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Bundesgesundheitsbl 2013 · 56:1448–1459 DOI 10.1007/s00103-013-1836-9 Online publiziert: 25. September 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Bekanntmachung des Umweltbundesamtes Richtwerte für Naphthalin und Naphthalin-ähnliche Verbindungen in der Innenraumluft Mitteilung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der Obersten Landesgesundheitsbehörden Vorbemerkung Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraum- richtwerte hatte vor 10 Jahren die gesund- heitlichen Wirkungen einer inhalativen Exposition gegenüber Naphthalin bewer- tet und erstmals Richtwerte für Naphtha- lin in der Innenraumluft abgeleitet [1]. In der Zwischenzeit ist eine Reihe neuer Stu- dien, insbesondere im Niedrigdosisbe- reich sowie zum Wirkungsmechanismus von Naphthalin, erschienen. Mit dieser Fortschreibung soll der aktuelle Kennt- nisstand zu Naphthalin berücksichtigt werden. Naphthalin ist im europäischen Ge- fahrstoffrecht als krebsverdächtig (Karz. 2) eingestuft [2]. Nach dem fort- geschriebenen Basisschema [3] kön- nen Richtwerte auch für krebsverdächti- ge Stoffe in der Innenraumluft abgeleitet werden, wenn ein Wirkungsmechanis- mus vorliegt, der einen Schwellenwert für den empfindlichsten toxischen Endpunkt begründet. Diese Voraussetzung trifft für Naphthalin zu. Nach übereinstimmender Auffassung internationaler und nationaler Gremien [4, 5, 6, 7, 8] stellt die zytotoxisch entzündliche Wirkung im nasalen Gewe- be der Ratte die empfindlichste Wirkung von Naphthalin dar. Diese Wirkung tritt bei einer Konzentration auf, die um mehr als eine Größenordnung unterhalb der bei der Ratte beobachteten krebserzeugenden Wirkungskonzentration von Naphthalin liegt. Angesichts des Fehlens belastbarer Humandaten geht auch die Ad-hoc-Ar- beitsgruppe für ihre Ableitung von Richt- werten für Naphthalin in der Innenraum- luft weiterhin von diesem Endpunkt aus. Im Rahmen einer gesundheitlichen Bewertung ausgewählter Verunreinigun- gen der Innenraumluft hatte die Weltge- sundheitsorganisation Ende 2010 erstmals auch einen Leitwert für Naphthalin in der Innenraumluft veröffentlicht [7]. Fest- gelegt wurde ein Jahresmittelwert von 0,01 mg Naphthalin/m 3 . Mit dieser Fort- schreibung soll auch geprüft werden, ob diese Empfehlung der Weltgesundheits- organisation zu Naphthalin in das deut- sche Verfahren zur Ableitung von Richt- werten [3] übertragen werden kann. Systematische Messungen der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass beim Vor- kommen des bizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffs Naphthalin in der In- nenraumluft auch mit dem Auftreten wei- terer bizyklischer und trizyklischer aro- matischer Kohlenwasserstoffe zu rech- nen ist. Diese Verbindungen werden von der Ad-hoc-Arbeitsgruppe im Folgenden unter der Bezeichnung „Naphthalin-ähn- liche Verbindungen“ zusammengefasst. Angesichts des Vorkommens und des to- xikologischen Kenntnisstands stellt Naph- thalin die Leitsubstanz für diese Stoff- gruppe dar. 1 Stoffidentifizierung [7] Systematischer Name: Naphthalin Synonyme: Naphthalen CLP-Index-Nr.: 601-052-00-2 EG-Nummer: 202-049-5 CAS-Nummer: 91-20-3 Summenformel: C 10 H 8 Strukturformel: Umrechnung (bei 20°C und 1013 hPa): 1 ml/m 3 =5,3 mg/m 3 ; 1 mg/m 3 = 0,19 ml/m 3 2 Exposition 2.1 Innenraumluft Die Verwendung von Naphthalin und mögliche Quellen einer Exposition gegen- über Naphthalin in der Innenraumluft sind in der vorangegangenen Veröffent- lichung zu Richtwerten für Naphthalin [1] dargestellt worden. Neben Tabakrauch und anderen Verbrennungsprodukten geben vor allem teerhaltige Bauproduk- te (in Feuchtesperren, Dachpappen, Kle- bern oder Anstrichen mit Teer oder Kar- bolineum) oder erhitzte Naturdämmstof- 1448 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013 Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

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Bundesgesundheitsbl 2013 · 56:1448–1459DOI 10.1007/s00103-013-1836-9Online publiziert: 25. September 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Bekanntmachung des Umweltbundesamtes

Richtwerte für Naphthalin und Naphthalin-ähnliche Verbindungen in der Innenraumluft

Mitteilung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Kommission Innenraumlufthygiene und der Obersten Landesgesundheitsbehörden

Vorbemerkung

Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraum-richtwerte hatte vor 10 Jahren die gesund-heitlichen Wirkungen einer inhalativen Exposition gegenüber Naphthalin bewer-tet und erstmals Richtwerte für Naphtha-lin in der Innenraumluft abgeleitet [1]. In der Zwischenzeit ist eine Reihe neuer Stu-dien, insbesondere im Niedrigdosisbe-reich sowie zum Wirkungsmechanismus von Naphthalin, erschienen. Mit dieser Fortschreibung soll der aktuelle Kennt-nisstand zu Naphthalin berücksichtigt werden.

Naphthalin ist im europäischen Ge-fahrstoffrecht als krebsverdächtig (Karz. 2) eingestuft [2]. Nach dem fort-geschriebenen Basisschema [3] kön-nen Richtwerte auch für krebsverdächti-ge Stoffe in der Innenraumluft abgeleitet werden, wenn ein Wirkungsmechanis-mus vorliegt, der einen Schwellenwert für den empfindlichsten toxischen Endpunkt begründet. Diese Voraussetzung trifft für Naphthalin zu. Nach übereinstimmender Auffassung internationaler und nationaler Gremien [4, 5, 6, 7, 8] stellt die zytotoxisch entzündliche Wirkung im nasalen Gewe-be der Ratte die empfindlichste Wirkung von Naphthalin dar. Diese Wirkung tritt bei einer Konzentration auf, die um mehr als eine Größenordnung unterhalb der bei der Ratte beobachteten krebserzeugenden

Wirkungskonzentration von Naphthalin liegt. Angesichts des Fehlens belastbarer Humandaten geht auch die Ad-hoc-Ar-beitsgruppe für ihre Ableitung von Richt-werten für Naphthalin in der Innenraum-luft weiterhin von diesem Endpunkt aus.

Im Rahmen einer gesundheitlichen Bewertung ausgewählter Verunreinigun-gen der Innenraumluft hatte die Weltge-sundheitsorganisation Ende 2010 erstmals auch einen Leitwert für Naphthalin in der Innenraumluft veröffentlicht [7]. Fest-gelegt wurde ein Jahresmittelwert von 0,01 mg Naphthalin/m3. Mit dieser Fort-schreibung soll auch geprüft werden, ob diese Empfehlung der Weltgesundheits-organisation zu Naphthalin in das deut-sche Verfahren zur Ableitung von Richt-werten [3] übertragen werden kann.

Systematische Messungen der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass beim Vor-kommen des bizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffs Naphthalin in der In-nenraumluft auch mit dem Auftreten wei-terer bizyklischer und trizyklischer aro-matischer Kohlenwasserstoffe zu rech-nen ist. Diese Verbindungen werden von der Ad-hoc-Arbeitsgruppe im Folgenden unter der Bezeichnung „Naphthalin-ähn-liche Verbindungen“ zusammengefasst. Angesichts des Vorkommens und des to-xikologischen Kenntnisstands stellt Naph-thalin die Leitsubstanz für diese Stoff-gruppe dar.

1 Stoffidentifizierung [7]

Systematischer Name: NaphthalinSynonyme: NaphthalenCLP-Index-Nr.: 601-052-00-2EG-Nummer: 202-049-5CAS-Nummer: 91-20-3Summenformel: C10H8Strukturformel:

Umrechnung (bei 20°C und 1013 hPa): 1 ml/m3 =5,3 mg/m3; 1 mg/m3 = 0,19 ml/m3

2 Exposition

2.1 Innenraumluft

Die Verwendung von Naphthalin und mögliche Quellen einer Exposition gegen-über Naphthalin in der Innenraumluft sind in der vorangegangenen Veröffent-lichung zu Richtwerten für Naphthalin [1] dargestellt worden. Neben Tabakrauch und anderen Verbrennungsprodukten geben vor allem teerhaltige Bauproduk-te (in Feuchtesperren, Dachpappen, Kle-bern oder Anstrichen mit Teer oder Kar-bolineum) oder erhitzte Naturdämmstof-

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fe (z. B. Kork) auch heute noch Anlass zu Beschwerden.

Zum Vorkommen von Naphthalin in der Luft von Wohnungen, Kindergärten, Schulen und Büroräumen in Deutschland liegen einige neuere Angaben (. Tab. 1) vor. Bis auf die repräsentative Studie aus dem Kinderumweltsurvey [9] erfolgten die Messungen zumeist anlassbezogen und nach einer mindestens 8 h zurück-liegenden Lüftung. Bei den in . Tab. 1 vorgestellten Messungen in niedersächsi-schen Schulen erfolgte in den letzten Jah-ren die Messung nach einem Nutzungs-zyklus mit regelhafter Lüftung (16 von 107 Messungen).

