Campus Delicti #304

20
campus delicti Nr. 304 09. Juli 2009 Kleiner Preis, großer Schaden ............... 5 Baustelle statt Tiefgarage ................. 4 Uni-Liga mit furiosem Finale ............... 13

Transcript of Campus Delicti #304

Page 1: Campus Delicti #304

campus delictiNr. 304 09. Juli 2009

Kleiner Preis, großer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . 5

Baustelle statt Tiefgarage . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Uni-Liga mit furiosem Finale . . . . . . . . . . . . . . .13

Page 2: Campus Delicti #304

�  ı Inhaltsverzeichnis

Editorial  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3

UniversitäresParkplätze weg oder was? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4

HoPo„Raketen-Monis“ Abschuss vom Uni-Thron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5

PolitikTextilschnäppchen zum hohen Preis oder: „Made in Hell“ . . . . . . . . . . . . .5

Ein Vortrag gegen das Vergessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .9

SportUni-Liga �009 – Ein spannendes Saisonfinale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13

KulturKurzfilmfestival: Studierende präsentierten ihre Werke . . . . . . . . . . . . . .15

Zakk holt deutschsprachige Poetry-Slam-Meisterschaften  nach  Düsseldorf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16

Bücher für den Campus: „Deutschland auf der Couch“  . . . . . . . . . . . . . 17

Comic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8

Kurzgeschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18

Termine/Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .�0

IMPRESSUM

AStA der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Universitätsstraße 140225 Düsseldorf

Tel: +49 (0)211/81-13172E-Mail:

[email protected]

RedaktionMarc Cechura

Gudrun HütherLinda KuhlenDagny Rößler

Freie MitarbeitValerie Timm

LayoutRegina Mennicken

TitelbildDagny Rößler

DruckTupper, Asten-Druckerei

Auflage1500

V.i.S.d.P.Christoph Sterz

Page 3: Campus Delicti #304

ı  3Editorial

Liebe Leserin,lieber Leser!

Da stehe ich nun . Ich bin im Keller meines Hauses angekommen und hatte bis vor wenigen Augenblicken noch einen eindeutigen Grund, hier zu sein . Warum ich jetzt aber zwischen abgestellten Fahrrädern und zwischengelagerten Möbelstücken stehe, weiß ich leider nicht mehr . Und plötzlich fällt mir auf, dass ich zu allem Überfluss auch noch meinen Schlüsselbund gerade an irgendeiner unmöglichen Stelle im Keller abgelegt haben muss . Ja, richtig – wohin genau, habe ich selbstverständlich ebenfalls vergessen . 

Leider geraten viele wichtige Dinge schnell in Vergessenheit – dazu gehören auch sehr ernste Themen . Denn was vorgestern in der Zeitung stand, weiß übermorgen schon längst niemand mehr . Ein bisschen geht das auch so mit der Lage im Iran . Denn nach den dortigen Wahlen ist die Situation weiter sehr schwierig – nur ist darüber auf den ersten Seiten der Zeitungen kaum noch etwas zu lesen . Um erneut auf das Thema auf-merksam zu machen, haben Studierende einen Vortrag zur Lage im Iran gehalten . Marc Cechura informiert Euch darüber ab Seite 9 . 

Bei Kinostreifen mit epischer Länge kann man ja durchaus schon einmal den Faden verlieren . Ein Glück, dass es auch kurze Filme gibt, die das Gedächtnis etwas weniger strapazieren . Zu sehen waren viele solcher Filme in der vergangenen Woche in der Düsseldorfer Fachhochschule . Linda Kuhlen war dort und berichtet ab Seite 15 über die „Allwissende Videokassette“ .

Wenn ich mal wieder meine Socken irgendwo deponiert habe und nur noch lauter einzel-ne Exemplare im Schrank finde, ist das nicht besonders schlimm: Ich gehe schnell zum nächsten Discounter, der gerade zum Glück Strümpfe für wenig Geld im Angebot hat, und verdränge das Sockenproblem dann wieder für ein paar Tage . Mein gedankenloses Tun ist aber ganz bestimmt keine gute Idee . Denn billige Kleidung von Aldi, Lidl & Co . kommt oftmals aus Fabriken, die ihre Angestellten unter schlechtesten Arbeitsbedin-gungen mit einem Hungerlohn abspeisen . Lest dazu mehr von Dagny Rößler ab Seite 5 . 

Jetzt steht hier auf meinem Zettel noch ein Thema, das ich ebenfalls ankündigen wollte . Zu dumm, dass ich nicht mehr weiß, wie ich das anstellen soll . Dabei hatte ich so eine gute Idee – wenigstens daran erinnere ich mich noch . Nicht aber, wie ich es genau machen wollte . Dann muss es eben einfach so gehen: Die erste Düsseldorfer Uni-Liga ist Geschichte, alle Partien sind gespielt . Alles rund um die Uni-Liga hat Gudrun Hüther ab Seite 13 für Euch .

Viel Spaß beim Lesen .

Christoph SterzV .i .S .d .P .

Page 4: Campus Delicti #304

4  ı Universitäres

Als am vergangenen Freitag der Grund-stein für das „Oecononicum“, das neue Gebäude der Wirtschaftswissenschaft-lichen Fakultät, gelegt wurde, sah man rund um die Baustelle fröhliche Gesichter. Kein Wunder, bekamen die Uni, vertreten durch Rektor, Kanzler und den passenden Dekan, den Neubau doch quasi geschenkt. Schlappe 40 Millionen Euro hat die För-derstiftung der Monheimer Unternehmer-familien Schwarz und Schwarz-Schütte lo-cker gemacht und spendiert nicht nur das neue Gebäude, sondern auch gleich einen ganzen Studiengang. Die ersten 25 Jahre soll die Stiftung das Institut für Volkswirt-schaft bezahlen, danach muss die Uni sel-ber zahlen.

Klar, dass da auch Innovationsminister Andreas Pinkwart und Bürgermeister Fre-derick Conzen strahlen. Immerhin profi-tieren auch die Stadt Düsseldorf und das Land NRW von der privaten Investition.

Baustelle statt Tiefgarage

Im Vorfeld war vielen Studierenden das Strahlen aber vergangen. Schon im Janu-ar wurde angekündigt, dass für die Bau-arbeiten die Tiefgarage vorübergehend geschlossen werden würde. Weniger Parkplätze und das bei einer Pendleru-ni wie Düsseldorf? Kann das gut gehen? Der Verwaltung zufolge ja, denn es gebe sehr wohl genügend Parkplätze auf dem Heine-Campus. So informierte der Rektor den AStA schriftlich darüber, dass die Ver-kehrswacht Düsseldorf im Dezember 2007 und Januar 2008 ermittelt habe, „dass die Tiefgarage im Schnitt zu 90 Prozent (630

Parkplätze weg oder was?Für den Bau des „Oeconumicums“ muss die Tiefgarage zeitweilig weichen – was hat sich geändert?

von 700 Stellplätzen) ausgelastet ist. Dage-gen sind die Parkplätze P25 mit 65 Prozent (236 von 363 Stellplätzen) und P27 mit 45 Prozent (458 von 1.018 Stellplätzen) im Durchschnitt deutlich geringer ausgelas-tet. Auf den beiden vorgenannten Park-plätzen werden somit durchschnittlich 687 Stellplätze nicht genutzt. Demnach stehen den durchschnittlich in Anspruch genommenen 630 Stellplätzen in der Tief-garage insgesamt 687 freie Stellplätze auf den Parkplätzen P25 und P27 gegenüber.“

Mit den Ausweichparkplätzen sind derjenige hinter der Universitätsbiblio-thek gemeint und das Parkdeck an der Mathemat.-Nat.-Fakultät. Nun kann man natürlich spekulieren, wann ge-nau die „Ermittlung“ stattgefunden hat, denn die Zahlen sind schon merkwürdig. Um zumindest die begründete Vermu-tung zu haben, dass es genug Parkplätze geben müsste, muss man aber ohnehin kein Genie sein, und auch nicht die Ver-kehrswacht. Denn das Parkdeck P27 wur-de bislang nur sehr verhalten genutzt. Natürlich ist es für die Studierenden der Mat.-Nat. echt praktisch und für die Be-wohner des Campus Süd sowieso. Aber auch den übrigen Fahrzeugbesitzern ist der Fußmarsch quer über den Campus durchaus zuzumuten. Sicher ist die Tief-garage natürlich viel toller, aber eben

doch Luxus und somit notfalls entbehr-lich.

Ärgerlich war es hingegen, dass die Bauarbeiten am Parkdeck nicht vor der Schließung der Tiefgarage beendet wer-den konnten. Die Ausfahrt war seit Mo-naten gesperrt, so dass man gezwungen war, gegen die angegebene Fahrtrichtung (ergo gegen die Straßenverkehrsordnung, die auf den Parkplätzen der HHU gilt) heraus zu fahren und sich mit dem entge-genkommenden Verkehr zu arrangieren. Was auch gut klappte, solange nur wenige Fahrzeuge unterwegs waren. Jetzt ist es da-gegen richtig voll – und das Chaos ist vor-programmiert. Aber was soll man sagen: Nach nur zwei Wochen Verkehrsanarchie ist das Problem beseitigt. Zwar ist die de-fekte Treppe, Auslöser der Baumaßnahme, noch immer nicht repariert. Aber die Aus-fahrt ist wieder frei, und alles ist gut. Nur dumm, dass die „Durchfahrt verboten“-Schilder, die irgendein cleverer Mensch irgendwann überklebt hatte, um die ad absurdum geführte Einbahnstraßensitua-tion zu beheben, nun immer noch über-klebt sind.

Aber man kann ja nicht alles haben. Die Tiefgarage bleibt jedenfalls noch bis Okto-ber 2010 geschlossen, soll währenddessen aber auch gleich saniert werden. Schaden kann das jedenfalls nicht.� Marc�Cechura

Die Brücke ist noch nicht repariert, aber die Autos können wieder richtig 

herum fahren (Bilder: Marc Cechura)

Die Uni ist eine Baustelle

Page 5: Campus Delicti #304

ı  5HoPo

„Raketen-Monis“ Abschuss vom Uni-ThronIn den vergangenen Wochen gab es viel Wirbel an der Hamburger Uni. Erst ent-zogen 120 Professoren und vier von fünf Dekanen ihrer Universitätspräsidentin, Monika Auweter-Kurtz, das Vertrauen. Dann verfasste das Studierendenpar-lament eine Petition, in der es sich für den Abtritt der Universitätspräsidentin aussprach. Und doch konnte sich Auwe-ter-Kurtz lange nicht dazu durchringen, ihren Aufhebungsvertrag über eine Tren-nung in beidseitigem Einvernehmen zu unterzeichnen. Hamburgs Bürgermeis-ter Ole von Beust wollte das Problem so schnell wie möglich aus der Welt schaf-fen und schaltete sich ein. Mit Erfolg: In der vergangenen Nacht legte die Uni-Prä-sidentin ihr Amt freiwillig nieder. Dafür zahlt ihr die Stadt eine sechsstellige Ab-findung.

