung, wenn auch nie gänzlich, so aber doch sukzessiv zurück150 . Auf sie kann aber, besonders in Psychosen, regrediert werden, was mit Jungs Beobachtung übereinstimmt, Vorstellungen der geschilderten Art träten besonders "in den Wahngespinsten der Schizophrenie" auf151. Piaget ist Recht zu geben, wenn er festhält, es sei "viel leichter", die Konvergenzen zwischen dem kindlichen Denken und historischen Denk­formen "durch die allgemeinen Gesetze des kindlichen Denkens zu erklären, als eine mysteriöse Vererbung anzunehmen,,15:;: Mit dem ihm eigenen Westschweizer-Humor schrieb er über Jung, den er, wie er­sichtlich, rezipierte, was aber umgekehrt nicht der Fall war:

''jung ist ein erstaunlicher Baumeister, aber eine gewisse Gering­schätzung der Logik und der rationalen Aktivität, die er im tägli­chen Kontakt mit mythologischen und symbolischen Problemen gelernt hat, hat ihn vielleicht doch zu wenig nach Verifikationen suchen lassen. "153

Insgesamt: Archetypus ist "kein psychologisch verwendbares Kon­strukt"154. Von der Exegese braucht nicht verlangt zu werden, sich an den Archetypen zu orientieren. Denn es steht nicht fest, woran sie sich halten könnte: an allem - und nichts!

2.3.3. Individuation ohne Individualität: Individuation erwies sich als das psychologische Interpretament tiefenpsychologischer Bibelausle­gung nach C.G. Jung. Unbestreitbar hat jeder Mensch das Recht, er selbst zu werden, worin verschiedentlich das 11. Gebot bestimmt wird. Es ist nur zu wünschen, daß Bibeltexte - in welcher Weise auch im­mer - zur Selbstfindung von Menschen beitragen. Eine andere Frage aber ist die, ob Bibeltexte generell als Illustrationen des Individuations­prozesses ausgelegt werden dürfen. Und es darf nicht nur, es muß

148 Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 207-306.

149 Ebd., 239; ZUDl AniDlisDlus: 145-206; vgl. auch Ellw-anger, W.: Die Zauberw-elt unserer Kinder 1980; DoehleDlann, M.: Die Phantasie der Kinder und w-as Erw-achsene daraus lernen können 1985; Free­se, L.: Kinder sind Philosophen 1989, bes. 76 f.

150 Vgl. bspw-. Buggle, F. & WesterDlann-Duttlinger, H.: Untersuchun­gen ZUDl AniDlisDlus 1988, bes. 11.

151 GW IX/1, 81.

152 Piaget, J.: NachahDlung, Spiel und TraUDl 1975, 253 <Studienausgabe Band 1).

153 Ebd. 251. 154 GroDl, B.: Die Archetypenlehre - eine Sackgasse 1988, 609.

64

Page 67: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

gefragt werden: Wie ist es um die Validität dieses psychologischen Konstrukts bei Jung bestellt?

Problematisch! Der Individuationsprozeß soll sich aus lediglich zwei Etappen zusammensetzen, der "natürlichen Individuation", wie sie um die Lebensmitte abgeschlossen werde155, woran sich in der Form der Integration von Schatten und Anima/Animus die bewußte Individuation anschließe. Diese 'Entwicklungspsychologie' ist im Vergleich zu ande­ren entwicklungspsychologischen Theorien der Genese von Ich-Identi­tät äußerst grobmaschig. Erik Erikson unterteilte den menschlichen Lebenslauf in acht Stadien, in denen alters- und entwicklungsspezifi­sche Aufgaben zu lösen sind: in der Adoleszenz die, zur sogenannten Ich-Identität zu finden (Stadium V), auf dem folgenden die, eine stabile (intime) Beziehung zu einem Lebenspartner aufzubauen156.

Erikson selber hat sein Stadienmodell auf historische Persönlichkeiten angelegt, unter anderem auf Martin Luther 157. Auch die Entwicklung des Apostels Paulus, soweit wir sie aus autobiographischen Briefpas­sagen erschließen können, könnte mit dieser Entwicklungstheorie zu­mindest begrenzt rekonstruiert werden.158

Noch mehr käme dafür die Entwicklungstheorie des Selbst in Frage, die der amerikanische Entwicklungspsychologe und Therapeut Robert Kegan ausgearbeitet hat. Gerade die Pastoralpsychologie könnte viel von ihm lernen 159. Im Selbst sieht er eine aktive und bedeutungsbil­dende Instanz, deren hauptsächliche Aufgabe es ist, die Balance zwi­schen Mensch und Um- und Mitwelt aufrechtzuerhalten. Diese Aktivi­tät erfolgt entsprechend dem jeweiligen Stand der kognitiven und moralischen Entwicklung sowie der Fähigkeit, die Standpunkte anderer Subjekte einzunehmen, d.h. der Perspektivenübernahme , wie sie das Kind im Verlaufe seiner Entwicklung ebenfalls aufbauen muß 160 . Ke­gan stieß auf 6 Stufen der Selbstentwicklung, die in einer invarianten Sequenz (unumkehrbare Reihenfolge) durchlaufen werden:

155 Vgl. dazu den Aufsatz »LebensW'ende« (GW VIII, 443-460), W'O u.a. behauptet vvird, die Jugend erstrecke sich bis zur Lebensnlitte zvvischen 35 und 40 Jahren (447).

156 Erikson, E.: Identität und Lebenszyklus 1974.

157 Erikson, E.: Der junge Mann Luther 1975.

158 Ansätze bei Stollberg, D.: Methoden. Tiefenpsychologische oder historisch-kritische Exegese 1978, 217 f.

159 Kegan, R.: Die Entvvicklungsstufen des Selbst. Fortschritte und Krisen im menschlichen Leben 1986. Im 1990 erschienenen »Hand­buch der Pastoral psychologie«, hg. von I. Baumgartner, kommt er an keiner Stelle vor.

160 Einfiihrungen in die genannten Theorien (vgl. Kap. 6) bieten Garz, D.: Sozialpsychologische EntW'icklungstheorien. Von Mead, Piaget und Kohlberg bis zur Gegenvvart 1989; Schmidt-Denter, U.: Soziale EntW'icklung 1988; Flammer, A.: Entvvicklungstheorien. Psychologi­sche Theorien der menschlichen Entvvicklung 1988; Schvveitzer, F.: Lebensgeschichte und Religion. Religiöse Entvvicklung und Erzie­hung im Kindes- und Jugendalter 1987; als Primärliteratur: Piaget, J.: Abriß der genetischen Epistemologie 1974; Kohlberg, L.: Essays on Moral Development 1/11 1981, 1984 (vgl. Abschnitt 6.2.1.2.); Sel­man, R.L.: Die EntW'icklung des sozialen Verstehens 1984.

6S

Page 68: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Stufe 0: Einverleibendes Selbst.

Stufe 1: Impulsives Selbst: Im Mittelpunkt stehen die Impulse, die das Kleinkind nur schwer kontrollieren kann.

Stufe 2: Souveränes Selbst: Das Kind hat nun seine Impulse, kann sie kontrollieren, ist aber seine Bedürfnisse, Wünsche (Schulalterl.

Stufe 3: Zwischenmenschliches Selbst: Der Jugendliche ist nun, als was er von anderen (Gleichaltrigen) wahrgenommen wird. Orientierung an der (gleichgesinnten) Gruppe.

Stufe 4: Institutionelles Selbst: Der junge Erwachsene ist Eigenautorität, orientiert sich am System (Gesellschaft) und hat nun Beziehungen, d.h. steht über ihnen.

Stufe 5: Überindividuelles Selbst. Das Subjekt orientiert sich an univers~~en Prinzipien und steht über dem/n System/en; es ist Uberindividualität und autonom.

Gerade die autobiographischen Passagen der Paulusbriefe deuten an, daß er sich zum "überindividuellen Selbst" entwickelt hat. Denn für den Völkerapostel gibt es "nicht mehr Juden und Griechen, nicht Skla­ven und Freie, nicht Mann und Frau" (Gal 3, 28); Saulus hingegen hat­te sich noch ganz und gar mit dem jüdischen Gesetz identifiziert ("institutionelles Selbst"). Nicht nur ist seine soziale Perspektive auf Uni­versalität hin erweitert; sein ganzes Selbst ist ein anderes geworden.

Ein weiteres Problem ist der für C.G. Jung zentrale Begriff des Selbst. Während die anskizzierten Entwicklungstheorien das Selbst bzw. Ich-Identität einigermaßen operational umschreiben - Erikson als "bewußtes Gefühl", selbstgleich und kontinuierlich in Raum und Zeit zu existieren und als solcher auch von anderen wahrgenommen und anerkannt zu werden; Habermas als Fähigkeit, "auch angesichts in­kompatibler Rollenerwartungen und im Durchgang durch eine Folge widersprüchlicher Rollensysteme den Forderungen nach Konsistenz ... zu genügen"161 - eignet nach Jung dem Selbst eine unerschöpfliche Fülle und Breite. Dem bewußten Ich weit vorausliegend, soll es auch ein kollektives Unbewußtes beinhalten, sodaß "alles ... zum Symbol des Selbst werden (kann), von dem der Mensch eine umfassendere Ganzheit voraussetzt als von sich selber"162. Das kann für einen Schweizer das Matterhorn ebenso sein wie die Armee!

Wenn aber alle diese psychischen Tiefenschichten dem Menschen schon gegeben sein sollen, stellt sich die Frage, wie Selbstwerdung -als Akt der Person - möglich ist. In der Tat schrieb Jung: "Das Indi-

161 Erikson, E.: Jugend und Krise 1981, 47; Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handeins 11, 1981, 150.

162 GW XI, 170; ..... seine (des Selbst, A.BJ Symbole schW"anken zW"i­schen Höchstem und Niedrigstem", zit. aus: Kassel, M.: Biblische Urbilder 1980, 179. Kassel gibt als Quelle GW IX/1, 39 an. Dort steht das Zitat aber nicht.

66

Page 69: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

viduum wird (zu dem), was es immer schon war,,163. Schon Victor Gebsattel (1883-1976), ein weiterer Psychoanalytiker der ersten Genera­tion, beanstandete an Jung, die "Aktnatur der Person" - wie sie Kegan akzentuiert und auch für ein existenzialistisches Verständnis christli­cher Umkehr bezeichnend ist - vollkommen übersehen zu haben164.

Von Jungs deterministischer Auffassung der Individuation her wird zudem verständlich, daß er - was er in seinen Erinnerungen zwar ver­schweigt - der nationalsozialistischen Ideologie nicht abgeneigt war 165. Im Gegenteil: eine grob deterministische Auffassung des Individuati­onsprozesses - als "jener je nachdem einfache oder komplizierte bio­logische Vorgang, mit dem jedes lebende Wesen zu dem wird, wozu es von Anfang an zu werden bestimmt ist"166 - und die Präferenz für ein den einzelnen Menschen determinierendes politisches Gebilde können sich schnell zusammengesellen.

Wenn nun das Selbst mehrheitlich aus kollektiv Unbewußtem be­steht, erweist sich Selbstwerdung als Gleichwerden, erfolgt Individua­tion ohne Individualität und besteht sie im Hineinwachsen in die "Kollektivseele,,167. Kein Wunder, daß C.G. Juni die Individualpsycho­logie für "eine contradictio in adjecto" hielt16 . Damit spielte er auf Alfred Adler an, den dritten Pionier der Psychoanalyse, der auf die Bedeutsamkeit des menschlichen Machtstrebens und Geltungsbedürf­nisses hinwies, wie es Tag für Tag erfahren werden kann. Jung aber tat diese Individualpsycholo~ie geradezu leichtfertig als "subjektive «Gernegroß»Psychologie" ab16 . Wie aber Ellerbrock aufgezeigt hat, ist sie für psychologische Analysen biblischer Texte von erheblicher Rele­vanz, beispielsweise bei Gen 4, dem Mord von Kain an Abel, der an die aus Demütigungen und Minderwertigkeitsgefühlen resultierende "Angriffsattitüde" (Adler) denken läßt170 .

163 GW IX/1, 49.

164 Gebsattel, V.: Prolegontena zu einer ntedizinischen Anthropologie 1953, 333; zu Gebsattel: Rattner, J.: Klassiker der Tiefenpsycholo­gie 1990, 655-676.

165 Vgl. den Überblick bei Balnter, H.: Die Archetypentheorie 1972, 19-30, 134-151, sowie Bruntlik, M.: Die Renaissence der Gottnten­sehen 1986; Lokkot, R.: Erinnern und Durcharbeiten - Zur Ge­schichte der Psychoanalyse int Nationalsozialisntus 1985, 87-110; Herntans, L.M.: John F. Rittnteister und C.G. Jung 1984, 142-145.

166 GW XI, 335.

167 GW VII, 161 f., 312 f. - So auch die kritische Sichtw-eise von Keint­zei, R.: Individuation 1982, bes. 269.

168 GW VII, 323.

169 GW X, 378; zu Adlers Persönlichkeitspsychologie: Hall, C.S. & Lindzey, G.: Theorien der Persönlichkeit, Band 1, 1978, 132-150.

170 Ellerbrock, J.: Adantskontplex. Alfred Adlers Psychologie als In­terpretarnent christlicher Überlieferung 1985, 103; vgl. auch Brandl, G.: Nächstenliebe. Die zehn Gebote aus individualpsychologischer Sicht 1980, w-o auf allgenteinverständliche Weise das in Adlers Psychologie zentrale "Genteinschaftsgeftihl" auf den Dekalog bezo­gen w-ird.

67

Page 70: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Da das Selbst mit dem Kollektiv identisch sei, kann es ein anderes Selbst im Grunde gar nicht geben. Konkrete Bezugspersonen werden sekundär. In der Tat wird der "persönlichen Mutter" im Vergleich zu dem im kollektiven Unbewußten wirkenden Archetyp Mutter "nur bedingte Bedeutung" zugesprochen171. Anders sehen dies Sozialisati­ons- und Entwicklungstheorien, die dem Symbolischen Interaktionis­mus verpflichtet sind: Zu sich selber findet der Mensch nur über Mitmenschen und mit Mitmenschen, in denen G.H Mead "signifikante Andere" sah. Denn nicht nur biologisch, sondern auch in der Psycho­genese geht das Du zumal von Mutter und Vater dem Ich voraus172 .

Am Individuations- bzw. Selbstkonzept Jungs besonders problema­tisch sind die theologischen, speziell christologischen Beigaben. Aber gerade sie fielen in der tiefenpsychologischen Exegese auf fruchtbaren Boden. "Christus (aber auch Gott) als ein Symbol des Selbst" - zahl­reiche Theologen und tiefenpsychologische Exegeten scheinen überse­hen zu haben, daß Gott und Christus trotz gegenteiliger Beteuerungen letztlich für sekundär und austauschbar gehalten werden. Denn die Frage: "Ist das Selbst ein Symbol Christi, oder ist Christus ein Sym­bol des Selbst?" hat Jung eindeutig zugunsten des Selbst als des "eigentliche(n) agens" entschieden173. Wird so Theologie nicht im Psy­chologischen aufgelöst? Entfällt so nicht die ontologische Differenz zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Geschöpf?

2.4. Abschließende Überlegungen Tiefenpsychologische Auslegung nach C.G. Jung ist ausgesprochen ak­tuell. Vielen scheint sie das Elixier, das die Exegese heilen könne. In der Tat: Wenn biblische Texte eine Resonanz in mir selber finden, wenn Identifikationen mit ihren Handlungsträgern erfolgen und wenn ich mich in ihnen selber entdecke und neu sehen lerne - so wie in der Nathanparabel David sich im Habgierigen, der dem Armen das einzige Lamm entriß (2 Sam 12) - , dann kann der garstige Graben zwischen Bibel und heute eingeebnet, dann kann das Wort der Bibel zu einem Wort des Lebens werden.

Dennoch: näher betrachtet erwies sich tiefenpsychologische Ausle­gung als problematisch, in theologischer Hinsicht gleichermaßen wie in psychologischer. Theologisch, weil Bibeltexte vielfach zu Psychoal­legoresen funktionalisiert werden und offensichtlich dazu dienen, die psychologischen Referenztheorien zu bestätigen. Wiederum Eis-Egese und keine hermeneutisch verantwortete Ex-Egese! Die Bibel - konsta­tierte Niederwimmer bereits 1962 - hat sich den "Jungschen Aprioris"

171 GW IX/1, 97.

172 Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft 1973.

173 GW IX/2, 78. Vgl. auch GW XI, 335, 662, 666, w-o behauptet w-ird, dies sei "elIlpirisch nachgew-iesen". An anderer Stelle (GW XI, 675) scheint er zu w-iderrufen: "Dieses "Selbst« steht nie und nilIllIler an Stelle Gottes". - Drew-erlIlann, E.: Strukturen des Bösen 11, 1978, 31, 148 u.ö., ist anzurechnen, daß er diese Gleichsetzung von Gott und Selbst ablehnt.

68

Page 71: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

(Archetypen, Individuation etcJ "vollkommen zu fügen"174. Zentrale Inhalte wie Christus (als Symbol des Selbst) werden ins Psychologi­sche aufgelöst. Psychologisch problematisch ist sie, weil mit un­präzis bis widersprüchlich formulierten bzw. invaliden Konstrukten operiert wird, von denen zwar behauptet wird, empirisch fundiert zu sein. Doch davon kann nicht die Rede sein. - Nicht zuletzt deshalb stellt sich die (empirische) Frage: Warum ist solche Exegese dermaßen populär?

1.) Jungianische Exegese und New Age-Zeltgeist: Nicht ganz zu Un­recht ist C.G. Jung als "Großvater des »New Age«" bezeichnet worden175 . Die Persönlichkeitspsychologen Hall und Lindzey sagten bereits 1970 voraus, Jung werde "eines Tages als der spirituelle und intellektuelle Führer dieser 'revolutionären' Bewegung" mit ihrem Trend zu Introvertiertheit, Mystizismus, Okkultismus, Bewußtseinser­weiterung etc. anerkannt176. Immerhin postulierte er den Anbruch des Wassermann-Zeitalters. Auch praktizierte er eine ausgesprochen syn­kretistische Religionswissenschaft und -psychologie, in der Partikel der Gnosis, Alchemie, des Buddhismus und Schamanismus etc. etc. ohne Prüfung ihrer soziohistorischen und soziokulturellen Kontexte miteinander vermengt wurden. Eklektischer Synkretismus ist ein be­zeichnendes Merkmal der New-Age-Weltanschauung. Was Wunder, daß C.G. Jung mittlerweile auch spiritistisch vereinnahmt wird? Den beiden Medien Rene und Mirabelle Coudris soll "Ce-Ge" zwischen Dezember 1987 und Februar 1988 gut 200 Seiten Botschaften übermittelt haben. Zwar hat die Erbengemeinschaft von C.G. Jung dies als "publizisti­sches Machwerk" und "Schindludertreiben" verurteilt; nichtsdestowe­niger ist dieser ~iritistische "Trance-Dialog" in C.G. Jungs Theoriege­bäude angelegt17 .

2'> Selbstwerdung im Zeitalter der Anonymität? Die konfessionellen Religionen haben ihre Plausibilitäten weithin verloren, mit ihnen ihre Gottesbilder . Religiosität wurde ortslos und flottiert frei herum, zieht sich aber vielfach ins Private, Innerliche oder - mit Jung gesprochen -ins "Selbst" zurück, in dem auch Marilyn Ferguson, eine der promi­nentesten New-Age-Autorinnen, Gott beheimatet hat 178. Trotz der

174 NiederwinlIner, K.: Kerygmatisches Symbol und Analyse. Zur Kritik der tiefenpsychologischen Bibelinterpretation 1977 (erstmals 1962), bes. 275-277, wo Jung - zu Recht - "psychischer Immanentismus·· vorgeworfen wird.

175 Bspw. von Hunfeld, F. & Dreger, T.: Magische Zeiten 1990, 134.

176 Hall, C.S. & Lindzey, G.: Theorien der Persönlichkeit, Band 1, 1978, 136 (am. Orig. 1970).

177 Coudris, R. & Coudris, M.: Im Trance-Dialog mit ·C.G.Jung· 1989. Die Stellungsnahme der Erbengemeinschaft kann ebd. 201 ersehen werden. In der esoterischen Literatur haben sich die Archetypen einen festen Platz erobert: vgl. bspw. Pearson, C.: Der Held in uns: Die sechs Archetypen: Magier, Krieger, Märtyrer, Wanderer, Unschuldiger, Waise 1990.

178 Ferguson, M.: Die sanfte Verschwörung 21982, bes. 440 -442.

69

Page 72: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Dialektik der Aufklärung" scheint aber der Allmachtsglaube ungebro­chen, auch gegenüber Gott, den es im bzw. oftmals als Selbst zu ver­wirklichen gelte.

Gewiß: Eine Lebenswelt, die zusehends undurchschaubarer wird und den Menschen mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert, schürt das Bedürfnis nach "Selbstwerdung" , wie sie das Herzstück Jungianischer Exegese bildet. Aber Selbstwerdung kann leicht zur Selbstblendung und zum Solipsismus verkommen. Sicher nicht zu Unrecht ist unsere Gesellschaft, in der die Unbeständigkeit das einzig Sichere ist, als "Kultur des Narzißmus" bezeichnet worden, in der "die vorherrschende Passion" darin bestehe, "für den Augenblick, für sich selbst zu leben und nicht für Vorfahren oder Nachwelt"179.

Noch einmal: Ohne das Anrecht des Menschen auf Ganzsein, auf Ich-Identität und Integrität bestreiten zu wollen - im Gegenteil! - die Frage bleibt, ob Jungs Konzept der Individuation, da es die soziale Umwelt sowie die Lebensphasen Kindheit und Jugend vernachlässigt, vor allem aber das Selbst geradezu narzißtisch aufbläht, wirklich halten kann, was es verspricht.

3.) Nebenwirkungen der historisch-kritischen Exegese: Die meisten tie­fenpsychologischen Exegeten (und vermutlich auch Leser) artikulieren ein tiefsitzendes Unbehagen mit der Exegese historisch-kritischer Provenienz. Insbesondere Eugen Drewermann, der zur beherrschenden Galionsfigur tiefenpsychologischer Exegese avanciert ist und ein eige­nes Kapitel verdient.

179 Laseh, C.: Das Zeitalter des NarzißlTIus 1982, 21.

70

Page 73: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

3. Kapitel

"Damit wollen wir nicht einem theolo­gisch verbrämten Psychologismus das Wort reden ... "<Bugen Drewermann 1978).

"Nicht mit dem Wort, sondern dem Traum" Die tiefenpsychologische Bibelhermeneutik von Eugen Drewermann 1

Ohne Zweifel ist Eugen Drewermann der bekannteste und umstritten­ste Verfechter (tiefen-)psychologischer Bibelauslegung. 1940 geboren, studierte er Philosophie in Münster, Theologie in Paderborn und Psy­choanalyse in Göttingen. Seine Habilitationsschrift, aufgrund derer er zum Privatdozenten für katholische Dogmatik ernannt wurde, ist ein wahrhaftiges opus magnum, ein dreibändiges Werk mit dem Titel »Strukturen des Bösen«, in dem die jahwistische Urgeschichte in exegetischer, psychoanalytischer und philosophischer Sicht abgehandelt wird. Diesem Werk folgten 1984/85 die beiden noch wuchtigeren Bän­de »Tiefenpsychologie und Exegese«, die nun die Exegeten auf den Plan riefen, allen voran Gerhard Lohfink und Rudolf Pesch: sie kon­terten mit der Streitschrift »Tiefenpsychologie und keine Exegese«. Ein regelrechter Drewermann-Streit brach aus, in dem verschiedentlich - wie sich zeigte zu Recht - zu befürchten war, dem Paderborner Pri­vatdozenten und Psychotherapeuten werde die Lehrbefugnis entzogen.

3.1. 'Gottlose' historisch-kritische Exegese?

Was veranlaßt einen Theologen, über (tiefen-)psychologische Exegese tausende von Seiten zu schreiben, sodaß die Leser kaum mehr Schritt zu halten vermögen und Drewermann für viele der psychologische Ge­währsmann geworden ist? Zumal das Unbehagen an der historisch­kritischen Exegese, das schon im Vorwort der 1. Auflage von »Struk­turen des Bösen« ausgesprochen wird: nur "höchst unzureichend" lasse sich mit ihr die jahwistische Urgeschichte (Gen 2 - 11) interpretieren2 .

1 DreW"ermanns Werke W"erden W"ie folgt abgekürzt: Strukturen des Bösen: Band I: Die jahW"istische Urgeschichte in exegetischer Sicht 1977 (S 0, Band 2: Die jahW"istische Urgeschichte in psychoanalyti­scher Sicht 1978 (S 11, daraus auch das Eingangszitat: S. XXVI), Band 3: Die jahW"istische Urgeschichte in philosophischer Sicht 1978 (S 111); Tiefenpsychologie und Exegese, Band 1, 1984 (TE 1), Band 2, 1985 (TE In; Das Markusevangelium: Band 1 (M 0, Band 2 (M 11).

Zur Diskussion um DreW"ermanns Exegese: Lohfink, G. & Pesch, R.: Tiefenpsychologie und keine Exegese 1987, W"orauf DreW"ermann mit ""An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen"" 1988 antW"ortete (F); Schmitz, S.: In Menschen der Bibel sich W"iederfinden. Tiefenpsycho­logische Zugänge 1988, bes. 190-203; Meesmann, H. (Hg.): Kirche und Glaube auf der Couch. Eugen DreW"ermann - ein Theologe im Widerstreit 1990; Baumgartner, 1.: Pastoral psychologie 1990, 578-584; Fehrenbacher, G.: DreW"ermann verstehen. Eine kritische Hinführung 1991-

2 S 11, XXVI.

71

Page 74: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Die Kritik verschärfte sich in den folgenden Jahren zusehends; nie­mals könne die historisch-kritische Exegese "zu der Ebene der Reali­tät vordringen, die religiös von Belang ist"3; sie sei einen "religiösen Irrweg" gegangen, dessen Resultat "nach mehr als 100 Jahren von ei­ner monströsen Inhaltslosigkeit" sei4 . Kurz und gut: sie sei "prinzi­piell gottlos"5, weil sie den Menschen in eine Distanz zu Gott ge­bracht habe, weil sie - wenn überhaupt - nur erfassen könne, "was vor Gott war, und nicht, was vor Gott ist,,6.

Diese Kritik, die an anderer Stelle zwar insofern zurückgenommen wird, als "die vorliegende Arbeit ... im Gegenteil an jeder Stelle der Argumentation die Ergebnisse der historisch -kritischen Methode, vor allem der Formgeschichte, dankbar voraus(setzt)"7, läßt an Deutlich­keit und Schärfe nichts zu wünschen übrig. Sie hat denn auch die berechtigte Gegenkritik von Vertretern der historisch-kritischen Exe­gese herausgefordert, die ihm vorwarfen, von ihr ein "Zerrbild" ge­zeichnet zu haben8 bzw. "auf Schritt und Tritt seine Unkenntnis der historisch -kritischen Methode" zu verraten 9. In der Tat präsentiert sich historisch -kritische Exegese, weil einem Methodenpluralismus verpflichtet, differenzierter als in Drewermanns Darstellung. Gegenüber der Psychologie steht sie nicht in einem unversöhnlichen "antitheti­schen Gegensatz" 10; vielmehr wurden psychologische Interpretamente (nicht nur tiefenpsychologischer Provenienz) in sie bereits integriert.

3.2. Psychologen schweigen zu Drewermanns Bibelpsychologie

Trotz der ebenso voluminösen wie auflagenstarken Publikationen, trotz des hohen Bekanntheitsgrades bei Bewunderern und Gegnern: Dezidiert psychologische Auseinandersetzungen mit Drewermanns (tiefen-)psy­chologischer Hermeneutik sind die Ausnahme geblieben11 . Liegt dies daran, daß sich die (akademische) Psychologie mit der Religion gerade

3 M I, 31.

4 TE I, 23 f.

5 Ebd. 12.

6 Ebd. 24.

7 TE 11, 760.

8 Haag, H.: Die Bibel als Lebenshilfe. Die exegetische Position Dre­w-ern>anns 1990, 79.

9 Venetz, H.].: "Mit den> Traun> , nicht n>it den> Wort ist zu begin­nen". Tiefenpsychologie als Herausforderung für die Exegese? 1985, 192.

10 TE 11, 761; vgl. auch S 11, XXIX, w-o der kirchlichen Lehre angela­stet w-ird, das Unbew-ußte "in ähnlicher Weise w-ie ein Neurotiker" zu verdrängen.

11 Görres, A.: Erneuerung durch Tiefenpsychologie 1988; Scharfenberg, ].: Pastoralpsychologische Kon>petenz von Seelsorger/-innen 1990, 140-143; Rebell, W.: Psychologisches Grundw-issen für Theologen 1988, 234-236. In den> von H. Meesn>ann herausgegebenen Diskussi­onsband: Kirche und Glaube auf der Couch. Eugen Drew-ern>ann -ein Theologe in> Widerstreit 1990, ist nur einer der 11 Beiträge psychologischer Art.

72

Page 75: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

in dem Land schwer tut, in dem Religionspsychologie zu Beginn dieses Jahrhunderts eine wahrhaftige Blüte erlebte?12 Oder daran, daß Fach­vertreter, die Psychologie als eine "empirische" Disziplin verstehen und als "Wissenschaft vom Verhalten, dem Erleben und der {rückbezügli­chen} Erfahrung aus beiden" definieren13, sich schwer tun, dieser als "psychologisch" deklarierten Bibelhermeneutik das Prädikat "psycho­logisch" zuzusprechen, sodaß sich eine weitergehende Auseinanderset­zung nicht aufdrängt? Diese Vermutung wird sich, wie wir sehen wer­den, nicht von der Hand weisen lassen.

Worin soll nun eine tiefenpsychologische Hermeneutik der Bibel be­stehen, die nicht nur die Exegese, sondern "die Theologie christlich -abendländischer Prägung insgesamt aus dem Getto ihrer Verstandes­einseitigkeit herauszuführen" vermag14, in das sie nicht zuletzt wegen der historisch-kritischen Exegese hineingeraten sei? Darin, daß Ausle­gen "innerlich" werden müsse, denn "alles Historische ist äußerlich"15. Der Standpunkt müsse überhaupt umgekehrt werden: Nicht mit dem Wort, sondern mit dem Traum sei zu beginnen und das Unbewußte wieder in sein Recht zu setzen16; nur so könne "die Exegese insge­samt vom Kopf wieder auf die Füße" gestellt werden 17.

3.3. Die jahwistische Urgeschichte als symbolische Psychogenese? Die Akzentuierung der Innerlichkeit, speziell des Traumes, läßt an die von Jung getroffene Unterscheidung zwischen Objekt- und Subjekt­stufe denken. In der Tat bildet sie ein Gliederungsprinzip des zweiten Bandes der »Strukturen des Bösen«, der "jahwistischen Urgeschichte' in psychoanalytischer Sicht"18: die Ausführungen zu den einzelnen Moti­ven setzen sich aus "Interpretationen auf der Objektstufe" {zumal Freud} und "Interpretationen auf der Subjektstufe" {Jung} zusammen.

3.3.1. Nach Freud: In seiner Habilitationsschrift hatte sich Drewermann noch "zu einer eindeutigen Bevorzugung der Freudschen Methode ver­anlaßt" gesehen19 (die übrigens in »Tiefenpsychologie und Exegese« insofern zurückgenommen wird, als die psychologie geschichtliche Entwicklung von Freud zu Jung mit einer "gelungenen Psychotherapie" verglichen wird, in der "die Traumbilder neurotischer Angst" durch "Symbole der Heilwerdung" ersetzt würden20). Gemäß der Objektstufe

12 Vgl. Gruehn, W.: Die Frömmigkeit der Gegenw-art. Grundtatsachen der empirischen Psychologie 1956; Wulff, D.M.: Psychology of reli­gion. Classic and contemporary view-s 1991, 519-577.

13 Schönpflug, W. & Schönpflug, U.: Psychologie 1983, 5; Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie, Band I, 1985, 13.

14 TE I, 21.

15 Ebd. 13, 174; TE 11, 40 U.ö.

16 Ebd. 92, 153; vgl. auch S 11, XXIX.

17 TE I, 16. 18 Vgl. dazu S I, XLI; S 11, 13.

19 S I, XLII.

20 TE I, 15 f.

73

Page 76: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

besteht die psychologische Aufgabe darin, biblische Gestalten zu analysieren, selbst solche, die in der jahwistischen Urgeschichte nur schemenhaft in Erscheinung treten. Beispielsweise Lamech (Gen 4, 18-24; S, 26-31), dem das sogenannte Schwertlied in den Mund gelegt wurde:

23 Ada und Zilla, hört auf meine Stimme, ihr Frauen Lamechs, lauscht meiner Rede! Ja, einen Mann erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für eine Strieme. 24Wird Kain siebenfach gerächt, dann Lamech siebenundsiebzigfach.

Drewermann sieht in diesem Lied zunächst den "männlichen Protest (Adler) auf die Kastrationsdrohung Gottes", wie sie auch Kain wider­fahren sei; Lamech habe auf sie mit "Überkompensation" reagiert21. Die Manier, in der er vor seinen Frauen prahlte, "entspricht ontogene­tisch der Art und Weise, in der in der phallischen Phase der Junge um seine Mutter wirbt"22; dafür spreche zumal, daß das Schwert ein "exquisites Phallossymbol" sei.

Nachdem zentrale Komponenten der Freudschen Psychoanalyse be­gegneten (phallische Phase, Kastrationsdrohung, Phallossymbolik), kann nicht weiter erstaunen, wenn Drewermann die gesamte jahwisti­sche Urgeschichte "als die Entwicklungsgeschichte" verstanden wissen will, "die psychogenetisch von jedem Individuum zwischen Geburt und Reife durchlaufen"23 werde und mit Hilfe der entwicklungspsychologi­schen Phasentheorie von Freud buchstabiert wird.

So wird Gen 2 (Paradies) auf die "frühere orale (Sauge-) Stufe" bezogen24 und die in Gen 2,7 geschilderte Erschaffung des Menschen mit einer infantilen Zeugungs phantasie in Verbindung gebracht, die der Freud-Biograph Jones in die Welt gesetzt hatte: "Viele Kinder hegen den Glauben, ... der von ihren Eltern vollzogene Sexualakt ... bestehe darin, daß Gase vom Vater in die Mutter gelangen"25. Im Hauch Got­tes, in seiner Nefesh wird gesehen, was Luther in seinen Tischreden einen "Furz" zu nennen pflegte. Jedoch wird nicht geprüft, ob und inwieweit diese infantile Zeugungsvorstellung typisch ist26, von der Drewermann ohnehin selber vermutet, es werde Theologen (aber auch Psychologen) geben, die sich von ihr "verständlicherweise empört ab­wenden möchten,,27.

21 S 11, 321.

22 Ebd. 324.

23 Ebd. 540 f.

24 S 11, 547 aus einer zusammenfassenden Tabelle; ausflihrlicher: 17-24.

25 Zit. aus S 11, 19; ähnlich Graber, H.: Zeugung, Geburt und Tod o.J., 15-26, aufgrund von bloß zw-ei Fallbeispielen!

26 In mehreren entw-icklungspsychologisch-empirischen Publikationen begegnet diese Vorstellung jedenfalls nicht oder bloß marginal: Doehlemann, M.: Die Phantasie der Kinder 1985, 79-83; Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 285-292; Kohlberg, L.: Zur kogniti­ven Entw-icklung des Kindes 1974.

27 S 11, 21.

74

Page 77: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Sexualistisch ausgelegt wird auch die in Gen 2, 18-25 geschilderte Erschaffung der Frau: Georg Groddeck werde "wohl... nicht ganz Un­recht haben", indem er die Rippe als phallisches Symbol interpretierte, Gen 2, 18-25 entsprechend als onanistische Phantasie, deren Ende im "Abschneiden der Rippe" bestand, d.h. einer Kastration als Strafe für dies unerlaubte Tun28.

Gen 3 (Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies) beinhalte eine durch Angst ausgelöste Regression von der genitalen Phase (sexuelle Versuchung: Schlan~e als PhallossymboD auf die "spätere orale (kan­nibalistische) Stufe" 9, konkret: in die psychische Problematik, die das Verbot hervorrufe, in die Brüste der Mutter zu beißen, als die sich die Äpfel in psychoanalytischer Betrachtung zu erkennen gäben30 . Das Abstillen sei durch eine tiefgreifende Ambivalenz der Mutter gegenüber charakterisiert und berge den Kern späterer Depressionen und der Melancholie in sich.

Die weiteren psychogenetischen Meilensteine liegen auf der Hand: Wie auf Gen 3 Gen 4 folgt, so auf die orale Phase die anal-sadisti­sche. Unter anderem dadurch charakterisiert, daß das Kind in der "Hergabe der Exkremente die früheste Form" von Schenken bzw. Opfern erlernt habe und fortan Besitzansprüche geltend mache, eigne sie sich als psychologisches Interpretament des tödlichen Streites zwischen Kain und Abe131.

Mit Lamech (Gen 4,18-25) erreichen wir, wie schon angedeutet, die phallische Phase, die im Ödipuskomplex kulminiere, bei den Mädchen im Elektrakomplex, den Drewermann in Gen 6, 1-4 <Engelehe} auffin­det, worin ihr Wunsch zum Ausdruck komme, "vom Vater ein großes und mächtiges Kind zu bekommen,,32.

Die weiteren psychogenetischen Stadien und die ihnen zugeordneten Motive aus der jahwistischen Urgeschichte können folgender Übersicht entnommen werden, für die wir auf die tabellarische Zusammenstel­lung von Drewermann selber zurückgreifen33.

28 Ebd. bes. 39.

29 Ebd. bes. 115.

30 Ebd. 56-69; vgl. Freud SA I, 165.

31 Ebd. 276-289, bes. 283, -wo sich Dre-werIllann auf AbrahaIll, K.: Psy­choanalytische Studien zur Charakterbildung 1969, 191 bezieht.

32 Ebd. 543; ausflihrlicher: 342-352, -wo 347 behauptet -wird, es handle sich UIll eine "ubiquitäre Mädchenphantasie", d.h. eine, die zu allen Zeiten und in allen Kulturen auftrete und hinter der zUIllal die "Abw-ehr der -weiblichen Kastriertheit" so-wie der "Penisneid" stehe.

33 Ebd. 548.

75

Page 78: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Motive des jahwisten

Gen 6-8: Sintflut

Gen 9,18-27: Chams Untat

Gen 10,8-12: Nimrod

Gen 11,1-9: Turmbau

Psychogenetl- Alter Merkmale sche Phasen

Latenzzeit 5-10 Untergang des Ödipus-komplexes

Frühpubertät 10-12 Neueinsatz der Sexual-entwicklung

Pubertät 12-18 Identität gegen Minder-wertigkeit

Adoleszenz ab 18 Idealismus, Selbstver-trauen

Insgesamt könne man "eine nahezu vollständige Themenkonkordanz in der jahwistischen Urgeschichte und in der psychoanalytischen Ent­wicklungslehre ... konstatieren", ja, es sei geradezu "erstaunlich ... , wie genau die einzelnen Stadien der jahwistischen Urgeschichte den Phasen der psychischen Entwicklung im Leben des Einzelnen entspre­chen" 34. Insofern bestätige die Psychoanalyse auch die Erkennntnis der Exegese, Gen 2-11 müsse als Einheit gelesen werden. Da die Ab­folge der Stadien eine "unumkehrbare, einlinige Entwicklung und Rei­fung" darstelle, die "von einem jeden einzelnen auf seinem Weg zum Menschsein wiederholt und durchlaufen werden müsse", handle es sich bei Gen 2-11 in der Tat um "eine in sich geschlossene Entwicklungs­geschichte", um eine allen Menschen gemeinsame "Urgeschichte"35.

Zugleich wird die jahwistische Urgeschichte als "Neuroseentwicklung überhaupt" interpretiert36, in der sich die Menschen in den fatalen Kreislauf von Angst und Schuld verstricken. Von schweren Ängsten getrieben, tun sie genau das, was sie nicht möchten und nicht dürf­ten. Zwar steht außer Zweifel, daß Än~ste, vor allem namenlose, den Menschen in Neurosen treiben können3t: Eine andere, von Drewermann selber gestellte Frage aber ist, ob "die eigentliche Aussage des J(ah­wisten) (nicht) verloren" geht, wenn die von ihm redigierte Urge­schichte als Beschreibung der "Sünde als eine(r) Neurose vor Gott" aufgefaßt wird38 . Zwar kann auf diese Weise das Menschlich-Allzu­menschliche der biblischen Individuen für uns bewußter und können diese uns vertrauter werden, was auch für die Menschen im Markus-

34 Ebd. 547, bzw-. 545. 35 Ebd. 616 f.

36 S 11, 553-586, hier 557. Zu Recht stellt Drew-ennann fest, "daß es eine Rettung aus diesem Teufelskreis von innen her, aus eigenen Kräften nicht gibt" (584). - Angst ist für Drew-ermann ohnehin ein ganz zentrales Thema: ein "Leitbegriff" in den "Strukturen des Bösen« (S I, LXXXII), desgleichen in seinem Markuskommentar (M I, bes. 25-44).

37 Vgl. bspw-. Mentzos, S.: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einfüh­rung in die psychoanalytische Neurosenlehre 1984, 29-37; Davison, G.C. & Neale, 1.M.: Klinische Psychologie 31988, bes. 162.

38 S 11, 556.

76

Page 79: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

evangelium gilt, die nach Drewermann "Psychoneurotiker aus Notwen­digkeit, ... Gefangene eines Geflechts der Angst" seien39 . Aber von der Frage, ob die dafür herangezogenen psychologischen Konstrukte valide sind, darf nicht dispensiert werden, - von der redlichen Ver-

. pflichtung ganz zu schweigen, solche Auslegungen als hypothetisch zu kennzeichnen.

3.3.2. Nach JlUJg: Bisher wurden in der gebotenen Kürze und unver­meidlich unvollständig (ausgeklammert wurden zumal die reichhaltigen mythologischen Vergleichs materialien sowie die Befunde der Prähisto­rie und teilweise der Verhaltensforschung) erst Drewermanns Inter­pretationen auf der Objektstufe berücksichtigt. Nahezu gleich viel Raum beanspruchen diejenigen auf der Subjektstufe, die deshalb kürzer skizziert werden können, weil Drewermann (zumindest 1978 noch) die Deutung auf der Objektstufe vorzog40 :

Gen 2 (Paradies)

Gen 2,18-25: Er­schaffung der Frau

Gen 3: Sündenfall

Gen 4: Kain/ Abel

Gen 6,1-4: Engelehe

Gen 6-8: Sintflut

Gen 9,18-29: Noachs Söhne

Gen 11,1-9: Turmbau

39 M I, 34.

Undifferenzierte Einheit von Bewußtsein und Unbewußtem (ohne individuelles Bewußtsein).

Das Selbst erkennt seine Anima; Eva als Komponente von Jakobs Psyche.

Notwendiger Schritt zur Individuation durch Bewußtwerdung41 .

Dissoziation des Schattens und Verdrängung desselben. Bewußtsein vom Unbewußten überflutet; (göttliches) Kind verweist auf Selbstwerdung.

Selbstheilungsversuch der Psyche: Gegenbe­wegung des Unbewußten zu der Einseitigkeit des Bewußtseins42.

Cham als Subjekt: Hinwachsen zum Männli­chen; "Schritt zu größerer Unabhängigkeit" 43.

"Versuch einer künstlichen, daher katastro­phisch endenden Selbstintegration"44; Infla­des Ich durch das Unbewußte, Psychose.

40 Vgl. dazu bes. 540-545, die Zusammenfassung in 552, soW"ie die einzelnen Unterkapitel.

41 Ebd. 139. Auf der folgenden Seite fragt DreW"ermann selbstkritisch zurück, "ob W"ir mit der Jungschen Auslegung von Gen 3 noch der j(ahW"istischen) Aussageabsicht gerecht W"erden oder nicht einfach heterogene Sinngehalte an das mythische Material des J(ahW"isten) herantragen". Da die Frage zu bejahen sei, W"erde "die Gesamtauf­fassung Jungs von der j(ahW"istischen) ·Sündenfallerzählung· hinfäl­lig·· (146).

42 Ebd. 426; ähnlich bereits Jung: GW V, 147. 43 S 11, 544; vgl. auch 470: Der betrunkene Noach ··symbolisiert ... ei­

ne Macht, die in Cham selbst schluITlmert."

44 Ebd. 545; ähnlich auch Jung: GW V, 147f.

77

Page 80: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Drewermann schreibt selber,

"eine gewisse Monotonie in den subjektalen Deutungen" (Jasse sich) nicht übersehen. Denn allenthalben geht es bei den jungsehen Deu­tungen um die Beziehung zwischen dem Bewußtsein und dem Unbe­wußten, um das Ringen um psychische Selbstwerdung und Integrati­on; und so variabel auch die Bedeutung einer einzelnen Bildsymbolik erscheinen mochte, - entwicklungspsychologisch ergibt die subjekta­le Deutung der j{ahwistischen) Urgeschichte, im Längsschnitt be­trachtet, keine eigentliche Entwicklung ... " 45.

3.4. Invalide Konstrukte - invalide Exegesen Überzeugen diese Auslegungen der Urgeschichte? Nach den Darlegun­gen in den beiden ersten Kapiteln kaum:

1.) Freudsche und Jungsche Entwicklungspsychologie werden, was die Altersphasen betrifft, unzulässigerweise parallelisiert. Entwicklungs­aufgaben, die nach Jung mehrheitlich in der zweiten Lebenshälfte zu leisten sind <Integration von Schatten, Anima! Animus, Individu­ation), verlegt Drewermann in die früheste Kindheit.

2.) Drewermann unterstellt einen uniformen Entwicklungsverlauf. Wer­den Kinder erst dann entwöhnt, wenn sie zahnen? Aber viele Kin­der werden gar nicht mehr gestillt, viele wachsen vaterlos auf und geraten kaum in die ödipale Konfliktkonstellation. Wird dann aber die von ihm geschilderte Entwicklung von "einem jeden" und in der "von vornherein festgelegten Reihenfolge" durchlaufen 46?

3.) Pubertät und Adoleszenz werden als zeitlich gestaffelte Phasen bestimmt; letztere beginne erst "etwa ab 18"! Schon in entwick­lungpsychologischen oder pädagogischen Proseminarien lernen die Studenten, daß sich der Begriff "Pubertät" auf die mehr physiolo­gisch-biologischen Aspekte der Adoleszenz bezieht, die mit 18 Jahren nicht beginnt, sondern - in der Regel - endet 47. Dies ist ein deutliches Indiz für das Willkürlich-Konstruktivistische an Drewermanns Entwicklungsmodell im besonderen, seiner Exegese der jahwistischen Urgeschichte im allgemeinen.

4.) Das Freudsche Phasenmodell, das von Drewermann in die jahwisti­sche Urgeschichte hineingelegt wurde, überzeugt, wie in Kap. 1 ausgeführt, die Entwicklungspsychologie nicht mehr. Nicht nur ist es reduktionistisch, sondern in manchen Punkten unhaltbar, zumal hinsichtlich des angeblich universalen, ja biologisch bedingten Ödipuskomplexes. Drewermann warnt selber vor seiner "Generali­sierung"48. Aber greift er, wo es nützlich und passend scheint, -wie er selber sagt: "pragmatisch"49 - letztlich nicht eklektisch auf

45 Ebd. 551. 46 Ebd. 616, bzw-. 550. 47 Ebd. 548; vgl. dazu Baacke, D.: Die 13- bis 18jährigen 21979, 14-18. 48 Bspw-. S 11, 398; vgl. 118; S I, XLV.

49 S I, XLV.

78

Page 81: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ihn zurück? Geradezu unverständlich ist, wie noch 1978 behauptet werden kann, die Exkremente des Kindes seien seine ersten Ge­schenke, jedes Mädchen wünsche in der ödipalen Phase von seinem Vater "ein großes und mächtiges Kind", zu Beginn der Pubertät würden von "jedermann" "Kastrationsängste und -wünsche in bezug auf den Vater" erlebt. 50 Die Folgen wären verheerend, wenn dieses Bild vom Kinde - das über den Erwachsenen wiederum mehr aus­sagt - zum Allgemeingut würde und die Erziehung prägte51 . Soll auch wieder davon ausgegangen werden, "daß gerade die persönlich wichtigsten und bedeutungsvollsten Erlebnisse als äußere Ereignis­se niemals wirklich stattgefunden" haben 52, was Drewermann im Kontext von Ausführungen über die angeblichen Inzest- und Ver­führungsphantasien von Freuds Patientinnen behauptete, die der Erzvater der Psychoanalyse unter dem Druck der Fachwelt als reale Begebenheiten zu verleugnen begann?53

Drewermann ist es zugutezuhalten, daß er nach der mehr als sechs­hundertseitigen Abhandlung zur Feststellung gelangt, "wie eng die Grenzen des Geltungsbereiches der psychoanalytischen Methode sind, und wie groß das Feld der übrigbleibenden Fragen"54, insbesondere die nach der philosophischen und theologischen Bedeutung der jahwisti­schen Urgeschichte. Unter kritischer Bezugnahme speziell auf Kant, Hegel und - zustimmender - auf Sartre und Kierkegaard werden im dritten Band die existenziellen Grundbefindlichkeiten der jahwistischen Urgeschichte herausgearbeitet, allen voran die Angst, die schon im psychoanalytischen Teil eine Schlüsselrolle einnahm.

3.5. Zeitlose Archetypen anstelle historisch-kritischer Exegese? Zum vielschichtigen und komplexen Programm von »Strukturen des Bösen« im Widerspruch steht jedoch, daß Drewermann im Vorwort zur 2. Auflage des ersten Bandes fordert, "die historisch-kritische Exegese durch die TIefenpsychologie zu erweitern, bzw. zu ersetzen"55. Breit entfaltet wird dies in den beiden Bänden » Tiefenpsychologie und Exegese«, in der die Interpretamente der Freudschen Psychoanalyse seltener begegnen, dafür umso häufiger der Begriff des "Archetypen", soll doch die historisch-kritische Exegese generell in eine "archetypi­sche Hermeneutik" transformiert werden 56 .

50 Ebd. 283, 348, 466. 51 In der aktuellen Entwicklungspsychologie wird das Kind ganz an­

ders gesehen, von DaInon, W.: Die soziale Entwicklung des Kindes 1989, 40 bereits "der Säugling als aktiver Partner"; vgl. auch Tuk­ker, N.: Was ist ein Kind? Das Kind und seine Entwicklung 1979; Herzka, H.S.: Die neue Kindheit. Dialogische Entwicklung - autori­tätskritische Erziehung 1989 u.v.a.In.

52 M I, 94 f.

53 Vgl. Masson, J.: Was hat Inan dir, du arInes Kind, getan? SigInund Freuds Unterdriickung der Verfiihrungstheorie 1984 (3 Jahre vor der Erstauflage von M 1); vgl. AnlTI. 107 in Kap. 1.

54 S 11, 619. 55 S I, LXX (kursiv A.BJ.

56 TE I, 71; gefordert auch in M I, 30, 88, 99 u.Ö.

79

Page 82: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Von Jung übernimmt Drewermann aber nicht nur dieses psychologi­sche Konstrukt, sondern weitgehend auch das Menschenbild und die Vorstellung von der Psyche, die "zu allen Zeiten und Orten" gleich sei 57, beinhalte sie doch kollektives Erbgut, "den Niederschlag von Jahrtausenden und Jahrmillionen evolutiver Erfahrung der menschli­chen Gattung und ihrer Vorläufer in der umgebenden Natur"58. Auch die Regeln, die Drewermann für die archetypische Schriftauslegung aufgestellt hat, sprechen gegen die hin und wieder vertretene Behauj.­tung, er könne nicht schlechthin als Jungianer eingeordnet werden 9: In einem ersten Schritt sei jeweils das biblische Material "motivge­schichtlich zu komplettieren"60, was der Forderung Jungs nach Am­plifikation entspricht: beispielsweise das Motiv von Jakob und Esau mit dem "weltweit verbreiteten Archetyp" der feindlichen Brüder. Hernach müsse "die religionsgeschichtliche Bedeutungsvielfalt archety­pischer Mytheme" herausgearbeitet 61 und schließlich zur "Deutung auf der Subjektstufe" weitergeschritten werden, wonach "alle auftretenden Personen, Gegenstände und Umstände als Facetten und Aspekte ein und derselben Psyche zu verstehen sind,,62. Durchzuführen sei dies bei nahezu allen literarischen Gattungen der Bibel63:

Mythos (und Märchen) -->die äußere Natur als Bild der inneren Natur

Legende (und Sage)

Novelle

Erscheinungs- und Berufungsgeschichte

Prophetie

Apokalypse

--> die äußere Geschichte als Bild der inneren Geschichte

--> den menschlichen Körper als Darstel­lungsort seelischer Vorgänge

--> das eigene Bewußtsein als Darstellungs­ort äußerer Vorgänge

--> die innere Geschichte als Bild der Volksgeschichte

--> die innere Natur als Bild der äußeren Natur

Selbst für biblische Geschichtserzählungen sollen die gleichen herme­neutischen Regeln gelten, auch sie müßten archetypisch-symbolisch gedeutet werden, wodurch sich "Daten der äußeren Geschichte ... in symbolische Themen gegenwärtigen Erlebens (verwandeln) und ... sich in den ewigen Bildern des Unbewußten (nachträumen) ,,64. Wohin diese

57 TE I, 178; TE 11, 41 u.Ö.

58 Ebd. 170; vgl. auch 77.

59 Halbfas, H.: Wurzehverk 1989, 52.

60 TE I, 165-169.

61 Ebd. 169. 62 Ebd. 172-177, Zitat: 191; vgl. auch TE 11, 754.

63 TE 11, 40. 64 TE 11, 663.

80

Page 83: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

hermeneutische Grundsatzentscheidung im Konkreten führt, läßt sich beispielsweise an der Auslegung der Exodusgeschichte zeigen. Sie wä­re insofern als "Legende" zu bezeichnen, als die Etappen des Auszugs aus Ägypten (äußere Geschichte) "Bilder und Stationen des Prozesses (sind), den ein jeder von uns durchlaufen muß, um zu sich selber zu finden" (innere Geschichte) 65. Individuation, ein Kernkonstrukt der Jungschen Psychologie, begegnet, weil "der Ort der Selbstfindung ... der eigentliche Anfang des Religiösen (ist)" 66, in Drewermanns Exe­gese allenthalben:

Kindheitsgeschichte Das Gespräch am Jakobsbrunnen (Joh 4, 1-26)

Gleichnis von den Anvertrauten Talenten (Mt 25, 14-30)

Apokalypse und eschatologische Visionen Berufung des Moses (Ex 3)

Heilung der blutflüssigen Frau und Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,21-43) Versuchung Jesu (Mk 1,31)67

3.6. Kritische Würdigung

Selbstw-erdung

Unzweifelhaft ist es Eugen Drewermann zu verdanken, daß zahlreiche Menschen wieder zur Bibel griffen und sich - in Anlehnung an einen Buchtitel seines Mitstreiters Stefan Schmitz formuliert - in Menschen der Bibel vielfach selber gefunden haben68 . Seine Publikationen sind ebenso anregend wie beeindruckend, sein Anliegen - "daß Theologie, Exegese zumal, ... wieder Lebenshilfe sei,,69 - nur zu teilen und zu unterstützen - trotz der kritischen Bemerkung von Lohfink und Pesch, die "Lebenshilfe" tendenziös mit "Esoterik" gleichstellten 70. Auch nicht bestreiten läßt sich, daß ein ausschließlich philologistischer

65 TE I, 484. 66 TE 11, 693 (kursiv LO.).

67 Kindheitsgeschichte: TE I, 502-529, bes. 527 - Gespräch a.Il1 Jakobs­brunnen: TE 11, bes. 697: " ... das Gesamtbild eines langen Prozes­ses, den jeder Mensch in typischen Schritten der Reifung auf dem Weg des Glaubens durchleben muß"'; vgl. auch Schmitz, S.: Im Menschen der Bibel sich vviederfinden 1988, 148-189: Joh 4, 6 b (Zeitangabe "6. Stunde"') besage, die Frau stehe in der Lebensmitte - Talente: TE 11, bes. 750. - Apokalypse: bes. TE 11, 454. - Moses: TE 11, bes. 391 - Jairus: TE 11, 296. - Versuchung: Mk I, 157.

