Carl Maria von Weber: Der in der Wolfsschlucht tanzt

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Entnommen aus: Die nackte Wahrheit hinterm Notenschlüsselloch: Was Sie niemals über unsere großen deutschen Komponisten erfahren wollten

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Der in der Wolfsschlucht tanztWeber, Carl Maria [von] (178GL826)

Wenn wir uns ohne Vorwamung irgendein x-beliebiges Portrait von Carl Mariaanschauen, egal ob gemalt oder gestochen, werden wir augenblicklich alle zuunschuldigen Opfem von Carls diabolischer Durchtriebenheit. Wie er so dasitztund den Betrachter zart anlächelt, fast wie l,a Traviata persönlich kurz vor demVerhüsteln (obwohl sein eigener Leibarzt nach der Autopsie seine Lunge etwasprosaischer mit der eines >dämpfigen Pferdes< verglich) - da erflillt er jeden mit-leidigen, feinsinnigen Musikerfreund mit der tiefstenAnteilnahme undVerehrung.Er war zeitlebens ein selten hZißlicher Bursche, was auch das kunstvollste Bildnisnicht verhehlen kann, soll man den Gegenstand daraufnoch erkennen; doch seinfast unirdisch langer, rasiermesserscharfer Gesichtserker und seine lebhaften,gütig dreinblickendenAugen sarnt Brillen-Drahtverhau nehmen den Unwissendensofort für ihn ein. Das war zu seinen Lebzeiten nicht anders. Seine ätherische, vonJugend an gebrechlich wirkende Gestalt mit den unegalen Füßen beeindrucktedurch ihre Schmächtigkeit die Zeitgenossen, als hätten sie's mit einem veritablenEngelchen zu tun gehabt. So schreibt ein gewisser Christian Lobe: >>Ach, diesemhohen Genius ist in seinem zarten irdischen Körper kein langes Verweilen undSchaffen auf dieser rauhen Welt beschieden!< Schluchz, seufz, etcetera. SeinePhysiognomie (also die Physis für Gnome, wie er einer war) stellt einen soge-nannten asthenischen Habitus dar, und jetzt freuen wir uns, weil die Zeit derPykniker, der kleinen Dicken von Beethoven bis Schubert, endgültig vorbei ist.Aber hinter Carl Marias ganzem asthenischen Getue steckt ein böser, abgrundtiofhinterhältig ausgeklügelter Plan. C.M. war ein Wolf im Schafspelz, wenn seinGesicht uns auch eher an Rotkäppchens Großmutter vor dem entscheidendenIdentitätswechsel erinnert.

Bleiben wir noch ein wenig bei seinem Aussehen - denn dem wissendenBetrachter gegenüber wird es schnell zum Verräter seiner selbst. Nehmen wir bei-spielsweise die extrem langen Arme, die um ein Haar über den Boden schleiften... und untersuchen wir diese in Verbindung mit C.M.s langiähriger intimerFreundschaft zu seinem Affen Schnuff, dann kann uns die Seelenverwandtschaftzwischen den beiden Kreaturen nicht überraschen. Schnuffkam zur gleichen Zeitin Webers Haus wie seine Ehefrau Caroline und blieb bei ihr, als Weber von ihrging; doch das nur ganz am Rande. Auf den von Weber kursierenden Heiligen-bildchen ist nie die Tatsache zu erkennen, daß sein linkes Bein zu lang bzw. seinrechtes zukurz geraten war, was angeblich von einem Hüftleiden herrührte. Htltl-

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halter hin oder her - die Bocksprünge, die der solcherart Gebaute zwangsläufigvollführte, kamen nicht von ungefähr. Sie waren ein direktes Andenken an CarlsErzeuger und die satanische Art seines Zustandekommens, so wie auch Schnuffnicht bloß ein Affe war, sondern der starkbehaarte Hilfsgeist eines echten Hexen-mersters.

Ja, da staunt der musikalische Laie zu Recht - und nicht nur der. Wir alle ken-nen Weber natürlich hauptsächlich durch sein ernstes, gottesfürchtiges Werk,seien dies Lieder und Weisen wie das still-besinnliche >Mein Weib ist capores((1815), das behaglich-einfühlsame >Wer stets hinter'n Ofen kroch< aus einer Fest-spielmusik oder der kunstvolle Kanon für drei Stimmen 'Leck' mich im Ange-sicht<. Aber es gibt noch einen anderen Weber, einen bedeutend frivoleren undbösartigeren, der sich nicht auf den ersten Blick bzw. Lauscher zu erkennen gibt.In musikalischer Hinsicht mag Webers (Euvre außerordentlich vielseitig wirkenund sämtliche Formen und Farben umfassen - das Leben des Menschen Weberjedoch (falls er wirklich einer war) wird von zweien seiner Stücke eingeklammertwie von zwei extremen Polen oder möglicherweise Tschechen. Es sind dies dieberühmte >Aufforderung zum Tanz<, ein Rondo-brillant für das Pianoforte, undselbstverständlich sein größter Erfolg, det Freischütz.BeideWerke verdanken ihreErschaffung unmittelbar des Meisters Umgang mit diversen Teufeln, wobeiSamiel, welcher in einer Klausel des Pakts einen kurzen, aber regelmäßigenGastauftritt in der Oper durchsetzen konnte, in allen Fällen als der wahrschein-lichste Partner zu nennen wäre. Denn diesen speziellen Teufel kannte schon CarlMarias Vater sehr g:ut.

Schon Vater Weber hatte einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen, lange vorCarls Geburt. Die Vorliebe, Hilfe von zwielichtigen Gestalten anzunehmen, ohnesich um die unvermeidliche Rückzahlung der Schulden zu kümmern, lag von al-ters her in der gesamten Familie; bei Franz Anton Weber ballte sich diese Cha-raktereigenschaft geradezu. Er war ein Windhund und ein Tagedieb, möchte manihn nett und nachsichtig beschreiben - ein Schauspieler, will man die Wahrheitbrutal ans Licht zerren. Obendrein ein wandernder. Mithin ein absolut ehrloserGeselle, dem rein alles zuzutrauen war und der das solcherart in ihn gesetzte Ver-trauen niemals enttäuschte. Übrigens war er mitnichten einvonWeber, höchstensein geborener von wegen, wenn überhaupt. Doch der heiße Wunsch, ein Adels-wappen sein eigen zu nennen und zudem das Prädikat >besonders wertvoll<, ließFranz Anton alle natürliche Gerissenheit und Bauernschläue vergessen - oder bes-ser gesagt Müllerschläue, denn sein wichtigster Vorfahr war ein Müllerbursch, dersich ständig auf Wanderschaft befand, ohne ein einziges Mal richtig zu müllern.Eine windige Familie, deren Krönung später unser Schmachtlappen Carl Mariadarstellen sollte! Franz Anton wollte sich ein österreichisches Wappen ausleihen,ohne es später zurückgeben zu müssen. Sein Pakt mit Samiel enthob ihn zwar letz-

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terer Peinlichkeit, zeitigte jedoch andere irdische Früchte. Allen voran Carl Maria,Denn der bocksfüßige Sprößling war einerseits ein echter Weber (ohne >von<),andererseits ein wahrer Teufelsbraten, den man in einer seiner Stammtischrunden,>Ludlams Höhle< geheißen, später nicht von ungefähr den Edlen von Samiel nann-te ...