In den letzten Jahren ist eine Reihe von Geruchsproblemen in Bürogebäuden be-kannt geworden, die u. a. auf Naphthalin-Ausdünstungen aus teerhaltigen Boden-aufbauten zurückgeführt wurden. Verein-zelt zeigten sich Naphthalin-Ausdünstun-gen auch aus Kautschuk-Bodenbelägen, die (wie alle Bodenbeläge) für die Zulas-sung zur Verwendung in Innenräumen Angaben zum Emissionsverhalten vorle-gen müssen. In Einzelfällen, vor allem in Wohnungen, stammten auffällige Naph-thalin-Konzentrationen in der Innen-raumluft auch aus dem Gebrauch naph-thalinhaltiger Mottenkugeln.

Während in Deutschland die Ver-wendung naphthalinhaltiger Motten-kugeln seit Jahrzehnten rückläufig ist, wird Naphthalin als Haushaltsinsektizid in Südeuropa, in den USA sowie in den tropischen Zonen noch eingesetzt [7, 15] und gelegentlich nach Deutschland ein-geführt. Beispielsweise lag in einer aktuel-len Untersuchung von 288 Haushalten in Michigan (USA) der Median der Innen-raumluftkonzentration bei 1, das 95. Per-zentil bei 22 und der Maximalwert bei 556 μg Naphthalin/m3 [16]. In einer Stu-die in Bürogebäuden fanden sich 2006 in europäischen Büroräumen im Mit-tel 6,5 μg Naphthalin/m3 mit einem Ma-ximalwert von 11 μg/m3, während in Bü-roräumen in Singapur im Mittel 144 μg Naphthalin/m3 mit einem Maximalwert von 310 μg/m3 anzutreffen waren [17].

2.2 Innere Exposition

Eingeatmetes Naphthalin lässt sich im Körper zuverlässig anhand seiner Stoff-

wechselprodukte 1- und 2-Naphthol im Urin nachweisen [7]. Die Human-Bio-monitoring-Kommission nennt als Orien-tierungswerte für Nichtraucher <30 μg 1-Naphthol/l und <20 μg 2-Naphthol/l Urin [18]. Bei der Bewertung von Naph-thol-Konzentrationen im Harn ist zu be-achten, dass neben eingeatmetem Naph-thalin auch Naphthalin aus Lebensmitteln (in der Regel in geringem Maße) sowie aus der Verstoffwechslung von 1-Naph-thyl-N-methylcarbamat, einem Insekti-zid, oder von Naphthylsulfonsäure, das als Zuschlagsstoff für Zement und Gipskar-ton, Dispergiermittel und Gerbstoff ver-wendet wird, zur inneren Belastung bei-tragen kann [18].

3 Toxikokinetik

Die Resorptionsrate eingeatmeten Naph-thalins bei üblichen Konzentrationen in Innenräumen ist nicht bekannt. Bei einer Exposition von Ratten gegenüber 5 mg Naphthalin/m3 und einer Flussrate von 0,15 l/min betrug die Resorptionsrate im oberen Atemtrakt über 50%, gegenüber 53 oder 160 mg Naphthalin/m3 sank dieser Anteil auf 30% [19]. Zur Verteilung einge-atmeten Naphthalins im Körper des Men-schen liegen keine Angaben vor.

Wie in der vorangegangenen Veröf-fentlichung der Ad-hoc-Arbeitsgruppe [1] bereits dargestellt, bestehen zwischen Ratte, Maus und Mensch deutliche Unter-schiede in der enzymatischen Ausstattung der Gewebe im Atemtrakt, um eingeat-metes Naphthalin abzubauen [20]. Beim Menschen weist vor allem CYP2A13, aber auch CYP1A2 eine hohe Aktivität für die Oxidation von Naphthalin zu 1- und 2-Naphthol auf. CYP2A13 ist beim Men-schen vorwiegend im Atemtrakt angesie-delt und zeigt die höchste Aktivität in der Nasenschleimhaut [21].

Demgegenüber sind mit dem CYP2F2 bei der Maus und dem CYP2F4 bei der Ratte 2 Vertreter der CYP2F-Familie we-sentlich an der Oxidation von Naphthalin zum Napthalinepoxid beteiligt und damit für die lokale Toxizität von Naphthalin-Metaboliten im Atemtrakt von Nagetie-ren verantwortlich [20]. Bei Mäusen ver-ringerte eine Vorbehandlung mit einem CYP2F-Inhibitor (5-Phenylpentin-1) eine Schädigung des respiratorischen Epi-

thels auch in Anwesenheit von intaktem CYP1A1 und CYP1A2 [22]. Entsprechend blieben bei Cyp2f2-null-Mäusen nach Ga-be von Naphthalin toxische Wirkungen des Naphthalins weitgehend aus [23].

CYP2F2 und CYP2F4 sind inzwi-schen als strukturell ähnlich erkannt [24]. Beim Menschen konnte aus dieser Fami-lie nur das CYP2F1 und dieses bisher nur in der Lunge, aber nicht in nasalem Ge-webe nachgewiesen werden [25]. Aller-dings ist die enzymatische Aktivität von CYP2F1 gegenüber Naphthalin sehr ge-ring: In menschlichen lymphoblastoi-den Zellen exprimiertes CYP2F1 wies im Vergleich zum CYP2F2 in der Maus eine mehr als tausendfach niedrigere Umsatz-rate gegenüber Naphthalin auf [26]. Auch beim Rhesusaffen finden sich nur sehr ge-ringe Aktivitäten des CYP2F1 [27].

Als Schutzmechanismen vor toxischen Wirkungen des Naphthalins sind beim Menschen die schnellere Desaktivierung des Naphthalinepoxids und eine ausrei-chende Verfügbarkeit von Glutathion an-zusehen. Beim Mensch gelingt die enzy-matische Öffnung des Epoxidrings effek-tiver als bei der Maus [28]. In einer Unter-suchung an humanen TK6-Lymphoblas-ten verhinderte der Zusatz einer phy-siologischen Glutathion-Menge die Bil-dung von Mikrokernen in Naphthalin-exponierten Zellen [29].

Die kovalente Bindung von Naphtha-lin-Metaboliten an Proteine der Nasen-schleimhaut von Ratten oder Rhesusaf-fen oder des Lungengewebes von Mäusen unterscheidet sich dagegen nur wenig. In In-vitro-Untersuchungen mit 14C-Naph-thalin wiesen Rhesusaffen und Ratten ein ähnliches Ausmaß der Proteinbindung auf, im Lungengewebe der Maus fanden sich etwa doppelt so hohe Addukt-Kon-zentrationen [30].

Naphthalin wird überwiegend in Form seiner Stoffwechselprodukte in den Harn ausgeschieden. Die Elimination aus dem Blut erfolgt biphasisch. Als Halbwertzei-ten der Ausscheidung von 1-Naphthol beim Menschen werden 1–2 bzw. 14–46 h genannt [31].

Insgesamt lässt sich aus der bei der Maus spezifischen und im Vergleich zum Menschen stärker ausgeprägten metabo-lischen Aktivierung von Naphthalin bei gleichzeitiger geringerer Entgiftung der

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Stoffwechselprodukte eine geringe Rele-vanz der Ergebnisse der Untersuchungen an der Maus für den Menschen ableiten [7, 23, 32, 33]. Die in verschiedenen Über-sichten [7, 34] dargestellten und bewer-teten Ergebnisse von Wirkungsuntersu-chungen zu Naphthalin an der Maus wer-den deshalb hier nicht wiedergegeben.

4 Wirkungen

Belastbare Arbeitsplatzstudien oder be-völkerungsbezogene Untersuchungen zur Wirkung eingeatmeten Naphthalins beim Menschen fehlen nach wie vor. Für die gesundheitliche Bewertung einer inhala-tiven Exposition gegenüber Naphthalin werden deshalb Ergebnisse von Untersu-chungen an der Ratte herangezogen. Nach übereinstimmender Auffassung [4, 7, 8, 35] stellen zytotoxisch entzündliche Ver-änderungen im Geruchsepithel der Rat-te den kritischen Endpunkt dar. Aus In-vitro-Untersuchungen an nasalen Epithe-lien der Ratte ist bekannt, dass Naphtha-lin im olfaktorischen Epithel schneller als im respiratorischen Epithel verstoffwech-selt wird [36]. Diese höhere Aktivität wird auf die im Vergleich zum respiratorischen Epithel etwa 6-fach höheren Cytochrom-P450-Gehalte im olfaktorischen Epithel der Ratte zurückgeführt [37].

Zum Zeitpunkt der ersten Bewertung durch die Ad-hoc-Arbeitsgruppe [1] la-gen eine unveröffentlichte subakute und eine unveröffentlichte subchronische Stu-die an Ratten sowie eine chronische Stu-die an Ratten und Mäusen vor. Mit die-sen Studien konnte jedoch nicht die Frage beantwortet werden, ob der Schweregrad der in allen Studien beobachteten zytoto-xischen Wirkung eingeatmeten Naphtha-lins mit steigender Expositionsdauer zu-nehmen könnte [32]. In den letzten Jahren wurden deshalb weitere Studien durchge-führt, die dieser Fragestellung nachgegan-gen sind.