68 Schmitz, S.: In Menschen der Bibel sich vviederfinden. Tiefenpsy­chologische Zugänge. Mit eineIn Vorvvort von Eugen Drevvermann 1988.

69 F, 39.

70 Lohfink, G. & Pesch, R.: Tiefenpsychologie und keine Exegese 1987, 7.

81

Page 84: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Umgang mit der Schrift dieser nicht gerecht wird, und daß histo­risch-kritische Exegese den Menschen von Gott wegführen kann, aber nicht notwendigerweise muß. Es ist ein Verdienst, wieder - wenn­gleich nicht als einziger - an Kierkegaards Theologen- und Christen­tumskritik erinnert zu haben71, und es ist Drewermann auch nicht zu verargen, seine Kritik "einseitig" 72, ja militant vorgetragen zu haben, gelte es doch, die "Bastion der historisch-kritischen Methode für die Tiefenpsychologie zu erobern" 73. Standpunkte, so vorgetragen, geben zu denken und vermögen zumal dann die theologisch-exegetische Entwicklung voranzutreiben, wenn sie sich, das Gesetz der Dialektik selber anerkennend, ihrerseits die Antithese in der Form kritischer Rückfragen gefallen lassen, die sich im folgenden zumal auf die psy­chologischen Aspekte beziehen.

3.6.1.: Wo bleIbt die Sozla1psychologle? Wenn biblische Texte unter­schiedlichster Gattungen symbolische Darstellungen innerpsychischer Reifungsvorgänge sind, kann nicht erstaunen, daß der konkreten Ge­schichte sowie der Sozialpsychologie nur sekundäre Bedeutung beige­messen wird. In der Tat plädiert Drewermann für den "Vorrang des ... Psychologischen vor dem Soziologischen", was zugleich den "Vorrang des Individuellen vor dem Kollektiven" bedeute 7 4 . Dies gibt insofern zu kritischer Rückfrage Anlaß, als er von Jung eine Vorstellung der menschlichen Psyche übernommen hat, die gerade nicht auf die Einzig­artigkeit und Einmaligkeit jedes Individuums abhebt, sondern in aus­gesprochenem Maße kollektivistisch ist75. Noch und noch ist vom Ewig-Gleichen die Rede, von den ewigen und ubiquitären Bildern, die in der menschlichen Seele archetypisch angelegt sein sollen. Als ob es keine sozialpsychologisch orientierte Symbolforschung gäbe, die - wie bereits bei der Exegese nach Freud und Jung kritisch anzumerken war - schon längst gezeigt hat, daß Symbole nicht losgelöst von ihren soziohistorischen Kontexten, nicht losgelöst von den in ihnen stehen­den Menschen betrachtet werden dürfen, sondern immer zusammen mit ihren einmaligen Lebensgeschichten, die sich aber nicht in einer zeitlosen Seelenlandschaft abspielen, sondern in konkreten Familien, in konkreten Ehen, in konkreten Gemeinden und Gemeinschaften.

71 F, bes. 29; TE 11, bes. 16.

72 Sudbrack, J.: Im Gespräch mit Eugen Drew-ermann 1990, 72.

73 TE 11, 665 <kursiv A.B.).

74 TE I, 251. Dies läuft letztlich auf Enthlstorisierung hinaus, w-ie sie Drew-ermann oft und auch zu Recht vorgew-orfen w-ird: Fehrenba­eher, G.: Drew-ermann verstehen 1991, bes. 191-198; Dassmann, E.: Geschichtlichkeit der Offenbarung und gnostische Bedrohung 1988; Dormeyer, D.: Das Verhältnis von ·w-ilder· und historisch-kritischer Exegese 1986, 123. Auf die Geschichtlichkeit des Psychischen sow-ie der Psychologie selber verw-ies schon vor Jahrzehnten: Pongratz, L.: Problemgeschichte der Psychologie 1957; vgl. auch Holzkarnp, K.: Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung 1973.

75 In TE I, 231 heißt es denn auch, es gehe darum, "vorab zu allem Indviduellen die archetypischen Gegebenheiten der menschlichen Kollektivpsyche zu erforschen··.

82

Page 85: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Vor allem aber liefert Drewermann seiner Leserschaft ein Zerrbild dessen, was Sozialpsychologie ist: gewiß steht sie über dem Niveau einer "Art Reiz-Reflex-Schema PAWLOWSCHER Hunde"76, was ohne­hin in den Bereich der Lernpsychologie gehört; vielmehr bildet sie eine aus unterschiedlichen, sich widerstreitenden und sich ergänzenden Richtungen zusammengesetzte, komplexe psychologische Disziplin77,

die "das Verhalten von Individuen in sozialen Zusammenhängen" un­tersuche8 . Dabei bleibt sie "dem Individuum verpflichtet", wehrt sich aber dagegen, den Menschen, schon nach Aristoteles ein "ens sociale", ein Wesen der Gemeinschaft, von seiner Umwelt zu isolieren. Sym­bole und Bilder sollen denn auch - gegen Drewermann - nicht "aus dem geschichtlichen Kontext ... herausgelöst und zunächst an den Ort ihres eigentlichen Ursprungs und ihrer bleibenden Wahrheit zurück­versetzt (werden): an die Stelle der individuellen Biographie"79. Denn in der Sicht der Sozialpsychologie kann es eine individuelle Biographie in diesem Sinne gar nicht geben, weil der Mensch nur über ein Du, nur über Mit-Menschen zum Ich finden und so (mehr oder weniger weit­gehend) der Akteur einer individuellen Lebensgeschichte werden kann.

3.6.2.: Noch einmal: der .Archetyp. "In der Auslegung archetypischer Symbole besteht ... die allergeringste Erlaubnis und Möglichkeit zur Willkür" 80 - in anbetracht der Invalidität des psychologischen Kon­strukts Archetypus ist diese Behauptung Drewermanns verstiegen. Im Gegenteil: Bei einer archetypischen Auslegung lasse sich - so Drewer­mann selber - "eine gewisse Willkür nicht vermeiden", ein archetypi­sches Symbol könne "buchstäblich auf «alle möglichen» Wechselfälle des Lebens" angewandt werden 81, was deshalb möglich scheint, weil auch Drewermann die "Archetypen" nicht ausreichend und für eine Exegese operationalisierbar definiert hat. Alles kann archetypisch sein, ein bestimmtes biblisches Motiv bald diesem Archetypen, bald jenem zugeordnet werden, sodaß Herbert Haag Recht zu geben ist, wenn er fragt, ob Drewermann "die Bibel letztlich nicht doch als Steinbruch für seine Methode (verwendet)?,,82

76 TE I, 231.

77 Einfiihrungen in die Sozialpsychologie bieten u.a. Mann, L.: Sozi­alpsychologie 1972; Frey, D. & Irle, M. (Hg.): Theorien der Sozialpsy­chologie, 3 Bände 1978 ff.; Schuüdt-Denter, U.: Soziale Ent-wick­lung 1988; Rebell, W.: Psychologisches Grund-wissen fiir Theologen 1988, 81-106 (vgl. auch Kap. 4>-

78 Rebell, W.: Gehorsatn und Unabhängigkeit. Eine sozialpsychologi­sche Studie zu Paulus 1986, 15.

79 TE 11, 452 f. 80 TE I, 225. Vgl. die utnfassendere Kritik von Bucher, A.A: Tiefenpsy­

chologie und Exegese. Antnerkungen ZUtn Psychologiekonzept Eu­gen Dre-wertnanns 1988, so-wie Baudler, G.: ZUtn Ursprung der religiösen Sytnbolik: «Archetypen der Seele» (C.G. Jung) oder -wahr­genotntnene Wirklichkeit? 1988; Funke, D.: E-wige Urbilder? 1988, bes. 124; Fehrenbacher, G.: Dre-wertnann verstehen 1991, bes. 206 f ..

81 TE I, 221, bz-w. 222; vgl. auch Abschnitt 2.3.2.

82 Haag, H.: Die Bibel als Lebenshilfe 1990, 86.

83

Page 86: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

- Vollends bedenklich wird es, wenn man - wie von Jung her zwar schon bekannt - auch bei Drewermann nachlesen kann:

'In der Welt der Archetypen sind Parolen, wie der Nationalsozialis­mus sie ausgab, absolut berechtigt: «Du bist nichts - dein Volk ist alles»; oder: «Ein Reich, ein Volk, ein Führer». Es sind herdenförmi­ge, zutiefst unpersönliche Weisen des Fühlens und Wahrnehmens, in denen sich die Archetypen widerspiegeln." 83

3.6.3.: Eisegese: "Den alten Fehler christlicher Eisegese bei der AT-In­terpretation in anderer Form wiederholen"? - auch diese Frage stellt Drewermann, was für sein kritisches Problembewußtsein spricht, selber 84. Verneint werden kann sie nicht. Zu offenkundig sind zahl­reiche psychologistische Interpolationen, die den Zugang zu den bibli­schen Individuen eher erschweren. Je weniger mir vorgeschrieben wird, was sie fühlten, dachten und empfanden, desto eher kann ich mich mit meinen eigenen Empfindungen mit ihnen identifizieren. Überhaupt: Woher will Drewermann wissen, Bathseba habe David veranlaßt, ihren Gatten Uria zu ermorden, um Königin werden zu können: "ein Bild der Skrupellosigkeit ... , das seinesgleichen sucht" (2 Sam 11) ? 85 Woher, die blutflüssige Frau (Mk 5, 24-33) habe an einem schweren Kastrationskomplex und an einem ödipalen Syndrom gelitten habe? Und woher, daß der Synagogenvorsteher Jairus (Mk 5, 22-24; 35 f.) seine Tochter überbehütet und nicht habe Frau werden lassen, was bei ihr zu einer "vagotonalen Reaktion" (Totstellreflex) geführt habe86 ?

In der. Tat: Über weite Passagen hinweg legt Drewermann psycholo­gische Interpretamente in biblische Individuen hinein und behandelt er den Text als symbolische Darstellung intrapsychischer Prozesse, sodaß man mit Fug und Recht von psychologistischer Eisegese sprechen kann. Zusätzlich kann sie als allegorisch bezeichnet werden, wofür Drewermann selber zitiert werden kann: Gegen Ende des 2. Bandes von »Tiefenpsychologie und Exegese« kommt er auf die Lehre des mehrfachen Schriftsinns zu sprechen, wonach ein Bibeltext zunächst wortwörtlich (sensus literalis), sodann als Darstellung eines hinter­gründigen Sachverhaltes (sensus allegoricus), schließlich als morali­scher Appell (sensus moralis) sowie als Impuls, sich zu Gott hin zu erheben (sensus anagogicus), ausgelegt werden müsse. "Gewisse ge­meinsame Anliegen und Berührungspunkte zwischen der alten Väter­exegese ... " - in der, angeregt zumal durch Philon von Alexandrien, die Allegorese zentral war - "und der tiefenpsychologischen Herme­neutik" ließen sich "nicht leugnen"87. Von Psychoallegorese kann infolgedessen durchaus die Rede sein.

83 TE I, 252. VgL Eugen Drew-erlYlann ilYl Gespräch lYlit HartlYlut Mees­lYlann (in H. MeeslYlann, Kirche und Glaube auf der Couch 1990, 39), w-o ersichtlich w-ird, daß er von dieser Ansicht Abstand genolYllYlen hat.

84 S 11, 146.

85 TE 11, 648.

86 Ebd. 284.

87 Ebd. 788 f.

84

Page 87: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

3.6.4. Wo 'Bind die Subjekte? Immer wieder insistiert Drewermann, sich auf Kierkegaard berufend, auf "das eigene Erleben, das subjektive Em­pfinden", auf "das Subjektive als die wesentliche Erkenntnisquelle, als das entscheidende Organ zum Verständnis des Vergangenen"8~ Be­sonders in seiner bitter polemischen Antwort auf Lohfink und Peseh, in der Streitschrift »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, bringt er die "wirklichen Menschen" eindringlich ins Spiel und plädiert er, "für die Art ihrer Beziehungen, für ihre Leiden und Konflikte, für ihre Hoffnungen und Verzweiflungen" besonderes Interesse zu zeigen89. Wo aber sind sie in seinen voluminösen Bänden zur psychologischen Exegese: die wirklichen Menschen? Wo ist die Mutter, die nach der Geburt ihres Kindes für die Parabel von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16), in denen den Arbeitern der letzten Stunde unverhofft und unverdient ein voller Tageslohn zu-fällt, ein neues, ein befreien­deres Verständnis findet? Wo ist der in einem streng katholischen Dorf aufgewachsene Fabrikarbeiter, der, nachdem er sich von der Ablaß- und Kuhhandelsreligiosität seiner Kindheit und Jugend befreit hat, das Gleichnis von den "Anvertrauten Talenten" (Mt 25, 14-30: Zwei Knechte vermehren das ihnen Anvertraute und werden belohnt, ein dritter vergräbt es und wird hart bestraft) nicht mehr hören kann, weil es für ihn gerade diese überwundene Mentalität beinhaltet: geben zu müssen, um bekommen zu dürfen?90 Aus der Auslegung Drewer­manns, wonach Mt 25, 14-30 ein Appell sei, "wir selber zu werden, -nicht mehr und nicht weniger", geht jedenfalls nicht ausreichend hervor, "welch eine Verwendung der heutige Leser für sein Leben mit dem Gleichnis verbinden könnte,,91. Dazu wäre es erforderlich, mit zahlreichen Zeitgenossen über dieses Gleichnis ins Gespräch zu kom­men und auf die subjektiven Auslegungen zu hören und sie entgegen­zunehmen, anstatt bei gleichzeitiger Berufung gerade auf die Subjekti­vität und den Einzelnen eine Deutung vorzuschreiben.

So muß denn gefragt werden: Worin besteht Subjektivität in der Exegese Drewermanns? Etwa in seiner eigenen? Sodaß es sich ähnlich verhalten würde wie bei seinem Gewährsmann C.G. Jung, der "persön­liche Mythen zu Völkermythen gerinnen" ließ?92 Ähnlich sieht dies jedenfalls der scharfblickende Pastoralpsychologe Joachim Scharfen­berg:

"Drewermann lädt nicht zum Gespräch ein, sondern er löst vorwie­gend Bewunderung aus, das verblüffte Staunen darüber, wie ein ein­zelner Mensch in der Lage sein kann, so vielfältige und auseinan­derstrebende Denkanstöße in der eigenen Seele zu integrieren. Er bietet sich seiner Lesergemeinde als grandioses Selbst-Objekt an, mit dem man durch die Lektüre verschmelzen kann, so etwas wie eine religiöse Erfahrung machen kann, sich an ein Sinnsystem über-

88 TE I, 57; vgl. auch 27.

89 F 69; vgl. auch TE 11, 636. 90 Beispiele aus Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990.

91 TE 11, 750, bzW'. 740.

92 Balrner, H.: Die Archetypentheorie 1972, 8.

85

Page 88: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

individueller Art angeschlossen wähnen kann, wiewohl man faktisch von keiner Einsamkeit erlöst ist. So wird er denn - gewollt oder ungewollt - zum Guru einer unspezifisch allgemeinen vagabundie­renden Religiosität in einem narzißtischen Zeitalter stilisiert, in dem die Angst vor der möglichen Selbstzerstörung alle anderen Affekte aufsaugt . .. 93

Der Einbezug der Sozialpsychologie einerseits, empirisch-psyologische Aufschlüsse darüber andererseits, wie Bibeltexte auf Menschen, die hier und heute leben, wirken, bilden zwei Schwerpunkte der nun folgenden Ausführungen.

93 Scharfenberg, J.:Pastoralpsychologische KOInpetenz von Seelsor­gern/-innen 1990, 143.

86

Page 89: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

4. Kapitel

"Niemand hat einen Geist, der ein­fach aus sich selber funktionierte, isoliert vom gesellschaftlichen Le­bensprozeß, aus dem er erwuchs" (George Herbert Mead 1934).

Auch biblische Gestalten sind soziale Wesen Sozialpsychologische Zugänge zur Bibel1

4.1. Auch Paulus reduzierte kognitive Dissonanzen Allenthalben kommt es vor, daß ein Automobilist erwägt, seinen alten Wagen zu verkaufen und sich einen neuen zuzulegen. Sobald er sich dazu entschieden und den Kauf getätigt hat, lassen sich Zweifel nur schwerlich vermeiden: "Hätte der alte Wagen nicht doch noch ge­taugt? Habe ich die richtige Marke gewählt?" Da aber diese einiges Geld kostete und der Kauf nicht mehr rückgängig zu machen ist, wird der Automobilist Argumente suchen und auch finden, die seine Ent­scheidung untermauern: Er wird den alten Wagen noch schlechter, den neuen noch besser finden.

Spielte sich ein vergleichbarer Vorgang nicht auch im Leben des Paulus ab? Ihm, der von sich selber schrieb, "als gesetzestreuer Jude gelebt" zu haben (Gal 1, 13), begegnete der Auferstandene, worauf er sich zum Evangelium bekehrte. Allerdings konnte er das jüdische Gesetz, das zuvor seine Identität verbürgt hatte, nicht zurücklassen wie eine Schlange ihre abgestreifte Haut; vielmehr hat er es dahinge­hend uminterpretiert, daß es im Vergleich zum Evangelium weniger plausibel und attraktiv wurde. Ein Beleg neben anderen ist 2 Kor 3,4-17, wo er schildert, wie Moses eine Hülle über sein Gesicht legte, damit die Israeliten "das Verblassen des Glanzes" (V. 13), der von der Begegnung mit Gott herrührte, nicht sahen. Dem gegenüber "spiegeln (die Diener des Neuen Bundes) mit enthülltem Gesicht die Herrlichkeit des Herrn wider ..... (V. 18 a). Der Entschluß, die angestammte Religion aufzugeben - womit er den Unmut, ja den Zorn der früheren Glau­bensgenossen auf sich zog -, um sich fortan an das Evangelium und an den Neuen Bund zu halten, scheint gerechtfertigt2 .

Die beiden Beispiele lassen an eine der berühmtesten Theorien der Sozialpsychologie denken, an die der "kognitiven Dissonanz", wie sie

1 Zitat aus Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft 1973, 266; Einfiihrungen in die Sozialpsychologie bieten neben den in Kap. 3 in Fußnote 77 genannten Autoren auch Frey, D. & Greif. S. (H.l: Sozi­alpsychologie. Ein Handbuch in Schliisselbegriffen 1983; West, G. & Wicklund, R.A.: Einfiihrung in sozialpsychologisches Denken 1985; Witte, E.H.: Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch 1989.

2 Vgl. dazu Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theolo­gie 1983, bes. 156-161.

87

Page 90: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Leon Festinger erarbeitete 3. Vereinfacht formuliert besagt sie, daß jeder Mensch dahin tendiert, sein kognitives System im Gleichgewicht zu halten, d.h. sogenannte kognitive Dissonanzen wie: "Ich fahre jeden Tag 60 km mit dem Wagen - Autofahren schädigt die Umwelt" auf­zulösen oder zumindest zu verringern (Dissonanzreduktionl. Das Ziel sind sogenannte kognitive Konsonanzen: "Ich fahre jeden Tag 60 km mit dem Wagen zur Arbeit, dafür habe ich mehr Zeit für die Kinder".

Vor allem Gerd Theißen und Walter Rebell haben die Theorie der kognitiven Dissonanz herangezogen, um bestimmte Vorkommnisse im Leben des Paulus und einzelne Aspekte seiner Theologie adäquater zu verstehen4 . Bezeichnenderweise befaßten sie sich mit der biblischen Gestalt, über die wir die meisten historisch mehr oder weniger abge­sicherten Informationen verfügen. Denn sowohl nach Theißen als auch nach Rebell ist eine rein psychologische Auslegung biblischer Texte weder statthaft noch möglich: "Wie weit die sozial psychologischen Auslegungen getrieben werden können, hängt vom Umfang und von der Aussagekraft des neutestamentlichen Belegmaterials ab" , hält Re­bell fest. Und Gerd Theißen, der in früheren Publikationen zumal die Gesichtspunkte der Soziologie in die Exegese eingebracht hat6 , stellt seinen "Psychologischen Analysen" zu ausgewählten Passagen aus den Briefen des Paulus gründliche "Text-" und "Traditions analysen" voran. Im Falle von 2 Kor 3,4-4,6 (Hülle über dem Gesicht des Moses, Vor­rang des Neuen Bundes vor dem Alten) erörtert er nicht nur die biographische Situation des Paulus zur Zeit der Niederschrift des Zweiten Korintherbriefes, konkret: seine Auseinandersetzung mit ein­zelnen Gruppierungen in der Korinther Gemeinde, die seine Legi­timität als Apostel in Zweifel zogen; auch bezieht er die Exegese von Ex 34, 29-35 mit ein, desgleichen religionsgeschichtliche und -verglei­chende Befunde zur Mosestradition 7. Dabei leitet ihn die Annahme, daß "die Untersuchung der historischen Situation zur psychologischen Analyse führt"8. Diese soll aber ihrerseits helfen, den historischen Kontext zu erhellen, sodaß die historisch-kritische Analyse und die psychologische Interpretation nicht nebeneinander herlaufen, geschwei­ge denn einander konkurrenzieren, sondern einander vielmehr bedingen und sich gegenseitig bereichern.

3 Festinger, L.: Theorie der kognitiven Dissonanz 1978; vgl. Frey, D.: Die Theorie der kognitiven Dissonanz 1978; Frey, D. & Benning, E.: Dissonanz 1983; West, S.G. & Wicklund, R.A.: Einflihrung in sozialpsy­chologisches Denken 1985, 81-92; Witte, E.H.: Sozialpsychologie 1989, 333-340.

4 Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie 1983; Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit. Eine sozialpsychologische Studie zu Paulus 1986.

5 Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, 102, vgl. auch 18-21.

6 Theißen, G.: Soziologie der JesusbeW"egung 1977; Studien zur Sozio­logie des Urchristentums 1979; in einfacherer, narrativer Form: Im Schatten des Galiläers. Historische Jesusforschung in erzählender Form 1986.

7 Theißen, G.: Psychologische Aspekte 1983, 132-142.

8 Ebd. 132.

88

Page 91: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Bevor näher auf die bereits greifbar gewordenen schwerwiegenden Unterschiede dieser (soziaDpsychologischen Bibelhermeneutik zu der bereits erörterten tiefenpsychologischen Auslegung eingegangen wird - nirgends wird über zeitlose innere Seelenlandschaften spekuliert, nirgends über mögliche frühkindliche Traumatisierungen im Leben biblischer Individuen gemutmaßt - soll die Relevanz der Theorie der kognitiven Dissonanz an weiteren Beispielen aufgezeigt werden; im Anschluß daran werden weitere Theoreme der Sozialpsychologie her­angezogen, die sich für die Exegese als hilfreich erweisen können.

Angelegt hat Rebell die Theorie der kognitiven Dissonanz auch auf die urchristliche Missionstätigkeit im allgemeinen, die des Paulus im besonderen. Selbstverständlich beanspruchte er nicht, damit die Erklä­rung für dieses ebenso komplexe wie beeindruckende Phänomen gelie­fert, sondern allenfalls ein Motiv neben zahlreichen anderen benannt zu haben 9 . Schon Festinger und Mitarbeiter beschrieben, wie die Kernmitglieder einer kleinen Sekte reagierten, als das Ende der Welt, wie es ihre Prophetin voraussagte, nicht eintraf: Nicht mit dem Ver­lust des Glaubens, sondern - im Gegenteil - mit einem erhöhten Bekehrungs- und MissionierungseiferlO. Sozialpsychologisch formuliert: Die Sektenmitglieder reduzierten die kognitive Dissonanz in der Form der "Addition neuer konsonanter Kognitionen"11, die darin bestanden, noch mehr Menschen bekehren zu müssen, bevor der verhängnisvolle Tag X über die Menschheit hereinbrechen wird. Einem vergleichbaren Problem sahen sich auch die Urchristen gegenübergestellt: Die erwar­tete Wiederkehr des Auferstandenen ließ auf sich warten (Parusiever­zögerung), mehrere Gemeindemitglieder waren schon entschlafen - und darauf reagierte nicht nur Paulus mit einer intensiveren Missionstätigkeit.

Vor allem die Beziehung des Paulus zur judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem war durch kognitive Dissonanzen geprägt12 . Für die Jeru­salemer war der frühere Christenverfolger Saulus zunächst eine suspek­te Figur; seine Heidenrnission wurde für sie, zumal als sie erfolg­reich zu werden begann, zum Problem. Paulus hingegen verfocht eine Theologie, die sich mit der der gesetzestreuen Judenchristen kaum auf einen Nenner bringen ließ. Da er aber die Jerusalemer-Gemeinde, weil sich in ihr zahlreiche Weggefährten Jesu befanden, zugleich als Auto­rität anerkannte, wurden auch in ihm kognitive Dissonanzen hervorge­rufen. Wie Rebell darlegt, wurden die beidseitigen kognitiven Disso­nanzen auf dem Apostelkonzil in Jerusalem zumindest teilweise redu­ziert, indem die beiden Parteien einander mit konsonantem kognitivem Material belieferten: Paulus und die Gemeinde in Antiochien erhielten die Anerkennung durch die Jerusalemer (Apg 15, 25 f.); Paulus hingegen verschonte sie mit seiner Gesetzeskritik, wie er sie beispielsweise in

9 Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, bes. 62 f .. Er stützt sich auf Gager, j.G.: Das Ende der Zeit und die Entstehung von Gemeinschaften 1979.

10 Festinger, L. et al.: When prophecy fails. A social and psychologi­cal study 1956.

11 Frey, D.: Die Theorie der kognitiven Dissonanz 1978, 245.

12 Zum folgenden: Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, 64 f.

89

Page 92: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Gal 2, 15 f. als auch für die Juden geltend deutlichst aussprach.

Eine weitere biblische Gestalt, deren Schicksal an die Theorie der kognitiven Dissonanz denken läßt, ist zwar historisch nicht greifbar, aber Symbolfigur für tausende von Menschen, speziell Juden bis auf den heutigen Tag: Hiob:

Wieviel habe ich an Sünden und Vergehen? Meine Schuld und mein Vergehen sag mir an! Warum verbirgst du dein Angesicht und siehst mich an als deinen Feind?

Diese Verse (Hiob 13, 23 f.) sind ein erschütterndes Beispiel für kog­nitive Dissonanz. Hiob, ein untadeliger und rechtschaffener Mann, der Gott fürchtete und das Böse mied 0,1), verliert nicht nur Hab und Gut, muß nicht nur den Tod seiner Söhne und Schwiegertöchter verschmer­zen, sondern wird darüber hinaus von Geschwüren entstellt und von seiner Frau verhöhnt. Gemäß der deuteronomistischen Vergeltungsvor­stellung (Dtn 28), wie sie ihm seine drei Freunde noch mitten in der Asche sitzend einschärften (bspw. 8,18; 11,14 f.), mußte er sein Unglück als die notwendige Folge von Verfehlungen deuten. Solcher aber war er sich nicht bewußt, konnte er sich nicht bewußt sein (10,7; 13,18).

Wie wurde - wenn überhaupt - diese kognitive Dissonanz reduziert, die Hiob geradezu zerriß? Zunächst durch "Subtraktion von dissonan­ten Kognitionen"13, konkret: durch die Absage an die Vorstellung, mit Gott ließe sich ein Rechtshändel austragen wie zwischen Menschen (bspw. 9, 32-35): dieses frühere Gottesbild sei - so Heinrich Groß in seinem Hiob-Kommentar - schon "längst zerbrochen; in seiner Not sucht er nach einem neuen Gott, ohne bisher auch nur dessen Kontu­ren zu sehen,,14. Sozialpsychologisch formuliert: Die Subtraktion dis­sonanter Kognitionen wird kompensiert durch die "Addition konsonan­ter Kognitionen", die in einem neuen Gottesbild bestanden, das jen­seits der menschlich-allzumenschlichen Vorstellung lag, Gott belohne und bestrafe den Menschen gemäß seinen Leistungen bzw. seinen Ver­fehlungen. Vielmehr wird Gott für Hiob zu dem, der die Erde gründe­te (38,4) und selbst die Bande des Siebengestirns knüpfte (38,31): er ist anders, unbegreiflich und geheimnisvoller als in der Sicht von Hiobs Freunden, die ihn in ihr Leistungs-Lohn-Kalkül verrechneten und deshalb seinen Zorn auf sich zogen (42,7),

Eine solche sozial psychologische Rekonstruktion des Buches Hiob (sowie der erwähnten Stellen bei Paulus) schließt eine theologische Interpretation selbstverständlich nicht aus. Sie akzentuiert aber das Menschliche (gerade auch in der Bibel), das spätestens seit der anth­ropologischen Wende der Theologie von der Rede über Gott nicht mehr getrennt werden kann. Insofern weisen (soziaDpsychologische und theologische Zugänge durchaus Schnittstellen und Berührungsflä­chen auf. Jedenfalls unterblieb es bei diesem kurzen psychologischen Blick auf Hiob, dogmatische Aussagen über Gott selber zu machen,

13 Frey, D.: Die Theorie der kognitiven Dissonanz 1978, 245.

14 Grass, H.: Ijob 1986, 41.

90

Page 93: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

wie wir ihnen zumal in Jungs »Antwort auf Hiob« reichlich begegne­ten: Gott sei in moralischer Sicht Hiob unterlegen etc. Vielmehr beschränkten wir uns darauf, zu zeigen, daß ein Mensch, wenn er mittels seines Gottesbildes die Schicksalsschläge, die ihn ereilen und sein Weltbild aus den Fugen werfen, nicht mehr sinnhaft deuten, geschweige denn bewältigen kann, zu einer neuen Sicht von Gott gelangen muß, um sein kognitives System wieder ins Gleichgewicht bringen und sinnhaft weiterleben zu können.

4.2. Paulus - Jerusalemer-Gemeinde - jüdisches Gesetz: Ein schwieriges Verhältnis

Eine weitere sozialpsychologische Theorie, die Rebell für ein vertief te­res Verständnis des Paulus herangezogen hat, ist die Balancetheorie des amerikanischen Psychologen Fritz Heider15. Er entwickelte sie un­ter Bezugnahme auf die Gestaltpsychologie, die sich aber in erster linie mit der menschlichen Wahrnehmung von unbelebten Objekten beschäftigt hatte (bspw. der Erkennung von Melodien), Heider trans­ferierte mehrere ihrer zentralen Erkenntnisse in den Bereich der inter­personalen Beziehungen, so das Gesetz der "Prägnanz", wonach "die Wahrnehmung jeder beliebigen Situation zur Kohärenz tendiert,,16.

Ein Beispiel: Ein Studienanfänger der Theologie, der aufgrund seiner religiösen Sozialisation in einer ländlichen Pfarrei der Innerschweiz über ein eher konservatives Verständnis von Theologie und Kirche verfügt, lernt an der Universität eine Basisgruppe kennen, in der die Lektüre von Befreiungstheologen und feministischen Theologinnen ebenso selbstverständlich ist wie die von Verfechtern der Kritischen Theorie. Da ihn diese Gruppe der Einsamkeit des Erstsemestrigen enthoben hat, ist er ihr gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt, wird aber wegen der von ihr favorisierten Theologie in ein Ungleich­gewicht geraten. Die Balancetheorie von Heider handelt nun genau da­von, wie ein Subjekt (in diesem Falle der Theologiestudent) seine Be­ziehung zu einer anderen Person bzw. Personen (Basisgruppe) sowie die Einstellung derselben zu einer dritten Person oder einem be­stimmten Sachverhalt (progressive Theologie) mit seiner eigenen Ein­stellung diesem Objekt gegenüber koordiniert. Üblicherweise werden solche Beziehungsgeflechte mit Hilfe eines Dreiecks veranschaulicht:

Basisgruppe

+

Theologiestudent

wobei: + positive Beziehung - negative Beziehung

+

progressive Theologie

15 Vgl. dazu Heider, F.: Psychologie der interpersonalen Beziehungen 1977; Stahlberg, D. & Frey, D.: Konsistenztheorien 1983, 214-216; Wert, S.G. & Wicklund, R.A.: EinfUhrung in sozialpsychologisches Denken 1985, 67-80; Witte, E.H.: Sozialpsychologie 1989, 326-332.

16 Wert, S.G. & Wicklund, R.A.: EinfUhrung in sozialpsychologisches Denken 1985, 69; vgl. dazu Wertheilner, M.: Untersuchungen zur Leh­re von der Gestalt 1923.

91

Page 94: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Im Falle unseres Erstsemestrigen ist dieses Beziehungsgeflecht nicht ausbalanciert. Dem Gesetz der Prägnanz 'gehorchend', dürfte auch er dazu tendieren, es auszubalancieren, was auf unterschiedliche Weise erfolgen kann: am ehesten indem er seine ursprüngliche Vorstellung von Theologie und Kirche preisgibt, sich das Vokabular der Kritischen Theorie und der Befreiungstheologie selber zulegt und beispielsweise auch die Kleidungsgewohnheiten der Kommilitonen übernimmt (was der Verfasser in seinem Studium in dutzenden Fällen beobachten konnte); möglich wäre für ihn aber auch, sich aus der Basisgruppe zurückzuziehen oder den - wohl nur wenig Erfolg versprechenden - Versuch zu unternehmen, deren theologische Einstellung in die sei­nige zu überführen.

Wie Rebell in gründlichen, auch historisch-kritisch abgesicherten Analysen gezeigt hat, liefen solche Prozesse auch im Leben des Paulus ab17. So war seine Einstellung der Gemeinde in Jerusalem gegenüber anfänglich sehr positiv, nicht aber die gegenüber dem jüdischen Gesetz als Heilsbedingung, wovon abzurücken die Jerusalemer aber nicht gewillt waren:

Jerusalem + +

Paulus jüdisches Gesetz

Gemäß der Balancetheorie gab es auch für Paulus mehrere Alterna­tiven, dieses konfliktträchtige Beziehungsgeflecht auszubalancieren, beispielsweise die, seine Kritik des Gesetzes als Bedingung für das Heil zurückzunehmen (womit er seine Theologie aber in ihrem Rük­kenmark getroffen hätte), Oder er hätte versuchen können, die Jeru­salemer davon zu überzeugen, daß Christus auch sie vom Gesetz freigekauft habe (Gal 4, 4f.; 2,16 u.ö.). Dies intendierte er zumal im Römerbrief, bei dessen Niederschrift er als implizite Leser bzw. Adressaten auch an die Jerusalemer dachte18, denen er die in Grie­chenland gesammelte Kollekte überbringen wollte (Röm 15, 25-28), Oder die Beziehung mit der Gemeinde in Jerusalem hätte endgültig zerbrechen können, was schließlich auch eintrat: Nach seiner Ankunft wurde er von den Römern verhaftet (Apg 21, 27-40), und die Mitchri­sten setzten sich für ihn nicht ein.

Ein weiteres Geflecht von Beziehungen im Leben des Paulus, das mit Heiders Balancetheorie plausibel rekonstruiert werden kann, ist die zu Aquila und Priscilla einerseits, die zu dem Weisheitslehrer und Prediger Apollos andererseits. Gemäß Apg 18, 1-3 war Paulus, ent­täuscht von Athen her kommend, in Korinth von dem jüdischen Ehe­paar Aquila und Priscilla wohlwollend aufgenommen und über mehrere Monate beherbergt worden (Apg 18, 1-3). Da aber das Zeltmacher­Ehepaar zu dem rhetorisch glänzend geschulten Weisheitslehrer Apol­los, den zahlreiche Korinther dem Paulus vorzogen (t Kor 1,12; 3,4),

17 Rebell, W.: GehorsaIIl und Unabhängigkeit 1986, 30-43, 83-87.

18 Vgl. Pesch, R.: RÖIIlerbrief 1983, bes. 7.

92

Page 95: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ebenfalls ein freundliches Verhältnis pflegte (Apg 18, 26), konnte er sich nicht leisten, offen gegen ihn Stellung zu beziehen, obgleich er seiner Weisheitslehre zurückhaltend, wenn nicht ablehnend gegenüber­stand (t Kor 2, 6 ffJ19.

Zahlreiche weitere interpersonale Konstellationen in der Bibel lassen sich ebenfalls in Heiders Balancetheorie einfügen: beispielsweise die zwischen Jonathan, seinem Vater Saul und seinem Freund David. An­fänglich waren sie folgendermaßen beschaffen:

Saul + +

Jonathan + David

Schließlich sahen sie wie folgt aus: Saul

Jonathan + David

Wiederum zeigt die sozialpsychologische Betrachtungsweise, daß die Menschen, von denen die Bibel erzählt, nicht als isolierte Individuen existierten; vielmehr standen sie in interpersonalen Relationen mit den ihnen eigenen menschlich-allzumenschlichen Gesetzmäßigkeiten und wurden in diesen, als was wir sie kennen.

Aus den insgesamt zehn sozialpsychologischen Theoremen, die Re­bell für seine Paulusstudie herangezogen hat20 , werden abschließend noch zwei kurz skizziert: Ein Segment der Kommunikationstheorie von Watzlawick, sowie die Theorie der psychologischen Reaktanz von Brehm.

4.3. Paulus redete anders mit Titus als mit Timotheus: Komplementäre und symmetrische Kommunikationsformen

Ein Schüler redet anders mit seinem Rektor als mit dem Banknach­barn; wenn er aber später selber Lehrer geworden ist, wird er sich mit seinem Rektor ähnlich unterhalten können wie früher mit dem Klassenkameraden. Aus diesem alltäglichen Beispiel werden zwei Grundformen von Kommunikation ersichtlich, die von Watzlawick als "komplementär" und "symmetrisch" bezeichnet wurden 21. "Symme­trisch" ist ein Kommunikationsablauf dann, wenn die Beziehung zwi­schen den Partnern auf Gleichheit beruht {Schüler zu Schüler, Rektor zu Rektor>; "komplementär" hingegen dann, wenn sie auf ungleichen Ebenen stehen (Rektor zu Schüler, Kultusminister zu Rektor). Kon­flikte entstehen zumal dann, wenn sich ein Interaktionspartner dem anderen gleichwertig fühlt, dieser aber nicht gewillt ist, dies anzuer­kennen, sowie dann, wenn ein Partner dem anderen vordergründig

19 Rebell, W.: GehorsaIll und Unabhängigkeit 1986, 83-86.

20 Ebd. 10. Selbstverständlich ist Illit der dort abgedruckten Liste nicht die Sozialpsychologie als ganze erfaßt.

21 WatzlaW"ick, P. u.a.: Menschliche KOIllIllunikation 1982, 68-70.

93

Page 96: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Gleichheit zugesteht (symmetrische Kommunikation), ihn aber in Tat und Wahrheit als ungleich bzw. niedriger einstuft.

Rebell hat das anskizzierte sozialpsychologische bzw. kommunikati­onstheoretische Konstrukt für die Analyse der Interaktion des Paulus mit seinen unterschiedlichen Bezugspersonen bzw. -gruppen herange­zogen 22. So war anfänglich die Kommunikationsform mit der Ge­meinde in Jerusalem zweifellos komplementär. Zwar lobten die "Chri­sten in Judäa", wie Gott an Saulus gehandelt hatte (Gal 1,24); dennoch konnten sie ihn, der früher "maßlos ... die Gemeinde Gottes verfolgte und zu vernichten suchte" (Gal 1,13), nicht als gleichrangig einstufen, soweit er ihnen überhaupt bekannt war (Gal 1, 22). Nachdem aber seine Missionstätigkeit in zahlreichen, blühenden Gemeinden ihre Früchte trug - mit denen er komplementär, d.h. als Gemeindegründer und Apostel kommunizierte -, drängte sich eine Veränderung des Kommunikations­modus mit Jerusalem auf. Eine solche bezeichnete Watzlawick als "Kali­brierung" von Beziehungssystemen, die dann notwendig wird, wenn sich der Status eines Interaktionspartners grundlegend verändert 23.

Aus dem anfänglich suspekten Paulus war der von vielen Gemeinden als Autorität anerkannte Apostel geworden, dem schließlich auch die Jerusalemer ihre Achtung zollen mußten, indem sie anstelle der kom­plementären Beziehungsform eine symmetrische zuliessen. Damit aber war die Gefahr nicht gebannt, den Apostel aus Tarsos wieder in die Rolle eines komplementären Interaktionspartners zurückzudrängen 24.

Auch bei den Beziehungen des Paulus zu seinen Mitarbeitern be­währt sich die Unterscheidung zwischen symmetrischer und komple­mentärer Kommunikation25. Timotheus gegenüber, den er sogar "tek­non" (Kind) nannte (Phil 2, 22), verhielt er sich "komplementär" bzw. wie ein Vater zu seinem Kinde, woran sich trotz längerer Zusammen­arbeit nichts ändern sollte. Anders bei Titus, den er, obgleich unbe­schnitten, an das Apostelkonzil nach Jerusalem mitnahm: aus ihm wurde ein dem Paulus durchaus ebenbürtiger Mitarbeiter, den Paulus bezeichnenderweise nicht als "teknon" ansprach, sondern vielmehr als "Bruder" (2 Kor 2,13), was auf eine symmetrische Kommunikationsform schließen läßt. Spannungsreicher hingegen war die Beziehung zu Bar-

22 Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, 44-52: Paulus und Jerusalern; 76-83: Paulus und Mitarbeiter; 131-134: Paulus und seine Gemeinden.

23 Watzlaw-ick, P., U.a.: Menschliche Kommunikation 61982, 135 f.

24 Dazu Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, bes. 49 -52, w-o er darauf hinw-eist, daß Paulus mit seiner Kollekte an Jerusa­lern, für die er geradezu leidenschaftlich aufrief (2 Kor 8 und 9), auch bezw-eckt haben könnte, das frühere Verhältnis umzukehren und die Jerusalemer in die Rolle komplementärer Kommunikations­partner zu drängen. Anscheinend reagierten diese darauf mit Reak­tanz, d.h. damit, ihre bedrohte Freiheit (w-er bezahlt, der hat das Sagen) aufrechtzuerhalten, indern sie die Kollekte nicht annahmen. Zur sozialpsychologischen Theorie der Reaktanz: Gniech, G. & Grabitz, H.J.: Freiheitseinengung und psychologische Reaktanz 1978; vgl. auch Abschnitt 4.4.

25 Rebell, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit 1986, 76-83.

94

Page 97: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

nabas, der nach Auskunft von Apg 11,25 f. Paulus in Tarsus aufsuchte, um ihn in die Gemeinde von Antiochien einzuführen, und ihm gleich­sam als Mentor zur Seite stand (komplementäre Kommunikations­form) . Als Paulus sich aber als gleichermaßen erfolgreicher Missionar zu erweisen begann, kam zwischen ihnen eine symmetrische Bezie­hungsform zustande, die aber wieder zu zerbrechen drohte, als der frühere Schüler weit mehr erreichte als der einstige Lehrer: "Der für die neue Beziehungsform typische schismatische Konflikt" stellte sich ein26: Barnabas schlug sich in Antiochien auf die Seite der gesetzes­treuen Juden, verweigerte - zumindest für eine gewisse Zeit - die Gemeinschaft mit den Heidenchristen (Gal 2, 11) und verwarf damit die Theologie des früheren Schülers in ihrem Kern.

Noch und noch begegnen in der gesamten Bibel Stellen, die an diese Unterscheidung der Kommunikationsformen denken lassen. Eines der eindrücklichsten Beispiele findet sich in der Abschiedsrede Jesu im Johannes-Evangelium:

Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; ich habe euch Freunde genannt, weil ich euch alles ge­offenbart habe, was ich von meinem Vater gehört habe Uoh 15, 15).

Prägnanter kann der Wechsel von einer komplementären Kommunika­tionsform zu einem an sich wünschenswerten symmetrischen Bezie­hungsmodus, wie er Jesu letztem Willen - zumindest nach Johannes -zu entsprechen scheint, kaum umschrieben werden.

4.4. Eine Bitte des Paulus kann Befehl sein: Die Theorie der Reaktanz

Wenn in einem Supermarkt Konsumenten freundlich der Rat gegeben wird, eine Brotsorte x zu kaufen ("please try") , werden viele von ih­nen dies auch tun; wenn sie aber färmlich dazu gedrängt werden ("you are going to buy") , werden sie sich mehrheitlich wehren und sich für eine andere Sorte entscheiden 27. Sozialpsychologisch gespro­chen: Auf die Einengung der freien Wahlmäglichkeit reagieren sie mit "Reaktanz", die in der neueren Sozialpsychologie zu einem bedeutsa­men Konstrukt avancierte und in zahlreichen, unterschiedlich angeleg­ten Experimenten überprüft wurde 28. Die zentralen Annahmen der Reaktanztheorie besagen, daß Menschen die Freiheit haben, bestimmte Entscheidungen zu treffen und die entsprechenden Handlungen auch auszuführen, und daß sie auf Einengungen dieser Freiheit mit einem "motivationalen Zustand (reagieren), die verlorene oder bedrohte Frei­heit wiederherzustellen"29.

26 Ebd. 78. 27 Weiner, ]. & Brehtn, ].W.: Buying behavior as a function of verbal

and tnonetory inducetnents 1966.

28 Brehtn, ].W.: Responses to loss of freedotn: A theory of psycholo­gical reactance 1972; SekundärdarsteUungen: Gniech, G. & Grabitz, H.].: Freiheitseinengung und psychologische Reaktanz 1978; Gniech, G. & Dickenberger, D.: Reaktanz 1983; West, S.G. & Wicklund, R.A.: Einführung in sozialpsychologisches Denken 1985, 251-262.

29 Gniech, G. & Grabitz, H.].: Freiheitseinengung und psychologische Reaktanz 1978, 30.

95

Page 98: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Sogleich mag eingewandt werden, die Reaktanztheorie sei ein Epi­phänomen der an den Leitvorstellungen Autonomie und Individualismus orientierten okzidentalen Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhun­derts und könne infolgedessen nur schwerlich auf die Bibel angewandt werden. Ohne bestreiten zu wollen, daß auch sozialpsychologische Theorien die Kinder ihrer Zeit sind und von soziokulturellen und soziohistorischen Faktoren beeinflußt werden: Reaktanz läßt sich auch im Leben von biblischen Individuen aufweisen und scheint ein allge­meines menschliches Phänomen zu sein. Der Weisheitslehrer Apollos, von dem bereits verschiedentlich die Rede war, hatte offensichtlich vor, sich wieder nach Korinth zu begeben, wo viele Anhänger auf ihn warteten. Auch Paulus bat ihn, diese Reise zu tun (Röm 16, 12) - mit dem Effekt, daß Apollos die Reise gerade nicht antrat: "Durch das Eingreifen des Paulus wurden die Tendenzen des Apollos für die Korinthreise nicht etwa gestärkt, sondern im Gegenteil gemindert. Wäre er jetzt gereist, hätte er es Paulus zuliebe getan (oder um Pau­lus zu gehorchen) und nicht aus freien Stücken,,30.

Reaktanz tritt auch auf, wenn - wie in der Bibel häufig beschrieben - Menschen eine Berufung erfahren, ja in vielen Fällen geradezu erlei­den. Eine solche wird zunächst als Einschränkung der Wahlfreiheit empfunden und ruft eine Gegenreaktion hervor, bei Jeremia beispiels­weise die, sich für die Heiligung zum Propheten für zu jung zu halten Uer 1, 6>' - Zugegeben: solche Interpretationen müssen sich mit dem Status von bloßen Mutmaßungen begnügen. Auch beanspruchen sie in keiner Weise, das Wesen der Berufung weder in psychologischer Hin­sicht, geschweige denn theologisch hinreichend erfaßt zu haben. Den­noch vermögen solche Analysen zu zeigen, wie menschlich-allzu­menschlich auch die prägenden Figuren der Urkirche (Apollos) sowie die Gestalten der Bibel gehandelt haben. So können sie uns, die wir vielfach in gleicher Weise empfindlich auf Einengungen unserer Frei­heit zu reagieren pflegen, viel näher kommen, als wenn wir ihnen in abgehobenen und überidealisierenden Darstellungen begegnen, wie sie gerade zu Paulus reichlich vorliegen.

4.5. Warum sich Barnabas auf die Seite der anderen begab? Die Attributionstheorie

Wir alle sind Psychologen, zumindest Alltagspsychologen. Auch die Exegeten sind es, und die biblischen Gestalten und Autoren, mit de­nen sie sich beschäftigen, waren es nicht weniger. Diese These ent­spricht einer Grundannahme über den Menschen, auf der die soge­nannte "Attributionstheorie" aufbaut, wie sie von Fritz Heider initiiert und von zahlreichen Sozialpsychologen weiter entwickelt und ausdiffe­renziert wurde31. Das Subjekt sei generell dazu motiviert, "beobacht-

30 Rebell, W.: GehorsaIll und Unabhängigkeit 1986, 92. 31 Heider, F.: Psychologie der interpersonalen Beziehungen 1977; vgl.

auch Meyer, U.W. & SchIllalt, H.D.: Die Attributionstheorie 1978; Herkner, W. (Hg.): Attribution - Psychologie der Kausalität 1980; Witte, E.H.: Sozialpsychologie 1989, 300-324.

96

Page 99: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

bare Ereignisse auf zugrundeliegende Ursachen zurückzuführen" 32. Ursache-Wirkungszusammenhänge herzustellen zeichnet in der Tat den Menschen als Menschen aus; er bedarf einer "gedeuteten Welt".

Ohne die verschiedenen Richtungen innerhalb der Attributionstheorie im einzelnen zu entfalten: Auch die Bibel schildert hin und wieder, wie Menschen - mit Heider gesprochen - sich nicht damit zufrieden geben, "das in (ihrer) Umgebung Beobachtbare einfach zu registrieren", sondern vielmehr ein Bedürfnis haben, dieses "auf die Invarianzen (ihrer) Umgebung zurückzuführen"33. Wie erklärte sich Paulus bei­spielsweise, daß Barnabas sich in der Gemeinde von Antiochien auf die Seite der Judenchristen schlug und die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen verweigerte, was ihn schwer getroffen zu haben scheint. Mit dem Beispiel "anderer Juden" (Gal 2, 13)! Offensichtlich wandte Paulus eine 'implizite' psychologische Imitationstheorie an, wonach das Verhalten von Menschen in besonderem Maße durch Ver­haltensmodelle anderer Personen beeinflußt wird. Damit wurde Barna­bas, dem Paulus in der Frühzeit seines Wirkens viel zu verdanken hatte, gleichsam entlastet und ihre mittlerweile problematische Bezie­hung nicht noch weiter strapaziert. In der Tat neigen wir dazu, Per­sonen, die wir gern mögen, für ihre Fehler weniger selber verantwort­lich zu halten als solche, die wir ablehnen.

Attributionen werden unter anderem danach unterschieden, ob eine Person die Ursache für ein bestimmtes Verhalten bei sich selber sucht (interne Attribuierung) oder diese in der Umwelt verortet und damit von sich selber wegattribuiert (externe Attribuierung). Relevant ge­worden ist diese Unterscheidung besonders in den attributionstheore­tischen Konzeptionen des Handeins in Leistungssituationen 34. So führen einzelne Subjekte allfälliges Versagen eher auf eigene Unzu­länglichkeiten und Fehler zurück, andere hingegen lasten dies eher den Umständen an, sei es dem Schwierigkeitsgrad der gestellten Anforde­rungen, sei es Faktoren wie Witterungs einflüssen etc.35

Fremdattribuierung begegnet auch in der Bibel: Adam schiebt die Schuld auf Eva, diese wiederum auf die Schlange (Gen 3, 12 f.). Eine Aufgabe der alttestamentlichen Propheten kann - sozialpsychologisch - nebst anderem darin gesehen werden, das Volk Israel zur Einsicht zu bringen, daß es für die Katastrophen, die es immer wieder erleiden mußte, selber auch verantwortlich ist. In der Terminologie der Attri-

32 Meyer, W.Z. & Schmalt, H.D.: Die Attributionstheorie 1978, 100.

33 Heider, F.: Die Psychologie der interpersonalen Beziehungen 1977, 54. So auch die Sicht des Exegeten Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie 1983, 50: ..... wir sind immer schon beschäftigt, eigenes und fremdes Erleben zu ·erklären···.

34 Dazu Witte, E.H.: Sozialpsychologie 1989, 307-309.

35 Diese Unterscheidung läßt an ein weiteres (soziaOpsychologisches Konstrukt denken, den sogenannten "locus of contraI", der entwe­der "interna!"' ist (das Subjekt fühlt sich für sein Schicksal selbst verantwortlich), oder dann "external" (die Person fühlt sich kaum beeinflußbaren Gegebenheiten ausgeliefert>. Dazu Rotter, J.B.: So­cial learning and clinical psychology 1954.

97

Page 100: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

butionstheorie: Die Propheten bemühten sich auch darum, die Attribu­tionen, mit denen Israel seine Schicksalsschläge erklärte, dahingehend zu modifizieren, daß aus Fremdattributionen Selbstattributionen wur­den.

"Naiv psychologisches Wissen", das für Heider die Grundlage für die systematische Untersuchung zentraler Fragen der Sozialpsychologie sein sollte36, begegnet aber auch in der Bibel nicht nur in der Form von Kausalattribuierungen, sondern auch im Spruch- und Weisheitsgut. In diesem Rahmen kann aber nicht versucht werden, die impliziten bzw. naiv psychologischen Theorien, die in dieses eingegangen sind, vollumfänglich zu rekonstruieren. Ebenso bekannt wie verfemt ist die implizite Pädagogische Psychologie in den Sprüchen Salomos (13, 24):

Wer die Rute spart, haßt seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht.

Hinter diesen Versen, in deren Namen Kindern über Jahrhunderte hinweg Leid und Schmerz zugefügt wurde37, steht offensichtlich die Auffassung, daß Kinder nur mittels extrem negativer Verstärkung (ein Theorem der behavioristisch orientierten Lerntheorien38 ) zu einem angemessenen Verhalten konditioniert werden können. - Noch und noch enthält die Bibel implizite psychologische Theorien, seien es solche, die der Persönlichkeits psychologie zugeordnet werden können, der Angewandten oder Klinischen Psychologie. Auch die von der Psycho­pathologie beschriebenen psychischen Störungen und seelischen Leiden finden sich in der Bibel, beispielsweise somatoforme Störungen, die zu zeitweiliger Taubheit und Blindheit führen können (Mt 12, 22), oder die Depression, woran Saul gelitten haben könnte39. Dies kann des­halb nicht erstaunen, weil die Verfasser der Bibel Menschen waren, die im Verlaufe ihres Lebens alltagspsychologisches Wissen übernah­men bzw. solches neu konstruierten und in ihrer menschlichen End­lichkeit nicht davor gefeit waren, von psychischen Leiden überwältigt zu werden, die entsprechend dem damaligen Weltbild dämonischen Mächten angelastet wurden 40.