Demokratische Auswahl

Nach über zweieinhalb Jahren ist die Amtszeit der Raketenforscherin Moni-ka Auweter-Kurtz also vorbei. Zu autori-tär wollte sie wichtige Reformen an der Hochschule durchboxen. Damals wurde sie vom Hochschulrat ernannt, nachdem Headhunter nach geeigneten Kandidaten Ausschau gehalten hatten. Nun soll die Universität stärker in die Suche und Aus-wahl ihres Nachfolgers eingebunden wer-den. „Früher hat es diese Verfahren ausge-zeichnet, dass Bewerber vor Mitgliedern der Universität in einem Vortrag über ihre Wünsche und Ziele sprachen“, sagte

Hochschulexpertin Dorothee Stapelfeldt dem Hamburger Abendblatt. Wir brau-chen ein Gremium, in dem die Universität angemessen und demokratisch repräsen-tiert wird. Eine Lösung könnte beispiels-weise sein, dem Akademischen Senat wie-der mehr Macht zu geben.“

Als mögliche Kandidatin für ihre Nach-folge wird die Juristin und Vize-Präsiden-tin Gabriele Löschper gehandelt, die aus der Hochschule selbst stammt und mehr Einfühlungsvermögen als Auweter-Kurtz besitzen soll. Sie würde ein schweres an-treten müssen: Hamburgs Uni ist geprägt von mittelmäßiger Forschung, schlechter Betreuung der Studierenden und maroden Gebäude. Löschper übernimmt das Amt zunächst vorübergehend.

Diskussion um Uni-Umzug

Heiß diskutiert wird das Vorhaben mit der Uni in die Hafencity umzuziehen. Das Bauvorhaben soll Milliarden kosten. Viele Universitätsmitglieder wollen jedoch am alten Standort im Stadtteil Eimsbüttel bleiben. Sie befürchten, dass mit einem Umzug auch die Strukturen der Uni zer-stört werden. Befürworter des Umzugs sehen in einem Neubau die Chance, alte Strukturen aufzubrechen und Deutsch-lands fünftgrößte Hochschule zukunfts-fähig auszurichten. „Um den Job schlägt sich gewiss keiner“, glaubt Michael Hart-mer vom Hochschulverband laut Finan-cial Times Deutschland.

Hätte Auweter-Kurtz den Auflösungs-

vertrag am vergangenen Freitag nicht unterschrieben, hätte ihr die Abwahl in den Hochschulgremien gedroht. Unge-schickt war das Vorgehen der Wissen-schaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU). Denn die Medien wussten eher vom Angebot des Auflösungsvertrags als Auweter-Kurtz oder der Hochschulrat. Dieser fühlte sich übergangen. Der Wis-senschaftssenatorin wurde vorgeworfen, in die Autonomie der Hochschule einge-griffen zu haben. Danach wackelte auch ihr Posten, Hochschulexperten der Op-position und der Vorsitzende der Studie-rendenvertretung forderten ihren Rück-tritt.� Dagny�Rößler

Monika Auweter-Kurtz hat in der Nacht zu Donnerstag ihr Amt niedergelegt (Bild: 

Uni Hamburg)

Alle  zwei  Monate  laden  die  Globalisie-rungskritiker von Attac zum Politischen Frühstück  ins  zakk .  Am  vergangenen Sonntag referierte Christiane Schura von SÜDWIND  e .V .  –  Institut  für  Ökonomie und Ökumene – bei Kaffee und frischen Brötchen darüber, was hinter den Textil-schnäppchen im Supermarkt steckt . Für 6,50 Euro wurden Wissensdurst und der morgendliche Hunger gestillt . 

Textilschnäppchen zum hohen Preis oder: „Made in Hell“

Finanzkrise = Boom für Discounter

Alle reden von der Finanzkrise. Viele sor-gen sich um ihre Jobs. Nur den Discoun-tern geht es in Zeiten der Krise prima. Die Meisten drehen jetzt jeden Euro um und gehen lieber bei Aldi auf Schnäppchen-jagd, als in den teuren Warenhäusern nach Kleidungsstücken zu suchen. Doch wie schaffen es Discounter wie Aldi, die Preise der Aktionswaren zu drücken? Christiane Schnura hat sich intensiv

mit dieser Frage beschäftigt und macht nun auf die Missstände in den Produk-tionsstätten aufmerksam. Sie ist beim Südwind-Institut beschäftigt, das hand-lungsorientierte Recherchen zu weltwirt-schaftlichen Themen durchführt. Dabei ist Aldi nur ein Beispiel für die vielen Discounter. Dass sich die Situation der Fabrikarbeiter bessert, scheint mitten in der Finanzkrise in weite Ferne zu rücken. Denn weltweit werden 20 Millionen mehr Arbeitslose erwartet. Arbeitskraft

Page 6: Campus Delicti #304

6  ı Politik

wird so noch günstiger, noch austausch-barer.

Ein Blick nach China

China ist für die Bekleidungsindustrie als Produktionsstandort prädestiniert: Eine gut ausgebaute Infrastruktur, eine eigene Baumwollindustrie und vor allem viele verfügbare Arbeitskräfte. Die ideale Ar-beitskraft ist fügsam, geschickt, schnell und belastbar, arbeitet täglich 14 bis 16 Stunden, sechs bis sieben Tage in der Woche. Diese Eigenschaften erfüllen vor allem junge Mädchen. Daher sind 80 Prozent der Belegschaft in den Fabriken weiblich. Die Arbeitsbedingungen im Jahr 2007 sind laut einer Studie von Südwind menschenunwürdig: Überstunden wer-den kaum bezahlt, der Lohn wird mitun-ter monatelang zurückgehalten, der Mut-terschutz wird missachtet, drei von fünf Angestellten sind minderjährig, verein-zelt werden Toilettengänge reglementiert, Gewerkschaften und Betriebsräte werden unterdrückt. In China handelt es sich bei den Produktionskräften hauptsächlich um Wanderarbeiter. Wenn sie von ih-rem Betrieb schlecht behandelt werden, ziehen sie weiter. Nach und nach spricht sich herum, wo man gut arbeiten kann, die Arbeitsverhältnisse verträglich sind, und wo nicht. Die Betriebe reagieren auf die abrupten Arbeitsplatzwechsel mit ei-ner eingeschränkten Kündigungserlaub-nis, darüber hinaus muss vereinzelt bei der Einstellung eine Kaution gezahlt wer-den, um arbeiten zu dürfen. Die Fabriken versuchen, so die Arbeitskräfte an sich zu binden.

Doch auch China ist laut Schura schon zu teuer geworden: 2008 wurden dort Ar-beitschutzgesetze eingeführt. Die Verhält-nisse in den Fabriken haben sich verbes-sert. Adidas verlagerte seine Produktion nach Vietnam. Der Umzug von einer Pro-duktionsstätte zur nächsten ist einfach, denn die Bekleidungsindustrie ist flexibel. Nähmaschinen lassen sich schnell ab-montieren und verschicken. Christiane Schnura illustriert: “Am besten baut man eine Fabrik auf ein Schiff, dann kann man dort hinfahren, wo es die günstigsten Ar-beitskräfte gibt.“

Die Bekleidungsindustrie im Wan-del

In den 1970er Jahren gab es in Deutsch-land noch eine starke Bekleidungsindus-

trie. Mittlerweile kommen 95 Prozent der Textilien aus dem Ausland. „Hier werden nur noch Muster genäht“, betont Schnu-ra. Alles wird „just in time“ ohne lange Lagerzeiten verkauft. Früher wechselten die Kollektionen im Rhythmus der Jah-reszeiten, heutzutage stellt beispielsweise Zara alle vier Wochen die Kollektion um. Entwickelt sich ein Kleidungsstück zum Renner, bietet das Internet die schnellste Kommunikationsmöglichkeit, um noch mehr Modelle anzufordern und so die Auf-lage zu steigern. Ein anderer Trend ist es, per Internet die Aufträge für Kollektionen auszuschreiben und sie dem günstigsten

Bieter zu überlassen. Betriebe überschla-gen sich, um das Unmögliche zu schaffen und geben den Druck an ihre Belegschaft weiter. Damit machen die Discounterrie-sen ein Schnäppchen auf Kosten der Fa-brikarbeiter. Die Zulieferer hoffen darauf, einen „Fuß in die Tür“ zu kriegen, also darauf, dass weitere Großaufträge folgen werden.

Schnura betont: „Egal ob Prada, Gucci oder Aldi, man findet fast immer die glei-chen Arbeitsbedingungen vor.“ So kann es zum Beispiel sein, dass die Produkte für Esprit und Aldi in der gleichen Fabrik her-gestellt werden. Der höhere Preis ist kein

Frühstücken und diskutieren geht im zakk gleich-

zeitig (Bilder: Dagny Rößler)

Page 7: Campus Delicti #304

ı  7Politik

Garant für bessere Arbeitsbedingungen. „Der Preis ist nur höher, weil die Stoffe hochwertiger sind“, erklärt sie. Viele Be-kleidungsunternehmen besitzen einen Verhaltenskodex. Dieser erscheint aber nur dort sinnvoll, wo auch eine unabhän-gige Kontrolle stattfindet. Die Modeunter-nehmen sicherten zu, den jeweiligen Min-destlohn eines Landes zu zahlen. Dabei ist der Mindestlohn aber nicht mit einem existenzsichernden Lohn gleichzusetzen. In Indonesien reichen die Löhne zum Bei-spiel bei 90 Prozent der Arbeiter nicht für den Tagesbedarf.

Marktmacht Aldi

Der Bekanntheitsgrad von Aldi liegt in der Bevölkerung bei 99 Prozent. 85 Prozent der Deutschen haben schon einmal bei Aldi eingekauft, davon ist gut die Hälfte besserverdienend. Der einst verschrie-ne „Schmuddelladen“ mauserte sich seit dem Gründungsjahr 1960 zum achtgröß-ten Textileinzelhändler in Deutschland und lässt damit zum Beispiel auch Peek & Cloppenburg hinter sich. Mittlerweile be-sitzen die Gebrüder Albrecht zusammen über 30 Milliarden Euro. Da es sich bei Aldi um ein Familienunternehmen han-delt, muss Aldi keinen Geschäftsbericht ablegen. Die Strukturen und Bilanzen sind dadurch extrem intransparent.

