Bürgermeister – Führungskraft zwischen Bürgerschaft, Rat ... · dem Rat mit dem Anspruch...

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GEHNE Bürgermeister Führungskraft zwischen Bürgerschaft, Rat und Verwaltung

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  • Gehne

    Brgermeister

    Fhrungskraft zwischen Brgerschaft, Rat und Verwaltung

    Brgermeister

    Der Brgermeister oder die Brgermeisterin ist die Galions-figur der kommunalen Selbstverwaltung. Beschftigt man sich mit Brgermeistern, stt man auf ein Paradox: Fast jeder kennt seinen Brgermeister, will man aber etwas ber Brgermeister im Allgemeinen wissen, findet man nur wenige berblicksdarstellungen. Diese Lcke schliet das anschauliche Buch. es ist eine breit angelegte Annherung an Brgermeister in Deutschland auf Grundlage verfgbarer Daten und der verwendbaren wissenschaftlichen Literatur. Der Zugang ist grundstzlich nicht regional eingeschrnkt, sondern umfasst ganz Deutschland. Die Darstellung konzen-triert sich auf die zentralen Themenbereiche im Zusammen-hang mit diesem spannenden Amt und macht den Versuch, die Gemeinsamkeiten darzustellen, ohne die Unterschiede zu vernachlssigen, wenn sie fr das behandelte Thema von Bedeutung sind.

    Aus dem Inhalt:

    Geschichte Machtpotentiale von Brgermeistern Direkt-wahl Sozialprofil Aufgabenspektrum herausforderungen

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    GEHNE

    Brgermeister

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    Brgermeister

    Fhrungskraft zwischen Brgerschaft,Rat und Verwaltung

    Dr. David H. Gehne

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    Dieses Buch ist als Verlagsausgabe unter der ISBN 978-3-415-04875-1zu beziehen.

    2012 Richard Boorberg Verlag

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlichgeschtzt.Jede Verwertung, die nicht ausdrcklich vom Urheberrechtsgesetzzugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages.Dies gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, Bearbeitungen,bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronischen Systemen.

    Satz: Drr + Schiller GmbH, Curiestrae 4, 70563 Stuttgart | Druck undBindung: CPI books GmbH, Eberhard-Finckh-Strae 61, 89075 Ulm

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    www.boorberg.dehttp://www.boorberg.de/sixcms/detail.php?id=669786

  • Vorwort

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    Vorwort

    Die politischen Reprsentanten Deutschlands haben in den letztenJahren einiges an Vertrauen in der Bevlkerung verloren. Vertrauen alsWertekategorie ist die Basis allen politischen Wirkens, und das Ver-trauen der Brgerinnen und Brger in das demokratische System undseine handelnden Akteure ist fr dessen Funktionieren unabdingbar.Auf der kommunalen Ebene in Deutschland ist jedoch zu beobachten,dass die Brgermeister und Brgermeisterinnen in der Bevlkerungeine relativ hohe Wertschtzung genieen.

    Dies mag an mehreren Faktoren liegen: Eine beachtliche Kompetenz-ausstattung des Amtes (z.B. Chef der Verwaltung und Vorsitzenderdes Rates) sowie die brgerschaftliche Wahrnehmung von gemeinhinseriser Reprsentanz und Rechtsvertretung der Gemeinde fhren imVerbund mit einem zumeist brgernahen Auftreten zu einer stabilenpolitischen und gesellschaftlichen Anerkennung. Hinzu kommt alswesentliches Element die Direktwahl des Brgermeisters. Mittler-weile whlen die Brgerinnen und Brger in allen Flchenlndernder Bundesrepublik Deutschland ihre Brgermeister (berwiegendauch analog die Landrte) direkt. Die Direktwahl bedeutet nicht nurein Mehr an brgerlichen Beteiligungsmglichkeiten, sie verstrktauch erheblich die Durchsetzungskraft des Brgermeisters, der vordem Rat mit dem Anspruch treten kann, seine Vorstellungen unterBerufung auf den Volkswillen durchzusetzen. Im Hinblick auf einesolche Gewichtung lsst sich die kommunalpolitische Entwicklungim Krftedreieck von Brgermeister, Rat und Verwaltung durchaus alsWeg zur Dominanz des Brgermeisters charakterisieren.

    Diese Tendenz geht einher mit der Einfhrung von Referenden in dieGemeindeordnungen, und zwar flchendeckend. Mit den kommuna-len Reformen zu verstrkter Brgerbeteiligung (siehe hier insbeson-dere Brgerbegehren und Brgerentscheid) wurde auch die Qualittder Kommunalpolitik insgesamt verbessert. Ein durch die Direktwahlgestrkter Brgermeister kann mehr Verantwortlichkeit und Transpa-renz des kommunalen Entscheidungsprozesses sowie eine unmittel-bare Rckkoppelung an die Brgerinnen und Brger ermglichen.Denn die Volkswahl bedeutet einen Zuwachs an Legitimation, der mitentsprechenden Handlungserwartungen, gerade im Hinblick auf die

  • Vorwort

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    bernahme von Verantwortlichkeit, der Brgerinnen und Brger ein-hergeht.

    Natrlich gibt es auch einige schwarze Schafe unter den Brger-meistern, deren Amtsfhrung als wenig gelungen bezeichnet werdendarf. Aber viele Brgermeister agieren doch erfolgreich, verfgendabei ber verwaltungsfachlichen Sachverstand, zeigen ein angemes-senes Fhrungsverhalten und reprsentieren dazu auch noch politi-sche Glaubwrdigkeit.

    In den meisten Fllen prgen daher die hauptamtlichen Brgermeis-ter das lokale Geschehen und ziehen das Licht der kommunalenffentlichkeit auf sich. Nicht zuletzt rcken sie in den Mittelpunktder lokalen Presseberichterstattung. Dennoch finden sich kaum allge-meine berblicksdarstellungen ber Funktionen und Aufgaben derBrgermeister, obwohl deren Amt so zentral ist fr die Stdte, Ge-meinden und Drfer in den deutschen Lndern. Diese Lcke schlietDavid H. Gehne mit seinem Buch Brgermeister. Fhrungskraft zwi-schen Brgerschaft, Rat und Verwaltung. Anschaulich und ohneregionale Einschrnkung erfasst er die relevanten Sachverhalte zudiesem Themenbereich. Denn die Bedeutung des Brgermeisters istnicht zu unterschtzen: Schlielich tragen die Amtstrgerinnen undAmtstrger ihren Teil dazu bei, die Demokratie auf Gemeindeebene inihrer Funktionsfhigkeit zu erhalten und manches Mal sogar zu ver-bessern.

    Andreas KostHonorarprofessor fr Politikwissenschaftan der Universitt Duisburg-Essen,stellvertretender Leiter in der Landeszentralefr politische Bildung Nordrhein-Westfalen

  • Inhaltsverzeichnis

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    Inhaltsverzeichnis

    Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    1. Brgermeister in Deutschland Was ist ein Brger-meister und seit wann gibt es Brgermeister? . . . . . 13

    1.1 Was ist ein Brgermeister? . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2 Seit wann gibt es Brgermeister? . . . . . . . . . . . . . 171.3 Regionale Traditionen in Deutschland . . . . . . . . . . 191.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

    2. Starker Mann oder Gr-Gott-August Wie vielMacht hat ein Brgermeister? . . . . . . . . . . . . . . . 24

    2.1 Macht was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.2 Die Kommunale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . 262.3 Die Kommunalverwaltung fr alles zustndig? . . . . 312.4 Der Brgermeister als Insolvenzverwalter?

    Die kommunale Finanzsituation . . . . . . . . . . . . . 352.5 Brgermeister, Parteien und Mehrheiten . . . . . . . . . 362.6 Der Kontakt zum Brger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.7 Wie viel Macht hat mein Brgermeister? . . . . . . . . . 382.8 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

    3. Direktwahlen Wie wird man Brgermeister? . . . . . 413.1 Welche Spielregeln gelten bei Brgermeisterwahlen?. . 413.2 Was passiert vor der Wahl? . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.3 Was passiert am Wahltag? . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.4 Was passiert nach der Wahl? . . . . . . . . . . . . . . . . 633.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

    4. Die blichen Verdchtigen Wer wird Brgermeister? 684.1 Das soziale und berufliche Profil . . . . . . . . . . . . . 684.2 Karrierewege: Kommunalpolitik, Verwaltung,

    Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

    5. Akten, Sitzungen, Hndeschtteln Welche Aufgabenhat ein Brgermeister? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

    5.1 Aufgabenspektrum eines Brgermeisters . . . . . . . . . 865.2 Brgermeister und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . 915.3 Brgermeister und Brgerinnen und Brger . . . . . . . 98

  • Inhaltsverzeichnis

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    5.4 Brgermeister, Rat und Parteien . . . . . . . . . . . . . . 1095.5 Besoldung und Versorgung des Brgermeisters . . . . . . 1145.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

    6. Gestalter oder Insolvenzverwalter? Was kann einBrgermeister erreichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

    6.1 Herausforderungen fr Kommunen . . . . . . . . . . . . 1186.2 Den Wandel gestalten Projektbeispiele aus

    Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1256.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

    7. Brgermeister Bilanz und Ausblick . . . . . . . . . . . 1327.1 Brgermeister eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 1327.2 Brgermeister Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

    Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

    Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

    Ergnzende bersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

  • Einleitung

    9

    Einleitung

    Brgermeister gibt es einfach berall, von Flensburg im Norden bisGarmisch im Sden, von Selfkant an der niederlndischen Grenze bisFrankfurt an der Oder an der polnischen Grenze. In Deutschland gibtes ber 11.000 Stdte und Gemeinden und jede noch so kleine Ge-meinde hat einen Brgermeister, oder leider immer noch sehr selten,eine Brgermeisterin.

    Aber Brgermeister ist nicht gleich Brgermeister.1

    Der Brgermeister von Arnis in Schleswig-Holstein, der mit 285 Ein-wohnern kleinsten Stadt Deutschlands, ist ehrenamtlich ttig. Diewichtigste Aufgabe seiner Verwaltung ist die Ausgabe von Angel-scheinen fr die Angelreviere an der Schlei, die in der Nhe vonKappeln in die Ostsee mndet. Alle anderen Angelegenheiten der Ge-meindeverwaltung werden in der nahegelegenen Stadt Kappeln erle-digt. Die wichtigsten Wirtschaftszweige in Arnis sind der Tourismusund der Bootsbau. Der Brgermeister ist Vorsitzender der Stadtvertre-tung und reprsentiert seine Stadt nach auen.

    Vllig anders sieht das Ttigkeitsprofil des Oberbrgermeisters vonMnchen aus, gute 900 Kilometer sdlich von Arnis. Mnchen ist abgesehen von den Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit 1,3 Mil-lionen Einwohnern die grte Stadt Deutschlands. Der Oberbrger-meister ist Leiter der Stadtverwaltung, die mit mehreren tausendMitarbeitern smtliche Aufgaben einer kreisfreien Grostadt erledigt,von A wie Abfall bis Z wie Zweitwohnungssteuer. Das Amt des Ober-brgermeisters von Mnchen kann nur noch hauptberuflich ausgebtwerden.

    Bei allen Unterschieden gibt es aber auch Gemeinsamkeiten. BeideStadtoberhupter werden unmittelbar von der Bevlkerung gewhlt.Beide sind Vorsitzende des Rates und Reprsentant ihrer Stadt, auchwenn dies in einer Stadt wie Mnchen natrlich mit deutlich mehrTerminen verbunden ist. Beide Stadtoberhupter sind die bekanntes-ten Personen aus Kommunalpolitik und -verwaltung und von beidenerwarten ihre Brgerinnen und Brger, dass sie fr sie da sind. Beim

    1 Wenn im Weiteren von Brgermeistern die Rede ist, sind Brgermeisterinnen einge-schlossen.

  • Einleitung

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    Kontakt mit der Brgerschaft hat der Brgermeister von Arnis gegen-ber seinem Amtskollegen in Mnchen aber einen unschlagbarenVorteil: Er kann jede Brgerin und jeden Brger seiner Stadt persn-lich kennen lernen und ist damit wie kein anderer Politiker nah dranan den Sorgen und Wnschen der Brgerschaft.

    Diese beiden Stdte sind natrlich Extrembeispiele, aber sie weisenauf die enorme Bandbreite von Kommunalverwaltung und Kommu-nalpolitik in Deutschland hin. Zwischen diesen Polen befindet sicheine ungeheure Vielfalt an Stdten und Gemeinden mit ihren ganz ei-genen Brgermeister-Typen an der Spitze.

    Der Brgermeister ist die Gallionsfigur der kommunalen Selbstver-waltung. Wenn man sich mit Brgermeistern beschftigt, stt manaber auf ein Paradox: Fast jeder kennt seinen Brgermeister. Willman aber etwas ber Brgermeister im Allgemeinen wissen, findetman relativ wenige berblicksdarstellungen.