Denjenigen verbohrten Anhängem >von< Webers, die weder beim Vater nochbei Sohnemann an eine teuflische Intervention glauben mögen, seien folgendeArgumente vor den Latz geknallt, welche sich gemäß einer Sprudelwasserwer-bung als >unkaputtbar< erweisen - mag der Inhalt auch noch so schäumen: l.Franz Anton kämpfte im Siebenjährigen Krieg mit, aber wahrscheinlich nur ein-mal; in einer obskuren Schlacht bei Roßbach sttirmte er mit der Geige in der Handden Mannen voran ins Getümmel. Gleichzeitig jedoch wollen ihn verläßlicheQuellen, darunter sein Enkel Max Maria, in Hildesheim bei seinerVerlobten gese-hen haben. Das dünkt uns mehr als befremdlich: Wer, so fragt man sich, kannsimultan Krieg und Geige spielen und dazu noch zu Hause mit der Verlobten? Soetwas ist uns ausschließlich von höchstrangigen Offizieren überliefert, und diewaren bekanntlich immer mit dem Teufel im Bunde. 2. Aus dem Freischütz wis-sen wir, wie so ein Pakt aufgesetzt wurde: Sieben Schuß waren frei und trafenunfehlbar ihrZiel; doch einer der Schüsse gehörte demTeufel, und der sagte vor-her nicht, welches Schweinderl es denn sein solle, sonst hätte der Freischütze janach dem sechsten Schuß einfach aufhören können mit dem Schießen. Soviel zurEntstehung Carl Marias.

Vor C.M.s Geburt vertrieb sein Vater sich die Zeit also hauptsächlich mit Wan-dern, diversen Amtmannspositionen und den zwangsläufig damit verbundenenUnterschlagungen, Weiterwandem und Geigespielen. ln dieses ausgefüllte Lebentrat C.M.s spätere Mama Genovefa, die, obschon seit Kindesbeinen einer fahren-den Musikertruppe angehörig, eine blonde, blau- und glupschäugige Naivitätbewahn hatte, die ihrer heiligen Namenspatronin zw Ehre gereicht hätte. Diesesperfekte Pendant zuFranz Anton, welches nicht nur bildschön zu wandern, son-dern auch leidlich zu spielen und zu singen verstand, beflügelte ihn bei der Ver-wirklichung einer schon ewig gehegten Idee: Er rief sein eigenes adeliges Famili-en-Wanderbühnen-Untemehmen mit äußerst beschränkter Haftung ins Leben.Damit ging er sogar an die Börse, oder besser gesagt an das Portemonnaie so man-chen gutgläubigen Mäzens. Zur Truppe gehörten nebst Genovefen und der dankBrüderlein plötzlich zur Baronesse herangereiften Tante Adelheid er selbst sowieseine drei Söhne aus erster Ehe (denn die Hildesheimerin hatte er längst ver-schlissen) und der an diesem Punkt der Bühnenhandlung bereits sieben Lenzezählende Carl Maria: Gell, das ging doch schnell. Die Jahre vorher sind dunkelund unklar; wahrscheinlich hat Genovefa den kleinen Krümmling Carl noch einegewisse Zeitunter ihrem Herzen mit herumgetragen, ohne daß er sonderlich auf-

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fiel. Sonst hätte man das >schwache, kreuzlahme Knäblein< womöglich auch nochplattgetreten.

Doch so zietlich-zart und verwundbar der Kleine schien, so abgebrüht war ervon Geburt, und diese Eigenschaft verringerte sich durch den hautnahen Umgangmit dem Schaustellergewerbe sicher nicht. Das Spiel mit Illusionen und >lebendenBildern< - angeblich kindlicher Zeitvertreib hinter Kulissen und Requisiten -bereitete ihn für das Leben eines Mannes vor, dem die Täuschung zur ersten Naturwerden sollte. Hinter den Kulissen agierte er zeitlebens, selbst wenn er davor-stand, und die edle Kunst der Kulissensc/riebung betneb er wie seine Väter mitLeidenschaft und in höchster Vollendung. Zwei fiür Carl Marias Laufbalur sehrstörende Faktoren schälten sich jedoch ebenso früh heraus. Das war zum einenseine Lahmheit, die irgendwie und irgendwann dem unsteten Weberschen Wan-derleben abträglich sein würde, denn Genovefa konnte ihn schließlich nicht ewigam Rockzipfel hinter sich herziehen. Das war zum anderen sein erschreckendesmusikalisches Dehzit. Auch C.M. sollte, wie kaum anders zu erwarten, ein Wun-derkind sein - es mußte doch einen vernünftigen Grund geben, warum man die-sen kleinen Fehlschuß mit durchfütterte. Der frühe Untenicht durch HalbbruderFridolin erwies sich in Windeseile als kompletter Schuß in den Ofen. Der Kleinekörure alles werden auf der Welt, sagte Fridolin wörtlich, nur eben kein Musiker.Das durfte Vater Franz Anton nicht so hinnehmen und tat auch nichts dergleichen.Wunderkind bleibt Wunderkind, und es wäre doch ein Wunder, wenn sich CarlMaria nicht zu einem verfluchten Genie machen ließe! Als erstes machte ihn derVater mal ein Jährchen jünger, um Zeit zu gewinnen (siehe auch WunderkindBeethoven). Der Teufel hatte die Amtsstube mit des Vaters Geburtsregister gottlobbis auf den Grund niederbrennen lassen, damit man der Sache mit dem >von< nichtauf denselben gehen konnte; Sohnemann mußte sich mangels Feuersbrunst imEutiner Amt halt noch ein wenig mehr zusammenkrümmen als gewöhnlich. Dablieb nur noch die klitzekleine Komplikation mit dem fehlenden musikalischenTalent. Nun gut, das galt damals nicht unbedingt als ausschlaggebend für eineKarriere als Dresdener Kapellmeister; doch erwies sich Begabung auch nicht alshinderlich. Carl Maria hatte schon als Kind extrem lange Finger (Franz Antonmachte nur ab und zu welche) mit einer ganz unglaublichen Spannbreite - darausmußte sich ftir einen Virtuosen doch Kapital schlagen lassen. Werm er doch nurschon erst einer gewesen wäre!