4.1 Wirkungen im Atemtrakt

Das Nasengewebe von Ratten erwies sich in einer neuen Studie als besonders emp-findlich gegenüber einer inhalativen Ex-position von Naphthalin: Nach einmaliger 6-stündiger Exposition gegenüber 0, 0,5, 1,6, 6, 60 oder 160 mg Naphthalin/m3 tra-

ten ab 6 mg/m3 bei fast allen Fischer 344 (F344)- und Sprague-Dawley (SD)-Rat-ten (jeweils 5 Tiere pro Stamm und Ge-schlecht) Nekrosen im olfaktorischen Epi-thel auf, bei einzelnen SD-Ratten auch be-reits bei 0,5 und 1,6 mg/m3. Nekrosen im respiratorischen Epithel wurden bei bei-den Rattenstämmen erst ab 60 mg Naph-thalin/m3 beobachtet. Bei dieser einmali-gen Exposition traten nur wenige Entzün-dungszellen auf [38].

Zur Wirkung eingeatmeten Naphtha-lins an Ratten nach subakuter Exposition liegen 2 Studien vor. In einer neuen Studie wurden jeweils 10 männliche oder weibli-che F344- oder SD-Ratten an 5 Tagen je-weils 6 h pro Tag gegenüber 0,5, 5 oder 50 mg Naphthalin/m3 exponiert; die Kon-trollgruppe umfasste jeweils 5 Tiere [38]. In der 0,5 mg/m3-Gruppe ergaben sich bei fast allen Tieren keine Veränderun-gen; lediglich 2 von 10 weiblichen SD-Rat-ten zeigten im olfaktorischen Epithel mi-nimale nekrotische Veränderungen (Stu-fe 1 auf der 5-stufigen Skala). In der 5 mg/m3-Gruppe wiesen alle weiblichen und fast alle männlichen Ratten minimale Ne-krosen (Stufe 1 einer 5-stufigen Skala) im olfaktorischen Epithel auf, in der 50 mg/m3-Gruppe Nekrosen in mäßiger Ausprä-gung (Stufe 3). Die nekrotischen Verände-rungen waren mit einer minimalen bis ge-ringen Einwanderung von Entzündungs-zellen verknüpft, eine schuppige Metapla-sie trat nicht auf. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den Erkenntnissen aus der unveröffentlichten, im europäischen Risikobewertungsbericht [39] als valide eingestuften 4-wöchigen Inhalationsstu-die (0, 5, 17, 55, 153, 372 mg Naphthalin/m3, 6 h/Tag, 5 Tage/Woche) an jeweils 5 männlichen oder weiblichen SD-Ratten, bei der sich ebenfalls bei 5 mg/m3 mini-male Veränderungen im olfaktorischen Epithel zeigten [40]. Erste Hypertrophien des respiratorischen Epithels fanden sich bei 55 mg/m3.

In einer neuen subchronischen Studie atmeten jeweils 10 männliche oder weibli-che F344-Ratten über 14 Wochen an 5 Ta-gen pro Woche und 6 h pro Tag 0, 0,5, 5, 53 oder 160 mg Naphthalin/m3 ein [41]. In der 5 mg/m3-Expositionsgruppe traten keine Veränderungen im olfaktorischen Epithel auf, während im respiratorischen Epithel aller Tiere minimale Hyperplasien

(Stufe 1,0) beobachtet wurden. Dies wurde in der subakuten Studie nicht gesehen. In der 53 mg/m3-Gruppe fanden sich im ol-faktorischen Epithel bei fast allen Tieren Nekrosen in geringer Ausprägung (Stu-fe 1,4–2), und im respiratorischen Epithel zeigten sich minimale schuppige Metapla-sien (8 von 10 Tieren mit Stufe 0,9).

Insgesamt waren die nekrotischen Schäden am olfaktorischen Epithel in der subchronischen Studie etwas schwä-cher ausgeprägt als in der subakuten oder akuten Studie bei denselben Konzen-trationen. Allerdings wurden in der sub-chronischen Studie nur F344-Ratten und nicht die gegenüber Naphthalin etwas empfindlicheren SD-Ratten untersucht. Auch diese Ergebnisse stehen im Ein-klang mit einer weiteren unveröffentlich-ten, im europäischen Risikobewertungs-bericht [39] ebenfalls als valide eingestuf-ten 13-wöchigen Inhalationsstudie (0, 11, 51 oder 306 mg Naphthalin/m3, 6 h/Tag, 5 Tage/Woche) an jeweils 10 männlichen oder weiblichen SD-Ratten, bei der im ol-faktorischen Epithel bei 11 mg/m3 gerin-ge nekrotische Veränderungen (Stufe 2) auftraten [42]. Veränderungen des respi-ratorischen Epithels zeigten sich ab 51 mg Naphthalin/m3.

In der bereits 2000 veröffentlich-ten chronischen Studie des US-ameri-kanischen Nationalen Toxikologie-Pro-gramms (US-NTP) an F344-Ratten über 105 Wochen (6 h/Tag, 5 Tage/Woche) gegenüber 0, 53, 160 oder 320 mg Naph-thalin/m3 wiesen fast alle Tiere bereits in der niedrigsten, aber im Vergleich mit den vorstehend genannten Studien rela-tiv hohen Dosisgruppe im nasalen olfak-torischen Epithel Atrophien, degenerati-ve Veränderungen, atypische Hyperpla-sien und chronische Entzündungen (Stu-fe 1,9–2,0) auf. Im respiratorischen Epithel zeigten sich eine minimale Degeneration, gering ausgeprägte Hyperplasien sowie bei etwa einem Drittel der Tiere schuppige Metaplasien (Stufe 1,6–2,1) [43, 44]. An-gesichts der beobachteten hohen Entzün-dungsrate wird angenommen, dass be-reits bei der untersten gewählten Konzen-tration die maximal tolerable Dosis über-schritten war [45].

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Zusammenfassung · Abstract

Bundesgesundheitsbl 2013 · 56:1448–1459   DOI 10.1007/s00103-013-1836-9© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Bekanntmachung des Umweltbundesamtes

Richtwerte für Naphthalin und Naphthalin-ähnliche Verbindungen in der InnenraumluftZusammenfassung

Zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung setzt die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraum-richtwerte der Kommission Innenraumluft-hygiene und der Obersten Landesgesund-heitsbehörden Richtwerte für die Innenraum-luft fest. Naphthalin ist ein potenziell flüchti-ger bizyklischer Kohlenwasserstoff mit einem Geruch nach Mottenkugeln. Verunreinigun-gen der Innenraumluft mit Naphthalin stam-men zumeist aus der Verwendung teerhalti-ger Bauprodukte, gelegentlich auch aus der Verwendung von Mottenkugeln. In Deutsch-land ist Naphthalin in der Luft der meisten In-nenräume, wenn überhaupt, nur in geringen Konzentrationen nachweisbar (Mediane um 0,001 mg/m3, 95. Perzentile bis 0,004 mg/m3). Zu den ebenfalls noch flüchtigen Naphthalin-ähnlichen Verbindungen zählen methylierte und dimethylierte Naphthaline sowie trizykli-sche aromatische Kohlenwasserstoffe wie Ace-naphthen, Acenaphthylen, Anthracen, Fluo-ren und Phenanthren. Obwohl Methyl- und Di-methylnaphthaline üblicherweise nur in ge-ringen Konzentrationen in der Innenraumluft vorkommen, wird vermutet, dass sie zum mot-tenkugelartigen Geruch beitragen. Die Kon-zentrationen an trizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen liegen in den meisten Fällen unter 0,001 mg/m3. Vor diesem Hinter-

grund wird Naphthalin als Leitsubstanz dieser Stoffgruppe in der Innenraumluft angesehen. Zur gesundheitlichen Wirkung eingeatmeten Naphthalins beim Menschen liegen keine be-lastbaren Daten vor. Tierexperimentell stellen zytotoxisch entzündliche Veränderungen im nasalen Epithel der Ratte den kritischen End-punkt dar. In einer subchronischen Inhala-tionsstudie an Ratten (Dodd et al., Inhal Toxicol 24:70–79, 2012) traten bei 5 mg Naphthalin/m3 marginale Effekte auf. Die Ad-hoc-Arbeits-gruppe leitet aus dieser Studie eine chroni-sche NAEC von 2,5 mg Naphthalin/m3 ab. Für die zeitliche Anpassung von 6 auf 24 h und 5 auf 7 Tage dient ein Faktor von 5,6, mit einem Faktor von 2 wird die Verwendung von F344-Ratten anstelle der empfindlicheren Sprague-Dawley-Ratten berücksichtigt. Mit einem Inter-speziesfaktor von 1 und einem Faktor von 10 für die interindividuelle Variabilität der Bevöl-kerung sowie einem Faktor von 2 wegen un-genügender Daten zur Wirkung von Naphtha-lin bei Kindern ergibt sich ein Richtwert I (Vor-sorgewert) in Höhe von 0,01 mg Naphthalin/m3. Als Richtwert II (Gefahrenwert) wird 0,03 mg Naphthalin/m3 festgelegt. Naphthalin ist in der Europäischen Union als krebsverdäch-tig eingestuft. Bei Ratten trat eine krebserzeu-gende Wirkung ab 53 mg/m3 auf (nasale ol-

faktorische Neuroblastome). Zuverlässige Hin-weise zu einer möglichen krebserzeugenden Wirkung von Naphthalin beim Menschen feh-len. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe ist der Auffas-sung, dass die genannten Richtwerte vor einer zytotoxisch entzündlichen Wirkung und da-mit auch vor einer langfristig möglichen krebs-erzeugenden Wirkung von Naphthalin hinrei-chend schützen, zumal die Studie von Meng et al. (Mutat Res 721:199–205, 2011) einen ersten Hinweis auf eine nicht primär gentoxische Wir-kung von Naphthalin gibt. Der Kenntnisstand zur gesundheitlichen Wirkung der Naphtha-lin-ähnlichen Verbindungen ist deutlich gerin-ger. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe empfiehlt, die für Naphthalin abgeleiteten Richtwerte vorläu-fig auch als Summenwert für die Gesamtgrup-pe der bi- und trizyklischen aromatischen Koh-lenwasserstoffe zu verwenden. Allerdings er-scheint eine Messung auf die trizyklischen Ver-bindungen in der Innenraumluft nur dann an-gemessen, wenn es sich um direkt emittieren-de Bauprodukte wie z. B. Asphaltbodenplat-ten handelt.