    Diese Lcke schliet das vorliegende Buch. Es ist eine breit angelegteAnnherung an Brgermeister in Deutschland auf Grundlage der vor-handenen wissenschaftlichen Literatur, eigener Recherchen und wis-senschaftlicher Vorarbeiten. Es gibt zwar eine ganze Reihe ankommunalen Fallstudien, Befragungen und Analysen, deren Ergeb-nisse auch an geeigneten Stellen in die Darstellung einflieen werden.Diese sind aber in der Regel entweder regional begrenzt durchgefhrtworden, oder decken nur einen Teilaspekt der vielfltigen Ttigkeitenvon Brgermeistern ab oder bilden die Situation nur zu einem be-stimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit ab. Es gibt leider nur wenigereprsentative Studien fr Deutschland, und kaum etwas zum inter-nationalen Vergleich von Aufgaben, Rollen und Profil von Brger-meisterinnen und Brgermeistern.

    An dieser Stelle klafft weiterhin eine groe Forschungslcke.

    Der Zugang in dieser Darstellung ist grundstzlich nicht regional ein-geschrnkt sondern umfassend. Die Stadtstaaten (Berlin, Bremen/Bre-merhaven und Hamburg) bleiben aber auen vor, da sie durch denDoppelcharakter als Kommune und Land anderen Rahmenbedingun-gen unterliegen. Dieses Buch hat nicht den Anspruch, alle Facettender ungeheuren Vielfalt von kommunaler Selbstverwaltung inDeutschland abzubilden. Das wrde den Rahmen sprengen. Die Dar-stellung konzentriert sich daher auf die wichtigsten Themenbereicheim Zusammenhang mit diesem spannenden Amt und macht den Ver-

  • Einleitung

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    such, die Gemeinsamkeiten darzustellen, ohne die Unterschiede zuvernachlssigen, wenn sie fr das jeweilige Thema von Bedeutungsind.

    Alle rechtlichen Angaben in diesem Buch wurden mit grter Sorgfalterarbeitet und zusammengestellt. Es wird aber um Verstndnis gebe-ten, dass trotzdem weder eine Garantie noch juristische Verantwor-tung oder irgendeine Haftung fr Folgen, die auf fehlerhafte Angabenzurckgehen, bernommen werden. Verbesserungsvorschlge undAnregungen sind stets willkommen.

    Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. Nach dieser knappen Ein-leitung wird im ersten Kapitel zunchst geklrt, was in diesemBuch unter einem Brgermeister verstanden wird, denn oft gibt esin einer Stadt nicht nur eine Person, die eine Amtsbezeichnungfhrt, in der das Wort Brgermeister vorkommt. Im zweiten Teildes ersten Kapitels wird dann ein Blick zurck auf die Ursprngeder Brgermeister im Mittelalter geworfen. Im zweiten Kapitel wirdauf der Grundlage der Kompetenzverteilung der verschiedenenKommunalverfassungen in Deutschland im Zusammenhang mitweiteren Rahmenbedingungen die Frage nach dem Machtpotentialdes Brgermeisters gestellt. Was darf ein Brgermeister? Was kanner erreichen? Und was schrnkt sein Machtpotential ein? Das dritteKapitel widmet sich der Frage, wie man eigentlich Brgermeisterwird und behandelt alle wichtigen Regeln und Rahmenbedingun-gen der unmittelbaren Wahl der Brgermeister. Das vierte Kapitelstellt Sozialprofile und Karrierewege von Brgermeistern anhandvon echten Amtsinhabern vor. Im fnften Kapitel geht es um denArbeitsalltag von Brgermeistern. Was macht eigentlich so ein Br-germeister den ganzen Tag? Was sind seine wichtigsten Ttigkeitenund mit wem hat er es zu tun? Im sechsten Kapitel werden fnfzentrale Herausforderungen der Kommunen vorgestellt, die einenwirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandel bewirken, des-sen Folgen auf der lokalen Ebene bewltigt werden mssen. WelcheHandlungsmglichkeiten Brgermeister und Kommunalpolitik ha-ben, wird anhand von konkreten Projektbeispielen verdeutlicht.Am Ende der Auseinandersetzung mit dem Phnomen Brgermeis-ter wird im siebten Kapitel ein (vorlufiges) Fazit gezogen. Das Br-germeisteramt ist fr die meisten Brgermeister heute trotz zumTeil schwieriger Rahmenbedingungen mehr Lust als Last, denn in

  • Einleitung

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    kaum einem anderen Amt kann man so viel bewegen, wie als Br-germeister.

    Ich danke Prof. Dr. Andreas Kost von der Landeszentrale fr politi-sche Bildung Nordrhein-Westfalen fr sein Vertrauen und den Anstozu diesem Buch, meiner Lektorin, Christine Class, fr ihre Geduldund die stets konstruktive Kritik und meinem Mitarbeiter, SebastianKurtenbach, fr seine zuverlssige Untersttzung bei der Erstellungdes Manuskripts.

    Bochum, im September 2012 David H. Gehne

  • 1.1 Was ist ein Brgermeister?

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    1.Brgermeister in Deutschland Was ist ein Brgermeister und seit wanngibt es Brgermeister?

    Es kann nur einen geben! Bei Brgermeistern gilt diese Regel nicht in jederKommune; in manchen Stdten gibt es mehrere Personen, die sich Brger-meister nennen. Daher wird zu Beginn des folgenden Kapitels zunchsteinmal definiert, was in diesem Buch unter einem Brgermeister verstandenwird und dann die Frage geklrt, wie viele Brgermeister es in Deutschlandeigentlich gibt. Wie lange es Brgermeister schon gibt, wird im zweiten Ab-schnitt behandelt, um abschlieend einen knappen Blick auf die Entwicklungder kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland und die unterschied-lichen regionalen Traditionen zu werfen.

    1.1 Was ist ein Brgermeister?

    Wollen Sie wissen, wer Ihr Brgermeister ist? Das herauszufinden,kann doch nicht so schwierig sein. Ein Blick auf die Internetseite einerStadt msste eine schnelle Antwort auf diese Frage ermglichen.

    Beispiel:Brgermeister in Wolfsburg

    Nehmen wir zum Beispiel die Stadt Wolfsburg in Niedersachsen(121.109 Einwohner, Stand: 31.12. 2009). Wolfsburg hat einen von derBrgerschaft direkt gewhlten Oberbrgermeister. Er ist oberster Re-prsentant der Stadt und Leiter der Verwaltung. Die BezeichnungOberbrgermeister wird in der Regel nur in groen Stdten gefhrt.Ab welcher Gre ein Verwaltungschef Oberbrgermeister genanntwerden darf, unterscheidet sich aber in Deutschland je nach Land. DerOberbrgermeister ist der erste und wichtigste Ansprechpartner derBrgerinnen und Brger in Wolfsburg.

    Ist die Frage damit beantwortet? Nicht ganz. Sieht man sich nmlichdie Struktur von Politik und Verwaltung in Wolfsburg genauer an, fin-det man noch drei weitere Brgermeister. Sie werden nicht von der

  • 1. Brgermeister in Deutschland

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    Brgerschaft, sondern vom Rat aus den Mitgliedern des Hauptaus-schusses gewhlt. Der Rat ist das andere Hauptorgan der Kommunal-verwaltung und besteht aus von den Brgern gewhlten Mitgliedern.Der Hauptausschuss ist in der Regel der wichtigste Ausschuss des Ra-tes. Diese Brgermeister vertreten den Oberbrgermeister bei seinenreprsentativen Pflichten, die in Grostdten sehr umfangreich seinknnen. Auch in andern Lndern in Deutschland gibt es in groenKommunen weitere Brgermeister. Ihre Funktionen knnen aber an-ders gestaltet sein als in Niedersachsen. Auerdem tragen in Nieder-sachsen die Verwaltungschefs kleinerer Kommunen auch dieAmtsbezeichnung Brgermeister. So ist das Aufgabenspektrum desBrgermeisters von Gifhorn (41.616 Einwohner, Stand: 31.12.2009),einer Nachbarstadt von Wolfsburg, eher mit dem eines Oberbrger-meisters zu vergleichen, und nicht mit einem der Brgermeister vonWolfsburg. Das wirkt ziemlich unbersichtlich. Vor allem, wenn mandann noch feststellt, dass es in Wolfsburg dazu noch 16 Ortsbrger-meister in den Ortschaften gibt. Ortschaften sind Stadtteile unterhalbder Ebene der Gesamtstadt, die jeweils einen Ortsbeirat haben, dervon den Brgerinnen und Brgern zusammen mit dem Rat gewhltwird. Der Ortsbeirat ist zustndig fr die Interessenvertretung einesOrtsteils gegenber der Gesamtstadt und hat auerdem einen begrenz-ten Einfluss auf die Verteilung von Haushaltsmitteln in seinem Gebiet.Der Ortsbeirat whlt als Vorsitzenden jeweils einen Ortsbrgermeis-ter. Zusammen genommen findet man also in einer Stadt wie Wolfs-burg 20 Personen, die eine Amtsbezeichnung fhren, in der das WortBrgermeister vorkommt.1

    Die Antwort auf die Frage, wer denn jetzt nun der Brgermeister ist,ist also in manchen Fllen gar nicht so einfach.

    In Deutschland gibt es 11.475 Brgermeisterinnen und Brgermeister,davon 3.440 im Hauptamt und 8.035 im Ehrenamt.

    In der statistischen Auswertung in Abbildung 1 sind nur die Brger-meister bercksichtigt, die als Oberhaupt einer Stadt amtieren. Obeine Kommune einen ehrenamtlichen oder einen hauptamtlichenBrgermeister hat, ist in den Lndern unterschiedlich geregelt. InNordrhein-Westfalen, Hessen und im Saarland haben alle Stdte undGemeinden eine eigene Verwaltung, gehren aber je nach ihrem Sta-

    1 Quelle: www.wolfsburg.de (18.9.2012).

    Wie vieleBrgermeister

    gibt es inDeutschland?

    www.wolfsburg.de

  • 1.1 Was ist ein Brgermeister?

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    tus einem Landkreis an oder sind kreisfrei. Alle Brgermeister in die-sen Lndern sind hauptamtlich ttig.

    Darber hinaus gibt es je nach Land zwei Mglichkeiten, rechtlichnach haupt- oder ehrenamtlicher Gemeindespitze zu unterscheiden: Mitgliedschaft in unteren Gemeindeverbnden mit ehrenamtlichen

    Brgermeistern: In einem Teil der Gemeindeordnungen sind be-stimmte Formen von unteren Gemeindeverbnden zwischen Ge-meinde und Kreisebene definiert, die Verwaltungsaufgaben fr

    Abbildung 1: Ehrenamtliche und hauptamtliche Brgermeister in Deutschland nachLndern. Quelle: Eigene Recherchen.

    Anmerkung: Gebietsstand 31.12.2009, Sachsen-Anhalt 1.1.2011. OhneStadtstaaten, Verwaltungsspitzen der unteren Gemeindeverbnde und vonOrtsteilen wurden nicht bercksichtigt. Bei der Gemeindegrenschwellewurde die Anzahl aufgrund des Gebietsstands und der Einwohnerzahl desBezugsjahres geschtzt. Nhere Angaben dazu in bersicht 1 im Anhang.

    2.500

    2.000

    1.500

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    735

    2259

    327

    115

    1048 807

    Brgermeister (Hauptamt) Brgermeister (Ehrenamt)

  • 1. Brgermeister in Deutschland

    16

    mehrere Gemeinden bernehmen. Dazu gehren beispielsweisedie mter in Mecklenburg-Vorpommern, die Samtgemeinden inNiedersachsen und die Verbandsgemeinden in Rheinland Pfalz(vgl. Gnther/Beckmann 2008, 74f.). Dahinter steckt die Einsicht,dass unterhalb einer bestimmten Gemeindegre eine eigenstndi-ge Verwaltung vor Ort nicht mehr effizient zu unterhalten ist. Al-ternativ dazu wird in einem Teil der Gemeindeordnungen (z.B. inSchleswig-Holstein) eine Mindesteinwohnerzahl definiert, unterder eine Kommune einen ehrenamtlichen Brgermeister und damitkeine oder nur eine sehr kleine eigene Verwaltung vor Ort hat.

    Kreisangehrige Gemeinden mit ehrenamtlichen Brgermeistern:In den anderen Lndern gibt es unterhalb einer bestimmten Ein-wohnerzahl Gemeinden, die Kreisen angehren und vor Ort einenehrenamtlichen Brgermeister haben. Die Schwellenwerte dafrsind aber recht unterschiedlich angesetzt: In Bayern haben bei-spielsweise Kommunen ber 5.000 Einwohner in der Regel einenhauptamtlichen Brgermeister, in Thringen ab 3.000 Einwohner.

    Ehrenamtliche Brgermeister haben meistens nur einen Teil der Kom-petenzen von hauptamtlichen Brgermeistern (v.a. Reprsentationund ggf. Vorsitz des Rates). Die Verwaltungsspitzen der unteren Ge-meindeverbnde wurden nicht bercksichtigt, da sie jeweils fr meh-rere Kommunen zustndig sind.

