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Bisphenol A:

Ein gesundheitliches Risiko ?

Detlef WölfleBundesinstitut für Risikobewertung (BfR),

Abt. 7, Sicherheit von verbrauchernahen Produkten

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 2

Bisphenol A (BPA)C

CH3

CH3

OHHO

Bisphenol A

•Kontroverse über 10 Jahren zu denselben wissenschaftlichen Daten

•BPA-Datenflut (>5000 Publikationen)

•BPA als Modellsubstanz für endokrine Disruptoren

•BPA: Hohe Produktionsmengen, alltägliche Exposition

•EDC: Niedrigdosisbereich, nicht monotone Dosiswirkungskurven?

•EDC: keine Datenanforderungen, verschiedene Bewertungskonzepte

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2 Bewertungsansätze

1. Gefahrenbewertung (z.B. ANSES, 2011):

alle toxikologischen Studien (oral + nicht oral)

> Vorsorgeprinzip:

Verbot in Lebensmittelbedarfsgegenständen

2. Risikobewertung (z.B. EFSA, 2010): für Lebensmittel

orale toxikologischen Studien

+ Exposition

> Grenzwertableitung: tolerable tägliche Aufnahme (TDI) > spezifischer Migrationsgrenzwert (SML)

> Vorsorgeprinzip:

z. B. Verbot in Lebensmittelbedarfsgegenständen

> Grenzwertableitung:

Tolerable tägliche Aufnahme (TDI)

Spezifisches Migrationslimit (SML)

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Regulation von BPA

EU: SCF (2002): temporärer TDI = 0,01 mg / kg Körpergewicht

EU-Kommission (2004): spezifischer Migrationsgrenzwert (SML) für BPA:

SML(T) = 0,6 mg / kg Lebensmittel

Verordnung (EU) Nr. 10/2011 vom 14.Januar 2011

EU-Kommission (2011): BPA-Zusatz in EU-VO Nr. 10/2011:

„Nicht zu verwenden bei der Herstellung von Säuglingsflaschen aus Polycarbonat.“

Verordnung (EU) Nr. 321/2011 vom 1. April 2011

D: Bedarfsgegenstände-Verordnung

http://bundesrecht.juris.de/bedggstv/BJNR008660992.html

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A) Exposition

X keine Exposition

?

? X

XDosenbeschichtungenWasserflaschen,Geschirr, Behälter aus PolycarbonatTrinkwasserleitungen?Thermopapier (dermal)Medizinprodukte (Frühgeborene, i.v., Zahnfüllungen)

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Migration in Lebensmittel (1)

Regulation

EU, 2004/2011 Verordnung (EU) Nr. 10/2011 Bedarfsgegenstände-Verordnung : SML(T) = 600 µg/ kg LM

Exposition

Deutschland, Schweiz, Frankreich, Niederlande, EC JRC: BPA-Abgabe* aus Babyflaschen: 0,5 - 1,5 µg/ L

(* Hydrolyse der Esterverbindung: Temperatur, alkalischer pH: 50 µg/ L )

EFSA, 2006 und FAO/WHO Expert Meeting 2010: BPA-Abgabe aus Doseninnenbeschichtungen: 10 - 70 µg/ kg LM

1 - 23 µg/ L Getränk

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Tägliche Aufnahmen über Lebensmittel, berechnet (2)

*) EFSA,2006: http://www.efsa.europa.eu/

Kanada, 2008Baby (0-1 Monat): für Formula-Nahrung, max. 1,35 µg/kg KG/Tag kombinierte Exposition, max.: 4,1 µg/kg KG/Tag

Alter Lebensmittel (LM) µg/kg KG/Tag*

3 Monate Babynahrung + Polycarbonat(PC)-Flasche

11 (4)

6 Monate Babynahrung + PC-Flasche + LM/Getränke

+ PC-Geschirr

13 (8.3)

Erwachsener 3 kg LM/Getränke

+ PC-Geschirr

1.5

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Biomonitoring (3a)

*) BPA: in 99% der Urinproben nachgewiesen

mittlere tägliche Aufnahme: 0,06 µg/kg Körpergewicht (max. 7 µg/kg

KG)

Becker et al., 2009: Int.J.Hyg.Environ.Health 212, 685-692

Autor/Studie RegionKollektiv, Alter (+ Lebensmittel)

BPA (µg/ L)

50.P. 95.P.