SchlüsselwörterNaphthalin · Innenraumluft · Zytotoxizität · Entzündung · NAEC · Richtwert

Indoor air guide values for naphthalene and naphthalene-like compoundsAbstract

The German Ad-hoc Working Group on Indoor Guidelines of the Indoor Air Hygiene Commit-tee and of the States' Supreme Health Author-ities is issuing indoor air guide values to pro-tect public health. Naphthalene is a potential-ly volatile two-ring hydrocarbon with a moth-ball-like odor. Indoor air contaminations usual-ly originate from tar-containing building prod-ucts, sometimes from the use of mothballs. In Germany, indoor air concentrations of naph-thalene are usually low, near the detection lim-it (medians of about 0.001 mg/m3, 95th per-centiles up to 0.004 mg/m3). Naphthalene-like volatile compounds have been defined to cov-er methyl- and dimethylnaphthalenes and tri-cyclic aromatic hydrocarbons (e.g., acenaph-thene, acenaphthylene, anthracene, fluorene and phenanthrene). Though methylnaphtha-lenes and dimethylnaphthalenes usually show low indoor air concentrations, they have been suspected to add to the mothball-like odor. Tri-cyclic aromatic hydrocarbons mostly occur be-low 0.001 mg/m3 of indoor air. Against this background naphthalene is seen to be the key component of this group of substances in in-

door air. No valid human data is available with respect to health effects of inhaled naphtha-lene. Based on animal data cytotoxic-inflam-matory lesions in the rat nasal epithelium are regarded as the critical endpoint. In a sub-chronic inhalation study in rats (Dodd et al., In-hal Toxicol 24:70–79, 2012), minimal effects were observed following an exposure to 5 mg naphthalene/m3. From this study the Ad-hoc Working Group derived a chronic NAEC of 2.5 mg naphthalene/m3. Time scaling was consid-ered by a factor of 5.6 extrapolating from 6 to 24 h and 5 to 7 days, a factor of 2 applied for the use of F344 rats instead of the more sen-sitive Sprague-Dawley rats. Incorporating an interspecies factor of 1, an intraspecies factor of 10 and a factor of 2 for insufficient data on the toxicity of naphthalene in children result-ed in a precautionary value of 0.01 mg naph-thalene/m3 and a hazard-based guide val-ue of 0.03 mg naphthalene/m3. In the Euro-pean Union, naphthalene has been classified as a suspected human carcinogen. In rats, car-cinogenicity (nasal olfactory neuroblastoma) was seen at 53 mg naphthalene/m3. In con-

trast no valid human data on carcinogenicity of naphthalene is available. The Ad-hoc Work-ing Group holds that the derived guide values sufficiently prevent cytotoxic-inflammatory ef-fects of naphthalene and consequently from its long-term impacts such as potential car-cinogenicity. This opinion is supported by a study of Meng et al. (Mutat Res 721:199–205, 2011) initially pointing to a missing prima-ry genotoxicity of naphthalene. Only few da-ta are available for health evaluation of naph-thalene-like compounds. Therefore, the in-door air guide values for naphthalene are rec-ommended by the Ad-hoc Working Group to be used as preliminary indoor air guide val-ues for the sum of bicyclic and tricyclic ar-omatic hydrocarbons, too. Indoor air mea-surement of tricyclic aromatic hydrocarbons should be restricted to the occurrence of di-rectly emitting building products such as as-phalt floor coverings.

KeywordsNaphthalene · Indoor air · Cytotoxicity · Inflammation · NAEC · Guide value

1451Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013 |

4.2 Kanzerogenität

Belastbare Humandaten zum Vorkom-men von Krebserkrankungen nach einer Exposition gegenüber Naphthalin liegen nicht vor [7, 34, 46]. In einer neuen Fall-Kontrollstudie wurde die Häufigkeit des Auftretens von Krebsfällen in den Atem-wegen und im Rachenbereich in Betrie-ben, in denen eine Exposition gegenüber Naphthalin möglich war, untersucht [47]. Nach Angaben der Gesundheitsabteilung des untersuchten Betriebes traten keine Nasentumoren in dem Betrieb auf.

In der im vorigen Abschnitt vorgestell-ten Langzeitstudie an F344-Ratten mit 0, 53, 160 oder 320 mg Naphthalin/m3 nahm bei den weiblichen Tieren die Anzahl an Neuroblastomen des olfaktorischen Epi-thels dosisabhängig zu (0/49, 2/49, 3/49, 12/49) und erreichte in der höchsten Do-sisgruppe Signifikanz. Die Neuroblasto-me traten erst spät auf, in der untersten Dosisgruppe kurz vor Studienende (nach 97 Wochen), in der mittleren und höchs-ten Dosisgruppe nach 69 bzw. 61 Wo-chen. Bei den männlichen Ratten traten nur vereinzelt (nicht signifikant) Neuro-blastome auf (0/49, 0/49, 4/48, 3/48) [43, 44]. Im respiratorischen nasalen Epithel rief Naphthalin keine Karzinome, son-dern vermehrt gutartige epitheliale Tu-

more (Adenome) hervor (m: 0/49, 6/49, 8/48, 15/49; w: 0/49, 0/49, 4/49, 2/49).

Auf der Grundlage dieser chronischen Inhalationsstudie an Ratten und unter der Annahme der gleichen Empfindlich-keit von Mensch und Ratte hatte die US-amerikanische Umweltbehörde in einem Entwurf von 2004 ein Risiko, nach le-benslanger Exposition gegenüber Naph-thalin an einem olfaktorischen Neuroblas-tom zu erkranken, in Höhe von 5×10−2 pro mg Naphthalin/m3 Luft abgeschätzt [48]. Angesichts der in Abschn. 3 dargestell-ten toxikokinetischen und -dynamischen Unterschiede in der Empfindlichkeit zwi-schen Ratte und Mensch gegenüber einge-atmetem Naphthalin stellt sich allerdings die Frage, ob die Annahme einer gleichen Empfindlichkeit von Mensch und Ratte gegenüber Naphthalin belastbar ist. Des-halb wurde die von der amerikanischen Umweltbehörde abgeschätzte vorläufige Risikohöhe anhand tatsächlich in der Be-völkerung auftretender nasaler Tumore überprüft [49]. Bei Verwendung der von der US-amerikanischen Umweltbehör-de geschätzten vorläufigen Risikokenn-zahl wäre in den USA jährlich mit etwa 65.900 Nasentumoren, davon etwa 29.000 olfaktorischen Neuroblastomen, zu rech-nen. Eine Auswertung epidemiologischer Register ergab jedoch, dass in den USA

zwischen 1973 und 2006 jährlich durch-schnittlich 910 nasale Tumore insgesamt bzw. davon 66 nasale Neuroblastome be-obachtet wurden. Diese Ergebnisse wei-sen darauf hin, dass die von der amerika-nischen Umweltbehörde verwendete An-nahme einer gleichen Empfindlichkeit von Mensch und Ratte gegenüber Naph-thalin zu einer Überschätzung des Krebs-risikos durch Neuroblastome um mehr als 2 Größenordnungen führt. Eine neue-re Abschätzung der amerikanischen Um-weltbehörde, die diese Kritik aufnimmt, liegt bisher nicht vor.

Laut einer Abschätzung des Ausschus-ses für Gefahrstoffe [46] betrüge bei An-nahme des Fehlens einer primären gen-toxischen Wirkung von Naphthalin bzw. seiner Metaboliten sowie eines sublinea-ren Risikoverlaufs ein mögliches Risiko von Beschäftigten, nach einer Naphthalin-Exposition über die Dauer eines Arbeits-lebens an gutartigen Tumoren des nasa-len respiratorischen Epithels zu erkran-ken, etwa 4×10−4 bei einer Naphthalin-Konzentrationen von 1 mg/m3 und etwa 4×10−5 bei 0,6 mg/m3. Bei einer entspre-chenden Abschätzung mit den Daten zu olfaktorischen Neuroblastomen läge das Risiko für Beschäftigte, an einem bös-artigen nasalen Tumor zu erkranken, mit 8×10−6 bei 0,5 mg Naphthalin/m3 etwas niedriger, aber um mehrere Größenord-nungen niedriger als von der US-amerika-nischen Umweltbehörde abgeschätzt [46].