    In diesem Buch geht es im Schwerpunkt um Brgermeister, die diefolgenden Eigenschaften aufweisen: Sie leiten hauptberuflich die Gemeindeverwaltung einer Stadt. Sie reprsentieren ihre Stadt nach auen und gegenber der Ein-

    wohnerschaft. Sie werden von der Brgerschaft direkt gewhlt.

    In den folgenden Kapiteln wird aus Grnden der besseren Lesbarkeitbegrifflich nicht zwischen Oberbrgermeister und Brgermeistern un-terschieden. Wenn von Brgermeistern die Rede ist, sind damit auchOberbrgermeister gemeint, auer wenn es um Besonderheiten desAmtes in greren Stdten geht. Im Weiteren werden andere Typenvon Brgermeistern, z.B. Ortsbrgermeister, die in groen Stdten re-prsentative Aufgaben fr einen Stadtteil erledigen oder die Ver-bandsgemeindebrgermeister in Rheinland-Pfalz, die Verwaltungslei-ter von mehreren Gemeinden sind, nicht weiter einbezogen. Dieunterschiedlichen Aufgabenprofile, die sich hinter denselben Amts-bezeichnungen verbergen knnen, sind in Deutschland Ausdruck der

    Definition

  • 1.2 Seit wann gibt es Brgermeister?

    17

    fderalen Vielfalt mit zum Teil regional sehr unterschiedlichen Tradi-tionen der kommunalen Selbstverwaltung, auf die spter noch kurzeingegangen wird (vgl. im berblick Kost/Wehling 2010). ( Kapi-tel 2)

    1.2 Seit wann gibt es Brgermeister?

    Brgermeister, Maskulinum, leitendes Organ einer Gemeinde (ur-sprnglich der Leiter der Gemeindeverwaltung), mittelhochdeutschburgermeister, Maskulinum, Vorsteher einer Stadt oder einer Dorfge-meinde (Kln 1258, Basel 1261).

    Der Begriff Brgermeister stammt, laut Etymologischem Wrterbuchvon Gerhard Kbler, aus dem Mittelhochdeutschen und wurde abetwa dem Jahr 1250 urkundlich erwhnt. Der Begriff Brgermeisterfand im Hochmittelalter im deutschen Sprachraum erste Verbreitung.Der Wortstamm bildet sich aus den Begriffen Brger und Meister.Brger sind Bewohner einer mit besonderen Stadtrechten versehenenStadt. Unter einem Meister wird hier neben der im Handwerk bli-chen Wortbedeutung ein Vorstand oder Anfhrer verstanden.2

    Die Ursprnge der Brgermeister in Deutschland liegen also in denStdten des Mittelalters.

    Die Stadt Recklinghausen, gelegen im nrdlichen Ruhrgebiet, hat einelange Ahnenreihe von Brgermeistern. Recklinghausen erhielt imJahr 1236 die Stadtrechte vom ihrem Landesherrn, dem Klner Erzbi-schof. Die erste urkundlich belegbare Erwhnung von Brgermeisternstammt aus dem Jahr 1305: Es waren die Herren Lambertus gen. deHerderinchusen und Everhardus gen. in Atrio. Die Reihe reicht miteinigen Lcken versehen bis zum heutigen Amtsinhaber WolfgangPantfrder, der erstmals 1999 von der Brgerschaft ins Amt gewhltworden ist.3

    2 Quelle: Kbler, Gerhard 1995: Deutsches etymologisches Wrterbuch, im Internet unterhttp://www.koeblergerhard.de/derwbhin.html (18.9.2012).

    3 Quelle: www.recklinghausen.de/tourismusstadtinformation/Geschichte/GeschichteStadtundVest/Buergermeister_von_Recklinghausen.asp (18.9.2012).

    Wort-bedeutung

    700 JahreBrgermeistervon Reckling-hausen

    http://www.koeblergerhard.de/derwbhin.htmlwww.recklinghausen.de/tourismusstadtinformation/Geschichte/GeschichteStadtundVest/Buergermeister_von_Recklinghausen.asp

  • 1. Brgermeister in Deutschland

    18

    Was haben Lambertus, Everhardus und Wolfgang Pantfrder gemein-sam?

    Nicht viel, auer dass sie denselben Titel tragen, dieselbe Stadt regie-ren und das Rathausgebude heutzutage nicht sehr weit von seinemhistorischen Ursprung entfernt steht.

    Die ersten Brgermeister von Recklinghausen bten ihr Amt kollegialaus, d.h. sie teilten sich die Verantwortung mit den Ratsmitgliedernund kontrollierten sich gegenseitig. Sie wurden von den Vertreternder Gilden fr ein Jahr zusammen mit zehn Ratsmitgliedern gewhlt.Ihnen zur Seite stand ein Richter als Statthalter des Landesherren. Siewaren in der Regel stdtische Patrizier und bten ihr Amt ehrenamt-lich aus. Es durften weder Brder noch Vater und Sohn gleichzeitiggewhlt werden. Die Kandidaten mussten verheiratet oder verwitwetund vor ihrer Wahl mindestens ein Jahr Mitglied im Rat gewesen sein(Linz 2005, 17f.). Frauen hatten kein Wahlrecht.

    Der jetzige Brgermeister von Recklinghausen, Wolfgang Pantfrder,wurde von der wahlberechtigten Bevlkerung in einer demokrati-schen Wahl fr eine Amtszeit von sechs Jahren gewhlt. Recklinghau-sen ist heute eine kreisangehrige Grostadt und hat 119.050Einwohner (Stand: 31.12.2009). Er ist hauptamtlicher Leiter der Ge-meindeverwaltung mit knapp 1.900 Beschftigten und Vorsitzenderdes ebenfalls demokratisch gewhlten Rates. Er hat keinen Statthaltermehr neben sich, dafr aber ber sich die Bezirksregierung Mnsterals Kommunalaufsichtsbehrde, die im Auftrag der Landesregierungdie Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Haus-haltsfhrung berwacht.

    Die Welt der Stdte des Mittelalters unterschied sich in vielerlei Hin-sicht von der demokratischen Stadt im Zeitalter der Globalisierung.

    In Recklinghausen lebten zwischen 1300 und 1500 etwa 1.500 bis2.000 Menschen. Nach und nach hatte die Siedlung bis zur Stadtwer-dung 1236 die fr Freie Stdte typischen Privilegien erhalten: Markt-,Mnz- und Zollrecht, die Gerichtsbarkeit sowie die Wehrhoheit. In-nerhalb der Stadtmauer gab es fr Brger bestimmte Freiheiten, frBewohner der Umgebung nicht. Dort galt weiter das strikte Lehens-recht der Feudalgesellschaft mit Leibeigenschaft. Erlaubt war der Zu-zug hriger Bauern aus dem Umland, die nach einem Jahr und einemTag Aufenthalt in der Stadt das Brgerrecht erhalten konnten (Stadt-luft macht frei). Die stdtische Gesellschaft war stndisch organi-

    Die Stadt imMittelalter

  • 1.3 Regionale Traditionen in Deutschland

    19

    siert, jeder Mann musste Mitglied einer Zunft oder Gilde sein, dieMitgliedschaft wurde in der Regel vererbt. So gab es in Recklinghau-sen beispielsweise die Gilden der Tuchhndler, Schneider und B-cker, um nur einige zu nennen. Ihre Hauptaufgabe fr die Stadt lagneben ihrer Rolle bei der Verwaltung der Stadt in Erhalt und Pflege derumfangreichen Verteidigungsanlagen.

    Eine hauptamtliche Verwaltung der Stadt gab es nur in rudimentrenAnstzen. Die Brgermeister, der Rat und der erzbischfliche Statthal-ter wurden von einem Stadtschreiber, dem Rezeptor (Steuereintrei-ber) und zwei Rentmeistern (Verwalter der brigen Einnahmen undBauaufsicht) untersttzt (Linz 2005, 17f.).

    Freie Stdte waren im Mittelalter kein flchendeckendes Phnomen.Etwa 8590% der Einwohner des Deutschen Reiches lebten nicht ineiner Stadt (Peuckert 1995, 350). Trotzdem waren freie Stdte im Mit-telalter wichtige Kristallisationspunkte fr die Entwicklung vonHandwerk, Handel und Wissenschaft und ein Gegengewicht zurMacht der Frsten im Deutschen Reich.

    Die Stadt des Mittelalters kann aber nicht als Vorbild fr das moderneVerstndnis kommunaler Demokratie gelten, dafr sind die Entwick-lungen seit dem 19. Jahrhunderts von grerer Bedeutung, auch wenndie Wurzeln der lokalen Selbstverwaltung in Stdten wie Reckling-hausen tief reichen mgen (vgl. Fuchs 2010, 41 ff.).

    1.3 Regionale Traditionen in Deutschland

    Infolge der Niederlage Preuens gegen den franzsischen Kaiser Na-poleon I. zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es in verschiedenen Be-reichen von Staat und Verwaltung zu tiefgreifenden Reformen. 1808wurde die Stein-Hardenbergsche Stdteordnung erlassen, die denStdten in Preuen je nach ihrer Gre bestimmte Rechte der Selbst-verwaltung einrumte. Damit wurden zentralistische Entwicklungendes Absolutismus des 18. Jahrhunderts zum Teil wieder korrigiert undden Stdten mehr Freiheiten gewhrt, ohne dass dadurch das feuda-listische Herrschaftssystem in Preuen grundstzlich in Frage gestelltwurde. Stein und Hardenberg gingen davon aus, dass mehr Freiheitenauf der Gemeindeebene die Brger aktivieren wrden. Daher erhiel-ten die Stadtgemeinden eine begrenzte Autonomie, hhere staatliche

    KommunaleSelbstverwal-tung abdem 19. Jahr-hundert

  • 1. Brgermeister in Deutschland

    20

    Ebenen hatte keinen unbeschrnkten Einfluss mehr auf die kommu-nale Ebene. Dazu kam eine gewhlte Stadtverordnetenversammlung,die () durch ihre Wahl die unbeschrnkte Vollmacht [erhalte, derVerfasser], in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt dieBrgergemeinde zu vertreten, smtliche Gemeindeangelegenheitenfr sie besorgen und inbetreff des gemeinschaftlichen Vermgens ()verbindende Erklrungen fr sie abzugeben. ( 108 der preuischenStdteordnung von 1808).

    Die Verwaltung wurde von einem Gremium (Magistrat) geleitet, dasaus ehrenamtlichen Stadtverordneten und fachlich ausgebildetenVerwaltungsbeamten zusammengesetzt war.

    Verschiedene Lnder Deutschlands bernahmen aufgrund ihrer sichbald einstellenden Erfolge diese Grundprinzipien der PreuischenStdteordnung (Saldern 1998, 24). Trotz einiger Reformen, die dieFreiheiten der Kommunen zum Teil wieder rckgngig machten, giltdie Preuische Stdteordnung als rechtlicher Ausgangspunkt fr dasheutige Verstndnis der kommunalen Selbstverwaltung in Deutsch-land.

    Auch in der Preuischen Stdteordnung gab es kein allgemeinesWahlrecht. Kommunalpolitik war immer noch Sache der vermgen-den Honoratioren der Stadt. Nur ein kleiner Teil der (mnnlichen)Brgerschaft war wahlberechtigt. Eine professionelle Verwaltung imheutigen Sinne gab es nicht. Die Stadtverwaltung kam mit wenigenBeschftigten aus. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs aber in vielenRegionen Deutschlands aufgrund der zunehmenden Industrialisie-rung die Bevlkerung der Stdte stark an. In der Zeit zwischen 1855und 1910 stagnierte in Deutschland die Bevlkerungszahl lndlicherGebiete bei ca. 18 Millionen Einwohnern, whrend die Bevlkerungder Stdte von ca. 18 auf 47 Millionen Einwohner anstieg (Bogumil/Holtkamp 2006, 15). Die daraus neu entstehenden Aufgaben der Kom-munalverwaltung (z.B. Brandschutz, Bauverwaltung, Sozialpolitik,Gesundheit und Hygiene) wurden ab dem letzten Drittel des 19. Jahr-hunderts zunehmend von einer professionellen Kommunalverwal-tung bernommen. So wuchs z.B. in der Stadt Mannheim die Anzahlder stdtischen Angestellten und Beamten zwischen 1870 und 1906von 48 auf 1.127 an (Saldern 1998, 26). Dadurch vernderten sichauch die Anforderungen an die politische Steuerung der Kommunendurch Brgermeister und den Magistrat, sodass das Modell der ehren-

    Von derHonoratioren-zur Leistungs-

    verwaltung

  • 1.3 Regionale Traditionen in Deutschland

    21

    amtlichen Honoratiorenverwaltung einer professionellen Steuerungvon Kommunalpolitik und -verwaltung weichen musste.