4.6. WUrdigung und Grenzen sozialpsychologischer Zugänge zur Bibel

Verglichen mit der Flut an Publikationen zur tiefenpsychologischen Exegese sind exegetische Studien, die die Sozialpsychologie berück­sichtigen, eine verschwindende Minderheit. Eine andere Frage aber ist die nach ihrer Qualität bzw. Validität. Sie scheint mir aus zumindest zwei Gründen höher zu liegen:

36 Heider, F.: Die Psychologie der interpersonalen BeZiehungen 1977, 18.

37 Vgl. bspW'. Mallet, C.H.: Untertan Kind. Nachforschungen Uber Er-ziehung 1990, bes. 36.

38 Vgl. Lefrancois, G.R.: Psychologie des Lernens 21986, 46-48.

39 Vgl. dazu Hole, G.: Der Glaube bei Depressiven 1977, 1S f.

40 Vgl. dazu Langegger, F.: Doktor, Tod und Teufel 1983, 123-126.

98

Page 101: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

1. Sozialpsychologische Studien über biblische Texte bemühen sich in aller Regel, die Befunde der historisch-kritischen Exegese nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auf ihnen aufzubauen. Vor der psychologischen Analyse steht jeweils der Versuch, die soziohistori­sehen und soziokulturellen Kontexte zu rekonstruieren, in denen biblische Individuen lebten, und aus denen die biblischen Texte hervorgingen. Diese Erkenntnisse werden bei der Analyse der psy­chologischen Aspekte, die so oder so der Geschichtlichkeit unter­worfen sind, in Rechnung gestellt. Insofern vermag gerade Sozial­psychologie die historische Situation, die Handlungsweisen von bi­blischen Gestalten sowie die Überlieferungs prozesse zu erhellen. Psychologische Exegese dieser Art erweist sich als integraler me­thodischer Bestandteil historisch-kritischer Exegese, in der ohnehin ein Methodenpluralismus herrscht und eine Vielzahl unterschiedli­cher Theorien zugelassen wird. So kommt es auch nicht zu einer polemischen Polarisierung, wie sie, niemandem wirklich dienend, breit ins Alltagsbewußtsein nicht nur von Theologen und Studen­ten eingesickert ist, sondern auch in das von theologisch interes­sierten Laien.

2. Sozialpsychologische Exegese in der anskizzierten Weise hat der tiefenpsychologischen Exegese weiter voraus, daß der wissen­schaftstheoretische Status der herangezogenen Theorien über dem der (meisten) tiefenpsychologischen Konstrukte steht. In aller Regel wurden sie wiederholt der empirischen Überprüfung ausgesetzt, kritisch auf die Validität ihrer zentralen Konstrukte geprüft und dabei fortlaufend verfeinert. Zur Theorie der Kognitiven Dissonanz, wie sie in diesem Kapitel auch auf Paulus angelegt wurde, liegen mittlerweile mehr als 1000 Untersuchungen vor 41, nur unwesent­lich weniger zur Attributions- und der Reaktanztheorie .

Dennoch dürfen die Grenzen sozialpsychologischer Exegese nicht übersehen werden. Eine erste ist dadurch gegeben, daß ein sozialpsy­chologischer Zugang zu einem biblischen Individuum oder Ereignis nie mehr als ein Zugang neben anderen sein kann; der psychologischen Komplexität wird er nicht völlig gerecht. So sagt beispielsweise die Balancetheorie nichts darüber aus, ob und gegebenenfalls wie sich menschliches Beziehungsverhalten im Verlaufe der Entwicklung verän­dert. Auch die Attributionstheorie bedürfte der Ergänzung durch die Entwicklungspsychologie42 . Und nur aufgrund der Reaktanztheorie wissen wir nichts über die psychodynamischen Prozesse, die im Unbe­wußten einer Person ablaufen, wenn sie sich eingeengt fühlt und Re­aktanz zeigt.

Genau aus diesem Grunde hat Gerd Theißen in seiner bereits ge­nannten Studie zu den psychologischen Aspekten paulinischer Theolo­gie gefordert, verschiedene psychologische Ansätze heranzuziehen, kon­kret: "lerntheoretische, psychodynamische und kognitive Modelle"43.

41 Cooper, J. & Fazio, R.H.: A neW' look at dissonance theory 1984. 42 Fincham, F.D.: Developmental dimensions of attribution theory 1983.

43 Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie 1983, 13.

99

Page 102: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Ob und inwieweit damit das Spektrum der Psychologie in seiner Breite hinreichend abgedeckt ist, mag hier dahingestellt bleiben, desgleichen, ob - wie von Theißen gefordert - die berücksichtigten psychologischen Theoriebündel in der Tat in eine "hermeneutische Integration" gebracht werden können. Denn: zwischen der Archetypenlehre C.G. Jungs und klassisch behavioristischen Lerntheorien in der Tradition von Skinner und Watson liegen Welten. Nichtsdestoweniger besticht die Arbeit von Theißen deswegen, weil ein psychologischer Zugang zur Bibel nicht mit der Anwendung einer psychologischen Disziplin (beispielsweise Tiefenpsychologie) auf biblische Texte gleichgesetzt wird. Rebell kann nur beigepflichtet werden, wenn er Theißens Buch als einen "Wende­punkt in der Forschungsgeschichte" würdigt und als besonderes Ver­dienst hervorhebt, nicht "naiv Tiefenpsycholofie oder Psychoanalyse für Psychologie schlechthin gehalten" zu haben 4.

Eine weitere Beschränkung sozialpsychologischer Zugänge zur Bibel ist insofern gegeben, als solche Theorien das Durchschnittliche, das Menschlich-Allzumenschliche erfassen. Wenn dadurch das Menschliche auch in der Bibel deutlicher gesehen werden kann, ist dies gewiß positiv. Aber: Gerade die Bibel erzählt auch das Andere, das Unerhör­te, das vielfach Unverständliche, das sich sozialpsychologisch ermit­telten Regel- bzw. Mittelmäßigkeiten entzieht. Jesu Ruf in die Nach­folge, der die Fischer veranlaßte, ihre Netze einfach liegen zu lassen (bspw. Mt 4, 18-22) - dieses Vorkommnis dürfte mit den üblichen sozialpsychologischen Theorien, beispielsweise der der Kognitiven Dis­sonanz, schwerlich hinreichend zu erklären sein. Denn: Zog dieses Verhalten kognitive Dissonanzen nicht gerade nach sich? Gibt es nicht auch biblische Individuen, die kognitive Dissonanzen gerade nicht zu reduzieren trachteten, sondern solche sogar steigerten, zumindest aber ertrugen und aushielten? Das gleiche gilt für die Heidersche Balance­theorie: Jesus war keineswegs daran gelegen, alle Beziehungsgeflechte, in denen er stand, auszubalancieren, beispielsweise das zu den Phari­säern. Auch das Verhalten etwa eines Jeremia (und anderer Propheten) läßt sich mit den gängigen sozialpsychologischen Theorien nicht hin­reichend erklären, beispielsweise sein mutiges Auftreten vor den Obe­ren in Jerusalem (Jer 38), die ihn schließlich in eine mit Schlamm gefüllte Zisterne werfen ließen. Es bleibt ein ungeklärter und sozial­psychologisch letztlich nicht einholbarer Rest.

Mehrere sozialpsychologische Theorien unterstellen jedem Menschen, auch Psychologe, zumindest Alltagspsychologe zu sein. Nun scheint es an der Zeit, auf psychologisch analysierbare Prozesse einzugehen, die sich bei der Rezeption und Deutung biblischer Texte bei heutigen Menschen abspielen dürften.

44 Rebell, W.: Psychologisches Grundwissen fUr Theologen 1988, 231.

100

Page 103: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Zweiter Teil

ZUR PSYCHOLOGIE

DER DEUTUNG BIBLISCHER TEXTE

101

Page 104: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)
Page 105: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

''Denn jeder ist als Mensch und Christ Theologe" (Karl RahnerL

5. Kapitel

Ohne aktive Subjekte geht es nicht Alltagspsychologie und Psychologie der Textverarbeitung

5.1. Jeder ist Psychologe - und Theologe! Ein Kind hört Mt 25, 14-30: Ein Hausherr überreicht seinen drei Knechten eine unterschiedliche Anzahl Talente und verreist für längere Zeit; zwei vermehren sie durch kluge Geschäfte, der dritte vergräbt es aus Furcht. Der Herr kehrt wieder und rechnet ab; die beiden ersten belohnt er reichlich, den dritten verstößt er unbarmherzig. "Das darf man doch nicht, so streng schimpfen!" antwortete es im Rahmen einer empirisch-entwicklungspsychologischen Untersuchung1 .

Obgleich schon oft psychologisch gedeutet, von Drewermann wie von Kassel2 - die anskizzierte Deutung ist eine originelle und eigen­ständige Leistung des Kindes, die den Befrager überraschte. Gerade die Prozesse, die im Kinde abliefen, als es diese Deutung hervorbrach­te, können, ja müssen Gegenstand auch psychologischer Analyse sein. "Zur Psychologie der Deutung biblischer Texte" ist grundlegender als "psychologische Deutungen biblischer Texte" (Teil 1): denn solche sind immer schon darauf fundiert.

Insofern der Inhalt dieses zweiten Teiles aus 'Exegesen' besteht, wie sie von Personen, die hier und heute leben, entwickelt werden, stellt er einen Beitrag zu neueren Forschungsansätzen innerhalb der Psycho­logie dar, die sich mit den Alltags- bzw. subjektiven Theorien von Menschen beschäftigen. Diese beeinflussen, wie die Lebenswelt wahr­genommen wird, wie Alltagssituationen definiert werden und bestim­men auch das Handeln mit. Initiiert wurde dieses Forschungsprogramm unter anderem von dem amerikanischen Psychologen George A. Kelly: "Könnte es nicht eher sein, daß sich der einzelne Mensch, jeder auf seine persönliche Weise, eher wie ein Wissenschaftler verhält, der immer den Lauf der Dinge, in die er verwickelt ist, vorherzusagen und zu kontrollieren versucht?,,3 . Kelly bejahte diese Frage und konkreti­sierte seine "Psychologie der persönlichen Konstrukte" im Bereich der Psychotherapie. Für deren Verlauf ist es jeweils nicht unerheblich,

1 Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, bes. 109 f., 153.

2 DreW"errnann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese 11, 1985, 746 - 753: "Das Hauptanliegen" der Parabel bestehe darin, sich nicht auf die Angst zuriickzuziehen, sondern "W"ir selber zu W"erden"; ähnlich Kassel, M.: Tiefenpsychologische Auslegung 1983.

3 Kelly, G.A.: Die Psychologie der persönlichen Konstrukte 1986, 19.

103

Page 106: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

welche subjektiven Theorien ein Klient über sein Leiden und den Be­handlungsprozeß erarbeitet hat. 4

Subjektive Theorien eröffnen der Wissenschaft nicht nur neue 'Ar­beitsfelder'. Befruchtend können sie zu neuen Fragestellungen führen und der Wissenschaft Bereiche erschließen, die sie bisher übersehen hat. Vor allem relativiert dieses Forschungsprogramm die strikte Unterscheidung zwischen Wissenschaftler und Laie, bzw. zwischen Subjekt und Objekt der Forschung. Den sogenannten "dialogischen Forschungsmethoden" verpflichtet, nimmt es jeden Menschen als Dialogpartner und als Person ernst, "die sich in einer ihr eigentümli­chen Weise mit der historischen und kulturellen Situation auseinan­dersetzt" 5. Damit wird dieser Ansatz auch für die theologische Anth­ropologie bedeutsam. Erinnert er nicht an ein Rahnerwort, von dem zu wünschen wäre, allgemein bekannt zu sein:

"Denn jeder ist als Mensch und Christ Theologe. Denn Theologie ist schließlich nur die umfassende und oberste Bemühung um das re­flexive Verständnis unserer selbst, dessen, was wir als Menschen und Christen notwendig sind. Und darum gibt es eigentlich in der Theologie keine saubere Grenze zwischen Fachleuten und Dilettan­ten. Jeder ist in gewissem Maße aufgerufen, Theologe zu sein."6

Das Paradigma der subjektiven Theorien kann damit aus der Psycho­logie in die Theologie und auch in die Exegese transferiert werden. Jeder Christ ist berufen, die Bibel auszulegen; keiner ist gehalten, sich vorgefertigte Auslegungen vorschreiben oder sogar indoktrinieren zu, lassen. Der Frage, was bedeutet dieses Wort Christi, diese Periko­pe, dieser Psalm in meiner/unserer Lebenssituation, muß Raum gege­ben werden, wenn das Wort der Bibel zu einem Wort des Lebens werden soll. 7 "Man muß" - so wiederum Karl Rahner " ... doch sein eigenes Leben mit all seiner dunklen und hellen Vielfalt in die Schriftlesung einbringen". 8

Damit wird nicht behauptet, eine 'subjektive' Auslegung sei mit einer wissenschaftlichen identisch. Auch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion der Alltagspsychologie werden Alltags- und wissenschaft-

4 Vgl. Thommen, B.: Alltagspsychologie von Lehrern über verhaltens­auffällige Schüler 1985, v.a. Teil I: eine profunde Einführung in den Begriff der Alltagspsychologie; W"ichtig ist auch Groeben, N. & Scheele, v.: Argumente für eine Psychologie des reflexiven Subjekts 1977, W"O ein "ParadigmaW"echsel vorn behavioralen zum epistemologi­schen Menschenbild" gefordert W"ird.

5 SOIDIDer, J.: Dialogische Forschungsmethoden 1987, hier 379.

6 Zit. aus Schmid, M.: Theologische Kurse für Laien 1990, 154.

7 Egger, R. u.a. (Hg.): Die Bibel lebt 1986, 21: "Den Laien ist deshalb ein Zugang zu biblischen Texten zu eröffnen, W"O sie selbständig, aufgrund ihrer eigenen Erfahrung, Gottes Anrede für sich, ihren Le­benskreis und ihre GeIDeinde entdecken können". - Allerdings stößt diese Position, für die - W"ie W"ir noch sehen W"erden - geW"ichtige psychologische Gründe sprechen, nicht iIDmer auf Beifall: vgl. bspW". Ratzinger, J.: Die Krise der Katechese 1983, bes. 21 f., W"O diesbe­züglich von "theologischem EmpirisIDus" gesprochen W"ird.

8 Rahner, K.: Praxis des Glaubens 1982, 160.

104

Page 107: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

liche Theorien unterschieden. Erstere sind weniger konsistent, weniger explizit, weniger verallgemeinerbar, auch ist ihre Begrifflichkeit zu­meist weniger präzise 9. Aber die beiden Formen von Theorien werden deshalb nicht als unverträglich auseinandergehalten: Alltagstheorien, wie sie zumeist in den täglichen Nöten des Lebens entstehen, von dem die Wissenschaft oftmals weit entfernt ist, können später in die­se eingehen. Genau dies ereignete sich auch in der Exegese: Das befreiende Potential der Bibel wurde weniger in den exegetischen Se­minarien der Universitäten entdeckt als vielmehr dort, wo Unter­drückte, Erniedrigte und Beleidigte, in den kurzen Atempausen ihres geschundenen Lebens, damit begannen, die Bibel zu lesen und auszu­legen 10. Umgekehrt sind Alltagstheorien - auch im theologischen und exegetischen Bereich ihrerseits abhängig von wissenschaftlichen Theorien, die - vielfach mit Substanzverlust - ins alltägliche Wissen einsickern. Ein treffendes Beispiel ist die (Tiefen-) Psychologie: ihre zentralen Begriffe wie "Verdrängung", "Unbewußtes", "Sublimation" gehören mittlerweile zum Alltagsvokabular.

Wenn im folgenden versucht wird, subjektive Exegesen hier und heute lebender Menschen nach psychologischen Gesichtspunkten zu reflek­tieren, braucht es - wie schon in Teil 1 - psychologische Referenztheorien. Aber diese werden nicht mehr auf biblische Gestalten und Ereignisse angelegt, sondern vielmehr darauf bezogen, was die Inhalte der Bibel in der Psyche hier und heute lebender Menschen bewirken, ja, weit grundsätzlicher: wie biblische Texte von ihnen re-konstruiert und mit Bedeutung versehen werden. Die Rezeptionsästhetik, eine Teildisziplin der Literaturwissenschaft, hat schon längst gezeigt, daß Texte immer Aktualisierungen bzw. Realisationen durch ein aktives Subjekt sind, so

"daß man die alte Frage, was dieses Gedicht, dieses Drama, dieser Roman bedeutet, durch die Frage ersetzen muß, was dem Leser ge­schieht, wenn er die fiktionalen Texte durch die Lektüre zum Leben erweckt "11.

Damit ist eine durchaus psychologische Frage gestellt! Zu konsul­tieren ist in erster Instanz die sogenannte "Psychologie der Textverar­beitung", auf die in der gängigen bibelpsychologischen Literatur kaum je hingewiesen wird, obgleich sie grund-legend für jeglichen (psycho­logischen) Zugang zur Bibel ist12.

9 TholTIlTIen, B.: Alltagspsychologie 1985, bes. 92-97.

10 Vgl. dazu Berg, H.K.: Ein Wort wie Feuer. Wege lebendiger Bibel­auslegung 1991, 273-303; Mesters, C.: VOlTI Leben zur Bibel - von de~ Bibel ZUlTI Leben 1983.

11 Iser, W.: Der Akt des Lesens 1976, 41. Vgl. auch Warning, R.: Re­zeptionsästhetik 1975, sowie Wegenast, K.: Religionspädagogik und exegetische Wissenschaft 1990, bes. 77 f., der eindringlich auf die Relevanz der Rezeptionsästhetik fiir die Theologie, speziell die Exegese hinweist; vgl. ders.: HerlTIeneutik und Didaktik 1991, bes. 39 f.

12 Auf IlTIplikationen dieser psychologischen Theorie(n) fiir die Pasto­raltheologie verweist HalTIlTIers, A. 1.: Pastoralpsychologische Aus­bildung fiir den Seelsorgedienst 1990, 165-176.

toS

Page 108: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

5.2. Lesen als Konstruktion: Zur Psychologie der Textverarbeitung13

Die Anstrengungen an der Psychologie der Textverarbeitung wurden nach der "Kognitiven Wende" in der Psychologie intensiviert, die oft ins Jahr 1967 datiert wird, als Ulric Neisser sein folgenschweres Buch »Cognitive Psychology« veröffentlichte14. Sie führte zur weitgehenden Abkehr von der behavioristischen Psychologie, die sich auf das äußer­liche Verhalten des Menschen beschränkt hatte. Vereinfacht formuliert basierte sie auf der Annahme, auch menschliches Verhalten sei gene­rell Reaktion auf externe Reize (Stimuli) . Untersucht wurden die Zusammenhänge zwischen Reiz und Reaktion vorwiegend in Tierexperi­menten. In der "Skinnerbox" (so genannt nach dem Psychologen Burrhus F. Skinner) wurden Ratten auf unterschiedliche Weise konditioniert, einen Hebel zu betätigen (oftmals um die elektrische Spannung im Gitterrost auszuschalten)15.

In den S-R-Termini (Stimulus-Response) interpretiert wurde auch das Erlernen der Sprache und das 'Verarbeiten' von Texten. Das zen­trale Konzept war "Assoziation", die Verknüpfung von Reizsituationen (die heiße Her~latte, die das Kind berührt) mit verbalen Handlungen ("heiß, heiß,")1. Dieser Sicht von Verhalten im allgemeinen, von Sprachlernen im besonderen entsprach ein reaktives, wenn nicht de­terministisches Menschenbild. Skinner hielt eine in Freiheit ausgeübte Selbstkontrolle des Menschen für eine Illusion17; und von John B. Watson ist folgendes Wort überliefert:

"Gebt mir ein Dutzend gesunder Kinder und ich verbürge mich da­für, daß ich irgendeines heraussuchen und es zu einem Arzt, einem Rechtsanwalt, einem Künstler, einem Kaufmann, einem Bettler oder einem Dieb machen kann." 18

Wenn überhaupt, vertreten nur noch vereinzelte Psychologen diese Auffassungen vom Menschen und seiner Formbarkeit, sowie von Ler­nen und Textverarbeiten. Vielmehr hat die kognitive Wende ein Bild

13 Eine AusW"ahl aus der uInfangreichen Literatur: Bock, M.: Wort-, Satz-, Textverarbeitung 1978; HörInann, H.: Meinen und Verstehen. GrundzUge einer psychologischen SeInantik 1978; Kintsch, W.: Le­vels of processing language Inaterial 1979; Van Dijk, T.A.: TextW"is­senschaft 1980, 160-220; GriInIn H. & EngelkaInp, j.: Sprachpsycho­logie. Handbuch und Lexikon der Psycholinguistik 1981; Ballstaedt, S.P. u.a.: Texte verstehen - Texte gestalten 1981; WiInIner, H.: Zur EntW"icklung des Verstehens von Erzählungen 1982; Wessells, M.G.: Kognitive Psychologie 1984, bes. 295-336; Hoppe-Graff, S.: Verste­hen als kognitiver Prozeß. Psychologische Ansätze und Beiträge ZUIn Textverstehen 1984; Groeben, N. & Vorderer, P.: EInpirische Literaturpsychologie 1986; Aebli, H.: ZW"ölf GrundforInen des Leh­rens 31987, 117-131; Gibson, E.j. & Levin, H.: Die Psychologie des Lesens 1989, bes. 235-287.

14 dt.: Kognitive Psychologie 1974.

15 Abgebildet in Lefrancois, G.R.: Psychologie des Lernens 21986, 36.

16 VgL GriInIn, H. & EngelkaInp, j.: Sprachpsychologie 1981, bes. 39.

17 Skinner, B.F.: Wissenschaft und Inenschliches Verhalten 1973, 225.

18 Zitiert aus Elkind, D.: Das gehetzte Kind 1991, 40.

106

Page 109: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

vom Menschen durchgesetzt, wonach dieser in erster Linie agiert und nicht bloß auf die Umwelt reagiert. Insbesondere der Schweizer Ent­wicklungs psychologe und Philosoph Jean Piaget (1896-1981), dessen (Wieder-)Entdeckung in den USA der sechziger Jahre entscheidend zum Paradigmawechsel in der Psychologie beigetragen hatte 19, postulierte dieses Bild vom Menschen, speziell vom Kinde, dem er zumutete, die Wirklichkeit selbsttätig zu rekonstruieren 20.

Damit übereinstimmend wird auch das sprachliche Verhalten des Menschen konzeptualisiert, zumal die Verarbeitung von Texten. Die bislang dominierende Assoziationstheorie wurde insofern als "redukti­onistisch" zurückgewiesen, als sie gar nicht gefragt habe, welche grundlegenden kognitiven Aktivitäten des Menschen es allererst er­möglichen, Assoziationen zu bilden und abzurufen 21: die Fähigkeit, Bedeutungen zu bilden und eine Semantik aufzubauen bzw. über die bereits in den Zwanzigerjahren vom Philosophen Ernst Cassirer um­fassend beschriebene Symbolfunktion zu verfügen 22.

Textverstehen besteht demnach nicht darin, daß Texte im kognitiven System eines Rezipienten einfach abgebildet werden. Vielmehr präsen­tiert es sich als "Konstruktion eines komplexen Gebäudes im Kopf des Lesers"23. Oder in den Worten des Sprachpsychologen Hörmann:

"Die sprachliche Äußerung selbst vermittelt also dem Hörer nicht Informationen, die er vorher nicht gehabt hat, sondern der Hörer schafft, geleitet von der sprachlichen Äußerung, die Information. Daß er dies tun kann und daß er im Akt des Verstehens diesen Anwei­sungen folgt, ist eine Auswirkung seines Strebens, die Welt und ih­re Ereignisse immer und überall sinnvoll versteh bar zu machen "24.

Dieses "Schaffen" von Bedeutung im Akt des Lesens hängt ab vom "Weltwissen", das der Leser bisher aufgebaut hat und als ein Geflecht von Wissensstrukturen gegeben ist, die bevorzugt als "Netzwerke" be­schrieben werden, welche aus Propositionen (Bedeutungs- bzw. Sinn­einheiten) und den Relationen zwischen ihnen bestehen25. Nebst der Metapher "Netzwerk" wird in der kognitiven Psychologie auch die des "Rahmens" (frame) verwendet (so von Van Dijk26 ), oder dann die des

19 Flavell, J.: The developInental psychology of Jean Piaget 1963.

20Piaget, J.: Der Aufbau der Wirklichkeit beiIn Kinde 1975 (Studien­ausgabe Band 2).

21 Wessells, M.G.: Kognitive Psychologie 1984, 29. 22 Vgl. dazu Bucher, A.A.: SYInbol - SYInbolbildung - SYInbolerzie-

hung 1990, 75-107. 23 Kintsch, W.: Levels of processing language Inaterial 1979, 219.

24 HörInann, H.: Meinen und Verstehen 1978, 506.

25 Weidenmann, B.: Psychologie des Lernens 1986, 518.

26 Van Dijk, T.A.: Texhvissenschaft 1980, bes. 169. Solche nfrarnes·· sind semantischer Art, denn:" der Verarbeitungsprozeß (ist) prinzipiell semantisch ausgerichtet·· (172).

107

Page 110: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Skripts" (so von Schank & Abelson und Wimmer & Perner 27). Skripts sind "begriffliche Strukturen, welche die Kenntnis einer stereotypen Situation repräsentieren" 28 . Sie ermöglichen, daß in einem Text -beispielsweise über einen Gottesdienstbesuch - nicht mehr alles ge­schildert werden muß, damit der Leser oder Hörer zu einem sinnvol­len Verstehen gelangt; die Leerstellen (bspw. die, daß man sich vor der Predigt setzt) werden vom Rezipienten nach Maßgabe des jeweils disponiblen Skripts "Gottesdienstbesuch" ausgefüllt. Ebenfalls ge­braucht wird in diesem Zusammenhang der Begriff des "Schemas", zu dessen Verbreitung besonders Piaget beigetragen hat29.

Ohne weiter auf die Unterschiede zwischen "Netzwerk", "Rahmen", "Skript" und "Schema" einzugehen: gemeinsam ist ihnen, daß es sich um strukturelle Gebilde handelt, über die das Subjekt nicht von An­fang an verfügt, sondern die es in seiner Interaktion mit Mit- und Umwelt aufbauen muß. Insofern sind sie der Geschichte unterworfen und werden sie auch von den soziologischen Kontexten beeinflußt, nicht aber determiniert, wie dies exogenistische (Entwicklungs-)Theo­rien, zumal der Behaviorismus, behaupteten3o. Vielmehr eignet sich das Subjekt mit ihrer Hilfe die Umwelt allererst an, auch die von den Behavioristen untersuchten Stimuli. Im Verstehensprozeß bestimmen sie mit, "welche Informationen und auf welche Weise sie verarbeitet werden"31. Um diese Aktivität zu bezeichnen, hat Piaget den Begriff "Assimilation" aus der Biologie in die Psychologie übertragen32 - ein Terminus, der in der Lesepsychologie zwischenzeitlich fest beheimatet ist.33 Assimilationen sind vielfach von sogenannten "Akkommodatio­nen" begleitet: die kognitiven Strukturen werden modifiziert, d.h. zumeist erweitert und gleichzeitig differenziert.

Folgende Figur stellt die Grundstruktur des Textverarbeitungspro­zesses in der Sicht der kognitiven Psychologie dar, die übrigens frap­pant dem hermeneutischen Zirkel entspricht:

27 Schank, R.C. & Abelson, R.P.: Scripts, plans, goals, and understan­ding 1977; Wixnxner, H. & Perner, J.: Kognitionspsychologie 1979, bes. 140-145.

28 Wixnxner, H. & Perner, J.: Kognitionspsychologie 1979, 14t.

29 Piaget, J.: EinfUhrung in die genetische Erkenntnistheorie 1973, lOt.

30 Vgl. dazu Seiler, T.B. & Hoppe-Graff, S.: Stufentheorien, Struktur-genese und die Exnergenz einer intuitiven religiösen Theorie 1989, bes. 83-89, W'o von einexn "soziokulturellen Angebot in der Ent­W'icklung des begrifflichen Denkens" die Rede ist, d.h. die UxnW'elt bietet Vorgaben ixn ursprUnglichen Wortsinn an, die das Subjekt mit seinen kognitiven Strukturen rekonstruieren kann, aber nicht not-w-endiger-w-eise auch nluß#

31 Weidenxnann, B.: Psychologie des Lernens 1986, 518.

32 Vgl. dazu Piaget, J.: Biologie und Erkenntnis 1983, 4-6.

33 Gibson, E.J. & Levin, H.: Die Psychologie des Lesens 1989, bes. 236.

108

Page 111: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

bestimmt und leitet Assimiliation

/ ' kognitives System, Text .... f---_____________ "'_ Weltwissen, zusammen-

~ • gesetzt aus Schemata, bzw. Rahmen und Skripts

erweitert, modifizier~ (Akkommodation)

Kognitionspsychologisch gesprochen kann auch "Jesus" als "Rahmen" oder "Schema" bezeichnet werden, als ein Geflecht von Propositionen, die miteinander vernetzt sind, und an die neue Texte über ihn in entsprechender Weise assimiliert werden. Beinhaltet es die Propositi­on, Jesus verfüge über übermenschliche, ja zauberhafte Kräfte, dann werden beispielsweise neu gehörte Wundergeschichten entsprechend - als 'Zauberei' - assimiliert. In anderen Worten: Die neuen Informationen werden gemäß der schon vorhandenen Wissensstrukturen rekonstruiert und gleichzeitig in diese eingefügt, wodurch sie verändert werden (können). Der Pädagoge und Psychologe Johann Friedrich Herbart bezeichnete diesen Vorgang bereits 1825 als "Apperzeption" 34. Da sich Assimilationsschemas im Verlauf der Entwicklung verändern, aber die Rezeption gerade auch biblischer Texte präfigurieren, wird sich ein psychologischer Zugang zur Bibelrezeption zumal mit ihnen, insbeson­dere mit ihrer Entwicklung beschäftigen müssen.

Als von herausragender Bedeutung erweist sich dafür der genetische Strukturalismus, wie er insbesondere von Jean Piaget initiiert wurde und in der aktuellen <Entwicklungs-)Psychologie eine dominierende Rolle spielt3S. In der Bibelpsychologie hingegen wird er so gut wie gar nicht erwähnt, ausgenommen Theißen, der der "kognitiven Psycho­logie" Piagets bescheinigt, der "geschlossenste Entwurf" bezüglich des "Aufbaus(s) der geistigen Welt" zu sein36. Zu Recht hält er auch fest, Piaget habe die psychologische Forschung in gleicher Weise inspiriert wie das Paradigma der klassischen Psychoanalyse oder Lerntheorie. Denn sein Werk, das sich zugegebenermaßen auf die Entwicklung von Erkenntnis beschränkte, sofern sie wissenschaftlich ist oder zur Wis­senschaft hinführt, löste eine Flut von (Stufen-)Theorien aus, die die menschliche Entwicklung auch in anderen Bereichen (Moral, Religion, Ästhetik, Freundschaftskonzepte etc. etc.) zu erfassen versuchten. Fetz spricht von einer Erweiterung der sogenannten "genetischen Epistemologie" in Richtung einer "genetischen Semiolologie", deren Auf-

34 Zit. aus Aebli, H.: Zwölf Grundforrnen des Lehrens 31987, 123.

3S Piaget, J.: Le structuralisllle 1968; vgl. Fetz, R.L.: Struktur und Ge­nese. Jean Piagets Transforlllation der Philosophie 1988; Levin, 1.: Stage und structure. Reopening the debate 1986; Garz, D.: Sozial­psychologische Theorien der Entwicklung 1989.

36 Theißen, G.: Psychologische Aspekte 1983, 38 f.

109

Page 112: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

gabe es sei, "der Heraufkunft aller höheren Symbolsysteme und der durch sie repräsentierten Strukturen nachzugehen"37.

Im folgenden beschäftigen wir uns zunächst mit der Relevanz von Piagets kognitiver Stufentheorie für die Rezeption von Bibeltexten, worüber zumal angelsächsische Religionspsychologen zahlreiche Un­tersuchungen durchgeführt haben (6.1.); anschließend ziehen wir wei­tere strukturgenetische Theorien heran, die bezüglich der Rezeption von Bibeltexten in Rechnung zu stellen sind, insbesondere moralische und religiöse Entwicklungstheorien (6.2.). Ein abschließendes Unterka­pitel verfolgt die Frage, welche kognitiven Voraussetzungen erfüllt sein sollten, um üblicherweise vertretene psychologische Bibelaus­legungen assimilieren zu können (6.3.).

Der Entwicklungspsychologie wird insgesamt ein großer Stellenwert eingeräumt. Auch für die Theologie im allgemeinen, die Exegese im besonderen ist sie relevant. Denn wir alle entwickeln uns, Bibelausle­ger ebenso wie die Hörer von Auslegungen. Wir sind auf dem Weg und wandeln uns. Und damit auch die Art und Weise, wie wir die Texte der Schrift verstehen.

37 Fetz, R.L.: Genetische SeIIliologie? SYIIlboltheorie iIIl Ausgang von Ernst Cassirer und Jean Piaget 1981, 469.

110

Page 113: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Alles, was man dem Kind beibringt, kann es nicht mehr selber erfinden oder entdecken" Uean Piaget).1

6. Kapitel

"Als Kind habe ich vor allem das herausgelesen ... " Entwicklungspsychologische Aspekte der Bibelauslegung

6.1. "Stuf' um Stufe" - Die Rekonstruktion von Bibeltexten und die kognitive Entwicklung

6.1.1. Die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Jean Plaget

Oft, aber keineswegs zu Recht wird in Jean Piaget bloß der pfeifen­rauchende Kinderbeobachter gesehen, und weniger, als was er sich in wissenschaftlicher Hinsicht selber verstanden hat. Von Hause aus zwar Biologe, verfolgte er nämlich die Zeit seines Lebens philosophi­sche, genauer: epistemologische Erkenntnisinteressen2. Aber die Kardi­nalfrage der Philosophie: "Wie kommt Erkenntnis zustande?" wollte er nicht bloß spekulativ beantworten, sondern empirisch 3. Dafür arbeitete er nicht nur die Wissenschaftsgeschichte auf, sondern untersuchte er - weil die historischen Erkenntnismöglichkeiten prinzipiell beschränkt sind - zusätzlich, wie sich die kognitiven Fähigkeiten in der Ontoge­nese vom Tage der Geburt an entwickeln. Die Entwicklungs psycholo­gie fungiert gleichsam als Mittel zu einem philosophischen Zweck.

Eine Frucht dieses jahrzehntelangen Arbeitens besteht in einer Stu­fentheorie der kognitiven Entwicklung4 . Sie um faßt vier Stadien, die in einer "invarianten Sequenz" (unumkehrbare Reihenfolge) durchlaufen werden, strukturierte Ganzheiten bilden und hierarchisch aufeinander­bezogen sind, d.h. was auf einer Stufe jeweils neu erworben wird, bleibt in der nächsten, jeweils komplexeren Stufe aufgehoben und dem Subjekt verfügbar.

1 Zit. aus Kesselring, T.: Jean Piaget 1988, 65. Einführungen in die EntW"icklungspsychologie bieten neben den in Kap. 1 in AnlTI. 120 genannten Autoren: FlaITIlTIer, A.: EntW"icklungstheorien 1988; Nickel, H.: EntW"icklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters 21976; Oerter, R.: Moderne EntW"icklungspsychologie 18 1980; SchralTIl, W.J.: Einführung in die lTIoderne EntW"icklungspsychologie 1980.

2 Piaget, J.: Weisheit und Illusionen der Philosophie 1985; vgl. auch Fetz, R.L.: Struktur und Genese. Jean Piagets TransforlTIation der Philosophie 1988.

3 Piaget, J.: Die EntW"icklung des Erkennens I (Studienausgabe Band 8), 1975, bes. 13-55.

4 Vgl. dazu Piaget, J. & Inhelder, B.: Psychologie des Kindes 1977; Pia­get, J.: Abriß der genetischen EpistelTIologie 1974, bes. 29-79; Se­kundärdarstellungen u.a. bei Ginsburg, H. & Opper, S.: Piagets Theorie der geistigen EntW"icklung 21978; FlalTIlTIer, A.: EntW"ick­lungstheorien 1988, bes. 148-152; Kesselring, T.: Jean Piaget 1988, bes. 110-166

111

Page 114: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ca. 12 Jahre

ca. 7 Jahre

ca. 2 Jahre Sensomotorisch

Zunächst werden diese vier Stadien kurz beschrieben, hernach hin­sichtlich ihrer bibelpsychologischen Bedeutung entfaltet.

Nach Piaget ist das Kind bei seiner Geburt mit angeborenen Refle­xen ausgestattet, die es im ersten Stadium, dem der sensomotorischen Intelligenz, zu komplexeren und gleichzeitig differenzierteren Schemata koordiniert5 . Bemerkenswert ist, daß auch das Sensorische, Sinnliche sowie das Motorische als "intelligent" und als Quellen von Erkenntnis gelten gelassen werden. Diese bleiben in allen folgenden Stufen auf­gehoben und sind gerade hinsichtlich der Rezeption von Bibeltexten nicht zu unterschlagen.

Nach dem Aufbau der Symbolfunktion6 erreicht das Kleinkind das Stadium der präoperatorischen Intelligenz und erlernt es die (konven­tionelle) Sprache. Allerdings sei es noch nicht fähig, kognitive Opera­tionen wie die auszuführen, gleichzeitig zwei Dimensionen zu berück­sichtigen, beispielsweise den Durchmesser und die Höhe eines Was­serbehälters: Kinder, die bei zwei gleichförmigen Gläsern selber fest­gestellt hatten, daß sie die gleiche Menge Flüssigkeit enthalten, be­harrten, nachdem sie selber den Inhalt eines Glases in ein bauchigeres Gefäß geschüttet hatten, darauf, in diesem habe es weniger Wasser7 .

Ihr Denken sei "prälogisch" und auf jeweils einen Aspekt eines kon­kreten Sachverhaltes beschränkt.

Dies ändert mit der Stufe der konkret-operator ischen Intelligenz: Fortan kann das Kind eigentliche Operationen ausführen, d.h. sowohl als äußere Handlung als auch innerlich als Denkakt, der wieder 'um­gekehrt' werden kann (Reversibilität); das Invarianzexperiment mit der Flüssigkeit wird bewältigt. Doch sein Denken bleibt dem Konkreten verhaftet, das mittels der nunmehr möglichen kognitiven Operationen (die nichts anderes sind als verinnerlichte Handlungen) geordnet und gedeutet wird.

5 Piaget, J.: Das Erwachen der Intelligenz behn Kinde (Studienausgabe Band 1) 1975. Möglicherweise hat Piaget die Kompetenzen des Säug­lings unterschätzt: Trotter, R.J.: Babies sind klüger 1987.

6 Dazu Piaget, J.: Nachahmung, Spiel und Traum. Die Entwicklung der Symbolfunktion beim Kinde (Studienausgabe Band 5) 1975.

7 Piaget, J.: Die Entwicklung der physikalischen Mengenbegriffe beim Kinde (Studienausgabe Band 4) 1975.

112

Page 115: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Um das 12. Lebensjahr herum erreicht der Heranwachsende eine neue Stufe. Als formal-operatorisch qualifiziert, ermöglicht sie ihm, über die Konkreta auch hinauszugehen und in den Bereich des An-sich­Möglichen vorzustoßen, bei Experimenten die an sich möglichen Er­gebnisse vorauszusagen (so beim Pendel, wenn die Schnur verlängert oder das Gewicht erhöht wird), selbständig Hypothesen zu generieren, Analogieschlüsse nachzuvollziehen etc. 8

Aber: Sind diese Entwicklungsstufen hinsichtlich der Rezeption bi­blischer Texte nicht schon deshalb bedeutungslos, weil sie kognitiv enggeführt seien und die Affektivität ausblendeten? Dieser zumal bei Theologen beliebte Vorwurf 9 läßt sich gerade von der Emotionspsy­chologie her nicht aufrechthalten und trifft für Piaget's Theorie nicht zu. Denn in seiner Sicht gibt es gar "kein Verhalten, so intellektuell es auch sein mag, das nicht als Triebfedern affektive Faktoren ent­halten würde; doch umgekehrt kann es auch keine affektiven Zustände geben, ohne daß Wahrnehmungen und Anschauungen mitwirken, die ihre kognitive Struktur ausmachen"1O. Wer schon ein Kind beobachte­te, wie es angespannt, ja erregt eine mathematische Gleichung zu lö­sen versuchte, und gesehen hat, welche Befriedigung sein eben noch verkrampftes Gesicht glättete, sobald es die Lösung gefunden hatte, wird dem nicht widersprechen. Denn "kognitive Prozesse sind in un­terschiedlichem Ausmaß an allen psychischen Aktivitäten beteiligt" 11,

lautet eine Grundannahme der kognitionstheoretischen Ansätze, die innerhalb der Emotionspsychologie nicht nur eine Schlüsselrolle spie­len, sondern auch eine lange philosophische und theologische Tradition aufweisen (Aristoteles und Thomas von Aquin) 12.

6.1.2. Bibelrezeption auf der prä-und der frühen konkretoperatori-sehen Stufe der kognitiven Entwicklung

6.1.2.1. Entwicklung des Verstehe1l8 von Erzählungen: Wie wir gesehen haben, sind im Stadium der präoperatorischen Intelligenz die kogniti­ven Möglichkeiten beschränkt. Sind sie es sogar in dem Maße, daß Kindern ein hinreichendes Verständnis biblischer Texte, auch von Geschichten, abzusprechen sei? Diese Position wurde in der Tat ver-

8 Piaget, J. & Inhelder, B.: Von der Logik des Kindes zur Logik des HeranW"achsenden 1974.

9 BspW". Fraas, H.J.: Die Religiosität des Menschen 1990, 89f.; ders.: Die Konstitution der Persönlichkeit und die SYInbole des Glaubens 1987, bes. 163; auch HofInann, B.: Kognitionspsychologische Stufen­theorien und religiöses Lernen 1991, bes. XIV.

10 Piaget, J. & Inhelder, B.: Die Psychologie des Kindes 1977, 117; Pia­get, J.: Intelligence and affectivity: Their relations hip during child developInent 1981.

11 Euler, H.A. & Mandl, H. (Hg.): EInotionspsychologie 1983, 73; vgl. auch Clark, M.S. & Fiske, S.T.: Affect and cognition. The seven­teenth annual Carnegie sYInposiuIn on cognition 1982; Greenspan, S.J. & Greenspan, N.T.: Das ErW"achen der Gefiihle. Die eInotionale EntW"icklung des Kindes 1988.

12 AIn griindlichsten dargestellt bei Gardiner, H.M.: Feeling and eInO­tion. A history of theories 1970.

113

Page 116: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

treten, besonders vehement bereits von Jean-Jacques Rousseau: "Er­zählt man ihnen (den Kindern) von der Macht Gottes, so halten sie ihn fast ebenso stark wie ihren Vater", schrieb er in seinem 1762 erschienenen Erziehungsroman »Emil«13 . Die Konsequenz, die er aus dieser und anderen Beobachtungen zog, war unmißverständlich und er­regte Anstoß: Auf religiöse Unterweisung sei nicht nur in der Kind­heit zu verzichten, sondern noch im frühen Jugendalter.

Gut 200 Jahre später behauptete auch Ronald Goldman, ein engli­scher Religionspädagoge und Entwicklungspsychologe, die Bibel sei "kein Buch für Kinder"14. Die meisten ihrer Inhalte, einschließlich zahlreiche stories, stellten kognitive Anforderungen, die weit über den Verstehensmöglichkeiten von Kindern im Vorschulalter, ja selbst der Grundschulzeit liegen würden.

Worin denn aber besteht das adäquate Verstehen einer (biblischen) Geschichte? Darin, den "Gang der Handlung" zu kennen und diesen kor­rekt wiederzugeben, sei es verbal, sei es spielerisch mit Hilfe von klei­nen Puppen?1 Oder darin, sie auch mit einer Interpretation zu verse­hen, biblische Geschichten mit einer theologischen? Indem Goldman, als er den insgesamt 200 befragten Kindern die Geschichte des bren­nenden Dornbusches (Ex 3, 1-6) erzählte, von ihnen auch wissen wollte, warum der Busch gebrannt habe, aber nicht verbrannt sei 16, erfragte er nicht nur Geschichtenverstehen im ersten Sinn, sondern die Interpre­tation eines Phänomens, wie sie auch Erwachsenen schwerfällt. Hinter dem Streit, ob (biblische) Geschichten Kindern zuträglich seien, stehen in der Tat divergente Konzeptionen des Geschichtenverstehens selber.

Zu den Ansätzen, die dieses Verstehen in der Rekonstruktion der narrativen Grundstruktur bestimmen, gehört auch der von Piaget. Zu Beginn der zwanziger Jahre erzählten er und seine Mitarbeiter Vor­und Grundschulkindern Geschichten wie die vom Negerjungen Epami­nondas17. Seine Mutter beauftragte ihn, der Großmutter einen Kuchen zu bringen. Er klemmte ihn unter den Arm. Bei der Ankunft war er völlig zerdrückt. Die Großmutter war verärgert und schickte ihn mit einem Stück Butter zurück. Um es nicht zu zerquetschen, legte er es auf den Kopf. Die Sonne brannte vom Himmel. Zuhause angekommen war nichts mehr übrig. - Hernach wurden die Kinder gebeten, die Ge­schichte nachzuerzählen, sei es den erwachsenen Befragern, sei es gleichaltrigen Kindern. Piaget kam zum Schluß, die Kinder würden die einzelnen Episoden isoliert betonen und die zeitlichen und kausalen Beziehungen, die sie verbinden, kaum verstehen 18. Gut zwanzig Jahre

13 Rousseau, 1.1.: Emil oder tiber die Erziehung 1981, 266. 14 Goldman, R.: Religious thinking from childhood to adolescence 1964, 227.

15 Gins, K.: Hinfiihrung 4- bis 5jähriger Kinder zum Verständnis bibli-scher Geschichten 1978, 164.

16 Goldman, R.: Religious thinking 1964, 255. Eines der jiingsten Kinder antW"ortete folgendermaßen: "Ich denke, 1esus sah den Busch bren­nen, und einige Männer löschten das Feuer mit Wasser" (53).

17 Piaget, 1.: Denken und Sprechen des Kindes 1983, 121 (erstmals 1923).

18 Ebd. 142.

114

Page 117: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

später wiederholte er diese These im Buch "Die Bildung des Zeitbe­griffs beim Kinde«: Vor 7 bis 8 Jahren würden die Geschehnisse in den kindlichen Erzählungen "durch im wesentlichen egozentrische Verbindungen verknüpft, d.h. mehr vom Gesichtspunkt des momenta­nen Interesses als nach der wirklichen Zeitordnung"19.

Obgleich auch eine so renomierte (Entwicklungs-)Psychologin wie Char­lotte Bühler Kindern im Vorschulalter die Fähigkeit absprach, narrati­ve Gesamtzusammenhänge zu verstehen, und ihnen allenfalls das Verstehen von Märchen zubilligte, in denen sie bloße Aneinander­reihungen einzelner bildhafter Episoden sah 20, hat die Entwicklungspsy­chologie diese Position überwunden. Paradoxerweise trug dazu ein Psychologe bei, der sich weniger mit Kindern als vielmehr mit künst­licher Intelligenz befaßte: David Rumelhart. Im Rahmen von Untersu­chungen über die Verarbeitung längerer Informationen entwarf er eine "Geschichtengrammatik" , die in der kognitiven (Entwicklungs-)Psycho­logie als story gramm ar bezeichnet zu werden pflegt21. Sie versucht, die "interne Struktur" zu erfassen, die wohlgeformten Erzählungen zu­grundeliege. Unterschieden werden folgende Elemente:

Setting Einführung der Hauptfiguren und Beschreibung des Kontextes

Thema Beschreibung des Ziels, das dem Protagonisten gesteckt wird

Plot Setzt sich zusammen aus einzel­nen Episoden, bzw. aus Ver­suchen, das Ziel zu erreichen, und Zwischenresultaten

Resolution Lösung, Endergebnis

Beispiel (Mk 8, 22-26)

Jesus und seine Jünger kommen nach Betsaida

Jesus soll einen Blinden heilen

Jesus führt ihn aus dem Dorf, bestreicht Augen mit Speichel

Der Blinde kann sehen

19 Piaget, J.: Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde 1974, 347. "Ego­zentrizität" sensu Piaget, J.: Sprechen und Denken des Kindes 1983, bes. 80-92, ist nicht als Egoismus mißzuverstehen, sondern als die kognitive Unfähigkeit, Sachverhalte aus der Perspektive anderer Menschen w-ahrzunehmen. Zur kritischen Diskussion: Donaidson, M.: Wie Kinder denken 1982, 20-36; Geulen, D. (Hg.): PerspektivenUber­nahme und soziales Handeln 1983; Schmidt-Denter, U.: Soziale Entw-icklung 1988, 275-282.

20 BUhler, C.: Das Märchen und die Phantasie des Kindes 1918; ähnlich die Position einer w-eiteren Autoritätsperson der frUhen Entw-ick­lungspsychologie: Stern, W.: Psychologie der frUhen Kindheit 41927, bes. 298.

21 Rumelhart,D.E.: Notes on a schema for stories 1975; Thorndyke, P.W.: Cog.nitive structures in cornprehension and memory of narra­tive discourse 1977; vgl. auch Bock, M.: Wort-, Satz-, Textverarbei­tung 1978, 60-66; Mandl, H. & Spada, H.: Wissenspsychologie 1988, bes. 126.

11S

Page 118: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Mit der analytischen Hilfe dieser Geschichtengrammatik untersuch­ten Entwicklungspsychologen nicht mehr nur, an wieviele Episoden von Geschichten sich Kinder erinnern können, sondern vielmehr, ob sie ihre Grundstruktur erfaßt haben. Nun trat "eine frühe Kompetenz in der kohärenten Interpretation von erzählenden Diskursen" zu Tage 22: selbst vierjährige Kinder rekonstruierten sachrichtig Geschichten wie die vom Bauer, der seinen Esel in den Stall bringen wollte, dazu aber die Hilfe zahlreicher anderer Haustiere benötigte, bis er endlich ans Ziel gelangte 23. Schon Vierjährige können auch Märchen nacherzählen, die ohnehin nicht bloße Aneinanderreihungen singulärer Episoden sind (eh. Bühler), sondern vielmehr kohärente narrative Ganzheiten bilden, deren Grundstruktur den Regeln der story-grammar vorzüglich ent­spricht. Die empirischen Untersuchungen zur Geschichtengrammatik zeigen zudem, daß Geschichten umso früher und umso 'richtiger' rekonstruiert werden, je kohärenter sie aufgebaut sind bzw. je mehr sie den Regeln der story grammar entsprechen 24.

Zwar knüpfen jüngere (und auch noch ältere) Kinder, wenn sie eine Geschichte nacherzählen, die einzelnen Episoden zumeist durch "und", bzw. "und dann", "und dann" zusammen. So eine siebenjährige Schüle­rin bei der Beispielgeschichte vom "Reichen Mann und dem Armen Lazarus" (Lk 16, 19 ff.l:

"Es war einmal ein reicher Mann, und der hat ganz viele schöne Kleider gehabt und jeden Tag ein schönes Leben. Und vor seiner Haustür war ein armer Mann. Und sein ganzer Körper war voller Narben. Und der Reiche hat ihm nichts gegeben. Und dann sind bei­de gestorben. Und dann hat der reiche Mann fest leiden müssen im Feuer. Und der arme Mann durfte im Himmel sein. Und dann hat der reiche Mann gerufen, der arme Mann solle seine Finger ins Wasser stecken und seine Zunge naß machen. Und dann hat der andere Mann gesagt, er lasse den armen Mann nicht runter, er habe sonst schon ein gutes Leben gehabt. Und dann hat der reiche Mann weiterleiden müssen ".

Trotz der vielen "und" und "und dann": Das Mädchen hat die Grund­struktur der Beispielgeschichte adäquat rekonstruiert. Die Nacherzäh­lung erinnert zwar an die von Piaget bereits 1923 beschriebene "Para­taxe", die Neigung des Kindes, ein Ganzes "in eine Reihe von fra~­mentarischen und unzusammenhängenden Behauptungen zu zerlegen"2 . Aber Piagets Behauptung, die Verbindung "und dann" bedeute für das

22 Wimmer, H.: Zur Entw-icklung des Verstehens von Erzählungen 1982, 117.

23 Ebd. 85-101.

24 Stein, N.L. & Glenn, C.G.: An analysis of story comprehension in elementary school children 1979, bes. 98-101; dies.: An analysis of story comprehension in elementary school children: A test of schema 1976; Mandler, j.M. & johnson, N.S.: Remembrance of things parsed: Story structure and recall 1977; Blihler, B.: Die Wiedererinnerung von Geschichten bei geistig behinderten Kindern. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit an der Universität Fribourg (CH).

25 Piaget, j.: Sprechen und Denken des Kindes 1983, 150.

116

Page 119: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Kind "weder eine temporale noch eine kausale Beziehung" 26, trifft nicht zu und verkennt zudem, daß die Konjunktion "und" in epischen Texten von außerordentlicher Aussagekraft sein kann. Nicht nur Texte von Wolfgang Borchert belegen dies, sondern auch der biblische Erzähler Markus, der die Konjunktion "kai" (und) häufig verwendete: in Mk 10,46-52 <Blindenheilung in Betsaida} neunmal, wovon der Einheitsübersetzer acht herausgestrichen hat! Parataxe, wie sie dem kindlichen Denken in der Tat eigentümlich ist, kann auch positiv gewendet werden:

"Kinder äußern sich direkt, konkret, indem sie Tatsachen hart ne­beneinanderstellen. Sie denken und sprechen in Satzreihen, also in gleichgeordneten Hauptsätzen, verbunden durch die leistungsstarke Konjunktion 'und' / 'und dann'. " 27

Die bibelpsychologische, mehr noch religionspädagogische Relevanz der story grammar ist erheblich:

- Kinder können bereits im Alter von 4/5 Jahren Geschichten (auch biblische) verstehen bzw. ihre narrative Grundstruktur rekonstruie­ren, sofern sie kohärent dargeboten werden, d.h. wenn zunächst das Setting entfaltet, hernach das Thema benannt und der plot ausge­breitet wird, der schließlich in die Lösung (resolution) einmündet.

- Bei der Vorbereitung auf das Erzählen einer biblischen Geschichte sollten die Einsichten der story grammar in Rechnung gestellt wer­den, auch wenn die Zuhörer Erwachsene sind!

- Der plot einer Geschichte präsentiert sich in der Sicht der story grammar als Abfolge konkreter Handlungen (zumeist Versuche, ein gestecktes Ziel zu erreichen). Biblische Geschichten sind demnach konkret-handlungsbezogen und weniger psychologisierend aus­schmückend zu präsentieren28

6.1.2.2. Zur Interpretation blbll.cb.er ee.cb.Ichten: Eine solche setzt voraus, daß die Geschichte bereits bekannt, bereits assimiliert ist. Zwar ist auch die Nacherzählung einer (biblischen) Geschichte unwei­gerlich interpretativ: einzelne Inhalte werden akzentuiert, andere abge­schwächt oder weggelassen. Als Heuristik scheint die Unterscheidung zwischen Rezeption und Interpretation dennoch hilfreich29.

"Warum ist der Dornbusch, der gebrannt hat, nicht verbrannt?" -fragte Goldman in seiner bereits genannten Untersuchung. Eine Sie­benjährige antwortete: "Gott machte es. Er hielt den Busch am Leben" 30.

Zwei Eigentümlichkeiten des kindlichen Denkens zeigen sich, die bei der Interpretation biblischer Geschichten generell in Rechnung zu stellen sind: Anthropomorphismus und Artifizialismus.

26 Ebd. 143.

27 Steinw-ede, D.: Zu erzählen deine Herrlichkeit 91981, 155.

28 Vgl. dazu Stachel, G.: Zur Praxis des Erzählens und des Nacher­zählens der Bibel 1985, bes. 602.

29 Diese Unterscheidung Ubernehnle ich von Groeben, N.: Literaturpsy­chologie 1972, bes. 161 f.

30 Goldnlan, R.: Religious thinking 1964, 53.

117

Page 120: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

a.) Tendenz zur Anthropomorphisierung: jüngst wurden 223 Schulkin­der im Alter zwischen 8 und 11 jahren gebeten, frei zu zeichnen, was sie sich unter Gott vorstellen. Mehr als 80 % malten eine Gottesvor­stellung, die als "anthropomorph" zu qualifizieren ist, Mädchen in gleicher Weise wie jungen. Wie die folgende Figur zeigt, ließ sich eine signifikante (überzufällige) Abnahme solcher Vorstellungen mit zuneh­mendem Alter nachweisen (Chi-Quadrat 14.8; df = 3; p = O. 001)31.

Anthropol'lorph

Nitht anthropol'lorph

Alter in jahren

Prozent

Prozentuale Anteile an anthropomorphen und nicht-anthropomorphen Gottesbildern in den unterschiedlichen Lebensjahren (N = 223).