4.3 Mutagenität

Naphthalin erwies sich in Standardtests an Prokaryozyten und Zellkulturen nicht als mutagen. DNA-Strangbrüche oder gestei-gerte DNA-Reparatur nach Naphthalin-Exposition wurden in menschlichen Lym-phozyten oder Rattenleberzellen nicht be-obachtet. In kultivierten Eierstockzellen des Chinesischen Hamsters beobachtete Chromosomenaberrationen und eine In-duktion von Mikrokernen wurden als Fol-ge einer zytotoxischen Wirkung reaktiver Naphthalin-Metaboliten angesehen. Ins-gesamt sprechen die vorliegenden Daten nicht für eine primäre gentoxische Wir-kung von Naphthalin [7, 46, 50].

Naphthalin und seine Metaboliten Naphthol, Naphthadiole und 1,2-Naph-thochinon bilden depurinierende DNA-

Tab. 1  Konzentration von Naphthalin in der Innenraumluft von Wohnungen, Kindertages-stätten, Schulen und Büroräumen in Deutschland

Innenraum/Zeitraum

N BG (μg/m3)

N > BG (% >BG)

Median (μg/m3)

95. Per-zentile (μg/m3)

Maxi-mum (μg/m3)

Litera-tur

Wohnungen 2003–2006

555 1 38 (7) <1 1,2 4,9 [9]

Wohnungen, Büros, Schulen 2002–2006

1615 0,5 387 (23) 1 3,4 2090 [10]

Kitas, Schulen SH 2005–2007

285 1 69 (24) <1 3,7 22 [11]

Kitas, Schulen NI 2001–2012

107 1 9 (8) 1 3 13 [12]

Innenraum-arbeitsplätze ohne Gefahr-stoffumgang 2001–2010

1025 10 22 (2) <10 <10 n. a. [13]

Bürosa MV 2008–2011

113 1 95 (85) 4 35 105 [14]

Bürosa NI 2001–2012

89 1 8 (9) 1 37 45 [12]

n. a. nicht angegeben.aMessungen erfolgten teilweise aufgrund von Geruchsbeschwerden.

1452 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013

Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Addukte [51]. In einer In-vitro-Studie an nasalem Gewebe von SD-Ratten und Rhe-susaffen wiesen beide Gewebearten nach Zusatz von 14C-markiertem Naphtha-lin unter Gluthationmangel etwa gleiche Gesamtkonzentrationen an 14C-markier-ten Proteinaddukten auf [30]. Allerdings zeigten sich erhebliche Unterschiede in der Art und Anzahl der Proteine.

Bisher war ungeklärt, ob die beobach-tete Zytotoxizität von Naphthalin im na-salen Gewebe mit einer primären oder sekundären Gentoxizität verknüpft sein könnte [52]. Zur Abklärung eines mög-lichen gentoxischen Beitrags beim Wir-kungsmechanismus von Naphthalin wur-de das Auftreten der Mutation des p53-Codons 271 CGT nach CAT quantitativ im respiratorischen und olfaktorischen Epithel der Nase von Ratten nach einer Exposition gegenüber Naphthalin unter-sucht [53]. Acht bis 9 Wochen alte männ-liche und weibliche Ratten (jeweils 5 Tiere pro Gruppe) atmeten an 6 h pro Tag, 5 Ta-ge pro Woche über 13 Wochen 0, 0,5, 5, 53 oder 160 mg Naphthalin/m3 ein. Die mitt-lere Konzentration an p53-Mutationen im nasalen Epithel betrug in der unbehandel-ten Gruppe 2- bis 3×10−5. Bei den weibli-chen Naphthalin-exponierten Ratten zeig-te sich weder im respiratorischen noch im olfaktorischen Gewebe eine dosisabhän-gige Zunahme der Konzentration an p53-Mutationen. Bei den männlichen Tieren der höchsten Dosisgruppe nahm die Kon-zentration an p53-Mutationen im nasalen respiratorischen Epithel signifikant ab. Es wird angenommen, dass die durch Naph-thalin hervorgerufene Zytotoxizität für den Verlust an p53-Mutationen im nasa-len respiratorischen Epithel der männli-chen Ratten verantwortlich ist. Nach An-sicht der Autoren der US-amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde unter-stützt der fehlende Anstieg der Konzent-ration an p53-Mutationen die Annahme, dass die Bildung von Tumoren nach Gabe von Naphthalin nicht auf einem direkten gentoxischen Mechanismus beruht [53].

Orjuela et al. [15] fanden in den Lym-phozyten von 5-jährigen Kindern aus Minderheiten der New Yorker Bevölke-rung vermehrt chromosomale Aberratio-nen bei zunehmender Konzentration von 1- und 2-Naphthol im Urin. Die Exposi-tionssituation in dieser Studie lässt sich

derzeit nicht abschließend bewerten, da Störgrößen wie z. B. Passivrauchen oder eine Biozidanwendung mit z. B. Carbaryl nicht hinreichend ausgeschlossen wurden (s. Abschn. 2.2).

4.4 Reproduktionstoxizität

Valide Studien zur Reproduktionstoxizi-tät von Naphthalin beim Menschen liegen nicht vor. Auch aus tierexperimentellen Untersuchungen ergaben sich keine hin-reichenden Hinweise auf teratogene oder entwicklungstoxische Wirkungen durch Naphthalin [8, 39]. In den vorstehend ge-nannten Langzeitstudien an Ratten oder Mäusen fanden sich keine Naphthalin-bedingten Wirkungen auf die Reproduk-tionsorgane [4, 43]. Ein- oder 2-Genera-tionen-Studien zur Bewertung des Ein-flusses von Naphthalin auf reproduktive Parameter fehlen.

4.5 Geruchswahrnehmung

Als Geruchswahrnehmungsschwelle wird üblicherweise die Konzentration bezeich-net, bei der die Hälfte angebotener Ge-ruchsproben vom Untersuchungskollek-tiv wahrgenommen wird. Diese Defini-tion ist jedoch insbesondere in älteren Studien nicht immer verwendet worden, sodass allein daraus bereits unterschiedli-che Angaben resultieren können.

Für Naphthalin wird als niedrigste Ge-ruchswahrnehmungsschwelle ein Wert von 0,0075 mg/m3 genannt [54]. Eine wei-tere Angabe zur Geruchswahrnehmung liegt bei 0,45 mg/m3 [55]. Da die Unter-suchungsbedingungen nicht hinreichend veröffentlicht sind, sind diese Angaben nicht belastbar.

Nach wie vor ist nicht bekannt, ob der charakteristische Geruch durch Naphtha-lin oder (auch) durch andere Naphthalin-Derivate wie z. B. Methylnaphthaline be-dingt ist. Da für Methylnaphthaline kei-ne Geruchswahrnehmungsschwellen be-kannt sind, kann diese Frage derzeit nicht beantwortet werden.

5 Bewertung

Zur gesundheitlichen Wirkung eingeat-meten Naphthalins liegen keine belastba-ren Humandaten vor. Insbesondere tier-

experimentell beobachtete Entzündungs-reaktionen im Atemtrakt sind beim Men-schen bisher nicht beschrieben worden. In Vergiftungsfällen nach sehr hoher ora-ler oder dermaler Aufnahme von Naph-thalin (>100 mg pro Person) trat vor al-lem bei Säuglingen und Kleinkindern eine hämolytische Anämie auf [7, 34]. In wel-chem Ausmaß eine inhalative Exposition zur Vergiftung beitrug, ist unbekannt. Aus den vorliegenden Einzelfallberichten zu hämolytischen Anämien lassen sich kei-ne belastbaren Dosis-Wirkungs-Bezie-hungen ableiten [7]. Darüber hinaus fehlt für diesen Endpunkt ein tierexperimen-telles Modell.

Zur Bewertung der gesundheitlichen Wirkung eingeatmeten Naphthalins zie-hen deshalb nationale wie auch interna-tionale Gremien Ergebnisse tierexperi-menteller Untersuchungen heran. Nach übereinstimmender Auffassung [4, 5, 6, 7, 8, 32, 46] stellen zytotoxisch entzünd-liche Veränderungen im nasalen Epithel der Ratte den kritischen Endpunkt dar. Darüber hinaus liegt nun auch ein ers-ter Hinweis vor, dass ein primärer gento-xischer Mechanismus, sofern überhaupt vorhanden, keine wesentliche Rolle spielt. Nach subchronischer Inhalation von 0,5–150 mg Naphthalin/m3 nahm die Kon-zentration an p53-Codon 271 CGT nach CAT-Mutationen nicht zu [53]. Nach An-sicht der Autoren der US-amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde spre-chen diese Ergebnisse eher für die Annah-me einer sekundären als einer primären gentoxischen Wirkung von Naphthalin.