    Insgesamt vollzieht sich damit im 19. Jahrhundert eine Verlagerungder Selbstverwaltungsinhalte von der traditionellen Polizey(Armen-pflege, ffentliche Ordnung, Steuer und Grundbesitzverwaltung) zursozialen Daseinsvorsorge und Infrastrukturpolitik im weitesten Sinnefr die vielfltig differenzierte Einwohnergemeinde. (Bogumil/Holt-kamp 2006, 19)

    Mit der Einfhrung des allgemeinen Wahlrechts 1918/1919 zu Beginnder Weimarer Republik gewannen auch die Parteien zunehmend Ein-fluss auf die Kommunalpolitik in Deutschland. Die Bedeutung der Eh-renamtlichkeit politischer Ttigkeit auf Gemeindeebene hat sich aberbis heute erhalten. Die Ratsmitglieder sind in allen Lndern ehren-amtlich ttig und erhalten fr ihre Ttigkeit nur eine Aufwandsent-schdigung. In der Verfassung der Weimarer Republik (19191933)war erstmals formal eine Garantie der kommunalen Selbstverwaltungenthalten:

    Gemeinden und Gemeindeverbnde haben das Recht der Selbstver-waltung innerhalb der Schranken der Gesetze. (Art. 127 der Weima-rer Reichsverfassung)

    Trotzdem gab es auch weiterhin keine einheitliche Kommunalverfas-sung in der Weimarer Republik. Die historisch bedingte regionaleVielfalt lebte fort, bis es unter der Herrschaft der Nationalsozialistenvon 19331945 zu einer Gleichschaltung und Eingliederung derKommunen in das nationalsozialistische Herrschaftssystem kam.

    Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg bildetensich in den vier Besatzungszonen Deutschlands auch unterschiedli-che Kommunalverfassungen aus, die zum Teil auf historischen Vor-bildern beruhten, zum Teil aber auch von der kommunalen Traditionder Besatzungsmchte geprgt wurden. Ohne an dieser Stelle aus-fhrlich darauf einzugehen (vgl. Darstellung bei Kleinfeld 1996,78ff.), soll kurz auf die verschiedenen Typen der Verwaltungsleitungeingegangen werden, die in den Kommunalverfassungen vor der gro-en Reformwelle der 1990er Jahre existierten. Denn zum Teil prgendiese auch nach der weitgehenden Angleichung der Kommunalver-fassungen in Deutschland erheblich die politische Kultur und dieRolle von Parteien in der Kommunalpolitik in diesen Lndern. Im

    RegionaleTraditionennach 1945

  • 1. Brgermeister in Deutschland

    22

    folgenden Kapitel werden dann die aktuell geltenden rechtlichenRahmenbedingungen des Brgermeisteramtes erlutert. Bis in die1990er Jahre lieen sich drei Formen der Verwaltungsleitung unter-scheiden (s. Abbildung 2):

    Der Brgermeister der Einheitsspitze in Baden-Wrttemberg und Bay-ern hatte aufgrund der ihm zufallenden Aufgaben eine starke Position,auch weil er direkt gewhlt war. Die Abhngigkeit vom Rat war in al-len anderen Fhrungstypen strker ausgeprgt, da die Amtsinhabervom Rat gewhlt wurden, wie auch bei der Einheitsspitze in Schles-wig-Holstein (Landgemeinden), Rheinland-Pfalz und im Saarland.Durch die Ratswahl gewannen Parteien und Whlergruppen strkerenEinfluss auf die Verwaltungsleitung.

    In der Doppelspitze waren die Funktionen Verwaltungsleitung undRatsvorsitz auf zwei Kpfe verteilt. Dieser Typ tendierte zu einem ge-wissen Fhrungspluralismus. In manchen Kommunen war der Stadt-direktor als Verwaltungsleiter die zentrale Figur, in anderen derBrgermeister, wenn er die Ratsmehrheit hinter sich hatte. Das Magis-

    Fhrungstyp Eigenschaften Bundeslnder

    Einheitsspitze Der Brgermeister ist Vorsitzender des Rates,Reprsentant nach auen und innen undLeiter der Verwaltung.Er wird vom Rat gewhlt.

    Schleswig-Holstein(Landgemeinden),Rheinland-Pfalz,Saarland

    Der Brgermeister ist Vorsitzender des Rates,Reprsentant nach auen und innen undLeiter der Verwaltung.Er wird von der Brgerschaft direkt gewhlt.

    Baden-Wrttembergund Bayern

    Doppelspitze Der Brgermeister ist Vorsitzender des Ratesund Reprsentant nach auen und innen,der Stadtdirektor ist Leiter der Verwaltung.Beide werden vom Rat gewhlt.

    Niedersachsen,Nordrhein-Westfalen

    Magistrats-modell

    Der Brgermeister ist Leiter der Verwaltung.Er ist Mitglied des Magistrats, der kollegialentscheidet.Der Brgermeister und die (haupt- undehrenamtlichen) Mitglieder des Magistrateswerden vom Rat gewhlt.

    Hessen, Schleswig-Holstein (Stdte)

    Abbildung 2: Typen der Verwaltungsleitung der Kommunalverfassungenvor der Reformwelle.Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Kser 1979, 405ff.

  • 1.4 Zusammenfassung

    23

    tratsmodell war aufgrund der kollegialen Fhrungsstruktur am we-nigstens auf einzelne Steuerungspolitiker ausgerichtet. Der Einflussder Parteien im Rat war ebenfalls gro.

    In der DDR gab es keine kommunale Selbstverwaltung. Ursprnglichwurde zwar auch in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 andie Selbstverwaltungstradition angeknpft. Mit der Etablierung eineszentralistischen Einheitsstaates unter Kontrolle der SozialistischenEinheitspartei Deutschlands (SED) in den 1950er Jahren wurden dieKommunen aber zur untersten Verwaltungsebene herabgestuft, ob-wohl es noch gewhlte Volksvertretungen auf Gemeinde- und Kreis-ebene gab (vgl. z.B. Rehfeld-Staudt/Rellecke 2010, 286 am BeispielSachsens). Nach der demokratischen Revolution 1989 wurde diekommunale Selbstverwaltung wieder eingefhrt (Andersen 2009,202). Die ab 1990 entstandenen Kommunalverfassungen der fnf neu-en Lnder orientieren sich stark am Fhrungstyp der Einheitsspitzenach sddeutschem Modell. Die durchgehende Einfhrung der Di-rektwahl des Brgermeisters in den neuen Lndern war ein wichtigerReformimpuls auch fr die Reform der Kommunalverfassung in denalten Lndern in den 1990er Jahren.

    1.4 Zusammenfassung

    Brgermeister leiten hauptamtlich die Gemeindeverwaltung einerStadt, reprsentieren ihre Stadt nach auen und gegenber der Ein-wohnerschaft und werden von der Brgerschaft direkt gewhlt.

    Brgermeister gibt es in Deutschland schon seit dem Mittelalter.Die damaligen Brgermeister haben mit den heutigen Amtsinha-bern aber nicht viel gemeinsam.

    Die moderne kommunale Selbstverwaltung hat ihre Wurzeln in derStein-Hardenbergschen Stdteordnung von 1808.

    In der Bundesrepublik Deutschland gibt es in den Lnder sehr un-terschiedliche regionale Traditionen der lokalen Selbstverwaltung,die sich auch auf Rolle und Bedeutung des Brgermeisters auswir-ken knnen.

    Kommunal-verwaltungin der DDR

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    24

    2.Starker Mann oder Gr-Gott-August Wie viel Macht hat ein Brgermeister?

    Brgermeister haben als politische Amtstrger Macht, die ihnen von derWahlbevlkerung auf Zeit bertragen wird. Wenn man aber genauer wissenwill, wie viel Macht ein Brgermeister in seiner Kommune hat, wird manschnell feststellen, dass konkrete Machtpositionen eine betrchtliche Band-breite haben knnen, die von verschiedenen Rahmenbedingungen abhn-gig sind.Der Brgermeister ist zwar meistens der Starke Mann, ohne den nichtsluft. Aber in wenigen Stdten muss er die Fhrungsrolle mit anderen Ak-teuren teilen und ist im schlimmsten Fall nur noch der fr die Reprsentationzustndige Gr-Gott-August. Um sich also einer Antwort auf die Fragenach der Macht anzunhern, werden im folgenden Kapitel die Rahmenbe-dingungen fr die Beschreibung der Machtposition von Brgermeistern er-lutert. Sie reichen von der Stellung der Kommunen im Staatsaufbau, berdie institutionelle Kompetenzverteilung in der Kommunalverfassung, denAufgaben der Kommunalverwaltung bis hin zur Finanzsituation. Abschlie-end werden Anhaltspunkte zur Ermittlung des Machtpotentials echterBrgermeister vorgestellt.

    2.1 Macht was ist das?

    Folgt man einer politikwissenschaftlichen Definition, dann bezeich-net der Begriff Macht die Mglichkeit der Machthabenden, ohne Zu-stimmung, gegen den Willen oder trotz Widerstandes anderer dieeigenen Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen. (Schubert/Klein2003, 183). Jemand, der Macht hat, kann also seine Vorstellungen undZiele in der Politik durchsetzen und ein politisches Ergebnis entschei-dend prgen, auch wenn andere politische Akteure dagegen sind. Nurselten funktioniert dies in der realen Politik so einfach, wie es die De-finition vermuten lsst. Denn in den Kommunen, wie in allen anderendemokratischen politischen Systemen, wird Macht durch verschiede-ne Mechanismen verliehen, geteilt und kontrolliert:

    Definition

  • 2.1 Macht was ist das?

    25

    Machtverleihung: Macht wird auch in Stdten und Gemeindendurch Wahlen auf Zeit verliehen. Brgermeister werden unmittel-bar durch die Brgerschaft gewhlt.

    Machtteilung: Der Brgermeister teilt sich die Macht in erster Liniemit dem Rat, der in vielen Kommunalverfassungen sogar dasHauptorgan der Gemeindeverwaltung ist.

    Machtkontrolle durch den Rat: Der Rat kontrolliert die Machtaus-bung des Brgermeisters in seinem Bereich zusammen mit der lo-kalen ffentlichkeit und den Medien, wie auch der Brgermeisterwiederum die Machtausbung des Rates kontrolliert.

    Machtkontrolle durch die Brgerschaft: Die Brgerschaft hat dieMglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen kommunaleSachentscheidungen selbst zu treffen (Brgerentscheid) und damitEntscheidungen des Rates zu ersetzen oder zu korrigieren. Auer-dem gibt es in den meisten Lndern grundstzlich die Mglichkeit,Brgermeister wieder abzuwhlen, auch wenn dieses Verfahren inder Regel vom Rat ausgehen muss ( Kapitel 3).

    Daher ist es sinnvoller, von Machtpotentialen bestimmter Akteureauszugehen und zu untersuchen, welche Handlungsspielrume undEntscheidungskompetenzen ein Brgermeister hat. Diese werdenstark, aber nicht ausschlielich durch Regelungen der Kommunalver-fassung geprgt, auf die weiter unten nher eingegangen werden soll.

    Macht ist kein Selbstzweck, zumindest nicht fr die Brgermeister inDeutschland. Wie eine reprsentative Befragung von Brgermeisternim Auftrag der Bertelsmann Stiftung, des Deutschen Stdtetages unddes Deutschen Stdte- und Gemeindebundes aus dem Jahr 2008 ergab,ist nur fr 12 Prozent der befragten Brgermeister die Machtausbungein wichtiger oder sehr wichtiger Grund gewesen, Brgermeister zuwerden.

    Es fllt jedoch auf, dass neben der Machtausbung auch alle anderenMotive, die in erster Linie dem eigenen Nutzen des Befragten dienen,wie z.B. die finanzielle Vergtung (19%) oder die Frderung derKarriere (15%), auf den hinteren Pltzen landen. Deutlich wichtigersind dagegen Ziele wie die Gestaltung des Stadtbildes (97%), der Um-gang mit Menschen (95%), die Verpflichtung gegenber dem Gemein-wohl (91%) oder auch schon mit deutlicherem Abstand dieallgemeine politische Gestaltung (57%). Kaum ein Brgermeisterwrde ffentlich zugeben, dass er gerne Macht hat und nur an der ei-genen Karriere und am Geld interessiert ist, selbst wenn es so wre.

    Macht-potentiale

    Gestaltungs-Macht

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    26

    Das wrde bei seinen Whlerinnen und Whlern wahrscheinlichnicht gut ankommen. Aber auch um die anderen wichtigen Motive zuverwirklichen, sind Handlungsspielrume und Entscheidungskom-petenzen notwendig. Macht erffnet Brgermeistern dann erst dieMglichkeit zur Gestaltung. Der Einsatz von Macht kann dazu fhren,politische Ziele zu erreichen. Und das erwarten auch die Whlerin-nen und Whler.