Kinder-Umwelt-Survey

UBA, 2003-2006* DeutschlandKinder, 3-14 J.(n=599),

2,7 14,0

NHANES 2003-2004Calafat et al. 2008

USAErwachsene, Kinder (n=2517)

2,7 15,9

Carwile et al. 2011 USAErwachsene + Dosennahrung

21 (1-6 h)

BPA im Urin in Deutschland und den USA (µg/L)

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Biomonitoring (3b)

Autoren Lebensmittel

MittlereBPA-

Konzentration (µg/ Person)*

Teeguarden et al., 2011 aus Dosen 19

Carwile et al. 2011Frische Suppen

Dosensuppen

1,1

20,8**

*) Im Unterschied zu den Daten von Becker und Calafat („spot“ Urin) wurden die Maximalkonzentrationen nach der Mahlzeit erfasst.

**) BPA-Aufnahme : 0,3 µg / kg Körpergewicht

(vgl. TDI = 50 µg / kg Körperwicht pro Tag)

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Toxikokinetik von BPA (1): oral

Um eine BPA-Konzentration von 3 µg/ml Serum – wie in einigen Humanstudien berichtet – zu erreichen, müssten aufgrund der TK-Studien täglich 1,3 mg/kg Körpergewicht (d.h. >60 mg/ Person !) aufgenommen werden.

Doerge et al 2010; 2011: Oral (Schundsonde) Ratten: 100 µg/kg KG dBPA (GD12-16-20):

• Nicht messbares freies BPA in fetalen Geweben (<0.2 nM) und

• im mütterlichen Serum 0,5 nM (0,1 ng/ml)

• Keine Akkumulation.

Taylor et al., 2011: oral BPA (400 μg/kg dBPA täglich über 7 Tage) in adulten Tieren:

freies BPA: 0,5 ng / ml Serum in adulten Affen und Mäusen.

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Toxikokinetik von BPA (2): dermal

WHO Schlussfolgerungen (2010/2011):

1. BPA-Exposition aus anderen Quellen als Lebensmittel ist um mindestens eine Größenordnung niedriger.

2. Expositionsabschätzung aus diesen Quellen ist aufgrund mangelnder Daten nicht möglich (z.B. Thermopapier).

Dermale Resorption (aus Literatur): 10 - 60%

Braun et al. (2011): höhere BPA-Ausscheidung im Urin

von Kassiererinnen im Vergleich zu anderen Studienteilnehmern (Hinweis auf eine dermale Aufnahme von BPA).

 Mielke et al. (2011): Abschätzungen auf der Basis des PBPK Modelling ergaben eine zusätzliche dermale BPA-Aufnahme (worst case) von 0,97 g/kg Körpergewicht pro Tag mit der Schlussfolgerung, dass die dermale Exposition keine Gesundheitsgefahr darstellt.

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Exposition: Fazit

•Hauptexpositionsquelle: Lebensmittel (WHO, 2011)

•Biomonitoring-Daten (Urin): BPA-Aufnahme am höchsten nach DosennahrungBPA-Aufnahme <<< TDI

•Toxikokinetik-Daten (oral): Keine relevante Serumkonzentrationen beim MenschenKeine oder sehr niedrige Konzentrationen an freiem BPA

in adulten Nagern und Affen – auch in Feten (Ratten)

•Dermale Aufnahme: möglich (Kassiererinnen)aber nicht gesundheitlich bedenklich

(Dänisches Umweltministerium, 2011)

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B) Toxikologie: Zielorgane der Wirkung von „endokrinen Disruptoren“

Gehirnentwicklung

Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse

Kardiovaskuläres System

Brustdrüse

Fettgewebe

Pankreas

Ovar und Uterus; Hoden und Prostata.