Im Jahre 1796 wurde Genovefa Gott sei Dank ernstlich krank, so daß ihr klei-ner Carl das erste Md in seinem Leben über drei Wochen in ein und demselbenOrt verbringen durfte. Prompt bekam er dort Musikunterricht, welcher ihn binnenkürzester Frist den Unterschied zwischen Geige, Oboe und Klavier begreifen ließ.Da wußte der stolze Vater, daß der Junge doch ein Genie war. Weil man gerade inder passenden Gegend herumwanderte, schickte man Carl für ein paar Tage zu

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Michael Haydn in die Lehre, auf daß er sich vervollkommne. Carl hinkte jodochsogar im Einzelunterricht stets hinter den anderen Schülern heq was nicht nur anseinem Bein lag. Der Papa blieb trotzdem stolz, denn etwas anderes wäre ihm garnicht eingefallen. Da gab Genovefa den Löffel ab und auch Carl, der fürderhinTante Adelheid gehören sollte. Die Baronesse von und zu Weber zählte noch nichtmal siebzig JZihrchen und zeigte schon jetzt keine Wanderlust mehr; da ließ manC.M. bei ihr zurück, welcher wohl große Lust, doch nicht die Fähigkeit zum Wan-dern hatte. Vorher wollte ihn der alte Weber ums Verrecken zu einem gleichge-sinnten Geist in die Lehre geben. Leider kannten diese musikalischen Geister,Glücksritter und abgebrühte Filous allesamt, ihren Franz Anton und glaubtenseine phantastische Story von der versprochenen Bezahlung nicht, eine Sache, diezu sehr außerhalb seines einnehmenden Wesens lag. Nur ein gewisserAloys Sene-felder, der gerade den Steindruck erfunden hatte, arbeitete freiwillig mit Carl:zwar nicht musikalisch, aber lithographisch. So entschloß man sich mit echtWeberscher Wandlungsfähigkeit, fünf Stufen zu überspringen, die Musikausbil-dung für erfolgreich beendet zu erklären und den Jungen den Steindruck lernen zulassen, damit er in Zukunft nicht auf widerborstige Verleger angewiesen war, son-dern seine Noten selbst vervielf?iltigen konnte. Wenn es denn mal welche zudrucken geben sollte. Es mag erstaunen, daß ein Mann wie Weber senior nichtaugenblicklich den Steindruck von Banknoten vorschlug - aber der Pöbel benutz-te damals Gold als Zahlungsmittel und konnte mit keiner Art von gestochenerNote etwas anfangen. Der Druckfehlerteufel Samiel hatte zudem bereits hier wie-der seine Hand im Spiel, als er das kümmerliche Häufchen Musik, welches CarlMaria bis dahin verbrochen hatte, in ein ebensolches Häufchen Asche verwandel-te. Samiel war offenbar auch ein sehr fähiger Feuerteufel, denn nur der Schrankmit den Noten brannte völlig aus, sonst nix. C.M., der zeitlebens äußerst aber-gläubisch bleiben sollte und tatsächlich den allerbesten Grund dafür hatte, warüberzeugt, der Brand sei eine himmlische Kritik an seinen Kompositionsversu-chen. Niemand widersprach ihm.

Da mit den göttlichen Mächten scheinbar nicht gut Kirschen essen war, hieltder alte Weber den Zeipunkt für gekommen, seinen Sohn im ordnungsgemäßenUmgang mit Samiel zu unterweisen, der bis jetzt bei ihm selbst tadellos funktio-niert hatte - mal abgesehen von der Sache mit dem Fehlschuß, welche FranzAnton dem Filius vorsichtshalber nicht auf die Nase band (obwohl auf Carls Rie-senzinken mit Sicherheit genug Platz dafür gewesen wäre). Einen Titel hatte Carldurch Vatis Bemühungen schon; was €r dringendst brauchte, waren zwei Dinge:die Beftihigung zum Wandem, und zwar mit einem großen W gemäß der Weber-schen Familientradition und dem Wappen, welches, wie ich glaube, einen Wan-derschuh auf güldenem Grund zeigt oder auch Schusters Rappen, der sich geradewild aufbäumt. Und dann benötigte er nach wie vor diese dämliche musikalische

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Begabung, denn obwohl er wochenlang studiert hatte, besaß er ja noch immerkeine. Das Problem war auf natürliche Art nicht zu lösen; das war ein klarer Fallftir Ariel, pardon, Samiel. Der Pakt mußte allerdings etwas grausiger ausfallen alsFranzens eigener. Zwei Gaben zum Preis von einer standen nämlich bei Samielnicht im Angebot. Im folgenden werden wir mit der plastischen, dreidimensiona-len Schilderung des tatsächlichen Weberschen Pakteknüpfens konfrontiert wer-den, die übrigens anschließend von unzähligen Schreiberlingen kopiert und per-sifliert wurde, zuerst von C.M. selbst in seinem Freischütz. Ort der Handlung:Eine wilde (Land)Straßenschlucht nahe Wolfsburg.Zeit: Sehr früh in Carl MariasLeben, aber später als er denkt.

Die Theatergruppe Weber hat eine kreisrunde Wagenburg gebaut, in deren Mittedas Geschehen abläuft. Das Bühnenbild ist ein echter Franz Anton: Eulen imGeäst, diverses heulendes Viehzeugs, unruhiger roter Flammenschein, I Toten-schädel ats Hamlet (echt, aber geklaut), ein dampfender Kessel mit gdinem Suddarin (wahrscheinlich Franzens Unterwäsche), Utensilien für Bleiguß und Feuer-zangenbowle. Auftritt Franz und Carl, welcher zögert.

Carl: Vater, mich graust's gewaltig an diesem finstren Ort. Wann kümmt denndieser Spaniel angedackelt, von dem du mir berichtet?

Franz: Der Kerl heißt Samiel, du Kümmerling. Schreib's dir hinter die Ohren,sonst kann er sauer werden.

(Anmerkung: Aus Gränden der Schleichwerbung darf Carl an dieser Stelle auch>Kleiner Feigling< genannt werden.)Carl: Ich wünschte, meine Mama wäre heute hier, um ihren Carl zu sehen.Genovefens Stimme (aus den Lüften ringsumher, flehentlich und süß):

Mein kleiner Bub! Halt ein in deinem Treiben, solang's noch an der ZeitlFranz: Halt's Maul, Frau. Seit du verblichen bist, stehst du nicht mehr im Dreh-

buch. Geh doch zum Teufel, oder besuch Tante Adelheid.Carl: Das war aber nicht nett von dir. Zu diesem Schlemihl bist du höflicher.Franz: Samiel, sag ich. Samiel, du krähenfüß'ger Dämlack!(Samiel taucht im Kreise auf. Donner, Blitz, Schwefeldampf. Samiel hustet.)Samiel: Wer ruft mich beim geheimen Kosenamen, noch dazu mitten in der

Nacht? Ach, du schon wieder, Franz. Ich hätt's mir denken können.Carl: Heut'nacht bin aber ich dran, sagt der Herr Papa. Also: Ich brauche ein

Paar Siebenmeilen-Pumps in Hellbraun, mit Schnallen an den Seiten,Plateausohle rechts, mit Einlagen -

Samiel: Wie kannst du's wagen, Wurm, mir deine Einkaufsliste aufzudrängen?Franz sagte mir, du wollest einen Pakt!

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Carl: Und ob, Herr Spaniel! Wenn's einen packt, dann aber richtig! Denn ichbrauch'zudem noch ein Pfund Talent, damit ich musizieren kann.

Samiel: Dem Männchen kann geholfen werden. Doch denke an die Folgen ...(Hier bricht das Fragment leider ab. Wir wissen nicht, welche Risiken und Neben-wirkungen Samiel dem jungen Carl aufgezählt hat. Die wichtigsten muß er jedochvergessen haben in der Eile.)