Zwar handelt es sich bei den Mitgliedern der Stichprobe um Kinder im frühen und im ausgebildeten konkret-operatorischen Stadium. Das hohe Ausmaß an anthropomorphen Vorstellungen mag erstaunen, steht aber im Einklang mit zahlreichen ähnlich angelegten Erhebungen32. Bei Kindern im späten präoperatorischen Stadium dürften anthropomorphe Gottesvorstellungen noch ausgeprägter sein: "Mehr noch, wenn das Kind von Gott spricht ... so stellt es sich darunter einen Menschen vor,,33. Aber auch wenn es hört:

31 UDlfangreicher: Bucher, A.A.: »Gott ist ein Mensch für Dlich ... «

Kurzbericht Uber eine eDlpirische Untersuchung zu den Gottesbil­dern iDl Grundschulalter 1991.

32 Vor gut 70 Jahren stellte Mudge, E.L.: The god experience 1923 ei­nen Anteil von 77% anthropoDlorpher Gottesbilder fest. Vgl. auch Nobiling, E.: Der Gottesgedanke bei Kindern und Jugendlichen 1929; Hanns, E.: The developDlent of religious experience in children 1944; GoldDlan, R.: Religious thinking 1964, bes. 88-90; Bindl, M.F.: Das religiöse Erleben iDl Spiegel der Bildgestaltung 1965; Elkind, D.: The developDlent of religious understanding 1971, bes. 668-673; BoßDlann, D. & Sauer, G.: Wann w-ird der Teufel in Ketten gelegt? 1984. Aktuelle und zugleich uDlfassende Darstellungen der For­schungsbefunde bieten Hyde, K.E.: Religion in childhood and ado­lescence 1990, 64-82 sow-ie TantDlinen, K.: Religious developDlent in childhood and youth 1991, 159-196.

33 Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 280.

118

Page 121: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

"Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und daß alle Gedanken seines Her­zens den ganzen Tag nur bö­se waren. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu ha­ben, und es tat seinem Her­zen weh" (Gen 6, Sf.).

Kinder in der ausgehenden präoperatorischen Phase ver­stehen solche Passagen, wie sie zumal beim J ahwisten häufig begegnen, noch nicht in einem übertragenen Sinn. Dies zeigten auch Befunde von Goldman: "Gottes Sprechen zu Moses" werde auf der Stufe des "intu­itiven religiösen Denkens", wie es dem ausgehenden präopera­torischen Stadium und noch dem beginnenden konkret-ope­ratorischen Stadium entspreche,

... -.'.'

buchstäblich Oiterally) bzw. physikalisch aufgefaßt. Denn: Wäre Moses taub gewesen, hätte er Gott unmöglich hören können; hätten sich andere Menschen vor dem Dornbusch aufgehalten, hätten auch sie Gott hören können, es sei denn, er hätte besonders leise geredet oder dem Moses ins Ohr geflüstert34.

Ein letztes Beispiel stammt aus einer Befragung zu synoptischen Parabeln, hier Mt 20, 1-16 (Arbeiter im Weinberg). Die Kinder wurden auch mit der Frage konfrontiert, ob der gütige Weinbergbesitzer ein Bild für Gott sein könne:

''Nein, der liebe Gott sieht doch ganz anders aus. Aber vielleicht gleichen sie einander doch. Wenn also der Mann (Weinbergbesitzer, A.B.) einen Bart hat, dann könnte er schon gleichen. Aber der Bart, der müßte also schon weiß sein. Und er hat sicher einen Bart" Uunge, 8 Jahre) 35.

Das Kind hat den Weinbergbesitzer und den anthropomorph repräsen­tierten Gott offensichtlich miteinander verschmolzen.

Wie sollen nun Theologen, speziell Religionspädagogen dieses Phä­nomen beurteilen? Und wie mit ihm umgehen? Sollen sie alles daran setzen, die Hörer der Botschaft über "das Unangemessene von buch­stäblich-anthropomorphen Auffassungen" hinauszuführen?36, Oder dem

34 GoldInan, R.: Religious thinking 1964, bes. 93. 35 Zit. aus Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 53. 36 GroIn, B.: Religionspädagogische Psychologie des Kleinkind-, Schul­

und Jugendalters 1981, 208. - Anders sah dies bereits vor gut 150 Jahren Gelpe, M.: Apologie der anthropoInorphischen und anthro­popathischen Darstellung Gottes 1842.

119

Page 122: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Kind das Recht zubilligen, entsprechende Passagen der Bibel anthro­pomorph zu verstehen, die die ohnehin vorhandenen Tendenzen zur Anthr0:E0morphisierung zwar verstärken37, aber nicht ursprünglich aus­lösen? 8 Bei diesem Problem stößt der Religionspsychologe an Gren­zen. Sofern er sich keines psychologistischen Fehlschlusses schuldig machen will, kann er diese pädagogisch-theologische Frage nicht entscheiden. Geantwortet hat jedoch ein Autor, der zugleich Theologe, Pädagoge Und auch Psychologe war: der Niederländer Jan Nieuwenhuis:

"Kind und Bibel sprechen zu einem großen Teil die gleiche Sprache. Beide denken und reden sehr anthropomorph von Gott. Das biblische Gottesbild und das kindliche Gottesbild kommen oft auffällig nahe aneinander; sie können einer des anderen Züge erkennen." 39

b.) Artifizialismus: Dieses ursprünglich religionswissenschaftliche Kon­zept, das wiederum Piaget in der Entwicklungspsychologie beheimatet hat, ist mit der Tendenz zur Anthropomorphisierung eng verknüpft 40:

"Ich denke mir, Gott hat die Welt geschaffen und den Himmel... und das Gras ... Gott hat auch den Menschen gemacht ... Gott ist ein großer starker Mann, er kann machen, was er wilL.".

Diese Kinderaussagen wurden zwar schon zu Beginn dieses Jahrhun­derts veröffentlicht, als "religionspsychologische Analysen" in zumal religionspädagogischer Absicht einen wahren Boom erlebten 41. Daß sie aber nicht nur zeitbedingt waren, zeigt eine Studie aus den achtziger Jahren42 , in der eine Sechsjährige meinte:

37 Vgl.: Thun, T.: Die Religion des Kindes 1959, 56 f.

38 Bereits Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980 (erstInals 1926) behauptete, anthropomorphe (und auch artifizialistische) Vorstel­lungen ließen sich nicht ausschließlich auf die religiöse Erziehung zurUckfUhren, da sich solche auch '"bei Taubstummen und bei Kin­dern (finden liessen), die noch zu jung sind, als daß sie die religiöse Unterw-eisung ... begreifen ... könnten" (279). Zu anthropomorphen Gottesvorstellungen bei Kindern von Atheisten, die jegliche religiöse Unterw-eisung ablehnten: Rizzuto, A.: The birth of the living god 1979, 55. - Auf die Tendenz des Kindes zur Physiognonlisierung, die die Anthropomorphisierung Gottes verstärkt, verw-ies auch der zu Unrecht w-eithin in Vergessenheit geratene deutsche Entw-icklungspsychologe Kroh, 0.: Die Phasen der Jugendentw-icklung 1958, bes. 44 f.

39 Nieuw-enhuis, J. Gläubige Erziehung 1974, 157. Vgl. auch Klink, J.: Kind und Glaube 1971, 107-123, bes. 110: '"Ein Kind sieht Gott als Menschen'".

40 Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 207-306, sow-ie: Nachah­mung, Spiel und TraulD (Studienausgabe Band 5) 1975, 310-321.

41 Munsche, P.: Gott und HilDmel in der Vorstellungsw-elt meiner Jungen 1912, 350 f.

42 DurchgefUhrt von R.L. Fetz unter Mitarbeit von K.H. Reich, P. Va­lentin und A.A. Bucher. Publikationen: Fetz, R.L., Reich, K.H. & Va­lentin, P.: Weltbild, Gottesvorstellung, Religiöses Urteil. Welche Beziehung? 1988; Valentin, P.: Weltbildentw-icklung. Eine struktur­genetische Längsschnittuntersuchung bei Kindern und Jugendlichen 1988; R.L. Fetz & K.H. Reich: World view-s and religious develop­ment 1989; Fetz, R.L., Reich, K.H. & Valentin, P.: Weltbildentw-ick­lung und Gottesvorstellung 1991; Bucher, A.A.: Das Weltbild des Kindes 1987, 13-18.

120

Page 123: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

X: "Gott hat die Häuser gemacht, aber ein paar nicht, die haben Leute gebaut."

I: "Und welche Häuser hat denn Gott gemacht?" X: "Die großen Blocks." I: "Und warum?" X: "Weil die Menschen gar nicht so lange Leitern machen können."

Die Beispiele dürften hinreichend verdeutlicht haben, worin der Artifi­zialismus besteht: In der Tendenz des kindlichen Denkens, die Her­kunft der Dinge, selbst die von Artefakten, auf eine konkrete Fabri­kation zurückzuführen. Als deren Subjekt bietet sich ein anthropo­morpher Gott fast von selbst an. Auch der Artifizialismus ist nicht ausschließlich Sozialisationseinflüssen anzulasten, beispielsweise der Vermittlung des biblischen Schöpfungsberichts. Er trete "spontan" auf und sei durch "eine kontinuierliche Assimilation der Naturvorgänge an die menschliche Aktivität" bedingt43 . Das heißt: Das Kind legt Sche­mata des Machens und Fabrizierens, wie es sie in der bisherigen Inter­aktion mit Mit- und Umwelt aufgebaut hat, "egozentrisch" auch auf die Herkunft der Sterne, des Windes, der Sonne, der Wolken etc. an.

Auch artifizialistische Vorstellungen gehen mit steigendem Alter sukzessiv zurück. Piaget selber hatte in seiner frühen Weltbildunter­suchung vier Stadien postuliert: den "diffusen" Artifizialismus, sodann den "mythologischen", wenn Kinder förmliche Mythen produzieren, mit denen sie sich die Herkunft der Dinge erklären. Darauf folge, wenn das Kind vor allem das "Wie" des Machens akzentuiere, der "techni­sche" Artifizialismus, der schließlich vom "immanenten" Artifizialismus abgelöst werde, gemäß dem nicht mehr Gott oder "große Männer" die Dinge fabrizieren, sondern die Natur 44.

Anders das von Reto Fetz vorgeschlagene Modell: Nach einem An­fangsstadium, in dem hinsichtlich der Herkunft der Dinge auch Ge­burtsvorstellungen auftreten (auch menschheits geschichtlich sind sie früher 45) , folgt der eigentliche Artifizialismus. Kinder erklären selbst die Entstehung von Artefakten (beispielsweise Uhren oder Motoren) als konkrete Fabrikation durch Gott und sehen in der Erschaffung der Welt einen zeitlich zumeist kurzen, jetzt aber be endeten Vorgang, und damit nicht eine "creatio continua". Eine Fünf jährige meinte sogar, Gott habe die Welt an einem einzigen Nachmittag fertig machen müs­sen: am Abend hätte er zu wenig, in der Nacht gar nichts mehr gese­hen. Auf dem nächsten Stadium konzipiere das Kind, weil es Arte­fakte und natürliche Dinge besser diskriminieren könne, bloß die Her­kunft der letzteren artifizialistisch. Im darauf folgenden Stadium wer­de der Artifizialismus weitgehend aufgelöst.

43 Piaget, J.: Nachahnlung, Spiel und Traunl (Studienausgabe Band 5) 1975, 315.

44 Plaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 292-297.

45 Ein Beispiel: "Das (die Berge, Seen, Tiere, Pflanzen, Häuser) ist. einmal auf die Welt gekommen" - "WiesoT' - "Weil ich auch auf die Weit gekommen bin und die MarrJi auch" (w-eiblich 6 Jahre).

121

Page 124: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Welches ist die Relevanz des Artifizialismus für die Interpretation biblischer Texte? Das Kind bringt für die Rezeption des biblischen Schöpfungsberichts geradezu ideale Voraussetzungen mit. In der Bi­beldidaktik herrschte jedoch oft und herrscht noch immer die Tendenz vor, den Schöpfungsbericht aus dem Curriculum für die Grundschule herauszunehmen: es sollte vermieden werden, daß er als "reale histo:'" rische Erzählung" mißverstanden werde46 .

Diese Befürchtung ist aber die des Erwachsenen, der sein Verständ­nis von Wirklichkeit auf die Kinder anlegt. Dabei verkennt er die Ei­gentümlichkeiten ihrer (Denk-)Entwicklung ebenso wie ihr Bedürfnis, das Unbegreifliche generell zu personifizieren, "um es greifbar, be­greiflich und verstehbar zu machen,,47. Auch bei weiteren Bibeltexten ist mit artifizialistischen Erklärungsmustern zu rechnen, die dem Kin­de helfen können, sie sinnhaft zu deuten, beispielsweise Wunder, was die Daten Goldmans zu Ex 3, 1-6 (Brennender Dornbusch) oder Ex 14 (Durchzug durch das Rote Meer) belegen48 . Selbst die Frage, warum man einer bestimmten Konfession angehöre, kann von Kindern artifizi­alistisch gelöst werden: "God makes you jewish··49 .

Das Problem, wie theologisch und religions pädagogisch mit dem Ar­tifizialismus adäquat umzugehen sei, entzieht sich der Zuständigkeit des Psychologen. Wie wir gesehen haben, weisen mehrere Theologen und Religionspädagogen artifizialistische Deutungsmuster zurück, auch wenn sie von Kindern vertreten werden. Doch auch die Gegenposition wird vertreten. Von entwicklungspsychologischer Warte aus kann die Sicht des Ehepaar Zink unterstützt werden:

"Gott ist der »große Macher«. Er macht alles. Das ist das Wichtig­ste für das Kind" 50.

c.) Archaisches Weltbild: Bezüglich der Rezeption zahlreicher Bibel­texte durch Kinder in Rechnung zu stellen ist auch das Weltbild im engeren Sinn: die kosmologischen Vorstellungen, wie sie neuerdings

46 Vgl. dazu die umfassende tibersicht katechetischer Positionen zur Behandlung des Schöpfungsberichts von Stachel, G.: Das «Bekennt­nis des Schöpfers» (Gen 1,1 - 2,4a) 1982 (Zitat S.126). Der 1973 erschienene Zielfelderplan für den katholischen Religionsunterricht der Schuljahre 5-10 beispielsweise sah die Behandlung der Schö­pfungsgeschichte erst im 8. Schuljahr vor. Zur Thematik: Gram, B.: Religionspädagogische Psychologie 1981, bes. 175-185, der fordert, der Gefahr, daß die Kinder "die Schöpfungslehre artifizialistisch mißverstehen" (182), Inüsse entgegengewirkt werden.

47 Ellwanger, W.: Die Zauberwelt der Kinder 1980, 47; vgl. auch Bet­telheiIn, B.: Kinder brauchen Märchen 1980, bes. 55-65.

48 Goldman, R.: Religious thinking 1964, bes. 102-115.

49 Elkind, D.: The child's conception of his religious denomination I, The Jewish child 1961.

50 Zink, H. & Zink, J.: Kriegt ein Hund im Himmel Flügel? 151986, 108. Die Schöpfungsgeschichte, so verstanden, kann deIn Kinde auch eine hinreichende Antwort auf die Frage sein, Warum die Welt so ist, wie sie ist. Das wiederholt auftretende: "Und Gott sah, daß es gut war", drückt die Ordnung und Sinnhaftigkeit der Schöpfung aus und kommt dem kindlichen Bedürfnis nach existenzieller Si­cherheit entgegen.

122

Page 125: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Reto Fetz auf der Basis von Kinderzeichnungen und dazu geführten Interviews untersucht hat 51. In die Befragung zog Fetz auch zwei biblische Texte ein: Die Prädikation "im Himmel" des Vaterunsers, sowie die Himmelfahrt Jesu (Apg 1,9-11).

Die Daten führten zur Konstruktion von 3 Entwicklungsstadien des Weltbildes:

- Das archaische Weltbild, vorfindbar zumal bei jüngeren Kindern, ist dadurch charakterisiert, daß die Erde und auch der Kosmos als be­grenzt vorgestellt werden, sei es als flache Scheibe, an deren Rand die Tiefe gähnt, sei es wiefolgt:

I: "Wenn man mit einer Rakete immer weiterfliegen würde, wohin käme man dann?"

X: "Man käme zum Himmel... Aber durch den Himmel hindurch kann man nicht fliegen, denn da ist dann eine Mauer, und dort ist es dann fertig" Uunge, 7 Jahre) 52.

Charakteristisch ist auch die Polarität von unten und oben. Sie er­gibt sich nicht zuletzt aufgrund unseres aufrechten Ganges und des entsprechenden Wahrnehmungsfeldes . Diese Polarität zeigte sich daran, daß Kinder, nachdem sie die Erde zwar rund gezeichnet hatten, Häuser oder Berge von der unteren Hemisphäre zur Erdmitte hinzeigend eintrugen, oder an dem Gedankenexperiment, was wohl geschehen würde, wenn man ein Loch durch die Erde graben und hineinspringen würde:

I: "Dann fällt man auf der anderen Seite wieder raus, tiefer und tiefer, bis vielleicht wieder ein Boden kommt".

Das Gegenstück der als begrenzt vorgestellten Erde ist der Himmel, in der Sicht vieler Kinder ebenfalls flach, mitunter auf (goldenen) Steinen ruh_end~~~it Gott, bezeichnenderweise anthropomorph reprä-

H !.~ ··~.oo ;=-:: -- \ '0°0

.1 ~ ~ In. Der Thron des Herrn ist im Himmel, seine Augen schauen herab(Ps 11,4).

51 Fetz, R.L.: Die Entwicklung der HiIDIDelssYIDbolik in Menschheits­geschichte und individueller Entwicklung 1985.

52 Zit. aus Bucher, A.: Das Weltbild des Kindes 1987, 6.

123

Page 126: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

sentiert, nicht herunterfalle. Entsprechend verstanden die befragten Kinder die Wendung "im Himmel": als Angabe eines Ortes, der den Menschen nicht zugänglich, ihnen verwehrt ist: Eine Rakete könnte nicht bis zu ihm fliegen, sie würde an den Himmelssteinen zerschellen oder von Gott zerstört. Im Himmel sei Gott zumal deshalb, damit er hinunterschauen und beobachten könne, was auf der Erde passiert. Auch die Himmelfahrt Christi wurde nicht symbolisch aufgefaßt, sondern konkret als ein Hinauffliegen verstanden, mitunter aufgrund von Zauberkräften, mitunter auf einer tragenden Wolke.

Gemäß den Daten von Fetz folgt in der mittleren Kindheit ein "hy­brides" Weltbild; Elemente des archaischen Weltbildes begegnen ver­mengt mit naturwissenschaftlichen Wissenspartikeln: ein anthropom­roph repräsentierter Gott, der sich, gleichsam ein Astronaut, im Pla­netensystem hin- und her bewegt, ist ein typisches Beispiel.

Am Schluß dieser Entwicklung stehe das "ausdifferenzierte" Welt­bild. Wenn überhaupt, werde es erst in der Adoleszenz formiert: viele Jugendliche geben ja die religiösen Elemente ihres Weltbildes unwi­derruflich auf. Religiöse und naturwissenschaftliche Himmelsvorstel­lungen können fortan auseinandergehalten und zugleich komplementär aufeinander bezogen, das "im Himmel" des Vater Unsers als bedeu­tungsvolles und unersetzbares Symbol gewürdigt werden.

Auch Weltbildvorstellungen, wie sie in biblischen Texten enthalten sind, und kosmologische Vorstellungen bei Kindern weisen bemer­kenswerte Parallelen auf: ein weiteres Indiz, daß Bibel und Kind über weite Passagen hinweg die gleiche Sprache sprechen (bspw. Jes 66, 1 f.).

d.) ffibelkonzepte: Die bisherigen Ausführungen zeigten durchgehend die Konkretheit des kindlichen Denkens. Sie manifestiert sich auch in den Vorstellungen von Kindern über die Bibel selber, insbesondere ih­re Entstehung und ihren Wahrheitsgehalt. Interessante Einblicke ver­danken wir wiederum Ronald Goldman. Die von ihm befragten Kinder hielten die Bibel für "ein Buch von besonderer Art", die Jüngsten un­ter anderem deshalb, weil sie ein dickes Buch mit vielen kleinen Buchstaben sei, oder weil es in der Kirche gebraucht werde 53. Be­zeichnend (artifizialistisch!> sind auch ihre Annahmen, wie sie entstan­den sei: "Gott machte es, mit seiner Schreibmaschine", oder: "Jesus, er kam vom Himmel runter und schrieb sie mit seinem Kugelschreiber auf" 54. Mit zunehmendem Alter gehen solche Auffassungen zurück und werden sie von der ersetzt, Jesu Jünger hätten die Bibel verfaßt.

Goldman zeigte darüber hinaus, daß nahezu alle jüngeren Kinder seiner Stichprobe die Bibel für absolut wahr (true) hielten, "wahr" je­doch in einem wortwörtlichen und nicht symbolischen Sinn 55. Begrün­det wurde dies zumeist mit äußeren Autoritäten, so dem Vikar, der die Geschichten erzählt habe, oder damit, daß Gott und Jesus die Bi-

53 GoldD1an, R.: Religious thinking 1964, 69.

54 Ebd. 73.

55 Ebd. 76. Vgl. auch TaD1D1inen, K.: Religious developD1ent in child­hood and youth 1991, 137-158.

124

Page 127: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

bel geschrieben hätten. Vier- und noch fünf jährige Kinder können selbst Märchen für "wahr" in diesem Sinne halten, so die Tochter des Verfassers, als sie auf einem Waldspaziergang - am Wegrand blühten Goldnesseln - plötzlich sagte: "Da ist es passiert!" - "Was?" - "Wolf und Rotkäppchen!".

Prüft man, was den bisher geschilderten Phänomenen in der Bibel­interpretation kleiner Kinder gemeinsam ist, so fällt unweigerlich ihre Konkretheit auf. Goldman selber sah, in der Tradition von Rousseau stehend, darin eine Schwäche und ein Negativum. Immerhin sei das intuitive religiöse Denken, das er dem prä- und dem frühen konkretopera­torischen Stadium der Denkentwicklung zuordnete, "fragmentarisch", "zusammenhangslos", "simplifizierend", "unlogisch"56. Auch der Religi­onspsychologe Hyde schrieb, als er die Antwort eines Kindes auf die Frage kommentierte, warum Löwen nicht jüdisch sein könnten - das Kind argumentierte, weil sie böse seien und niemand es ihnen erlau­ben würde - : "This is correct, but concrete"57. Als ob ein höheres Ausmaß an Abstraktion quasi-automatisch die Gewähr für mehr Ange­messenheit und Wahrheit verbürgen würde!

e.) Kaum gattungsgemäße Interpretationen: Das Haften am Konkreten (manchem Theologen wäre es zwar zu wünschen) bedingt die weitge­hende Unmöglichkeit, biblische Texte gattungsgemäß zu verstehen oder sie mit komplexeren und abstrakten Theologumena in Verbindung zu bringen. Dies belegen Untersuchungen wie die von Debot-Sevrin über die Interpretation des Lukanischen Gleichnisses vom Verlorenen Schaf (Lk 15, 3-7)58. Trotz intensiver Instruktion interpretierten es die Kinder als die konkrete Geschichte eines Hirten, der sich um seine Schafe kümmert, und nicht als ein Gleichnisbild dafür, daß sich auch Jesus um uns Menschen sorge. Dieses Ergebnis wurde in den achtzi­ger Jahren repliziert 59. Nicht minder konkret fielen die Antworten aus, als Kinder gebeten wurden, sich zur Frage zu äußern, ob Mt 20, 1-16, die Parabel von den Arbeitern im Weinberg, etwas mit dem "Reich Gottes" zu tun habe, das in der Einleitungsformel explizit genannt wird:

I: "Nein". X: "Und warum?"

56 Ebd. 52 f.; vgl. dazu Bucher, A.A.: Symbol - Symbolbildung - Sym­bolerziehung 1990, 264-270.

57 Hyde, K.E.: Religion in childhood and adolescence 1990, 19. Er be­zieht sich auf die in Anm. 49 genannte Untersuchung von David Elkind.

58 Debot-Sevrin, M.: Essai d·enseignement experimental. L·assimilation d·une parabole 1967.

59 Ratcliff, D.: Teaching the Bible developmentally 1987. - tiberblicks­mäßig dargestellt w-erden w-eitere Untersuchungen zur Entw-icklung des Gleichnisverständnisses bei Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 37-41; Hyde, K.E.: Religion in childhood and adoles­cence 1990, 116-133; vgl. auch Hermans, C.: Wie w-erdet Ihr die Gleichnisse verstehen? 1990.

125

Page 128: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

I: "Im Himmel gibt es ja keine Weinberge" (weiblich, 8 Jahre)60.

Weitere literarische Gattungen der Bibel, die auf diesem Stadium der Denkentwicklung nur schwerlich verstanden werden dürften, sind (religiöse) Allegorien, d.h. Texte, die prinzipiell etwas anderes aussa­gen wollen, das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lk 10, 29-35) - so Augustinus - die Heilsgeschichte: Der Mann, der unter die Räu­ber fällt, sei Adam, d.h. der Mensch schlechthin, die Räuber die Teu­fel, die Leviten das Alte Testament, der Samariter Jesus, der Wirt in der Herberge der Apostel Paulus etc. Einer Untersuchung von Green­acre zufolge werden solche kognitiven Operationen erst in der spä­teren Kindheit möglich. Auch ist vorauszusetzen, daß der Deutungs­hintergrund (hier: die Heilsgeschichte) schon bekannt ist61.

Ähnlich bei den Sprichwörtern, wie wir ihnen im Alttestamentlichen Weisheitsgut reichlich begegnen. In seiner frühen Studie »Denken und Sprechen des Kindes« hatte Piaget Kinder gebeten, zu einem vorgege­benen Sprichwort aus mehreren vorgegebenen Sprichwörtern jenes auszuwählen, das ihnen passend erscheine: Noch ein Zehnjähriger suchte sich zu "Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht" "Mit zu­nehmendem Alter wird man vernünftig" aus62. Die kindlichen Fehllei­stungen erklärte sich Piaget als Assimilation von zwei Schemas (Sprichwörter) an ein noch undifferenziertes Gesamtschema, was er auch als "Synkretismus" bezeichnete. - Seither sind aber zahlreiche Untersuchungen durchgeführt worden, die das Bild modifizierten: Sprichwörter, die der Lebenswelt von Kindern näherstehen, wurden schon vor der Adoleszenz begriffen 63. Leider liegt meines Wissens noch keine Untersuchung zum Verständnis genuin biblischer Sprich­worte vor.

Eine weitere Gattung, die von Kindern eher im Sinne 'bloßer' Ge­schichten verstanden werden dürfte, sind die Wundergeschichten. Die Daten Goldmans zeigten dies überzeugend, aber auch eine momentan durchgeführte Pilot-Untersuchung zu Heilungswundern: Ein Siebenjäh­riger meinte zur Blindenheilung in Betsaida (Mk 8, 22-26):

X: "Das dürfen wir nicht, anderen Menschen in die Augen langen. Das tut weh." ....

I: "Warum aber wird diese Geschichte in der Bibel erzählt?" X: "Damit wir das nicht machen, den anderen in die Augen langen."

I: '~ber Jesus hat es getan "?

X: "Der Jesus darf das. Der macht das ganz fein, der kann zaubern."

60 Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 56; zur ProbleIlla­tik: SchW'eitzer, F.: Wie W'ird das SYIllbol zu eineIll pädagogischen und religionspädagogischen TheIlla? 1991, 176.

61 Greenacre, 1.: The response of young people to religious allegory 1971-62 Piaget, J.: Denken und Sprechen des Kindes 1983, 168-190, hier 170.

63 tiberblicke bei Gardner, H. u·.a.: The developIllent of figurative lan-

126

guage 1978, 21 f.r Hyde, K.E.: Religion in childhood and adolescence 1990, 389 f.

Page 129: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

f. Und die Metapher? Umfang- und facettenreicher ist der (entwick­lungs-)psychologische Forschungsstand zum Metaphernverstehen. Er dürfte für den Theologen bzw. Exegeten deshalb von Interesse sein, weil menschliche Rede über Gott generell als metaphorisch qualifiziert wird 64. Untersucht wurde zum einen die spontane Metaphernproduk­tion bereits in der frühen Kindheit, zum anderen die Entwicklung des Metaphern verstehens.

Daß Kinder schon sehr früh in 'Metaphern' sprechen - "Das Auto ist tot" - "Der Mond läuft uns nach" - steht außer Zweifel65. Aber dür­fen solche Äußerungen mit Recht als "metaphorisch" bezeichnet wer­den? Diese Frage stellt sich zumal dann, wenn die Metapher als eine bewußte "semantische Innovation" definiert bzw. als "bewußte" Ein­sicht aufgefaßt wird, daß beispielsweise bei "Jesus ist der Weinstock" (Joh 15) das sogenannte "Vehikel" (vehicle) - in diesem Falle "Wein­stock" - den "Topos" (topic) - "Jesus" - aufgrund gewisser "Gemein­samkeiten" (ground) bei grundsätzlicher Differenz (Jesus ist nicht ein Weinstock in einem Walliser Weinberg) mit neuen Bedeutungen ver­sieht, die anders nicht zu gewinnen sind 66.

"Nach vielen Jahren Arbeit im Gefängnis war der Wärter ein harter Felsen geworden" - unter anderem diese metaphorische Sentenz legten Wimmer, Rosentiel und Gardner Kindern zwischen 6 und 14 Jahren vor. 6/7jährige meinten zumeist, eine Hexe habe den Wärter in einen Felsen verwandelt67 . Ist diese Interpretation metaphorisch? Gemäß der vorausgestellten Definition insofern nicht, als Vehikel (Felsen) und Topos (Wärter) magisch miteinander identifiziert und nicht auf der Basis des "Grundes" auseinandergehalten und zugleich aufeinander bezogen wer­den. Ebenso verhält es sich, wenn ein Vierjähriger sagt: "Das Auto ist gestorben", sofern er unter dem "Tot-sein" das generelle Auslöschen von Funktionen (in diesem Falle des Motors) versteht68 .

8/9jährige hingegen verstanden den Satz mit dem Gefängniswärter so, er habe in den vielen Jahren steinharte Muskeln bekommen. Dies kann nun durchaus als metaphorisch gelten gelassen werden: "Harter Fels" wird gemäß des Grundes "Härte" auf den "Wärter" bezogen, allerdings in physikalischer und nicht in psychologischer Hinsicht. Erst Adoleszente hätten spontan gesagt, der Wärter sei "grausam", "abgestumpft" und "hartherzig" geworden.

64 BspW". Jiingel, E.: Metaphorische Wahrheit 1980.

65 Gardner, H. u.a.: Children's lTIetaphoric productions and preferences 1975; BiHoW", R.M.: Observing spontaneous lTIetaphor in children 1981.

66 Als prozeßhafte "selTIantische Innovation" definierte Ricoeur, P.: Die lebendige Metapher 1986, die Metapher; die Begriffe "vehicle", "to­pic" und "ground" begegnen in der angelsächsischen Metaphernde­finition: Black, M.: More about lTIetaphor 1977; Ortony, A.: Meta­phor and thought 1979; Dent, C.H.: The developlTIent of lTIetaphoric cOlTIpetence 1986, bes. 224; Glucksberg, S. & Keysar, B.: Understan­ding lTIetaphorical cOlTIparisons: Beyond silTIilarity 1990.

67 Winner, E., Rosentiel, A.K. & Gardner, H.: The developlTIent of lTIe­taphoric cOlTIpetence 1976.

68 VgL Marschark, M. & NaH, L.: Metaphoric cOlTIpetence in cognitive and language developlTIent 1985, bes. 55 f.

127

Page 130: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Was zeigen die Befunde? "Metaphernverstehen" ist ein außerordent­lich komplexes Konstrukt. Die Fragestellung, von welchem Alter an Kinder oder Jugendliche Metaphern verstehen könnten, erweist sich als viel zu simpel 69. Metaphernverstehen hängt vielmehr davon ab, über welches Weltwissen bzw. über welche semantischen Begriffsnetze hinsichtlich des Vehikels und des Topos das Subjekt jeweils verfügt, die in entsprechenden Untersuchungen auch religiös-entwicklungspsy­chologischer Art erhoben werden müßten70 .

Vor allem im späten prä- und im frühen konkret-operatorischen Stadium ist aber damit zu rechnen, daß solche Begriffsnetze noch we­niger ausdifferenziert bzw. übergeneralisierter sind als bei Jugendli­chen und Erwachsenen. In Rechnung zu stellen sind zudem die bisher beschriebenen Eigentümlichkeiten des kindlichen Denkens, so der Artifizialismus: "Gott machte die Welt" dürfte von einem Kind wort­wörtlich und nicht "metaphorisch" verstanden werden.

Hinzuweisen ist auch auf den Animismus, ein traditions- und pro­blemreiches Konstrukt, das ebenfalls aus der Religionswissenschaft in die Entwicklungspsychologie transferiert wurde71 . Er bezeichnet die Tendenz des kindlichen Denkens, auch solchen Gegenständen, die in der - vielfach nüchternen - Sicht des Erwachsenen 'tot' sind, nicht nur Leben zuzuschreiben, sondern ihnen selbst Willensabsichten, Ge­fühlsregungen und sogar ein moralisches Bewußtsein zu unterstellen. Wenn ein Kind, aus dem Fenster eines Nachtzuges schauend, sagt: "Der Mond fährt uns nach" - "Warum meinst Du?" - "Er will sehen, wo wir hinfahren" - handelt es sich nicht zwingend um eine bewußt gewordene Metapher, sondern um eine animistische Erklärung. Dies dürfte auch auf entsprechende Wendungen in der Bibel zutreffen, bspw. "Die Erde sieht es und bebt" (Ps 97, 4 b), "der Mond, der ver­läßliche Zeuge über den Wolken" (Ps 89, 38), "Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes" (Ps 19, 1), "Die Sonne frohlockt wie ein Held und läuft ihre Bahn" (Ps 19, 6 b).

gJ Keine abstrakten theologischen Interpretationen: Vor dem Hinter­grund der bisherigen Ausführungen erstaunt es nicht, daß es Kindern im späten prä- und dem frühen konkretoperatorischen Stadium viel­fach unmöglich ist, auch bei vergleichsweise 'einfachen' biblischen Geschichten die theologischen Interpretamente herauszuschälen, die denen von Erwachsenen entsprechen, selbst nicht bei der Geschichte

69 Dies spricht gegen Untersuchungen, die entsprechende Altersanga­ben behaupten, sei es die Adoleszenz: Asch, S. & Nerlove, H.: The developIIlent of double functions terms in children 1960; Cometa, M.S. & Eson, M.: Logical interpretations and metaphor interpretati­on 1978; sei es die frühe Kindheit: Vosniadou, S. u.a.: Sources of difficulty in the young child·s understanding of metaphorical lan­guage 1984.

70 Zur BegriffsentW"icklung: Szagun, G.: BedeutungsentW"icklung beim Kind. Wie Kinder Wörter entdecken 1983; Seiler, T.B. & Wannenma­cher, W.: Begriffs- und WortbedeutungsentW"icklung 1985.

71 Dazu Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 145-206; Buggle, F. & Westermann-Duttlinger, H.: Untersuchungen zum Animismus bei 5-8jährigen Kindern 1988.

128

Page 131: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

des Zachäus (Lk 19, 1-10), die, in der religiösen Unterweisung im Elementar- und Grundschulbereich sehr beliebt, entsprechend häufig eingesetzt wird. Da Goldman - gewiß zu Recht - vorgeworfen wurde, in seiner Befragung ausschließlich mirakulöse Geschichten verwendet zu haben72 , versuchte zu Beginn der siebziger Jahre Edward Whitehou­se, Einblicke in die Interpretation dieser für besonders kindgemäß gehaltenen Geschichte durch Kindergarten- und Grundschulkinder zu gewinnen. Nachdem sie die Geschichte vom Tonband gehört und dem Befrager nacherzählt hatten, wurden sie mit einer Reihe von Fragen konfrontiert, beispielsweise der, warum Zachäus Jesus sehen wollte:

"Weil er sehen wollte, was Jesus für ein Mensch ist, weil er ihn ja noch gar nie gesehen hat". - "Weil er wollte, daß Jesus ihm hilft, vom Baum run terzus teigen "... etc.73

Von einer verblüffend ähnlichen Erfahrung berichtet Fritz Oser: Ein Erstklaßkind, von ihm nach einer Religionsstunde über Zachäus ge­fragt, warum Jesus zu ihm gegangen sei, antwortete, weil er sehen wollte, was für Geschirr er habe, wie seine Frau aussehe, von welcher Farbe die Vorhänge seien. Weiter gefragt, warum denn das alles, habe es erwidert: "Weil er (jesus) ihn gern hat"74.

Aus seinen Befunden zog Whitehouse den Schluß, selbst eine nicht mirakulöse Begegnungsgeschichte aus der Bibel bereite Grundschulkin­dern Konfusionen und Schwierigkeiten. Aber gilt dies nicht in erster Linie für die von ihm gestellten interpretatorischen Fragen und weni­ger für die Rekonstruktion der narrativen Grundstruktur , wozu die Kinder allesamt in der Lage waren, desgleichen zu einer ihrer eigenen Lebenssituation entsprechenden Deutung?

Dennoch:

"Nicht aber ... objective Sätze über das unendliche Object anzuhäu­fen, die dem Gemüthe des Kindes noch fremd, nur im Gedächtnis Platz fänden" 75;

in diesem Ratschlag, der in einer »Encyklopädie des gesammten Erzie­hungs- und Unterrichtswesens« bereits 1862 gegeben wurde, besteht eine wesentliche praktisch-theologische, speziell religionspädagogische Konsequenz der bisher geschilderten entwicklungspsychologischen Befunde. Wie ist es aber damit auf den folgenden Entwicklungsstadien bestellt?

72 Salman, H.D.: Summary and critique of Goldman's resarch 1965; Godin, A.: Genetic development of the symbolic function: meaning and limits of the work of R. Goldman 1968; zum aktuellen Stand der kritischen Goldman-Diskussion: Slee, N.: Kognitiv-strukturelle Untersuchungen zum religiösen Denken. tiberblick und Diskussion unter besonderer Berücksichtigung der Forschung im Anschluß an Goldman in Großbritannien 1988.

73 Whitehouse, E.: Children's reactions to the Zacchaeus story 1972, 20. 74 Oser, F.: Grundformen biblischen Lernens 1987, 234.

75 Schmid, K.A.: Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unter­richtswesens 1862, 920.

129

Page 132: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

6.1.3. Bibelrezeptlon auf den weiteren Stufen der kognitiven Entwick-lung

6.1.3.1. Späte kon1cret- und formaloperatorlscbe Pbs.se: Die Ausführun­gen können kürzer gehalten werden, sind doch die weiteren Entwick­lungsschritte in einzelnen der angesprochenen Bereiche bereits be­schrieben worden. Bei der Tendenz zur Anthropomorphisierung zeigte sich eine sukzessive Abnahme mit höherem Alter (wobei noch elf- und zwölf jährige Kinder häufig über entsprechende Gottesbilder verfügen), desgleichen beim Artifizialismus 76. Bezüglich des Weltbildes ist zumal in der mittleren Kindheit, oft noch in der Adoleszenz mit hybridisier­ten Vorstellungen zu rechnen, die vielfach gar (noch) nicht als wider­sprüchlich empfunden werden. Die fortschreitende kognitive Entwick­lung ermöglicht auch ein zusehends adäquateres Verständnis biblischer Gattungen, so der Beispielsgeschichten oder einfacher Parabeln77 .

Dennoch bleibt die Konkretheit des Denkens nicht zu unterschätzen. Goldman ordnete dem konkret-operatorischen Stadium nach Piaget denn auch die Stufe des "konkreten religiösen Denkens" zu. Beispiels­haft sei das Argument eines Kindes, der Boden, auf dem sich Moses befand, als er den brennenden Dornbusch sah, sei deshalb heilig, weil Gott hier war 78 - eine Antwort, die man aber nicht ohne weiteres als minderwertig abtun kann.

Goldmans Ansicht nach bietet allein das Erreichen der formal-ope­ratorischen Stufe (ca. 12. Lebensjahr) die Gewähr, daß auch "abstraktes religiöses Denken" möglich wird: es befreie von "konkreten Begren­zungen"79 - bedeutet aber auch einen Verlust. Die parabolische Natur biblischer Texte könne fortan spontan erkannt, Analogieschlüsse (a : b = c : d) nachvollzogen werden. Gewiß bleibt die Generierung der formaloperatorischen Strukturen auf die Rezeptionsprozesse bibli­scher Texte nicht ohne Folgen. Aber ist sie auch hinreichend für ein erfülltes Glaubensleben und eine tragfähige (biblische) Spiritualität?

Die Befunde einer Untersuchung von Hoge und Petrillo verschärfen das Problem: "Mehr abstraktes religiöses Denken" korreliere positiv mit einem höheren Ausmaß an Verwerfung der Religion, einschließlich der Bibel. Die Formierung des abstrakten Denkens bzw. einer "religiö­sen Metakognition" ist ein zweischneidiges Schwert. Sie kann ein wirksamer Faktor sein, der von der Religion wegführt80 . Andererseits

76 Vgl. Reich, K.H.: Religiöse und naturw-issenschaftliche Weltbilder 1987. 77 Klippers, W.: Psychologie des Deutschunterrichts 1980, bes. 56 f.;

Kreft, J.: Moralische und ästhetische Entw-icklung iIIl didaktischen Aspekt 1986, bes. 274-278.

78 GoldIllan, R.: Religious thinking 1964, 56.

79 Ebd. 60. 80 Hage, D. & Petrillo, D.: DevelopIIlent of religious thinking in the

adolescence 1978, bes. 153, die die gegenteilige Behauptung von GoldIllall, R.: Religious thinking 1964, 115 w-iderlegten. Vgl. auch Nipkow-, K.E.: Erw-achsenw-erden ohne Gott 1987, 65-75. "Religiöse Metakognition" , die darin besteht, über Entstehung und Funktion von Religion zu reflektieren, w-ird diskutiert in Schw-eitzer, F. & Bucher, A.A.: Schw-ierigkeiten IIlit Religion 1988, 123 f., 142 f.

130

Page 133: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

muß ein Jugendlicher in unserer entzauberten Lebenswelt (Max Weber) den biblischen Schöpfungsbericht, sofern er nicht ein kruder Biblizist werden will, gattungs gemäß verstehen können, wozu es eines Ab­straktionsvermögens bedarf, wie es erst in der formal-operatorischen Phase möglich wird. Und genau dieses birgt die Gefahr in sich, daß der entsprechende Text nur als ein Bericht, ein Symbol nur als Sym­bol, ein Gleichnis nur als Gleichnis aufgefaßt wird.

6.1.3.2. Und nach den formalen Operationen? Auch die kognitive Ent­wicklungspsychologie verhandelt neuerdings die Frage, ob die formal­operatorische Intelligenz in der Tat das ist, worüber hinaus - mit Anselm gesprochen - nichts Vollkommeneres mehr gedacht werden kann. Sie wird von vielen verneint, so von den meisten Mitarbeitern der Sammelbände »Beyond formal operations. Late adolescent and adult cognitive development« und »Higher stages of human develop­ment« 81. Unter anderem von der Beobachtung ausgehend, daß sich das Denken eines Dreizehnjährigen von dem eines Zwanzig- oder eines Fünfzigjährigen erheblich unterscheidet, wird über Piagets formal­operatorische Stufe das "dialektische Denken" gestellt, oder eine "all­gemeine Systemtheorie", oder das "Denken in höheren Ordnungen" (Higher-Order Reasoning), oder schlicht: "Weisheit", die in der Psy­chologie neuerdings wieder gefragt ist82 .

Ohne diese Denkformen im einzelnen zu beschreiben: Gemeinsam ist ihnen, daß sie 'postformal" sind. Auch das Denken in Komplementari­tät, wie es neuerdings von Helmut Reich untersucht und auch auf die Assimilation des biblischen Schöpfungsberichts angelegt wurde83 . Es beinhaltet die Fähigkeit, einen Erkenntnisgegenstand von zwei (oder mehr) Seiten aus zu betrachten, sich der prinzipiellen Begrenztheit der einzelnen Zugänge bewußt und zugleich bestrebt zu sein, zu einer vielseitigen, eben "komplementären" Sichtweise zu gelangen. So er­scheint der biblische Schöpfungsbericht als ein Zugang neben anderen, der aber von einer naturwissenschaftlichen Erklärung nicht falsifi­ziert wird, sondern diese vielmehr ergänzt.

Hier zu nennen ist auch das in der Theologie und Religionspädago­gik bereitwillig rezipierte Konzept der "Zweiten Naivität". Beschrieben wurde es bereits von Maurice Blondei, Paul Ricoeur hingegen hat es popularisiert 84. Zweite Naivität beinhaltet die Kompetenz, Symbole (auch der Bibel> wieder als sinn- und bedeutungsvoll wahrzunehmen,

81 CODunons, M.L., Richards, F.A. & ArlYlon, C. (Hg.): Beyond forlYlal operations 1984; Alexander, C.N. & Langer, E.l. (Hg.): Higher sta­ges of hUlYlan developlYlent 1990.

82 DittlYlann-Kohli, F. & Baltes, P.: Tow-ard a neofunctionalist concep­tion of adult intellectual developlYlent: WisdolYl as a prototypical case of intellectual grow-th 1990.

83 Oser, F. & Reich, K.H.: The challenge of cOlYlpeting explanations. The developlYlent of thinking in terlYls of cOlYlplelYlentarity 1987; Reich, K.H.: Religiöse und naturw-issenschaftliche Weltbilder 1987.

84 Blondel, M.: Das Denken 11, 1956, bes. 279-304; Ricoeur, P.: Die In­terpretation 1974, bes, 506; vgl. Bucher, A.A.: SYlYlbol - SYlYlbolbil­dung - SYlYlbolerziehung 1990, 205-208.

131

Page 134: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

nachdem ihre ursprüngliche erste Naivität in der Phase der Symbolkri­tik zerbrochen war, wie sie in unserem durch die Aufklärung gepräg­ten Zeitalter nicht zu umgehen ist. Auf Bibeltexte bezogen: Anthro­pomorphe, artifizialistische oder animistische Passagen sind zwar entmythologisiert, aber sie sind es zugleich auch nicht (mehr>! Viel­mehr werden sie gelten gelassen wie sie sind und bricht sich die Ein­sicht Bahn, daß von Gott zumal in Bildern zu sprechen ist, die sich ohnehin dadurch auszeichnen, "nicht die Eindeutigkeit von Begriffen (zu) haben"8s. Eine der dafür geforderten intellektuellen Fähigkeiten ist Imagination, aber auch Kompetenz für das Konkrete, sodann die Bereitschaft, die Grenzen des Intellekts einzugestehen86 .

In der zweiten Lebenshälfte beschränkte Piaget seine Untersuchun­gen zugegebenermaßen auf die Entwicklung des 'wissenschaftlichen' Erkennens. Indem er in der Frühphase seines Schaffens die Entwick­lung des Weltbildes generell ins Auge gefaßt hatte, deckte er ur­sprünglich ein wesentlich breiteres Spektrum menschlicher Entwick­lung ab. Zwischenzeitlich ist jedoch das Paradigma des genetischen Strukturalismus in andere Bereiche der menschlichen Entwicklung (zurück) transferiert worden: 87

Erkenntnis-& Ethik Religion Selbst Ästhetik Ontologie Wissenschafts- Moral theorie

Piaget Piaget Fowler Kegan Kreft Piaget Kohlberg Oser Noam Parsons Fetz

Fetz Broughton

Im Hinblick auf Rezeption und Interpretation von Bibeltexten erörtere ich im folgenden moralische Entwicklungstheorien (6.2.1.), sodann reli­giöse (6.2.2.) und schließlich solche des "Selbst" (6.3.).

6.2. Entwicldungstheorien der Moralität und Religiosität und ihre Be-deutung fUr die Bihelinterpretation

6.2.1. Bihelinterpretation und moralische Entwicklungsstufen

6.2.1.1. 15 kaputte Tassen sind schlimmer: Die Moralpsychologie von lean Plaget. 1932 veröffentlichte Piaget »Das moralische Urteil beim Kinde«, in dem er Untersuchungen sowohl zur Entwicklung der Regelpraxis und des Regelbewußtseins sowie der des Gerechtigkeitsbegriffs refe­riert. Kinder im Vorschulalter würden mit den Regeln des Murmel­spieles noch sehr egozentrisch verfahren, sie nach Belieben einhalten oder mißachten. Zwischen 7 und 8 Jahren würden sie in das Stadium

8S Stachel, G.: Gebet - Meditation - Schweigen 1989, 17.

86 Stachel, G.: Das »nicht« als Ziel der Entbildung 1989.

87 Weitgehend übernoIllIllen aus Garz, D.: Theorie der Moral und ge­rechte Praxis 1989, 40 (dort weitere Literaturangaben) .

132

Page 135: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

der beginnenden Zusammenarbeit eintreten, im Alter von ca. 12 Jahren Regeln im Diskurs kodifizieren 88 Bezüglich des Regelbewußtseins zeigte sich, daß gerade die Kinder, die die Regeln am wenigsten be­achten, nämlich die jüngsten, diese für geradezu sakrosankt, d.h. für unantastbar halten und vielfach annehmen, Gott habe sie eingesetzt 89.

Erst in der ~!lsklingenden Kindheit würde "die Regel als ein auf ge­genseitigem Ubereinkommen beruhendes Gesetz betrachtet" 90.

Das erste Stadium in der Entwicklung des moralischen Bewußtseins hingegen ist moralische Heteronomie und "moralischer Realismus", zu erkennen an der Meinung, ein Junge, der der Mutter behilflich sein will, dabei unverschuldet 1S Tassen fallen läßt, müsse strenger be­straft werden als jener, der beim Naschen von Marmelade nur eine Tasse zerbricht91 . Zudem beharrten die von Piaget befragten Kinder auf "immanenter Gerechtigkeit". Als ihnen erzählt worden war, wie zwei Jungen Äpfel stahlen und über eine Brücke flüchteten, die in genau dem Augenblick zusammenbrach, führten sie den Einsturz mehrheitlich auf den Diebstahl zurück: 86 % der 6jährigen, aber noch 34 % der 11jäh­rigen 92. Immanente Gerechtigkeit, oft auch als "Straf animismus" be­zeichnet, wurde neuerdings von Jose wieder nachgewiesen93. Entspre­chend fordern Kinder für bestimmte Vergehen außerordentlich harte Strafen 94, die zumindest die Schwere des Delikts aufwiegen. Vergel­tungsgerechtigkeit herrscht vor, und der Gedanke an das hammurabi­sche und alttestamentliche talion (Au.§) um Auge, Zahn um Zahn, Fuß um Fuß, Ex 21, 24) liegt nicht fern 5. - Abgeschlossen werde die Entwicklung mit dem bereits in der späteren Kindheit erreichten Sta­dium der "moralischen Autonomie".

Ohne Piagets Studie weiter zu referieren96 : Die Befunde können hilf­reich sein, um moralische Interpretationen von biblischen Texten durch Kinder auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen adäquater zu verste­hen. Beispielsweise wenn ein Vorschulkind die Vernichtung des ganzen

88 Piaget, J.: Das moralische Urteil beim Kinde 1973, 22 f., 25-49.

89 Ebd. 97-102.

91 Ebd. 134-139.

90 Ebd. 24.

91 Ebd. 134-139.

92 Ebd. 285.

93 Jose, P.E.: Just w-orld reasoning in children's immanent justice judgments 1990; vgl. auch Karniol, R.: A conceptual analysis of im­manent justice responses in children 1980; Fein, D. & Stein, G.M.: Immanent-punishment and rew-ard in six- and nine-year-old chil­dren 1977; W"eitere Untersuchungen zlunal aus dem europäischen Raum listet auf: Grom, B.: Religionspädagogische Psychologie 1981, bes. 196.

94 Lickona, T.: Wie man gute Kinder erzieht 1989, 154.

95 Piaget, J.: Das moralische Urteil 1973, bes. 309.

96 Anzumerken ist, daß Piaget w-iederholt den Primat des moralischen Tuns vor dem moralischen Urteil betont: 91, 128, 309 f., 415.

133

Page 136: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Menschengeschlechts in der Sintflut oder die ägyptischen Plagen nicht nur für richtig hält, sondern sogar "schön" findet97; oder wenn es über ein ausgesprochen theonomes Verständnis der Zehn Gebote ver­fügt, das mit der Auffassung korreliert, Regeln seien sakrosankt; oder sich nicht besonders betroffen zeigt, daß David Goliath den Kopf abschlägt (1 Sam 17, 51). Auch Märchen enden oft mit einer harten Bestrafung, worin Kinder oftmals "das Schönste" an der Geschichte bestimmen.

"Die umfassendste Analyse der moralischen Entwicklung des Men­schen" stamme jedoch - so Rebell in »Psychologisches Grundwissen für Theologen« 98 - von Lawrence Kohlberg.

6.2.1.2. »Tbe cbild lJ8 amoral philosopb.er«: Die Moralpsychologie von Lawrence Kob.lberg. Dieser Titel eines Aufsatzes, den Kohlber,f. 1968 veröffentlichte, gibt sein Forschungsinteresse treffend wieder 9. An der kognitiv-entwicklungspsychologischen Perspektive Piagets orien­tiert, unterstellte er, "daß sich Kinder, ganz wie Lehrer, ihre eigene Meinung über Werte {und Moral A.BJ bilden"100. Die Entwicklung solcher Moralvorstellungen hat er geradezu rastlos und in verschiede­nen Kulturen untersucht, es aber nicht dabei bewenden lassen. Viel­mehr zog er weitreichende und konkrete moralpädagogische Kon­sequenzen, zumal die, bestehende Schulen in sogenannte "Just Com­munities" umzuwandeln101 .

Ein Hauptertrag dieses intensiven Forscherlebens ist die Stufentheo­rie des moralischen Urteils, wie sie zwischenzeitlich international re­zipiert und kritisch diskutiert worden ist102. Dem strukturgenetischen Ansatz verpflichtet, berücksichtigt diese Theorie weniger moralische Inhalte wie "Stehlen ist verwerflich"; vielmehr beansprucht das Kon­strukt "Moralisches Urteil", tieferliegende moralische Argumentation­strukturen erfaßt zu haben, die Stufen hingegen deren Entwicklung

97 Vgl. das Beispiel atn Ende von Abschnitt 6.2.2.1. (S. 144 f.)

98 Rebell, W.: Psychologisches Grundw-issen 1988, 58. 99 Kohlberg, L.: The child as a tnoral philosopher 1968; vgl. vor alletn

die Hauptw-erke: Essays on tnoral developtnent: Vol. 1.: The philo­sophy of tnoral developtnent 1981; Vol. 11: The psychology of tnoral developtnent 1984. Die tnotnentan beste und vollständigste tiber­sicht in deutscher Sprache bieten Oser, F. & Althof, W.: Morali­sche Entw-icklung und Erziehung 1991; vgl. auch Garz, D.: Sozialpsy­chologische Entw-icklungstheorien 1989, 133-176; Oser, F. & Althof, W. & Garz, D. (Hg.): Moralische Zugänge ZUtn Menschen - Zugänge ZUtn tnoralischen Menschen 1986.

100 Kohlberg, L. & Turiel, E.: Moralische Entw-icklung und Erziehung 1978, 10.

101 Kohlberg, L.: Der »Just COtntnunity«-Ansatz der Moralerziehung in Theorie und Praxis 1986; vgl. auch Garz, D.: Theorie der Moral und gerechte Praxis 1989, bes. 139-180; Lind, G. & Raschert, J. (Hg.): Moralische Urteilsfähigkeit 1987.

102 Zur kritischen Diskussion: Modgil, S. & Modgil, C. (Hg.): Law-rence Kohlberg. Consensus und controversy 1986; Kohlberg, L. u.a.: Mo­ral stages: A current fortnulation and a response to critics 1983; Edelstein, W. & Nunner-Winkler, G. (Hg.): Zur Bestitntnung der Moral 1986.