Betroffen sein können alle hormon-sensitiven physiologischen Systeme:

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BPA: Hormonartige in vitro-Effekte

• Schwache Bindungsstärke an Östrogenrezeptoren (ERER• Relativ starke Bindung an Östrogen-related receptor-.

• Bindung an G-Protein-gekoppelten ER.

• Interferenz mit Androgenrezeptorfunktionen.

• Antagonismus zum T3-Hormonrezeptor.

• Hemmung der Adiponection-Freisetzung.

• Interaktion mit Dopamin-Transportern, GABA-Rezeptoren

• Effekt auf IP3-Bildung und die Calcium-Homöostase.

• Beeinflussung der Aromatase Aktivität

The EFSA Journal 2006: 428, 1-75 und SCF-Opinion vom 17.April 2002

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Alternative Wirkungsmechanismen (1):

über den Signaltransfer: z.B. Proteinkinasen und second messenger

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Alternative Wirkungsmechanismen (2):

über Rezeptor cross-talk (AhR)

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BPA: Hormonartige in vivo-Effekte

• Östrogene Uterus-Wirkung in Ratten

• Östrogen-hemmende Wirkung in Hirnregionen des Affen

• Keine Induktion von östrogenen Effekten auf Nachkommen (Ratte)

• Keine androgene/anti-androgene Wirkung in Ratten

• Veränderung der Hypothalamus-Hypophysenfunktion

• Veränderungen des Dopamin-Stoffwechsels/-Rezeptoren.

• Wirkungen auf die Schilddrüse (TSH)?

The EFSA Journal 2006: 428, 1-75 und SCF-Opinion vom 17.April 2002Leranth et al., 2008: PNAS 105; 14187-14191 Ryan et al.. 2010:, Toxicol. Sci. 114: 133-148 Fernández et al., 2009: Environ Health Perspect 117, 757-762

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Toxikologie von BPA: konventionelle Studien (OECD-Richtlinien)

•Genotoxiziät: nicht erbgutschädigend

•Subchronische Studien (Ratte, Maus, Hund): NOAEL* = 25 mg/kg KG/Tag

•Kanzerogenitätsstudie (Maus, Ratte): keine Tumoren

•Entwicklungstoxizität: nicht teratogen

•Mehr-Generationsstudie (Ratte/Maus: 0,001/0,003 - 500/600 mg/kg bw/d),

Entwicklungsneurotox. Studie (Ratte): NOAEL* = 5 mg/kg KG/Tag

*) höchste Dosis ohne toxische Wirkung

The EFSA Journal 2006: 428, 1-75 und SCF-Opinion vom 17.April 2002

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Toxikologie: Niedrigdosis-Studien

NOAEL 5000 µg/kg KG und Tag (oral)

Asthma ca. 2500 µg/kg KG und Tag (oral)

Brustdrüse 250 µg/kg KG und Tag (oral)

Tolerable tägliche Aufnahme (EFSA, 2006) 50 µg/kg KG und Tag (oral)

Synapsenbildung 50 µg/kg KG und Tag (s.c.)

Prostata 10 µg/kg KG und Tag (oral)

mRNA Ah-Rez. 0,02 µg/kg KG und Tag (oral)

BPA-Effekte (low dose < 50 µg/kg KG und Tag) (ANSES, 2011):

Gewebearchitektur (Brustdrüse, Ovar, Endometrium)

Rezeptorexpression, Hormonkonzentrationen im Plasma oder Geweben

Zeit bis zur Erlangung von Pubertätsmerkmalen

Lipid-Stoffwechsel

Abnahme der Spermien

neuronale Entwicklung

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Toxikologie: Niedrigdosis-Studien

NOAEL (Tyl et al., 2000 und 2008) 5000 µg/kg KG und Tag (oral)

Asthma (Midoro-Horiuti et al., 2010) ca. 2500 µg/kg KG und Tag (oral)

Brustdrüse (Jenkins et al., 2010) 250 µg/kg KG und Tag (oral)

Tolerable daily intake (EFSA, 2006) 50 µg/kg KG und Tag (oral)

Synapsenbildung (Leranth et al., 2008) 50 µg/kg KG und Tag (s.c.)