Anzumerken wdre noch, daß Samiel seinem eigenen Verwandten keinerlei Rabattgewährt hat - aber das hätte Franz Anton bei seinem leiblichen Kind sicher auchnicht getan. Carl Maria bekam, was er wollte, doch um welch fürchterlichen Preis!Mit seinen neuen Schuhen (Beschreibung wie oben) hatte es nZimlich so seineeigene Bewandtnis. Wir kennen sicher alle die Geschichte von der Tänzerin, diePrimadorura oderPrimavera - nein, Primaballerina werden wollte und um ein PaarZauberschuhe bat. Als die Armste die Schuhe erst einmal angezogen hatte, konn-te sie mit dem Tanzen nicht mehr aufhören, nur über ihre Leiche sozusagen. Sietanzte und tanzte, Tag und Nacht und aufjeder Hochzeit, bis sie vor Erschöpfungtot umfiel. Ganz genauso verhielt es sich mit Carl Maria. Die verhexten Wunder-schuhe trieben ihn unauftrörlich durch die Weltgeschichte wie keinen Weber vorihm, einschließlich Vater Franz. Wohlgemerkt war's nicht vorbei mit seiner Lahm-heit; die Schuhe brachten ihn jedoch seinem Handicap zum Trotz an jedengewünschten und auch unerwünschten Ort. Wer seine lrbensdaten sieht, denktsofort: Armer Carl - wie frtih bist du dahingeschieden! Das ist ein Trugschluß,Hätte Carl einen eingebauten Kilometerzähler sein eigen genannt, würde dieschier unglaubliche Zahl an Wandermeilen noch den Dümmsten davon überzeu-gen, daß C.M.s Körper schlicht und einfach total abgenutzt waL Er hatte bis zuseinem Tode ein Gebiet erwandert, von dem mancher Zweihundertjährige damalsnicht mal zu träumen wagte. Im nachhinein kann es uns nur wundern, daß seinkleiner Schmachtkörper das so lange ausgehalten hat. Wieviele Autos kommenwohl mit vierzig Jahren, einer schlappen Million Meilen und Originalkarosserienoch durch den TÜY auch wenn dre Reiftn tipptopp sind? Apropos Reifen: Natür-lich hat den Carl sein unfreiwilliges Wanderleben ganz mörderisch geschlaucht,Die Ursache seines Todes, den wir aber erst zum Schluß behandeln, war angeb-lich galoppierende Schwindsucht. Um das mal klarzustellen: Wenn hier einergaloppiert ist, dann war das Carl Maria selbst, und wenn einer in der Familiemanchmal die Verschwindsucht kriegte, dann war das Franz Anton nach einermißglückten geschäftlichen Untemehmung. Der Aufschneider von Arzt, der sichC.M. nach dessen Ableben vornahm, entdeckte zwar einen Haufen >Kavernen<und Luftlöcher und Blasen in der Lunge, aber kann uns das erstaunen? Der Jungewar zeitlebens mu gerannt, gerannt, gerannt. Kein Wunder, daß man seine Lungebzw. das armselige Haschee, das davon übrig war, mit der eines gedämpften Pfer-

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des verglich (siehe oben)! So viel Gerenne hält doch kein Pferd aus, nicht mal einmenschliches.

Nun zu jenem anderen Wunsch, dem nach musikalischem Talent. Das war soeine Sache, nicht ganz einfach zu bewerkstelligen - nicht mal für einen echtenSpaniel. Der Teufel kriegte die Sache schließlich so geregelt, daß C.M. zwar keinewirkliche Begabung erhielt, jedoch andererseits auch kein Mensch Wind davonbekam. Halt dich an die knallharten Fakten, Junge, riet Samiel seinem Proteg6.Beschreib nur das,was du aus dem Leben kennst, dann kann nichts schiefgehen.Damit meinte er natürlich die oben aufgeführte Begebenheit in der Schlucht beiWolfsburg. Wiederhol einfach das Gqnze möglichst wortgetreu, nur diesmal ebenmit Musik. Das kann doch nicht so schwer sein, Söhnchen. Aber Carl Maria zier-te sich noch eine geraume Weile, nicht zuletzt deshalb, weil er wußte, der Schußkönne durchaus nach hinten losgehen. So dumm, wie der Teufel dachte, war CarlMaria nun auch nicht.

Doch so dumm, wie Carl Maria dachte, war seinerseits der alte Samiel nicht. Erschickte zur Festigung des Paktes einen Hilfsteufel in Menschengestalt mitten inCarls Leben hinein. Dieser niedere Geist galt in der Welt der Musik als das, wasFranz Anton in allen anderen Bereichen darstellte, will sagen, er war ein Scharla-tan unreinsten Wassers. Die Geschichte nennt jenen Mann Abb6 Vogler, undobgleich sie (bisher) über seine diabolische Herkunft nicht informiert war, kenntsie ihn als echten Lumpenhund mit Stil. Buchstäblich unter dem Deckmäntelcheneines Geistlichen nahm sich der Hilfsteufel des siebzehnjährigen Knaben an undverzauberte ihn mit seiner exzentrisch-monströsen Musik. Unheilbarer Charisma-tiker, der er war, verführte er den Schwärmer und zog und drückte Carls jungeSeele in jede ihm genehme Richtung. Carl geriet völlig in seinen Bann, bis erschließlich zu allen Schandtaten bereit war. Als ihm der Abb6, dessen Lehren eraufsog wie ein Schwamm, eine seiner Partituren übergab, auf daß der Junge davoneinen Klavierauszug anfertige (derAbb6 arbeitete übrigens immer nur gegen Mit-ternacht, wenn überhaupt), da tat der Kleine folgenden Ausspruch, welcherabgrundtief blicken läßt: >>Nun sitze ich darüber und studiere und freue mich, daßich oft des Teufels werden möchte. ..<< O Graus, denken wir jetzt gurz zu Recht.Er gibt seine Seele freiwillig ab, der dumme Junge, und das auch noch fidrr ande-rer Leute Noten.

Nichtsdestotrotz verdankte Carl Maria dem Abb6 seine erste Anstellung alsKapellmeister, und zwar in Breslau. Carl war achtzehn und ganz schön von sicheingenommen, denn aufgrund seiner interessanten Leichenblässe, die er bereits zuLebzeiten pflegte, fraßen nicht wenige Damen einen Narren an ihm. Er konnteinzwischen eine ebenso gepflegte Saite auf der Klampfe zupfen, und wenn er soin den Wiener Kneipen herumhing und klampfte und schäkerte, knickte er reihen-weise Frauenherzen. In Breslau trat derjunge Spund dann auch entsprechend arro-

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gant aui aber sofort gab's Arger mit seinen Musikem im Orchestergraben, alldie-weil seine Truppe dort zu hundert Prozent aus Männern bestand - und die woll-ten auf sein Gita.rrenspiel einfach nicht reagieren. Auf seine verrückten neumodi-schen Ideen ebensowenig. Der Knabe glaubte doch allen Ernstes, er verstündemehr von Tuten und Blasen als seine doppelt und dreifach so alten Untergebenen.Um von seinem Unvermögen, das tief in ihm schlummerte, abzulenken, setzte erbeispielsweise seine Musiker andauernd um. So blieben sie mit Pulterücken sobeschäftigt, daß sie zunächst nichts merkten. Die ersten Geigen, Oboen, Hörner,Cello und Kontrabaß mußten plötzlich nach rechts, obwohl sie immer von linksgespielt hatten und sich nichts anderes vorstellen konnten. Schlimmer noch: DieStreicher kamen nach vom, während die Blechleute auf einmalvon hinten blasenmußten!