Aldi kann sich die günstigen Preise leisten, da sich der Kunde damit begnü-gen muss, die Waren aus dem Pappkar-ton heraus zu kaufen. Machen die Perso-nalkosten bei den Supermärkten etwa 14 Prozent der Kosten aus, sind es bei Aldi nur etwa sieben Prozent. Weltweit hat Aldi 190.000 Beschäftigte. Zu Beginn der Unternehmensgeschichte war Aldi für seine übertarifliche Bezahlung bekannt. Im Laufe der Zeit sei immer mehr unbe-zahlte Mehrarbeit hinzugekommen: Die obligatorischen 30 Minuten vor Arbeits-beginn, die Zeit zum Putzen und Auf-räumen, wird nicht als Arbeitszeit ange-rechnet. Betriebsräte gibt es nur bei Aldi Nord.

Öffentlicher Druck weckt Metro auf

Aktivisten empörten sich nach einer Ak-tionärshauptversammlung der Metro Group vor einigen Wochen. Die Metro Group zählt zu den bedeutendsten inter-nationalen Handelsunternehmen und ist im Selbstbedienungsgroßhandel weltweit Marktführer. Aufsehen erregte der Tod ei-

Eine andere Welt ist nötig!

Das sagt auch die Düsseldorfer Ortsgruppe von Noya, dem globalisierungskritischen Ju-gendnetzwerk in Attac und unterstützt die „Kampagne für saubere Kleidung“ . Zum Beispiel bestücken sie die Sonderangebote mit Aktionsetiketten oder verteilen „Kundenkarten“ an die Geschäftsführung, die auf die unwürdigen Bedingungen in der Produktion aufmerksam machen . In Düsseldorf hat sich Noya erst im vergangenen Jahr gebildet und sucht Nach-wuchs . Jeden zweiten und vierten Montag im Monat trifft sich die Düsseldorfer Noya-Grup-pe um 19 .30 Uhr im „Linken Zentrum, Hinterhof“ (Corneliusstr . 108, Düsseldorf) .Die Noya Gruppe schreibt auf ihrer Homepage über sich: „Wir verstehen uns als Bewegung junger Menschen, die die politischen und wirtschaftlichen Prozesse der Globalisierung be-trachten, hinterfragen und Möglichkeiten  ihrer Umgestaltung erarbeiten möchten, um sie im Rahmen von protestorientierten Aktionen bekannt zu machen .“Bei Interesse könnt Ihr einfach eine E-Mail an duesseldorf@no-ya .de schreiben oder Euch bei Henning Konetzke im Ökoreferat des AStA erkundigen . 

ner Fabrikarbeiterin, die offenbar durch menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse in Bangladesch zu Tode gekommen war. Die Chefetage der Metro reagierte und brach die Lieferbeziehungen zum Zuliefe-rer ab, anstatt die Arbeitsbedingungen vor Ort zu verbessern. Laut Schnura ist diese „cut and run-Strategie“ weit verbreitet. „Dies ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der ArbeiterInnen und ein neuerlicher Bruch des Metro-Verhaltenskodexes: Erst beutet man die ArbeiterInnen jahrelang gnadenlos aus – und wenn es jemand mit-bekommt, flieht Metro aus der Fabrik“, äußert sich Maik Pflaum von der Christli-chen Initiative Romero (CIR) entsetzt auf der Homepage von der „Kampagne für saubere Kleidung“. Nach einem Treffen

mit verdi und Vertretern der „Kampagne für saubere Kleidung“ entschloss sich die Metro Group, der Fabrik wieder Aufträge zu erteilen.

Für Menschenwürdige Arbeitsbe-dingungen

Die Initiatoren der „Kampagne für saubere Kleidung“ sind seit 13 Jahren in Deutsch-land aktiv. Sie setzen sich für die Einhaltung grundlegender Arbeitsnormen in der glo-balen Lieferkette ein. Denn oftmals treffen die Verhaltenskodizes nach den Recherchen von Südwind nur auf die Direktzulieferer zu. Denn in der Regel ließen sich die Modekon-zerne nicht nur von Subunternehmen be-liefern, sondern auch von Subsub- oder gar

Henning Konetzke vom Ökologiereferat beantwortet Fragen zur Noya-Ortsgruppe

Page 8: Campus Delicti #304

8  ı Politik

Subsubsubunternehmen. Kontinuierlich sollten die Konzerne über die Arbeitsbedin-gungen ihrer Zulieferer Bericht erstatten. Kontrollverfahren müssten unabhängig durchgeführt werden. Ebenso unabhängig sollten Beschäftigte Beschwerdeverfahren gegen ihren Betrieb einreichen dürfen. Die Modekonzerne müssten die finanzielle Hauptverantwortung tragen. Denn zur Ver-besserung der Arbeitsbedingungen dürften

nicht zwingend die Verbraucher zur Kasse gebeten werden. Zwölf Prozent Gewinn stri-chen die großen Modelabel ein, nur ein Pro-zent werde für den Lohn beansprucht.

Auch die Verbraucher tragen Ver-antwortung

Aber auch wir Verbraucher sollten uns die Frage stellen, wie viel Kleidung wir

wirklich brauchen, wie voll und groß unser Kleiderschrank wirklich sein muss. Können wir nicht das gedankliche Mindesthaltbarkeitsdatum unserer Kla-motten in den Köpfen noch ein wenig verlängern und die Jeans oder den Pulli auch gegen den Trend noch ein wenig länger tragen?� Dagny�Rößler

Comic

Page 9: Campus Delicti #304

ı  9Politik

Seit  es  nach  den  Präsidentschafts-wahlen  in  Iran  am  1� .  Juni  zu  De-monstrationen, Unruhen  und Straßen-schlachten  zwischen  Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen ist, richtet  sich  der  Blick  der  Medien  auf den  Staat  am  Golf .  Noch .  Denn  wie es nun einmal so ist, werden Konflikte mit  der  Zeit  nur  selten  interessanter . Vor allem, wenn man überhaupt nicht versteht,  worum  es  dabei  eigentlich geht .  Deshalb  hat  die  Gruppe  „Unab-hängige  Iranische  Studierende“  am Montagabend  zu  einer  Veranstaltung mit  dem  Thema  „Iran:  Aktuelle  Lage aus  Sicht  der  Studierenden“  eingela-den, um die Hintergründe zu erklären und die Wahrnehmung für die Situation zu schärfen .

„Jeden Tag passiert vieles auf der ganzen Welt. Und nach zwei Wochen haben wir alles wieder vergessen. Wir machen die-se Veranstaltung auch, damit die Men-schen, die im Iran sterben, nicht verges-sen werden!“, stellt Pouyan dem Vortrag voran. Der Informatikstudent will seinen Nachnamen nicht verraten, er fürchtet Konsequenzen. Wie er studieren auch Shabnam Shabany und Said Boluri an der Uni Essen-Duisburg, wo sie mit ihrem Vortrag schon einmal an die Öffentlich-keit getreten sind. Die beiden Politikwis-senschaftler Shabnam und Said haben keine Probleme damit, ihre Namen zu nennen. Sie ist Deutsche, er Exil-Iraner, sie haben nicht vor, in den Iran einzu-reisen, solange er eine „Islamische Repu-blik“ ist. Pouyan dagegen ist nur für das Studium in Deutschland.

Die „Unabhängigen Iranischen Studie-renden“ sind kein Verein, keine Organi-sation oder ähnliches, es ist lediglich ein loser Zusammenschluss von Studierenden aus dem Iran oder mit iranischen Wur-zeln. „Die meisten von uns haben sich im Laufe der Wahlen kennen gelernt. Man hat darüber gesprochen und sich ausge-tauscht. Vorher wusste ich gar nicht, dass es so viele Iraner in NRW gibt“, erinnert sich Pouyan.

Ein Vortrag gegen das VergessenIranische Studierende klären an der Heine-Uni über Ursachen und Auswirkungen der Unru-hen auf

Konstitutionelle Revolution, Opera-tion Ajax und die Weiße Revolution

Gut 40 Besucher haben sich am Montag-abend im Hörsaal 2D im Gebäude 22.01. eingefunden und hören gespannt und konzentriert zu, was die drei jungen Leu-te am Rednerpult zu sagen haben. Shab-nam erläutert die historischen Vorausset-zungen, fasst die jüngere Geschichte des Irans zusammen: Wie durch die Revolu-tion von 1905 bis 1911 aus dem absolutis-tischen Staat eine konstitutionelle Mon-archie nach westlichem Vorbild wurde. Wie mit der Dynastie der Pahlavi die bei-den letzten Schahs dennoch mit strenger Hand regierten und Widerstand blutig niederschlugen. Wie der gewählte Premi-erminister Mohammed Al Mossadegh die Macht der westlichen Industrienationen unterbinden wollte, die Irans reiche Öl-vorkommen auf eigene Rechnung aus-beuteten. Mossadegh wurde 1953 durch die „Operation Ajax“ der CIA gestürzt, ein schahtreues Militärregime eingesetzt.

Trotz seiner Bestrebungen, mit der „Wei-ßen Revolution“ Wohlstand umzuvertei-len, bessere Ausbildung zu gewährleisten und das Frauenwahlrecht einzuführen, verlor der Schah den Kontakt zum Volk. Die Opposition wurde rigoros unter-drückt. Neben der demokratischen „Nati-onalen Front“ Mossadeghs bemühte sich die kommunistische „Tudeh“-Partei um eine friedliche Wiederstandsbewegung, die linksgerichteten „Volksmujaheddin“

führten einen bewaffneten Guerillakrieg. Doch es war vor allem der Konflikt mit der „Hezbollah“-Bewegung des schiitischen Religionsführer Ayatollah Ruhollah Cho-meini, der für Unmut bei der Bevölkerung sorgte, die zu 90 % schiitischen Glaubens ist.