Prostata (Timms et al., 2005) 10 µg/kg KG und Tag (oral)

mRNA Ah-Rez. (Nishizawa et al., 2005) 0,02 µg/kg KG und Tag (oral)

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Effekte auf die Brustdrüse (1)

Moral et al., 2008Jenkins et al., 2009 and 2011Betancourt et al., 2010Weber Lozada and Keri, 2011Ayyanan et al., 2011

Erhöhte Empfindlichkeit der Brustdrüse gegenüber Kanzerogenen

Exposition gegenüber BPA (25, 250 µg/kg Körpergewicht pro Tag) während der Laktation oder pränatalIn verschiedenen experimentellen Modellen (Ratten, Mäusen, transgene Mäuse)

Kritikpunkte an den Studien: keine Blutspiegelmessungen; wenige Tiere; z.T. nur 2 Dosierungen; Tumorbestimmung; unterschiedliche Ergebnisse;fehlende Positivkontrolle

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Neuronale Effekte im Affen-Modell (2)

Leranth et al. (2008): PNAS 105:14187-14191

Bisphenol A prevents the synaptogenic response to estradiol

in hippocampus and prefrontal cortex

of ovariectomized nonhuman primates

• BPA-freisetzende Minipumpen (subkutan):in den Blutkreislauf und in alle Organeohne „first pass“-Effekt

• 1 Dosis: 50 µg/kg KG/Tag

• Permanenter, adverser Effekt?• Funktionelle Störung?

• Einfluss von Soja-Futter auf Synapsendichte(Soja-freies Futter in diesem Versuch)

• Mechanismus von BPA unklar (direkt über Signaltransferwege?)

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Östrogen-sensitive Effekte in weiblichen Ratten (3)

Orale Gabe von GD 7 – PND 18- Ethinylöstradiol (EE: 0.05 – 50 µg/kg KG/Tag)- BPA (2, 20, 200 µg/kg KG/Tag)

EE (50 µg/kg KG/Tag):

↑ Anogenital-Abstand

↓ F1 Fertilität und F2 Wurfgrößen

EE (>5 µg/kg KG/Tag):

Fehlbildung an externen Genitalien

↓ Saccharin-Präferenz (ähnlich Männchen)

BPA keine Effekte

Ryan et al., Toxicol. Sci. 114: 133-148 (2010)

In utero and lactational exposure to bisphenol A,

in contrast to ethinyl estradiol,

does not alter sexually dimorphic behavior,

puberty, fertility and anatomy of female LE rats

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 24

C) Alternativmaterialien

• Polypropylen (PP): höhere Migration an Oligomeren, Additive, 2,4-Di-tert-butylphenol

• Polyethersulfone

• Co-Polyester (Tritan, Eastman): Bewertung der EFSA abgeschlossen

• Polyamid: Freisetzung von BPA und Cyclododecen,

cyclische Polyamid-Dimere

• Silicone: Freisetzung von Phthalaten und Aldehyden

(Simoneau et al., 2012: Food Add.Contam.)