Zum Zeitpunkt der ersten Bewertung durch die Ad-hoc-Arbeitsgruppe [1] lagen eine unveröffentlichte subakute und eine unveröffentlichte subchronische Studie an Ratten sowie jeweils eine valide chroni-sche Studie an Ratten und an Mäusen vor. Die niedrigsten untersuchten Konzentra-tionen betrugen dabei 5 mg Naphthalin/m3 in der subakuten, 11 mg/m3 in der sub-chronischen und jeweils 53 mg/m3 in den beiden chronischen Studien. Der euro-päische Wissenschaftliche Ausschuss für Toxikologie, Ökotoxikologie und Umwelt hatte 2002 in seinem Risikobewertungs-bericht die unveröffentlichte, aber verfüg-bare subakute Studie an Ratten als valide eingestuft und als Schlüsselstudie für die Risikobewertung von Naphthalin für die

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menschliche Gesundheit angesehen und aus dieser Studie die subakute Exposi-tionskonzentration von 5 mg Naphthalin/m3 als niedrigste beobachtete nachteilige Wirkungskonzentration (lowest observed adverse effect concentration – LOAEC) abgeleitet [32].

Angesichts der in den damals vorlie-genden subchronischen und chronischen Studien eingesetzten höheren Konzen-trationen konnte nicht die Frage beant-wortet werden, ob sich die in allen Stu-dien an Ratten beobachtete zytotoxische Wirkung eingeatmeten Naphthalins mit zunehmender Expositionsdauer verstär-ken könnte [32]. Mit der nun vorliegen-den subakuten und subchronischen Stu-die [38, 41] wird diese Unsicherheit ver-ringert. Im Vergleich ihrer akuten, sub-akuten und subchronischen Studie zeig-ten Dodd et al. [38, 41], dass eine Kon-zentration von 5 mg Naphthalin/m3 am olfaktorischen Epithel mit zunehmender Expositionsdauer nicht zu einer Zunahme des Schweregrades der beobachteten Ef-fekte führt. Allerdings zeigten sich bei die-ser Konzentration in der subchronischen Studie minimale Hyperplasien am respi-ratorischen Epithel, die in der subakuten Studie noch nicht zu sehen waren. Nach akuter, subakuter, subchronischer oder chronischer Exposition gegenüber 53 mg Naphthalin/m3 traten Entzündungen im olfaktorischen Gewebe der Ratte bereits nach subakuter Exposition auf, schuppi-ge Metaplasien des respiratorischen Epi-

thels ab einer subchronischen Exposition [38, 41, 43].

5.1 Bestehende Regelungen

Im europäischen Gefahrstoffrecht ist Naphthalin als krebsverdächtig (Karz. 2) eingestuft [2]. Bei dieser Einstufung gin-gen alle Organisationen, die in den letz-ten Jahren Naphthalin bewertet haben, ebenso wie auch die Ad-hoc-Arbeitsgrup-pe Innenraumrichtwerte davon aus, dass sich die in der Langzeitstudie an Ratten beobachteten Tumore nur an den Stellen im Gewebe entwickeln, an denen Entzün-dungsreaktionen aufgetreten waren [7, 8, 39, 46]. Daraus wurde gefolgert, dass die Entstehung von Tumoren eine Folge der chronischen Entzündung des nasalen Epi-thels darstellen könnte. Für die langfris-tig zu einer Entzündung führende loka-le Gewebeschädigung ließ sich in mehre-ren Studien eine Wirkungsschwelle beob-achten.

Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innen-raumrichtwerte hatte 2004 als erstes Gre-mium auf einer begrenzten, aber aus Sicht des zuständigen Europäischen Wissen-schaftlichen Ausschusses [32] bewertba-ren Datenlage auf der Basis einer subaku-ten LOAEC von 5 mg/m3 Richtwerte für Naphthalin in der Innenraumluft abgelei-tet [1]. . Tab. 2 zeigt, von welcher Wir-kungskonzentration verschiedene Orga-nisationen in den nachfolgenden Jahren ausgegangen sind, welche Extrapolations-faktoren verwendet wurden und welche

Leitwerte für die Innenraumluft sich da-bei ergeben haben.

Bis auf das niederländische Reichsin-stitut für Volksgesundheit und Milieu-hygiene [5] legten die anderen Organi-sationen eine LOAEC von 53 mg Naph-thalin/m3 aus der US-NTP-Langzeitstu-die [43] zugrunde. Besonders deutlich ging die Weltgesundheitsorganisation auf die eingeschränkte Eignung der LO-AEC von 53 mg Naphthalin/m3 ein, weil sich bei dieser Konzentration bei fast al-len Tieren eine chronische Entzündung gezeigt hatte, und bezeichnete die LOAEC von 53 mg Naphthalin/m3 als „severe LO-AEC“ [7]. Da zu den damaligen Zeit-punkten die neuen Studien von Dodd et al. [38, 41] nicht vorlagen, ist die Verwen-dung der nur bedingt geeigneten LOAEC von 53 mg/m3 in Verbindung mit einem Interspeziesfaktor von 10 nachvollziehbar.

Das niederländische Reichsinsti-tut ging wie die Ad-hoc-Arbeitsgruppe (2004) von einer LOAEC von 5 mg Naph-thalin/m3 aus, verwendete aber angesichts der minimalen Effekte bei dieser LOAEC nur einen Faktor 2 zur Extrapolation von der LOAEC zur NOAEC [5].

Als erstes Gremium hat der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) die akute und sub-akute Studie von Dodd et al. [38] für den Endpunkt Entzündungsreaktionen im Atemtrakt der F344-Ratte bewertet und eine NOAEC von 1,6 mg Naphthalin/m3 abgeleitet [46]. Für eine Extrapolation auf eine Langzeitexposition am Arbeitsplatz hatte der AGS beim Vergleich der Inha-lationsstudien an Ratten keine Wirkungs-verstärkung gesehen (Extrapolationsfak-tor von 1), für Interspezies-Unterschiede verwendete er wie die Ad-hoc-Arbeits-gruppe einen Faktor von 1, und die inter-individuelle Variabilität von Beschäftig-ten berücksichtigte er mit einem Fak-tor von 3. Daraus ergab sich eine Wir-kungsschwelle für Entzündungsreaktio-nen von 0,5 mg/m3. Zum Vergleich wur-de eine risikobasierte Ableitung mithilfe eines Benchmark-Verfahrens vorgenom-men. Da sich bei diesem Verfahren eine höhere Konzentration ergab, hat der AGS auf der Grundlage des nichtkanzerogenen Endpunktes (nasale Entzündungen) einen sog. Arbeitsplatzgrenzwert-analogen Schwellenwert von 0,5 mg Naphthalin/m3 festgelegt. Nach Auffassung des AGS

Tab. 2  Ausgangspunkte (Point of departure – POD), Extrapolationsfaktoren und Leitwerte für Naphthalin in der Innenraumluft verschiedener internationaler und nationaler Organisatio-nen im Vergleich zum Richtwert I der Ad-hoc-Arbeitsgruppe von 2004 und von 2013   (s. Ableitung in Abschn. 5.2)

Gremium POD (mg/m3)

Inter-spezies

Intra-spezies

Zeit LOAEC/NOAEC

Leitwert (mg/m3)

Ad-hoc-AG (2004)

5 (LOAEC) 1 10×2 (Kind) 12 10 0,002 (Richt-wert I)

EC-JRC (2005)

53 (LOAEC) 10 10 5,6 10 0,01

RIVM-NL (2007)

5 (LOAEC) 10 10 1 2 0,025

AFSSET-F (2009)

53 (LOAEC) 10 10 5,6 10 0,01

WHO (2010)

53 (severe LOAEC)

10 10 5,6 10 0,01 (Jah-resmittel)

Ad-hoc-AG (2013)

2,5 (NAEC) 1 10×2 (Kind) 5,6×2 Entfällt 0,01 (Richt-wert I)

1454 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013

Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Tab. 3  Derivation of indoor air guide valuesa: key data

Substance Naphthalene

Parameter Value/Descriptor Dimension Comments

General Information      

CLP INDEX No 601-052-00-2    

EC No 202-049-5    

CAS No 91-20-3    

CLP CMR Classification Carc. 2    

Indoor Air Guide value status Final    

Guide value II (RW II – Health hazard value)

0.03 mg/m3  

Guide value I (RW I -Precautionary value)

0.01 mg/m3  

Conversion factor: 1 ml/m3 = 5.3 mg/m3  

Year 2013    

Database      

Key study/Author(s) (Year) Dodd et al. [41]   Dodd DE, Wong BA, Gross EA, Miller RA (2012) Inhal Toxicol 24:70–79

Species F344 rat    

Route/type of study Inhalation    

Study length Subchronic    

Inhalative exposure duration 6 h/d, 5 d/wk    

Critical endpoint Lesion in nasal respiratory  epithelium

   

POD NOAEC    

POD Value 5 mg/m3  

Assessment factors      

Dose-response assessment factor n. a.    

Adjusted exposure duration factor (time scaling)

5.6   6 h/d, 5 d/wk to 24 h/d, 7 d/wk

Adjusted study length factor 2   Subchronic – chronic

Route-to-route extrapolation factor n. a.    

Adjusted absorption factor (inhala-tion/oral)

n. a.    

Interspecies factor 1   Kinetic

  1   Dynamic: Humans do not seem to be more sensitive than rats following inhalative exposure to naphthalene

Intraspecies factor 10   General population, kinetic +  dynamic

Sensitive population factor 2   Insufficient data in children

Other adjustment factorsQuality of whole database

2   F344 rat instead of the more  sensitive Sprague-Dawley rat

Result      

Total assessment factor (TAF) 448    

POD/TAF 0.011 mg/m3 Rounded guide value I: 0.01 mg/m3

LOAEC/NOAEC 3 mg/m3 Guide value II: 0.03 mg/m3

n. a. not applied.aReferring to the German basic scheme for the derivation of indoor air guide values. Bundesgesundheitsbl 2012:55:279–90.

schützt dieser Arbeitsplatzgrenzwert Be-schäftigte beim Umgang mit Naphthalin hinreichend sicher vor einer zytotoxisch entzündlichen Wirkung und damit auch vor einem vermuteten krebserzeugenden Wirkungspotenzial von Naphthalin.