Dadurch, und durch die Tatsache, daß derjunge Schnösel keinerlei Respekt vordem greisen, gebeugten Alter zeigte - wollte er doch die Entlassung aller Flötistenmit Arthritis, aller zittigen Streicher mit übermäßigem Tremolo in der Saite, jaaller stocktauben Pianisten durchsetzen, wobei er wohl selbst vor einem Beetho-ven nicht haltgemacht hätte, falls der in seiner Crew dabeigewesen wäre -, durchall diese offenkundigen Fehlentscheidungen machte er nicht nur sich selbst höchstunbeliebt, sondern auch den ganz besonderen fetzigen Swing zunichte, der sich imLaufe der letzten fünfzig Jahre in sein Orchester eingeschlichen und dort bom-benfestgesetzt hatte. Dieser für Breslau so typische Sound, nlimlich die Vorherr-schaft von zerbeultem Blech und schrägen Schalmeien, denen allein der Baß Kon-tra geben durfte, begeisterte seit Menschengedenken die Bevölkerung der Umge-bung, sogar manche Konzertbesucher unter ihr. Niemand kannte ganz genau dieZauberformel, die diesem infernalischen Wohllaut zugrunde /ag; doch jeder kann-te den Verantwortlichen, an dem der gute Ton auf taktlose Art zugrunde ging. Detgottverfluchte junge Weber war's, der Satansbraten, dem dieses zu verdanken war.

Als Carl in seiner kargen Freizeit gerade darüber grübelte, wie der Rübezahlund dessen dienstbare Geister ihm persönlich untertan zu machen seien (reinmusikalisch diesmal), begab sich eine teuflische Geschichte, die dem allerletztenZweifler endgültig beweist, wie tief der Carl bereits ins Höllische verstrickt war.Nicht einmal die auf dem Vorfall beruhende Szene aus dem Buch seines Bekann-ten E.T.A. Hoffmann, in der der Mönch Medardus die Elixiere des Teufelsschluckt, kommt der wahren Sache auch nur annähernd gleich in grausigstemDetail. Wenn man es recht betrachtet, schafft das nicht mal Dr. Jekyll mit seinerchemischen Verwandlung in den haarigen Affen - nein, nicht Schnuff. Der WeberCarl tat einen Schritt, der weit verhängnisvoller war. Denn als er merkte, daß sei-nes Bleibens nicht mehr allzu lange würde sein im schönen Breslau, ohne daß erwas unternehme, erwog er eine radikale Kur. Wie einst der böse Wolf im Märchengedachte Carl die rauhe Stimme sich mit dunklen Künsten aufzuhellen, um alle

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dummen Schäfchen ringsumher zu täuschen; allein es fehlte ihm die Kreide. Erfand was noch viel Besseres. Und selbst in diesem Fall kam es zu ungewolltenNebenwirkungen: So wie die siebte Kugel in den Ofen ging, das siebte Geißleinin die Standuhr, klappte auch hier die Sache nicht so recht. Carls Spezi Bernerbeschreibt die Nacht wie folgt: Er habe in Webers Haus ein Lichtlein schimmernseh'n, welches ihn drängte, so spät den Freund noch zu besuchen. Doch auf seinKlopfen gab ihm keine Seele Antwort. So stapfte er hinein, der aufdringlicheMensch. Ein beißender Geruch schlug ihm entgegen (wiewohl das nichts Besond-res scheint, denn Vater Frarz wohnte im Hochparterre). Er fiel fast über Webern,welcher ausgestreckt am Boden lag. Bemer, der naive Schelm, bestand auf einemArzt, obschon doch jeder weiß, daß so ein Arzt für jede Teufelei zu haben ist!Folglich bescheinigte der Pfuscher schwarz auf weiß, was Weber ihm diktierte:daß nämlich aus Versehen bloß aus jener Flasche mit Salpetersäure er getrunken,die dort im Dunkeln fälschlich für des Vaters täglich Fusel er gehalten ... Da lach-ten selbst die Hühner; nur Bemer hat's geglaubt und wurde selig. Denn ein oderzwei Dinge wollen wir eindeutig festhalten: Franz Anton war zwat durchaus zuzu-trauen, daß er Säure für den Kupferstich in Weinflaschen aufbewahrte und umge-kehrt, ohne die Aufschrift >echt ätzend< anzubringen, aber daß Carl so geistesab-wesend gewesen sein soll, daß er den Unterschied nicht roch, ist schon rein ana-tomisch völlig ausgeschlossen. Sogar im tiefsten Suff hätte ihn seine riesige Naseunfehlbar vor einem solchen Irrtum bewahrt. Und dann die sogenannten Konse-quenzen: Es stimmt, daß Carl sich fürchterlich den Mund-Hals-Nasen-Ohren-Raum verätzte und zwei Monate mit Kamille gurgeln mußte, während Franz wei-terhin Promille vorzog. Doch seine Stimme hat er sich nicht mit der Säure ruiniert,wie manche Biographen glauben. Sie wurde zwar leiser, seine Stimme, aber vonall dem Salpeterzeug auch süßer, verführerischer. Es ist sogar so, daß Carl MariasKarriere als klampfender Minnesänger erst jetzt ihren wahrenAnfang nahm! Seinganzes weiteres Leben lang wußte er die Menschen um ihn her mit seinen säure-gegerbten, doch wildledersanften Stimmbändern zu betören. Daß er so leise sang,bewirkte nur, daß man ihm umso intensiver lauschte, diesem Rattenfänger. E.T.A.Hoffmann übrigens, der obige Infamie zu Protokoll brachte, konnte Weber nichtausstehen, obwohl das Element des Gespenstischen die beiden eigentlich hättevereinen müssen. Während C.M. Hoffmanns Text zur Oper Olympie geradezu alsParadebeispiel für ein sterbenslangweiliges Libretto betrachtete, weil seine eige-nen persönlich-realen Erfahrungen mit diversen Teufeln Hoffmanns Dichtungnatürlich in den Schatten stellten, mied ihn Kollege Hoffmann, wo er nur konnte:Der erkannte einen echten Deibel, wenn er ihn sah.

Doch zwei Monate lang konnte Carl nicht mal >piep< sagen, und diese Zeit-spanne genügte den Breslauern, dem ungeliebten Kapellmeister den Laufpaß zugeben. Franzens Gläubiger, nicht länger gläubig genug, wollten Geld sehen, aber

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Carl'zeigte ihnen nur seine lange Nase. Bevor die wogende Menge die beiden bzw.über den beiden zusammenschlagen konnte, kamen Vater und Sohn gleichzeitigauf die inzwischen klassische Webersche Lösung des Problems: Abhauenl Dashätte auch geklappt, wenn nicht nach Manier der Commedia dell'Arte just in die-ser Lage Tante Adelheid aufgetaucht wdre. Die war nämlich gegen jede Erwartungimmer noch nicht tot. Als Retter in der Not erwies sich wieder einmal Berner, dereine Bekannte besaß, ein Fräulein von Belonde, welches als Ehrendame die Her-zogin von Wtirttemberg besäuseln konnte. Mit Hilfe dieser Belonden, die eigent-Iich eine gefärbte von Brünette war, ergatterte Carl Maria sofort einen fabelhaftenneuen Job.