Die Islamische Republik Iran

Chomeini musste 1963 das Land verlas-sen und arbeitete seither aus dem Exil gegen den Schah. 1978 demonstrierten Studenten offen gegen die Regierung, die gewaltsam gegen die Protestler vorging. Doch die Demonstrationen nahmen nur noch mehr zu, Chomeini kehrte in den Iran zurück und der Schah suchte sein Heil in der Flucht. Am 16. Januar verkün-dete er: „Ich musste in Bezug auf die Unru-hen, die es in unserem Land gibt, viel Ge-duld aufbringen. Jetzt bin ich müde und benötige dringend Ruhe und Erholung…“ Für Shabnam ist das ein schlechter Witz: „Der Schah ist also in die Ferien gefahren und nie wieder gekommen“, erklärt sie süffisant. Aber auch die Legitimation der daraufhin von Chomeini ausgerufenen „Islamischen Republik“ steht ihrer Mei-nung nach auf wackeligen Beinen: „ Der Volksentscheid darüber war auch nur mehr oder weniger frei.“

Seither ist die Macht des gewählten Prä-sidenten, des Parlaments und der Regie-rung stark eingeschränkt. Alle Kandidaten und Gesetze müssen vom „Wächterrat“

Pouyan, Shabnam und Said (v .l .n .r .) informierten über die Lage im Iran (Bild: Marc Cechura)

Page 10: Campus Delicti #304

10  ı Politik

bestätigt werden, der zur je zur Hälfte aus geistlichen Vertretern und Juristen be-steht. Während die sechs geistlichen Mit-glieder vom „Obersten Rechtsgelehrten“ (seit dem Tode Chomeinis ist das Ali Chamenei) ernannt werden, wählt das Parlament die sechs anderen. Doch auch diese Kandidaten müssen vom „Obers-ten Rechtsgelehrten“ bestätigt werden, der überhaupt immer das letzte Wort hat. Eine Grafik des Regierungssystems zeigt das Problem sehr deutlich: „Ihr seht hier, dass der Wähler in dem System eigentlich kaum vorkommt“, erklärt Pouyan.

Die Präsidentschaftswahlen 2009

Wozu dann überhaupt Wahlen? Und wie konnte es bei dieser Machtkonzentration überhaupt zu einem derartigen Wahlkampf mit vier Kandidaten, Rededuellen im Fern-sehen und sogar offenen Korruptionsvor-würfen gegen die Regierung kommen?

Für Pouyan ist das nur ein scheinbarer Wiederspruch: „Die Regierung wollte das Interesse an der Wahl steigern und die Wahlbeteiligung in die Höhe treiben. So kann sich das System nach außen legiti-mieren. Dabei ist das System doch allein durch Gott legitimiert!“, stichelt er und erntet Beifall aus den Reihen der Zuhö-rer. „Diese Wahl hat gar keinen Sinn ge-macht“, ist er überzeugt. „Man konnte zwischen Links-Islamisten und Rechts-Islamisten wählen. Eigentlich gab es nur eine Partie mit verschiedenen Namen!“ Dass trotzdem so viele Menschen wäh-len gingen, wundert ihn dennoch nicht: „Die Leute wollten gar keinen bestimm-ten Kandidaten wählen, sie wollten nur die Wiederwahl Ahmedinedschads ver-hindern!“

Tatsächlich war die Wahlbeteiligung erstaunlich hoch. „Eine Wahlbeteiligung von 85 %, wie es in den iranischen Medi-en gesagt wird, kann ich weder bestätigen noch wiederlegen“, gibt Said zu, um zu ergänzen: „Aber glauben kann ich es auch nicht!“ Denn: „Die Medien im Iran sind öffentliches Eigentum und unterstehen der Verfügungsgewalt des Staates“, erklärt er. Dem stimmt Shabam zu: „Man kann im Iran seit über 30 Jahren keine vernünftigen Nachrichten bekommen. Die Berichte wer-den verfälscht oder sogar ins Gegenteil ver-kehrt! Und die Leute im Iran müssen das glauben, es gib ja keine anderen Quellen. Auch mein Vater ist auf diese Propaganda herein gefallen!“

Es geht um mehr als nur um Stim-men

„Dass ich diesen Vortrag halte, kann mir echte Probleme einbringen“, sagt Pouy-an. „Freunden von mir, die in den Iran gefahren sind, hat man an der Grenze ihre Pässe abgenommen. Jetzt können sie das Land nicht mehr verlassen.“

Die drei Initiatoren der Veranstaltung sind von der Situation im Iran also direkt betroffen. Und so geht es vielen der Besu-cher an diesem Abend. Eine Studentin aus Düsseldorf, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, bringt es auf den Punkt: „ Wir haben Freunde und Familie im Iran. Was dort passiert betrifft sie ganz unmit-telbar, wir wissen nicht, ob sie sicher sind, was passieren wird.“

Die Ereignisse der letzten Wochen wer-den noch einmal zusammengefasst, der Blickwinkel ist dabei aber ein anderer, als der von Medien und offizieller Politik. „Wir versuchen, sachlich zu bleiben, auch

wenn es uns oft schwer fällt“, gibt Said zu und Pouyan ergänzt: „Die Informationen, die ich verwende, habe ich direkt von den Leuten im Iran und nicht nur aus den Me-dien.“

Auch, wenn man mit öffentlichem Wahl-kampf und Reformbekenntnissen den Ein-druck einer freien Wahl habe erwecken wollen, sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. „Schon lange vorher wurden kritische Webseiten gesperrt, die Heraus-geber und Chefredakteure der Medien sind allesamt vom Revolutionsführer eingesetzt worden und kritische Zeitungen wurden einfach geschlossen“, berichtet Said. So habe es schon vor der Wahl erste Proteste von Studierenden gegeben, die Polizei habe sich da noch zurückgehalten. Dann ging es Schlag auf Schlag: Das Online-Portal Fa-cebook wurde gesperrt, der Oppositions-politiker Karroubi durfte nicht öffentlich auftreten und die regierungsnahe Bassi-dsch-Miliz griff Studierende an. Neun Stun-den vor Wahlbeginn wurde der SMS-Dienst eingestellt.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl

Was viele Kritiker der Wahlen stutzig ge-macht habe: Schon zwei Stunden nach der Wahl sollen zwei Millionen Stimmen ausgezählt worden sein. „Zwei Millionen Stimmzettel von Hand ausgezählt“, wun-dert sich auch Pouyan. „Wenn ihr die Iraner kennt, dann wisst ihr, dass sie das nicht einmal in zwei Tagen geschafft hät-ten!“

Am Wahlabend gab es daraufhin spon-tane Proteste im In- und Ausland. „Aber die Leute haben da nicht gegen die Isla-mische Republik demonstriert! Sie woll-ten nur ihre Stimme zurück!“, ist Pouyan überzeugt.

Die ersten Toten gab es offiziell am 15 Juni, viele Menschen wurden verhaftet und keiner weiß, wo sie jetzt sind und was mit ihnen passiert. In solchen Momenten gerät der sonst eloquent und flüssig refe-rierenden Student bisweilen ins Stocken: „Das ist sehr emotional für mich, weil es mich persönlich betrifft. Man sieht zwar ständig irgendwelche Katastrophen im Fernsehen, aber wenn man selber betroffen ist, kann man das nicht mehr so von sich fern halten.“ Und auch die sonst gelassen wirkende Shabnam redet sich bisweilen in Rage, wenn es um die Situation der eige-nen Angehörige geht: „Mein Vater ist im Iran und zur Zeit nicht aufzufinden!“

(Bild: wikipedia)

Page 11: Campus Delicti #304

ı  11Politik

Nach den Protesten wurden auch die Webseiten der offiziellen Kandidaten ge-sperrt, bisher regierungstreue Oppositio-nelle verhaftete und das Mobilfunknetz blockiert. Die Telefonverbindung ins Aus-land ist gekappt, öffentliche Versamm-lungen sind verboten und das staatliche Fernsehen zeigt erzwungene Geständnisse von „Terroristen“. Als auch ausländische Journalisten ausgewiesen werden, fürch-ten viele das Schlimmste.

Die Rolle des Internets

Eine besondere Rolle in der ganzen The-matik spielt nun das Internet. Wie be-reits erwähnt, wurden immer wieder Seiten durch die Regierung zensiert oder gesperrt, es sollen sogar Seiten gehackt worden sein. „Das war professionell ge-macht, als Informatiker kann ich das be-urteilen“, meint Pouyan.

Dass das Netz die letzte verbliebene Möglichkeit ist, Informationen aus dem Ausland zu bekommen und dorthin zu übermitteln, wissen die Machthaber. Aber auch andere wissen es. „Uns ist ausgerech-net der ‚Satan‘ zu Hilfe gekommen“, sagt Said schmunzelnd. „Gemeint sind damit die USA und England. Aber es wird nicht lange dauern, dann gehört Deutschland vielleicht auch dazu.“ Westliche On-line-Dienste wie Facebook oder Google-Übersetzungen werden plötzlich in der iranische Landessprache Farsi angeboten, Software wie „Ultrasurf“ oder „Freegate“, mit denen die Netztsperren umgangen werden können, werden für den Iran be-reit gestellt. „Ich weiß nicht, wer dahinter steckt, aber das müssen Leute sein, die sich auskennen“, erklärt Pouyan.

Die Regierung reagiere daruf mit einer Verlangsamung der Netzleistung. Und sie nutze das Netz selber für ihre Zwecke: „Demonstranten werden fotografiert und die Bilder dann ins Netz gestellt, mit dem Aufruf, diese ‚Terroristen, Ungläubigen oder Mujaheddin‘ zu melden“, berichtet Shabnam.

Eine wichtige Aufgabe ist daher, die Kom-munikation zwischen Iran und Ausland zu sichern. Dafür entwickeln die Studierenden ein Computernetzwerk, das in Deutschland bereits funktioniert und nun auch im Iran eingesetzt werden soll. Denn Kommunika-tion ist das A und O. „Nur eine organisierte, einheitliche und unabhängige Bewegung kann zum Erfolg der Demokratie führen“, ist sich Said sicher. Die Opposition im Aus-land sei zu zersplittert, von Kommunisten

bis Schah-Anhängern. Auch fehle die star-ke Leitfigur für eine gemeinsame Politik. Aber solange die Machthaber nicht willens seien, der Bevölkerung mehr Freiheit zu gewähren, würde der Konflikt nur immer mehr eskalieren.

