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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Studiengang: Master of Education Deutsch / Kunst MASTERARBEIT Schrift als Material im Kunstunterricht der Grundschule: Eine didaktische und ästhetische Analyse des Potenzials von Visueller Poesie im Kunstunterricht der Grundschule. vorgelegt von Ina Tietjen Betreuende Gutachterin: Frau Prof. Dr. Eva Sturm Zweite Gutachterin: Frau Juliane Heise Oldenburg, 11.08.2014

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Carl von Ossietzky

Universität Oldenburg

Studiengang: Master of Education Deutsch / Kunst

MASTERARBEIT

Schrift als Material im Kunstunterricht der Grundschule:

Eine didaktische und ästhetische Analyse des Potenzials von Visueller Poesie

im Kunstunterricht der Grundschule.

vorgelegt von Ina Tietjen

Betreuende Gutachterin: Frau Prof. Dr. Eva Sturm

Zweite Gutachterin: Frau Juliane Heise

Oldenburg, 11.08.2014

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung .......................................................................................... 1

1. Bildende Kunst und Poesie ................................................................ 3

1.1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarisch aufgezeigt

anhand zweier disparater Positionen................................................... 3

1.2. Das Zusammenwirken von Schrift und Bild in der

bildenden Kunst ............................................................................. 12

2. Visuelle Poesie................................................................................. 18

2.1. Hintergründe der Visuellen Poesie ................................................... 21

2.2. Begriffsbildung der Visuellen Poesie ................................................ 24

2.3. Formen Visueller Poesie .................................................................. 26

2.4. Grundlagen Visueller Poesie ............................................................ 29

2.5. Drei Beispiele der Visuellen Poesie .................................................. 32

2.5.1. Eugen Gomringer ............................................................................ 33

2.5.2. Carlfriedrich Claus........................................................................... 36

2.5.3. Safiye Can ....................................................................................... 38

3. Kunstunterricht in der Grundschule .................................................. 40

3.1. Fächerübergreifender Unterricht ...................................................... 41

3.2. Ein Blick ins Kerncurriculum........................................................... 45

3.3. Visuelle Poesie in der Grundschule .................................................. 47

3.4. Möglichkeiten der Vermittlung von Visueller Poesie:

Kunstpädagogische Positionen im Vergleich .................................... 51

3.4.1. Visuelle Poesie als Ausgangspunkt ................................................... 52

3.4.1.1. Auslegen von Bildern nach Gunter und Maria Otto .......................... 52

3.4.1.2. Auslegen von Visueller Poesie ......................................................... 57

3.4.2. Visuelle Poesie als Ziel .................................................................... 67

3.4.2.1. Helga Kämpf-Jansen und die Ästhetische Forschung ....................... 68

3.4.2.2. Schrift als Anreiz Ästhetischer Forschung ........................................ 70

3.4.2.3. Weitere Möglichkeiten die Visuelle Poesie zu vermitteln ................. 75

Fazit ........................................................................................................ 78

Literatur ........................................................................................................ 81

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Einleitung

„Auch wenn ich meinen Namen schreibe, zeichne ich.”1

Joseph Beuys macht mit dieser Aussage deutlich, wie eng Kunst und Schrift

miteinander verknüpft sind und wie viel Potenzial somit der Schrift für den

Kunstunterricht innewohnt.

Visuelle Poesie ist eine Kunstform, die Schrift- und Bildelemente kombiniert.

Diese, und ihre nutzbaren Möglichkeiten im Kunstunterricht, stellen den

Gegenstand dieser Arbeit dar. Ziel dieser Masterarbeit ist es dementsprechend, die

Visuelle Poesie als Teil des Grundschulunterrichts zu diskutieren. Da hier ein

Forschungsdesiderat besteht, wird im Folgenden die Umsetzbarkeit einer

Unterrichtseinheit zur Visuellen Poesie in einer vierten Grundschulklasse geprüft.2

These dieser Arbeit ist dementsprechend, dass die Visuelle Poesie bereits in der

Grundschule Unterrichtsgegenstand sein kann.

Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Art und Weise wie Visuelle Poesie

im Grundschulunterricht denkbar wäre. Im Folgenden wird dementsprechend die

Visuelle Poesie vorerst sachlich analysiert, um sich dieser Kunstform

innewohnenden Ästhetik bewusst zu werden, so kann sie anschließend als

Unterrichtsgegenstand geprüft werden. Besonderheiten der Visuellen Poesie

sollen herausgestellt werden und aus der Sicht von Schüler_innen der vierten

Klasse erörtert werden.