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DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT

PD Dr. Detlef Wölfle

Bundesinstitut für Risikobewertung

Max-Dohrn-Straße 8-10, 10589 Berlin

www.bfr.bund.de

Tel. 030 - 18412 - 3419

[email protected]

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 26

Bewertung von Niedrigdosis-Studien mit BPA (EFSA, EU-RAR, FDA, NTP, Health Canada)

• mangelnde Reproduzierbarkeit Stammsensitivität, Futter

• Experimentelles Design oft: nur 1 Dosis, fehlende Positivkontrolle,z.T. s.c. Gabe, kleine Tierzahlen, Wurf-Effekte

• Relevanz für den Menschen Hirnstrukturen, Hormonwirkungen

• adverse Effekte z.B. Persistenz im adulten Tier, Krankheitsbild?

• biologische Plausibilität z.T. fehlende Dosis-Wirkungsbeziehung

• Wirkungsmechanismus nur über klassische Östrogen-Rezeptoren?

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 27

Bewertung von Niedrigdosis-Studien mit BPA (EFSA, WHO, ANSES)

•EFSA (2010): „Die Bedeutung dieser Befunde für die menschliche Gesundheit kann

gegenwärtig nicht beurteilt werden; sollten jedoch in Zukunft neue einschlägige

Daten zur Verfügung stehen, wird das Gremium dieses Gutachten überprüfen.“

• WHO (2011): „There is considerable uncertainty regarding the validity and relevance of

these observations. While it would be premature to conclude that these evaluations

provide a realistic estimate of the human health risk, given the uncertainties, these

findings should drive the direction of future research with the objective of reducing

this uncertainty.

• ANSES (2011):

• proven effects in animals, suspected effects in humans, even at doses below the regulatory reference doses,

• susceptibility in certain periods of life and in more susceptible populations.

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Aktuelle Risikobewertungen (2)

NTP Brief, 2008:

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 29

Epidemiologische Zusammenhänge (1) ?

Lang et al., 2009: JAMA 300:1303-1310

Association of Urinary Bisphenol A Concentration

With Medical Disorders and Laboratory

Abnormalities in Adults

• Studie: BPA-Gehalte im Urin und Angaben aus Fragebögen von Erwachsenen. 1455 Probanden (NHANES, 2003/04)

• Frage: Korrelation zwischen der

Ausscheidung von BPA und chronischen Erkrankungen?

• Problem: BPA-Gehalt in 1 Urinprobe: kein Kausalzusammenhang; Confounder ?

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 30

Epidemiologische Zusammenhänge (2) ?

Melzer et al., 2010: http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0008673

Association of urinary bisphenol A concentration with heart disease:

Evidence from NHANES 2003/06.

„A cross-sectional analysis of NHANES: subjects were …n = 1493 (2005/06)

adults aged 18–74 years, United States.“

„Urinary BPA concentrations in 2005/06 were substantially lower than in 2003/04.

Despite this, we have replicated earlier findings that

higher urinary concentrations of Bisphenol A are associated with

an increased prevalence of coronary heart disease.

Associations between urinary BPA concentration and diabetes

or liver enzyme increases were not statistically significant in 2005/06...

The cross sectional nature of the associations reported need to be treated with caution, …

Detailed studies are needed to clarify the mechanisms explaining

the statistical association between BPA and adult morbidity.“

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 31

Epidemiologische Zusammenhänge (3) ?

- Frühkindliche Verhaltensveränderungen nach vorgeburtlicher BPA-Exposition

bei Mädchen (Alter: 2 Jahre, USA):

Adjusted BPA concentrations at approximately 16 weeks of pregnancy were associated with higher externalizing scores (a composite of aggression and hyperactivity subscales).

Braun et al., 2009: Environ.Health Perspect. 117, 1945-52

- Keine frühkindliche Verhaltensveränderungen nach vorgeburtlicher BPA-Exposition

(Alter: 5 Wochen, USA)

Yolton et al., 2011: Neurotox. Teratol. 33, 558-566

- Sexuelle Dysfunktion bei männlichen Arbeitern in China (Fragebogen-Angaben)

nach beruflicher Exposition:

•ca. 50fach höhere BPA-Konzentrationen im Urin als in Personen ohne BPA-Expsosition•ca. 4-7fach höhere Angaben für sexuelle Dysfunktion

Li et al., 2010: Hum.Reprod. 25, 519-527

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 32

Aktuelle Risikobewertungen (3b)

FDA Update, 2010:

“Studies employing standardized toxicity tests have thus far supported

the safety of current low levels of human exposure to BPA.