Die Besucher diskutieren mit

Nach so vielen Informationen ist die Neu-gier der Zuhörer keineswegs befriedigt, vielmehr beginnt nun eine lebhafte Dis-kussion. Die Frage, wie es zu solch starken Protesten kommen konnte, obwohl doch alle vier Kandidaten aus der etablierten, regierungsnahen Ecke kommen, können die Referenten aber selbst nicht ganz be-antworten. „Es gab vorher schon immer wieder Proteste von Unzufriedenen. Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahren alt und es herrscht sehr viel Unzufrieden-heit. Und vor den Mediensperren gab es noch recht gute Kontakte in den Westen, man hatte einen Gegenentwurf“, erinnert Pouyan und Shabnam ergänzt: „Daher wissen die Leute im Iran auch, wie sehr Ahmadinedschad das Ansehen des Iran im Ausland beschmutzt. Und darüber sind sie richtig wütend!“ Auch Said wundert sich: „Jede echte Opposition wurde bei der Kul-turrevolution vernichtet. Umso erstaun-licher, dass die Leute trotzdem auf die Straße gehen. Aber im Mittelpunkt stehen weniger politische Ideen als individuelle Unzufriedenheit.“

Und wenn alle Kandidaten eigentlich nur dem Regime dienen, wieso musste dann unbedingt Ahmedinedschad gewin-nen? Er sei der Kandidat, der Geschlossen-heit symbolisieren sollte, die Sympathie der islamischen Verbündeten genieße. Während man nach außen die Konfron-tation suche, wolle man im Inneren keine zwei Lager aufbauen. „Das hat aber nicht gut geklappt“, ruft jemand aus dem Publi-kum und erntet sichere Lacher.

Was viele der Anwesenden nicht verste-hen können, ist die Begeisterung für den Kandidaten Mussawi, der als Premiermi-nister seinerzeit selber nicht zimperlich mit Regimegegnern verfahren war. Und warum man überhaupt gewählt hat. „Ich wusste selber, dass es nichts bringt, zu wählen, und ich habe trotzdem gewählt, weil mein Kandidat das beste Programm hatte. Ich wollte damit ausdrücken, dass ich mit der Situation nicht zufrieden bin. Mussawi schien als einziger in der Lage, die Bewegung führen zu können“, gibt Pouyan zu. „Er hatte sich lange aus der Politik herausgehalten, daher hat man viel Negatives über ihr schon wieder ver-gessen“, erläutert Shabnam.

Keiner hat für Ahmadinedschad demonstriert

Wer aber sind die Unterstützer Ahmadined-schads? „Es gab jedenfalls keine Demons-trationen für ihn“, meint Shabnam süffi-

Im Vortrag ging es sowohl um die aktuelle Lage im Iran als auch um die Geschichte des 

Landes (Bild: Unabhängige Iranische Studierende)

Page 12: Campus Delicti #304

1�  ı Politik

sant. Es seien vor allem die ärmeren Leute, die an Ahmadinedschad glauben: „So wie er auftritt, halten sie ihn für einen der Ih-ren. Einen einfachen, gläubigen Menschen. Er ist ein Populist, der viel Geld ausgibt, um Stimmen zu kaufen. Und im Iran braucht man für eine Stimme nicht viel Geld“, wird Pouyan deutlicher. Said bestätigt: „Die Isla-misten haben die Fehler des Schahs nicht wiederholt, sie sind auf die Bevölkerung zugegangen und haben sich Sympathien erkauft.“ Und Shabnam gibt zu bedenken: „Wer nicht wohlhabend ist oder an der Uni-versität Internetzugang hat, bekommt kei-ne kritische Berichterstattung mit. Man hat

dann nur die staatlichen Medien, auf die man sich verlasen muss. Und viele glauben natürlich, was sie da sehen und hören.“

Die wichtigste Frage wird zuletzt ge-stellt: „Was kann man denn jetzt ma-chen?“ Darauf antwortet Pouyan schnell und bestimmt: „Man darf sich nicht auf die Medien verlassen. Deren Interesse ist schnell verflogen. Deshalb machen wir diese Vorträge, um die Aufmerksamkeit wach zu halten. Wir brauchen die Unter-stützung der internationalen Gemein-schaft, müssen uns dafür mit der Politik auseinandersetzen und mit bestehenden Organisationen zusammenarbeiten.“ Kei-

ne schnelle Lösung, aber eine vernünftige. Said geht einen Schritt weiter: „Durch Embargos würde das Regime unter Druck geraten. Natürlich ginge das zu Lasten der Bevölkerung, aber so wird die Lage immer schlimmer. Und die Regierung hat un-gehinderten Zugang zu allen möglichen Technologien.“

Die Diskussionsbereitschaft des Publi-kum ist zwar noch nicht abgeklungen, doch nach über zwei Stunden müssen sich die drei Initiatoren entschuldigen. Denn trotz allem müssen sie ihre Klausuren be-stehen und wollen ihr Studium nicht ver-nachlässigen.� Marc�Cechura

Page 13: Campus Delicti #304

ı  13Sport

Mit einem packenden Finale hat sich die Uni-Liga am Dienstag vergangener Wo-che  in die Saisonpause verabschiedet . Die Organisatoren vom AStA-Hochschul-sportreferat  haben  bereits  angekündi-gt, die Liga im kommenden Jahr wieder stattfinden zu lassen . Das Fußballturnier feierte in diesem Sommersemester sei-ne Premiere  an der Heinrich-Heine-Uni-versität .

Dramatik pur

Über hundert fußballbegeisterte Studie-rende hatten sich auf dem Rasenplatz des Instituts für Sportwissenschaft der Hein-rich-Heine-Universität eingefunden, um das Saisonfinale der Uni-Liga zu verfolgen. Ihre Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden.

Schon das Spiel um Platz drei ende-te dramatisch. Nach Ende der regulären Spielzeit stand es nämlich 1:1 und somit unentschieden zwischen dem FC Durch-fall und den Milchmäusen. Also musste der Sieger des dritten Platzes per Elfmeter-schießen ermittelt werden. Der FC Durch-fall konnte sich schließlich mit 4:3 durch-setzen und sicherte sich so einen Platz auf dem Treppchen.

Im Halbfinale hatten The Slowmos den FC mit 2:0 besiegt und sich damit für das Finale qualifiziert. Die Milchmäuse unter-lagen dem „Medi-Club“ Udinese Calçane-us mit 0:1.

Das Finale

Es war bereits nach 21 Uhr, als sich die Spieler von Udinese Calçaneus (der Name ist angelehnt an den italienischen Club Udinese Calcio, die Abwandlung Calça-neus oder Kalkaneus entspricht der latei-nischen Bezeichnung für das Fersenbein) und von The Slowmos zum Finale auf Platz A im Heinrich-Heine-Stadion einfan-den. Nach einigen Spielen im Regen oder bei wenig sommerlichen Temperaturen spielte dieses Mal sogar das Wetter mit. Noch immer herrschten Temperaturen von etwa 25 Grad und somit beste Bedin-gungen für Spieler und Fans.

Udinese Calçaneus hatte eine ganze Fangemeinde mitgebracht. Immer wieder

Uni-Liga 2009 – Ein spannendes Saisonfinale

trieben sie ihre Mannschaft mit Rufen wie „Auf geht`s Udineser Jungs, schießt ein Tor für uns“ nach vorne. Die Unterstüt-zung zeigte Wirkung. The Slowmos fan-den nicht richtig ins Spiel. Zur Halbzeit-pause führte Udinese mit 1:0.

Auch in der zweiten Halbzeit schien der „Medi-Club“ die überlegene Mannschaft zu sein. Das Team hatte einige gute Chan-cen, schaffte es aber nicht, die Führung um ein weiteres Tor auszubauen. Nach etwa 25 Minuten stand es immer noch 1:0. Und The Slowmos gaben nicht auf: Das Team zeigte Kampfgeist und versuchte

die Abwehr von Udinese mit schnellen Kontern zu überlisten.

Drei Minuten vor dem Ende wurden sie belohnt: Ausgleich! Nun war wieder alles offen. Die Fans von Udinese versuchten noch einmal, ihr Team anzutreiben. Doch die Kräfte hatten anscheinend nachgelas-sen. Udinese bemühte sich zwar, aber die Abwehr der Slowmos stand gut. Nach 30 Minuten endete das Spiel unentschieden. Wie zuvor im Spiel um Platz drei waren nun die Torhüter beim Elfmeterschießen gefragt. Beide Keeper hatten ihre Qua-litäten im Spiel bereits unter Beweis ge-

Die Slowmos sind die Sieger der ersten Uni-Liga (Bilder:Gurdrun Hüther)

Strahlende Zweite: Udinese 

Calc̨aneus schafften es bis 

ins Finale

Page 14: Campus Delicti #304

14  ı

stellt. Doch beim Elfmeterschießen gelten bekannterweise andere Regeln.

The Slowmos traten zuerst an: Treffer! Zwei zu eins. Danach war Udinese dran. Doch der Torwart der Slowmos hielt. Ih-ren zweiten Schuss vergaben die Slowmos wiederum und Udinese konnte ausglei-chen. Danach hatte Udinese anscheinend das Glück verlassen. Beide Schützen der Slowmo`s trafen, während ein Spieler von Udinese einen Ball am Tor vorbei schoss. Den letzten Schuss hielt der Torwart der Slowmos. Damit siegten die Slowmos un-erwartet mit 4:2 gegen Udinese Calçane-us.

Die Siegerehrung

Anschließend machten sich alle auf den Weg zum SP-Saal, wo bei Freibier und Ge-grilltem die Siegerehrung stattfinden soll-te. Gegen 22.30 Uhr war es dann soweit: Nacheinander erhielten zunächst die Spieler des FC Durchfall und von Udinese Calçaneus ihre verdienten Medaillen. Für die Sieger von den Slowmos gab es einen großen Pokal.

Die anderen Ergebnisse

26 Mannschaften haben in diesem Som-mersemester an der Uni-Liga teilgenom-men. Gespielt wurde in vier Gruppen, zwei mit sechs und zwei mit sieben Mannschaften. Gruppensieger wurden die Milchmäuse, The Slowmos, Udinese Calçaneus und die Sportfreunde Adriano. Die beste Mannschaft bezogen auf das Torverhältnis nach der regulären Saison sind die Sportfreunde Adriano. In sechs Spielen erzielten sie 28 Tore bei nur zwei Gegentreffern.� Gudrun�Hüther

Im „Heinrich-Heine-Stadion“ traten die besten Mannschaften gegeneinander an

Sport

Die Slowmos feierten ihren Sieg ausgiebig

Finale   The Slowmo‘s  1:1 4:� n .E .  Udinese Calçaneus               Spiel um Platz 3   FC Durchfall  1:1 4:3 n .E .   Milchmäuse               Halbfinale   FC Durchfall  �:0  The Slowmo‘s  Udinese Calçaneus  1:0  Milchmäuse            Viertelfinale   SOWI-D!-PROFIS  0:0 3:0 n .E .  The Slowmo‘s  Udinese Calçaneus   6:0  Chemiekeulen   Sportfreunde Adriano  1:1 �:4 n .E .  FC Durchfall  Milchmäuse  �:0  FC Deluxe

Page 15: Campus Delicti #304

ı  15Kultur

Während sich draußen auf der Wiese vor der Fachhochschule eine kleine Grup-pe von Studierenden die Sonne auf den Bauch scheinen lässt und dazu Würstchen vom Grill isst, sitzen rund 200 Studieren-de im nachtdunklen Hörsaal „Audimax“ und genießen das Kurzfilmfestival von innen. Zurückgelehnt an die weichen Polster der Stühle, starren sie auf eine kino-große Leinwand, auf der sich ein Kurzfilm nach dem anderen entrollt. Bilder von Gebäuden, Landschaften und Stadtpano-ramen wechseln sich im hämmernden Rhythmus von Elektromusik ab. Zeichen-trickfiguren laufen und hüpfen durch die Welt der Computerspiele, Knetfiguren er-leben kurze und pointierte Geschichten, Künstler und Senioren werden im Porträt vorgestellt. Und Handlungsstränge erzäh-len von Morden und Selbstmorden.