Um die Visuelle Poesie und deren Entstehung zu veranschaulichen, soll ein Abriss

der Kunstgeschichte und des damit einhergehenden Ursprungs der Vermischung

von Bildender Kunst und Poesie folgen. Hierbei sollen Für und Wider der

Vermischung beider Künste betrachtet werden. Dies geschieht exemplarisch

anhand der Positionen von Horaz und Gotthold E. Lessing, die verschiedene

Standpunkte vertraten. Diese Hinführung dient der Auseinandersetzung mit den

1 Joseph Beuys zit. nach: Toni Stooss (1993): Am Anfang. In: Eleonora Louis (Hrsg.) / Toni Stooss

(Hrsg.): Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20.

Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart : Edition Cantz, S. 1. 2 Zwar betonen viele Kunstpädagog_innen die hohe Relevanz von Schrift als gestalterisches

Mittel, jedoch wurde der Visuellen Poesie bisher scheinbar keine große Bedeutsamkeit im

Unterricht beigemessen. Literatur bezüglich Visueller Poesie in der Grundschule existiert keine.

Lediglich ein Unterrichtsentwurf in der Zeitschrift Kunst + Unterricht, die dieses Thema in einer

zwölften Jahrgangsstufe thematisiert, ist ausfindig zu machen. Siehe: Wennemar Rustige u.a.

(1994): Visuelle Poesie. Unterrichtserfahrung mit der Gestaltung lyrischer Texte. In: Kunst +

Unterricht, Heft 182/1994, S. 42.f.

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verschiedenen Wirkungen, die Schrift und Bild bei einer Vermischung der Künste

erzeugen können und die Künstler_innen in der Visuellen Poesie für sich nutzen.

Die Visuelle Poesie und deren Vermittlung stellen den Schwerpunkt dieser Arbeit

dar.3 Die Besonderheiten dieser Kunstform werden an Beispielen der

Künstler_innen Eugen Gomringer, Carlfriedrich Claus und Safiye Can deutlich

gemacht. Werke von diesen Künstler_innen werden auf das Potenzial der

Einsetzbarkeit in der Grundschule hin untersucht.

Unter dem Begriff Visuelle Poesie sollen im Zuge dieser Arbeit sowohl Formen

der Konkreten Poesie als auch der Visuellen Poesie verstanden werden. Die

beiden Begriffe wurden lange Zeit und werden teilweise auch heute noch

synonym verwendet. Die Begriffe sollen hier jedoch unter dem Terminus Visuelle

Poesie gefasst werden, da diese Arbeit den Fokus auf das Visuelle der Arbeiten

legt und Konkreter Poesie das Visuelle ebenso innewohnt.

Um den Kunstunterricht der Grundschule, in dem die Visuelle Poesie eingebettet

werden könnte, zu untersuchen, sollen im Zuge dieser Arbeit die

Rahmenbedingungen erörtert werden. Hierfür werden zunächst die Vorgaben des

Kerncurriculums betrachtet. Hiernach wird eine grundsätzliche Diskussion eines

fächerübergreifenden Deutsch- und Kunstunterrichts im Rahmen des

Kerncurriculums umrissen.

Mithilfe von verschiedenen kunstpädagogischen Positionen werden Optionen

aufgezeigt, wie Kunstunterricht mit Visueller Poesie arbeiten kann. Gunter und

Maria Otto, sollen als Vertreter_innen eines Kunstunterrichts, welcher das

Arbeiten mit Kunst und an Kunst vorsieht, betrachtet werden. Ein weiteres

Konzept stellt die Ästhetische Forschung nach Helga Kämpf-Jansen dar, welches

als Hinführung zur Kunst eine weitere Möglichkeit der Vermittlung darstellen

kann. Diesen sehr unterschiedlichen Konzepten folgen weitere Überlegungen

möglicher Umsetzungen. Eine Wertung des Potenzials und der Umsetzbarkeit von

Visueller Poesie als Unterrichtsgegenstand der Grundschule soll den Abschluss

der Arbeit bilden.

3 Hierbei wird sich aufgrund des Umfangs dieser Arbeit auf Visuelle Poesie im zweidimensionalen

Raum beschränkt. Verwandte Formen wie Akustische Poesie oder Poesie mit neuen Medien

können ebenfalls nicht berücksichtigt werden auch wenn die hier beschriebenen Ansätze auf diese

verwandten Formen durchaus übertragbar sind.