134

Page 137: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

über die Lebensspanne hinweg nachzuzeichnen. Nicht die Frage, ob ein Mann für seine sterbenskranke Frau ein für ihn unerschwingliches Medikament stehlen soll, steht im Zentrum, sondern vielmehr die, wa­rum er dies tun oder nicht tun soll.

Kohlberg unterschied drei Entwicklungsebenen, die sich ihrerseits aus zwei Stufen zusammensetzen, und für die die klassischen Merk­male einer Stufentheorie postuliert werden: Invariante Sequenz, hierar­chische Integration und qualitative Verschiedenheit der einzelnen Stu­fen sowie deren strukturierte Ganzheit:

Präkonventionelle Ebene Stufe 1: Orientierung des moralischen Urteils an absolutem Gehor

sam: recht ist, was belohnt, schlecht, was bestraft wird. Stufe 2: Orientierung des moralischen Urteils an der Befriedigung

persönlicher Zwecke: Gut sein, damit sich andere einem gegenüber auch 'gut' verhalten (Tit for Tat).

Konventionelle Ebene Stufe 3: Orientierung des moralischen Urteils an interpersonellen

Erwartungen Gleichgesinnter. Ein "guter Junge", ein "nettes Mädchen" sein (good boy - nice girl).

Stufe 4: Orientierung des moralischen Urteils an den Regeln und Gesetzen eines größeren sozialen Systems (lawand order> .

Postkonventionelle Ebene

Stufe 5: Orientierung des moralischen Urteils am Sozialvortrag, der als bestehenden Gesetzen vorausliegend erkannt wird.

Stufe 6: Orientierung des moralischen Urteils an universalen ethischen Prinzipien (bspw. dem Kategorischen Imperativ).

Schon bald wurde nach der Relevanz dieser moralpsychologischen Stu­fentheorie für Theologie und religiöse Erziehung im allgemeinen, für die Exegese im besonderen gefragt103. Während Theologen wie Dyk­stra sie ablehnten, weil sie die menschliche Sündhaftigkeit verkenne, zudem die Imagination als Motivationsquelle moralischen Handeins ausblende, kognitivenggeführt und insgesamt psychologistisch sei104;

während ihm sogar - wenngleich unbeabsichtigt - Sektiererei vorge-

103 Vgl. Duska, R. & Whelan, M.: Moral developDlent. A guide to Pia­get and Kohlberg 1975 (die Verfasser verstehen sich als 'christian educators'); Munsey, B. (Hg.): Moral developDlent, education, and Kohlberg 1980; BrusselDlans, C. (Hg.): Toward Dloral and reHgious Dlaturity 1980; ]oy, D.M. (Hg.): Moral developDlent foundations 1983; SDlith, M.: Religious education 1986. ZusaDlDlenfassung bei ]oy, D.: SODle critical adaptions for ]udaeo-Christian CODlDlunities 1986, 402 f.; Bucher, A.A.: Die Theorie der Dloralischen Entwick­lung von Lawrence Kohlberg und seiner Schule und die Moraltheo­logie 1991.

104 Dykstra, C.A.: What are people like? An alternative to Kohlberg's view 1983.

135

Page 138: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

worfen wurde lOS, würdigte Schmidt seine Theorie als "Begleiter zum Evangelium", allerdings mit der schwerwiegenden Einschränkung, das Eigentliche, nämlich das Evangelium verfehlt zu haben, wofür er sich auf Luthers Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium bezog106.

Ohne weiter auf diese Diskussion einzugehen: Worin könnte - wenn überhaupt - ein konkreter Nutzen dieser Stufentheorie für Bibelpsy­chologie und Exegese bestehen? Angeregt von Kohlbergs Aufsatz »Moral psychology and the study of the tragedy« - in dem er be­rühmte Dramenfiguren den Moralstufen zuordnete: Kreon der Stufe 4, Antigone desgleichen! 107 - gliederte West in einem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel »Biblical history as a progression through Kohl­berg's moral stages« die biblische Heilsgeschichte in die einzelnen Stufen auf:

Stufe 1: Von Adam bis zur Flut: Orientierung an absolutem Gehorsam

Stufe 2: Von Noah zu Jakob: 'Moralisch' handeln, um für sich konkre ten Nutzen zu schlagen (von der Flut verschont werden, etc.)

Stufe 3: Die Aera um Josef: Moralität der Sippe ('peer group')

Stufe 4: Von Mose bis zu Jesus: Orientierung am Gesetz des Mose

Stufe 5: Jesu Sendung: Postkonventionelle Moral

Stufe 6: Zwischen Auferstehung und Pfingsten: Universalität

Marion Smith bemängelt an diesem spekulativen Schema, es negiere sämtliche Befunde der modernen Bibelkritik und sei für praktische Zwecke nur wenig geeignet108. In der Tat ist es generell fragwürdig, wenn nicht blanke Psychologisierung, das moralische Verhalten und Urteilen biblischer Individuen bestimmten psychologischen Entwick­lungsstufen zuzuordnen. Zulässig und für die Praxis aufschlußreicher wäre es jedoch, zu untersuchen, wie Personen, die hier und heute le­ben und auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen stehen, moralisch relevante Episoden, wie sie auch die Bibel erzählt, rekonstruieren und deuten.

Eine dafür relevante Untersuchung führte zu Beginn der siebziger Jahre Robert Selman durchl09. Wie legen Kinder und Jugendliche auf unterschiedlichen Stufen die Goldene Regel aus, wie sie auch in der Bibel begegnet (Mt 7, 12; Lk 7, 31; vgl. auch Lev 19, 18)? Die Auffas-

105 Joy, D.M.: Kohlberg revisited 1983, bes. 58.

106 Schmidt, S.A.: Moral development. A companion to the gospel 1983, bes. 143.

107 Kohlberg, L.: Moral psychology and the study of tragedy 1973, hier 34 f. Auch Hiob w-ird, w-eil sich sein moralisches Urteil an einer göttlichen Weltordnung orientiere, dieser Stufe zugeordnet (40).

108 Smith, M.: Religious education 1986, 291.

109 Seiman, R.: Taking another's perspective 1971.

136

Page 139: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

sungen von Probanden auf Stufe 2 und 3 unterschieden sich erheblich: erstere verstanden sie im Sinne von "Tit for Tat": Wenn man auf der Straße jemandem begegne, der einen Hieb austeilt, müsse man gemäß der Goldenen Regel in gleicher Weise zurückschlagen. Anders die Befragten auf Stufe 3: Die Regel bedeute beispielsweise, daß, wenn man reich sei und wisse, was Armsein konkret bedeute, man mithelfen solle, Armut zu beseitigen. "Role Taking" {Perspektivenübernahme} er­wies sich als sehr bedeutsam. Denn die der Stufe 2 gegenüber zwei­fellos adäquatere Auslegung verdankt sich der Fähigkeit, mehr noch der Bereitschaft, vom eigenen Standpunkt abzusehen und in die Haut unbekannter Anderer zu schlüpfen.

Zwar nicht auf der Basis empirischer Erhebungen, sondern spekula­tiv haben Duska und Whelan versucht, stufenspezifische Auffassungen religiöser Inhalte, auch biblischer, herauszuarbeitenl1~ Ein Kind auf Stufe 1 verstehe die Aussage "Gott ist allmächtig" so, als ob "Gott ein großer Mann sei, außerordentlich streng und primär mit Strafen be­schäftigt" 111. Auf Stufe 2 hingegen werde er als "Vater" wahrgenommen, der dem Kinde beisteht und es belohnt, sofern es seine Gesetze ein­hält. Besonders wirksam sei das Versprechen ewiger Seligkeit, bzw. die Drohung ewiger Strafe, und von apokalyptischen Reden sei anzu­nehmen, daß sie 'direkt' auf das eigene Selbst bezogen werden.

Auf Stufe 3 erwarte Gott "gute Jungen" und "nette Mädchen". Wirk­same Effekte zeitigten {biblische} Geschichten von Helden und Heili­gen, bspw. die Legende von Sankt Tarsius oder die Geschichte von David und Jonathan. Auch der Verrat des Judas dürfte anders ge­wertet werden als auf der präkonventionellen Ebene: als schwerwie­gender Verstoß gegen die Gruppen- bzw. Jüngerloyalität im Sinne der Stufe 3. - Auf Stufe 4 sodann werde in Gott der autoritäre Garant fester Regeln und Gesetze (speziell der Kirche) gesehen112. In den Ausführungen zur postkonventionellen Ebene gehen die Autoren aber nicht mehr auf genuin biblische Themen ein, sondern vor allem auf das vom 2. Vatikanum weitgehend durchgesetzte Kirchenbild, das die Freiheit des Menschen nicht einschränke, sondern vielmehr voraussetze.

Insgesamt spricht einiges für die Annahme, "daß die Strukturen (des moralischen Urteils, A.B.) als Filter fungieren, durch welche die Glau­bensinhalte hindurchgehen müssen", wobei sie oftmals "verändert" werden113. Oder in den Worten von James Lee:

"Mir scheint, Kohlberg bekräftige eine altbekannte Einsicht der Scholastik: Daß alles Lernen in Entsprechung zur Art und Weise des Lerners erfolge (Lat.: Quidquid recipitur secundum modum recipien­tis recipitur, A. B.). Ein Kind lernt die Zehn Gebote entsprechend seiner bisher geleisteten Entwicklung, und nicht entsprechend der

110 Duska, R. & Whelan, M.: Moral developrnent. A guide to Piaget and Kohlberg 1975, 83-96.

111 Ebd. 83.

112 Ebd. 88.

113 Ebd. 83.

137

Page 140: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

logischen Struktur oder entsprechend der angeblich ewigen Bedeu­tung der Zehn Gebote selber".114

Weitere empirische Studien zur Rezeption biblischer Texte, in denen die Stufen des Moralischen Urteils gleichsam als Unabhängige Varia­blen fungieren, wären zu wünschen.

Kohlberg beschränkte sich bewußt auf die Entwicklung von Moral­und Gerechtigkeitsstrukturen. Von ihm sowie Piaget beeinflußt, haben weitere Vertreter des strukturgenetischen Ansatzes auch die Entwick­lung genuin religiöser Urteilsstrukturen untersucht. Sind auch sie relevant für die Interpretation biblischer Texte?

6.2.2. Blbelinterpretation und religiöse Entwicklungsstufen

6.2.2.1. BntwiclclUlJlf88tufen des rellglÖ/len llrtell8 nach Frifz 08er: In der kritischen Diskussion religiöser Entwicklungstheorien, die sich dar­auf beschränken, Piagets kognitive Entwicklungstheorie auf religiöse Inhalte und Konzepte anzuwenden (paradigmatisch Goldman), wurde oft moniert, auf diese Weise werde anhand religiöser Semantik zwar die Denkentwicklung erfaßt, nicht aber die Entwicklung von Religiosi­tät sui generis115. Zu diesen Kritikern gehören auch Fritz Oser und Paul GmÜnder. Sie erarbeiteten eine Stufentheorie des religiösen Urteils bzw. Bewußtseins, die mittlerweile international rezipiert (und kriti­siert) worden ist116. Im Anschluß zumal an den Philosophen Hermann Lübbe bestimmen sie Religiosität als "Kontingenzbewältigungspraxis" , sind sich aber bewußt, daß diese Definition ein zusätzliches religiöses Proprium benötigt. Sie setzten es mit dem Konzept der Beziehung zu einem Göttlichen 117 und definierten das religiöse Urteil als "Ausdruck jenes Regelsystems einer Person, welches in bestimmten Situationen das Verhältnis des Individuums zum Ultimaten überprüft"118.

Bevor in der gebotenen Kürze die Entwicklungsstufen des dergestalt konzipierten religiösen Urteils präsentiert werden, greife ich einige der beeindruckendsten Passagen aus der mit Recht ein Bestseller gewor­denen Schrift »Das entfesselte Buch« des amerikanischen Theologen und Predigers Richard Rohr auf. Sie finden sich im Kapitel "Heilsge­schichte". In dieser wird eine "Evolution des Glaubens" gesehen, die sich nicht nur in der Geschichte des Volkes Israel ereignet habe, sondern immer wieder neu von jedem Menschen durchlaufen werde119 .

114 Lee, J.M.: Christian religious education and moral development 1980, 245. Vgl. auch Wilcox, M.M.: Contributions of Kohlberg's theory to theological epistemology 1986, bes. 392; dies.: Develop­mental journey 1979.

115 Rosenberg, R.: Die Entvvicklung von Gebetskonzepten 1989, bes. 175 f.

116 Grundlegend: Oser, F. & GmUnder, P.: Der Mensch - Stufen seiner religiösen Entvvicklung 21988 <tibersetzungen ins Französische und Englische); Oser, F.: Wieviel Religion braucht der Mensch 1988.

117 Oser, F. & GmUnder, P.: Der Mensch 1988, bes. 43 f.; LUbbe, H.: Religion nach der Aufklärung 1986; Wuchterl, K.: Analyse und Kri­tik der religiösen Vernunft 1989.

118 Oser, F. & GmUnder, P.: Der Mensch 21988, 28.

119 Rohr, R.: Das entfesselte Buch 1990, 158 ff.

138

Page 141: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Zu Recht erinnert dies an das zumal in der frühen Entwicklungspsy­chologie populäre biogenetische Grundgesetz, wonach in der On­togenese die Phylogenese rekapituliert werde, bzw. zwischen diesen zumindest Konvergenzen bestünden 120.

Rohr unterscheidet vier "Stadien": den "exklusiven Glauben", der zu einer "ethnozentrischen" Religion führe. Sie rechtfertige nicht nur, An­dersgläubige abzuschlachten, um auf diese Weise Gott zu gefallen; solche Interventionen werden ihm vielmehr selber zugetraut, beispiels­weise als jeder ägyptische Erstgeborene sein Leben lassen mußte, oder als das ägyptische Heer im Schilfrneer ertrank. Rohr selber bezieht diesen Glaubensstil auf die Religiosität von Kindern und verweist auf die ihm entsprechende "primitive Moral". Dieser Glaube sei aber "nur ein Anfang".

Darauf folge das Stadium des "Bundesglaubens". Offenbart am Sinai, sei er von den Israeliten verstanden worden, "als ob ihnen Gottes Lie­be im vertraglichen Rahmen eines Tauschhandels" angeboten würde. Dieser Glaube könne zwar "sehr individualistisch und egozentrisch" sein und zu einer Religiosität der Werke führen, um sich Gottes Gunst zu erkaufen. Aber er weise, weil dabei "viel gelernt" werde, auch positive Seiten auf und werde von "jedem Kind" durchlaufen.

Auf dem nächsten Stadium entfaltet sich der "prophetische Glau­ben". Er setzt voraus, daß existenziell erfahren wurde, wie "Gott so völlig anders ist als wir und so jenseits von uns", mit Werken nicht zu kaufen und nicht als Rächer zu fürchten, die Menschen vielmehr liebend. Dies geschehe jedoch aus der Ferne und berge die Gefahr in sich, zu wähnen, "daß wir die Rettung der Welt aus eigenen Kräften und ganz allein bewerkstelligen müssen".

Diese Trennung von Gott und Welt bzw. Menschenleben wird im Stadium 4 vom "inkarnatorischen Glauben" überwunden. Die Einsicht setze sich durch, "daß sich Gottes Liebe und Gnade im Leben und in zwischenmenschlichen Beziehungen verwirklicht,,121. Erst mit der vom Neuen Testament bezeugten Inkarnation Christi sei diese Stufe er­reicht worden.

Den Evolutionsstufen des Glaubens, wie sie der Theologe Rohr be­schrieben hat, entsprechen nun frappant die von den Psychologen Oser und Gmünder erarbeiteten und in mehreren Querschnittuntersuchungen validierten Entwicklungsstufen des religiösen Urteils122.

120 VgL bspW". Ferriere, A.: Biogenetik und Arbeitsschule 1912, der das CurriculuDl für die gesaDlte Schulzeit VODl biogenetischen Grund­gesetz herleitete.

121 Rohr, R.: Das entfesselte Buch 1990, 159.

122 VgL die uDlfangreicheren Stufenbeschreibungen bei Oser, F. & GDlün­der, P.: Der Mensch 21988, 79-96, soW"ie 131-158.

139

Page 142: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Stufe 1: Perspektive des "Deus ex machina"

Auf dieser Stufe wird in Gott ein allmächtiges Gegenüber gesehen, das konkret und punktuell ins Weltgeschehen eingreifen kann, sei es positiv, indem es die 'Guten' für redliches Verhalten belohnt, beschützt und beschenkt; sei es negativ, indem es die 'Bösen' zu­rechtweist oder bestraft. Das Kind erfährt sich als weitgehend reaktiv; das Göttliche hingegen ist absolutes Subjekt, dem sogar zugetraut wird, Flugzeuge abstürzen zu lassen.

Stufe 2: »Do ut descc-Perspektive

Der Fortschritt gegenüber Stufe 1 besteht darin, daß das Kind fort­an auf das illtimate einwirken kann; es hat nun Mittel in der Hand, Gott für sein Wohlergehen in Dienst zu nehmen und sich vor ihm abzusichern. Das Verrichten guter Werke, das Einhalten der Gebote verbürgt Gottes Gunst und Gnade; verwerfliches Verhalten hingegen zieht berechtigte Sanktionen nach sich. In der Tat: "als ob ... Gottes Liebe im vertraglichen Rahmen eines Tauschhandels" angeboten wür­de (R. Rohr).

Stufe 3: Perspektive des Deismus

Stufe 2 birgt insofern eine Gefahr in sich, als auch der "Gerechte" vom Leiden vielfach nicht verschont wird und 'gute' Werke vor Un­heil nicht immer schützen. Zumal solche Erfahrungen, wie sie gera­de dem alttestamentlichen Menschen nicht fremd sind (HiobD, zerbrechen die bisherige Struktur. An ihrer Stelle beginnt sich die Stufe 3 zu formieren: Gott greife nicht mehr direkt ins Weltgesche­hen ein, sondern driftet weg, in einen ihm eigenen Bereich, wenn er nicht überhaupt in seiner Existenz bestritten wird. An die so ent­stehende Leerstelle tritt der Mensch selber, der sich für sein Schicksal und für das seiner Welt fortan weitgehend selber verant­wortlich fühlt und selbst bestimmen will.

Stufe 4: Orientierung an Korrelation und Heilsplan

Auf Stufe 4 werden der Bereich des Göttlichen und der des Men­schen neu miteinander vermittelt: Gott scheint in der Welt auf, in Symbolen, im Kult, in seiner Schöpfung. Die auf Stufe 3 formierte Ich-Autonomie des Menschen wird aber nicht rückgängig gemacht; vielmehr wird Gott als die Bedingung der Möglichkeit menschlicher Freiheit erfahren. Zudem erkennt der Mensch, daß in seinem Leben, aber auch in der Geschichte generell ein verborgener Heilsplan wirksam ist, der es ermöglicht, leidvolle Erfahrungen ex retro als dennoch notwendig, als Entwicklungsschritte zu begreifen.

Stufe 5: Orientierung an Intersubjektivität und universaler Solidarität

Auf dieser - nur selten erreichten - Stufe "verwirklicht sich Gottes Liebe und Gnade im Leben und in zwischenmenschlichen Beziehun­gen" (R. Rohr). Gott wird dort zum Ereignis, wo Menschen sich bedingungslos lieben, sich trösten, sich befreien. Konfessionelle Grenzen beengen nicht mehr; vielmehr wird die Perspektive einer universalen Solidarität eingenommen und das Göttliche als absolute Freiheit bestimmt, die die Menschen selbst zum Ziel hat.

140

Page 143: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Ohne an dieser Stelle auf die vielfältigen Kritiken eingehen zu kön­nen, die in den letzten Jahren an diese Theorie gerichtet wurden123, ohne die facettenreichen statistischen Befunde zu entfalten124 und weitere Untersuchungen im Umfeld dieser Theorie zu präsentieren125 -welches ist die Relevanz dieser strukturgenetischen Theorie für die Interpretation biblischer Texte?

Eine elf jährige Schülerin auf Stufe 2 des religiösen Urteils legte das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16) folgendermaßen aus:

X: Die Geschichte will einfach, könnte als der Herr, es ist einfach machen sollte."

daß man es besser machen ein Beispiel, wie man es nicht

I: "Wie hätte denn Gott gehandelt?"

X: "Er hätte auf ein Plakat geschrieben, für eine Stunde diesen Lohn, und für zwei Stunden soviel, und für zehn Stunden SO Franken. Und er hätte den Lohn einfach gerecht verteilt. "126

Gott, der gemäß der erbrachten Leistungen belohnt; der Weinbergbe­sitzer, der dieses Prinzip mißachtet und entsprechend gerügt wird: Die Isomorphie zwischen der Stufe 2 und der Struktur der Interpretation ist offensichtlich. Ist generell davon auszugehen, daß biblische Texte, zumal wenn sie die Beziehung des Menschen zu Gott thematisieren, stufenspezifisch rekonstruiert werden? Oser und Gmünder haben dies behauptet: die Stufen des religiösen Urteils würden "einsichtig" ma­chen, "warum ein bestimmter, konkreter (Wissens-)Inhalt auf jeder Stufe völlig anders gesehen wird"127.

Die Hypothese wurde in einer empirischen Rezeptionsstudie anhand von Parabeldeutungen überprüft. Wie der ursprünglich Titel "Wenn zwei das gleiche Gleichnis hören, so ist es nicht das gleiche" andeutet128, liessen sich unterschiedliche Interpretationstypen nachweisen, die schwerpunktmäßig auf den struktural entsprechenden Stufen auftraten, bei Mt 25, 14-30 (Anvertraute Talenten) die folgenden:

123 Einen umfassenden tiberblick - mit Repliken - bietet: Oser, F.: Genese und Logik der Entw-icklung des religiösen Bew-ußtseins. Ei­ne Entgegnung auf Kritiken 1988, bes. 73-87: vgl. auch Nipkow-, K.E., Schw-eitzer, F. & Fow-Ier, J.W. (Hg.): Glaubensentw-icklung und Erziehung 1988: Bucher, A.A. & Reich, K.H. (Hg.): Entw-icklung von Religiosität 1989: Hoffmann, B.: Kognitionspsychologische Stufentheorien 1991, 249-290.

124 Oser, F. & Gmiinder, P.: Der Mensch 21988, 174-203.

125 Oser, F. & Bucher, A.: Die Entw-icklung des religiösen Urteils. Ein Forschungsprogramm 1987.

126 Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 118. 127 Oser, F. & Gmiinder, P.: Der Mensch 21988. 219.

128 Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990.

141

Page 144: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

A: Die Geschichte warnt davor, nicht so streng mit den Menschen zu verfahren wie der Herr zu seinen Knechten, weil man sonst be­straft wird.

B : Die Geschichte will, daß die Menschen für den Herrn, für Gott et­was tun, um von ihm belohnt und nicht bestraft zu werden.

C: Das Gleichnis ist ein Appell dafür, sich selbst zu verwirklichen und die eigenen Talente selbstverantwortlich zu entfalten (dies aber nicht im Hinblick auf einen göttlichen Lohn).

D: Das Gleichnis wird entschieden verworfen, sofern Gott so - als Belohnender und Bestrafender - dargestellt sein soll.

E: Das Gleichnis ist ein Appell, die Gaben, die von Gott immer schon geschenkt sind, anderen zugutekommen zu lassen; Geschenktes dränge danach, weitergegeben zu werden und sich zu vermehren.

Interpretationstypen zu Mt 25,14 ff. und religiöse Urteilsstufen

4 4(3) 3-4 3(4)

3 3(2) 2-3 2(3)

2 2(1)

1-2 1(2)

1

Stufe

• ••• Typus A

•• ••• • • • ••

B

• • • • • • • ••• ••• •

c D E

'Moralisierende' Deutungen finden sich nur auf den tieferen Stufen. Ausschließlich die jüngsten Probanden (auf Stufe 1) meinten, die Ge­schichte wolle, daß man mit Knechten nicht gleich schimpfe. Typ B, dem die "Do ut des-Struktur" am· deutlichsten zugrundeliegt, verteilt sich um die Stufe 2. Typ C, der auf den für Stufe 3 bezeichnenden Elementen "Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung" basiert, weist zwar eine breitere, doch um die entsprechende Stufe konzentrierte Streuung auf. Bedenkenswert ist, wie wenig Interpretationen des Typs E vertreten wurden, der allein den theologischen Auslegungen etwa bei Weder entspricht129: nur von zwei Probanden auf der Stufe 4. Drei Probanden, die ähnlich eingestuft wurden, verwarfen die Parabel des­halb, weil sie sie im Sinne tieferer Stufen (Lohn-Leistung) rezipierten und ihr infolgedessen keinen Sinn mehr abringen konnten (Typ D).

129 Weder, H.: Die Gleichnisse Jesu als Metaphern 1978, 204-210.

142

Page 145: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

An genau diese Interpretationstypen erinnerte sich eine Fünfzigjährige:

X: 'Ja, ich hatte sie (diese Geschichte) gehört als Kind. Und als Kind habe ich einfach das mit Belohnung und Bestrafung heraus­gelesen. Das war sowieso stark in unserer Erziehung. "

I: "Und in welchem Alter war das ungefähr?" X: "Also vor sechzehn Jahren einfach." I: "Und in der Phase nachher, als Sie geglaubt haben, alles käme

nur auf Sie selber an, wie haben Sie wohl damals diese Ge­schichte empfunden?"

X: "Damals einfach als ungerecht, und ich hätte vielleicht auch gar nicht mehr gesehen, daß diese Geschichte etwas mit Gott zu tun hat. An dem habe ich damals sowieso gezweifelt. Und bevor ich zehn Jahre alt gewesen bin, da hätte ich von dieser Geschichte einfach nur Angst bekommen."

I: "Und jetzt, wenn Sie noch in einem einzigen Satz zusammenfassen könnten: Was sehen Sie jetzt als das Wichtigste an diesem Gleichnis? "

X: "Das Wichtigste an diesem Gleichnis ist, daß wir das, was wir mitbekommen haben, daß wir das verbreiten, den anderen weiter­geben, damit es wächst und sich vermehrt."

Die Interpretationstypen zur Parabel von den Arbeitern im Weinberg sind die folgenden:

A: Nicht neidisch sein wie die ersten Arbeiter; Zufriedenheit zeigen an dem, was man hat und bekommt.

B: Nicht so handeln wie der Herr, weil es ungerecht ist, sondern die Menschen gemäß ihrer Leistungen belohnen, weil Gott dies auch so macht und so will.

C: Das Gleichnis zeigt, daß man sich selber verwirklichen soll, sich engagieren, was nicht mehr 'external' begründet wird und unter­schiedliche allegorische Ausprägungen annehmen kann.

D: Die Parabel zeigt die Güte Gottes und fordert uns auf, zu unseren Nächsten ebenfalls gütig zu sein, um so dem Reich Gottes Raum zu verschaffen, dies nicht zuletzt deshalb, weil uns die Möglichkeit dazu, wenn wir vertrauen, immer schon geschenkt ist.

Interpretationstypen zu Mt 20, 1 ff. und religiöse Urteilsstufen

4 4(3) 3-4 3(4)

3 3(2) 2-3 2(3)

2 2(1)

1-2 1(2)

1

Stufe Typus

• •

• ••• A

• • • • • • •• B

• • • • • • • ••• • • •

c D

143

Page 146: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Der Trend entspricht dem bei Mt 25,14 ff.: 'Moralisierende' Deutun­gen, charakterisiert durch eindimensionale Reziprozität, begegneten nur auf den Stufen 1 und 2. Typ C, der auf Autonomie und Selbstverant­wortung abhebt und die Trennung zwischen dem irdischen und göttli­chen Bereich akzentuiert, zentriert sich um die dritte Stufe. Eine breitere Streuung weist Typ D auf, mit Schwergewicht jedoch auf den höchsten Stufen.

Eine andere Frage, die durch Rohrs Beschreibung der vier Stadien der alttestamentlichen Glaubensentwicklung nahegelegt wird, lautet: Lassen sich biblische Texte einzelnen Stufen zuordnen, Ex 14 (Durch­zug durchs Rote Meer, Vernichtung des ägyptischen Heeres) beispiels­weise der Stufe 1? Obgleich Konvergenzen nicht von der Hand zu weisen sind, ist diesem Vorhaben gegenüber grundsätzlich Skepsis angebracht. Denn biblische Texte - nicht nur Gleichnisse! - können gemäß unterschiedlicher Stufen rekonstruiert werden, die Josefsge­schichte beispielsweise in dem Sinne, daß Gott ihn zumal deshalb behütet habe, weil er sich dies durch sein Verhalten verdient habe (Stufe 2), oder dann mittels der Kategorien "Selbstbestimmung" und "Heilsplan", der an den Knotenpunkten der Erzählung in der Wendung "Der Herr war mit losef" (Gen 39, 2 par) immer wieder aufscheint (Stufe 4). Relevant ist diese Stufen theorie in erster Linie als herme­neutische Hilfe, um Interpretationen von Bibeltexten durch andere Subjekte verstehend nachzuvollziehen.

Ein Beispiel: Vorschul- und Kindergartenkinder sitzen im Kreis und betrachten ein Bilderbuch mit der Sintflutgeschichte 130:

Das erste Bild zeigt in Brueghelscher Manier, d.h. in vielen konkre­ten Episoden die Boshaftigkeit der Menschen. Die Kinder kommentier­ten durcheinander:

X: Boxt in den Bauch - zerrt eine Katze am Schwanz - das ist bös - da stellt einer der Oma das Bein - leert Äpfel aus - geht am Bettler vorbei...

Das nächste Bild zeigt den schlafenden Noah und eine Hand, die von oben her ins Bild hineinragt und sich in einem Lichtstrahl fortsetzt, der auf Noahs Haupt fällt:

X: Was ist das für eine Hand? - Dem Gott seine, er sagt, Noah soll ein Schiff bauen.

Auf dem nächsten Bild sind der Bauplatz der Arche und viele Leute zu sehen, die Noah und seine Söhne verhöhnen.

X: Die lachen ja - lachen den Noah aus, weil er ein Schiff baut und es ist kein See da - Aber die werden alle ersaufen ...

Die nächsten Bilder zeigen, wie die Tiere in die Arche einziehen; das nächste, nachdem die Flut hereingebrochen war, wie zwei Männer von einem Baum kopfvoran in die Wogen stürzen.

130 Stenographisch notiert VOIll Verfasser. Es handelt sich UIll drei seiner eigenen soW'ie drei benachbarte bzW'. befreundete Kinder; Fussenegger, G.: Die Arche Noah 1982.

144

Page 147: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

X: Jetzt ersaufen sie ... man sieht nur noch die Beine ... das Porte­monnaie ist auch naß ... Das ist ganz recht, daß die ersaufen, ein­ander auslachen ...

Der Verfasser trat hinzu und fragte: ''Findet Gott das richtig, daß die alle ertrinken?" - Das älteste Mädchen (7 Jahre) schaute verwundert: "Warum fragst Du? Weißt Du nicht, daß das der Gott gemacht hat? Die waren doch alle so bös ... "

Diese Sichtweise der Sintflutgeschichte entspricht der Stufe 1 nach Oser und GmÜnder. Solange sie für Kinder plausibel ist, sollte sie to­leriert werden. Werden Kinder sogleich korrigiert und permanent eines besseren belehrt, ist zu befürchten, daß sie niemals selbständig die Bibel auslegen lernen, niemals "autonome Bibelleser" werden131 .

6.2.2.2. Entwicklungsstufen des Glaubens nach ]B1l7es W. Fowler:

"Wenn Sie Ihr Leben in Kapitel einteilen würden wie ein Buch, wie würden Sie diese überschreiben?",

so beginnt James W. Fowler, Pfarrer der United Methodist Church und Direktor eines eigenen "Center for Faith Development" in Atlanta, seinen Aufsatz »Faith and the structuring of meaning«132. Von Hause aus Theologe, promoviert mit einer Arbeit über das Reich Gottes­Konzept bei Richard Niebuhr133, begann er, beeinflußt von Piaget und Kohlberg, in den siebziger Jahren damit, die Glaubensentwicklung em­pirisch in der Form intensiver, biographisch orientierter Tiefeninter­views zu untersuchen. Diesen Studien legte er einen ausgesprochen breiten Begriff von Glaube (faith) zugrunde: er sei "nicht eine sepa­rate Dimension des Lebens", sondern beinhalte "die Orientierung des ganzen Menschen,,134. Glaube wird - im Anschluß an den Religions­wissenschaftler C.H. Smith unterschieden von Glaubensinhalten (belief). In scholastischer Terminologie: Fowlers Theorie bezieht sich primär auf die "fides qua creditur", ohne jedoch zu bestreiten, daß dieser Glaube immer auf die "fides quae creditur" bezogen bleibt und von ihren Inhalten zehrt135.

131 Vgl. dazu Oser, F.: Grundforrnen biblischen Lernens 1987.

132 1980, 52; W'eitere W'ichtige Veröffentlichungen: FoW'ler, j.W.: Stages of faith. The psychology of hutnan developrnent and the quest for tneaning 1981; Die Berufung der Theorie der GlaubensentW'icklung. Richtungen und Modifikationen seit 1981, 1988; GlaubensentW'ick­lung. Perspektiven fiir Seelsorge und kirchliche Bildungsarbeit 1989. - Zur kritischen Diskussion: Dykstra, C. & Parks, S. (Hg.): Faith developtnent and FoW'ler 1986; SchW'eitzer, F.: Lebensge­schichte und Religion 1987, bes. 159-165; NipkoW', K.E., SchW'eitzer, F. & FoW'ler, j.W. (Hg.): GlaubensentW'icklung und Erziehung 1988.

133 FoW'ler, j.W.: Ta see the Kingdorn. The theological vision of H. R. Niebuhr 1974.

134 FoW'ler, j.W.: Stages of faith 1981, bes. 9-15, 91 f.

135 FoW'ler, j.W.: Eine stufenW'eise geschehende Einführung in den Glauben 1984, 309.

145

Page 148: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Dieses breite Verständnis von "Glaube" hatte bei der methodologisch unumgänglichen Konstruktbildung zur Folge, daß Fowler insgesamt sieben geläufige Entwicklungstheorien heranzoJt36:

- Form des Denkens (Piaget) - Rollenübernahme (Seiman) - Moralisches Urteilen (Kohlberg) - Grenzen des sozialen Bewußtseins, soziale Perspektive - Verortung von Autorität (locus of controO - Form zusammenhangs stiftender Weltdeutung - Symbolfunktion

Dieses Konzert von faith stieß wegen seiner umfassenden Breite auf Zustimmung1 ~ zog aber auch die Kritik auf sich, eine Unterschei­dung zwischen Glaubensentwicklung und allgemein menschlicher Ent­wicklung zu verunmöglichen: "In sum, Fowler's is an »everything and nothing« view of faith,,138. Ein explizites religiöses Proprium enthält dieser Ansatz jedenfalls nicht. Zudem handelt es sich - weil aus Konglomeraten mehrerer Entwicklungstheorien zusammengesetzt - um "weiche Stufen", die innerhalb des strukturgenetischen Ansatzes von den "harten Stufen", die "organisierte Handlungssysteme" bilden, unter­schieden werden139.

Obschon Glaube in Fowlers Sicht ein "extrem komplexes Phänomen" ist140, wird er in ein harmonisches Schema von insgesamt sieben Stu­fen eingefügt. Des Eindrucks der kosmetischen Harmonisierung kann man sich aber nicht völlig erwehren. Ein Stufenübergang impliziert jeweils strukturale Veränderungen in allen sieben genannten Entwick­lungsbereichen. Um welche Stufen handelt es sich nun?141 Und sind sie relevant für die Rezeption und Interpretation biblischer Texte?

Stufe 0 ist die des "ersten Glaubens'·' (primal faith) , über den im Alter von ca. 2 Jahren die Stufe des ''intuitiv-projektiven'' <intuitive -projective) Glaubens errichtet wird. Intuitiv ist er insofern, als das Denken des Kindes, wie für die präoperatorische Phase bezeichnend, noch nicht reversibel und egozentrisch sei; projektiv insofern, als, wie

136 Vgl. die tabellarische tibersicht bei Schw-eitzer, F.: Lebensge­schichte und Religion 1987, 142 f.

137 Bspw-. Schneider, C.D.: Faith development and pastoral diagnosis 1986, 229; Pow-er, C.: Harte oder w-eiche Stufen der Entw-icklung des Glaubens und des religiösen Urteils 1988, bes. 122: "Ihre Stär­ke (der Theorie der Glaubensentw-icklung) liegt in ihrem umfas­senden Charakter .....

138 Fernhout, H.j.: Where is faith? Searching for the core of the cube 1986, bes. 66.

139 Pow-er, C.: Harte oder w-eiche Stufen der Entw-icklung des Glau­bens und des religiösen Urteils 1988.

140 Fow-ler, j.W.: Faith and the structuring of meaning 1980, 53. 141 Stufenbeschreibungen: Fow-ler, j.W.: Stages of faith 1981, 117-214;

Glaubensentw-icklung 1989, 76-110.

146

Page 149: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

von der Psychoanalyse beschrieben, das Kind seine Wünsche, Triebe und Emotionen in (Symbol-)Gestalten hineinlegt. Aber schon auf die­ser Stufe könne das Kind mit biblischen Geschichten leben, so ein Vierjähriger, dem die Mutter die Geschichte von Daniel in der Löwen­grube (Dan 6, 2-29) erzählt hatte, worauf er, der später Theologe wurde, gebetet habe: "Gott, ich bin ebenso brav wie Daniel. Stelle ein paar Löwen ins Zimmer, und ich werde dir beweisen, ich habe keine Angst"142. Der Junge identifizierte sich mit Daniel ganz und gar und wurde zum "Mittäter der Geschichte"143 - ein weiteres Indiz, daß Kinder schon früh narrative Zusammenhänge rekonstruieren können und ihr Verstehen nicht nur "episodisch" ist.

Das eigentliche Alter für (Bibel-)Geschichten fällt in die Stufe des "mythisch-wortwörtlichen Glaubens" (mythic-literall. Er setzt konkrete Operationen voraus. Die "große Gabe" dieser Stufe bestehe in der "Fä­higkeit", "eigene Erfahrungen in Geschichten einzukleiden"144. Ge­schichten fungieren als das expressive Medium des Glaubens, obgleich sie noch "wortwörtlich", Geschichten von Gott zudem "anthropo­morph", teilweise auch artifizialistisch verstanden würden145.

In der Beschreibung der dritten Stufe, der des "synthetisch-konven­tionellen Glaubens" (synthetic-conventionall, finden wir keine direkten Hinweise auf die Bibel. Synthetisch sei der Glaube deshalb, weil der Jugendliche, nun zu formalen Operationen fähig, unterschiedliche Lebensbereiche und Werte miteinander verbinden muß, um eine Basis für die zu bildende Ich-Identität zu legen. Konventionell hingegen ist der Glaube insofern, als sich der Heranwachsende an Überzeugungen und Ideologien etwa einer bestimmten religiösen Gemeinschaft oder generell der anderen hält, was zu einer förmlichen "tyranny of the they" führen kann146. Die Bilder von Gott - von dem ja die Bibel er­zählt - seien aber uneinheitlich: einerseits könne er als "Freund und Gefährte" wahrgenommen, zugleich seine Existenz ernsthaft bezweifelt werden147.

Stufe 4 bringt den "individuierend reflektierenden Glauben" Undivi­duative-reflectivel. Von seiner neu erreichten Individualität aus kann der junge Erwachsene die 'Tyrannis der anderen' fortan kritisch durch-schauen. Dezidiert auf die Bibel geht Fowler wiederum nicht ein. Zwar beschreibt er, wie die kritische Reflexion Symbole zerbreche und eine Strategie der Entmythologisierung betreibe148. Ob dies aber

142 Fow-Ier, j.W.: Stages of faith 1981, 131.

143 Weinrich, H.: Narrative Theologie 1973, 330.

144 Fow-Ier, j.W.: Stages of faith 1981, 136.

145 Ebd. 138: "Ich stelle mir ihn so vor, daß er ein alter Mann mit ei­nern w-eißen Bart und w-eißem Haar ist und einen langen Mantel trägt und daß die Wolken sein Fußboden sind, und daß er einen Thron hat "

146 Ebd. 158.

147 Ebd. 156 f.

148 Ebd. 180.

147

Page 150: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

erst im jungen Erwachsenenalter erfolgt, ist fraglich: schon Kinder können die Bultmann'sche Frage stellen. - Eine bibel psychologische Bedeutung könnte - spekulativ formuliert - vielmehr darin bestehen, daß der Gläubige sich nicht mehr primär an die Auslegungen von anderen hält, sondern zu allererst fragt: Was bedeutet der Text für mich?

"Verbindend" (conjunctive) ist der Glaube der Stufe s. Wenn über­haupt, werde er erst in der Lebensmitte erreicht. Er bringe die "Zwei­te Naivität" (Ricoeur) und befähige zu "dialektischem Denken" sowie zur "Komplementarität"149: Denkformen, die über Piagets Theorie hin­ausgehen und "postformal" sind. "Verbindend" kann auch auf das Verhältnis von Gott, Menschheit und Welt bezogen werden: Gott sei in jedem Menschen und in der Schöpfung - als Kosmisches Fließen, als Licht etc. - beständig präsent150

Explizit auf die Bibel Bezug nimmt hingegen die Schilderung der abschließenden und normativen Stufe 6, auf der sich der "universali­sierende Glaube" (universalizing) entfalte. Denn einerseits handle es sich um einen radikal monotheistischen Glauben, wie ihn die Bibel bezeugt, zum anderen wird, um ihn zu beschreiben, "das jüdisch­christliche Bild" der malkut Jahwe, des Reiches Gottes bemüht151 . Da aber diese Stufe - wenn überhaupt - nur äußerst selten erreicht wird - Fowler nennt so herausragende Christen wie Mutter Theresa, Martin Luther King, Gandhi, Bonhoeffer 152 - zeigt sich ein ernsthaftes Pro­blem: Entschwindet das Reich Gottes nicht zu einer kaum erreichba­ren, elitären Restkategorie?

Ohne auf weitere Probleme dieser Theorie einzugehen: Worin be­steht - wenn überhaupt - ihre bibelpsychologische Relevanz? Gewiß ist es mehr als fragwürdig, sondern wiederum Psychologisierung, einzelne Evangelien bestimmten Stufen zuzuordnen wie dies ein Schü­ler von Fowler vorgenommen haben soll: Markus entspreche dem "mythisch-wortwörtlichen Glauben", Johannes hingegen dem "verbin­denden Glauben"153.

Die Relevanz besteht wiederum darin, daß sich der Praktische Theo­loge, an den sich Fowler vornehmlich wendet, der "Vielfalt gemeindli­cher Daseinsformen" bewußt wird. Teilnehmer von Gottesdiensten interpretieren die dabei verlesenen Schrifttexte "auf vielfältige und systematisch verschiedene Art". Diese hängt ab von den Entwick­lungsstufen, die als "grundlegende Elemente der persönlichen Herme­neutik - d.h. der Formen des Erkennens, Wertens, Erfahrens und Urteilens" fungieren, und "durch die ein persönlicher Sinn konstruiert und angeeignet wird,,154. Einmal mehr bewahrheitet sich die zwar alte,

149 Ebd. 187.

150 Ebd. 194 f.

151 Ebd. 204-211.

152 Ebd. 201 f.

153 Mündliche Mitteilung von Fritz Oser.

154 Fow-ler, ].W.: Glaubensentw-icklung 1989, 115 f.; vgl. auch Dykstra, C.: Faith developITIent and religious education 1986, 261 f.

148

Page 151: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

aber bleibende Einsicht der Scholastik: "Quidquid recipitur secundum modum recipientis recipitur". - Wie aber stufenspezifische Interpreta­tionen unterschiedlicher Bibeltexte konkret ausfallen, wurde bisher noch nicht systematisch dargestellt.

Relevant für die religiöse Erziehung und die Verkündigung generell ist die hohe Wertschätzung des Erzählens speziell in der mythisch­wortwörtlichen Stufe, aber nicht nur: "Wir verlieren diese Faszination durch Geschichten niemals", schreibt Fowler selber155 . Damit bestätigt er als Entwicklungspsychologe eine Einsicht speziell der narrativen Theologie156 : Der Mensch zehrt von Geschichten. Und die Bibel ist ein Geschichtenbuch, der Geschichten Gottes mit den Menschen.

6.3. EntwIcklungspsychologische Aspekte Ubllcher psycholglscher Wbelauslegung

Die kognitive Entwicklungspsychologie bietet sich auch an, Fragen wie die beantworten zu helfen, welche Voraussetzungen erfüllt sein soll­ten, um üblicherweise vertretene psychologische Bibelauslegungen zu verstehen. Diese Frage stellt sich zumal dann, wenn mit Hilfe solcher Auslegungen der Bibelunterricht, bei Schülern nur zu oft sehr unbe­liebt 1 7, attraktiver gemacht werden soll oder wenn - so von Dre­wermann - behauptet wird, die Lehrer könnten mit seiner Art tiefen­psychologischer Bibelauslegung "sehr gut" unterrichten 158. In der po­pulären bibel psychologischen Diskussion dominieren die psychologi­schen Konstrukte "Unbewußtes" (zumal das kollektive), "Ödipus­komplex", "Sexualsymbolik" sowie "Selbstwerdung" . Auch sie müssen vom Menschen im Verlaufe seiner Psychogenese aufgebaut werden. Die Genese der Konstrukte "(Selbst-)Bewußtsein" und "Unbewußtes" sowie von "Identitätsbewußtsein" wurde untersucht; die Befunde scheinen nicht nur von religionspädagogischer Relevanz, sondern auch von theologisch-exegetischem Interesse.

6.3.1. Du Unbewußte - eine Entdeckung in der Adoleszenz Weil "Unbewußtes" ein Relationsbegriff ist, muß die Genese dieses Konstrukts zusammen mit der des (Selbst-)Bewußtseins betrachtet werden. Dieser Aufgabe haben sich in den letzten lahren unter ande­rem die amerikanischen Entwicklungspsychologen lohn Broughton, Robert Selman und William Damon angenommen159, die allesamt dem

155 Fowler, J.W.: Stages of faith 1981, 143.

155 Ebd. 136.

156 Vgl. Baumgartner, 1.: Pastoralpsychologie 1990, 576-578 (Uteratur)

157 Vgl. Berg, H.K.: Die Bibel - ein wichtiges Buch für Schüler? 1989.

158 Eugen Drewermann im Gespräch mit Hartmut Meesmann, in: Meesmann, H. (Hg.): Kirche und Glaube auf der Couch 1990, 25.

159 Broughton, J.: Development of concepts of self, mind, reality, and knowledge 1978; Seiman, R. u.a.: Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion bei Kindern 1982; Seiman, R.: Die Entwicklung des sozialen Verstehens 1984; Damon, W. & Hart, D.: The development of self-understanding from infancy through adolescence 1982; DaIDon, W.: Die soziale Entwicklung des Kindes 1989.

149

Page 152: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Paradigma des von Piaget und Baldwin initiierten genetischen Struktu­ralismus verpflichtet sind.

Ohne die von den einzelnen Studien zu Tage gebrachten Befunde im einzelnen zu referieren: entdeckt wird das Unbewußte erst in der Adoleszenz. Erst jetzt bricht sich die Einsicht Bahn,

"daß unterhalb der inneren oder introspektiven Realität möglicher­weise eine noch tiefere und weniger erkennbare Realität liegt. Das theoretische Konzept eines Unbewußten entsteht aus dem Bedürfnis, beobachtete Aspekte sozialer Verhaltensweisen und Erfahrungen zu erklären, zu deren Erklärung die Struktur vorhandener Konzepte bewußter oder in der Selbst wahrnehmung gegebener intrapsychischer Phänomene nicht ausreicht "160.

Ein adäquates Verständnis von "Unbewußtsein" stellt erhebliche kognitive Anforderungen. Nicht nur müssen wissenschaftliche Meta­phern, wie sie, um dieses Konstrukt zu beschreiben, seit den Tagen Freuds verwendet wurden und schlicht unverzichtbar sind 161, als Me­taphern durchschaut werden können. Darüber hinaus muß der Adoles­zente im Bereich des Psychischen Hypothesen durchdenken können, die vom Konkret-Beobachtbaren losgelöst sind - kognitive Operationen, wie sie erst im konsolidierten Stadium der formalen Operationen möglich werden. Gerade diese neuen Denkmöglichkeiten dürften mit ein Grund für die Attraktivität der klassischen Tiefenpsychologie unter Jugendlichen sein.

Wenn das Unbewußte offensichtlich erst in der Lebensphase ent­deckt wird, die seit Rousseau, dem Entdecker der Kindheit und der Jugend, als "zweite Geburt" bezeichnet zu werden pflegt162, stellt sich die Frage: Mit welchen Vorstellungen von "Selbst" und "Bewußtsein" ist bei Kindern zu rechnen?

Nach sehr frühen und geradezu erstaunlichen Anfängen des ersten Selbstwissens in der Kindheit, wie sie unter anderen von Lewis und Brooks-Gunn untersucht wurden163, entwickle sich das sogenannte "körperliche Selbst" (bodily self). Psychisches Selbst und Leib würden noch nicht auseinandergehalten, das Selbst beispielsweise als Hirn oder als Bauch bestimmt164. Dies erinnert wiederum an Piaget, der bereits 1926 festgestellt hatte, daß Kinder noch im Alter von ca. 6 Jah-

160 Sehnan, R. U.a.: Ent-wicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion 1982, 389.

161 Wurms er, L.: Plädoyer fiir die Ver-wendung von Metaphern in der psychoanalytischen Theoriebildung 1983.

162 Kaplan, L.: Die z-weite Geburt. Eine Studie Uber die Adoleszenz 1988, 57-78.

163 Le-wis, M. & Brooks-Gunn, J.: Social cognition and the acquisition of self 1979.

164 Broughton, J.: Development of concepts of self 1978, 79-83, bsp-w.: "«What is the self?» - «It.'s a body»". Damon, W. & Hart, D.: The developrnent of self-understanding from infancy through adoles­cence 1982, bes. 860 f. sprechen von einern "physical self", des­gleichen Seiman, R. u.a.: Ent-wicklung der Fähigkeit zur Selbstre­flexion bei Kindern 1982, 386 f.

150

Page 153: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ren psychische und physische Prozesse kaum differenzieren und bei­spielsweise glauben, man denke mit dem Mund: "«Kannst du auch denken, wenn der Mund geschlossen ist?» - «Nein" ,,165. "Das kleine Kind ver­wechselt demnach Selbst, Seele und Körper", meinte dazu Damon166 .

Aber: nicht nur von der psychosomatischen Medizin her ist kritisch zurückzufragen, ob Kinder nicht über eine - zumindest implizit -ganzheitlichere Sicht des Selbst verfügen als erwachsene Dualisten. Erinnern ihre Menschenbilder nicht an die biblische Anthropologie:

"Im AT findet sich nicht die geringste Spur einer Trichotomie; nie werden Fleisch, Seele und Geist im gleichen Text neben- oder ge­geneinander gestellt" 167.

Parallelen bestehen nicht nur darin, daß hier wie dort Körper und Geist/Seele (noch) nicht dichotomisiert werden (bspw. Ps 16, 9 f.; 63,2; 84, 3), was besonders am Begriff der nefesh deutlich wird, sondern auch hinsichtlich der Auffassungen einzelner Körperteile, so des Mun­des (bspw. Dtn 30, 14) oder der Zunge als Organen des Denkens, des Bauches als Sitz der Gefühle, des Herzens als Organ der Liebe und des Willens. Abermals zeigen sich zwischen der Bibel und dem Welt­bild des Kindes Gemeinsamkeiten, die aber alles andere als defizitär sind, sondern von denen wir Erwachsenen sogar lernen können 168.

Beispielsweise für die (Einheits-lBibelübersetzung, die die Eigentüm­lichkeiten der hebräischen Anthropologie vielfach ausgemerzt hat, in­dem beispielsweise bei Num 35, 30: "den Totschläger soll man töten nach dem Mund zweier Zeugen" (nach Martin Luther) folgendermaßen übersetzt wurde: " ... doch aufgrund der Aussage nur eines einzigen Zeugen darf man einen Menschen nicht töten".

Sowohl nach Damon & Hart als auch nach Broughton beginnt in der mittleren Kindheit das "aktive Selbst" zu dominieren169. Dieses mani­festiere sich in der Sicht der Kinder in konkreten Handlungen und Kompetenzen:

'1ch bin ehrgeizig. Vielleicht gibt es noch jemanden, der wie ich aussieht oder wie ich spricht, aber kein anderer Mensch entspricht mir in allen Einzelheiten. Es gibt niemand anderen, der genau so denken würde wie ich "170.

Dieses Stadium weist eine bemerkenswerte Parallele zu der Theorie der Epigenese von Ich-Identität auf, die der Neopsychoanalytiker Erik Erikson erarbeitet hat und außerordentlich bekannt geworden ist. In

165 Piaget, J.: Das Weltbild des Kindes 1980, 44.

166 Damon, W.: Die soziale Entw-icklung des Kindes 1989, 329.

167 Haag, H. (Hg.): Bibellexikon 1956, 1105; vgl. auch Stendebach, F.J.: Der Mensch... w-ie ihn Israel vor 3000 Jahren sah 1972, bes. 128-147, w-o auch auf die Konvergenzen zur Psychosomatik hinge­w-iesen w-ird (144).

168 Vgl. dazu Doehlemann, M.: Von Kindern lernen 1979.

169 Damon, W. & Hart, D.: The development of self-understanding from infancy through adolescence 1982, bes. 861.

170 Broughton, J.: Development of concepts of self 1978, 86.

151

Page 154: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

deren Stadium IV, das in etwa das Schulalter umfaßt, müsse der Schüler die bei den Pole "Tätigkeit und Minderwertigkeit" in ein Gleich­gewicht bringen. Der Heranwachsende sei, "was er lernt,,171 bzw. was er kann. Auch Selman's Entwicklungsmodell der Selbstreflexion akzen­tuiert diesen Aspekt: Auf Stufe 2 sei das Selbst in der Lage, "durch Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten innere Stärke zu gewinnen"172.

Wollten Bibellehrer bereits in der Grundschule oder in der Sekun­darstufe I versuchen, die Bibel unter expliziter Bezugnahme auf das Unbewußte auszulegen, wäre dies eine grobe Verfrühung. Denn dieses Konstrukt ist im fraglichen Alter noch gar nicht gegeben. An den impliziten Theorien des (Selbst-)Bewußtseins fallen - wie für das konkret-operatorische Stadium bezeichnend - vielmehr und wiederum die Konkreta auf: Das Selbst als Leib, Denken als Aktivität eines Organs, speziell des Mundes, später dann das "aktive Selbst", das sich im konkreten Tun zu erkennen gibt, was zu Recht an das biblische "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt 7, 16) denken läßt. -Anders in der (späteren) Adoleszenz: hier könnte tiefenpsychologische Auslegung auf womöglich reges Interesse stoßen.

6.3.2. "Werde der du bist!" - "Der bin ich ja schon" "Werde der du bist" - so läßt sich die Quintessenz zahlreicher psy­chologischer Exegesen im Anschluß zumal an C.G. Jung treffend wie­dergeben. Nicht zufällig trägt ein Buch von Kassel den Titel: »Sei, der du werden sollst«.

Was Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter "Werde der du bist" verstehen, erfragten Fetz und Bucher in einer strukturgenetischen Un­tersuchung zur Entwicklung des Identitätsbewußtseins . Selbstver­ständlich wurden auch zahlreiche andere Redewendungen und Fragen einbezogen, da es sich bei "Identitätsbewußtsein" - qua Theorie darüber, wer und wie und ob ich immer der gleiche bin - um ein komplexes und facettenreiches Konstrukt handelt, von eigentlicher Identität im Sinne eines unmittelbaren Vollzugs ganz zu schweigen 173. Auch ist uns bewußt, daß das Kind schon früh "ein Wissen (über seine Identi­tät, A.BJ und ein Repetoire von Fähigkeiten (besitzt), die es selber nicht benennen kann, die aber in seinem praktischen Handeln stets gegenwärtig sind"174.