Vier Stunden lang Non-Stop-Kino

„Allwissende Videokassette“ hieß das Kurzfilmfestival der Fachhochschule, das in der vergangenen Woche trotz des sonnigen Wetters eine Vielzahl von Be-suchern nach Golzheim zog. Und de-nen wurde einiges geboten: Denn mit 43 Kurzfilmen hatte das Kinoreferat „Kino 77“ ein straffes Programm auf die Beine gestellt, das inklusive Pause vier Stunden dauerte. Gezeigt wurden Filme, die in Se-minaren der Heinrich-Heine-Universität, der Robert-Schumann-Hochschule und der Fachhochschule entstanden sind und zwischen denen die Zuschauer ihre fünf Favoriten auswählen durften. Den Gewin-nern winkten Geldpreise über 100 Euro für den dritten Platz, 150 Euro für den zweiten Platz und satte 200 Euro für den ersten Platz.

Bei der Filmauswahl hatten es die Organisatoren nicht leicht

Welche Intention hinter dem Festival steckt, erzählt Hauptorganisatorin Lila Dornhof: „In den einzelnen Studiengän-gen werden so viele Kurzfilme produziert, die niemals jemand zu Gesicht bekommt. Das wollten wir ändern“, so die Studentin des Studiengangs Ton- und Bildtechnik an der FH. Deswegen hat sie das traditio-nelle Festival nach zwei Jahren Pause nun

Kurzfilmfestival: Studierende präsentierten ihre Werke

zum ersten Mal wieder organisiert. Und das hat bei den jungen Filmemachern viel Anklang gefunden: „70 Filme wurden insgesamt eingereicht, unter denen wir eine erste Vorauswahl treffen mussten“, erinnert sie sich. Dabei hätten sie und ihr fünfköpfiges Team auf die Länge des Films, die Einreichungsfrist und die Her-kunft der Produzenten geachtet: „Wenn die Filme zu lang waren oder die Produkti-onsteams nicht ausschließlich aus Düssel-dorf kamen, haben wir sie rausgeschmis-sen“, sagt sie. Das sei ihnen allerdings oft nicht leicht gefallen, weil dadurch viele qualitativ gute Filme nicht gezeigt werden konnten.

Wie aus einer Frühstückszeremo-nie ein Song werden kann

Die verbliebene Kurzfilmauswahl zeichnet sich durch eine hohe Anzahl von Musikvi-

deos aus, in denen Klänge auf unterschied-lichste Weise visualisiert werden. So lässt Gerrit Kress in seinem Film „Fluid“ bunte Flüssigkeiten zu melodischer Elektromu-sik miteinander verschmelzen. Lila Dorn-hof stellt in ihrem Film „Club-O-Blin“ die Gemeinsamkeiten zwischen einem DJ und einem Crèpes-Bäcker heraus und vermischt dazu Club-Impressionen mit Szenen an der Pfanne. Besonders großen Applaus erntet der Kurzfilm „Das Ohr isst mit“, in dem Regisseur Thomas Orr zwei junge Leute am Frühstückstisch zeigt, de-ren Kaugeräusche sich zu einem Song ver-dichten. Für diese kreative Idee heimst Orr am Ende auch den zweiten Platz ein.

Der Publikumsliebling: Ein gezeich-neter Bandauftritt

Als Sieger des Kurzfilmfestivals geht al-lerdings Johannes Sich hervor. In seinem

Johannes Sich wurde zum Sieger des Kurzfilmfestivals gekürt (Bild: Linda 

Kuhlen)

Page 16: Campus Delicti #304

16  ı Kultur

Film „Gaude“ sieht man eine rechte Hand, die nacheinander einen Gitarristen, einen Sänger und Bassisten, einen Schlagzeuger, einen Posaunisten und schließlich auch die Umrisse eines Publikums zeichnet. Jede einzelne Figur gewinnt mit ihrer Fertigstel-lung an Eigenleben, bewegt Hände, Mund oder Arme. Dazu setzt das jeweilige Instru-ment ein, so dass am Ende der Auftritt ei-ner Band nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören ist. Die singt von einem Haus am Ende der Welt und schlägt vor: „Wir könnten hier leben und alles ohne Geld.“

Wochenlange Planung für fünf Minuten Film

„Den Film habe ich für das Seminar ‚Mu-sikvideo’ gemacht“, erzählt Johannes, der Kommunikationsdesign studiert. Allerdings habe er zwei Semester gebraucht, bis er auf die Idee zu seinem Kurzfilm gekommen sei. „Zuerst wollte ich mit Szenen aus Compu-terspielen arbeiten, aber daraus ist irgend-wie nichts geworden“, erinnert sich der 27-Jährige. Bis es dann während einer Fahrt mit der Straßenbahn „Klick“ gemacht habe. „Ich habe mich dann sofort an das Konzept gemacht und wochenlang geplant, mit wel-cher Geschwindigkeit sich die Figuren zum Rhythmus der Musik bewegen müssen“, sagt er. Dann sei eine lange Phase gefolgt, in der er das Zeichnen der Bandmitglieder ge-übt habe. „Schließlich hatte ich für jede Fi-gur fünf verschiedene Bewegungsabfolgen, die ich dann in Schleife hintereinander gesetzt habe“, erzählt er. Danach habe er sich selbst beim Zeichnen gefilmt und das

Ganze mit einem Computerprogramm be-arbeitet. „Für die musikalische Begleitung habe ich übrigens die Band von meinem Bruder genommen, die damals noch ‚Gau-de’ hieß, sich aber mittlerweile in ‚Tynset’ umbenannt hat“, so Johannes.

Senioren stellen fest: „Zusammen ist man weniger allein“

Neben den Musikvideos stellt das Festival aber auch eine Reihe von Filmen aus ande-ren Genres vor. So beleuchtet Anna Hölzer in ihrem Dokumentarfilm „Zusammen ist man weniger allein“ eine Seniorenwohn-gemeinschaft in Leverkusen. Begleitet von nostalgischer Akkordeonmusik zeigt sie fünf Geschwister im Alltag: Beim gemein-samen Abendessen, winkend am Fenster oder beim Ausflug am Rollwagen. Dazwi-schen erzählen Onkel Hansi, Oma Else, Onkel Leonardo und Co. aus ihrem Leben: Davon, wie sie gemeinsam in der Bäckerei geschuftet haben. Davon, wie Oma Else von ihrer Schwiegermutter genervt wurde. Davon, wie Onkel Hansi seine Frau ken-nen gelernt hat und davon, dass es sich zusammen viel leichter leben lässt als allei-ne. Begleitet werden die Erzählungen von Schwarzweißfotografien, die das Leben von früher verbildlichen. Ein wehmütiger Film, der Melancholie und Lebensfreude mitein-ander in Einklang bringt.

„Betty“: Vom Streit zum Mord

Mit dem Film „Betty“ decken Jan Nau-endorf, Santhuru Elmo, Mirko Röper,

Lukas Loss und Roman Tönjes den Be-reich Spielfilm ab und erzählen die wah-re Geschichte eines unbeabsichtigten Mordes: Ein junger Mann fährt nach einem Streit mit seinem Partner mit dem Auto nach Velbert, im Gepäck ein Butterbrot, das ihm der Geliebte vorher noch geschmiert hat. Zwischendurch gabelt er eine hübsche Tramperin auf, die sich allerdings als hochgefährliche Irre entpuppt und ihn zunächst mit dem Messer bedroht, bevor sie beginnt, sein Butterbrot zu essen. Mit der letzten Szene löst sich dann auch die Spannung auf. Von außen werden zwei parkende Autos gezeigt. Aus dem hinteren steigt der eifersüchtige Geliebte aus und öffnet die Beifahrertüre seines Partners: Heraus fällt tot die irre Tramperin, in der Hand hält sie noch das angebissene Butterbrot. Den Rest darf sich das Publikum selbst denken.

Insgesamt wurden bei dem Kurzfilm-festival viele gute Filme gezeigt, die von witzigen Ideen und einer kreativen Um-setzung zeugten. Trotzdem stellte sich die „Allwissende Videokassette“ als relativ langatmiger Kinoabend heraus, der mit nur einer Pause wenig Raum zum Reflek-tieren ließ. Als gute Idee erwies sich aller-dings das zusätzliche Grillfest vor dem „Audimax“, das einen gelungenen Aus-gleich zum Filmeschauen darstellte. Und für die jungen Filmemacher entpuppte sich das Festival als gute Möglichkeit, ihre Werke einmal vor einem Publikum präsentieren zu können.

� Linda�Kuhlen

Für alle Poetry-Slam-Fans bietet sich in diesem Jahr ein besonderes Highlight des Dichterwettstreits. Denn vom 29. bis zum 31. Oktober finden im Kulturzentrum zakk sowie im Düsseldorfer Schauspielhaus die 13. deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften statt. Bei Europas größ-tem Festival der Bühnenliteratur treten hier 250 Slammer aus ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg und Südtirol gegeneinander an. Dabei duellieren sich die Bühnen-dichter in drei Disziplinen, nämlich im Einzelwettbewerb, im U-20-Wettbewerb

Zakk holt deutschsprachige Poetry-Slam-Meister-schaften nach Düsseldorf

und im Teamwettbewerb. Die Veranstal-tungen gliedern sich in sieben Vorrunden für die Einzelkämpfer und zwei Vorrun-den für die Team-Slams auf. Die daraus hervorgegangenen Gewinner müssen sich danach im Halbfinale gegenseitig messen lassen, wobei es zwei Veranstaltungen für die Einzelwettbewerbe und einen Wett-kampf für die Teams gibt. Als Höhepunkt der Meisterschaften schließt das Festival mit dem Finale, bei dem die jeweils drei besten Slammer aus den verschiedenen Disziplinen gegeneinander ankämpfen. Gewinner und Verlierer werden mit Hilfe

des K.O.-Systems ermittelt. Die Entschei-dungen fällt das Publikum durch Applaus. Der wird in diesem Fall mit einem compu-tergestützten Applausometer gemessen.