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1. Bildende Kunst und Poesie

„Literatur verwirklicht sich im Sprachlichen, bildende Kunst im Visuellen.“4 So

simpel formuliert es Wolfgang M. Faust. Diese Trennung wirft jedoch die Frage

auf: Verfügt Kunst nicht auch über eine Form von Sprache? Und hat Literatur

beziehungsweise Poesie nicht immerzu auch einen visuellen Aspekt, der in die

Rezeption mit einfließt? Diese Trennung scheint dementsprechend nicht

ausreichend, um dem Unterschied der Künste gerecht zu werden. Daher werden

im Folgenden die Unterschiede der Künste aufgezeigt, wie sie für viele

Jahrhunderte Gültigkeit besaßen und deren Ausführungen auch heute noch von

hoher Relevanz sind.

1.1.Gemeinsamkeiten und Unterschiede exemplarisch aufgezeigt anhand

zweier disparater Positionen

„Sprache und Bild stehen in gleicher Ausgangsposition, in je eigener Distanz zur

Wirklichkeit, denn beide sind nicht in der Lage, in unverstellter Mimesis die Welt

abzubilden, beide rekonstruieren nur die Wirklichkeit.“5 Schrift und Bild bilden

demgemäß Möglichkeiten die Welt zu beschreiben. Jedes Medium mit seinen

Mitteln. „Bildtexte und Sprachtexte generieren sich aus unterschiedlichen

Zeichensystemen, die eine spezifische Funktions- und Wirkungsweise besitzen.“6

Die bildende Kunst stellt ebenso wie die Poesie mit Zeichen etwas dar. Die

Unterschiedlichkeit dieser Zeichen und deren Eigenschaften wurden bereits von

vielen Künstler_innen und Philosoph_innen diskutiert. Je nachdem in welchem

Teilsystem der Kunst die verschiedenen Vertreter_innen wirksam waren und sind,

werfen sie verschiedene Perspektiven auf die Künste. Im Folgenden sollen zwei

gegensätzliche Positionen verglichen werden, die beide für eine lange Tradition

des Kunstverständnisses mehrerer Jahrhunderte stehen.

Welches Medium der Kunst sich für welche Zwecke besser eignet, wurde bereits

in vielen Theorien in der Antike diskutiert. Der Dichtung wurde „in der

4 Wolfgang Max Faust (1987): Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und

Literatur. Vom Kubismus bis zur Gegenwart. Köln: Du Mont, S, 30. 5 Alexander Glas (2006): Bild – Wort – Text. Oder das Paradigma des Pingpong. In: Johannes

Kirschenmann u.a. (Hrsg.): Kunstpädagogik im Projekt der allgemeinen Bildung. München:

kopaed, S. 71. 6 Eva Maltrovsky (2004): Die Lust am Text in der bildenden Kunst. Frankfurt am Main: Peter

Lang, S. 13.

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griechischen Kultur traditionell eine höhere Wertschätzung zuteil […].“7 Horaz

setzt jedoch Malerei und Dichtung gleich. Die berühmte Aussage zum Verhältnis

von Malerei und Dichtkunst aus der Ars Poetica des Horaz „ut pictura poesis“

veranschaulicht dieses.8 Er setzt bildende Kunst und Poesie in ihrer Wirkung

gleich. Dieses Kunstverständnis dauerte lange Zeit an. „Erst Lessing sollte aus der

Differenz von Sprach- und Bildzeichen eine Unterschiedenheit der Künste

ableiten und deren systematische Trennung begründen.“9 Bis zu dieser Trennung

der Künste von Gotthold E. Lessing galt die Gleichsetzung der Künste, wie es seit

Horaz verbreitet war. Horaz Modell hat „eine immense, bis zu Lessing reichende

Wirkungsgeschichte […].“10

Horaz setzt die beiden Künste wie folgt gleich:

Dichtungen gleichen Gemälden: einzelne Züge ergreifen

Tiefer beim Anblick von nahem und andre beim Anblick von ferne; Manche Partien vertragen nur Dunkelheit, andre auch Helle,

Weil sie die scharfe Kritik des Betrachters fürchten nicht brauchen;

Manches gefällt nur einmal, und manches bringt zehnmal Vergnügen.11

Horaz veröffentlichte diesen Text 14 v. Chr.12

Viele Jahrhunderte galt diese

Auffassung über die Beschaffenheit der Künste. Die Konvertierbarkeit der einen

in die andere Kunst sei durch Horaz legitimiert.13

Nach Horaz sei „[…] was in

einem Medium zum Ausdruck gebracht werden könne, das eigne sich eo ipso

auch als Vorlage für das andere.“14

Eine Gleichrangigkeit der beiden Künste hatte

sich etabliert und wurde erst Ende des 17. Jahrhunderts nachhaltig in Frage

gestellt.