    2.2 Die Kommunale Selbstverwaltung

    Stdte und Gemeinden sind in Deutschland fest in das fderale po-litische System eingebunden. Die kommunale Ebene (Stdte, Ge-meinden und Kreise) bildet die unterste Ebene des dreistufigenVerwaltungsaufbaus in Deutschland, darber kommen noch die Lan-des- und die Bundesebene (vgl. Nassmacher/Nassmacher 2007,

    Abbildung 3: Grnde, Brgermeister zu werden. Quelle: Bertelsmann Stiftung 2008, 31.(Rundungsbedingte Summenabweichung)

    Stadtbild gestalten

    Umgang mit Menschen

    Gemeinwohl verpflichtet

    Politische Gestaltung allg.

    ffentliche Anerkennung

    Partei/Whlergem. verpflichtet

    Pensionsansprche

    Finanzielle Vergtung

    Karriere

    Machtausbung

    2

    4

    78

    2614

    5611

    3338

    4925

    41

    67

    71

    74

    5919

    3745

    4342

    78

    82

    85

    61

    52

    54

    19

    3

    6

    4

    36

    43

    37

    38

    28

    20

    18

    18 1

    11

    10

    97

    95

    90

    57

    31

    26

    202

    19

    15

    122

    kein Grund weniger stark stark sehr starker Grund

    kein Grund Grund

    KommunaleEbene

  • 2.2 Die Kommunale Selbstverwaltung

    27

    19ff.). Das Grundgesetz gibt den Kommunen in Artikel 28 Absatz 2eine Selbstverwaltungsgarantie:

    Den Gemeinden muss das Recht gewhrleistet sein, alle Angelegen-heiten der rtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigenerVerantwortung zu regeln.

    hnliche Formulierungen finden sich auch in den meisten Landes-verfassungen. Daraus lassen sich verschiedene so genannte Hoheits-rechte der Kommune ableiten (Andersen 2009,198), z.B. das Recht,eigenes Personal zu beschftigen (Personalhoheit) oder die Mglich-keit zum Erlass kommunaler Satzungen (Rechtsetzungshoheit). Dertatschlich vorhandene Gestaltungsspielraum der Kommunen unddamit der Einfluss eines Brgermeisters bei der Regelung ihrer An-gelegenheiten ist aber geringer als die grozgige Formulierung ver-muten lsst. Das liegt ganz wesentlich an der Einschrnkung imRahmen der Gesetze, die Land und Bund vielfltige Einflussmglich-keiten auf die Kommunalverwaltung erffnen und auch die Hoheits-rechte der Kommunen einschrnken knnen. Deshalb wird diekommunale Ebene von Staatsrechtlern auch nicht als eigenstndigeEbene des Staates gesehen, sie ist vielmehr formal ein Teil der Lan-desverwaltung. D.h. der jeweilige Landtag beschliet in Form vonLandesgesetzen die wesentlichen Rechtsvorschriften fr die Kommu-nen. Brgermeister und Ratsmitglieder haben also nur indirekten Ein-fluss auf die Gestaltung dieser Gesetze, z.B. ber die Landtagsabge-ordneten ihrer Partei oder die kommunalen Interessenverbnde (z.B.der Stdte- und Gemeindebund), die vor der Vernderung solcher Ge-setze vom zustndigen Landtagsausschuss nach ihrer Meinung gefragtwerden.

    Wer wissen will, wie viel Macht ein Brgermeister in Deutschlandhat, wird mit einer beeindruckenden fderalen Vielfalt konfrontiert.Wenn man die Stadtstaaten Berlin, Bremen/Bremerhafen und Ham-burg aufgrund ihrer besonderen Struktur beiseite lsst, haben die 13Flchenlnder in Deutschland immerhin 13 verschiedene Kommu-nalverfassungen. Auch wenn diese Kommunalverfassungen sichdurch umfangreiche Reformen in den letzten Jahren hnlicher gewor-den sind, gibt es immer noch viele Unterschiede, die mit den kommu-nalen Traditionen der Lnder zusammenhngen ( Kapitel 1). DieKommunalverfassung eines Landes besteht aus verschiedenen Geset-zen, Verordnungen und Satzungen, die den rechtlichen Rahmen fr

    Kommunal-verfassungen die Spielregeln

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    28

    die Kommunen bilden. Der wichtigste Bestandteil der Kommunalver-fassung eines Landes ist die jeweilige Gemeindeordnung, in der diewichtigsten Spielregeln fr die Kommunalpolitik festgehalten wer-den, z.B. Regelungen zur Aufgabenverteilung zwischen Brgermeister und Rat, zu den Rechten und Pflichten der Brgerinnen und Brger, ber die Grundlagen und Aufgaben der Kommunalverwaltung.

    Die Kommunen haben auerdem eine Hauptsatzung, in der Vorschrif-ten der Kommunalverfassung ergnzt und z.B. die Abgrenzungen derHandlungsspielrume von Rat und Brgermeister konkretisiert wer-den. Wichtig ist auerdem die Geschftsordnung des Rates, in der An-trags- und Rederecht, Einladungsfristen zu Sitzungen u.. fr den Ratfestgelegt werden.

    Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit Kommunalverfassun-gen liegt in diesem Abschnitt aber auf der Aufgabenverteilung zwi-schen Brgermeister und Rat. In den 1990er Jahren wurde in allendeutschen Lndern die Direktwahl der Brgermeister eingefhrt undin einigen Lndern die bis dahin vorhandene Trennung zwischenRatsvorsitz und Verwaltungsleitung abgeschafft. Dadurch hat sich dasGrundmodell der Leitungsstruktur der Kommunalverfassungen inDeutschland angeglichen.

    Die Brgerschaft whlt den Rat und den Brgermeister. Brgermeisterund Rat haben somit die gleiche Legitimationsgrundlage. Das Wahl-recht zum Rat unterscheidet sich zwischen den Lndern zum Teil er-heblich, darauf kann aber an dieser Stelle nicht nher eingegangenwerden. Wie Brgermeisterwahlen ablaufen und welche Unterschie-de es zwischen den Lndern gibt, wird in Kapitel 3 nher betrachtet.Der Brgermeister ist Chef der Kommunalverwaltung, in den meistenLndern auerdem Vorsitzender des Rates und reprsentiert die Kom-mune nach auen und gegenber den Einwohnern. Diese Kombinati-on von Aufgaben macht ihn zweifelsohne zur wichtigsten Person inder Kommunalpolitik. Der Rat ist, nach den geschriebenen Spielre-geln, fr die Grundsatz- und Leitentscheidungen der Gemeinde undfr alle Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung zustndig, solangees sich nicht um Geschfte der laufenden Verwaltung handelt. Umdiese kmmert sich nmlich in der Regel der Brgermeister im Rah-men seiner Aufgaben als Leiter der Verwaltung. Der Rat kann nochweitere Aufgaben aus seinem Bereich auf den Brgermeister bertra-gen. Der Rat whlt auerdem ab einer bestimmten Gre einer Ge-

    Gemeinsam-keiten der

    Kommunal-verfassungen

  • 2.2 Die Kommunale Selbstverwaltung

    29

    meinde einen oder mehrere Dezernenten und bertrgt ihnen in denmeisten Lndern in Abstimmung mit dem Brgermeister Aufgaben-bereiche (z.B. Soziales, Bau und Planung, Recht o..). Der Kmmerereiner Gemeinde ist der fr die Gemeindefinanzen zustndige Dezer-nent und in der Regel der Vertreter des Brgermeisters als Verwal-tungsleiter. Die Besetzung der Dezernentenstellen und der Aufgaben-zuschnitt sind fr den Brgermeister wichtige Fragen, da dieDezernenten mit ihm zusammen gewissermaen die kommunale Re-gierung bilden. Wenn Brgermeister und Dezernenten nicht auf einerLinie sind, kann das Machtpotential des Brgermeisters geschmlertwerden, da die Dezernenten in den meisten Lndern ihren Geschfts-bereich selbststndig in eigener Verantwortung leiten und der Brger-meister ihnen somit keine Weisungen erteilen kann.

    Nachdem nun die Gemeinsamkeiten beschrieben wurden, sind imnchsten Abschnitt die Unterschiede zwischen den Kommunalverfas-sungen der Lnder dargestellt, die Einfluss auf die Machtposition desBrgermeisters haben. In diesem Zusammenhang lassen sich zweiThemenbereiche unterscheiden:

    Abbildung 4: Leitungsstruktur der Kommunalverfassung.Anmerkung: In den Lndern Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein whltder Rat einen eigenen Vorsitzenden.

    Brgermeister

    Rat

    Vorsitz

    WahlWahl

    Leitung

    Brgerschaft

    Verwaltung

    Unterschied-liche Macht-potentiale derBrgermeister

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    30

    Unabhngigkeit des Brgermeisters vom Rat und von Parteien: Die-ser Bereich umfasst Nominierung, Wahl und Abwahl des Brger-meisters und die Lnge seiner Amtszeit im Verhltnis zur Amtszeitdes Rates. Das Machtpotential eines Brgermeisters ist grer,wenn seine Amtszeit lnger ist als die Wahlperiode des Rates, dieBrgermeisterwahl als eigener Termin stattfindet und er unabhn-gig von Parteien zur Wahl antreten kann.

    Einfluss des Brgermeisters auf die Verwaltungsfhrung: DieserThemenbereich umfasst verschiedene Verwaltungskompetenzendes Brgermeisters, die in unterschiedlichem Umfang mit dem Ratgeteilt werden mssen. Das Machtpotential des Brgermeisters istgrer, wenn er die laufenden Geschfte der Verwaltung allein er-ledigt, ohne dass der Rat dies beeinflussen kann, wenn der Brger-meister die Geschftskreise der Dezernenten festlegen und dieVerwaltung selbststndig leiten kann sowie ein unbegrenztes Wei-sungsrecht gegenber den Dezernenten hat.

    Analysiert man nun die 13 Kommunalverfassungen in Deutschlandnach diesen Merkmalen, lassen sich zu einzelnen Kriterien Macht-punkte vergeben, die zusammengerechnet das Machtpotential derBrgermeister im Vergleich der Lnder angeben. Die Zuordnung vonMachtpunkten zu den zugeordneten Kriterien lsst sich anhand ei-ner Tabelle im Anhang nachvollziehen. Die folgende Abbildung zeigtnun die Summe der erreichten Machtpunkte der Brgermeister imLndervergleich.

    Nach der Kommunalverfassung hat der Brgermeister in Baden-Wrt-temberg das grte Machtpotential, da er 17 von 18 mglichenMachtpunkten erreicht. Auerdem zur Spitzengruppe zu zhlensind Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit jeweils 16 von 18 Punk-ten. Am unteren Ende rangiert das Machtpotential der Brgermeisterin Nordrhein-Westfalen und Hessen, denen 11 bzw. 10 Punkten zuge-wiesen werden knnen. Dazwischen befindet sich eine groe Gruppevon Lndern mit mittlerer Machtposition. Dieses Bild liefert einenTeil der Antwort auf die Frage nach der Macht des Brgermeisters.Aber ob das Machtpotential auch in tatschlichen Einfluss umgesetztwerden kann, hngt auch noch von weiteren Rahmenbedingungen ab,die in den nchsten Abschnitten beschrieben werden.

  • 2.3 Die Kommunalverwaltung fr alles zustndig?

    31

    2.3 Die Kommunalverwaltung fr alles zustndig?

    Die Kommunalverwaltung hat sehr viele Aufgaben zu erledigen. DerBrgermeister als Chef der Verwaltung ist also theoretisch fr alles zu-stndig und verantwortlich, von A wie Abfall bis Z wie Zweit-wohnungssteuer, denn um all das kmmert sich seine Verwaltung.Nach dem Grundgesetz (Art. 30 und Art. 83 Grundgesetz) wird dieHauptarbeit der Verwaltung in den Lndern, Kreisen sowie Stdtenund Gemeinden erledigt, der Bund hat nur vergleichsweise wenigeVerwaltungsaufgaben. Dementsprechend haben Brgerinnen undBrger auch hufig Kontakt zur Kommunalverwaltung. In einer repr-sentativen Befragung aus dem Jahr 2011 gaben 81% der befragten Br-gerinnen und Brger an, sie htten im vergangenen Jahr mindestenseinmal Kontakt zur Kommunalverwaltung gehabt. Auf Platz 2 folgtemit 49% die Finanzverwaltung (z.B. Finanzamt), die Lndersache ist(DBB 2011, 33). Die Lnder in Deutschland haben die Fach- undRechtsaufsicht ber die Kommunen und kontrollieren, ob die Kom-munalverwaltung ihre Aufgaben den gesetzlichen Vorgaben entspre-

    Abbildung 5: Machtpotential der Brgermeister im Lndervergleich. Quelle: EigeneDarstellung auf der Grundlage von Bogumil/Holtkamp 2006, 62 undeigener Recherchen.