Der Kampf um die Meisterschaften

Organisator der Meisterschaften ist das zakk. „Unsere Slam-Master haben es ge-schafft, das Festival nach Düsseldorf zu holen. Darauf sind wir sehr stolz“, sagt Heike Billhardt, die für die Presse- und Öf-fentlichkeitsarbeit des zakk zuständig ist. Denn wie bei den Olympischen Spielen

Page 17: Campus Delicti #304

ı  17Kultur

Bücher für den Campus:

„Deutschland auf der Couch“Deutschland und die Deutschen sind nicht einfach zu verstehen. Vor allem für Ausländer. Aber auch sich selbst verstehen sie manchmal nicht. Sind die Deutschen wirklich ein bürokratisches, pedantisches, jammerndes, neidisches Fußball-Völk-chen mit einem durch die Geschichte gekränkten Nationalbewusstsein, der 1968er-Bewegung, sozialer Marktwirt-schaft, einem langsam zerbröckelnden Sozialstaat, bayrischem Oktoberfest, Schwarzwalduhren, Mercedes, schlech-ten Leistungen in der PISA-Studie sowie einem deutschen Papst? Was macht die deutsche Gesellschaft im Kern wirklich aus, die dieses Jahr 60 Jahre Grundgesetz sowie den 20. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November feiert? Dieser Fragestellung hat sich der in Mönchengladbach geborene Psycho-loge Stephan Grünewald verschrieben und in „Deutschland auf der Couch“ das erste Psychogramm der deutschen Seele verfasst. Was kommt heraus, wenn man Tausende von Deutschen auf die Couch legt und sie nach ihren Wünschen, Hoff-nungen und Ängsten befragt? Auf der Grundlage von 20.000 tiefenpsycholo-gischen Interviews, die mindestens je-weils zwei Stunden Zeit in Anspruch ge-nommen haben und in den letzten Jahren vom renommierten rheingold Institut durchgeführt wurde, analysiert Grüne-

wald die deutsche Seele an sich. Und die Ergebnisse sind nicht nur für Psychologie-studierende interessant.

Alles ist möglich in einer unüber-schaubaren Welt

Dabei attestiert der Autor den Deutschen den Verlust ihrer Leidenschaften, die durch eine coole Gleichgültigkeit über-lagert wurde. Obwohl die Gesellschaft in den letzten Jahren eine ziemlich genaue Idealvorstellung vom Leben entwickelt hat, die beinahe paradiesische Züge trägt und quasi zur Ersatzreligion geworden ist, scheitert sie daran. Durch die globalisierte Welt mit Handy, Internet und Fernsehen gibt es eine Welt, in der scheinbar alles - selbst Superstarträume - möglich sind. In Daily Soaps sowie den Lebensentwürfen und Glücksbotschaften der Werbung wird Orientierung gesucht, wobei Autoritäten und Meinungen eines Dieter Bohlen Zu-spruch bekommen.

Rollenbilder verschwimmen

Doch liefern diese Medien auch eine unü-berschaubare Menge neuer Welt- und Rol-lenbilder sowie den Zwang zur Perfektion, dem man gerecht zu werden versucht. Es ist nicht mehr klar, was Mann und was Frau, was gut und böse, was akzeptabel

und was inakzeptabel ist. Männer sind ge-fangen zwischen dem harten Macho und dem sensiblen Mann, der den Frauen alle Wünsche von den Augen abliest. Doch auch die Frauen sind betroffen: Sie sind ständig darin verwickelt, Karriere zu ma-chen, aber dennoch keine Rabenmutter zu sein. Auch die heutigen Jugendlichen haben keinen Generationenkonflikt mehr mit den Eltern auszutragen, da sie lieber einem Pragmatismus anhängen, der sie bis 30 zu Hause wohnen lässt um die kos-tenlosen familiären Versorgungs- und Verpflegungsleistungen in Anspruch zu

Bild: Heyne Verlag

hätten sich die einzelnen Städte für die Meisterschaften bewerben müssen – und das zwei Jahre im Voraus. „Dafür haben sich alle Slam-Master aus den verschie-denen Städten getroffen, Präsentationen gehalten und schließlich gemeinsam entschieden, wer die Meisterschaften austragen darf“, erklärt Billhardt den Be-werbungsvorgang. Sie ist auch überzeugt davon, dass mit dem zakk als Veranstal-tungsort die richtige Wahl getroffen wur-de: „Schließlich hat das zakk die Poetry-Slam-Szene mit aufgebaut und kann auf zwölf Jahre Erfahrung mit dieser Art von Veranstaltung zurückgreifen“, erklärt sie. Außerdem werde der Poetry-Slam von Düsseldorfern mittlerweile sehr geschätzt und könne sich über eine immer grö-ßer werdende Fangemeinschaft freuen. „Bis zu 300 Gäste kommen jedes Mal zur

Poesieschlachtpunktacht im zakk. Und das ist richtig viel für eine Literaturver-anstaltung“, sagt sie. Warum der Poetry-Slam so beliebt ist, erklärt Billhardt so: „Jeder Abend ist eine Überraschung, denn man weiß ja nie, wer auftritt und in wel-che Richtung die Texte gehen werden.“ Deswegen könne man den Poetry-Slam als „Rockkonzert“ unter den Literaturveran-staltungen bezeichnen.

Die Campus Delicti verlost dreimal zwei Eintrittskarten für den Team-Slam im „zakk“ .

Wer uns die richtige Antwort auf die unten folgende Frage schickt, bekommt als Ge-winn zwei Eintrittskarten für den Team-Slam im zakk am 19 . Juli .

Frage: Wie viele Filme wurden beim Kurzfilmfestival der Fachhoch-schule „Allwissende Videokassette“ gezeigt?

Schickt die Antwort ganz einfach per E-Mail an pressereferat@asta .uni-duesseldorf .de!

Dass die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften ganz besonders „rocken“ werden, ist für Bilhardt klar. „Der Vorver-kauf hat vor Kurzem angefangen und ich gehe davon aus, dass die Veranstaltungen schnell ausgebucht sein werden“, sagt sie. Wer also als Fan dabei sein will, muss sich beeilen. Karten gibt es in der zakk-Kneipe oder online unter www.slam2009.de.� �Linda�Kuhlen

Page 18: Campus Delicti #304

18  ı Kultur

nehmen, anstatt wie ihre Eltern mit 18 auszuziehen.

Kein Leben mehr im Hier und Jetzt

Die Deutschen versuchen, es allen recht zu machen, doch am Ende wird dennoch kapituliert. Dies wird perfekt hinter einer Maske der Coolness verborgen, die schein-bar alles zu tolerieren scheint. Denn nach Ansicht Grünewalds kann es sich die deutsche Seele aufgrund der historischen Vergangenheit einfach nicht leisten, Vor-stellungen zu entwickeln, die alle mitrei-ßen und begeistern könnten. Die Political Correctness sei in Deutschland, obwohl dort nicht erfunden, besonders stark aus-geprägt. Doch produziere diese ein stän-dig schlechtes Gewissen und hemme das Denken.

Das Problem liegt laut Grünewald dar-an, dass nicht mehr im Hier und Jetzt gelebt wird, sondern der Alltag lieber auf das nächste Wochenende oder den Urlaub

verlegt wird, der aber genauso wie der Alltag strukturiert und geplant wird. Das verursacht Probleme – und diesen wollen tausende Ratgeber entgegenwirken, die fast zu jedem Thema das passende Buch liefern, jedoch die großen Sinnzusam-menhänge außer Acht lassen. Der Autor empfiehlt deshalb ein Zurück zum „wirk-lichen Leben“, in dem man die lebens-feindlichen Perfektions- und Glücksan-sprüche hinter sich lassen kann.

Stephan Grünewald liefert mit „Deutschland auf der Couch“ ein sehr in-formatives Buch über die deutsche Seele - und das in einer sehr ausgefeilten und wortgewandten Art und Weise, die Spaß beim Lesen bereitet. Was der Psychologe hier analysiert, muss nicht in allen Punk-ten nur auf die Deutschen zutreffen, son-dern könnte in vielen Punkten auch auf andere Gesellschaften übertragen werden.

P.S.: Vom gleichen Autor ist übrigens auch das Buch „Köln auf der Couch“ er-schienen. Auch hier lohnt sich für alle

Düsseldorfer ein Blick, um den Nachbarn besser zu verstehen lernen. Valerie�Timm

Infos zum Buch: Stephan� Grünewald:� Deutschland� auf� der�Couch:�Eine�Gesellschaft�zwischen�Stillstand�und� Leidenschaft.� Heyne� Verlag,� Frankfurt/M.�2007,�234�Seiten,�ISBN:�3453620194Preis:�7,�95�Euro�

Die Campus Delicti verlost vier Exemp-lare des vorgestellten Buchs .

Beantwortet dafür folgende Fra-ge: Wie viele Interviews dienen „Deutschland auf der Couch“ als Grundlage?

Schickt  eine  E-Mail  mit  der  richtigen Antwort  an  pressereferat@asta .uni-duesseldorf .de  –  die  ersten  vier  Ein-sendungen gewinnen!

Regentropfen flossen an den Fenstern der Straßenbahn herunter. Dahinter war alles grau. Von innen blickte der Mann durch das beschlagene Fenster, durch die Regentropfen hindurch in das Grau. Er wünschte sich weg, weit weg, in ein fremdes, fernes Land, wo die Menschen ihn nicht verstehen.

Der junge Mann besaß eine außergewöhnliche Fähigkeit: Er konnte Gedanken lesen. Nicht irgendwelche belie-bigen, ziellos umher fliegenden Gedanken, wie sie die Straßen der Großstadt Tag für Tag und Nacht für Nacht überfluteten. Nicht diese, sondern die Gedanken seiner Gesprächspartner konnte er lesen, und zwar in deren Augen. Immerhin, das würde schon reichen, denkt man, um ihn zu einer außerordentlich mächtigen Person zu machen. Mit seiner Begabung, die fauligen Wahrheiten sehen zu können, die normalerweise von einer gerun-zelten Stirn oder von einem falschen Lächeln verborgen werden, könnte dieser Mann, so denkt man, Herrschaft über seine Mitmenschen ausüben, sie unterwerfen oder wenigstens zu seinem eigenen Vorteil kontrollieren. Schlau, gewandt, sensibel, provokativ scharfsinnig, zuvorkommend – so stellt man sich die Huldigungen vor, mit denen die Gesellschaft ihn umschmeicheln würde.