5.2 Ableitung von Richtwerten für Naphthalin in der Innenraumluft

Belastbare Kenntnisse zur gesundheitli-chen Wirkung eingeatmeten Naphthalins beim Menschen fehlen. Die Ableitung

von Richtwerten stützt sich deshalb auf die Ergebnisse tierexperimenteller Unter-suchungen.

Als kritischer Endpunkt wird die lo-kal schädigende Wirkung von Naphtha-lin in den nasalen Epithelien der Rat-

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te angesehen. In Übereinstimmung mit der europäischen Risikobewertung [32, 39] hatte die Ad-hoc-Arbeitsgruppe 2004 als LOAEC eine Konzentration von 5 mg Naphthalin/m3 aus einer unveröffentlich-ten, aber zugänglichen und vom zustän-digen europäischen Wissenschaftlichen Ausschuss als valide bewerteten subaku-ten Studie als Ausgangspunkt ihrer Richt-werteableitung gewählt. Zur Extrapola-tion von der subakuten auf eine chroni-sche Exposition hatte die Ad-hoc-Arbeits-gruppe den damals vom AGS empfohle-nen Extrapolationsfaktor von 12 verwen-det.

Mit der akuten, subakuten und sub-chronischen Studie von Dodd et al. [38, 41] liegen erstmals systematische Ergeb-nisse zur Zytotoxizität von Naphthalin bei einer Konzentration von 5 mg/m3 vor. Bei dieser Konzentration zeigten sich in der subchronischen Studie minimale Hyper-plasien am respiratorischen Epithel, die in der akuten Studie noch nicht zu se-hen waren. Für die Expositionskonzen-tration 53 mg Naphthalin/m3 liegen Stu-dien von akuter bis chronischer Dauer vor. Entzündungen im olfaktorischen Ge-webe der Ratte traten bereits nach subaku-ter Exposition auf, schuppige Metaplasien des respiratorischen Epithels ab einer sub-chronischen Exposition [41, 43]. Mit dem Vorliegen von validen Ergebnissen aus der subchronischen Studie von Dodd et al. [41] werden diese Ergebnisse als Grund-

lage der Richtwerteableitung herangezo-gen, da sie einer chronischen Exposition eher nahekommen als einer subakuten Exposition.

Richtwert IINach dem Basisschema [3] ist für die Fest-setzung von Richtwerten für die Innen-raumluft von der niedrigsten (beobachte-ten) nachteiligen Wirkungskonzentration auszugehen. Zur Abschätzung der nied-rigsten nachteiligen Wirkungskonzentra-tion zieht die Ad-hoc-Arbeitsgruppe die beiden subchronischen Inhalationsstu-dien heran.

In der unveröffentlichten, im europäi-schen Risikobewertungsbericht als vali-de eingestuften subchronischen Studie an SD-Ratten traten ab 11 mg Naphthalin/m3 erste nekrotische Veränderungen im ol-faktorischen Epithel auf [42]. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe stuft diese Konzentration als subchronische LOAEC ein.

In der subchronischen Studie von Dodd et al. [41] traten nach Exposition gegenüber 5 mg Naphthalin/m3 bei allen Tieren minimale Hyperplasien (im Mittel 1,0 der 5-stufigen Skala) des nasalen respi-ratorischen Epithels auf. In Anlehnung an das Basisschema (Anhang B: Tabelle B3) [3] stuft die Ad-hoc-Arbeitsgruppe die-se Hyperplasien als niedrigste beobachte-te Wirkung ohne beobachtete nachteilige Wirkung nach subchronischer Exposition (NOAEC/LOECsubchron) ein. Nach dem

Basisschema kann die niedrigste nachtei-lige subchronische Wirkungskonzentra-tion (lowest adverse effect concentration – LAECsubchron) aus der LOECsubchron wie folgt abgeschätzt werden: LAECsubchron = LOECsubchron ×3=15 mg/m3.

Im Unterschied zu der unveröffent-lichten subchronischen Studie an SD-Rat-ten wurde die subchronische Dodd et al. [41]-Studie an den gegenüber Naphtha-lin etwas weniger empfindlichen F344-Ratten durchgeführt. Die Ad-hoc-Ar-beitsgruppe berücksichtigt diese geringe-re Empfindlichkeit der F344-Ratten mit einem Faktor von 2: LAECsubchron =15 mg/m3: 2=7,5 mg/ m3. Damit liegt die aus Dodd et al. [41] abgeschätzte subchroni-sche LAEC mit 7,5 mg/m3 etwas niedriger als die subchronische LOAEC von 11 mg/m3 aus der unveröffentlichten subchroni-schen Studie.

Für die Ableitung des Richtwertes II werden folgende weitere Extrapolations-faktoren [3] verwendet:F  Für die Extrapolation von einer sub-

chronischen auf eine chronische Ex-position ein Faktor von 2.

F  Für die zeitliche Anpassung von 6 auf 24 h und 5 auf 7 Tage ein Faktor von (24/6*7/5) =5,6.

F  Wie bereits in der Ableitung von 2004 begründet [1] und in Übereinstim-mung mit dem AGS [46] wird für Interspezies-Unterschiede ein Fak-tor 1 angesetzt. Dieser Faktor wird auch durch die neuen Ergebnis-se einer vergleichbaren Bindung von Naphthalin-Metaboliten an Protei-ne bei Ratten und Rhesusaffen unter-stützt [30].

F  Die interindividuelle Variabilität der Bevölkerung wird mit einem Fak-tor 10 berücksichtigt.

F  Nach dem Basisschema [3] ist zu er-örtern, ob ein zusätzlicher Faktor zum Schutz von Kindern erforderlich ist. Angesichts der beobachteten lokalen nasalen Effekte erscheint ein zusätz-licher Kinderfaktor, der üblicherwei-se eine im Vergleich zu Erwachsenen höhere Atemrate pro kg Körperge-wicht von Kindern abbildet, auf den ersten Blick hier nicht angemessen. Andererseits hatte sich bei sehr ho-her Aufnahme von Naphthalin (akute Vergiftung mit mehr als 100 mg pro

Tab. 4  Messergebnisse aus 2 Bürogebäuden, teilweise mit Teer im Fußbodenaufbau, in μg/m3; BG =1 μg/m3, n=113. (Nach [14]). Die gefundenen Dimethylnaphthalin-Isomere wurden mit 2,6-Dimethylnaphthalin als externem Standard quantifiziert und als Summe angegeben

Naphthalin Summe Methyl-naphthaline

Summe Dime-thylnaphthaline

Insgesamt

n > BG (%) 96 (85) 90 (80) 31 (27) 96 (85)

Median 4 3 <1 7

95. Perzentil 35 15 3 50

98. Perzentil 53 18 4 74

Maximum 185 27 9 212

Tab. 5  Messergebnisse aus Verdachtsräumen mit Teer im Fußbodenaufbau (n=111) in  μg/m3. (Nach [60])

Naphtha-lin

Acenaph-then

Acenaph-thylen

Anthra-cen

Fluoren Phenan-thren

Summe

Median 0,9 <0,1 <0,1 <0,1 <0,1 0,2 1

90. Per-zentil

3,8 0,5 <0,1 <0,1 0,3 0,7 5

Maxi-mum

31 10 1,8 0,4 1,7 5,5 51

1456 | Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013

Bekanntmachungen - Amtliche Mitteilungen

Person) eine erhöhte Empfindlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern ge-zeigt [7]. Aussagekräftige Studien zur Empfindlichkeit von Kindern gegen-über Naphthalin (s. Abschn. 4.4) lie-gen jedoch nicht vor. Angesichts die-ser fehlenden Kenntnisse hält die Ad-hoc-Arbeitsgruppe die Verwendung eines zusätzlichen Kinderfaktors von 2 hier für angemessen.

Damit ergibt sich als Richtwert II: 7,5 mg/m3: [2×5,6×1×10×2] =0,034 mg/m3. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe legt als Richt-wert II 0,03 mg Naphthalin/m3 fest.

Richtwert IFür die Ableitung des Richtwertes I geht die Ad-hoc-Arbeitsgruppe gemäß Basis-schema von der subchronischen NOAEC von 5 mg Naphthalin/m3 aus der Dodd et al. [41]-Studie aus. Die Berücksichtigung der im Vergleich zu den SD-Ratten ge-ringeren Empfindlichkeit der F344-Rat-ten mit einem Faktor von 2 führt zu einer NAECsubchron von 5 mg/m3: 2=2,5 mg/m3. Mit den weiteren bei der Ableitung des Richtwertes II aufgeführten Fakto-ren ergibt sich als Richtwert I: 2,5 mg/m3: [2×5,6×1×10×2] =0,011 mg/m3. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe legt als Richtwert I 0,01 mg Naphthalin/m3 fest.

Eine Zusammenfassung der wesentli-chen Schritte zur Ableitung von Richtwer-ten für Naphthalin in der Innenraumluft gibt . Tab. 3.