Vom Kulturreich Marke Eigenbau des Herzogs Eugen Friedrich, der nurbegrenzt exaltiert war - mit Schwanengondeln auf künstlichen Seen, die uns ent-fernt an irgendwas erirurem-, wurde C.M. bald gnädigst weitergereicht an EugensBruder Ludwig, seines Zeichens auch Herzog. Zwischen beiden Fürsten machteCarl einen gewagten Schlenker zurück nach Breslau, feierte dort zehn Tage langso ausgiebig und laut mit Zechkumpanen, daß ein Gläubiger ihn erkannte und Carlschleunigst mit einem Backofen fliehen mußte. Dieser Backofen war ein echterKlotz am rechten, kürzeren Bein, obwohl er laufen und sogar seine Klarinette sel-ber schultern konnte. Als Carl dann endlich in Stuttgart eintraf, merkte er schnell,in was für einen Saustall er hineingeraten war: Dagegen schien Franz AntonsWandertruppe zahm und bescheiden. Carls Chef Ludwig war seinerseits BruderFriedrich unterstellt, doch beide erwiesen sich als wahre Sprößlinge einer Fami-lie, die schwangere Frauen lebendig begrub und ganze Seen künstlich erwärmenließ, um auch irn Winter Enten zu schießen, wie ihr Herr Papa das noch praktizierthatte. Das mit den Seen zumindest erscheint uns unverzeihlich, denn solche un-ökologischen Leute sind es, die auch das Ozonloch in Kauf nehmen, um weiterihre Böcke schießen zu können. Der nun regierende Friedrich haffe andereMacken und führte nur den Soldatenexport großen Stils fort, den der Vater betrie-ben hatte. Carl Maria konnte man Gott sei Dank bei aller Phantasie nicht als Sol-daten verkaufen; selbst die Dicke Berta meinte, als Kanonenfutter sei er ihr zumickrig. Ganz und gar nicht mickrig war dagegen Friedrich, fär dessen Lei-besumfang man speziell ein Halbrund in die Tische schneiden mußte. Er liebteKnaben über alles, allerdings mehr als Nachtisch, und umgab sich mit hübschenStallbürschchen, die er in bedeutende Stellungen erhob, sowohl bei Hofe als auchim privaten Rahmen. Carls Aufgabe bestand darin, bei Friedrichs Bruder Ordnungin die Finanzen zu bringen, was über zwei Jahre klappte, so verrückt das klingt:Franz Anton war ja nicht dabei. In dieser wilden Zeitfeierte Carl jede Nacht aus-schweifend mit seines Heren Sohnemann, dem fünfzehnjährigen Prinz Adam,und dessen dekadenter Adelsclique.

Doch um seine satanischen Kontakte nicht zu vemachlässigen, mußte C.M,

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auch tagsüber ununterbrochen schäkern; sofort ward er ein Ehrenmitglied derStuttganer Teufelsanbeterbande Faust's Höllenfahrt mit dem Decknamen >Kraut-salat<. Diese angebliche Literatenvereinigung hatte wahrscheinlich von CarlsMachenschaften mit Rübezahl gehört oder davon, daß die herzogliche Kasse unterseiner Obhut wie Kraut und Rüben angeordnet war. Carls spezieller Freund war>Rapunzel<, der Komponist Franz Danzi; Carl duldete weder Lollo Rosso nochZucchini, denn er haJJte den zersetzenden Einfluß alles Italienischen aufdeutscheOpe- und ehrliches deutsches Gemüse wie ihn. Durch Rapunzel lernte er, wiesollt's auch anders sein, ein treu-deutsches Mägdelein namens Gretchen kennen.und nahm es auf Fausts Höllenfahrt mit, bis es ihm zu treu wurde. MargareteLang, die kleine Sopranistin, klagte in den allerhöchsten Tönen, deren ihr kleinerKehlkopf f?ihig war, als Carl Maria sie nicht ehelichen wollre. Da half es auchnicht mehr, sie mit ihrem Kosenamen >Puzzicaca< anzusäuseln. Just als er ihrerüberdrüssig wurde und zudem bemerkte, daß das schwüle Klima ihn geistig anzu-greifen begann (er hatte gerade die Cleopatra in Marc Anton gespielt und FranziDanzi seine/ihre Amme), da kam Franz Anton, ihn aus dem Sumpf herauszuhau-en. Er hatte zwei große Kampfhunde dabei und seine Baßgeige; Tante Adelheidallerdings war jetzt endgültig tot. Franz entdeckte in Carls Büro achthundert Gul-den, die der Junge achtlos im verschlossenen Wandsafe hatte herumliegen lassen,und nahm sie vorsichtshalber an sich. Das gab einige Verwicklungen und Aufent-halt im Knast für Vater und ftir Sohnemann. Als man in C.M.s Wohnung auchnoch zwei fürstliche Kandelaber fand, erklärte Carl, daß Prinz Adam, der kleineArmleuchter, sie bei ihm nur )vergessen< habe. Dem solle man gründlich heim-leuchten, dem Nichtsnutz. Schon kamen wie die Geier auch noch alle Gläubiger- der Herzog konnte sie, obgleich vollkommen ungewollt, mit Müh'nur durch dieewige Verbannung retten.

In Heidelberg gefiel es Carl Maria aber auch ganz gut. Er schrieb Soldatenlie-der in seiner Eigenschaft als kampferprobter Veteran und wurde von den studen-tischen Bruderschaften sttirmischst gefeiert. Carl nahm so enthusiastisch am Trei-ben der Zehntsemester teil, der wilde kleine Kämpfer, daß seine Prügeleien durchdie Polizei geschlichtet werden mußten. Er hatte wirklich eine schöne Zßit. Zwi-schendurch hatte Carl mit teuflischer Hilfe eine Oper geschrieben, Silvana, in derdas Liebesduett vom Verehrer der Heldin allein gesungen wird, weil letzterestumm ist; und kurz darauf sollte Abu Hassan an die Reihe kommen, auf wahrenErfahrungen beruhend, so wie Samiel ihm das angeraten hatte: Als erstes verton-te er den Chor der Gläubiger, die Worte >Geld! Geld! Geld!< Das war das echte,pralle Leben, das er so verflucht gut kannte. Ansonsten konnte man wdhrend dernächsten Jahre in Webers musikalischem Notizbüchlein immer wieder die Abkür-zung >A.W.T.N.< finden, die jeweils das Ende einer abgekühlten Liebschaftanzeigte, mit den schmeichelhaften Worten für die Herzensdame: >>Alle Weiber

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taugen nichts.<< Diese Wesen hatten nur das Heiraten im Kopf und waren zu nichtczu gebrauchen. So trieb es unsem Carl Maria um und um, Jahr um Jahr, bis es ihmselber etwas unheimlich wurde, das Wander- und Tanzleben. Beim Herzog vonSachsen-Gotha, der seine Haare täglich anders färbte und in Frauenkleidern zulustwandeln pflegte, war Carl in einen wahren Strudel musikalischen Treibensgerissen worden, welcher ihn so erschöpft hatte, daß er, der Dauertanz-Erfahrene,in höchsten Nöten hatteliehen müssen! Er war jetzt sechsundzwanzig, hatte eineschwere kbensmittelkrise. (Was ja lebenszeitlich bei ihm auch ungef?ihr hin-kommt.) Da konnte ihn nicht einmal sein eigener Berliner Fanclub, die Weberge-sellen, auftreitem, der von bösen Stimmen heimlich >die Weberknechte< genanntwurde. Außerdem haffe der Papa das Zeitliche gesegnet, und nun fehlte Carl die-ser ungemein verl2ißliche Halt.