171 Erikson, E.: Identität und Lebenszyklus 1973, bes. 98.

172 Seiman, R. u.a.: EntW'icklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion bei Kindern 1982, 388.

173 Die Unterscheidung zW'ischen "IdentitätsbeW'ußtsein" und "Identi­tät" läßt an die bereits von James, W.: Psychologie 1909, 174 f. getroffene Unterscheidung zw-ischen "I" und "me" denken, die von Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft 1973 (erstmals 1934), bes. 216-223 libernommen und popularisiert w-orden ist. Das "I" sei aktiv und liefere "das Geflihl der Freiheit, der Initative" (221), das "me" hingegen ist das Objekt, das "ich" also, auf das sich das "I" in jeder Selbst-Reflexion bezieht. Bereits James hatte angenom­men, das "I" lasse sich in seiner Unmittelbarkeit empirisch nie­mals hinreichend erfassen.

174 Krappmann, L.: Identität in Interaktion und Sozialisation 1979, 1S1.

152

Page 155: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Dennoch erbrachte die Befragung hinsichtlich der Entwicklung der Konzepte "Selbstwerdung" und "Selbsterkenntnis" bemerkenswerte Er­gebnisse, die mit der anskizzierten Selbstkonzeptforschung konvergie­ren.

Den jüngsten Kindern bereitete die Redewendung "Werde der du bist" fast unlösbare Verstehensschwierigkeiten:

X: "Wenn man jemand ist, dann kann man nicht noch einmal der werden",

äußerte sich ein achtjähriger Junge, der den ihm vorgelesenen Satz ohnehin "komisch", schließlich sogar "dumm" fand.

Die Schwierigkeiten rührten auch davon her, daß der Junge über ein Selbstkonzept verfügte, das als "körperlich" bezeichnet werden kann: auf längeren Beinen gehend oder eine andere Haarfarbe tragend, wäre er nicht mehr der gleiche. Mit der Aufforderung konfrontiert, die im sechsten vorchristlichen Jahrhundert in den Fries des Apollotempels in Delphi eingemeisselt wurde: "Erkenne dich selbst!", dachte er an einen Spiegel, sowie an ein Tonband, auf dem man die eigene Stimme er­kennen könne. Eine Achtjährige meinte:

X: "Ob man sich selber kennt, wenn man sich zum Beispiel zeich­net, ob man sich nachher auf der Zeichnung dann selbst wieder kennt. Man kann sich ja nicht ganz genau zeichnen" .

Auch die Schüler höherer Klassen empfanden "Werde der du bist!" als schwierig, ein Zehnjähriger sogar als "spinnig":

X: "Nein, das ist man ja schon." I: "Was denkst du von dem Mann, der diesen Satz gesagt hat?" X: "Das ist eher ein Spinner. Das wird man ja gar nicht. Man ist es

schon".

Wenn überhaupt, wurde der Satz dahingehend interpretiert, wir müß­ten bleiben, wie wir sind, so von einem Elf jährigen:

X: "Eigentlich bin ich ja bereits derjenige, der ich bin. Das soll doch das heissen, oder? ... Ich bin ja schon derjenige, der ich bin. Von klein auf. Es könnte ja sein, daß jemand, der einfach Wutanfälle hat, daß der einfach wieder er selber wird. "

I: "lVie kann man denn genau sich selber werden?" X: "Wenn man macht, was man schon immer getan hat."

Noch 12/13jährige entnahmen dem Sprichwort die Aufforderung, zu bleiben, wie man ist. - In der Adoleszenz hingegen brach sich ein mehr oder weniger adäquates Verständnis plötzlich Bahn:

I: "Es ist eben die Frage, ob man der ist, der man ist. Das sind ja zwei verschiedene Sachen: was man nach außen scheint und der, der man wirklich ist... " <männlich, 15 Jahre).

Der Schüler unterscheidet nicht nur zwischen Innen und Außen, son­dern auch zwischen dem sozialen und dem persönlichen Selbst, das er über das erstere stellt. Und eine neunzehnjährige Gymnasiastin ant­wortete:

153

Page 156: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

I: "Wenn ich das schon wäre, hätte ich das große Ziel meines Le­bens schon erreicht. Aber da bin ich noch auf der Suche, und nicht nur ich, sondern jeder Mensch. Das geht jedem Menschen gleich".

Die Befunde sprechen dafür, daß allenfalls in der Adoleszenz Bibel­texte explizit im Sinne von Selbstwerdungsprozessen interpretiert werden können. Kinder hingegen wollen oftmals bleiben, wie sie sind, oder allenfalls anders werden, indem sie sich neue konkrete Hand­lungskompetenzen erwerben. Wollte man Lebensthematiken auf sie anlegen, die vornehmlich den Adoleszenten und den jungen Erwachse­nen betreffen und bedrängen, müßte dies als pädagogische Okkupation kritisiert werden.

Implizite (Alltags-)Theorien zu weiteren psychologischen Konstruk­ten, die in die tiefenpsychologische Exegese Einzug gehalten haben - so etwa die Freudsche Theorie der Sexualsymbolik oder die des Ödi­puskomplexes - sind m. W. bisher noch nicht auf ihre (allfällige) Genese und lebensgeschichtliche Veränderung hin untersucht worden. Gerade letzterer entzieht sich einer entsprechenden Untersuchung per definitionem, weil es sich um eine prinzipiell unbewußte Dynamik handle, die aber nichtsdestoweniger den weiteren Lebenslauf nachhal­tigst bestimme.

6.4. Eine kleine Synopse

Die bisher referierten Entwicklungstheorien unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihres Gegenstandsbereichs; bezüglich der Implikationen für Bibelrezeption und -interpretation weisen sie aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf:

FrUbe Killdheit:

Biblische Geschichten

Mittlere Kindheit

Biblische Geschichten

154

- konkret aufgefaßt (Piaget, Goldman, Fowler) - Parataxe - Anthropomorphisierung (Piaget) - Artifizialismus (Piaget) - Magisch/phantastische Elemente (Fowler) - Lohn-Strafe Moral (Kohlberg) - Gott belohntlbestraft (Oser)

- konkret: mythisch-wortwörtlich (Piaget, Goldman, Fowler)

- Tit for Tat-Moralität (Kohlberg) - Gottesbeziehung: do ut des (Oser) - Orientierung an Leistungssinn (Erikson) - aktives Selbst

Page 157: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Adoleszenz

Biblische Geschichten

- explizit symbolisch (Goldman) - peer-group-Moralität (Kohlberg) - Deismus (Oser)

- Identitätsformation - Entdeckung des Unbewußten

Psychologie besteht nicht nur aus Entwicklungspsychologie und be­schäftigt sich nicht nur mit statistisch ermittelten 'Normalitäten' . Im Gegenteil: hervorgegangen ist sie aus dem Studium des 'kranken' Seelenlebens, mit dem sich eine Bibelpsychologie ebenfalls zu befas­sen hat.

1SS

Page 158: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

7. Kapitel

"Ich habe dich flehentlich gebeten, mich auf die Seite der »Schafe« zu nehmen, doch ich wußte, daß ich zu den »Böcken« gehörte." (Tilman Moser 1976)1

Bibel - Furcht und Zittern Psychopathologische Aspekte der Bibelauslegung

"Eine pathologisch disponierte junge Frau, der in einer religiösen Ge­meinschaft die Verwerflichkeit ihrer Sünden mit Berufung auf die Bibel unter scharfen Drohungen mit Gericht und Hölle eingeprägt worden war, geriet in heftige Depressionen, litt unter schwerster Schuldangst, und der Hinweis auf Gottes Gnade und Christi Ver­söhnungswerk prallte nun an ihr ab. Trat sie in ein Zimmer, so schaute sie sich zuerst um, ob keine Bibel daliege. War es der Fall, so floh sie in heftigster Angst "2.

Dieser von Oskar Pfister berichtete Fall einer schweren Bibliophobie zeigt in erschreckender Deutlichkeit, daß eine umfassende Bibelpsy­chologie nicht um die (Religions-)Psychopathologie herumkommt. Denn die Rezeption und Interpretation von Bibeltexten hängt nicht nur ab von den im vorausgegangenen Kapitel erörterten kognitiven Strukturen im Bereich der Intelligenz, der Moralität, der Religiosität etc., die in den entsprechenden (Entwicklungs-)Theorien in ihrer überindividuellen Durchschnittlichkeit dargestellt zu werden pflegen. Sie hängt auch ab von individuellen psychischen Befindlichkeiten, speziell von außerge­wöhnlichen und pathologischen Zuständen, beispielsweise vom Ausmaß und von der Art religiös motivierter Angst, die nach wie vor am Ur­sprung mancher psychischer Erkrankung steht. "Je nach den die reli­giöse Angst hervorbringenden Motiven werden das synoptische oder das johanneische Evangelium oder die paulinischen Briefe oder die Apokalypse ... dem Einzelnen die stärkeren und beglückenderen Ge­fühle und Impulse vermitteln", formulierte Oskar Pfister mit Recht3 .

In diesem Rahmen ist es zwar nicht möglich, diese Disziplin - so­weit sie überhaupt systematisiert ist - darzustellen 4 . Die Schwierig-

1 Moser, T.: Gottesvergiftung 1976, 19.

2 Pfister, 0.: Das Christentum und die Angst 1975, 474 f.

3 Ebd. 49.

4 Vgl. dazu Thomas, K.: Religionspsychopathologie 1982; Pöldinger, W. & Wittgenstein, O.G. (Hg.): Psychologie und Psychopathologie der Hoffnungen und des Glaubens 1981; Oates, W.E.: Seelsorge und Psychiatrie 1980; Görres, A.: Pathologie des katholischen Christen­tums 21971; Gruehn, W.: Die Frömmigkeit der Gegenw-art 1956, 464-476; Weitbrecht, H.l.: Beiträge zur Religionspsychopathologie 1948; Schneider, K.: Zur EinfUhrung in die Religionspsychopathologie 1928. - In Lehrbüchern der Klinischen Psychologie w-ie Davison, G. & Neale, l.: Klinische Psychologie 31988 kommen religionspsycho­pathologische Aspekte nur arn Rande vor: 417 f. im Zusammenhang mit psychosexuellen Funktionsstörungen.

156

Page 159: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

keit beginnt schon bei der entscheidenden Frage, was denn eigentlich noch "normal" und was "pathologisch" ist. Schon Wiliam James, ein Gründervater der (Religions-) Psychologie, sah sich in seinem Klassiker »Die Vielfalt religiöser Erfahrung« genötigt, in dieser Frage an den "common sense" als "Richter" zu appellieren5 . Wie problematisch Unterscheidu~~en zwischen "pathologisch" und "normal" auch sind 6,

wie sehr die Ubergänge ineinander zerfließen und davon abhängen, was bestimmte Epochen oder Kulturen für 'gesund' halten (in der Antike galt für besonders begnadet, wen die Epilepsie zu Boden warf) 7: das vorangestellte Beispiel zeigt dennoch, daß es im Umgang mit der Bi­bel Vorkommnisse gibt, die von einer Mehrheit als "nicht-normal" eingeschätzt werden dürften.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erörterte ich zunächst (7.1.) pa­thologische wortwörtliche Auslegungen speziell symbolischer Passagen der Bibel noch im Erwachsenenalter; sodann (7.2.) Auslegungen, die mit (neurotisierenden) Ängsten belastet sind. Naheliegend wäre es in diesem Zusammenhang zwar auch, die implizite Psychopathologie zu erörtern, die in der Bibel enthalten ist, obgleich - oder gerade weil -sie das Wort das Lebens ist. Allein diese Fragestellung, die ohnehin problematisch ist und allenfalls spekulativ angegangen werden könnte, geht über die nach den pathologisch verzerrten Rezeptions- und In­terpretationsprozessen bei heutigen Hörern oder Lesern hinaus 8.

5 Jatnes, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrung 1979, 323; vgl. auch 129-164.

6 Eine der schärfsten Kritiken sta=tnt von Szasz, T.S.: Geisteskrank­heit - Ein tnoderner Mythos? 1972. Überblicke bei Bräutigatn, W.: Reaktionen, Neurosen, Abnortne Persönlichkeiten 1977, 3-11; Bautn­gartner, 1.: Pastoralpsychologie 1990, 207 f.

7 Vgl. dazu Vergote, A.: Dette et desir 1978, bes. 15.

8 Ich begnüge tnich tnit vorsichtigen Andeutungen: Sauls Krankheit, die auf einen "bösen Geist" zurückgeführt w-ird (1 Satn 16, 14), könn­te eine Depression gew-esen sein (kritisch Hole, G.: Der Glaube bei Depressiven 1977, 15 f.); itn Besessenen von Gerasa (Mk 5, 1-20) bestitntnte Bautngartner, 1.: Pastoralpsychologie 1990, 214 unter Bezugnahme auf Drew-ertnann, E.: Tiefenpsychologie 11, 1985, 246-277 einen an Schizophrenie Erkrankten; der besessene Junge in Mk 9, 14-29 dUrfte an epileptischen Anfällen gelitten haben, der Besessene in Mt 12, 22, der zw-eitw-eise blind und taub w-ar, an einer sotnato­fortnen Störung bzw-. einetn Konversionssyndrotn, das früher als "Hysterie" bezeichnet w-urde (Davison, G. & Neale, J.: Klinische Psy­chologie 3 1988, 98, 200 f.).

Solche 'Diagnosen' sind aber äußerst probletnatisch, nicht nur, w-eil in der psychodiagnostischen Praxis ohnehin "in 20 Prozent aller Fälle Uneinigkeit darüber (herrscht), ob ein Patient psychotisch sei oder nicht", in itntnerhin 50 Prozent hinsichtlich der Diagnose spezi­fischer Psychosen (Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie 6: Persönlichkeitspsychologie und Psychotherapie 1985, 127; vgl. auch Davison, G. & Neale, J.: Klinische Psychologie 31988, 99-105), son­dern schlicht deshalb, w-eil die Datenbasis zu schtnal ist, Utn Eti­kettierungen auszuteilen, die auch heute noch das Leben von Men­schen unw-iderruflich verändern können. Dies setzt aber nicht außer Kraft, daß in der Bibel psychopathologische Leiden beschrieben w-er­den, vor alletn aber nicht, daß Jesus diesem heilend begegnete: Wolff, H.: Jesus als Psychotherapeut 1978.

157

Page 160: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

7.1. Die Apokalypse als 'Tatsachenbericht'?

Im vorausgegangenen Kapitel haben wir gesehen, wie wortwörtlich Kinder Bibeltexte verstehen, wie unproblematisch für sie animistische, anthropomorphe und selbst magische Interpretationselemente noch sind. Problematisch wird es hingegen dann, wenn solche Interpretatio­nen noch in der Jugendzeit und im Erwachsenenalter vertreten werden. Nicht nur besteht die Gefahr des biblischen Fundamentalismus, son­dern vielmehr auch die eines pathologischen Mißverstehens. So stell­ten 1962 Rosen und Farnell fest, daß die von ihnen untersuchten Insassen einer psychiatrischen Klinik, mehrheitlich Psychotiker, einer­seits zu einem extrinsischen Verständnis von Religion neigten, d.h. Religiosität praktizierten, um sich selbst abzusichern und selbstbe­zogene Ziele zu erreichen, wobei die Motivation dafür fremdbestimmt ist9 . Sie neigten aber auch dazu, Bibeltexte, auch symbolischer Art, wortwörtlich auszulegen und selbst apokalyptische Texte für Tatsa­chenbeschreibungen zu halten, was mit zum Teil starken Ängsten verbunden war 1C1.

Phantasie/bzw. Imagination für unmittelbare Wirklichkeit zu halten und zu den entsprechenden (Wahn-)Vorstellungen nicht in befreiende Distanz treten zu können: darin besteht ein zentrales Merkmal der Wahrnehmung und des Denkens in Psychosen. So berichtet der in Ba­sel tätige Psychotherapeut Gaetano Benedetti von einem schizophrenen Kranken, der behauptete, nicht von seiner Mutter geboren, sondern aus einem Rohr auf die Erde geworfen worden zu seinl1. Hinter dieser Äußerung verberge sich das Gefühl des Geworfenseins der menschli­chen Existenz, wie es zumal von den Philosophen des Existenzia­lismus, insbesondere von Martin Heidegger in »Sein und Zeit« (bes. § 38) erörtert wurde. Im Unterschied zu diesen sei _ der Schizophrene aber unfähig, diese Äußerung, die für uns Symbol ist, als Symbol eines dahinterliegenden Sachverhalts zu begreifen: "Das Symbol hat für ihn aufgehört, nur Symbol zu sein". Das gleiche trifft auch auf Rollen zu, in die Psychotiker hineingeworfen werden, beispielsweise die von Napoleon oder Christus12 .

Eine Psychose kann in der Tat zu einem literalistischen (Miß-)Ver­stehen der Bibel führen, sofern Bibeltexte überhaupt noch assimiliert werden können. Zwar handelt es sich bei "Psychose" um einen dehn­baren Sammelbegriff für uneinheitliche Krankheitsbilder 13. Üblicher­weise werden (hirn-)organisch bedingte und funktionelle bzw. endoge-

9 Dazu Meadow-, M-l. & Kahoe, R.D.: Psychology of religion 1984, 286-299_

10 Rosen, I.M. & Farnell, K_: Religion and the chromc psychotic 1962.

11 Benedetti, G.: Das Sytnbol in der Psychopathologie 1988, 215 f.

12 Drei Fälle von Identifikationen tnit Christus w-erden beschrieben von Rokeach, M.: The three Christs of Ypsilanti 1964. Einer der Patienten vollzog nach der tnehrtnonatigen Behandlung eine radikale Kehre und nannte sich fortan "Mist··.

13 VgL dazu Döhner, 0_: Art.: Psychose 1981; Davison, G. & Neale, l.: Klinische Psychologie 31988, bes. 162, 435-439; Dörner, K. & Plug, U_: Irren ist tnenschlich 6 1990, bes. 149-192.

158

Page 161: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ne Psychosen unterschieden. Letztere werden ihrerseits in zwei Haupt­gruppen unterteilt: "Schizophrene Psychosen" und "affektive Psycho­sen", vornehmlich "endogene Depressionen", "Manien" oder dann "Zy­klothymien", in denen die Betroffenen bald von euphorischen Gefühlen hochgerissen werden, um unmittelbar darauf und ohne besonderen Grund (zumindest in unserer Sicht) in das undurchdringliche Dunkel lähmender Schwermut zu fallen. - Aber diesen Formen ist gemeinsam, daß sie mit "schweren Störungen der kognitiven und emotionalen Pro­zesse" einhergehen14, die sich selbstredend auch auf das Verständnis der Bibel auswirken, insbesondere indem sie die symbolische Funktion ausschalten.

Dazu eine kurze Fallbeschreibung aus dem Umfeld des Verfassers:

Ein intelligenter junger Mann, der eine kaufmännische Lehre erfolg­reich abgeschlossen hat, erleidet in der Rekrutenschule den ersten akuten Anfall einer psychotischen Manie. Purzelbäume schlagend, auf dem Fensterbrett der Kaserne (5. Stockwerk) balancierend - er könne fliegen -, wird er überwältigt, hospitalisiert und mit Psycho­pharmaka, insbesondere Akineton behandelt. Der Arzt diagnostiziert manisches Irresein. Aus der Klinik entlassen, gerät er in eine Sekte, die intensivst Bibellektüre betreibt und deren Glaube es ist, nur 44 Menschen würden beim anstehenden Weltuntergang von einem Flug­zeug gerettet, das in Zürich Kloten landen und sie an Bord neh­men würde. Er wähnt sich als der fünfundvierzigste und ruft an öf­fentlichen Plätzen, zumal in den wenigen Restaurants seines kleinen und bäuerlichen Heimatdorfes oftmals aus: "I am the forty-fifth. I will be saved". Kommt es zu Diskussionen - die meisten Gäste neh­men ihn, den "Spinner", zwar nicht ernst -, wiederholt er oft Vers 22, 14 aus dem Matthäusevangelium in folgendem Wortlaut: "Viele sind berufen, aber nur 45 auserwählt". Auch droht er ihnen mit biblischen Versen, von denen er zahlreiche auswendig weiß, die Höl­le an: "Ihr werdet heulen und mit den Zähnen knirschen" (Mt 25, 30), oder dann mit dem großen Tier aus der Apokalypse mit der Zahl 666 (Apk 13): "Es wird euch auffressen, das große Tier, auf­fressen, auffressen". Von der realen Existenz dieses Symboltieres ist er fest überzeugt, was oft zu schweren Ängsten und schlaflosen Nächten führt, desgleichen von der realen Existenz von Hölle, Feg­feuer und Himmel, den er mit dem physikalischen Himmel gleich­setzt: "Heaven" als "sky"!

Da er regelmäßig Akineton einnimmt - die wiederholte Absetzung des Psychopharmakas führte unverzüglich zur Hospitalisierung (einmal nach einer halsbrecherischen Autofahrt zumeist auf der linken Fahr­bahn, dies mit einem Kind auf dem Rücksitz und im Glauben, bei einer Kollision nicht verletzt werden zu können!) - war es dem Verfasser wiederholt möglich, mit ihm eingehende Diskussionen über religiöse Fragen im allgemeinen, über die Bibel im besonderen zu führen. Unter anderem ein Gespräch über das sogenannte Paul-Di­lemma, wie es von Oser und Mitarbeitern für die Feststellung der Entwicklungsstufen des religiösen Urteils eingesetzt zu werden pflegt. Es handelt von einem jungen Arzt, der in einem abstürzenden Flug­zeug das Gelübde ablegt, sein Leben, sofern es ihm erhalten bleibe,

14 Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie 6: Persönlichkeitspsy­chologie und Psychotherapie 1985, 175.

159

Page 162: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

in den Dienst der Entwicklun~shilfe zu stellen. Nach seiner Rettung ringt er um die Entscheidung 5. - Diese war für den Gesprächspart­ner indiskutabel: Paul müsse das Versprechen halten, sonst mache Gott, den er - im Dialekt - "e brutale Siech" (brutalen Kerl) nannte, daß er gezüchtigt werde: "Der Herr wird dich züchtigen und verflu­chen - so heißt es doch in der Bibel" (vgl. Dtn 28, 15-68).

Die religiös-biblischen Vorstellungen dieses jungen Mannes weisen in der Tat Parallelen mit solchen von jüngeren Kindern auf: Sein Weltbild, in dem "sky" und "heaven" nicht mehr auseinandergehalten werden, könnte als "archaisch" bezeichnet werden; das religiöse Urteil entspricht der Stufe 1 und billigt dem Menschen keine Autonomie zu. Vielmehr werde er oft von Stimmen aus dem Himmel angesprochen und wähnt er sich generell von einer ichfremden Macht direkt gelei­tet, sei es dem Führer der Sekte, sei es von Gott, dem "brutalen Kerl" selber, den er sich übrigens anthropomorph vorstellt. In der Tat gilt "Physiognomisierung", wie sie bei Kindern in der animistischen Phase noch und noch beobachtet werden kann und zu anthropomor­phen (Gottes-)Vorstellungen führt, als eine zentrale "Gestaltungsten­denz " in der Schizophrenie 16. Entsprechend werden Passagen der Bibel, die symbolisch oder übertragen zu verstehen sind (so die des großen Tieres aus der Apokalypse) wortwörtlich genommen, desgleichen Psalmverse wie: "Denn meine Feinde reden schlecht von mir ... " (Ps 71, 10), was auf gelegentliche paranoide Schübe schließen läßt.t7

Die interessierende Frage ist nun zweifellos die: Wie kommt es, daß ein junger Mann, der erfolgreich vier Jahre Mittelschule absolviert und dabei die angesprochenen literarischen Gattungen (auch der Bibel) zweifellos kennengelernt hat, wieder zu solchen Sichtweisen biblischer Inhalte gelangt? Die Frage ist zu komplex, als daß sie hier ausrei­chend beantwortet werden könnte. Dies umso mehr, als unter den Fach­leuten hinsichtlich der Genese von Psychosen keine Einigkeit herrscht, allenfalls darin, daß "die bei Geisteskrankheiten ablaufenden psychi­schen Prozesse ... äußerst komplex (sind) und ihr physiologisches

15 Oser, F. & Gtnünder, P.: Der Mensch 21988, 118-122 (vgl. Abschnitt 6.2.2.1.).

16 Navratil, L.: Die Kreativität der Psychose 1982, bes. 585. - 'Entspre­chungen' zwischen detn Denken in der Schizophrenie und detn von Kindern bestehen auch hinsichtlich der Neologistnen (Wortneubil­dungen) oder der Kontatninationen, d.h. eigentUtnlichen Verbindun­gen von Worten und kurzen Sätzen wie: "Papa ist ein Bus'· (vier­jähriger Junge) oder "Der TraUtn ist ein Papier ... der Der Tag ist der Trautn und der Bautn ist der Trautn" (Beispiel eines Schizoph­renen, zit. aus Navratil, L.: Schizophrenie und Sprache 1976, 10t).

17 Das Pathologische besteht darin, daß solche Verfolgungsängste in diesetn Falle kein fundatnentutn in re haben, sondern wahnhaft auftreten. Der Psalmvers wurde selbst auf Personen bezogen, die detn jungen Mann wohlgesonnen waren. Auf die möglichen positi­ven psychohygienischen Aspekte genau dieses Psalmverses in Situa­tionen des Verfolgt- und Beschärntwerdens verweist Baldermann, 1.: Ich werde nicht sterben, sondern leben. Psalmen als Gebrauchs­texte 1990, 14.

160

Page 163: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Substrat ... bisher ebenfalls nur ungenügend verstanden (wird) ,,18. Obgleich monokausale Vererbungstheorien lange Zeit dominierten, können sie als überholt gelten, womit eine gewisse erbliche Disposition noch nicht bestritten ist. Unzureichend sind aber auch Theorien, die die Genese von Psychosen ausschließlich den Umwelteinflüssen anla­sten. Auszugehen sei vielmehr von einer multifaktoriell bedingten "Vulnerabilität der Person"19, d.h. einer erhöhten Verletzbarkeit des psy­chischen Organismus. Um sich zu schützen und ein gewisses Maß an Selbstachtung zu wahren, reagiere er mit "funktionellen" Psychosen, lasse zahlreiche Aspekte der Realität - was immer diese auch sei -nicht mehr an sich herankommen oder interpretiere sie völlig um, beispielsweise indem perverse Regungen auf geheimnisvolle Mächte zurückgeführt werden, die mit elektronischen Geräten die entspre­chende Energie in den Körper des Betroffenen einspeisen würden 20.

In kognitiv-entwicklungspsychologischer Perspektive legt es sich bei unserem Beispiel nahe, eine Regression auf frühere Entwicklungsstufen zu vermuten. Bärbel Inhelder, eine der berühmtesten Schülerinnen von Piaget, nahm an, präpsychotische Kinder und Erwachsene blieben "in einer Art von intellektuellem und emotionalem Adualismus", wie er das Denken der frühesten Kindheit charakterisiere 21. Nicht nur sei die Repräsentation der Umwelt häufig verzerrt, auch seien die Grenzen zwischen Selbst und Umwelt durchlässig. Zwar beanspruchen die im vorausgegangenen Kapitel abgehandelten Stufentheorien, die von ihnen beschriebene Entwicklung sei "regressionsresistent" . Aber angesichts des nackten Lebens, das vielfältiger, überraschender und auch gefähr­licher ist als aus diesen Theorien ersichtlich wird, ist mit Regressio­nen (gerade auch im Umgang mit religiösen Texten) prinzipiell zu rechnen und die Annahme einer immer nur höher führenden Entwick­lung zu optimistisch, worauf kein leringerer Verfechter solcher Theo­rien als Jürgen Habermas hinwies2 .

Ein weiterer Erklärungsansatz der kognitiven Entwicklungspsycholo­gie, die mit der Psychopathologie sinnvollerweise in Beziehung zu brin­gen ist 23, zentriert sich um den Begriff der "Einkapselung" Oncapsu­lation>. Er geht davon aus, daß Sichtweisen und Vorstellungen, die niederen Entwicklungsstufen entsprechen (beispielsweise: Gott belohne

18 Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie 6: Persönlichkeitspsy­chologie und Psychotherapie 1985, ~25. UDlfassender: Davison, G. & Neale, J.: Klinische Psychologie 1988, 444-462; Bleuler, M. & Angst, J.: Die Entstehung der Schizophrenie 1971.

19 Mayer, G.: Seelische Krankheit 1990, 467.

20 Beispiel aus Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie 6: Persön­lichkeitspsychologie und Psychotherapie 1985, 123.

21 Inhelder, B.: Die kognitive Entw-icklung und ihr Beitrag zur Diagno­se einiger ErscheinungsforDlen geistiger Behinderung 1978, 257.

22 HaberDlas, J.: Moralentw-icklung und Ich-Identität 1976, bes. 85-87.

23 Inhelder, B. & ChipDlan, C. (Hg.): Von der Kinderw-elt zur Erkennt­nis der Welt 1978, 12, sow-ie 252-278; No aDl , G. & Kegan, R.: Soziale Kognition und PsychodynaDlik 1982.

161

Page 164: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

und bestrafe den Menschen direkt) auf diesen Stufen - aus welchen Gründen auch immer - eingekapselt werden, während die Entwicklung in anderen Bereichen in etwa 'normal' weiterverläuft. Bestimmte Anlässe könnten aber dazu führen, daß diese eingekapselten Vorstellungen plötz­lich ausbrechen wie ein lange ruhig gebliebener Vulkan. Das kognitive Gleichgewicht der Person wird ernstlich gestört, wenn nicht zerbrochen. Dies braucht freilich nicht immer (prä-)psychotische Formen anzuneh­men, kann aber doch vereinzelte Parallelen mit den kognitiven Verzer­rungen aufweisen, wie sie den Psychosen eigentümlich sind.

In diesem Zusammenhang ist auch die Vermutung auszusprechen, ob die gegenwärtige Okkultismuswelle unter Jugendlichen und Erwachse­nen nicht dazu führen könnte, daß entsprechend fragwürdige Auffas­sungen von biblischen Texten zunehmen, speziell bei apokalyptisch­eschatologischen Passagen oder solchen, in denen Geistwesen auftre­ten. Zwar wird das Ausmaß und die Gefährlichkeit okkulter Praktiken in den Massenmedien teilweise maßlos übertrieben24. Nichtsdestowe­niger: Okkult-literatur verkauft sich außerordentlich erfolgreich und es gibt - wenngleich selten - mediumistische Psychosen, die darin bestehen, daß die Betroffenen wähnen, von Geistern gelenkt zu sein 25, beispielsweise die beiden jungen Mädchen, die am 24.10.1990 in einem Zürcher Vorort aus dem 13. Stockwerk eines Hochhauses in den Tod sprangen. In ihren Abschiedszeilen stand, die Geister hätten sie dazu getrieben.

Wenn - anstatt des gebräuchlichen CBM - über Küchentüren die apokalyptische Zahl 666 geschrieben (Apk 13, 18)26, wenn an die reale Existenz von Geistern geglaubt wird, dann ist in der Tat zu befürch­ten, daß - SO Jahre nach Bultmanns Entmythologisierungsprogramm -die Bibel wieder zu einem Buch wird, "in dem es von Geistern und Geschehnissen überirdischer Art geradezu wimmelt"27. Gewiß darf nicht unterstellt werden, ein entsprechendes Verständnis etwa der Versuchung Jesu (Mt 4, 1-11) - als Begegnung mit dem leibhaftigen Satan - sei psychotisch. Aber (magische) Vorstellungen von Geistern, wie sie in der magischen Phase der Persönlichkeitsentwicklung nicht nur berechtigt, sondern vielmehr notwendig sind 28, können in späte­ren Lebensphasen eine mitunter verhängnisvolle Eigendynamik entwik­keIn und einer psychotischen Störung zumindest näherbringen; vor allem aber können sie dem Jugendlichen/Erwachsenen erschweren, zu einer stabilen Ich-Identität zu gelangen und ein Selbstbewußtsein zu entwickeln, von dem aus solche Vorstellungen als Projektionsgebilde

24 Dazu Rausch, U. & Türk, E.: Geister-Glaube 1991, bes. 20. 25 Hunfeld, F. & Dreger, T.: Magische Zeiten 1990, 151 f. Vgl. auch

Barth, G.M.: Religion und religiöse Inhalte bei psychotischen und zw-angsneurotischen Kindern und Jugendlichen 1987, 188,325, 330.

26 Beispiel aUs Barz, H.: Menschen und Mächte oder Die gebrochene Wahrheit des (jugendlichen) OkkultisInuS 1990, 124.

27 Rausch, U. & TUrk, E.: Geister-Glaube 1991, 79. 28 Ellw-anger, W.: Die Zauberw-elt unserer Kinder 1980; BettelheiIn, B.:

Ein Leben fUr Kinder 1986, 366-399.

162

Page 165: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

intrapsychischer Prozesse durchschaut, hernach aufgearbeitet und so bemeistert werden können. Rationalität hat zwar ihre Grenzen, aber nur deshalb, weil sie ihren Geltungsbereich hat!29

Häufiger als psychoseähnliche Interpretationen von Bibeltexten dürf­ten jedoch solche sein, die durch Angst - vielfach neurotischer Art -geprägt sind.

7.2. Wie Frohbotschaft Angst machen kann

Eine 2Sjährige Frau legte das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16) dahingehend aus, wir Menschen dürften nicht neidisch sein. Anderenfalls werde Gott uns bestrafen, und dies mitunter mas­siv, eine Frau in ihrem Bekanntenkreis, die sich ihrem geschiedenen Ehemann gegenüber hartherzig verhielt, mit dem Tode ihres Kindes3o . Dieses Gleichnis, das schon Adolf Jülicher als "evangelium in nuce" würdigte31, wurde offensichtlich alles andere als Frohbotschaft rezi­piert, sondern als Dysangelion, als Drohbotschaft. Obgleich der theo­logische Anspruch besagt, die Bibel sei Wort des Lebens, kann sie auch und wird sie faktisch auch als Wort der Angst verstanden. Viel­fach wird die Bibel selber zum Gegenstand der Furcht, was das ein­gangs geschilderte Beispiel einer extremen Bibliophobie ebenso zeigt wie etwa der ebenfalls von Oskar Pfister berichtete Fall eines katho­lischen Priesters, den der Umstand, daß Hieronymus die Bibel nicht völlig fehlerfrei ins Lateinische übersetzte, mit lähmender Angst erfüllte32; oder dann ein vierzigjähriger Mann, der an einer geradezu panischen Angst vor der Zahl 13 litt, hinter der eine ihm früher auf­geredete, inzwischen verdrängte Identifizierung mit dem dreizehnten Jünger, dem Verräter Judas steht33; oder schließlich eine Zwölf jährige, die sich heftig davor fürchtete, eine Bibel aufzuschlagen, weil in ihr Dinge stünden, die gegen sie gerichtet seien34

Psychopathologisch bewegen wir uns bei solchen Phänomenen nicht mehr im Feld der Psychosen, sondern in dem der in ihren Auswirkun­gen auf die Religiosität weit häufiger und umfassender erörterten Neurosen 35. Die Grenzen werden nach unterschiedlichen Kriterien

29 Dazu Brumlik, M.: Die ZermUrbung der Aufklärung durch den All-tag - tiber den heutigen Irrationalismus 1990.

30 AusfUhrlicher Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 119-123.

31 JUlieher, A.: Die Gleichnisreden jesu 11, 1910, 466.

32 Pfister, 0.: Das Christentum und die Angst 1975, 74.

33 Ebd. 56 f.

34 Barth, G.M.: Religion und religiöse Inhalte bei psychotischen und zw-angsneurotischen Kindern und jugendlichen 1987, 320.

35 Die OuvertUre spielte Freud mit seinem Aufsatz »Zw-angshandlun­gen und ReligionsUbungen« (1907), in SA VII; vgl. dazu u.a. Mea­dow-, M. & Kahoe, j.: Psychology of Religion 1984, 375-389; Scholl, N.: Kleine Psychoanalyse christlicher Glaubenspraxis 1980; Stein, E.v.: Schuld im Verständnis der Tiefenpsychologie und Religion 1978, bes. 127-166.

163

Page 166: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

gezogen, sei es auf grund der unterschiedlichen Intensität (Psychose als gesteigerte Neurose), sei es aufgrund der Ätiologie (Neurose exo­gen, Psychose somatogen bzw. endogen), sei es aufgrund des ver­schiedenartigen klinisch-psychodynamischen Krankheitsbildes36 . Auch "Neurose" ist ein dehnbarer Begriff, unter den so unterschiedliche Phänomene wie Hysterie (neuerdings als "somatoforme Störung" be­zeichnet37), Paranoia, Phobien, Zwangshandlungen und selbst Gefühle der Sinnlosigkeit (die von V.E. Frankl beschriebene "existenzielle Neurose") subsumiert werden können38 . Für unsere Fragestellung besonders relevant ist der Bereich der sogenannten "religiösen" oder "ekklesiogenen Neurosen", d.h. der durch die Reli~ion bzw. die Kirche, zumal die religiöse Erziehung bedingten Neurosen 9.

Um zu unserem Beispiel zurückzukehren: Wie kommt es, daß Mt 20, 1-16 noch im Alter von 2S Jahren als angstauslösende Drohrede ver­standen wird? Aufschlüsse vermittelt ein kurzer Blick in die Lebens­geschichte der jungen Frau. Nach dem frühen Tod ihres trunksüchti­gen Vaters (der seine Krankheit den Kindern anzulasten pflegte) wur­de sie von ihrer Mutter streng erzogen. Vor allem aber mußte sie in einem kleinen bäuerlichen Dorf im Schweizer Mittelland eine repressi­ve religiöse Erziehung über sich ergehen lassen, in der der Pfarrer "das Kind des Säufers" nicht nur oftmals bloßstellte, woran sie gar nicht mehr denken wolle, sondern auch mit Fegfeuer und Hölle ge­droht und das Bild eines allmächtigen und allwissenden Gottes aufok­troyiert wurde, dessen wachsamem Auge keine Sünde entgehe, selbst nicht hinter dichten Mauern. Diese Vorstellung wurde offensichtlich 'eingekapselt', d.h. sie gilt für die junge Erwachsene - lS Jahre später -noch heute. Eingekapselt worden zu sein scheint aber auch ihre reli­giöse Urteils struktur, was ihre Ansichten über den ebenso direkt wie hart bestrafenden Gott (Stufe 1) bedrückend aufzeigen.

Diese biographische Skizze enthält mehrere Elemente, die für die klassische (psychoanalytische) Ätiologie der Neurosen charakteristisch sind 40:

36 Vgl. dazu Mentzos, S.: Neurotische Konfliktbearbeitung 1984, 151 f.; Rebell, W.: Psychologisches GrundW'issen flir Theologen 1988, 120.

37 Krech, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie 6: Persönlichkeitspsy­chologie und Psychotherapie 1985, 107.

38 Dörner, K. & Plog, U.: Irren ist Illenschlich 61990, 291-323; Davison, G. & Neale, J.: Klinische Psychologie 31988, bes. 162, W'O der Be­griff "Neurose", zW'ischenzeitlich fester Bestandteil der Alltags­sprache, kritisch geW'lirdigt und darauf hingeW'iesen W'ird, daß iIll verbindlichen DSM-III (Diagnostic and Statistical Manual) die alten Neurosekategorien auf neue diagnostische Klassen verteilt w-erden, bspW'. AngstsyndroIlle.

39 Bereits Rudin, J.: Religion und Neurose 1964; Hark, H.: Religiöse Neurosen 1990; ders.: Religiöse Neurosen 1984; Ringel, E. & Kirch­Illayr, A.: Religionsverlust durch religiöse Erziehung 1986, bes. 18-38.

40 Vgl. dazu Baurngartner, 1.: Pastoralpsychologie 1990, 215-221.

164

Page 167: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

- Verletzende Erlebnisse zumal in der frühen Kindheit führen, wenn sie wiederholt auftreten, zu einer Traumatisierung.

- Diese fällt der Verdrängung anheim.

- Da diese niemals vollständig gelingen kann, werden Ängste sowie Minderwertigkeits- und Schuldgefühle (hier: zumal wegen des Vaters Tod!) erzeugt, die mit Selbstbestrafungstendenzen gekoppelt sein können. In der Tat lief diese Frau - zumal mit ihrer Ehe - von einem Desaster ins andere.

- Vor allem aber erfolgt eine Fixierung auf das Trauma, die sich in einem für die Person nur schwer durchschaubaren Wiederholungszwang äußert.

- Der Aufbau einer stabilen Ich-Identität, die Autonomie voraus­setzt, gelingt nicht.

Liegt eine solche Persönlichkeitsstruktur vor, dann ist es naheliegend, daß selbst Herzstücke der Frohbotschaft wie etwa die Seligpreisungen der Bergpredigt in der Bedeutung rekonstruiert werden, die ihnen der amerikanische Antipsychiater Szasz generell unterstellte: Der Makaris­mos: "Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Him­melreich" (Mt 5, 3) besage, der Mensch solle "«geistlich arm» sein -das heißt dumm, unterwürfig: sei nicht klug, informiert oder selbst­bewußt!" 41. Allerdings übersieht Szasz, daß diese Interpretation nur eine von zahlreichen möglichen ist: Die Bergpredigt kann, sofern der Rezi­pient über entsprechende Persönlichkeits- und Rezeptionsstrukturen ver­fügt, auch als Impuls für befreiendes Engagement und Autonomie rezi­piert werden42. Die gleiche Ambivalenz trifft beim Psalm 139 zu, des­sen erster Vers lautet: "Herr, du erforschest mich und kennst mich", den Luther "ganz und gar als einen Psalm des Trostes und der Geborgen­heit übersetzt" habe 43. Anders der "gottesvergiftete" Tilman Moser, der Gott vorhielt: "Weißt du, wieviel Drohung und Unentrinnbarkeit unter der Oberfläche dieser Lobpreisung (Ps 139, A.BJ liegen?"44

Was bei einer neurotischen Beeinträchtigung auf das Verständnis der Seligpreisungen oder des 139. Psalmes zumindest zutreffen kann, gilt für andere biblische Texte noch mehr, beispielsweise Paränesen oder (eschatologische) Androhungen von Verfluchung und Gericht (bspw. Dtn 6, 15; 8, 19 f.; 28, 15-68; Ez 7, 1-27)45. Wie Pfister hervorhob,

41 Szasz, T.: Geisteskrankheit - Ein Illoderner Mythos 1972, 196, Bibelzitat von Autor iibernoIllIllen. - Differenzierter sehen dies Rauchfleisch, U.: Psychoanalyse und theologische Ethik 1986, 127-144 und Deiden­bach, H.: Zur Psychologie der Bergpredigt 1990, 199: "Die Bergpre­digt bietet Ver-Selbst-ständigung ... und daIllit »EIllanzipation« ......

42 Vgl. dazu Oser, F.: Wieviel Religion braucht der Mensch 1988.

43 Zit. aus BalderIllann, 1.: Ich werde nicht sterben 1990, 123. 44 Maser, T.: Gottesvergiftung 1976, 42.

45 Beispiele in: Barth, G.M.: Religion und religiöse Inhalte bei psycho­tischen und zwangsneurotischen Kindern und Jugendlichen 1987, 184-189.

165

Page 168: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

haben sie nicht nur die Israeliten zu mitunter zwangsneurotischem Verhalten getrieben, sondern können sie - zumal wenn in einer At­mosphäre des Zwanges und der Angst weitergegeben - auch heute noch neurotische Tendenzen verstärken 46. Beispielsweise "Wenn-dann Formulierungen" wie "Wenn du nicht auf die Stimme des Herrn, dei­nes Gottes, hörst ... und die Gebote und Gesetze nicht hältst, werden alle diese Verfluchungen über dich kommen ..... (Dtn 28, 15) die Ten­denz zum religiösen Skrupulantentum, das oft von beklemmenden Schuld- und Insuffizienzgefühlen begleitet ist und bereits 1925 zu den Angstneurosen gerechnet wurde 47 . Neurotisierend wirken können auch Erzählungen wie Gen 22 (Opferung Isaaks): Bekanntermaßen hat Sören Kierkegaard mit ihr in einer Schrift gerungen, die den bezeichnenden Titel »Furcht und Zittern« trägt. Bei vielen Menschen lähmende Äng­ste und Versündigungswahn ausgelöst und sie oftmals zum Therapeu­ten getrieben hat auch Mt 12, 31: Jesus besteht darauf, die Sünde wi­der den Geist werde nicht vergeben48 .

Die Ursachen für ekklesiogene Neurosen, die dann vorliegen, wenn "das psychische Erleben durch angstmachende und neurotisierte Got­tesbilder gestört wird .. 49, sind meistens in Fehlformen religiöser Er­ziehung zu finden, wie sie zwischenzeitlich in mannigfaltigen Erlebnis­berichten dokumentiert und angeklagt worden sind 50 . Die Prävention besteht denn auch darin, "die Würde der Kinder und 'Kleinen' achten zu lernen" , ihnen die Freiheit einzuräumen, biblische Texte selber zu deuten und anderslautende Auslegungen, wenn sie dem Erlebnishori­zont der Kinder entsprechen, zu dulden, und an religiösen Lernorten generell ein Klima der Toleranz, der Freude und der gegenseitigen Achtung und Liebe zu schaffen. Genau darin sieht auch Oskar Pfister die Antwort auf das Problem der religiösen Angst und Psychopatholo­gie52 , wofür er sich unter anderem auf den ersten Johannesbrief (4, 18) bezieht:

"Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, und wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet. "

46 Pfister, 0.: Das ChristentuIn und die Angst 1975, 124-143. Vgl. auch das Fallbeispiel in Lepp, 1.: Psychoanalyse des Inodernen AtheisInus 1962, 49-54, sowie in Bjerre, P.: Unruhe, Zwang, Angst, o.j., bes. 157.

47 Liertz, R.: Skrupulosität eine Angstneurose 1925.

48 Pfister, 0.: Das ChristentuIn und die Angst 1975, 30; vgl. auch Barth, G.M.: Religion und religiöse Inhalte bei psychotischen und zwangsneurotischen Kindern und jugendlichen 1987, 122, 331, 360.

49 Hark, H.: Religiöse Neurosen 1990, 482.

50 Bspw. Scherf, D. (Hg.): Der liebe Gott sieht alles 1984; Maser, T.: Gottesvergiftung 1976; vgl. auch Klink, j.: Kind und Glaube 1971, 211-232.

51 Ringel, E. & KirchInayr, A.: Religionsverlust durch religiöse Erzie­hung 31986, 229 f.

52 Pfister, 0.: Das ChristentuIn und die Angst 1975, Teil III, 441-510.

166

Page 169: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ANSTATT EINES NACHWORTS: "ZWISCHEN SKYLLA UND CHARYBDIS"

Thesen zur Bibelpsychologie 1. Bibelpsychologie als Psychologie der Rezeption biblischer Texte: Nur zu viele psychologische Auslegungen von Bibeltexten gerieten in den Strudel bzw. die Skylla des Psychologismus; aber auch Auslegungen, wie sie in Verkündigung, Unterricht und Studium allenthalben begeg­nen, können in ihrer nüchtern-philologistischen Sachlichkeit nicht weniger erschrecken, geschweige denn ins Leben eingehen und bibli­sche Spiritualität vertiefen. Als ein Weg, um zwischen diesen Extre­men hindurchzukommen, habe ich in diesem Buch vorgeschlagen, psychologische Exegese im Sinne der Alltagspsychologie zu konzep­tualisieren. Ihr Gegenstand sind nicht die psychischen Befindlichkeiten und Motive biblischer Individuen, ist nicht die Frage, ob Jakob einen Ödipuskomplex hatte; ihr Gegenstand sind vielmehr wir selbst, inso­fern wir biblische Texte rezipieren und deuten. Solche Realisations­prozesse können von mannigfaltigen psychologischen Referenztheorien her analysiert werden, was ich im Bereich der Entwicklungspsycholo­gie umfassender versucht habe, dem der (Religions-)Psychopathologie in zugegebenermaßen skizzenhafter Form, dem der Psychologie der Textverarbeitung im Sinne einer allgemeinen kognitions psychologischen Grundlage.

Zum Gegenstandsbereich einer solchen Bibelpsychologie gehören aber auch die zahlreichen subjektiven Schwierigkeiten, die sich der Be­schäftigung mit Bibeltexten in den Weg stellen oder es verhindern, daß ihnen eine plausible und für positiv gehaltene Deutung entnom­men wird.1

2. Wider du Psychologlaleren: Eine solche Bibelpsychologie entgeht dem häufigen, aber - wie wir gesehen haben - nach wie vor berech­tigten und nur zu oft notwendigen Einwand, ein psychologischer Zugang zur Bibel deute "Offenbarung in Psychoanalyse"2 um bzw. interpoliere "zwischen den Texten, was niemand wissen kann"3, kurz: er sei nicht Ex-Egese, sondern laufe auf psychologisierende Eis-Egese hinaus. In der Tat sollte ein für allemal davon Abstand genommen werden, biblische Individuen auf zumeist spekulative Weise zu psycho­logisieren und ihnen Diagnosen wie "Psychotiker", "Kastrationskom­plex", "ödipales Syndrom" etc. etc. anzuhängen, die nur zu oft kaum hinterfragt werden und - wenn überhaupt - auf äußerst schmalen Datenbasen beruhen. Das Sündenregister psychologisierender Exegese ist schon lang genug. Seine Fortsetzung leistet niemandem einen wirk-

1 Vgl. dazu bereits Dormeyer, D.: Die Bibel antW"ortet 1978, bes. 27-35; Berg, H.K.: Ein Wort W"ie Feuer 1991, 15-22.

2 Kreppold, G.: Träume, Symbole und Bibel 1990, 97.

3 Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie 1983, 11.

167

Page 170: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

lichen Dienst, weder der (akademischen) Psychologie, die sich in vielen der dafür verwendeten Theorien ohnehin (nicht mehr) zutreffend re­präsentiert sieht, noch der Exegese, geschweige dem Dialog zwischen den beiden, wie er nach Kräften zu fördern wäre. Selbst Walter Wink, dem man Psychologiefeindlichkeit nun wirklich nicht nachsagen kann -immerhin war er es, der bereits 1973 (dt. 1976) den Bankrott der hi­storischen Bibelkritik erklärte und auf (tiefen-)psychologisch geschulte Ausleger wie David Bakan und Elizabeth Howes hinwies 4 - hat ent­schieden vor der Psychologisierung biblischer Individuen gewarnt:

"Es hieße Psychologisieren, wollte man auf grund dessen, daß Jesus »Abba« (» Vater«) als Metap'per für Gott verwendet, die Behauptung aufstellen, er habe einen Odipuskomplex gehabt oder sei vielleicht ein Bastard gewesen, der eine Kompensation dafür suchte, daß er seinen irdischen Vater nicht kannte. Derartige Fragen sind nicht legitim, nicht etwa deshalb, weil sie anstößig wären, sondern weil einfach nicht genug Fakten vorliegen, um auch nur eine Untersu­chung zu beginnen".5

Wink bezieht sich mit seinem Beispiel zwar auf die Psychoanalyse Freuds. Doch wer meinen würde, im Falle der jungsehen Psychologie, die er in einer Lehranalyse gründlich kennenlernte, sähe er dies an­ders, wird enttäuscht. Denn als ein "besonders krasses Beispiel" psy­chologistischer Exegese nennt er auch Via's Studie: »The Prodigal Son. A jungian reading«, in der "die Struktur der jungsehen ... Psychologie ... zur Norm und der Text lediglich angepaßt" worden sei6 . Der Psy­chologismusvorwurf hängt denn auch nicht von einzelnen psychologi­schen Theorien ab, wie dies Baudler behauptet, der ihn bezüglich der Freudschen Psychoanalyse gelten läßt, von der Analytischen Psycholo­gie jungs, da sie dem Religiösen gegenüber besonders aufgeschlossen sei, jedoch abzieht~ Vielmehr ist dieser Vorwurf immer dann zu erhe­ben, wenn ein Bibeltext förmlich als Illustration eines psychologi­schen Sachverhalts herhalten muß oder wenn der (empirische) Psycho­loge eine in seinen Stichproben gefundene Auslegung bestimmter Bibeltexte als die Interpretation deklarieren, Deskriptionen zu Präskrip­tionen, Fakten zu Normen erheben würde.

3. Bibelpsychologie: empirisch und deskriptiv. Bibelpsychologie, die nach den Auslegungen von Bibeltexten bei unterschiedlichen Subjekten fragt und diese Rezeptionsprozesse mit psychologischen Theorien zu erklären versucht, verzichtet damit notwendig auf den Anspruch, je­weils die 'richtige' Deutung von Bibeltexten zu erbringen. Sie ist de-

4 Wink, W.: Bibelauslegung als Interaktion 1976, bes. 7; Bakan, D.: SigIIlund Freud and the jeW"ish IIlystical tradition 1958; HoW"es, E.B.: Die Evangelien iIIl Aspekt der Tiefenpsychologie 1968.

5 Wink, W.: Bibelarbeit. Ein Praxisbuch für Theologen und Laien 1982, 137; ders.: On W"restling W"ith God. The use of psychological insights in biblical study 1978; vgl. auch Stein, D.: Ist eine psychoanalytische Lesung der Bibel IIlöglich? 1980, bes. 554 f.

6 Ebd. 138.

7 Baudler, G.: Jesus iIIl Spiegel seiner Gleichnisse 1986, bes. 252 f.

168

Page 171: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

skriptiv und hat in der Zone zu bleiben, für die sich die Psychologie zuständig erklären kann und muß: für die Beschreibung, das Verstehen und das Erklären von menschlichem Verhalten im weitesten Sinn, selbstverständlich ohne behaupten zu wollen, daß es eine Beschrei­bung gibt, die vorurteilsfrei wäre. Bibelpsychologie in diesem Sinne kann ohne empirische Forschung nicht gedacht, geschweige denn rea­lisiert werden. In der Wahl ihrer (empirischen) Methoden ist sie aber durchaus frei und kann sie geradezu wählerisch sein8 : Quantifizieren­de Erhebungen können bei entsprechenden Fragestellungen 9 ebenso aufschlußreich sein wie qualitative Tiefeninterviews über einzelne Bibeltexte, Verbalprotokolle von Bibeiunterricht10 sind ebenso zulässig wie die kommentierende Beschreibung von Bibliodrama-Veranstaltun­gen oder Bibelgesprächen etwa in der theologischen Erwachsenenbil­dung11 . Jeder Theologe, der - mit Luther gesprochen - "dem Volk aufs Maul schaut", wenn eine Beschäftigung mit biblischen Texten erfolgt, und sich dazu seine (psychologischen) Gedanken macht, ist ein <impli­ziter) Bibelpsychologe in dem bisher geschilderten Sinn.

4. Der notwendige Dialog. Gleichwohl benötigt Bibelpsychologie in diesem Sinne den Dialog mit den hochspezialisierten exegetischen Dis­ziplinen. Dabei ist sie nehmend und gebend. Nehmend insofern, als sie die Befunde der historisch-kritischen Analyse rezipiert, auf unter­schiedliche Ebenen im Text aufmerksam oder mit dessen Rezeptions­bzw. Wirkungsgeschichte vertraut gemacht wird. Dies kann bereichern und bisher unentdeckte Gesichtspunkte zutage bringen. Vor allem braucht sie Kriterien, um die in unterschiedlichen Stichproben gefun­denen subjektiven Auslegungen beurteilen zu können.

Gebend werden kann sie hingegen dann, wenn die Exegese von ihr zumindest punktuell zur Kenntnis nimmt, welche Auslegungen der von ihr untersuchten Texte vor Ort entwickelt werden, sei es im Bibelge­spräch, im Unterricht, in der persönlichen Lektüre etc. Aber auch dadurch, daß sie Gesetzmäßigkeiten der Kognitions-, der Entwick­lungs-, der Sozial- und auch der Tiefenpsychologie benennt, die in der

8 Leichtverständliche Einfiihrungen in soziahvissenschaftlich-empiri­sches Arbeiten: Bäumler, C. u.a.: Methoden der empirischen Sozial­forschung in der Praktischen Theologie 1976; Mayring, P.: Qualitative Sozialforschung 1990; umfassend: Bortz, j.: Lehrbuch der empiri­schen Forschung 1984.