Gesundheitliche Bewertung von Naphthalin-ähn-lichen VerbindungenNaphthalin tritt in der Innenraumluft in der Regel nicht alleine auf, sondern wird von Naphthalin-ähnlichen Verbindun-gen begleitet. Hierzu zählt die Ad-hoc-Arbeitsgruppe die bizyklischen Methyl- und Dimethylnaphthaline sowie die tri-zyklischen aromatischen Kohlenwasser-stoffe Acenaphthen, Acenaphthylen, Flu-oren, Anthracen und Phenanthren. Naph-thalin kann als Indikatorsubstanz für die-se Stoffgruppe angesehen werden.

Hinsichtlich der bizyklischen aroma-tischen Kohlenwasserstoffe ergab eine Auswertung von Messergebnissen aus Bürogebäuden mit Vorkommen von Teer im Fußbodenaufbau folgendes Bild

(. Tab. 4): Bei niedrigen Konzentra-tionen scheinen die Methyl- und Dime-thylnaphthaline zusammen in ähnlicher Konzentration vorzuliegen wie Naphtha-lin. Bei deutlich erhöhten Konzentratio-nen scheint der Anteil der Methyl- und Dimethylnaphthaline im Vergleich zum Naphthalin abzunehmen [14].

Zur gesundheitlichen Wirkung von methylierten Naphthalinen liegen bislang nur wenige Untersuchungen vor. Nach einmaliger Kurzzeitexposition von Ratten und Mäusen verhält sich 2-Methylnaph-thalin ähnlich zytotoxisch in den Atem-wegen wie Naphthalin, während 1-Me-thylnaphthalin eine etwas geringere Toxi-zität als Naphthalin aufweist [56, 57, 58]. In einer kürzlich veröffentlichten sub-akuten Inhalationsstudie wurden jeweils 5 männliche und weibliche Wistar-Rat-ten gegenüber 0, 2, 11 oder 51 mg 2-Me-thylnaphthalin/m3 6 h pro Tag, 5 Tage pro Woche über 4 Wochen exponiert. Histo-pathologische Untersuchungen der Atem-wege ergaben Entzündungsreaktionen und Zytotoxizität ab 11 mg 2-Methylnaph-thalin/m3 bei 3 von 5 männlichen und 4 von 5 weiblichen Ratten [59]. Damit er-weist sich 2-Methylnaphthalin als ähnlich toxisch wie Naphthalin, das in subakuten Studien zytotoxische, entzündliche Verän-derungen im nasalen Epithel ab 5 mg/m3 hervorrief (s. Abschn. 4.1).

Insgesamt ist der Kenntnisstand zur Toxizität von methylierten Naphthalinen deutlich geringer als beim Naphthalin. Die bisher vorliegenden Kenntnisse legen jedoch nahe, diese Verbindungen als ähn-lich toxisch wie Naphthalin anzusehen und bei auffälligen Naphthalin-Konzen-trationen in der Innenraumluft mit zu be-stimmen. Angesichts der noch fehlenden Kenntnisse zu 1-Methylnaphthalin sowie den Dimethylnaphthalinen erscheint es angemessen, Summenrichtwerte für diese Stoffgruppe als vorläufig zu bezeichnen.

Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe legt fol-gende vorläufige Summenrichtwerte für die Stoffgruppe der bizyklischen aroma-tischen Kohlenwasserstoffe (Naphthalin, Methylnaphthaline, Dimethylnaphtha-line) in der Innenraumluft fest:

vorläufiger Richtwert II =0,03 mg Summe bizyklische aromatische Kohlen-wasserstoffe/m3,

vorläufiger Richtwert I =0,01 mg Sum-me bizyklische aromatische Kohlenwas-serstoffe/m3.

Da keine belastbaren Daten zur Ge-ruchswahrnehmungsschwelle von Naph-thalin vorliegen (s. Abschn. 4.5) und An-gaben zu Geruchswahrnehmungsschwel-len von methylierten Naphthalinen feh-len, kann keine Aussage dazu getroffen werden, ob der abgeleitete Summenricht-wert I auch ausreichend vor einer Ge-ruchswahrnehmung durch Naphthalin und seine methylierten Derivate schützt. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe hält es für wünschenswert, dass die Geruchswahr-nehmungsschwellen von Naphthalin, Methyl- und Dimethylnaphthalinen be-stimmt werden.

Hinsichtlich trizyklischer aromati-scher Kohlenwasserstoffe zeigten Mess-ergebnisse aus Innenräumen mit Verdacht auf einen teerhaltigen Fußbodenaufbau einen nachweisbaren, aber im Vergleich zu Naphthalin deutlich geringeren Bei-trag der trizyklischen aromatischen Koh-lenwasserstoffe zur Gesamtbelastung der Naphthalin-ähnlichen Verbindungen auf (. Tab. 5). Wesentlich trugen Acenapht-hen und Phenanthren hierzu bei [60]. In Einzelfällen, insbesondere beim Vorhan-densein von Asphaltplatten als Bodenbe-lag, können Phenanthren und Acenapht-hen höhere Konzentrationen in der In-nenraumluft als Naphthalin aufweisen [61].

Zur gesundheitlichen Wirkung trizyk-lischer aromatischer Kohlenwasserstoffe liegen nur sehr wenige, insgesamt unzu-reichende Ergebnisse vor. Inhalationsstu-dien zu Einzelstoffen aus dieser Gruppe fehlen weitgehend. Studien zur oralen To-xizität an der Maus nach subchronischer Gabe ergaben für Anthracen oder Fluo-ren im Vergleich zu Naphthalin ähnliche LOAEL bzw. NOAEL, beim Acenaphthen etwas höhere LOAEL bzw. NOAEL [62]. Zu Acenaphthylen oder Phenanthren lie-gen keine entsprechenden Daten vor. Im Unterschied zu den vier- und mehrringi-gen aromatischen Kohlenwasserstoffen, für die ein krebserzeugendes Potenzial angenommen wird [63], erwiesen sich die trizyklischen Verbindungen entwe-der als nicht krebserzeugend (Anthracen, Fluoren, Phenanthren) oder als fraglich krebserzeugend (Acenaphthen) [62, 63].

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Zu Acenaphthylen liegen keine Unter-suchungen vor. Für keinen der bislang untersuchten trizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe liegen Hinweise auf ein keimzellmutagenes Potenzial vor [63].

Insgesamt weisen die trizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe weni-ger Gemeinsamkeiten mit dem Benz(a)pyren als Leitkomponente der polyzyk-lischen aromatischen Kohlenwasserstof-fe (PAK), sondern mehr Gemeinsam-keiten mit dem bizyklischen Naphthalin auf [63]. Vor diesem Hintergrund liegt es nach Auffassung der Ad-hoc-Arbeits-gruppe nahe, hinsichtlich einer vorläufi-gen Bewertung die trizyklischen aroma-tischen Kohlenwasserstoffe in die Gruppe der Naphthalin-ähnlichen Verbindungen aufzunehmen.

Angesichts der üblicherweise nied-rigen Konzentrationen der trizykli-schen aromatischen Kohlenwasserstof-fe (s. . Tab. 5) kann im Rahmen einer Untersuchung auf Naphthalin und Me-thylnaphthaline in der Regel auf eine zu-sätzliche Messung dieser Stoffgruppe in der Innenraumluft verzichtet werden. Eine Ausnahme stellen PAK-haltige Bo-denbeläge wie z. B. Asphaltplatten dar, die direkt in die Innenraumluft emittieren können. Beim Vorliegen derartiger Bau-produkte kann eine zusätzliche Messung auf trizyklische aromatische Kohlenwas-serstoffe angezeigt sein. Für diesen beson-deren Fall legt die Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur gesundheitlichen Bewertung folgende vorläufige Summenrichtwerte für die Ge-samtgruppe der bizyklischen und trizyk-lischen aromatischen Kohlenwasserstoffe in der Innenraumluft fest:

vorläufiger Richtwert II =0,03 mg Summe bi- und trizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe/m3,

vorläufiger Richtwert I =0,01 mg Sum-me bi- und trizyklische aromatische Koh-lenwasserstoffe/m3.

Zur quantitativen Bestimmung der so-wohl gasförmig als auch partikelgebunden vorliegenden, trizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe werden unterschied-liche Probenahme- und Prüfverfah-ren angewandt. Nach derzeitiger Kennt-nis der Ad-hoc-Arbeitsgruppe ist jedoch nicht abschließend untersucht, inwieweit die verschiedenen Verfahren die trizyk-lischen aromatischen Kohlenwasserstof-

fe quantitativ erfassen. Die Ad-hoc-Ar-beitsgruppe wird deshalb an den zustän-digen Normenausschuss des DIN und der Kommission Reinhaltung der Luft mit der Bitte herantreten, eine Klärung herbeizu-führen.

Anmerkungen

Der Text dieser Empfehlung wurde von Dr. Helmut Sagunski mit Beiträgen von Dr. Christoph Baudisch, Herrn Herbert Grams, Dr. Birger Heinzow, Herrn Tho-mas Lahrz und Dr. Bernhard Link erstellt und von der Ad-hoc-Arbeitsgruppe In-nenraumrichtwerte im Juli 2013 verab-schiedet. Die Literaturrecherche wurde im Juli 2012 abgeschlossen.

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1459Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 10 · 2013 |