Jedoch war das Gegenteil der Fall. Der Gedankenleser war allen anderen Menschen unterlegen. Den fremden Gedanken war er in brutaler Weise ausgeliefert, denn sie lähmten sein Wollen und sein Handeln. Immer, wenn jemand etwas über ihn dachte – und das passierte regelmäßig, wenn ihm jemand in der Absicht eines Gesprächs gegenüber stand (im Sitzen war alles noch viel schlimmer und so saß er, wenn überhaupt, dann in der Straßen-bahn jemandem gegenüber) – erschienen, ob er wollte oder nicht, die Gedanken des anderen in fettgedruckter Druckschrift in den zwei runden Anzeigetafeln vor seinem Gesicht und erstickten jede spontane Reaktion im Keim.

Lässig dahin geschleuderte Fragen à la „Wie geht’s dir?“ oder „Was macht die Arbeit?“ ignorierte er von vornhin-ein, da aus ihnen die reine Gleichgültigkeit sprach. Wie kann man auch mit jemandem reden, dem die Antwort

Kurzgeschichte: Der Leser

Page 19: Campus Delicti #304

ı  19Kultur

politur: Die Themen vom 09. JuliWas an den Düsseldorfer Hochschulen passiert, erfahrt ihr bei politur, dem Politikmagazin auf hochschulradio düssel-dorf . Auch Hochschulpolitik und allgemeinpolitische Themen sind selbstverständlich dabei -- aus studentischer Perspekti-ve, spannend und verständlich aufbereitet . An diesem Donnerstag geht es ab 18 Uhr auf 97,1 MHz um diese Themen:

* Wahl im Iran: Vortrag über aktuelle Lage

* Plausch mit Schavan: Gespräch über Studiensituation

* Geld für die Bahn: Sozialbeitrag wird erhöht

politur -- donnerstags, 18 bis 18:30 Uhr --  einschalten und Bescheid wissen!

auf seine eigene Frage egal ist! Da erschien ihm das Schweigen ehrlicher. Aber auch vermeintlich ernsthafte Gespräche waren ihm unmöglich, da er genau lesen konnte, was der andere von ihm erwartete, und er sich nicht in der Lage fühlte, die schon gegebene Antwort, die die Erwartung ja schließlich darstellte, mit seinen Worten zu verdoppeln. Männer wollten im Gespräch entweder Bausteine für ihre zerbrechlichen Pyramiden aus Mei-nungen und Weltbildern erhalten – beispielsweise durch die rhetorische Frage: „Sag mal, findest du nicht auch, dass das so nicht weitergehen kann in unserer Gesellschaft?“ – oder sie wollten wilde Geschichten aus seinem „aufgewühlten Herzen“ (so las er es in fettgedruckter Druckschrift) hören, um sich in ihnen zu suhlen und ihr eigenes, eher mattes Gefühlsleben mit fremden Empfindungen anzureichern. Die lüsternen Hoffnungen auf Schmerz, Trauer und Zweifel wollte er nicht enttäuschen, indem er die Wahrheit sagte (die Wahrheit war, er fühl-te nichts), aber er wollte auch nicht lügen. Also wurde der Gedankenleser gemieden und hatte keine Freunde.

Mit den Frauen lief es noch schlechter. Wenn ihn schon die ersten, kühlen Urteile seines Äußeren nicht vollends entmutigten (auf „langes Kinn“ oder „dünne Haare“ wollte er am liebsten mit einem frechen „dicker Hintern!“ oder „kleine Brüste!“ reagieren, aber er traute sich nicht), dann taten es die folgenden, weitaus gefährlicheren Einschätzungen, die sich nach wenigen Minuten auf der Stirn der Frau abzeichneten. Sie standen dort nicht in Druckschrift, sondern in geschwungenen Lettern, stolz und erhaben und gleichzeitig zerbrechlich wie Glas. „Der Typ ist eigentlich ganz süß. Still ist er zwar, aber dahinter versteckt sich der große Philosoph, der einfühl-same Menschenkenner, der zarte Verführer.“ Noch bevor die Frau zum entscheidenden Satz ausholen konnte (etwa „Du hast traurige Augen. Was hat dich so traurig gemacht?“), war der arme Mann vollkommen gefangen genommen von dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte. Verzweifelt versuchte er sich darauf zu konzent-rieren, wie er sich verhalten musste, um dieses kostbare Bild zu bewahren, um diese Rolle zu spielen, in die er gezwungen wurde. Aber die fremden Gedanken schwirrten aufdringlich um ihn herum und vernebelten sein Wollen. „Ich bin nicht…“ kam eventuell noch über seine Lippen, aber spätestens dann hatte er begriffen, wie ohnmächtig er war und wie sinnlos es wäre, überhaupt irgendetwas zu sagen. Denn der junge Mann las ja alle Erwartungen, die man an ihn richtete, und es war ihm unmöglich, sie zu enttäuschen oder zu befolgen. Je mehr er von außen definiert wurde, desto deutlicher empfand er das innere Nichts.

Die Regentropfen bildeten reißende Flüsse an der Außenseite der Fensterscheibe. Der junge Mann blickte hin-durch in das Grau und wünschte sich weit, weit weg in ein fremdes Land, wo die Menschen eine fremde Sprache sprechen und ihn nicht verstehen.

� Kerim�Kortel

Page 20: Campus Delicti #304

�0  ı

Sonntag 12.07.2009 EIN QUANTUM SONNE, 10 Uhr, Party | Techno/Trance, Blauer See, Ratingen

   FRANKREICHFEST 1� Uhr, weitere | Special Events, Burgplatz Düsseldorf

ALTSTADTRUNDGANG, 14:30 Uhr, weitere | Special Events, Marktplatz Düsseldorf

SONY ERICSSON OPEN-AIR-KINO: BUDDENBROOKS, �0 Uhr, weitere | Special Events, Freibad Lörick

Montag 13.07.2009 PRETTY GOES COFFEE, 1� Uhr, weitere | Special Events, Pretty Vacant

Dienstag 14.07.2009   LOCAL HEROES – ABSCHLUSSGRILLEN �1 Uhr, weitere | Special Events, SP-Saal

   SPANISCHER ABEND, 19 Uhr, weitere | Special Events, Zakk 

EIN ABEND MIT MANES MECKENSTOCK, �0 Uhr, Kultur | Bühne, Theater Flin

PRETTY POETRY SLAM, �0 Uhr, Kultur | Literatur, Pretty Vacant

Mittwoch 15.07.2009  UNERHÖRT SOMMERSPECIAL, �0 Uhr, Kultur | Bühne, Kom(m)ödchen

INTERNATIONALER MUSIKSOMMER 09: GÖTZ WID-MANN, �1 Uhr, Konzert | Singer/Songwriter, Zakk

INFORMATIONSABEND ÜBER DIE STUDIENSTIPENDIEN DER FRIEDRICH-NAUMANN-STIFTUNG, 19 Uhr, weitere | Vortrag, Campus Vita

Freitag 17.07.2009   POESIE UND WORTGESTÖBER, 17 Uhr, Kultur | Literatur, Zakk

   TV EYE RECORDS LABELFEST, �0 Uhr, Party | Punk/Indie, Pretty Vacant

 BACK TO THE 80´S PARTY, �1 Uhr, Party | Mixed Music, Zakk

PLASTIKFUNKTASTIC, �� Uhr, Party | Electro/House, Nachtresidenz

Samstag 18.07.2009   TRÖDELMARKT, 8 Uhr, weitere | Flohmarkt, Aa-chener Platz

   RHEINKIRMES, 14 Uhr, weitere | Special Events, Oberkasseler Rheinwiesen

KÖNIGIN DER MACHT, �0 Uhr, Kultur | Bühne, Kom(m)ödchen

YARD VIBES, �3 Uhr, Party | Reggae, Zakk

Donnerstag 16.07.2009 NEUBEFÜLLUNG DES LITERATURAUTOMATEN, 11 Uhr, Kultur | Literatur, Zakk

  ZIRKUS UPSALA, 18 Uhr, Kultur | Bühne, FFT Juta

   

KOMBINATKOMPUTERSTAAT, �1 Uhr, Party | Punk/In-die, Pretty Vacant

BETWEEN BORDERS, �� Uhr, Konzert | Singer/Song-writer, People Clubbar

Freitag 10.07.2009   SOWI-MEETS-MEKUWI-PARTY, �1 Uhr, Party | Spe-cial Events, SP-Saal

   FRANKREICHFEST, 1� Uhr, weitere | Special Events, Burgplatz Düsseldorf

   SONY ERICSSON OPEN-AIR-KINO: ILLUMINATI, �0 Uhr, weitere | Special Events, Freibad Lörick

MEET & LISTEN - HOME OF DÜSSELDORF UNDER-GROUND, �1 Uhr, Party | Punk/Indie, People Clubbar

TROPISCHER NACHTKLUB, �� Uhr, Party | Reggae, Zakk

Samstag 11.07.2009   TRÖDELMARKT, 8 Uhr, weitere | Flohmarkt, Aa-chener Platz 

   3 JAHRE TRINKHALLE, �0 Uhr, Party | Mixed Music, Trinkhalle

THE NOTWIST, �0 Uhr, Konzert | Punk/Indie, Zakk

ZUR SACHE PUPPE, �0 Uhr, Kultur | Bühne, Theater Flin

Donnerstag 09.07.2009  MODERNES-JAPAN-SOMMERPARTY, �0 Uhr, wei-tere | Special Events, SP-Saal

   ROLLNÄCHTE, �0 Uhr, weitere | Sport, Burgplatz Düsseldorf 

   DERWENT, THE SODAPOP DIARIES, �0 Uhr, Kon-zert | Singer/Songwriter, People Clubbar

KOMBINATKOMPUTERSTAAT, �1 Uhr, Party | Punk/In-die, Pretty Vacant

MILCHBAR, �1:30 Uhr, Party | Mixed Music, 3001

NACHRICHTENWEBSITES UND DIE DIGITALE ZUKUNFT AM BEISPIEL RP ONLINE, 14:15 Uhr, weitere | Vortrag, Hörsaal �C, Gebäude �� .01