9 Beispielsw-eise beziiglich der Frage nach dem Bekanntheitsgrad bibli­scher Geschichten in einer größeren Stichprobe von Theologiestudie­renden: Bucher, A.A.: Die Kenntnisse von Theologiestudenten iiber alttestamentliche Erzählungen 1990. Nicht einmal die Hälfte konnte angeben, wie Jakob zu seinen Frauen kam!

10 Noch immer einzigartig: Stachel, G. (Hg.): Der Bibelunterricht - do­kumentiert und analysiert 1976.

11 Beispiele bei Wink, W.: Bibelarbeit 1982, 43-57; Vogt, T.: Bibelarbeit 1985; Miller, G.: Biblische Texte in Szene setzen. Bericht iiber ein Experiment 1987; Ridez, L.: Erw-achsenenbildung und Entw-ick­lungspsychologie. Verständnis von Gleichnissen 1989; Kreppold, G.: Träume, Symbole und Bibel. Am Beispiel einer Selbsterfahrungs­gruppe und einer Einzeltherapie 1990.

169

Page 172: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

wissenschaftlich-exegetischen Arbeit wirksam sind, ob sich der Ausle­gende nun dessen bewußt ist oder nicht.

Eine entsprechende und sehr frühe Untersuchung stammt von Theo­dor Reik12. Bei Vers Gen 24, 67: '1saak führte Rebekka in das Zelt seiner Mutter Sara. Er nahm sie zu sich, und sie wurde seine Frau. Isaak gewann sie lieb und tröstete sich so über den Verlust der Mutter" - fragte er im Unterschied zu anderen psychoanalytisch orientierten Autoren nicht nach den psychischen Befindlichkeiten und (unbewußten) Motiven von Isaak und Rebekka, sondern viel­mehr, warum zeitgenössische Exegeten wie Gunkel und Wellhausen behaupteten, anstelle des kanonisierten "Mutter" habe ursprünglich "Vater" gestanden: angeblich um eigene Inzestwünsche gegenüber der eigenen Mutter zu verdrängen! - Inhaltlich ist diese Interpreta­tion gewiß fragwürdig, daß sie ohne die Konsultation der betroffe­nen Exegeten erfolgte, macht sie nicht besser; nichtsdestoweniger illustriert dieses Beispiel die Notwendigkeit, daß auch die Exegeten für die psychologischen Aspekte ihrer Arbeit sensibel werden 13 und die dadurch hervorgerufenen Erzeugnisse gegebenenfalls auch hinter­fragen lernen, beispielsweise bei eingefleischten Vorurteilen etwa gegenüber den Juden, wozu die Psychologie des Vorurteils zu kon­sultieren wäre14 .

Zudem kann Bibelpsychologie, die sich niemals auf eine psychologi­sche Bezugsdisziplin (wie etwa die Tiefenpsychologie) beschränken darf, auch Kriterien für die kritische Reflexion üblicherweise vertrete­ner psychologischer Auslegungen bereitstellen. Und nicht zuletzt können - zumindest in beschränktem Maße und mit der notwendigen methodologischen Behutsamkeit - psychologische Theorien, sofern sie als einigermaßen valide gelten, auch für die Exegese selber herange­zogen werden, beispielsweise sozial psychologische Theoreme, wie dies in Kap. 4 zumal im Umfeld des Paulus ausgeführt wurde.

5. Bibelpsychologie in der Spannung von Psychologie und Theologie: Das Verhältnis von Theologie und Psychologie15 innerhalb einer derge­staltigen Bibelpsychologie entspricht damit am ehesten dem Modell

12 Reik, T.: Unbewußte Faktoren in der wissenschaftlichen Bibelarbeit 1972 (ersttnals 1917).

13 Dies auch die Ansicht von Vergote, A.: Der Beitrag der Psychoana­lyse zur Exegese 1971, bes. 75 f.

14 Karsten, A. (Hg.): Vorurteil. Ergebnisse psychologischer und sozial­psychologischer Forschung 1978.

15 Auch die Literatur dazu ist Legion. Etnpfehlenswert ist das Studiutn der angelsächsischen Zeitschriften »Journal for the Scientific Study of Religion« sowie »Journal of Psychology and Theology« und »Jour­nal of Psychology and Christianity«. Eine utnfassende Bibliographie bietet Nase, E.: Bibliographie: Psychoanalyse und Religion 1977, 389-410. - Itn deutschen Sprachrautn beschäftigte sich schon vor Jahrzehnten intensiv tnit der Frage: Gruehn, W.: Die Frötntnigkeit der Gegenwart 1956, der sogar so weit ging, etnpirische Religi­onspsychologie als "Grundlagenwissenschaft der Theologie" einzu­fordern, wodurch sie (die etnpirische Psychologie) deretn Studiutn "eine neue, bisher unbekannte Lebensnähe und Aktualität vertnit­telt"(526).

170

Page 173: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

der "gegenseitigen Kritik", wie es von Baumgartner unter Bezugnahme auf Scharfen berg kurz beschrieben und von vier anderen Modellen des Dialogs abgegrenzt worden ist16. Diese werden im folgenden kurz aufgeführt und in ihren jeweiligen bibelpsychologischen Konsequenzen entfaltet:

Allgemein

1. Modell »Kampf«

Die Theologie beansprucht das Wahr­heitsmonopol und beurteilt bzw. ver­urteilt psychologische Erkenntnisse

Dieses Modell kann auch umgekehrt gepolt sein: Die Psychologie bean­sprucht den Primat und sieht in Religion ein Epiphänomen

2. Modell »Abgrenzung«

Betonung der Verschiedenartigkeit zwischen Theologie und Psycho­logie; letztere als Hilfs- oder An­wendungswissenschaft

3. Modell »Kooperation«

Begegnung auf der pragmatischen Ebene unter Ausblendung grund­sätzlicher Fragen

Bezogen auf Exegese

Nur theologische Exegesen werden gelten gelassen

(Empirisch -) psychologische Auslegungen werden als einzig richtige hypostasiert

Psychologie wird instrumen­talisiert, um Exegesen wei­terzuvermitteln

Pragmatisch-eklektische Ver­wendung psychologischer Aspekte in der Exegese

4. Modell »Philosophische Vermittlung«

Dialog auf akademischer, vielfach Die Frage nach Verhältnis abstrakter Ebene mit Schwerge- von Psychologie und Exegese wicht auf Grundlagenfragen wird grundsätzlich diskutiert,

aber kaum Konkretisierung

Das Modell "gegenseitiger Kritik" erfordert nicht nur die Bereitschaft zur Interdisziplinarität, sondern auch einen Minimalbestand an Kennt­nissen aus der jeweils anderen Disziplin. Ein Theologiestudium, in dem - was zwar weithin die Regel ist - kein »Psychologisches Grundwis­sen«17 vermittelt wird, bereitet darauf freilich nicht vor. Desgleichen

16 Baulllgartner, 1.: Pastoralpsychologie 1990, 60-62; Scharfenberg, J.: Psychologie und Psychotherapie 1974; vgl. auch Mette, N. & Steinkalllp, H.: Sozialw-issenschaften und Praktische Theologie 1983, bes. 164-176.

17 Rebell, W.: Psychologisches Grundw"issen für Theologen 1988; vgl. auch Schönpflug, W. & Schönpflug, U.: Psychologie. Ein Lehrbuch für das Grundstudiulll 1983.

171

Page 174: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ist auch vom Psychologen zu erwarten, der Religion im allgemeinen, der Theologie im besonderen mit Achtung und nicht mit zähen (kriti­schen) Vorurteilen wie dem zu begegnen, Religiosität sei so oder so pathologisch und infantil. Auch kommt er nicht darum herum, sich grundlegende Kenntnisse des theologisch-exegetischen Sprachspiels anzueignen, sofern er die Bibel bzw. die Rezeption ihrer Texte zu seinem Forschungsgegenstand wählt. Anders kann in ein "engagiertes Gespräch miteinander" gar nicht eingetreten werden.

6. Bibelpsychologie als praktisch-theologische Disziplin: Der theologi­sche Ort einer solchen Bibelpsychologie ist die Praktische Theologie, sofern diese nicht (mehr) als eine Hilfsdisziplin oder bloße Anwen­dungswissenschaft, als eine ancilla theologiae konzipiert, sondern im theologischen Fächerkanon als eigenständige theologische Disziplinen anerkannt wird18. Von einer entsprechenden Bibelpsychologie ist denn auch nicht primär zu erwarten, daß sie Rezepte verschreibt, wie die Auslegungen der Exegeten bzw. der Experten einlinear ans 'Volk' weitergegeben werden können. Gerade das entwicklungs psychologische Kapitel der in diesem Buch nur erst anskizzierten Bibelpsychologie hat gezeigt, daß Deutungen auch biblischer Texte, des Wortes Gottes, nicht weitergegeben werden können wie Pakete von einem Briefträger zu anderen; 'weitergegeben' wird nur, was von den angesprochenen Subjekten - von jedem wieder neu - assimiliert und rekonstruiert wird. Damit wird nicht einem radikalen Konstruktivismus das Wort geredet: Texte auch und gerade der Bibel sind geoffenbarte Vor-Gaben im ursprünglichen Sinne des Wortes. Sie liegen dem Subjekt voraus und sind Gaben, die aber, um es zu werden, angenommen, empfangen, rezipiert werden müssen.

Als praktisch-theologische Disziplin in diesem Sinne konfrontiert Bibelpsychologie - wie angedeutet - die Exegese mit der sogenannten Alltagsexegese und erfüllt damit eine durchaus erkenntnisstiftende Funktion. In der Erhellung "realer und kommunikativer biblisch-kriti­scher Vorgänge in Theologie und Kirche" sieht auch Ottmar Fuchs ein "ganzes Forschungsprogramm", das "auch und besonders die Aufgabe der Praktischen Theologie wäre,,19

7. Bibelpsychologie als Anwalt des Subjekts: Bibelpsychologie in die­sem Sinne will nicht nur einsichtig machen, daß jeder Exeget auch Psychologe ist, sei es implizit, sei es explizit; vor allem ist ihr daran gelegen, daß jeder Mensch, sofern er sich konstruktiv mit der Bibel auseinandersetzt und ihr Sinn abringt, auch Exeget ist. Damit macht sich Bibelpsychologie zum Anwalt des Subjekts und mutet sie ihm die

18 Aus der mittlerweile uferlosen Literatur: Mette, N.: Theorie der Praxis. Wissenschaftsgeschichtliche und methodologische Untersu­chungen zur Theorie-Praxis-Problematik innerhalb der praktischen Theologie 1978; Fuchs, O. (Hg.): Theologie und Handeln. Beiträge zur Fundierung der Praktischen Theologie als Handlungstheorie 1984; Van der Yen, j.: Practical theology. From applied to empirical theology 1988.

19 Fuchs, 0.: Die Praktische Theologie im Paradigma biblisch-kritischer Handlungswissenschaft zur Praxis der Befreiung 1984, 230.

172

Page 175: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

geforderten hermeneutischen Kompetenzen im Sinne Martin Bubers zu (Zumutung als Mut zusprechen). Dies birgt tiefgreifende theologische Implikationen in sich, zumal ekklesiologische. Denn eine solche Option ist in einer streng hierarchischen Kirche nicht möglich, sondern be­dingt eine konziliar-synodale Kirche im Sinne des Zweiten Vatikanums (Lumen Gentium 37 u.ö.>.

Die Insistenz auf das Subjekt wirkt sich auch auf die Beantwortung der Frage des Pilatus aus: "Was ist Wahrheit?" bzw. welche Auslegung eines Bibeltextes ist "wahr"? Ohne einem schrankenlosen Subjektivis­mus das Wort zu reden, kann aber doch gefordert werden, Deutungen biblischer Texte zusammen mit den Menschen zu betrachten, die sie hervorbringen und für bedeutsam erachten, zusammen auch mit den lebens geschichtlichen und lebensweltlichen Situationen und Kontexten, in denen sie stehen. Die Auslegungen der Gleichnisse von Adolf Jüli­eher, wonach diese vornehmlich moralische Wahrheiten beinhalten, müssen zusammen mit der Wilhelminischen Aera und ihrem (preußi­schen) Moralkodex gewürdigt (und relativiert) werden; die Gleichnis­auslegungen von Leonard Ragaz hingegen zusammen mit der Industri­alisierung, dem Proletariat und den in den Sozialismus gelegten (mes­sianischen) Hoffnungen20. Einblicke in die Wirkungsgeschichte von Bibeltexten zeigen in der Tat, daß eine "Fixierung auf die 'richtige' Auslegung des Textes" unangemessen ist21 ; vielmehr bergen auch Bibeltexte das Potential für vielfältige Aktualisierungen in sich, die selbst­verständlich hinterfragt werden können und hinterfragt werden sollen.

Was für die Wirkungs geschichte gilt, trifft auch in der Dimension der Lebensgeschichte zu: legt ein Kind Mt 25, 14-30 (Gleichnis von den Anvertrauten Talenten) als Aufforderung dazu aus, nicht so mit den Menschen zu schimpfen wie der Herr mit dem dritten Knecht, dann kann dies für das Kind ebenso wahr sein wie dies die Deutung, sich selbst zu verwirklichen, für einen jungen Erwachsenen sein kann. Denn die lebensgeschichtliche Situation, die Beziehungsfelder und die bisher gemachten Erfahrungen eines Kindes und eines Jugendlichen unterscheiden sich erheblich22: das Kind ist auf verläßliche Bezugs­personen angewiesen, die sich nicht zu vernichtenden Sanktionen hin­reißen lassen; der Jugendliche hingegen muß sich, um ein selbständiges Individuum zu werden, von den Autoritäten seiner Kindheit lösen können.

Aber: Ist auch die im Zeitalter der Inquisition vertretene Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen wahr (Mt 13, 2-3), wonach die Ketzer, Hexen und die angeblich von Teufeln und Dämo­nen Besessenen das gleiche Schicksal erleiden sollen wie das Unkraut: zu Asche verbrannt zu werden? Ohne über die grundsätzliche Frage streiten zu wollen, ob und inwiefern solche allegorisch-aktualisieren-

20 Jlilicher, A.: Die Gleichnisreden Jesu, 2 Bände 1910; Ragaz, L.: Die Gleichnisse Jesu. Seine soziale Botschaft 21979.

21 Vgl. dazu Berg, H.K.: Ein Wort wie Feuer 1991, 331-365, hier 363. Flir die jlidische Exegese bspw. ist es charakteristisch, daß die Ta­ra '70 Gesichter" habe (ebd. 391).

22 Ausflihrlicher: Bucher, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen 1990, 165-167.

173

Page 176: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

den Auslegungen zuläßig sind - diese Deutung ist deshalb nicht statt­haft, weil sie der Mitte des Evangeliums widerspricht, der Botschaft der Liebe, der Ankündigung des Reiches Gottes und Jesu solidarisch­heilendem Handeln diametral entgegengesetzt ist.

8. Eine mögliche Konkretisierung: Du Bibliodrama: Praktisch realisiert sehe ich Bibelpsychologie in diesem Sinne unter anderem im "Biblio­drama" 23, ein Sammelbegriff für unterschiedliche Zugänge zur Bibel speziell in der theologischen Erwachsenenbildung, die jeweils dazu einladen, sich in biblische Geschichten einzulassen, sich mit biblischen Personen zu identifizieren und in ihre Haut zu schlüpfen, um so den garstigen Graben zwischen der Bibel und hier und jetzt nicht nur zu überbrücken, sondern aufzuheben. Nicht danach wird gefragt, was beispielsweise Moses auf dem langen Wüstenmarsch fühlte und em­pfand, sondern vielmehr, welche Regungen und Gedanken mich erfül­len, wenn ich mich auf das Rollenangebot Moses in der Wüste einlas­se 24. Solche Identifikationsprozesse, wie sie schon von gutem Erzäh­len ausgelöst werden können, d.h. einem Erzählen, das nicht psycho­logisiert, sondern vergangene Episoden gegenwärtig setzt, ermöglichen Gleichzeitigkeit mit dem biblischen Text trotz aller historischen Di­stanz. Die biblische Geschichte wird durch eigene Mittäterschaft an­geeignet, was zu Recht an das lernpsychologische Axiom von John Dewey und anderen, speziell Piaget denken läßt: "Learning by doing".

Eine dramatische Neu-Inszenierung einer biblischen Geschichte führt immer auch zu einer neuen Interpretation. Allerdings wäre es unstatt­haft, diese als die einzig richtige auszugeben. Zudem schließen sich -wie Tim Schramm ausgeführt hat - Bibliodrama und historisch-kriti­sche Exegese nicht aus; vielmehr können sie sich zu einer "dialogi­schen Exegese" verbünden 25.

"Hatte Jakob einen Ödipuskomplex?" - Das Abschreiten zahlreicher und unterschiedlicher psychologischer Wege zur Bibel zeigte: Die Fra­ge selber ist illegitim. Bedeutsam ist vielmehr: "Welche Bedeutung hat diese biblische Gestalt im besonderen, die Bibel im allgemeinen für mein und unser Glaubensleben ?" Diese Frage erfordert, miteinander in einen Dialog zu treten, vor allem aber: hinzuhören, wenn Menschen <und gerade auch Kinder) biblische Texte neu aktualisieren und mit Bedeutung versehen. Denn: Hinhören ist nicht nur eine Aufgabe des Psychologen, sondern auch eine eminent christliche Tugend.

23 Aus der kaUIIl IIlehr überschaubaren Literatur: BubenheiIIler, U.: Bi­bliodraIna - Selbsterfahrung und Bibelauslegung iIIl Spiel 1990; An­driessen, H. & Derksen, N.: Lebendige Glaubensvermittlung iIIl Bibliodrama 1989; Kiehn, A. u.a.: Bibliodrama 1987; Martin, G.M.: Art.: Bibliodrama 1987 (mit Literatur).

24 Dies erinnert zu Recht an Sunden, H.: Religion und die Rollen 1966. Die Gemeinsamkeiten zw-ischen BibliodraIIla und Sundens religi­onspsychologischem Ansatz erörtert Gerritsen, A.J.: Bibliodrama about Job. Some preliminary notes 1986, bes. 114 f.

25 SchraIIlm, T.: BibliodraIIla und Exegese 1987, bes. 121.

174

Page 177: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

ANHANG

175

Page 178: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Zitierte Literatur

ABRAHAM, K.: Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung. Und andere Studien, Frankfurt/M. 1969.

ABRAHAM, K.: Psychoanalytische Studien 11, Frankfurt/M. 1971.

AEBLI, H.: Zw-ölf Grundformen des Lehrens. Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage, Stuttgart 3 1987.

ALEXANDER, C.N. & LANGER, E.J. (Hg.): Higher stages of human de­velopment, New- York & Oxford 1990.

ALLWOHN, A.: Die Ehe des Propheten Hosea in psychoanalytischer Be­leuchtung. In: Zeitschrift ftir Alttestamentliche Wissenschaft 44 (1926).

ANDRIESSEN, H. & DERKSEN, N.: Lebendige Glaubensvermittlung im Bibliodrama, Mainz 1989.

ARLOW, J.A.: Die Konsekration des Propheten. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte 1972, 232-242.

ASCH, S. & NERLOVE, H.: The development of double function terms in children. In: B. Kaplan & S. Wapner (Hg.): Perspectives in psy­chological theory, New- York 1960.

BAACKE, D.: Die 13- bis 18jährigen. Einftihrung in Probleme des Ju­gendalters, Mtinchen-Wien-Baltimore, 2. erw-eiterte Auflage 1979.

BÄUMLER, C. u.a.: Methoden der empirischen Sozialforschung in der Praktischen Theologie, Mainz 1976.

BAKAN, D.: Sigmund Freud and the jew-ish mystical tradition, Prince­ton 1958.

BAKAN, D.: Das Opfer im Buch Hiob. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoana­lytische Interpretationen biblischer Texte, Mtinchen 1972, 152-166.

BALDERMANN, 1.: Ich w-erde nicht sterben, sondern leben. Psalmen als Gebrauchstexte, Neukirchen 1990.

BALLSTAEDT, S.P. u.a.: Texte verstehen - Texte gestalten, Mtinchen 1981.

BALMARY, M.: Le sacrifice interdit. Freud et la Bible, Paris 1986.

BALMER, H.: Die Archetypentheorie von C.G. Jung. Eine Kritik, Berlin 1972.

BALTES, P.: Entw-icklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze. In: Psychologische Rundschau 41 (1990), 1-24.

BARTH, G.M.: Religion und religiöse Inhalte bei psychotischen und zw-angsneurotischen Kindern und Jugendlichen, Diss. med, Ttibingen 1987.

BARZ, H.: Menschen und Mächte. Oder: Die gebrochene Wirklichkeit des (jugendlichen) Okkultismus. In: Ders. (Hg.): Dämonen im Klas­senzimmer, Weinheim & Basel 1990, 113-158.

BAUDLER, G.: Jesus im Spiegel seiner Gleichnisse. Das erzählerische Lebensw-erk Jesu - ein Zugang zum Glauben, Calw- & Mtinchen 1986.

BAUDLER, G.: Zum Ursprung der religiösen Symbolik: «Archetypen der Seele» (C.G. Jung) oder w-ahrgenommene Wirklichkeit. In: W. Bies & H. Jung (Hg.): Mnemosyne, Baden-Baden 1988, 71-91.

BAUMGARTNER, 1.: Pastoralpsychologie. Einftihrung in die Praxis hei­lender Seelsorge, Dtisseldorf 1990.

BAUMGARTNER, 1.: Von der heilenden Kraft der Sakramente. In: Ders. (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 547-564.

BAUMGARTNER, I. (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regens­burg 1990.

BEIRNAERT, L.: Aux frontieres de l'acte analytique. La Bible, Saint Ignace, Freud et Lacan, Paris 1987.

176

Page 179: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

BENEDETTI, G.: Das Symbol in der Psychopathologie und in der Psy­chotherapie der Schizophrenen. In: Ders. & U. Rauchfleisch (Hg.): Welt der Symbole. Interdisziplinäre Aspekte des Symbolverständnis­ses, Göttingen 1988, 214-224.

BERG, H.K.: Die Bibel - ein w-ichtiges Buch für Schüler? Ergebnisse einer Umfrage. In: ru, Zeitschrift für die Praxis des Religionsunter­richts 19 (1989), 93-96.

BERG, H.K.: Ein Wort w-ie Feuer. Wege lebendiger Bibelauslegung, München & Calw- 1991.

BETTELHEIM, B.: Kinder brauchen Märchen, München 1980.

BETTELHEIM, B.: Ein Leben für Kinder. Erziehung in unserer Zeit, Stuttgart 1986.

BETZ, 0.: Psychologische Grundlagen der Bibelarbeit. In: W. Langer (Hg.): Handbuch der Bibelarbeit, München 1987, 232-239.

BILLOW, R.: Observing spontaneous metaphor in children. In: Journal of Experimental Psychology 31 (1981>, 430-445.

BINDL, M.F.: Das religiöse Erleben im Spiegel der Bildgestaltung. Eine entw-icklungs-psychologische Untersuchung, Freiburg LBr. 1965.

BJERRE, P.: Unruhe, Zw-ang, Angst, München o.J.

BLACK, M.: More about metaphor. In: Dialectica 31 (1977), 431-457.

BLEULER, E.: Dementia Praecox oder Gruppe der Schizophrenien, Leip-zig 1911.

BLEULER, M. & ANGST, J.: Die Entstehung der Schizophrenie, Bern 1971.

BLONDEL, M.: Das Denken. Zw-eiter Band: Die Verantw-ortung des Denkens und die Möglichkeit seiner Vollendung, Freiburg & München 1956.

BOCK, M.: Wort-, Satz-, Textverarbeitung, Stuttgart 1978.

BORTZ, J.: Lehrbuch der empirischen Forschung für Sozialw-issen­schaf tIer, Berlin u.a. 1984.

BOSSARD, R.: Traumpsychologie: Wachen, Schlafen, Träumen, Frank­furt/Mo 1987.

BOSSMANN, D. & SAUER, G.: Wann w-ird der Teufel in Ketten gelegt? Kinder und Jugendliche stellen Fragen an Gott, Lahr & München 1984.

BOWLBY, J.: Bindung, München 1975.

BRÄUTIGAM, W.: Reaktionen, Neurosen, Abnorme Persönlichkeiten, München 1977.

BRANDL, G.: Nächstenliebe - Ausgangspunkt der Erneuerung. Die zehn Gebote aus individual psychologischer Sicht, Luzern & Stuttgart 1980.

BREHM, J.W.: Responses to loss of freedom: A theory of psychologi­cal reactance, Morristow-n 1972.

BRONFENBRENNER, U.: Die Ökologie der menschlichen Entw-icklung. Natürliche und geplante Experimente, Frankfurt/M. 1989.

BROUGHTON, J.: Development of concepts of self, mind, reality, and know-ledge. In: New- Directions for Child Development 1 (1978), 75-110.

BRUMLIK, M.: Die Renaissence der Gottmenschen. C.G. Jung und seine Jünger. In: Psychologie heute (1986), 51-55.

BRUMLIK, M.: Die Zermürbung der Aufklärung durch den Alltag tiber den heutigen Irrationalismus. In: H. Barz (Hg.): Dämonen im Klassenzimmer, Weinheim & Basel 1990, 89-97.

BRUNNER, H.: Menschenbilder in Psychologie und Psychotherapie. In: I. Baumgartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 63-85.

BRUSSELMANS, C. (Hg.): Tow-ard moral and religious maturity, Mor­ristow-n 1980.

177

Page 180: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

BUBENHEIMER, U.: Bibliodratna - Selbsterfahrung und Bibelauslegung itn SpieL In: L Bautngartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsycholo­gie, Regensburg 1990, 533-545.

BUCHER, A.A.: Das Weltbild des Kindes. In: PRAXIS, Katechetisches Arbeitsblatt 1987, H.3, 2-30.

BUCHER, A.A.: Tiefenpsychologie und Exegese. Anmerkungen zum Psychologiekonzept Eugen Drevvertnanns. In: Herder Korrespondenz 42 (1988), 114-118.

BUCHER, A.A.: Gleichnisse verstehen lernen. Strukturgenetische Un­tersuchungen zur Rezeption synoptischer Parabeln, Fribourg 1990.

BUCHER, A.A.: Symbol - Symbolbildung - Symbolerziehung. Philosophi­sche und entvvicklungspsychologische Grundlagen, Sankt Ottilien 1990.

BUCHER, A.A.: Die Kenntnisse von Theologiestudenten Uber alttestament­liche Erzählungen. In: Religionspädagogische Beiträge 26/1990,115-126.

BUCHER, A.A.: »Gott ist ein Mensch fUr mich«. Kurzbericht Uber eine etnpirische Untersuchung zu den Gottesbildern itn Grundschulalter. In: Katechetische Blätter 116 (1991), 331-335.

BUCHER, A.A.: Die Theorie der tnoralischen Entvvicklung von Lavvren­ce Kohlberg und seiner Schule und die Moraltheologie. Ein Beitrag fUr eine intensivere und rekonstruktiv-kritische Interdisziplinarität. In: Freiburger Zeitschrift fUr Philosophie und Theologie 38 (1991), 57-82.

BUCHER, A.A. & REICH, K.H. (Hg.): Entvvicklung von Religiosität. Grundlagen - Theorieprobletne - Praktische Anvvendung, Fribourg 1989.

BtiHLER, B.: Die Wiedererinnerung von Geschichten bei geistig behin­derten Kindern. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit an der Universität Fribourg/CH, 1981.

BtiHLER, C.: Das Märchen und die Phantasie des Kindes, Leipzig 1918.

BUGGLE, F. & WESTERMANN-DUTTLINGER, H.: Untersuchungen zum Anitnistnus bei 5-8jährigen Kindern. In: Zeitschrift fUr Entvvick­lungspsychologie und Pädagogische Psychologie 20 (1988), 3-14.

CHASSEGUET-SMIRGEL, j. (Hg.): Wege des Anti-Ödipus, Frank­furt/Mo 1978.

CIOFFI, F.: Freud and the idea of a pseudo-science. In: M. R. Borger & F. Cioffi (Hg.): Explanations in the behavioral siences, Catnbridge 1970, 471-499.

CLARK, M.S. & FISKE, S.T.: Affect and cognition. The seventeenth annual Carnegie sytnposiutn on cognition, Hillsdale, N.j. 1982.

COMETA, M. S. & ESON, M.: Logical interpretations and tnetaphor inter­pretation: A Piagetian ModeL In: Child Developtnent 49 (1978), 649-659.

COMMONS, M.L., RICHARDS, F.A. & ARMON, C. (Hg.): Beyond fortnal operations. Late adolescent and adult cognitive developtnent, Nevv York u.a. 1984.

COOPER, j. & FAZIO, R.H.: A nevv look at dissonance theory. In: L. Berko­witz (Hg.): Advances in experitnental social psychology, Nevv York 1984.

COUDRIS, R. & COUDRIS, M.: Itn Trance-Dialog tnit 'C.G. jung'. Oder Kontakte tnit detn Unbevvußten? Channling Chronik 11 12/87-2/88, Melsbach 1989.

COX, D.: C. G. jung und Paulus. Das Verhältnis von Individuation und Rechtfertigung aus Glauben. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte, MUnchen 1972, 60-74.

CREMERIUS, j. (Hg.): Die Rezeption der Psychoanalyse in der Soziolo­gie, Psychologie und Theologie itn deutschsprachigen Rautn bis 1940, Frankfurt/M. 1981.

CREMERIUS, j. u.a. (Hg.): Literatur und Sexualität. Band 10 der Frei­burger literaturpsychologischen Gespräche, WUrzburg 1991.

178

Page 181: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

CREUZER, F.: Symbolik und Mythologie der alten Völker, Heidelberg 1810.

DAHLKE, R.: Mandalas der Welt. Ein Meditations- und Malbuch, MUnchen 1990.

DAMON, W.: Die soziale Entwicklung des Kindes. Ein entwicklungs­psychologisches Lehrbuch, Stuttgart 1989.

DAMON, W. & HART, D.: The development of self-understanding from infancy through adolescence. In: Child Development 53 (1982), 831-857.

DANIS, J.: Psychosymbolik. Das ödipale Triangulum, MUnchen 1989.

DASSMANN, E.: Geschichtlichkeit der Offenbarung und gnostische Be­drohung. In: A. Görres & W. Kasper (Hg.): Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens, Freiburg 1. Br. 1988, 49-66.

DAVISON, G.C. & NEALE, J.M.: Klinische Psychologie. Ein Lehrbuch. 3. neubearbeitete und erweiterte Auflage, MUnchen & Weinheim 1988.

DEBOT-SEVRIN, M.: Essai d' enseignement experimental. L 'assimilati­on d'une parabole par des enfants normaux et caracteriels de 6-7 ans. In: A. Godin (Hg.>: Cahier de Lumen Vitae, Band 4: Du Cri a la Parole, BrUssel 1967, 139-160.

DEIDENBACH, H.: Zur Psychologie der Bergpredigt, Frankfurt/M. 1990.

DELEUZE, G. & GUATTARI, F.: Anti-Ödipus, Frankfurt/M. 1974.

DENT, C.H.: The development of metaphoric competence. In: Human Development 29 (1986), 223-244.

DITTMANN-KOHLI, F. & BALTES, P.: Toward a neofunctionalist concep­tion of adult intellectual development: Wisdom as a prototypical case of intellectual growth. In: C.N. Alexander, & E.J. Langer (Hg.): Higher stages of human development, New York & Oxford 1990, 54-78.

DOEHLEMANN, M.: Von Kindern lernen. Zur Position des Kindes in der Welt der Erwachsenen, MUnchen 1979.

DOEHLEMANN, M.: Die Phantasie der Kinder und was Erwachsene daraus lernen können, Frankfurt/M. 1985.

DÖHNER, 0.: Art.: Psychose. In: G. Rexilius & S. Grubitzsch (Hg.): Handbuch psychologischer Grundbegriffe, Reinbek 1981, 864 f.

DÖRNER, K. & PLOG, U.: Irren ist menschlich. Lehrbuch der Psychia­trie/Psychotherapie, 6. Uberarbeitete Auflage, Bonn 1990.

DONALDSON, M.: Wie Kinder denken, Bern u.a. 1982.

DORMEYER, D.: Die Bibel antwortet. EinfUhrung in die interaktionale Bibelauslegung, MUnchen 1978.

DORMEYER, D.: Das Verhältnis von 'wilder' und historisch-kritischer Exegese als methodologisches und didaktisches Problem. In: Jahr­buch der Religionspädagogik 3 (1986), 111-126.

DOUCET, F.: Forschungsobjekt Seele. Eine Geschichte der Psychologie von den vorchristlichen Philosophen bis zu den Seelenärzten des 20. Jahrhunderts, MUnchen 1971-

DOUCET, F.: Taschenlexikon der Sexualsymbole, MUnchen 1971-

DOUCET, F.: Das große Buch der Traumdeutung. Mit Lexikon der Traurnsymbole, Wien 1978.

DREWERMANN, E.: Strukturen des Bösen:

Band I: Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer Sicht, Pa­derhorn u.a. 1977 (S 1).

Band 11: Die jahwistische Urgeschichte in psychoanalytischer Sicht, Paderborn u.a. 1978 (S 11).

Band 111: Die jahwistische Urgeschichte in philosophischer Sicht, Paderborn u.a. 1978 (S 111).

179

Page 182: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

DREWERMANN, E.: Tiefenpsychologie und Exegese:

Band I: Die Wahrheit der Fonnen. Trau1l1, Mythos, Märchen, Sage und Legende, Olten & Freiburg LBr. 1984 (TE I)

Band 11: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Olten & Freiburg LBr. 1985 (TE 11).

DREWERMANN, E.: Das Markusevangeliu1l1. Band 1. Bilder von Erlö­sung, Olten & Freiburg LBr. 1987 (M 1). Band 2, Olten & Freiburg LBr. 1988 (M 11).

DREWERMANN, E.: "An ihren FrUchten sollt ihr sie erkennen". Ant­w-ort auf Rudolf Peschs und Gerhard Lohfinks "Tiefenpsychologie und keine Exegese", Olten & Freiburg LBr. 1988.

DREWERMANN, E.: Kleriker. Psychogra1l11l1 eines Ideals, Olten & Frei­burg LBr. 1990.

DRIGALSKI, D. von: Blu1l1en auf Granit, Frankfurt/M. 1980.

DUNCKER, L. u.a. (Hg.): Kindliche Phantasie und ästhetische Erfah­rung. Wirklichkeiten zw-ischen Ich und Welt, Langenau-ill1l1 1990.

DUSKA, R. & WHELAN, M.: Moral develop1l1ent. A guide to Piaget and Kohlberg, New- York 1975.

DYKSTRA, C.: What are people like? An alternative to Kohlberg's view-. In: D.M. Joy (Hg.): Moral develop1l1ent foundations, New- York 1983, 153-161.

DYKSTRA, C.A.: Faith developInent and religious education. In: Ders. & S. Parks (Hg.): Faith develop1l1ent and Fow-Ier, Bir1l1inghatn/ Alaba-1l1a 1986, 251-271.

DYKSTRA, C. & PARKS, S. (Hg.): Faith develop1l1ent and Fow-Ier, Bir-1l1inghaITI/ Alabatna 1986.

ECKES-LAPP, R.: SY1l1bolbildung und SY1l1bolik in psychoanalytischer Sicht. In: G. Benedetti & U. Rauchfleisch (Hg.): Welt der SY1l1bole. Inter­disziplinäre Aspekte des SY1l1bolverständnisses, Göttingen 1988, 172-199.

EDELSTEIN, W. & NUNNER-WINKLER, G. (Hg.>: Zur Besti1l11l1ung der Moral. Philosophische und sozialw-issenschaftliche Beiträge zur Mo­ralforschung, Frankfurt/M. 1986.

EGGER, R. u.a. (Hg.): Die Bibel lebt. 21 Erfahrungsberichte aus der Schw-eiz, ZUrich 1986.

ELKIND, D.: The child's conception of his religious deno1l1ination, 1: The jew-ish child. In: Journal of Genetic Psychology 99 (1961), 209-225.

ELKIND, D.: The develop1l1ent of religious understanding. In: M.P. StroIn1l1en (Hg.): Research on religious develop1l1ent. A cOInprehensi­ve hand-book, New- York 1971, 655-685.

ELKIND, D.: Das gehetzte Kind. Werden unsere Kleinen zu schnell groß? Hatnburg 1991.

ELLERBROCK, J.: Adamskomplex. Alfred Adlers Psychologie als Inter­pretaInent christlicher Uberlieferung, Frankfurt/M. u.a. 1985.

ELLWANGER, W.: Die Zauberw-elt unserer Kinder. Vorn rechten Um­gang mit magischen Gestalten, Freiburg LBr. 1980.

ERIKSON, E.: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt/M. 1974.

ERIKSON, E.: Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und hi­storische Studie, Frankfurt/M. 1975.

ERIKSON, E.: Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wan­del, Frankfurt/M. u.a. 1981.

ESCHENRÖDER, C.: Hier irrte Freud. Zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis, 2. erw-. Auflage, MUnchen & Weinheim 1986.

EULER, H.A. & MANDL, H. (Hg.>: EInotionspsychologie. Ein Handbuch in SchlUsseibegriffen, MUnchen - Wien - Baltimore 1983.

180

Page 183: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

EWERS, H.H.: Kindheit als poetische DaseinsforIn. Studien zur Entstehung der rOInantischen Kindheitsutopie iIn 18. jahrhundert, Miinchen 1989.

EYSENCK, H.j.: SigInund Freud. Niedergang und Ende der Psychoana­lyse, Miinchen 1985.

EYSENCK, H.j. & SOUEIF, M.: An eInpirical test of the theory of se­xual sYInbolisIn. In: journal of Perceptual and Motor Skills 35 (1972), 945-946.

EYSENCK, H.j. & WILSON, H. (Hg.): ExperiInentelle Studien zur Psy­choanalyse SigInund Freuds, Wien 1979.

FEHRENBACHER, G.: DreW'erInann verstehen. Eine kritische Hinfiih­rung, Olten & Freiburg LBr. 1991-

FEIN, D. & STEIN, G.M.: IInInanent punishment and reW'ard in six- and nine- year old children. In: journal of Genetic Psychology 31 (1977), 91-96.

FENICHEL, 0.: Schautrieb und Identifizierung. In: Ders.: Aufsätze, Band I, Frankfurt/M. u.a. 1985, 382-408.

FERENCZI, S.: Kritik der jungschen "Wandlungen und SYInboie der Li­bido«. In: Ders.: Bausteine zur Psychoanalyse, Band 1: Theorie, Leip­zig 1927, 243-268.

FERGUSON, M.: Die sanfte Verschw-örung. Persönliche und Gesellschaft­liche Transformation im Zeitalter des Wassermanns, Miinchen 21984.

FERNHOUT, H.j.: Where is faith? Searching for the core of the cube. In: C. Dykstra & S. Parks (Hg.): Faith development and FoW'ler, Bir­mingham/ Alabarna 1986, 65-89.

FERRIERE, A.: Biogenetik und Arbeitsschule - ein Programm zur Aus­gestaltung der Volksschule, Langensalza 1912.

FESTINGER, L.: Theorie der kognititiven Dissonanz, Bern 1978.

FESTINGER, L. u.a.: When prophecy fails. A social and psychological study of a modern group that predicted the destruction of the w-orld, Minneapolis 1956.

FETZ, R.L.: Genetische Semiologie? Symboltheorie im Ausgang von Ernst Cassirer und jean Piaget. In: Freiburger Zeitschrift fiir Philo­sophie und Theologie 28 (1981), 434-470.

FETZ, R.L.: Die Entw-icklung der Himmelssymbolik in Menschheitsge­schichte und individueller EntW'icklung. Ein Beitrag zu einer genetischen Setniologie. In: A. Zw-eig (Hg.): Schriften zur Sytnbolforschung, Band 2: Zur Entstehung von Sytnbolen, Bern & Frankfurt/M. 1985, 111-150.

FETZ, R.L.: Struktur und Genese. jean Piagets Transfortnation der Philosophie, Bern 1988.

FETZ, R.L. & REICH, K.H.: World view-s and religious developtnent. In: journal of Etnpirical Theology 2 (1989), H.2, 46-61-

FETZ, RL., REICH, K.H. & VALENTIN, P.: Weltbild, Gottesvorstellung, religiöses UrteiL Welche Beziehung? In: A.A. Bucher & K.H. Reich (Hg.): Entw-icklung von Religiosität, Fribourg 1989, 149-158.

FETZ, RL., REICH, K.H. & VALENTIN, P.: Weltbildentw-icklung und Gottes­vorstellung. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und jugendlichen. In: E. Schmitz (Hg.): Religionspsychologie, Göttingen 1991-

FINCHAM, F.D.: Developtnental ditnension of attribution theory. In: j. jaspars u.a. (Hg.): Attribution theory: conceptual, developtnental and social ditnensions, London 1983.

FINGERT, H.: Psychoanalytische Studie iiber den Propheten jona. In: E. Nase & j. Scharfenberg (Hg.): Psychoanalyse und Religion, DarInstadt 1977, 180-192.

FISCHEDICK, H.: Von einetn, der auszog, das Leben zu lernen. Glaube und Selbstw-erdung, Miinchen 21988.

181

Page 184: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

FLAMMER, A.: Entw-icklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entw-icklung, Bern u.a. 1988.

FLA VELL, ].: The developmental psychology of ]ean Piaget, New- York 1963.

FOULKES, D.: Die Psychologie des Schlafs, Frankfurt/M. 1969.

FOWLER, ].W.: To see the Kingdom. The theological vision of H.R. Niebuhr, Nashville 1974.

FOWLER, ].W.: Faith and the structuring of meaning. In: C. Brusselmans (Hg.): Tow-ard moral and religious maturity, Morristow-n 1980, 51-85.

FOWLER, ].W.: Stages of faith. The psychology of human develop­ment and the quest for meaning, San Francisco 1981-

FOWLER, ].W.: Eine stufenw-eise geschehende Einflihrung in den Glau­ben. In: Concilium 20 (1984), 309-315.

FOWLER, ].W.: Die Berufung der Theorie der Glaubensentw-icklung: Richtungen und Modifikationen seit 1981. In: K.E. Nipkow-, F. Schw-eit­zer & ].W. Fow-ler (Hg.): Glaubensentw-icklung und Erziehung, Gti­tersloh 1988, 29-47.

FOWLER, ].W.: Glaubensentw-icklung. Perspektiven flir Seelsorge und kirchliche Bildungsarbeit, Mlinchen 1989.

FRAAS, H.].: Die Konstitution der Persönlichkeit und die Symbole des Glaubens. In: Religionspädagogische Beiträge 21/1988, 157-178.

FRAAS, H.].: Die Religiosität des Menschen. Ein Grundriß der Religi­onspsychologie, Göttingen 1990.

FRAINE, ]. deo Adam und seine Nachkommen, Köln 1962.

FRANZ, M.L. von: Psychologische Märcheninterpretation. Eine Einflih­rung, Frankfurt/M. u.a. 1989.

FREESE, L.: Kinder sind Philosophen, Weinheim & Berlin 1989.

FREUD, S.: Studienausgabe (SA) , hg. von A. Mitscherlich u.a., Frank-furt 1969 ff.

SA I: Vorlesungen zur Einflihrung in die Psychoanalyse 1969. SA 11: Die Traumdeutung 1972. SA V: Sexualleben 1972. SA VII: Zw-ang, Paranoia und Perversion 1973.

SA VIII: Zw-ei Kinderneurosen 1969. SA IX: Fragen der Gesellschaft. Ursprlinge der Religion 1974. SA X: Bildende Kunst und Literatur 1973.

Ergänzungsband: Studien zur Behandlungstechnik 1975.

FREY, D.: Die Theorie der kognitiven Dissonanz. In: Ders. & M. Irle (Hg.): Theorien der Sozialpsychologie, Band 1: Kognitive Theorien, Bern u.a. 1978, 243-292.

FREY, D. & BENNING, E.: Dissonanz. In: D. Frey & Greif, S. (Hg.): So­zialpsychologie, Mtinchen-Wien-Baltimore 1983, 147-153.

FREY, D. & GREIF, S. (Hg.): Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schllis­selbegriffen, Mtinchen-Wien-Baltimore 1983.

FREY, D. & IRLE, M. (Hg.): Theorien der Sozialpsychologie, 3 Bände, Bern u.a. 1978 ff.

FROMM, E.: Der Sabbath. In: Imago 7 (1927), 223-234.

FROMM, E.: Sigmund Freuds Psychoanalyse Größe und Grenzen, Stuttgart 1979.

FROMM, E.: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1976.

FROMM, E.: Märchen, Mythen, Träume. Einflihrung in das Verständnis einer vergessenen Sprache, Stuttgart 1980.

FUCHS, 0.: Die Praktische Thologie im Paradigma biblisch-kritischer

182

Page 185: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Handlungswissenschaft zur Praxis der Befreiung. In: Ders. (Hg.): Theologie und Handeln, DUsseldorf 1983, 209-244.

FUNKE, D.: Ewige Urbilder? In: Katechetische Blätter 113 (1988), 123-125.

FUSSENEGGER, G.: Die Arche Noah, ZUrich 1982.

GADAMER, H.G.: Wahrheit und Methode. GrundzUge einer philoso­phischen Hermeneutik, TUbingen 51986.

GAGER, j.G.: Das Ende der Zeit und die Entstehung von Gemeinschaf­ten. In: W.A. Meeks (Hg.>: Zur Soziologie des Urchristentums, MUn­ehen 1979, 88-130.

GARDINER, F.M.: Feeling and emotion. A history of theories, West­port 1970.

GARDINER, M. (Hg.): Der Wolfsmann vorn Wolfsmann, Frankfurt/M. 1982.

GARDNER, H. u.a.: Children's metaphoric productions and preferences. In: Journal of Child Language 2 (1975), 125-141.

GARDNER, H. u.a.: The development of figurative language. In: K.E. Nelson (Hg.): Children's language. New- York 1978, 1-38.

GARZ, D.: Sozialpsychologische Entw-icklungstheorien. Von Mead, Pia­get und Kohlberg bis zur Gegenw-art, Opladen 1989.

GARZ, D.: Theorie der Moral und gerechte Praxis. Zur Rekonstruktion und WeiterfUhrung des Kohlbergsehen Wissenschaftsprogramms, Wiesbaden 1989.

GEBSATTEL, V.: Prolegomena zu einer medizinischen Anthropologie, Berlin 1953.

GELPE, M.: Apologie der anthropomorphistischen und anthropopathi­sehen Darstellung Gottes, Heidelberg 1842.

GERRITSEN: Bibliodrama about job: Some preliminary notes. In: j.A. van BeIzen & j.M. van der Lans (Hg.): Current issues in the psy­chology of religion, Arnsterdarn 1986, 112-123.

GEULEN, D.: PerspektivenUbernahme und soziales Handeln. Texte zur sozial-kognitiven Entw-icklung, Frankfurt/M. 1983.

GIBSON, EJ. & LEVlN, H.: Die Psychologie des Lesens, Frankfurt/M. 1989.

GINS, K.: HinfUhrung 4- bis 5jähriger Kinder zum Verständnis biblischer Geschichten. In: Archiv fUr Religionspsychologie, 13/1978, 164-189.

GINS BURG, H. OPPER, S.: Piagets Theorie der geistigen Entw-icklung, Stuttgart, 2. um ein Werkverzeichnis ergänzte Auflage 1978.

GLUCKSBERG, S. & KEYSAR, B.: Understanding metaphorical compa­risons: Beyond similarity. In: Psychological Review- 97 (1990), 3-18).

GNIECH, G. & DICKENBERGER, D.: Reaktanz. In: D. Frey, & S. Greif (Hg.>: Sozialpsychologie, MUnchen-Wien-Baltimore 1983, 259-262.

GNIECH, G. & GRABITZ, H.j.: Freiheitseinengung und psychologische Reaktanz. In: D. Frey & M. Irle (Hg.): Theorien der Sozialpsycholo­gie. Band 1: Kognitive Theorien, Bern u.a. 1978, 48-74.

GODIN, A.: Genetic development of the symbolic function: meaning and limits of the w-ork of R. Goldman. In: Religious Education 63 (1968), 439-445.

GÖRRES, A.: Erneuerung durch Tiefenpsychologie? In: Ders. & W. Kasper (Hg.): Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens?, Freiburg LBr. 1988, 133-174.

GÖRRES, A. & KASPER, W. (Hg.): Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drew-ermann, Freiburg LBr. 1988.

GOLDMAN, R.: Religious thinking from childhood to adolescence, London 1964.

GRABER, H.G.: Zeugung, Geburt und Tod, MUnchen o.j.

183

Page 186: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

GREENACRE, 1.: The response of young people to religious allegory. DipEd dissertation, University of Birnüngham 1971.

GREENS PAN, S.j. & GREENSPANN, N.T.: Das Erw-achen der GefUhle. Die emotionale Entw-icklung des Kindes, MUnchen 1988.

GRIMM, H. & ENGELKAMP, j.: Sprachpsychologie. Handbuch und Le­xikon der Psycholinguistik, Berlin 1981.

GRODDECK, G.: Psychoanalytische Schriften zur Literatur und Kunst, Wiesbaden 1964.

GROEBEN, N.: Literaturpsychologie. Literaturw-issenschaft zw-ischen Empirie und Hermeneutik, Stuttgart u.a. 1972.

GROEBEN, N. & VORDERER, P.: Empirische Literaturpsychologie. In: R. Langner (Hg.): Psychologie der Literatur, Weinheim & MUnchen 1986, 105-143.

GROEBEN, N. & SCHEELE, V.: Argumente fUr eine Psychologie des reflexiven Subjekts. Paradigmaw-echsel vorn behavioralen zum episte­mologischen Menschenbild, Darmstadt 1977.

GROM, B.: Religionspädagogische Psychologie des Kleinkind-, Schul­und jugendalters, DUsseldorf & Göttingen 1981.

GROM, B.: Die Archetypenlehre - Eine Sackgasse. In: Stimmen der Zeit 113 (1988), 604-612.

GROSS, H.: Ijob. Die Neue Echter Bibel, wUrz burg 1986.

GRUEHN, W.: Die Frömmigkeit der Gegenw-art. Grundtatsachen der empirischen Psychologie, MUnster 1956.

GRtiNBAUM, A.: Die Grundlagen der Psychoanalyse. Eine philosophi-sche Kritik, Stuttgart 1988.

GUNKEL, H.: Reden und Aufsätze, Göttingen 1913.

HAAG, H. (Hg.): Bibellexikon, ZUrich 1956.

HAAG, H.: Die Bibel als Lebenshilfe. Die exegetische Position Eugen Drew-ermanns. In: H. Meesmann (Hg.): Kirche und Glaube auf der Couch, Oberursel 1990, 73-86.

HABERMAS, j.: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1968.

HABERMAS, j.: Moralentw-icklung und Ich-Identität. In: Ders.: Zur Re­konstruktion des historischen Materialismus, Frankfurt/M. 1976, 63-91.

HABERMAS, j.: Theorie des kommunikativen Handels, Band 11: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt/M. 1981.

HACKER, F.: Symbole und Psychoanalyse. In: Psyche 11 (1958), 641-671.

HALBFAS, H.: Wurzelw-erk. Geschichtliche Dimensionen der Religions­didaktik, DUsseldorf 1989.

HALL, C.S. & LINDZEY, G.: Theorien der Persönlichkeit, Band 1, MUn­ehen 1978.

HALL, C. & VAN DE CASTLE, R.: An emipirical investigation of the castra­tion complex in dreams. In: journal of the Personality 33 (1965), 20-29.

HAMMERS, A.j.: Pastoralpsychologische Ausbildung fUr den Seelsor­gedienst. In: I. Baumgartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsycholo­gie, Regensburg 1990, 153-180.

HARK, H.: Der Traum als Gottes vergessene Sprache. Symbolpsychologi­sche Deutung biblischer und heutiger TräulTIe, Olten & Freiburg 1982.

HARK, H.: Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung, Stuttgart 1984.

HARK, H.: Wörterbuch der Analytischen Psychologie, Olten & Freiburg LBr. 1989.

HARK, H.: Religiöse Neurosen. Gottesbilder, die die Seele krank lTIa­ehen. In: I. BaulTIgartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 481-492.

184

Page 187: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

HARMS, E.: The development of religious experience in children. In: American Journal of Sociology 50 (1944) , 112-122.

HARSCH, H.: Psychologische Interpretationen biblischer Texte. In: Wege zum Menschen 20 (1968), 281-189.

HARSCH, H.: Gottesbilder. Jakobs Kampf am Jabbok. In: Y. Spiegel (Hg.): Doppeldeutlich. Tiefendimensionen biblischer Texte, Miinchen 1978, 79-91.

HElDER, F.: Die Psychologie der interpersonalen Beziehungen, Stutt­gart 1977.

HEIMBROCK, H.G.: Phantasie und christlicher Glaube. Zum Dialog zwischen Theologie und Psychoanalyse, Miinchen 1977.

HEMMINGER, H.J.: Kindheit als Schicksal? Die Folgen friihkindlicher seelischer Verletzungen, Reinbek 1986.

HEMMINGER, H.J. & BECKER, V.: Wenn Therapien schaden, Reinbek 1985.

HERKNER, W. (Hg.): Attribution - Psychologie der Kausalität, Pader­born 1980.

HERMANNS, L.M.: John F. Rittmeister & C.G. Jung. In: H.M. Lohmann (Hg.): Psychoanalyse und Nationalsozialismus. Beiträge zur Bearbei­tung eines unbeW"ältigten Traumas, Frankfurt/M. 1984, 137-145.

HERMANS, C.: Wie W"erdet Ihr die Gleichnisse verstehen? Empirisch- theo­logische Forschungen zur Gleichnisdidaktik, Kampen & Weinheim 1990.

HERZKA, H.S.: Die neue Kindheit. Dialogische EntW"icklung - autori­tätskritische Erziehung, Basel 1989.

HEUSSER, H. (Hg.): Instinkte und Archetypen im Verhalten der Tiere und im Erleben des Menschen, Darmstadt 1976.

HÖRMANN, H.: Meinen und Verstehen. Grundziige einer psychologi­schen Semantik, Frankfurt/M. 1978.

HOFMANN, B.: Kognitionspsychologische Stufentheorien und religiö­ses Lernen. Zur (korrelations-)didaktischen Bedeutung der Entw-ick­lungstheorien von J. Piaget, L. Kohlberg und F. Oser/P. Gmiinder, Freiburg i.Br. 1991.

HOFFMANN, S.O.: Psychoanalyse und davon abgeleitete Verfahren. In: H.W. Linster, Wetzei, H. u.a.: Veränderung und EntW"icklung der Person. Grenzen und Möglichkeiten psychologischer Therapie, Ham­burg 1980, 43-88.

HOGE, D. & PETRlLLO, D.: Development of religious thinking in the adolescence. A test of Goldman's theories. In: Journal for the Scientific Study of Religion 17 (1978) 139-154.

HOLE, G.: Der Glaube bei Depressiven. Religionspsychopathologische und klinisch-statistische Untersuchung, Stuttgart 1977.

HOLZ KAMP, K.: Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und ge­sellschaftliche Funktion der Wahrnehmung, Frankfurt/M. 1973.

HOPPE-GRAFF, S.: Verstehen als kognitiver Prozeß. Psychologische Ansätze und Beiträge zum Textverstehen. In: Zeitschrift fiir litera­turwissenschaft und Linguistik 55 (1984), 10-37.

HOWES, E.B.: Die Evangelien im Aspekt der Tiefenpsychologie, Ziirich 1968.

HUNFELD, F. & DREGER, T.: Magische Zeiten. Jugendliche und Ok­kultismus, Weinheim & Basel 1990.