    18

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    1716 16

    15 15 1514 14 14 14 14

    1110

    BW Bbg SaA SH MVP Sa RP Th Nds Bay Saar NRW Hes

    Verwaltungist Sache derLnder undGemeinden

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    32

    chend ausfhrt. Die Aufgabenteilung lsst sich auch sehr gut an derVerteilung des Personals im ffentlichen Dienst auf die drei Verwal-tungsebenen in Deutschland ablesen. In Deutschland arbeiteten imJahr 2009 etwa 47,5% des Verwaltungspersonals im ffentlichenDienst in den Kommunalverwaltungen.

    Alle Kommunen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die kreisan-gehrigen Stdte und Gemeinden und die kreisfreien Stdte. Kreisan-gehrige Stdte und Gemeinden gehren zu einem Landkreis, der frdie zu seinem Gebiet gehrenden Gemeinden bestimmte Verwal-tungsaufgaben bernimmt (z.B. die Jugendhilfe im Kreisjugendamt).Kreisfreie Stdte mssen alle Verwaltungsaufgaben mit eigenem Per-sonal erledigen.

    In anderen Lndern mit fderalem Staatsaufbau, z.B. den VereinigtenStaaten von Amerika, gibt es im Staatsaufbau die gleichen Ebenen wiein Deutschland. Es wird aber deutlich strker zwischen den Ebenengetrennt. Wenn das Parlament eines US-Bundestaates ein Gesetz er-lsst, muss dieser Bundesstaat auch die Verwaltungsmitarbeiter be-schftigen, die das Gesetz ausfhren. In Deutschland dagegen ist esder Regelfall, dass Gesetze des Bundes oder der Lnder von kommu-nalen Verwaltungsmitarbeitern ausgefhrt werden. Die Verwaltungs-strukturen sind strker verflochten als in den USA.

    Abbildung 6: Personal im ffentlichen Dienst 2009 (in %).Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2010.

    Anmerkung: Ohne Personal der Bundeswehr (Bund) und aus Bildung/Wissenschaft und der Polizei (Land).

    Sonstige 25,9 Land 19,1

    Bund 7,5

    Kommune 47,5

    Aufgabender Kreise

    VerflochteneVerwaltungs-strukturen inDeutschland

  • 2.3 Die Kommunalverwaltung fr alles zustndig?

    33

    Vor dem Hintergrund der kommunalen Finanzsituation stellt sich zu-nehmend die Frage, ob die Kommunen in der Lage sind, weitere ihnengesetzlich vom Bund oder Land bertragene Verwaltungsaufgaben zubernehmen. Bei der bertragung von zustzlichen Aufgaben giltzwar grundstzlich das Verursacherprinzip, d.h. ein Land oder derBund mssen bei bertragung einer neuen Verwaltungsaufgabe aufdie Gemeinden auch gengend finanzielle Mittel zur Verfgung stel-len. Dieses sogenannte Konnexittsprinzip (Wer bestellt, der be-zahlt!) ist mittlerweile auch in allen Landesverfassungen enthalten.Wenn es um die konkrete Umsetzung geht, zeigte sich aber in der Ver-gangenheit, dass aus Sicht der Kommunen die finanziellen Mittel oftnicht ausreichten. In Streitfllen muss dann das Landesverfassungs-gericht klren, ob das zur Verfgung gestellte Geld zur Ausfhrung ei-ner Aufgabe ausreicht.

    Stellt man sich nun konkret die Frage, wie stark der Einfluss der Kom-munalverwaltung und damit auch des Brgermeisters darauf ist, obund wie eine Aufgabe durchgefhrt wird, ergeben sich erhebliche Un-terschiede.

    Bei Auftragsangelegenheiten ist der Einfluss gering. Im Pass- undMeldewesen oder bei der Gewerbeaufsicht entscheidet der Gesetz-geber auf Bundes- oder Landesebene, ob die Verwaltung ttig wirdund legt dabei bis hin zur Gestaltung von Formularen fest, wie eineAufgabe zu erledigen ist. Die Ausfhrung der Aufgaben wird vonAufsichtsbehrden berwacht. Der Rat hat kaum Einfluss auf Auf-

    Art der Aufgabe Beispiel Ziel(ob?)

    Mittel(wie?)

    Einfluss

    Auftrags-angelegenheit

    Pass- und Meldewesen,Lebensmittelberwa-chung, Gewerbeaufsicht

    Bund/Land

    Bund/Land

    gering

    pflichtige Selbstver-waltungsaufgaben

    Straenreinigung,Abfallentsorgung,Kindertagessttten

    Bund/Land

    Kommune mittel

    freiwillige Selbstver-waltungsaufgaben

    Schwimmbad, Theater,Museen, Jugendeinrich-tungen

    Kommune Kommune hoch

    Abbildung 7: Kommunale Aufgabe: Ziele, Mittel und Einflusschancen der Kommune.Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Bogumil/Holtkamp2006, 51f.

    Wer bestellt,der bezahlt!

    KommunaleHandlungs-spielrume

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    34

    tragsangelegenheiten. Zustndig und verantwortlich gegenberden Aufsichtsbehrden ist der Brgermeister als Verwaltungschef,der aber nur das ausfhren lassen muss, was anderswo entschiedenwurde.

    Schon anders stellt sich die Sache bei pflichtigen Selbstverwal-tungsaufgaben dar, bei deren Erledigung den Kommunen grereHandlungsspielrume erffnet sind. Zwar entscheidet der Gesetz-geber in einem Land oder im Bund ber die Ziele, wie etwa die Not-wendigkeit der Straenreinigung oder Abfallentsorgung. Wie dieKommune diese Zielsetzung realisiert, bleibt ihr weitgehend ber-lassen. Der Rat entscheidet in Abstimmung mit Brgermeister undVerwaltung beispielsweise darber, wie oft und von wem die Stra-en gekehrt werden. Die Durchfhrung knnen eigene Mitarbeiter,Fremdfirmen oder auch die privatisierten Stadtwerke bernehmen.Fr die Einwohner ist dabei besonders interessant, ob sie vielleichtsogar selbst den Besen schwingen mssen oder wie hoch stattdes-sen die von der Kommune erhobenen Gebhren sind.

    Den vergleichsweise grten Handlungsspielraum haben Stdteund Gemeinden jedoch bei den freiwilligen Selbstverwaltungsauf-gaben. Wie viele Museen eine Stadt hat und ob diese moderneKunst, historische Landmaschinen oder sptrmische Ausgra-bungsstcke ausstellen, liegt im Prinzip ganz im Ermessen derkommunalen Akteure. Der Rat trifft die Entscheidung ber dieseFragen. Der Brgermeister fhrt die Entscheidungen aus, versuchtaber natrlich im Vorfeld, durch eigene Vorschlge und mit Hilfeseiner politischen Kontakte zum Rat diese Entscheidungen in sei-nem Sinne zu beeinflussen ( Kapitel 5).

    Die Ausstattung einer Stadt mit Einrichtungen wie Schwimmbdern,Sportanlagen oder Jugendfreizeiteinrichtungen wurde in der Kommu-nalpolitik lange Zeit eher unter dem Gesichtspunkt der Lebensquali-tt oder einer gerechten Verteilung von Ressourcen im Stadtgebietdiskutiert. In Zeiten der Finanzknappheit stellt sich in vielen Regio-nen Deutschlands im Bereich der freiwilligen Aufgaben aber eher dieFrage, was sich eine Kommune heute berhaupt noch leisten kann.

  • 2.4 Der Brgermeister als Insolvenzverwalter? Die kommunale Finanzsitua-

    35

    2.4 Der Brgermeister als Insolvenzverwalter? Die kommunale Finanzsituation

    Der Handlungs- und Gestaltungsspielraum eines Brgermeistershngt ganz entscheidend von der Frage ab, welche finanziellen Hand-lungsspielrume im Kommunalhaushalt vorhanden sind. Im Prinzipsind neue Investitionen nur mglich, wenn die Kommune berschs-se erwirtschaftet. Wenn es aber um die kommunalen Finanzen geht,herrscht in der ffentlichen Debatte Alarmstimmung. Die Folgen sindin vielen Regionen Deutschlands zu spren, nicht nur dann, wenn dieStraen nur noch ein Flickenteppich aus verfllten Schlaglchernsind.

    Eine Kommune gert in eine finanzielle Notsituation, wenn die Aus-gaben des Verwaltungshaushaltes die Einnahmen dauerhaft berstei-gen, z.B. wenn eine Kommune sehr hohe Ausgaben fr Sozialleistun-gen oder den Unterhalt von Sporteinrichtungen, Kindertagesstttenoder Museen hat, aber gleichzeitig geringe Einnahmen, v.a. bei Gewer-be- und Einkommensteuer. Dann bleiben keine berschsse mehr b-rig, aus denen notwendige Reparaturen oder neue Investitionenbezahlt werden knnen. Ganz im Gegenteil, die Fehlbetrge mssendann ber so genannte Kassenkredite ausgeglichen werden. Das ist so,als wenn ein privater Haushalt jeden Monat sein Girokonto berziehtund letztendlich von seinem Dispo-Kredit lebt, weil das Haushalts-einkommen nicht ausreicht, um Miete, Strom, Lebensmittel, Autound Kleidung zu finanzieren. Ist das aber jahre- oder jahrzehntelangso, steigen sowohl beim privaten Haushalt als auch bei der Kommunedie Fehlbetrge durch steigende Ausgaben und zustzliche Zinszah-lungen. Letztendlich fhrt das fr eine berschuldete Kommunedazu, dass die Kommunalaufsichtsbehrde des Landes noch genauerkontrolliert, fr was eine Kommune ihr Geld ausgeben will und in be-sonderen Fllen sogar verlangen kann, Ausgaben zu streichen. Die imPrinzip vorhandenen groen Handlungsspielrume gerade im Bereichder freiwilligen Aufgaben verwandeln sich dann in eine Verwaltungdes Mangels. Ein Brgermeister, der dann als eine Art Insolvenzver-walter die Krzungs- und Schlieungsbeschlsse des Rates ausfhrenmuss, wird bei seiner Brgerschaft nicht unbedingt beliebter.

    Von dieser Entwicklung sind jedoch nicht alle Kommunen inDeutschland gleichmig betroffen. In Nordrhein-Westfalen bei-spielsweise lag 2009 die Hhe der Kassenkredite umgerechnet pro

    FinanzielleHandlungs-spielrume

    Fehlbetrge

    RegionaleUnterschiede

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    36

    Einwohner bei 962 Euro, in Baden-Wrttemberg dagegen bei nur 20Euro (Holtkamp 2011, 16). Daraus lsst sich schlieen, dass es in Ba-den-Wrttemberg wesentlich weniger Kommunen mit Haushaltspro-blemen gibt als in Nordrhein-Westfalen. Aber auch dort gibt esKommunen ohne Verschuldungsproblematik, z.B. die Stadt Dssel-dorf, die zurzeit keine Kassenkredite braucht.

    2.5 Brgermeister, Parteien und Mehrheiten

    Ob ein Brgermeister sein Machtpotential in tatschlichen Einflussauf Entscheidungen umsetzen kann, wird stark von seiner eigenenparteipolitischen Bindung beeinflusst. Gerade im Verhltnis zum Rat,dessen Mitglieder in der Regel von Parteien und Whlergruppen auf-gestellt werden, spielt es eine wichtige Rolle, ob ein BrgermeisterParteimitglied ist und wie stark seine Partei in der Kommune ist.

    Wenn der Brgermeister Parteimitglied und seine Partei im Rat relativstark ist oder sogar eine absolute Mehrheit der Mandate hat, kann ihmdas Parteibuch eher helfen, die Politik der Kommune zu gestalten. Na-trlich muss auch eine solche Konstellation nicht immer harmonischsein, denn das gleiche Parteibuch fhrt noch lange nicht zur Einigkeitin allen Fragen und Zielen. Wenn die Partei des Brgermeisters im Rataber keine Mehrheit hat und andere Parteien oder Whlergruppen ge-meinsam die Politik gestalten, kann es fr ihn schwierig werden, sichdurchzusetzen. Aber auch eine solche Konstellation muss nicht im-mer konflikthaft sein, da der Brgermeister durch VerhandlungenMehrheiten fr seine Projekte beschaffen kann.

    Ist der Brgermeister kein Parteimitglied, was in manchen Lnderneher die Regel als die Ausnahme ist, kann er sich hingegen als Br-germeister aller Brger profilieren und unabhngig von parteipoliti-schen Zielen die Rolle des Moderators in der Kommunalpolitikbernehmen, der sich im Rat fr seine Projekte Mehrheiten sucht.

    Ob es zu Konflikten zwischen Ratsmehrheit und Brgermeisterkommt, hngt auch von der Einstellung der beteiligten Akteure ab. InDeutschland ist eine konsensorientierte Einstellung der kommunalenAkteure weit verbreitet. Parteienstreit ist verpnt, denn wenn der Ka-naldeckel klappert, muss er befestigt werden. Und dazu muss nie-mand zuerst das Parteiprogramm lesen. Diese Konsensorientierung

    Parteimitglied-schaft des Br-

    germeisters?