Als Carl anno 1813 Musikdirektor in Prag wurde, hatte er emsthaft vor, seßhaftzu werden und eine Familie zu gründen. Er lernte sogar die tschechische Sprache,um besser verstehen zu können, was die ihm unterstellten Musiker heimlich überihn fluchten. Denn auch hier entließ er wieder alle Alten und Schwachen und kon-zentrierte seine Aufmerksamkeit viel lieber auf das corps de ballet und dessenReize. Und die Reize eines dieser Ballettkörper waren ganz außerordentlich. DerKörper hieß Therese Brunetti, gab jedoch eher dem Ausdruck >Ballettratte< eineneue Bedeutung. C.M., der eine Familie mit ihr gründen wollte, akzeptierte dabeitoleranterweise nicht nur die ftinf völlig verwahrlosten Kinderlein der Dame, son-dern auch ihren Ehemann. Bald führten die drei bzw. acht einen harmonischengemeinsamen Haushalt. Doch die böse Brunetti behandelte ihren neuen Zweit-mann nach einigen Wochen nicht mehr so nett. Er mußte Z,euge werden, wie sieNr. 1 verprügelte, ohne dem armen Mann helfen zu können, denn er selbst konn-te doch nur betrunkene Studenten schlagen. Da gab er ihrer ältesten Tochter heim-lich Klavierstunden, um sie eines Tages mit dem Ergebnis überraschen zu können.Sie war in der Tät aufs tiefste überrascht von dieser Untemehmung, und gar nichtmal so angenehm. Doch nun trat Caroline auf den Plan, Carls und Schnuffs spä-tere Frau.

Wir dürfen nicht etwa denken, Caroline sei zur Seelenretfung Carls von Gottgesandt gewesen. Eher im Gegenteil: Samiel, der endlich mal ein bißchen richti-ge Musik hören wollte für das von ihm gewährte Stipendium, schickte Carl Mariaeine Braut, auf daß seine Weibergeschichten enden mochten und er Noten schrei-ben könne. Das ewige Poussieren war er gründlich leid. Seine Wahl scheint imnachhinein so genial, daß man versucht ist zu glauben, er habe das Mädchen extrazu dem Zweck erschaffen. Wie seinerzeit Genovefa zuFtanz, nur unendlich abge-brühter, bildete sie das perfekte Pendant zu Carl, dem lahmen Windhund. AlsTochter einer Schauspielerin und eines halbseidenen Geigers und Tenors war siewie er hinter der Bühne großgeworden und kannte alle Tricks, zog alle Fäden der

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Handlung. Ihr Vorleben scheint mindestens so farbig wie das seine; wie seineWeste war ihr Mieder voll von bunten Flecken. Kulissenschieberei stellte auchihre Stärke dar, im wahrsten Sinn des Wortes: Als Carl Maria, nichts Schlimmesahnend, hinter der Bühne an ihr vorbeigeschlendert kam, fröhlich ein Liedchenpfeifend, da blieb die gute Caroline ganz plötzlich an einer Kulissenschiene hän-gen und ließ sich von einer weiteren Kulisse erst zu Boden, dann in Carls Armewerfen. Da hatte der Blödmann sich was Schönes aufgeschnappt. Er brachte sienatürlich nach Hause und blieb dann gleich dort, mehr oder weniger. Die Fußan-gel hatte nicht sie, sondem ihn gefangen! Und wenn wir dann auch noch erfahren,daß just am Tage des Verlöbnisses eine totale Sonnenfinsternis aufkam, dann wis-sen wir Bescheid über die Verbindung ...

In Dresden fand Carl dann endlich die Wirkungsstätte, die seinem neuenWunsch nach Seßhaftigkeit perfekt entsprach und den wunderbarsten kreativenNährboden für jene Werke abgab, die der Teufel ihm direkt einflüsterte und die ihnspäter entsprechend berühmt machen sollten. Das musisch-literarische Klima inDresden hob sich meilenweit und äußerst erquickend von den Sauf- und Rauf-dichterbrüderschaften ab, die Carl bis dato kennengelernt hatte. Wie glücklich warCarl, als er feststellen durfte, daß die Dichtertee-Yereinigung, die hier den Tonangab, sich tatsächlich bei Tee und Butterbroten traf und daß die braven Famili-enväter/-mütter pünktlich vor neun Uhr nach Hause gingen - abends wohlge-merkt! Oder daß der Leithammel C.A. Böttiger, gleichzeitig Theaterkritiker undArchäologe, demzufolge nur Stücke guthieß, die mit den Staubschichten und derPatina des Urzeitlichen bedeckt waren, während die Leitkuh, ihres Zeichens Dich-terin und Rezensentin, ihre ätzenden Artikel stets getreu ihrem Namen verbrach:aus demWinkel nämlich. Weber war so glücklich, daß er um ein Haar die Berli-ner Oper übemommen hätte, doch der Teufel Samiel ließ mitten in den Verhand-lungen das dortige Opemhaus abbrennen, um seinen Schützling auf dem rechtenWeg und an der Kandare zu halten. Gnadenlos wurde für Weber in Dresden einelebensläingliche Bestallung erkämpft, und schon war C.M. in diesem goldenenStall gefangen, zumal sein treues Eheweib bald nur noch schwanger blieb.

Diese so knebelnd geordneten Verhältnisse wirkten ideal auf Webers Schaf-fenskraft, da er nun kein anderes Ventil für Rebellion, Wanderlust und echtenDurst mehr fand als seine eigene Kunst. Im Theater trieb er's also bunter als jezuvor, und er bereitete sich geistig auf den Freischütz vor, die musikalische Ver-arbeitung seiner frühen Erlebnisse. Schon bei der Auswahl der Truppe scheintSamiel Mitspracherecht genossen zu haben; Weber gab selbst zu: >>Der Altist istein Hund<<, die Sopranistin atme wie ein Pferd. Wir wissen nicht, ob Schnuff injener muntren Runde mitgesungen hat, doch steht dies beinatr zu befürchten.