HYDE, K.E.: Religion in childhood and adolescence. A comprehensive review- of the research, Birmingharn/ AlabalTla 1990.

INHELDER, B.: Die kognitive Entw-icklung und ihr Beitrag zur Dia­gnose eInIger ErscheinungsforlTlen geistiger Behinderung. In: Dies. & H. ChiplTlan (Hg.): Von der Kinderw-elt zur Erkenntnis der Welt, Wiesbaden 1978, 252-260.

185

Page 188: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

INHELDER, B. & CHIPMAN, H. (Hg.): Von der Kinderw-elt zur Er­kenntnis der Welt, Wiesbaden 1978.

ISER, W.: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1976.

JACOBY, J.: Komplex, Archetyp, Symbol in der Psychologie C.G. Jungs, Zürich & Stuttgart 1957.

JACOBY, J.: Der Weg zur Individuation, ZUrich & Stuttgart 1965.

JACOBY, J.: Die Psychologie von C.G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtw-erk, Olten 1971.

JACOBY, J.: Vorn Bilderreich der Seele. Wege und lhnw-ege zu sich selbst, Olten & Freiburg LBr., 2. Auflage 1985.

JAFFE, A.: C.G. Jung - Bild und Wort. Eine Biographie, Olten 1982.

JAMES, W.: Psychologie, Leipzig 1909.

JAMES, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Olten & Freiburg LBr. 1979.

JASCHKE, H.: Psychotherapie aus dem Neuen Testament, Freiburg 1987.

JONES, E.: Sigmund Freud. Leben und Werk, 3 Bände, Bern 1962 (auch als dtv-Taschenbuch, München 1984).

JONES, E.: Zur Psychoanalyse der christlichen Religion, Frankfurt/M. 1970.

JONES, E.: Das Problem des Harnlet und der Ödipuskomplex. In: R. Wolff (Hg.): Psychoanalytische Literaturkritik, München 1975.

JORK, G.: Sexualität. Eine uralte Geschichte (Gen 3). In: Y. Spiegel (Hg.): Doppeldeutlich. Tiefendimensionen biblischer Texte, München 1978, 44-58.

JOSE, P.E.: Just-w-orld reasoning in children's immanent justice judg­ments. In: Child Development 61 (1990), 1024-1033.

JOY, D.M. (Hg.): Moral development foundations: Judaeo-Christian al­ternatives to Piaget & Kohlberg, New- York 1983.

JOY, D.M.: Kohlberg revisited. A supra-naturalist speaks his mind. In: Dies. (Hg.): Moral development foundations, New- York 1983, 37-62.

JOY, D.: Same critical adaptions for Judaeo-Christian communities. In: S. Modgil & C. Modgil (Hg.): Law-rence Kohlberg. Consensus and controversy, Philadelphia & London 1986, 401-413.

JÜLICHER. A.: Die Gleichnisreden Jesu, Band 1 und 2, Tübingen 1910.

JtiNGEL, E.: Metaphorische Wahrheit. Erw-ägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie. In: Ders.: Entsprechungen, München 1980, 103-157.

JUNG, C.G.: Gesammelte Werke, ZUrich & Stuttgart sow-ie Olten & Freiburg LBr. 1958 ff.

GW I: Psychiatrische Studien 1966. GW 111: Psychogenese der Geisteskrankheiten 1968. GW V: Symbole der Wandlung. Analyse des Vorspiels zu einer

Schizophrenie 1975. GW VI: Psychologische Typen 1960.

GW VII: Zw-ei Schriften über Analytische Psychologie 1967.

GW VIII: Die Dynamik des Unbew-ußten 1967.

GW IX/1: Die Archetypen und das kollektive Unbew-ußte 1976. - GW IX/2: Aion. Untersuchungen zur Symbolgeschichte 1976.

186

GW X: Zivilisation im tibergang 1974.

GW XI: Zur Psychologie w-estlicher und östlicher Religionen 1963.

GW XII: Psychologie und Alchemie 1972.

GW XIV: Mysterium coniunctionis 1972.

GW XV: tiber das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissen­schaft 1971.

Page 189: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

GW XVI: Praxis der Psychotherapie 1958.

GW XVII: tiber die Entwicklung der Persönlichkeit 1972.

JUNG, C.G.: Erinnerungen, TräuIne, Gedanken. Aufgezeichnet und her­ausgegeben von Aniela Jaffe, Zürich & Stuttgart 1962.

KAPLAN, L.: Die zw-eite Geburt. Eine Studie über die Adoleszenz, Stuttgart 1988.

KARNIOL, R.: A conceptual analysis of hnrnanent justice responses in children. In: Child Developrnent 51 (1980), 118-130.

KARSTEN A. (Hg.): Vorurteil. Ergebnisse psychologischer und sozialpsy­chologischer Forschung, DarInstadt 1978.

KASSEL, M.: Biblische Urbilder. Tiefenpsychologische Auslegung nach C.G. Jung, München 1980.

KASSEL, M.: Sei, der du w-erden sollst. Tiefenpsychologische IInpulse aus der Bibel, München 1982.

KASSEL, M.: Tiefenpsychologische Bibelauslegung. Ein Beitrag zu einer Bibeldidaktik der Erfahrung. In: Der Evangelische Erzieher 35 (1983), 243-254.

KASSEL, M.: Tiefenpsychologische Bibelauslegung. In: W. Langer (Hg.): Handbuch der Bibelarbeit, München 1987, 151-156.

KEGAN, R.: Die Entw-icklungsstufen des Selbst. Fortschritte und Kri­sen iIn tnenschlichen Leben, München 1986.

KEINTZEL, R.: Individuation. Anthropologische und theologische Aspekte. In: G. Condrau (Hg.): Psychologie der Kultur, Band 1: Transzendenz und Religion, Weinheitn & Basel 1982, 264-276.

KELLY, G.A.: Die Psychologie der persönlichen Konstrukte, Paderborn 1986.

KEMPE, R. & KEMPE, H.: KindesInißhandlung, Frankfurt/M. u.a. 1984.

KESSELRING, T.: Jean Piaget, München 1988.

KIEHN, A. u.a.: BibliodraIna, Stuttgart 1987.

KIERKEGAARD, S.: Ausw-ahl aus deIn Gesatntw-erk, Düsseldorf 1964.

KINTSCH, W: Levels of processing language Inaterial: Discussion of papers. In: L. CerInak & F. Craik (Hg.): Levels of processing in hu­tnan Inetnory, Hillsdale, N.J., 1979, 211-222.

KLINE, P.: Fact and fantasy in Freudian theory, London 1972.

KLINE, P.: Zw-anghafte Eigenschaften, Zw-angssytnptotne und Analero­tik. In: H.J. Eysenck & G. Wilson (Hg.): Experitnentelle Studien zur Psychoanalyse SigInund Freuds, Wien 1979, 114-125.

KLINK, J.: Kind und Glaube. Eine kleine Theologie für Eltern, Zürich & Düsseldorf 1971.

KÖHLER, T.: Abw-ege der Psychoanalyse-Kritik. Zur Unw-issenschaft­lichkeit der Anti-Freud-Literatur, Frankfurt/M. 1989.

KÖNIG, E.: Die Sexualität itn Hohenlied und ihre Grenze. In: Zeit­schrift für Sexualw-issenschaft 9 (1922), 1-4.

KOHLBERG, L.: The child as a tnoral philospher. In: Psychology Today 7 (1968) (September), 24-30.

KOHLBERG, L.: Moral psychology and the study of the tragedy. In: S. Weintraub & P. Young (Hg.): Directions in literary criticistn. Con­teInporary approaches to literature, Pennsylvania 1973, 24-52.

KOHLBERG, L.: Zur kognitiven Entw-icklung des Kindes, Frankfurt/M. 1974.

KOHLBERG, L.: Essays on tnoral development. Vol. I: The philosophy of moral development, San Francisco 1981.

KOHLBERG, L.: Essays on Inoral development. VolII: The psychology of moral development, San Francisco 1984.

187

Page 190: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

KOHLBERG, L.: Der »just Conununity«-Ansatz der Moralerziehung in Theorie und Praxis. In: F. Oser, R. Fatke & O. Höffe (Hg.): Trans­forznation und Entwicklung, Frankfurt/M. 1986, 21-55.

KOHLBERG, L. & TURIEL, E.: Moralische Entwicklung und Erziehung. In: G. Porteie (Hg.): Sozialisation und Moral. Neuere Ansätze zur moralischen Entvvicklung und Erziehung, Weinheim & Basel 1978, 13-80.

KOHLBERG, L. u.a.: Moral stages: A current forznulation and a re­sponse to critics, Basel 1983.

KRAPPMANN, L.: Identität in Interaktion und Sozialisation. In: G. Sta-chel (Hg.): Sozialisation - Identitätsfindung Glaubenserfahrung, Zürich & Köln 1979, 147-152.

KRECH, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie, Band 1: Theoretische Grundlagen und EntW"icklungspsychologie, Weinheim & Basel 1985.

KRECH, D. u.a.: Grundlagen der Psychologie, Band 6: Persönlichkeits­psychologie und Psychotherapie, Weinheim & Basel 1985.

KREFT, j.: Moralische und ästhetische Entvvicklung im didaktischen Aspekt. In: F. Oser, W. Althof & D. Garz (Hg.): Moralische Zugänge zum Menschen Zugänge zu:rn moralischen Menschen, München 1986, 257-280.

KREPPOLD, G.: Heilende Dimensionen in Liturgie und Kirchenjahr. In: I. Baumgartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 565-588.

KREPPOLD, G.: Träume, Symbole und Bibel. A:rn Beispiel einer Selbst­erfahrungsgruppe und einer Einzeltherapie. In: P. Raab (Hg.): Psy­chologie hilft glauben, Freiburg LBr. 1990, 97-106.

KRETSCHMER, W.: Psychologische Weisheit der Bibel. Urbilder des Seins und Werdens im biblischen Schöpfungsbericht, Bern 1955.

KROH, 0.: Die Phasen der jugendentvvicklung, Weinheim & Berlin 1958.

KRaUT, T.j.: Symbol elaboration test (SET): The reliability and validity of a new- projective technique. In: Psychological Monographs 64 (1950), 4.

KtiHNHOLZ, W.: Sexualität. In: Y. Spiegel (Hg.): Doppeldeutlich. Tiefen­dimensionen biblischer Texte, München 1978, 35-43.

KliNG, H.: Existiert Gott? Antvvort auf die Gottesfrage der Neuzeit, München 1974.

KliPPERS, W.: Psychologie des Deutschunterrichts. Spracherw-erb, sprach­licher Ausdruck, Verständnis für literarische Texte, Stuttgart u.a. 1980.

LAIBLIN, W.: Einführung in die Urbildtheorie von C.G. jung. In: W. Bitter (Hg.): Freud, Adler, jung. Einführung in die Tiefenpsychologie für Theologen, Mediziner und Pädagogen, München 1977, 82-103.

LANGEGGER, F.: Doktor, Tod und Teufel. Vorn Wahnsinn und von der Psychiatrie in einer vernünftigen Welt, Frankfurt/M. 1983.

LANGNER, R.: Kompiex und Archetypus in sozial psychologischer Sicht, Bann 1983.

LANGNER, R.: Literatur in der Sicht der Ko:rnplexen Psychologie C.G. jungs. In: Ders. (Hg.): Psychologie der Literatur. Theorien, Metho­den, Ergebnisse, Weinheim & München 1986, 46-77.

LASCH, C.: Das Zeitalter des Narziß:rnus, München 1982.

LEE, j.M.: Christian religious education and moral development. In: B. Munsey (Hg.): Moral development, education, and Kohlberg, Bir­mingharn/ Alabarna 1980, 326-355.

LEFRANCOIS, G.R.: Psychologie des Lernens. Zw-eite, vollkommen überarbeitete und ergänzte Auflage, Berlin u.a. 1986.

LEPP, 1.: Psychoanalyse des modernen Atheismus, Würzburg 1962.

188

Page 191: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

LEVIN, I. (Hg.): Stage and structure. Reopening the debate, Norw-ood, N.j. 1986.

LEVY, L.: Die SexualsYIllbolik der Bibel und des Talmud. In: Zeit­schrift fiir Sexualw-issenschaft 1 (1914/1915), 274-279, 318-326.

LEVY, L.: Die SexualsYIllbolik des Ackerbaus in Bibel und Tailllud. Zeitschrift fiir Sexualw-issenschaft 2 (1916), 437-44.

LEVY, L.: Die SexualsYIllbolik in der SiIllsonsage. In: Y. Spiegel (Hg.): Psy­choanalytische Interpretationen biblischer Texte, Miinchen 1972, 75-93.

LEWIS, M. & BROCKS-GUNN, j.: Social cognition and the acquisition of self, New- York 1979.

LICKONA, T.: Wie Illan gute Kinder erzieht! Die Illoralische Entw-ick­lung des Kindes von der Geburt bis ZUIll jugendalter und w-as Sie dazu beitragen können, Miinchen 1989.

LIENERT, G.: Testaufbau und -analyse. 3. durch einen Anhang iiber Faktorenanalyse ergänzte Auflage, WeinheiIll u.a. 1969.

LIERTZ, R.: Skrupulosität eine Angstneurose. In: ders.: Wanderungen durch das gesunde und kranke Seelenleben, Leipzig 1925.

LIND, G. & RASCHERT, j. (Hg.): Moralische Urteilsfähigkeit. Eine Auseinandersetzung Illit Law-rence Kohlberg, WeinheiIll & Basel 1987.

LISCHER, E.: Der Zw-eck des TräuIllens: die adaptiven Funktionen des TräuIllens iIll REM-Schlaf, Miinchen u.a. 1986.

LOCKOT, R.: Erinnern und Durcharbeiten - Zur Geschichte der Psychoana­lyse und der Psychotherapie iIll NationalsozialisIllus, Frankfurt/M. 1985.

LOHFINK, G. & PESCH, R.: Tiefenpsychologie und keine Exegese. Eine Auseinandersetzung Illit Eugen Drew-erIllann, Stuttgart 1987.

LORENZ, E.: Die TräuIlle des Pharao, des Mundschenken und des Bäk­kers. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen bibli­scher Texte, Miinchen 1972, 99-111.

LORENZER, A.: Kritik des psychoanalytischen SYIllbolbegriffs, Frank­furt/Mo 1970.

LORENZER, A.: Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinn­lichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt/M. 1981.

LUBBE, H.: Religion nach der Aufklärung, Graz 1986.

~LCOLM, j.: Fragen an nes unIllöglichen Berufes,

MALLET, C.H.: Untertan Frankfurt/M. u.a. 1990.

einen Psychoanalytiker -Stuttgart 1983.

Kind. Nachforschungen

Zur Situation ei-

iiber Erziehung,

MALINOWSKI, B.: Geschlecht und Verdrängung in priIllitiven Gesell­schaften, Reinbek 1962 (erstIllals London 1927).

MANDL, H. & SPADA, H.: Wissenspsychologie. Miinchen 1988.

MANDLER, j.M. & jOHNSON, N.S.: ReIlleIllbrance of things parsed: story structure and recalL In: Cognitive Psychology 9 (1977), 111-151.

MANN, L. Sozialpsychologie, WeinheiIll & Basel 1972.

MANN, U.: Theogonische Tage, Stuttgart 1970.

MARSCHARK, M. & NALL, L.: Metaphoric cOIllpetence in cognitive and language developIllent. In: Advances in child developIllent and beha­vior 19 (1985), 49-81.

MARTIN, G.M.: Art.: BibliodraIlla. In: W. Langner (Hg.): Handbuch der Bibelarbeit, Miinchen 1987, 305-310.

MARTIN, G.M.: Die Bedeutung der Tiefenpsychologie Carl Gustav jungs fiir eine praktisch-theologische HerIlleneutik. In: D. Zilleßen u.a. (Hg.): Praktisch-theologische HerIlleneutik, Rheinbach 1991, 255-264.

189

Page 192: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

MASSON, E.: Was hat rnan dir, du arrnes Kind, getan? Sigrnund Freuds Unterdrtickung der Verftihrungstheorie, Reinbek 1984.

MAUSE, L. deo »Hört ihr die Kinder vveinen?« Eine psychogenetische Geschichte der Kindheit, Frankfurt/M. 1984.

MAYER, G.: Seelische Krankheit und die Möglichkeiten pastoraler Be­gleitung. In: I. Baurngartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsycholo­gie, Regensburg 1990, 463-480.

MAYRING, P.: Einftihrung in die qualitative Sozialforschung. Eine An­leitung zu qualitativern Denken, Miinchen 1990.

MEAD, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozial­behaviorisrnus, Frankfurt/M. 1973.

MEADOW, M.j. & KAHOE, R.D.: Psychology of religion. Religion in individual lives, Nevv York u.a. 1984.

MEESMANN, H. (Hg.): Kirche und Glaube auf der Couch. Eugen Dre­vverrnann - ein Theologe irn Widerstreit, Oberursel 1990.

MENTZOS, S.: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einftihrung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berticksichtigung neuer Per­spektiven, Frankfurt/M. 1984.

MESTERS, C.: Vorn Leben zur Bibel - von der Bibel zurn Leben. Ein Bibelkurs aus Brasilien ftir uns, 2 Bände, Mainz & Mtinchen 1983.

METELMANN, V.: Der jakobskaInpf arn Jabbok. Ein Beitrag zurn Pro­blern psychoanalytischer Interpretationen biblischer Texte. In: Wege zurn Menschen 26 (1974), 69-82.

METTE, N.: Theorie der Praxis. Wissenschaftsgeschichtliche und rne­thodologische Untersuchungen zur Theorie-Praxis-Problernatik inner­halb der praktischen Theologie, Dtisseldorf 1978.

METTE, N. & STEINKAMP, H.: Sozialvvissenschaften und Praktische Theologie, Dtisseldorf 1983.

MEVES, C.: Austreibung als Anstoß zur Reife. In: J. Illies (Hg.): Die Sache rnit dern Apfel. Eine rnoderne Wissenschaft vorn Stindenfall, Freiburg LBr., 1972, 56-67.

MEVES, C.: Die Bibel antvvortet uns in Bildern. Tiefenpsychologische Textdeutungen im Hinblick auf Lebensfragen heute, Freiburg LBr. 1973.

MEYER, W.U. & SCHMALT, H.D.: Die Attributionstheorie. In: D. Frey & M. Irle (Hg.): Theorien der Sozialpsychologie. Band 1: Kognitive Theorien, Bern u.a. 1978, 98-137.

MILLER, A.: Das verbannte Wissen, Frankfurt/M. 1990.

MILLER, G.: Biblische Texte in Szene setzen. Bericht tiber ein Experi­ment. In: E. Paul & A. Stock (Hg.): Glauben ermöglichen: zum ge­genvvärtigen Stand der Religionspädagogik, Mainz 1987, 261-273.

MODGIL, S. & MODGIL, C. (Hg.): Lavvrence Kohlberg. Consensus and controversy, Philadelphia & London 1986.

MONCHY, S.j.R.: Adam- Cain - Oedipus. In: American Imago 19 (1962), 3-17.

MONTAGU, A.: Zum Kind reifen, Stuttgart 1984.

MORGENROTH, H.: Den Brunnen aufschließen. Selbstentdeckungen mit biblischen Geschichten, Mtinchen 21990.

MOSER, T.: Gottesvergiftung, Frankfurt/M. 1976.

MUDGE, E.L.: The god experience, Cincinnati 1923.

MULACK, C.: Maria. Die geheime Göttin im Christentum, Stuttgart 21986.

MUNSCHE, P.: Gott und Himmel in der Vorstellungsvvelt meiner jun-gen. In: Monatsblatt fiir Evangelischen Religionsunterricht 5 (1912), 348-352, 369-376.

MUNSEY, B. (Hg.): Moral development, education, and Kohlberg. Basic

190

Page 193: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

issues in philosophy, psychology, religion, and education, Birrning­harn/ AlabaIna 1980.

NASE, E.: Bibliographie: Psychoanalyse und Religion. In: Ders. & J. Scharfenberg (Hg.): Psychoanalyse und Religion 1977, 387-435.

NASE, E. & SCHARFENBERG, J.: Psychoanalyse und Religion. Einfiih­rung. In: Dies. (Hg.): Psychoanalyse und Religion 1977, 1-24.

NASE, E. & SCHARFENBERG, J. (Hg.): Psychoanalyse und Religion. Wege der Forschung CCLXXV, Dartnstadt 1977.

NAVRATIL, L: Schizophrenie und Sprache. Schizophrenie und Kunst, Miinchen 1976.

NAVRATIL, L: Die Kreativität der Psychose. In: G. Condrau (Hg.): Psychologie der Kultur, Band 2: Itnagination, Kunst und Kreativität, Weinheitn & Basel 1982, 585-592.

NEISSER, li.: Kognitive Psychologie, Stuttgart 1974.

NEliMANN, E.: Die große Mutter. Eine Phänotnenologie der w-eiblichen Gestaltungen des linbew-ußten, Ziirich 1956 (w-ieder erschienen: Olten & Freiburg i. Br. 1985).

NEliMANN, E.: Herrschafts- und Sexualsytnbolik. Grundlagen einer al­ternativen Sytnbolforschung, Stuttgart u.a. 1980.

NICKEL, H.: Entw-icklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Ein Lehrbuch fiir Studierende. 2., durchgesehene Auflage, Bern 1976.

NIEDERLAND, W.G.: Jakobs KaInpf atn Jabbok. Betnerkungen zur Fluß­sytnbolik. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte, Miinchen 1972, 128-138.

NIEDERWIMMER, K.: KerygInatisches Sytnbol und Analyse. Zur Kritik der tiefenpsychologischen Bibelinterpretation. In: E. Nase & J. Scharfen­berg (Hg.): Psychoanalyse und Religion, Dartnstadt 1977, 264-29L

NIEliWENHliIS, J.: Gläubige Erziehung, Diisseldorf 1974.

NIPKOW, K.E.: Erw-achsenw-erden ohne Gott? Gotteserfahrung itn Le­benslauf, Miinchen 1987.

NIPKOW, K.E., SCHWElTZER, F. & FOWLER, J.W. (Hg.): Glaubensent­w-icklung und Erziehung, Giitersloh 1988.

NOAM, G. & KEGAN, R.: Soziale Kognition und Psychodynatnik. Auf detn Weg zu einer klinischen Entw-icklungspsychologie. In: W. Edel­stein & M. Keller (Hg.): Perspektivität und Interpretation, Frank­furt/Mo 1982, 422-460.

NOBILING, E.: Der Gottesgedanke bei Kindern und Jugendlichen. In: Archiv fiir Religionspsychologie 4/1929, 43-216.

OATES, W.E.: Seelsorge und Psychiatrie, Graz u.a. 1980.

OBERLINNER, A.: Todeserw-artung und Todesgew-ißheit Jesu, Stuttgart 1980.

OBHOLZER, K.: Gespräche tnit detn Wolfstnann, Reinbek 1980.

OBRIST, W.: Archetypen. Natur- und Kulturw-issenschaften bestätigen C.G. Jung, Olten & Freiburg i. Br. 1990.

OERTER, R.: Moderne Entw-icklungspsychologie, 18. durchgesehene und ergänzte Auflage, Donauw-örth 1980.

OERTER, R & MONTADA, L (Hg.): Entw-icklungspsychologie. Ein Lehr­buch, Miinchen u.a. 1982 (2. völlig neubearbeitete und erw-. Auflage 1987>-

OHLER, A.: Grundw-issen Altes Testatnent, Band 1: Pentateuch, Stutt­gart 1986.

OPPITZ, M.: Notw-endige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthro­pologie, Frankfurt/M. 1975.

ORTONY, A.: Metaphor and thought, Catnbridge u.a. 1979.

191

Page 194: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

OSER, F.: GrundforlDen biblischen Lernens. In: E. Paul & A. Stock (Hg.): Glauben erlDöglichen: ZUlD gegenw-ärtigen Stand der Religions­pädagogik, Mainz 1987, 213-246.

OSER, F.: Wieviel Religion braucht der Mensch? Erziehung und Ent­w-icklung zur religiösen AutonolDie, Gütersloh 1988.

OS ER, F.: Genese und Logik der Entw-icklung des religiösen Bew-ußtseins. Eine Entgegnung auf Kritiken. In: K.E. Nipkow-, F. Schw-eitzer & J.W. Fow-Ier (Hg.): Glaubensentw-icklung und Erziehung, Gütersloh 1988, 48-88.

OSER, F. & ALTHOF, W.: Moralische Entw-icklung und Erziehung. Eine Einführung, Stuttgart 1991.

OSER, F., ALTHOF, W. & GARZ, D. (Hg.): Moralische Zugänge zu ... Menschen - Zugänge ZUlD lDoralischen Menschen, München 1986.

OSER, F. & BUCHER, A.: Die Entw-icklung des religiösen Urteils. Ein ForschungsprogralDlD. In: Unterrichtsw-issenschaft 15 (1987), 132-156.

OSER, F. & GMtiNDER, P.: Der Mensch - Stufen seiner religiösen Entw-icklung. Ein strukturgenetischer Ansatz. Zw-eite, überarbeitete Auflage, Gütersloh 1988.

OSER, F. & REICH, K.H.: The challenge of cOlDpeting explanations. The developlDent of thinking in terlDS of cOlDplelDentarity. In: Hu­lDan DeveloplDent 30 (1987), 178-186.

OSTWOW, M.: Apokalyptische Archetypen in TräulDen, Phantasien und religiösen Schriften. In: Jahrbuch der Psychoanalyse 23 (1988), 9-25.

PANNENBERG, W.: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göt­tingen 1983.

PARCELLS, F. H. & SEGEL, N.P.: Oedipus and the Prodigal San. In: The Psychoanalytic Quarterly 28 (1955), 213-227.

PEARSON, C.: Der Held in uns. Die sechs Archetypen: Magier, Krieger, Märtyrer, Wanderer, Unschuldiger, Waise, München 1990.

PERREZ, M.: Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft? 2. überarbeitete und erw-eiterte Auflage, Bern u.a. 1979.

PESCH, R.: RÖlDerbrief. Neue Echter Bibel, Würzburg 1983.

PFISTER, 0.: Das ChristentulD und die Angst, Olten & Freiburg LBr. 1975.

PlAGET, J.: Le structuralislDe, Paris 1968.

PlAGET, J.: Einführung in die genetische Erkenntnistheorie, Frank-furt/Mo 1973.

PlAGET, J.: Das lDoralische Urteil beilD Kinde, Frankfurt/M. 1973.

PlAGET, J.: Abriß der genetischen EpistelDologie, Olten & Freiburg 1974.

PlAGET, J.: Die Bildung des Zeitbegriffs beilD Kinde, Frankfurt/M. 1974.

PlAGET, J.: Studienausgabe in 10 Bänden, Stuttgart 1975:

1: Das Erw-achen der Intelligenz beilD Kinde. 2: Der Aufbau der Wirklichkeit beilD Kinde. 4: Die Entw-icklung der physikalischen Mengenbegriffe beilD Kinde. 5: NachahlDung, Spiel und TraulD. Zur Entstehung der SYlDbol-

funktion beilD Kinde. 8: Die Entw-icklung des Erkennens: das lDathelDatische Denken.

PlAGET, J.: Das Weltbild des Kindes, Frankfurt/M. 1980.

PlAGET, J.: Intelligence and affectivity: Their relationship during child developlDent, Palo Alto 1981.

PlAGET, J.: Urteil und Denkprozeß des Kindes, Frankfurt/M. u.a. 1981.

PlAGET, J.: Sprechen und Denken des Kindes, Frankfurt/M. u.a. 1983.

PlAGET, J.: Biologie und Erkenntnis. tiber die BeZiehungen zw-ischen

192

Page 195: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

organischen Regulationen und kognitiven Prozessen, Frankfurt/M. 1983.

PlAGET, J.: Weisheit und Illusionen der Philosophie, Frankfurt/M. 1985.

PlAGET, J. & INHELDER, B.: Von der Logik des Kindes zur Logik des Heran-wachsenden, Olten & Freiburg 1. Br. 1974.

PlAGET, J. & INHELDER, B.: Die Psychologie des Kindes, Frankfurt/M. 1977.

PÖLDINGER, W. & WITTGENSTEIN, G.O. (Hg.): Psychologie und Psy­chopathologie der Hoffnungen und des Glaubens, Bern u.a. 1981.

POENSGEN, H.: VerkUndigung und Pastoralpsychologie. In: I. Baumgart­ner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsychologie, Regensburg 1990, 509-531.

PONGRATZ, L.: Problemgeschichte der Psychologie, Bern 1957.

POPPER, K.: Conjectures und refutations. The gro-wth of scientific kno-wledge, London 1963.

POVAH, J.W.: The ne-w psychology and the Hebrew- prophets, London 1925.

POWER, C.: Harte oder w-eiche Stufen der Entw-icklung des Glaubens und des religiösen Urteils: Eine Piagetsche Kritik. In: K.E. Nipkow-, F. Schw-eitzer & J.W. Fo-wler (Hg.): Glaubensent-wicklung und Erzie­hung, GUtersloh 1988, 108-123.

RAGAZ, L.: Die Gleichnisse Jesu. Seine soziale Botschaft, GUtersloh 21979.

RAHNER, K.: Praxis des Glaubens. Geistliches Lesebuch, hg. von K. Lehmann & A. Raffelt, Ztirich, Köln & Freiburg LBr. 1982.

RANK, 0.: Der Mythus von der Geburt des Helden. Versuch einer psychoanalytischen Mythendeutung, Wien 1909.

RATCLIFF, D.: Teaching the bible developmentally. In: Christian Edu-cation Journal 7 (1987), 21-32.

RATTNER, J.: Klassiker der Tiefenpsychologie, MUnchen 1990.

RATTNER, J.: Tiefenpsychologie und Religion, Frankfurt/M. u.a. 1990.

RATZINGER, J.: Die Krise der Katechese und ihre tiberw-indung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1983.

RAUCHFLEISCH, U.: Psychoanalyse und theologische Ethik. Neue Im­pulse zum Dialog, Fribourg & Freiburg 1.Br. 1986.

RAUSCH, U. & TtiRK, E.: Geister-Glaube. Arbeitshilfe zu Fragen des Okkultismus, DUsseldorf 1991.

REBELL, W.: Gehorsam und Unabhängigkeit. Eine sozialpsychologische Studie zu Paulus, MUnchen 1986.

REBELL, W.: Psychologisches Grund-wissen fUr Theologen. Ein Hand­buch, MUnchen 1988.

REIDER, N.: Medieval Oedipal legends about Judas. In: The Psycho­analytic Quarterly 29 (1960), 515-529.

REICH, K.H.: Religiöse und natur-wissenschaftliche Weltbilder: Ent­-wicklung einer komplementären Betrachtungs-weise in der Adoles­zenz. In: Unterrichtsw-issenschaft 15 (1987), 332-341.

REIK, T.: Psychoanalytische Studien zur Bibelauslegung I, 1. Jaakobs Kampf. In: Imago V (1917/1919), 325-343.

REIK, T.: Die Bedeutung des Schw-eigens. In: Imago V (1917/1919), 354-357.

REIK, T.: Unbew-ußte Faktoren in der -wissenschaftlichen Bibelarbeit. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte, MUnchen 1972, 29-35.

REIK, T.: Der eigene und der fremde Gott. Zur Psychoanalyse der re­ligiösen Ent-wicklung, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972.

RICHTER, D.: Das fremde Kind. Zur Entstehung der Kindheitsbilder im bUrgerlichen Zeitalter, Frankfurt/M. 1987.

193

Page 196: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

RICOEUR, P.: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt/M. 1974.

RICOEUR, P.: Die lebendige Metapher, München 1986.

RIDEZ, L.: Ervvachsenenbildung und Entvvicklungspsychologie: ständnis von Gleichnissen. In: A.A. Bucher & K.H. Reich (Hg.): vvicklung von Religiosität, Fribourg 1989, 215-226.

Ver­Ent-

RIESS, R.: Psychologische Ervvägungen zur Perikope von der Versu­chung Jesu. In: Wege ZUnl Menschen 22 (1970), 275-281.

RINGEL, E. & KIRCHMAYR, A.: Religionsverlust durch religiöse Erzie­hung. Tiefenpsychologische llrsachen und Folgerungen, Freiburg 1986.

RITTMEISTER, J.: Voraussetzungen und Konsequenzen der Jungschen Archetypenlehre. In: Psyche 36 (1982), 1032-1044.

RIZZUTO, A.M.: The birth of the living God. A psychoanalytic study, Chicago 1979.

ROKEACH, M.: The three christs of Ypsilanti, Nevv York 1964.

ROHR, R.: Das entfesselte Buch. Die Lebenskraft des Alten Testa­nlents. Freiburg i.Br. 1990.

ROLLINS, W.G.: Jung and the Bible, Atlanta 1983.

ROSEN, I.M. & FARNELL, K.: Religion in the chronic psychotic. In: Jour­nal of Pastoral Care 16 (1962), 165-167.

ROSENBERG, R.: Die Entvvicklung von Gebetskonzepten. In: A.A. Bucher & K.H. Reich (Hg.): Entvvicklung von Religiosität, Fribourg 1989, 175-198.

ROSENBERGER, L.: tiber Problenle der Kinderanalyse. In: H. Meng (Hg.): Psychoanalyse und Alltag, München 1965, 51-65.

ROSENZWEIG, E.: Historische und psychoanalytische Benlerkungen über Volk und Land Israel nlit besonderer Berücksichtigung des Deuterononliunls. In: Y. Spiegel (Hg.): Psychoanalytische Interpreta­tionen biblischer Texte, München 1972, 185-199.

ROTTER, J.B.: Social learning and clinical psychology, Englevvood-Cliffs 1954.

ROUSSEAU, J.J.: Enlil oder tiber Erziehung, Paderborn u.a. 1981.

RUDIN, J. (Hg.): Neurose und Religion, Olten & Freiburg 1. Br. 1964.

RUMELHART, D.E.: Notes on aschenla for stories. In: D.G. Bobrovv & A. Collins (Hg.): Representation and understanding. Studies in cog­nitive sciences, Nevv York 1975, 211-236.

RUSH, S.: The best kept secret, Nevv York 1980.

RUTGERS, J.: Sexueller Mißbrauch von Kindern. Infornlation und Prä­vention, Zürich 1990.

RUTSCHKY, K. (Hg.>: Schvvarze Pädagogik. Quellen zur Naturge­schichte der bürgerlichen Erziehung, Frankfurt/M. u.a. 1977.

SALMAN, H.D.: SUnlnlary and critique of Gold=an's research. In: Re­vue des Sciences Philosophiques et Theologiques 49 (1965), 699-700.

SCHÄR, H.: Religion und Seele in der Psychologie von C.G. Jung, Zü­rich 1946.

sCHÄRF, R.: Die Gestalt des Satans inl Alten Testanlent, Zürich 1948.

SCHANK, R.C. & ABELSON, R.P.: Scripts, plans, goals, and understan­ding, Hillsdale 1977.

SCHARFENBERG, J.: Psychologie und Psychotherapie. In: F. Kloster­nlann & R. Zerfaß (Hg.): Praktische Theologie heute, München & Mainz 1974, 339-346.

SCHARFENBERG, J.: Pastoralpsychologische KOnlpetenz von Seelsor­ger/-innen. In: I. Baunlgartner (Hg.): Handbuch der Pastoralpsycho­logie, Regensburg 1990, 135-152.

194

Page 197: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

SCHELLENBAUM, P.: Gottesbilder. Religion, Psychoanalyse, Tiefenpsy­chologie, München 1989.

SCHENDLER, D.: judas, Oedipus and various saints. In: Psychoanalysis. journal of the National Psychological Associations for Psychoanaly­sis 2/3 (1953/1954), H. 3, 41-46.

SCHERF, D. (Hg.): Der liebe Gott sieht alles. Erfahrungen Illit religiö­ser Erziehung, Frankfurt/M. 1984.

SCHMID, K.A. (Hg.): Encyklopädie des gesatnlllten Erziehungs- und Unterrichtsw-esens, Dritter Band, Gotha 1862.

SCHMID, M.: Theologische Kurse für Laien. Ein Erfahrungsbericht über Werden und Zielsetzung dieses "Wiener Experilllents". In: Le­bendige Katechese 12 (1990), 150-155.

SCHMIDBAUER, W.: Mythos und Psychologie. Methodische Problellle, aufgezeigt an der Ödipus-Sage, München & Basel 1970.

SCHMIDT, S.A.: Moral developlllent: A cOlllpanion to the Gospel. In: D.M. joy (Hg.): Moral developlllent foundations, New- York 1983, 138-152.

SCHMIDT-DENTER, U.: Soziale Entw-icklung. Ein Lehrbuch über sozia­le Beziehungen illl Laufe des Illenschlichen Lebens, München & Weinheilll 1988.

SCHMITZ, S.: In Menschen der Bibel sich w-iederfinden. Tiefenpsycho­logische Zugänge, Olten & Freiburg 1. Br. 1988.

SCHNEIDER, C.D.: Faith developlllent and pastoral diagnosis. In: C. Dykstra & S. Parks (Hg.): Faith developlllent and Fow-Ier, Birtning­hatn/ Alabatna 1986, 221-250.

SCHNEIDER, Z.: Zur Einführung in die Religionspsychopathologie, Tü­bingen 1928.

SCHÖNPFLUG, W. & SC HONPFLUG, U.: Psychologie. Aligellleine Psy­chologie und ihre Verzw-eigungen in die Entw-icklungs-, Persönlich­keits und Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch für das Grundstudiulll, MUnchen-Wien-Baltilllore 1983.

SCHOLL, N.: Kleine Psychoanalyse christlicher Glaubenspraxis, Mün­chen 1980.

SCHRAML, W.j.: Einführung in die Illoderne Entw-icklungspsychologie für Pädagogen und Sozialpädagogen, Frankfurt/M. u.a. 1980.

SCHRAMM, T.: Bibliodratna und Exegese. In: A. Kiehn u.a. (Hg.): Bi­bliodrallla, Stuttgart 1987, 116-135.

SCHWARZENAU, ,P.: Das göttliche Kind. Der Mythos VOIll Neubeginn, Stuttgart, 1984.

SCHWARZENAU, P.: Das Kreuz. Die Geheillliehre jesu, Stuttgart 1990.

SCHWElTZER, F.: Lebensgeschichte und Religion. Religiöse Entw-ick­lung und Erziehung illl Kindes- und jugendalter, München 1987.

SCHWElTZER, F.: Wie w-ird das SYlllbol zu einelll pädagogischen und religionspädagogischen Thellla? In: j. Oelkers & K. Wegenast (Hg.): Das SYlllbol - Brücke des Verstehens, Stuttgart 1991, 169-181.

SCHWElTZER, F. & BUCHER, A.A.: Schw-ierigkeiten Illit Religion. Zur subjektiven Wahrnehlllung religiöser Entw-icklung. In: A.A. Bucher & K.H. Reich (Hg.): EntW"icklung von Religiosität, Fribourg 1989, 121-147.

SEILER, T. & HOPPE-GRAFF, S.: Stufentheorien, Strukturgenese und die Elllergenz einer intuitiven religiösen Theorie. In: A.A. Bucher & K.H. Reich (Hg.): Entw-icklung von Religiosität, Fribourg 1989, 77-102.

SEILER, T. & WANNEN MAC HER, W.: Begriffs- und Wortbedeutungs­entw-icklung. Theoretische, elllpirische und Illethodische Untersu­chungen, Berlin u.a. 1985.

SELMAN, R.: Taking another's perspective: Role-taking developlllent in early childhood. In: Child Developlllent 42 (1971) 1721-1734.

195

Page 198: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

SELMAN, R. u.a.: Entvvicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion bei Kindern: Forschungen zum reflexiven Verstehen und die Untersu­chung praktischer Verständnisleistungen verhaltensgestörter Kinder. In: W. Edelstein & M. Keller (Hg.): Perspektivität und Interpretati­on, Frankfurt/M. 1982, 375-421.

SELMAN, R.: Die Entvvicklung des sozialen Verstehens, Frankfurt/M. 1984.

SILVERMAN, L. u.a.: Simple research paradigm for demonstrating sub­liminal psychodynamic activation Effects of oedipal stimuli on dart-throvving accuracy in college males. In: Journal of Abnormal Psychology 87 (1978), 341-357.

SKINNER, B.F.: Wissenschaft und menschliches Verhalten, MUnchen 1973.

SLEE, N.: Kognitiv-strukturelle Untersuchungen zum religiösen Den­ken. tiberblick und Diskussion unter besonderer BerUcksichtigung der Forschung im Anschluß an Goldman in Großbritannien. In: K.E. Nipkovv, F. Schvveitzer & J. W. Fovvler (Hg.): Glaubensentvvicklung und Erziehung, GUtersloh 1988, 124-143.

SLUSSER, G.H.: From Jung to Jesus. Myth and consciousness in the Nevv Testament, Atlanta 1986.

SMITH, M.: Religious education. In: S. Modgil & C. Modgil (Hg.): Lavv­rence Kohlberg. Consensus and controversy, Philadelphia & London 1986, 279-294.

SOMMER, J.: Dialogische Forschungsmethoden. Eine EinfUhrung in die dialogische Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik, MUnchen & Weinheim 1987.

SPENGLER, E.: C.G. Jungs Religionspsychologie. In: G. Condrau (Hg.): Psychologie der Kultur, Band 1: Transzendenz und Religion, Wein­heim & Basel 1982, 241-254.

SPIEGEL, Y. (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte, MUnchen 1972.

SPIEGEL, Y.: Psychoanalyse und analytische Psychologie. Instrumente der Exegese? In: Ders. (Hg.): Psychoanalytische Interpretationen bi­blischer Texte, MUnchen 1972, 9-28.

SPIEGEL, Y.: Archetyp im Talar. Carl Gustav Jung und die Theologie. In: Evangelische Kommentare 20 (1987), 22-25.

STACHEL, G. (Hg.): Der Bibelunterricht - dokumentiert und analysiert, ZUrich & Köln 1976.

STACHEL, G.: Das »Bekenntnis des Schöpfers« (Gen 1.1 - 2,4a). Exe­getische, didaktische und methodische Erarbeitung von Unterricht. In: Ders.: Erfahrung interpretieren.' Beiträge zu einer konkreten Religionspädagogik, ZUrich & Köln 1982, 124-146.

STACHEL, G.: Zur Praxis des Erzählens und des Nacherzählens bibli­scher Geschichten. In: Katechetische Blätter 110 (1985), 594-604.

STACHEL, G.: Gebet - Meditation - Schvveigen. Schritte zur Spiritua­lität, Freiburg i. Br. 1989.

STACHEL, G. Das »nicht« als Ziel der Entbildung. In. R. Preul u.a. (Hg.): Bildung Glaube Aufklärung. Zur Wiedergevvinnung des Bildungsbegriffs in Pädagogik und Theologie, GUtersloh 1989, 61-73.

STAHLBERG, D. & FREY, D.: Konsistenztheorien. In: D. Frey & S. Greif (Hg.): Sozialpsychologie, MUnchen-Wien-Baltimore 1983, 214-221.

STANNARD, D.E.: Shrinking history: On Freud and the failure of psy­chohistory, Oxford 1980.

STEFFEN, U.: Drachenkarnpf. Der Mythus vorn Bösen, Stuttgart 1984.

STEIN, D.: Ist eine psychoanalytische Lesung der Bibel möglich? In: Concilium 16 (1980).

STEIN, E. von: Schuld im Verständnis der Tiefenpsychologie und Reli-

196

Page 199: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

gion, Olten & Freiburg LBr. 1978.

STEIN, N.L. & GLENN, C.G.: An elementary school children. A Education 11 (1976), No. 8.

analysis test of

of story schema.

co:rnprehension In: Resources

in of

STEIN, N.L. & GLENN, C.G.: An analysis of story comprehension in elementary school children. In: R. 0: Freedle (Hg.): New- directions in discourse processing. Val 11: Advances in discourse processing, Norw-ood N.J. 1979, 53-120

STEINER, R.: Das Christentum als mystische Tatsache, Dornach 1961-

STEINTHAL, H.: Die Sage von Simson, Berlin 1862.

STEINWEDE, D.: Zu erzählen deine Herrlichkeit. Biblische Geschichten fiir Schule, Haus und Kindergottesdienst, Göttingen, 9. Auflage 1981-

STENDEBACH, F.J.: Der Mensch ... w-ie ihn Israel vor 3000 Jahren sah, Stuttgart 1972.

STERN, W.: Psychologie der friihen Kindheit bis zum sechsten Le­bensjahre, 4. iiberarbeitete und erw-eiterte Auflage, Leipzig 1927.

STERREN, D. van: Odipus. Nach den Tragödien des Sophokles. Eine psychoanalytische Studie, Miinchen 1974 (auch als Fischer-Taschen­buch, Frankfurt/M. 1986).

STOLLBERG, D.: Methoden. Tiefenpsychologie oder historisch-kritische Exegese? Identität und der Tod des Ich (Gal 2, 19-20>' In: Y. Spiegel (Hg.): Doppeldeutlich. Tiefendimensionen biblischer Texte, Miinchen 1978, 215-226.

SUDBRACK, J.: Im Gespräch mit Eugen Drew-ermann. In: H. Meesmann (Hg.): Kirche und Glaube auf der Couch, Oberursel 1990, 48-73.

SUNDEN, H.: Religion und die Rollen, Berlin 1966.

SZAGUN, G.: Bedeutungsentw-icklung beim Kind. Wie Kinder Wörter entdecken, Miinchen-Wien-Baltimore 1983.

SZASZ, T.S.: Geisteskrankheit - Ein moderner Mythos? Grundziige ei­ner Theorie menschlichen Verhaltens, Olten & Freiburg LBr. 1972.

T AMMINEN, K.: Religious development in childhood and youth. An empirical study, Helsinki 1991-

TARACHOW, S.: Judas, der geliebte Henker. In: Y. Spiegel (Hg.): Psycho­analytische Interpretationen biblischer Texte, Miinchen 1972, 243-256.

TEICHERT, W.: Gärten. Paradiesische Kulturen, Stuttgart 1986.

THEIßEN, G.: Soziologie der Jesusbew-egung. Ein Beitrag zur Entste­hungsgeschichte des Urchristentums, Miinchen 1977.

THEIßEN, G.: Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tiibingen 1979.

THEIßEN, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, Göttin­gen 1983.

THEIßEN, G.: Der Schatten des Galiläers. Historische Jesusforschung in erzählender Form, Miinchen 1986.

THOMAS, K.: Religionspsychopathologie. In: G. Condrau (Hg.): Psy­chologie der Kultur, Band 1: Transzendenz und Religion, Weinheim & Basel 1982, 121-125.

THOMAS, K.: Träume - selbst verstehen, Stuttgart 1989.

THOMMEN, B.: Alltagspsychologie von Lehrern über verhaltensauffäl­lige Schüler, Bern u.a. 1985.

THORNDYKE, P.W.: Cognitive structures in comprehension and me­mory of narrative dis course. In: Cognitive Psychology 9 (1977), 77-110.

THORNTON, E.: Freud and cocaine - The Freudian fallacy, Lonon 1923.

THUN, T.: Die Religion des Kindes. Eine Untersuchung nach Klassen-

197

Page 200: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

gesprächen mit katholischen und evangelischen Kindern der Grund­schule, Stuttgart 1959.

TOLBERT, M.A.: The prodigal san: An essay in literary criticism from a psychoanalytic perspective. In: Semeia 9 (1977), 1-20.

TROTTER, RJ.: Babies sind klUger. In: Psychologie Heute (Hg.): Klein sein, groß w-erden, Weinheim 1987, 7-20.

TUCKER, N.: Was ist ein Kind? Das Kind und seine Entw-icklung, Stuttgart 1979.

l...IJISADEL, W.: Die psychologische Bedeutung mythischer Gestalten. In: G. Condrau (Hg.): Psychologie der Kultur, Band 1: Transzendenz und Religion, Weinheim & Basel 1982, 255-263.

ULICH, D.: Das Gefühl. tiber die Psychologie der Emotionen, Mlinchen 1982.

VALENTIN, P.: Weltbildentw-icklung. Eine strukturgenetische Längs­schnittuntersuchung. Unveröffentlichte Uzentiatsarbeit an der Uni­versität Bern 1988.

VALENTINE, C.W.: The psychology of early childhood. A study of mental development in the first years of life, London 1942.

VAN DIJK, T.A.: Textwissenschaft. Eine interdisziplinäre Einführung, Mlinchen 1980.

VAN DER VEN, J.: Practical theology. FrolD applied theology to elDpi­rical theology. In: Journal of Empirical Theology 1 (1988), H.t. 7-28.

VAUX, R. de: Die Patriarchenerzählungen und die Geschichte, Stutt­gart 1965.

VENE TZ , HJ.: «Mit dem Traurn, nicht mit deIn Wort ist zu begin­nen» . Tiefenpsychologie als Herausforderung fUr die Exegese. In: Orientierung 40 (1985), 192-195.

VERGOTE, A.: Religionspsychologie. Olten & Freiburg i. Br. 1970.

VERGOTE, A.: Der Beitrag der Psychoanalyse zur Exegese. In: X. Le­on-Dufour (Hg.): Exegese ilD Methodenkonnikt. Zw-ischen Geschichte und Struktur, München 1971, 73-116.

VERGOTE, A.: Dette et desir. Deux axes chretiens et la derive patho­logique, Paris 1978.

VIA, D.O. jr.: The Prodigal San. AJungian reading. In: Semeia 9 (1977), 21-43.

VOGT, T.: Bibelarbeit. Grundlegung und Praxismodelle einer biblisch orientierten Erw-achsenenbildung, Stuttgart u.a. 1985.

VOSNIADOU, S. u.a.: Sources of difficulty in the young child's understand­ing of metaphorical language. In: Child Development 55 (1984), 1588-1606.

"W'"ARNING, R. (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, Mün­chen 1975.

WATZLAWICK, P. u.a.: Menschliche Kommunikation. ForlDen, Störun­gen, Paradoxien, Bern u.a. 61982.

WEDER, H.: Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und re­daktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, Göttingen 31984.

WEGENAST, K.: Religionspädagogik und exegetische Wissenschaft. In: Religionspädagogische Beiträge 26/1990, 62-82.

WEGENAST. K.: Herrneneutik und Didaktik. Vorläufige Bemerkungen zu einern nach w-ie vor ungelösten Problem im Hause der Theologie. In: D. Zilleßen u.a. (Hg.): Praktisch-theologische Hermeneutik, Rheinbach 1991, 23-44.

WEHR, G.: C.G. Jung und Rudolf Steiner. Konfrontation und Synopse, Stuttgart 1972.

WEHR, G.: Wege zu religiöser Erfahrung. Analytische Psychologie im

198

Page 201: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

Dienste der Bibelauslegung. Eine Anregung, Darmstadt 1974.

WEHR, G.: Wunder: Gelassenheit und der Mythos vorn Reich Gottes. In: Y. Spiegel (Hg.): Doppeldeutlich Tiefendimensionen biblischer Texte, München 1978, 24-33.

WEHR, G.: Wege zu religiöser Erfahrung. Tiefenpsychologische Bibel­auslegung. In: G. Condrau (Hg.): Psychologie der Kultur, Band 1: Transzendenz und Religion, Weinheim & Basel 1982, 154-161.

WEHR, G.: Stichw-ort: Damaskus-Erlebnis. Der Weg zu Christus nach C.G. Jung, Stuttgart & Berlin 1982.

WEHR, G.: Carl Gustav Jung. Leben, Werk, Wirkung, München 1985.

WEHR, G.: Tiefenpsychologie und Christentum- C. G. Jung, Augsburg 1990.

WEIDENMANN, B.: Psychologie des Lernens mit Medien. In: B. Wei-denmann & A. Krapp (Hg.): Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch, München & Weinheim 1986, 493-554.

WEINER, J. & BREHM, J.W.: Buying behavior as a function of verbal and monetory inducements. In: J.W. Brehm (Hg.): A theory of psy­chological reactance, New- York 1966, 82-90.

WEINRlCH, H.: Narrative Theologie. In: Concilium 9 (1973), 329-334.

WEITBRECHT, H.J.: Beiträge zur Religionspsychopathologie. Insbeson­dere zur Psychopathologie der Bekehrung, Heidelberg 1948.

WERNER, H. & KAPLAN, B.: Symbol formation. An organismic-deve­lopmental approach to language and the expression of thought, New­York u.a. 1963.

WERTHEIMER, M.: Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt. In: Psychologische Forschung 4 (1923), 301-350.

WESSELLS, M.G.: Kognitive Psychologie, New- York 1983.

WEST, A.N.: Biblical history as a progression through Kohlberg's moral stages. In: Journal of Altered States of Consciousness 4 (1978), I, 23-26.

WEST, S.G. & WIC KLllND , R.A.: Einführung in sozialpsychologisches Denken, Weinheim & Basel 1985.

WHITEHOUSE, J.: Children's reactions to the Zachaeus story. In: Learn- , ing for Uving 11 (1972) 19-24.

WILCOX, M.M.: Developmental journey, Nashville 1979.

WILCOX, M.M.: Contributions of Kohlberg's theory to theological epistemology. In: S. Modgil & C. Modgil (Hg.): Law-rence Kohlberg. Consensus and controversy, Philadelphia & London 1986, 391-400.

WILSON, C.: Herr der Unterw-elt. C.G. Jung und das 20. Jahrhundert, München 1987.

WIMMER, H.: Zur Entw-icklung des Verstehens von Erzählungen, Bern 1982.

WIMMER, H. & PERNER, J.: Kognitionspsychologie. Eine Einführung, Stuttgart u.a. 1979.

WINK, W.: Bibelauslegung als Interaktion. tiber die Grenzen histo­risch-kritischer Methode, Stuttgart u.a. 1976.

WINK, W.: On w-restling w-ith God. The use of psychological insights in biblical study. In: Religion in Ufe 47 (1978), 136-147.

WINK, W.: Bibelarbeit - ein Praxisbuch fiir Theologen und Laien, Stuttgart u.a. 1982.

WINNER, E., ROSENTIEL, A.K. & GARDNER, H.: The development of meta­phoric understanding. In: Developmental Psychology 12 (1976), 289-297.

WITTE, E.H.: Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch, München 1989.

WOLFF, H.: Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsychologischer Sicht, Stuttgart 1975.

199

Page 202: Bucher, Anton A. - Bibel-Psychologie. Psychologische Zugänge zu biblischen Texten (Kohlhammer, 1992, 202pp)

WOLFF, H.: jesus als Psychotherapeut. jesu Menschenbehandlung als Modell lIloderner Psychotherapie, Stuttgart 1978.

WOLFF, R. (Hg.): Psychoanalytische Literaturkritik. Mit Nach'Wort und Bibliographie, MUnchen 1975.

WOLPE, j. & RACHMAN, S.: Psychoanalytischer 'Bew-eis·: Eine Kritik anhand von Freuds Fall des Kleinen Hans. In: H.j. Eysenck & G.D. Wilson (Hg.): ExperilIlentelle Studien zur Psychoanalyse SiglIlund Freuds, Wien 1979, 379-407.

WUCHTERL, K.: Analyse und Kritik der religiösen Vernunft. GrundzUge einer paradiglIlenbezogenen Religionsphilosophie, Bern & Stuttgart 1989.

WULFF, D.: Psychology of religion. Classic and contelIlporary vie'Ws, Ne'W York u.a. 1991.

WURMS ER, L.: Plädoyer fUr die Ver'Wendung von Metaphern in der psychoanalytischen Theoriebildung. In: Psyche 37 (1983), 673-700.

WYSS, D.: Die tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegen'Wart, Göttingen 41972.

ZIMMER, D.: Tiefensch'Windel. Die endlose und die beendbare Psy­choanalyse, Reinbek 1986.

ZINK, H. & ZINK, j. Kriegt ein Hund ilIl HilIllIlel FlUgei? Religiöse Fragen bei der Erziehung in den ersten sechs Lebensjahren, Offen­bach/Mo 151986.

ZUMSTEIN-PREISWERK, S.: C.G. jungs MediulIl. Die Geschichte der Helly Preis'Werk, MUnchen 1975.

200