    Konsens-orientierung

    in der Kommu-nalpolitik

  • 2.6 Der Kontakt zum Brger

    37

    kann dem Brgermeister dabei helfen, seine zentrale Position zu ent-falten, ob mit oder ohne Parteibuch.

    2.6 Der Kontakt zum Brger

    Aus Sicht der Brgerschaft ist der Brgermeister eindeutig die zentra-le Figur in der Kommunalpolitik. Der Brgermeister einer Kommuneist in der Regel der bekannteste Kommunalpolitiker, in greren Std-ten sogar hufig der einzige Kommunalpolitiker, der den Brgerinnenund Brgern namentlich bekannt ist. Das hat verschiedene Grnde.

    Durch die unmittelbare Wahl bietet sich bereits den Kandidatinnenund Kandidaten im Wahlkampf einige Wochen eine groe Bhne, aufder sie stndig auf Wahlplakaten, bei Veranstaltungen und in den Lo-kalmedien prsent sind. Ist die Wahlentscheidung gefallen, bietensich einem Brgermeister im Amt vielfltige Mglichkeiten, sich zuprofilieren und in den lokalen Medien zu prsentieren. Besuche beiVereinen, Volksfesten, oder bei Seniorengeburtstagen bieten ihm ge-rade in kleineren Gemeinden die Gelegenheit, mit einer groen Zahlseiner Brgerinnen und Brger direkt in Kontakt zu kommen. Keinemanderen Kommunalpolitiker erffnen sich diese umfangreichen Mg-lichkeiten, sich zu prsentieren und Einfluss zu nehmen. Brgermeis-ter wollen nicht nur ihre Whlerschaft pflegen; der Umgang mitMenschen ist fr sie von vornherein ein wichtiges Motiv zur Amts-bernahme. Und das kommt an. Eine reprsentative Befragung ausdem Jahr 2008 ergab auch, dass 78% der Brgerinnen und Brger inDeutschland mit dem Brgermeister ihrer Gemeinde sehr zufriedenbzw. zufrieden sind, nur 16% waren (sehr) unzufrieden. 8% konntendie Frage nicht beantworten (Bertelsmann Stiftung 2008, 63).

    Der Brgerdialog bzw. der direkte Kontakt mit den Brgern gewinntangesichts der in den letzten Jahren zu verzeichnenden Protestaktio-nen sog. Wutbrger zunehmend an Bedeutung. Mit dem Wort desJahres 2010 bezeichnet man das Phnomen, dass zunehmend auchgut situierte, eher konservative Brgerinnen und Brger vehementund mit allen Mitteln des demokratischen Staates gegen Groprojekteprotestieren. Am konkreten Anlass entldt sich ihr allgemeiner Un-mut ber die da oben. Und er entldt sich dort, wo man sich amNchsten ist, in der Kommune. Zunehmend nutzt die Brgerschaft

    Brgermeisterals zentraleFigur

    Mglichkeitender Profilierung

    Wutbrger

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    38

    auch die Mglichkeiten der direkten Demokratie (Brgerbegehrenund Brgerentscheid), um gegen unliebsame Projekte vorzugehen( Kapitel 5). Erfolg ist vor allem dann beschieden, wenn Privatisie-rungen stdtischen Eigentums oder prestigetrchtige, aber teure Bau-projekte zu verhindern sind. Eine politische Niederlage in einersolchen Auseinandersetzung kann auch fr einen Brgermeister Fol-gen haben, da seine Chancen zur Wiederwahl dadurch beeintrchtigtwerden knnen.

    2.7 Wie viel Macht hat mein Brgermeister?

    Am Ende dieses Kapitels steht leider keine allgemeingltige Antwortauf die Frage, wie viel Macht ein Brgermeister hat. Aber es wurde an-hand der Kommunalverfassung und einiger wichtiger Rahmenbedin-gungen erlutert, wie das Machtpotential von Brgermeisterneinzuschtzen ist. Es spricht viel dafr, dass der Brgermeister eherder Starke Mann ist. Wenn man aber wissen will, wie gro dasMachtpotential eines bestimmten Brgermeisters ist, kann man seineStellung mit Hilfe der folgenden fnf Anhaltspunkte beschreiben undsich damit der Antwort auf die Frage nach den konkreten Handlungs-spielrumen annhern: Brgermeister-Profil:

    Bestimmte Eigenschaften des Brgermeisters sind wichtig fr dieEinschtzung seines Machtpotentials: berufliches Profil, v.a. Ver-waltungserfahrung, die Amtsdauer, Parteimitgliedschaft sowie dieKandidatur fr eine Partei, Wahlergebnis bei der letzten Brger-meisterwahl ( Kapitel 4).Die meisten Brgermeister stellen sich mit ihrem Lebenslauf aufder Internetseite ihrer Stadt vor. Vieles erfhrt man allerdings imWahlkampf, da bei Direktwahlen die persnlichen Eigenschaftenund Kompetenzen besonders herausgestellt werden.

    Kommunalverfassung:Je nach Land kann anhand der Abbildung 5 das Machtpotential er-mittelt werden. Es empfiehlt sich aber auch, die Gemeindeordnungund ggf. die Hauptsatzung der interessierenden Kommune zu le-sen, da dort weitere vom Rat auf den Brgermeister bertrageneKompetenzen aufgefhrt sein knnen.Die Gemeindeordnung kann bei der Landeszentrale fr politische

    Macht-potential:

    fnf Anhalts-punkte

  • 2.8 Zusammenfassung

    39

    Bildung eines Landes bestellt oder auf der Internetseite des jewei-ligen Innenministeriums abgerufen werden. Die Hauptsatzung ei-ner Kommune kann in der Regel ebenfalls auf der Internetseite derKommune heruntergeladen werden.

    Rat:Wie erlutert wurde, muss sich der Brgermeister seine Macht mitdem Rat teilen, mal mehr und mal weniger. Besonders die Mandats-verteilung und damit die Frage nach der Mehrheit ist im Zusam-menhang mit der Parteimitgliedschaft des Brgermeisters vonBedeutung. Auch diese Informationen werden auf der Internetseiteeiner Kommune zur Verfgung gestellt. Ob es allerdings Koalitio-nen zwischen Parteien und Whlergruppen im Rat gibt, kann ei-gentlich nur mit Hilfe der lokalen Presse erschlossen werden.

    Profil der Stadt oder Gemeinde:Die Gre der Stadt oder Gemeinde und damit verbunden der Sta-tus (kreisfrei/kreisangehrig) gibt Aufschluss ber die zu erledi-genden Verwaltungsaufgaben und die damit verbundenen Hand-lungsspielrume.

    Finanzsituation:Ob eine Gemeinde berschuldet ist, oder noch ausreichenden fi-nanziellen Spielraum besitzt, kann der Lokalzeitung entnommenwerden. Jedes Jahr, wenn die Haushaltsberatungen anstehend,wird in der Regel ber die kommunale Finanzsituation berichtet.Darber hinaus gibt es Internetseiten wie den Wegweiser Kommu-ne (www.wegweiser-kommune.de). Dort knnen fr alle Stdteund Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern Daten ber diekommunale Finanzsituation eingesehen werden. Auerdem be-steht die Mglichkeit, Stdte zu vergleichen.

    2.8 Zusammenfassung

    Brgermeister haben Macht im Sinne von Entscheidungskompe-tenzen und Handlungsspielrumen. Macht erffnet Brgermeis-tern die Mglichkeiten zur Gestaltung ihrer Kommune.

    Die Kommunalverfassungen der Bundeslnder setzen den Rahmender kommunalen Selbstverwaltung. Sie stellen die Spielregeln frBrgermeister, Rat und Brger auf.

  • 2. Starker Mann oder Gr-Gott-August

    40

    Aber auch bei verschiedenen kommunalen Aufgaben gibt es unter-schiedliche Handlungsspielrume und damit Gestaltungsmglich-keiten. Auch die Rahmenbedingungen (z.B. Gre und Status einerKommune und die Haushaltssituation) haben Einfluss auf die Ge-staltungsmglichkeiten.

    Wie viel Macht ein Brgermeister hat, hngt vom Brgermeister-profil, der jeweiligen Kommunalverfassung, der Ratsmehrheit inder Kommune, dem Profil und der Finanzsituation einer Stadt ab.

  • 3.1 Welche Spielregeln gelten bei Brgermeisterwahlen?

    41

    3.Direktwahlen Wie wird man Brgermeister?

    Brgermeister werden nicht von Jurys gecastet oder von Headhuntern ge-sucht, sondern von der wahlberechtigten Bevlkerung ihrer Stadt oder Ge-meinde unmittelbar gewhlt. In Deutschland kmmern sich in erster LinieParteien oder Whlergruppen um die Auswahl geeigneter Kandidatinnenund Kandidaten, damit die Whlerschaft aus einem mehr oder weniger gro-en Angebot den Besten oder die Beste aussuchen kann. Das folgende Ka-pitel widmet sich diesem spannenden Prozess. Nachdem zuerst die wichtigs-ten Spielregeln bei Brgermeisterwahlen vorgestellt werden, folgt dieDarstellung in drei Schritten dem chronologischen Ablauf einer Brgermeis-terwahl: vor der Wahl, am Wahltag und nach der Wahl.

    3.1 Welche Spielregeln geltenbei Brgermeisterwahlen?

    Wahlen sind Techniken zur Bildung von Kperschaften wie z.B. demRat oder zur Bestellung von Personen in ein Amt, z.B. des Brgermeis-ters (Nohlen 1998, 711). Rat und Brgermeister herrschen stellvertre-tend fr die Brgerinnen und Brger in der Kommune. Mit Hilfe vonWahlen wird Personen Macht auf Zeit verliehen und ihre Machtaus-bung legitimiert ( Kapitel 2). Macht kann in einer Demokratie aberauch wieder entzogen werden, denn Wahlen finden regelmig stattund bei einer folgenden Brgermeisterwahl knnen wieder andereKandidaten mit unterschiedlichen Themenangeboten gewhlt wer-den. Ein vor der Wahl festgelegtes Wahlsystem mit nachvollziehbarenRegeln sorgt dafr, dass die Whlerinnen und Whler sich frei zwi-schen konkurrierenden Themen- und Personalangeboten entscheidenknnen. Auerdem wird festgelegt, wer seine Stimme abgeben (akti-ves Wahlrecht) und wer sich zur Wahl stellen darf (passives Wahl-recht).

    In sehr kleinen Gemeinden mag es vorstellbar sein, dass die Brger-schaft im Rahmen einer Gemeindeversammlung basisdemokratischalle wichtigen Entscheidungen des Gemeinwesens selbst treffen

    Funktionvon Wahlen

  • 3. Direktwahlen Wie wird man Brgermeister?

    42

    knnte. In Deutschland ist es aber aufgrund der Anzahl und Kom-plexitt der in der Kommunalpolitik zu treffenden Entscheidungendie Regel, dass die Brgerinnen und Brger Vertreter whlen, diediese Aufgabe fr sie bernehmen. In genau definierten Ausnahme-fllen kann die Brgerschaft aber auf der kommunalen Ebene dieEntscheidungskompetenz in Sachfragen an sich ziehen und in ei-nem Brgerentscheid einzelne Sachfragen wieder selbst entscheiden( Kapitel 5).

    Fr Wahlen auf der kommunalen Ebene, also auch bei Brgermeister-wahlen, gelten dieselben Grundstze wie bei allen anderen Wahlen inDeutschland. Kommunalwahlen mssen laut Artikel 28 des Grundge-setzes folgende Grundstze erfllen: Allgemeine Wahl: Unabhngig von Einkommen und Besitz, Ge-

    schlecht, Herkunft, politischer berzeugung oder Religion sindalle Einwohner einer Kommune wahlberechtigt, die bestimmteMindestvoraussetzungen erfllen. Dazu gehren fr das aktiveWahlrecht bei Brgermeisterwahlen ein Mindestalter von 18, inwenigen Lndern von 16 Jahren, die deutsche Staatsbrgerschaftoder die Staatsbrgerschaft eines Mitgliedslandes der Europi-schen Union und ein Wohnsitz in der Kommune.

    Unmittelbare Wahl: Die Whlerin oder der Whler gibt seine Stim-me direkt einem Brgermeisterkandidaten. Es sind keine Gremienoder Mittlerpersonen dazwischen geschaltet wie z.B. ein Wahl-mnnergremium bei Prsidentschaftswahlen in den VereinigtenStaaten von Amerika.

    Freie Wahl: Die Stimmabgabe soll Ergebnis einer freien Entschei-dung der Whlerin oder des Whlers fr einen Brgermeisterkan-didaten sein und nicht durch Bedrohung oder Zwang beeinflusstsein. Die Freiheit der Wahl beinhaltet auch, dass Whler nicht aneiner Wahl teilnehmen mssen.