C.M., der trotz aller Kumpane keinen Platz zum Tanzen mehr hatte, sondernstäindig auf der Stelle treten mußte, kriegte mittlerweile einen Drehwurm. Ein auf

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anderthalb Quadratmeter Raum beschränkter Dauerwalzer macht jeden Tänzormit teuflischen Schuhen fix und fertig, auch wenn er zwischendurch seine kesscEinlegesohle aufs Parkett legt. Es war nicht mehr auszuhalten, und so komponier-te Carl mit Frauchens Hilfe die berühmte >Aufforderung zum Thnz<. Hinter die-sem romantischen Konzertwalzer verbirgt sich ein richtiges Miniaturdrama, des-sen Bedeutung C.M.seiner Caroline detailliert auseinanderpopelte, ungefähr wiefolgt: Der Tänzer schleicht sich an sein Opfer heran (Takt l-5). Die Dame verbit-tet sich jedes Geplänkel und schmollt (Takt 5-9). Er droht ihr (Takt 9-13). Sie gehtauf seinen Vorschlag ein, weil er ihr den Arm auf den Rücken gedreht hat und ihnandemfalls brechen könnte (Takt 13-16). Vor dem eigentlichen Tanzreden sie mit-einander; er fragt: >>Tanzen wir zu dir oder zu mir nach Hause?< (Takt 17-19). Sieantwortet: >>Mein Herr, Sie sind ein niederträchtiges - aua, schon gut, Sie brechenmir ja sämtliche Knochen<< (Takt 19-21). Darauf er mit gesteigerter Eregung:>Am liebsten möcht' ich gleich hier auf der Tanzfläche ...< (Takt 2l-23). Sie hatresignierl >>Gut, bringen wir's hinter uns. Bei mir zu Haus'ist eh nicht aufge-räumt<< (Takt 23-25). Bald kommt es zum eigentlichen Paarungstanz. Die erstenSchrittchen aufeinander zu sind noch recht zahm (Takt 25-3I). Dann prallen diebeiden zusammen und kommen augenblicklich zur Sache (ab Takt 35). Nach demTanz, dessen Takte im Eifer des Gefechts gar nicht mehr mitgezählt werden,bedankt sich der Kavalier; die Dame bekommt ihren Arm zurück, prüft, ob er nochfunktioniert, und rennt weinend davon. Stille. - Da die Aufforderung jedoch einRondo ist, müssen wir befürchten, daß der böse Wolf von Tänzer sich schon imnächsten Moment ein neues Opfer holen wird. Und wer weiß, wie die Sache dannausgeht...

Da Weber, wie bereits angedeutet, nicht einen einzigen Augenblick stillzuste-hen vermochte, kormte er natürlich auch seine Noten nicht selbst niederschreiben.Seinen Verwandten und Bekannten schien es, als ob et gatnze Opern erst im Kopffabiziere, um sie danach in Windeseile zu >notiren<, wie C.M. es lapidar nannte.Sein Schüler Benedict, der glaubte, Weber schreibe mit eigenen Händen, sah nurdas Endprodukt und meinte: >>Das Ganze war bereits in seinem Kopf derartig ent-wickelt, daß die lnstrumentierung kaum mehr als Schreibarbeit war, und dieNoten flossen ihm aus der Feder mit allen Ausdrucksnüancierungen, so als ob mangestochene Kupferplatten auf Papier abzöge.<< Dieser Eindruck ist sowohl wider-sprüchlich als auch höchst irreführend. Zwar hatte Weber Erfahrung im Stein-druck; und wenn Samiel ihn schriftlich kontaktierte, was allerdings selten vorkam,nannte er Carl seinen >lieben Freund und Kupferstecher<. Doch nach Carls Able-ben konnten jene Komponistenkollegen, die seine Fragmente verwursten wollten,diese >gestochen scharfen< Krakel überhaupt nicht lesen! Benedict spricht vonWeberschen Geheimzeichen, Hieroglyphen, deren Bedeutung er allein kannte undfür seine charakteristischen Orchestereffekte einsetzte. AIIes Quatscft. Wenn sich

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hinter diesen Zeichen etwas verbirgt, dann ist es der Schreiber persönlich, der aufWebers Diktat hin tätig war - und der einzige Hausgenosse, der 1. C.M. halbwegsähnlich sah, 2. beweglich und mit affenartiger Geschwindigkeit arbeiten konnte,jedoch 3. eine echte Sauklaue beim Schreiben besaß, war sein Hilfsgeist Dreimal-dürfen-wir-raten.

Ihm verdanken wir natiirlich auch die Niederschrift des Freischütz, obwohl wirnicht mit Bestimmtheit sagen können, wieviel davon Carl diktiert hat und wievielSamiel. Der Freischütz nämlich vereinigt sowohl die gelungensten FreischüsseCarl Marias als auch die vom Teufel fehlgeleiteten in sich - jene, die den Schüt-zen auf Umwegen selber treffen. Die Kugeln sind in diesem speziellen Fall eigent-lich eher ein Frei-Bumerang, welcher dem Carl mit vollerWucht von hinten in denAllerwertesten fuhr. Die Kern-, Dreh- und Angelszene in der Wolfsschlucht,unterlegt mit flatternden Waldvögeln, einem schwarzen Eber, Sturm, Peitschen-knallen, Rossegetrappel, feurigen Wagenrädern, der Wilden Jagd, Gewitter, Don-ner, Hagel, Meteoren, Feuer aus der Erde und anderen Kleinigkeiten, riß jedesPublikum im In- und Ausland zu entsprechenden Beifallsstürmen, orkanartigemApplaus und feurigen Liebesbekundungen hin und ließ Webers Stern aufsteigenwie eine Rakete. Es hagelte Präsente, und sein Ruf ward wie Donnerhall. Dasschien alles sehr schön, zumindest eine Zeitlang. Den ersten Arger gab es jedochschon, als man in Wien unter dem Druck der Z,ensur unfreiwillig die bei weitemdämlichste aller Persiflagen aufzuführen gezwungen war: einen Freischütz ohneEremiten (das ging noch an), ohne Samiel (Gott, war der sauer!) und ohne Feuer-waffen .., Leider ist nicht überliefert, wie das Problem nun gelöst wurde, ob mitFreikegeln oder Freikug elstoJSen.

Das Schlimmste am Freischütz jedoch war gerade sein erschreckender Erfolg.Weber konnte die Melodien, die überall gedudelt wurden (Reisende erzählten vonNegersklaven in Zuckerrohrplantagen, die begeistert den >Jungfernchor< sangen),bald nicht mehr ertragen, mußte sie aber immer und immer wieder dirigieren.Wenn er etwas anderes zur Aufführung bringen wollte, verlangte das Publikumkein Maoam,n:ur den Freischütz, Freischütz, Freischütz. Es kam so weit, daß C.M.Leuten, die ihm freudig mitteilten, die soundsovielte Aufführung in Timbuktu seisoeben gelaufen, fast eine runtergehauen hätte. Seine anderen Opern mochte nie-mand leiden, und sehr bald wünschte Carl, er hätte den verteufelten Schützen niegeschrieben. Als er allein nach England ging, um einsam dort zu sterben, vernahmder Carl auch dort nichts als den gottverdammten Freischütz.

Jawohl, in England starb unser Ewiger Tänzer mit der gedämpften Pferdelun-ge. Noch auf dem Totenbett muß er mit den Füßen herumgezappelt haben: Wiesonst ist zu erklären, daß einer der Arzte ernstlich vorschlug, einen Aderlaß vor-zunehmen, wiewohl der Patient >seit fünf oder sechs Stunden tot< sei? Daß dieserEingriff schließlich nicht geschah. lag nur daran, daß Weber in keiner Kranken-

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kasse war. Die Inhalation mit Blausäure kurz zuvor hatte eher zu Testzwsckcngedient. Doch auch nach dem Tode ward Carl vom Teufel nicht verschont. ElnLied, gesungen bei der prunkvollen Begräbnisfeier, hieß >The Death of Webcr< -es war ein Potpourri aus den gängigsten Freischütz-Melodien. Als der tote CarlMaria das hörte, fing er nicht etwa an, im Sarge zu rotieren wie gewöhnlichoLeute. Er fiihrte einen echten, verzweifelten Totentanz auf ... und das ganz ohncAufforderung.

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