However, on the basis of results from recent studies using novel approaches

to test for subtle effects, both the NTP… and FDA have

some concern about the potential effects of BPA

on the brain, behavior, and prostate gland in fetuses, infants, and young children.“ 

http://www.fda.gov/NewsEvents/PublicHealthFocus/ucm197739.htm

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Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 33

Produktion und Verwendung von BPA

EU-RAR: http://ecb.jrc.it/documents/ExistingChemicals/RISK_ASSESSMENT/ADDENDUM/bisphenola_add_325.pdf…

Westeuropa (2005/2006)

Application Tonnes/year

BPA production 1,150,000

BPA uses

Polycarbonate 865,000

Epoxy resins 191,520

- can coatings 2,755

- ethoxylated BPA 2,260

Phenoplast cast resin processing 8,800

Unsaturated polyesters 3,600

Thermal paper 1,890

Page 34: BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Bisphenol A: Ein gesundheitliches Risiko ? Detlef Wölfle Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Abt. 7, Sicherheit.

Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 34

Enwicklungsneurotoxizität von BPA (1):Stump et al., Toxicol. Sci. 2010

Studiendesign (OECD 426):•an Ratten (Sprague-Dawley, 12 Tiere pro Gruppe)•Gabe über das Futter (0,15; 1,5; 75; 750; 2250 mg/kg)•Während der Trächtigkeit (GD 0) bis nach der Geburt (LD 21)•Tägliche BPA-Aufnahme (Trächtigkeit): 0,01; 0,12; 5,85; 56,4; 164 mg/kg Körpergewicht•Tägliche BPA-Aufnahme (Laktation): 0,03; 0,25; 13,1; 129; 410 mg/kg Körpergewicht

Untersuchungen an Muttertieren:

Klinische Beobachtungen, Körpergewichte, Futteraufnahme;

Nekropsie mit Leber und Nierengewichten.

Untersuchungen an F1-Nachkommen (in 4 verschiedenen Gruppen):

Klinische Beobachtungen, Körpergewichte, Geschlecht; Reaktion des Aufrichtens.

Detaillierte klinische Beobachtungen, Schreckreaktion, motorische Aktivität, Lernen und Erinnerung (Biel maze); Hirngewichte z.T. mit neuropathologischer und morphometrischer Auswertung; Entwicklungsparameter; Nekropsie.

Page 35: BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Bisphenol A: Ein gesundheitliches Risiko ? Detlef Wölfle Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Abt. 7, Sicherheit.

Wölfle, 25.01.2012 / BPA: ein gesundheitliches Risiko? Seite 35

Enwicklungsneurotoxizität von BPA (2):Stump et al., Toxicol. Sci. 2010

Studienergebnisse:Maternale Toxizität: keine klinischen Effekte, Gestation: Reduzierte Körpergewichtszunahme in den beiden oberen Dosisgruppen bei geringerer Futteraufnahme.Keine Effekte auf Leber und Niere und das Reproduktionsverhalten

Toxizität bei den Nachkommen: In den beiden oberen Dosisgruppen: •geringere mittlere KG und KG-Zunahme (♂ + ♀); •klonische Bewegungen nur am 11. Tag nach Geburt bei einigen Tieren (Konvulsionen, und/oder „popcorn seizures“), die nicht reproduzierbar waren.

Nur bei Männchen in der niedrigsten Dosisgruppe am 62. Tag nach Geburt:•Beeinträchtigung des Lernverhaltens?

Keine neuropathologischen Effekte bei den Nachkommen.

Insgesamt: Dosis ohne toxische Wirkung (NOAEL): 5,8 mg/kg Körpergewicht pro Tag