    Gleiche Wahl: Jede Whlerin und jeder Whler hat bei Brgermeis-terwahlen eine Stimme. Jede bei einer Wahl tatschlich abgegebenegltige Stimme hat das gleiche Gewicht fr die Ermittlung desWahlergebnisses.

    Geheime Wahl: Die Abgabe der Stimmen muss so organisiert sein,dass nach der Wahl nicht nachvollzogen werden kann, wer wel-chen Kandidaten gewhlt hat. Das Wahlgeheimnis schtzt Whle-rinnen und Whler davor, nach einer Wahl wegen ihrerWahlentscheidung bedroht oder bestraft zu werden.

    Wahlrechts-grundstze

  • 3.1 Welche Spielregeln gelten bei Brgermeisterwahlen?

    43

    Das Wahlrecht umfasst alle eine Brgermeisterwahl betreffendenrechtlichen Grundlagen; abgesehen von Artikel 28 des Grundgesetzessind dies in der Regel die entsprechenden Artikel der Landesverfas-sung, die Gemeindeordnung, das Kommunalwahlgesetz und dieKommunalwahlordnung eines Landes. Das Wahlrecht bei Brger-meisterwahlen ist Lndersache, daher gibt es in den 13 Lndern inDeutschland auch eine groe Vielfalt an gesetzlichen Regelungen imDetail. Die Regelungen des Kommunalwahlrechtes werden vomLandtag beschlossen, die Kommunen haben darauf keinen unmittel-baren Einfluss.

    Das Wahlsystem im engeren Sinne enthlt die Spielregeln und Ver-fahren bei Brgermeisterwahlen, vom passiven Wahlrecht, ber Kan-didatur, Stimmgebung und Stimmverrechnung bis hin zur Wahlergeb-nisfeststellung. Im Folgenden werden Kernelemente des Wahlsystemsbei Brgermeisterwahlen in Deutschland dargestellt, ohne jedoch aufsmtliche Unterschiede zwischen den Lnderregelungen eingehen zuknnen. Ein vollstndiger berblick ber die wesentlichen Elementebefindet sich in bersicht 3 im Anhang. Passives Wahlrecht: Ein Brgermeisterkandidat muss die deutsche

    oder eine Staatsbrgerschaft eines Mitgliedslandes der Europi-schen Union besitzen. Es ist nicht notwendig, dass er in der Kom-mune seiner Kandidatur wohnt, damit auch qualifizierte auswrti-ge Bewerber eine Chance haben. Eine Kandidat oder eineKandidatin braucht fr ihre oder seine Bewerbung keine besonde-ren beruflichen Qualifikationen wie ein Jurastudium o.. nachzu-weisen. Das mag auf den ersten Blick verwundern, da fr dieLeitung einer Kommunalverwaltung bestimmte berufliche undpersnliche Qualifikationen eigentlich notwendig sind. Die Lan-desgesetzgeber haben aber bewusst darauf verzichtet, Qualifikati-onsvoraussetzung zu definieren, da mit Blick auf die Chancen-gleichheit der Zugang zu einem demokratisch gewhlten Amtmglichst wenig eingeschrnkt werden sollte. Man kann aber da-von ausgehen, dass die beruflichen und persnlichen Qualitteneines Kandidaten bei der Wahlentscheidung der Brgerschaft ne-ben anderen Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Hinsichtlich desMindest- und Hchstalters fr eine Kandidatur gibt es groe Unter-schiede zwischen den Lndern. Die untere Altersgrenze liegt zwi-schen 18 (Mecklenburg-Vorpommern) und 27 Jahren (Schleswig-Holstein). In allen Lndern auer Mecklenburg-Vorpommern istdie untere Altersgrenze beim passiven Wahlrecht von der unteren

    Wahlrecht undWahlsystem

  • 3. Direktwahlen Wie wird man Brgermeister?

    44

    Altersgrenze des aktiven Wahlrechts abgekoppelt worden. Die Lan-desgesetzgeber waren wohl der Auffassung, dass ein Mindestmaan Lebenserfahrung fr die bernahme des Brgermeisteramtesdienlich sei. Dass zu viel Lebenserfahrung auch nicht erwnschtist, zeigen dagegen die Regelungen zur oberen Altersgrenze. Sieliegt bei 60 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern, in den meistenanderen Lndern jedoch bei 65 Jahren. In Nordrhein-Westfalen gibtes seit 2007 keine obere Altersgrenze bei Kandidaturen mehr.

    Kandidatur/Nominierung: Hier lassen sich grundstzlich zwei For-men der Bewerbung unterscheiden: die Kandidatur als Einzelbe-werber und die Nominierung durch eine Partei oder Whlergrup-pe. Einzelbewerber mssen um einen gewissen Rckhalt fr ihreKandidatur nachzuweisen Untersttzungsunterschriften vonWahlberechtigten der Gemeinde ihrer Kandidatur sammeln, derenZahl in der Regel nach der Gre der Gemeinde gestaffelt ist. Un-terschreiben drfen wahlberechtigte Brgerinnen und Brger, diein der Gemeinde der Kandidatur ihren Wohnsitz haben. WennAmtsinhaber als Einzelbewerber antreten, brauchen sie in der Re-gel keine Untersttzungsunterschriften, da sie durch ihren zurck-liegenden Wahlsieg bereits den ntigen Rckhalt nachgewiesenhaben. Kandidaten von Parteien oder Whlergruppen mssen wh-rend eines bestimmten Zeitraumes vor dem Wahltermin von einerDelegierten- oder Mitgliederversammlung der Partei oder Whler-gruppe gewhlt worden sein. Wenn eine Partei oder Whlergruppenoch nicht im Rat oder im Landtag vertreten war, muss sie in derRegel wie Einzelbewerber Untersttzungsunterschriften vorwei-sen. In Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen knnenKandidaten auch von mehreren Parteien und/oder Whlergruppengemeinsam nominiert werden. Das ist im Vergleich zu anderen po-litischen Ebenen uerst ungewhnlich. Bei Bundestagswahlenbeispielsweise kann eine Kandidatin oder ein Kandidat nur von ei-ner Partei aufgestellt werden. Bei Brgermeisterwahlen wird diegemeinsame Kandidatur dem Umstand gerecht, dass vor allemkleinere Gruppierungen hufig keine eigenen Kandidaten aufstel-len, sondern den Kandidaten einer greren Partei untersttzen.Nur bei einer gemeinsamen Nominierung werden auf dem Stimm-zettel alle Parteien und Whlergruppen genannt, die einen Kandi-daten nominiert haben. Ohne gemeinsame Nominierung mssendie untersttzenden Gruppierungen mit viel Aufwand im Wahl-kampf ihre Anhnger auf ihren Kandidaten hinweisen.

  • 3.2 Was passiert vor der Wahl?

    45

    Stimmenverrechnung: Jeder Whler hat eine Stimme, die er einemKandidaten oder einer Kandidatin geben kann. Die Stimmen wer-den in den Stimmbezirken ausgezhlt und das Ergebnis an denWahlleiter gemeldet, der dann auf der Gemeindeebene das Gesamt-ergebnis ermittelt und feststellt, welcher Kandidat die Wahl ge-wonnen hat. In den meisten Lndern hat der Bewerber die Wahlgewonnen, der mehr als die Hlfte der abgegebenen gltigen Stim-men erhalten hat (absolute Mehrheit). Falls kein Bewerber in derHauptwahl die absolute Mehrheit der gltigen Stimmen erhaltenhat, findet in der Regel zwei Wochen nach der ersten Wahl eineStichwahl statt, in der die beiden Bewerber erneut gegeneinanderantreten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten ha-ben. Gewhlt ist der Bewerber, der in der Stichwahl die meistengltigen Stimmen erhalten hat. Nur in Sachsen und Baden-Wrt-temberg findet anstelle der Stichwahl ein neuer Wahlgang statt, indem alle alten Kandidatinnen und Kandidaten, aber auch neue Be-werber zur Wahl antreten knnen. Gewhlt ist dann der Bewerber,der im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hat (rela-tive Mehrheit).

    Amtszeit: Die Brgermeisterin oder der Brgermeister wird je nachLand fr eine Amtszeit von 6 bis 8 Jahren gewhlt. Damit ist dieAmtszeit des Brgermeisters in allen Lndern lnger als die Wahl-periode des Rates. In Mecklenburg-Vorpommern (79 Jahre) undSchleswig Holstein (68 Jahre) kann der Rat innerhalb gewisserGrenzen in der Hauptsatzung die Lnge der Amtszeit des Brger-meisters festlegen.

    3.2 Was passiert vor der Wahl?

    Eine der ersten Aufgaben bei der Vorbereitung einer Brgermeister-wahl liegt in der Festlegung des Wahltermins. Zwar ergibt sich aus derAmtszeit des Brgermeisters und den Regelungen des Wahlrechts einzeitlicher Korridor, in dem eine Wahl stattfinden muss. Das genaueDatum wird aber in den Lndern unterschiedlich bestimmt. In Baden-Wrttemberg z.B. legt der Rat das Datum fest, in Nordrhein-Westfalendagegen das Innenministerium. Erst wenn das Wahldatum bekanntist, knnen verschiedene wahlrelevante Fristen festgelegt werden,beispielsweise fr die Kandidatennominierung oder die Eintragungvon Whlerinnen und Whlern ins Whlerverzeichnis.

    Organisatori-sche Vor-bereitungen

  • 3. Direktwahlen Wie wird man Brgermeister?

    46

    Brgermeisterwahlen knnen gleichzeitig mit anderen Wahlen statt-finden. So ist eine Koppelung beispielsweise mit Europawahlendurchaus erwnscht, um die Kosten der Wahlen durch Synergieeffek-te zu senken oder um die Wahlbeteiligung zu heben. Wissenschaftlichgesehen ist die Zusammenlegung von Brgermeisterwahlen aberdurchaus umstritten, da sich die Wahlmotivationen der Whlerschaftje nach Wahlebene sehr unterscheiden knnen. Besonders gravierendsind diese Unterschiede zwischen Bundestagswahlen und Brger-meisterwahlen. Wenn diese zusammengelegt werden, ist es sehrwahrscheinlich, dass die berwiegend an Parteiprferenz und aktuel-len Themen der Bundespolitik orientierte Wahlentscheidung bei Bun-destagswahlen stark abfrbt auf die Stimmgebung bei Brgermeis-terwahlen. Das kann zur Folge haben, dass Kandidaten ins Amtkommen, die bei nicht gekoppelten Brgermeisterwahlen wenigerChancen gehabt htten, oder Brgermeister abgewhlt werden, diesonst ihre Posten behalten htten.

    Bei Wahlen ist in der Regel der Leiter der KommunalverwaltungWahlleiter. Der Wahlleiter ist fr die Organisation und berwachungder Wahlen zustndig. Bei Brgermeisterwahlen stellt sich jedoch dasProblem, dass der amtierende Brgermeister hufig selbst wieder zurWahl antritt. In diesem Fall muss er sich in der Rolle des Wahlleitersvertreten lassen, damit nicht der Verdacht aufkommt, dass er die Po-sition des Wahlleiters nutzt, um seine eigenen Chancen zu verbessern,indem er z.B. aussichtsreiche Kandidaten nicht zur Wahl zulsst. DieVertretung bernimmt in der Regel sein Vertreter als Verwaltungslei-ter, in greren Kommunen kann dies aber auch der Leiter des Wahl-amtes sein.

    Wenn der amtierende Brgermeister wieder zur Wahl antritt, prgtdies in einschneidender Weise die gesamte Wahl. Denn der Brger-meister ist kein Kandidat wie jeder andere. Als Amtsinhaber hat er inden meisten Fllen einen Amtsbonus. Der Amtsbonus verschafft demBrgermeister in zwei auch fr den Wahlkampf wichtigen Bereicheneinen nur schwer aufzuholenden Vorsprung vor anderen Kandidaten. Informationsvorsprung: Als Verwaltungsleiter hat er eine ausge-

    prgte Kenntnis der wichtigsten Verwaltungsvorgnge und auchwhrend des Wahlkampfes Zugriff auf alle relevanten Informatio-nen aus der Verwaltung.

    Bekanntheitsgrad: Seine Reprsentationspflichten als Stadtober-haupt geben ihm die Mglichkeit, sich ber seine gesamte Amtszeit

    Kandidaturdes Amts-

    inhabers

  • 3.2 Was passiert vor der Wahl?

    47

    hinweg bei mglichst vielen Anlssen zu zeigen und mit Brgerin-nen und Brgern unmittelbar ins Gesprch zu kommen. Auch wh-rend des Wahlkampfes nutzen Brgermeister die Mglichkeitenffentlicher Auftritte gern, auch wenn das von den Gegenkandida-ten hufig kritisiert wird. Denn nicht wenige Brgermeister sorgendafr, dass whrend des Wahlkampfes prestigetrchtige Reprsen-tationstermine stattfinden, wie z.B. die Erffnung des neuen Br-gerhauses oder eines Gewerbegebietes (vgl. Wissmann/Wissma