1766 veröffentlichte Gotthold E. Lessing Laokoon. Oder über die Grenzen der

Malerei und Poesie und erörterte hier die Differenz von bildender Kunst und

Poesie. „An Stelle einer Ästhetik der Universalisierung fordert er eine

7 Norbert Schneider (2011): Geschichte der Kunsttheorie. Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert.

Köln: Böhlau, S. 32. 8 Vgl. Schneider 2011, S. 47. 9 Gotthold Ephraim Lessing / Friedrich Vollhardt (Hrsg.) (2012): Nachwort. In: Laokoon oder

Über die Grenzen der Malerei und Poesie: Studienausgabe. Stuttgart: Reclam, S. 449. 10 Schneider 2011, S. 47. 11 Horaz Vers 361ff. zit. nach Schneider 2011, S. 47. 12 Vgl. Schneider 2011, S. 43. 13 Vgl. Giuliani, Luca (1996): Laokoon in der Höhle des Polyphem. In: Poetica 28, S. 1. 14 Ebd., S. 1.

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medienbezogene Differenzierung der Künste.“15

Anlass von Lessings Laokoon sei

die Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der

Malerei und Bildhauerkunst aus dem Jahre 1755 von Johann Joachim

Winckelmann.16

Winckelmann und Lessing tauschten sich über das Verhältnis von

bildender Kunst und Poesie aus. Beide vergleichen

[…] Vergils Text aus der Äneis mit der von Hagesandros geschaffenen

Skulpturengruppe, um davon ausgehend, auf die grundsätzlichen

Eigenschaften von bildender Kunst und Literatur zu schließen.17

Lessing macht den Unterschied von Malerei zur Poesie anhand der Laokoon-

Gruppe deutlich. Diese Marmorskulptur wurde 1506 entdeckt.18

Die Entdeckung

ging einher mit „einer überaus reichhaltigen Rezeptionsgeschichte, einer

intensiven künstlerischen, aber auch literarischen und sogar philosophischen

Auseinandersetzung[…].“19

Die dargestellte Szene der Statue, die aus einem

Marmorblock gehauen wurde, beruht auf einem griechischen Mythos, in dem ein

Priester und seine Söhne von Schlangen angegriffen werden. Die Statue stellt

diesen Angriff und das Leiden dieser drei dar. In dieser Statue reißt Laokoon den

Mund nicht weit zum Schrei auf, auch wenn er große Schmerzen habe müsste, da

er von Schlangen angegriffen wird. Lessing begründet dies so, dass eine bloße

Öffnung des Mundes hier nicht den Schmerz hätte ausdrücken können.20

Körperlicher Schmerz sei nach Lessing nicht im Medium der bildenden Kunst

darstellbar.21

Sie könne lediglich einen Moment festhalten.22

Dementsprechend sei

die Poesie der Malerei überlegen. Lessing betont in seinen Schriften stets die

15 Monika Schrader (2005): Laokoon – „eine vollkommene Regel der Kunst“. Ästhetische

Theorien der Heuristik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Winckelmann, (Mendelssohn),

Lessing, Herder, Schiller, Goethe. Hildesheim: Georg Olms, S. 55. 16 Vgl. Elida Maria Szarota (1959): Lessings »Laokoon«. Eine Kampfschrift für eine realistische

Kunst und Poesie. Weimar: Arion, S. 9. 17 Katrin Ströbel (2013): Wortreiche Bilder. Zum Verhältnis von Text und Bild in der

zeitgenössischen Kunst. Bielefeld: transcript, S. 74) 18 Vgl. Bablina Bäbler (2009): Laokoon und Winckelmann: Stadien und Quellen seiner

Auseinandersetzung mit der Laokoongruppe. In: Dorothee Gall (Hrsg.): / Anja Wolkenhauer

(Hrsg.): Laokoon in Literatur und Kunst. Berlin: de Gruyter, S. 228. 19 Christian Kunze (2009): Zwischen Pathos und Distanz – Die Laokoongruppe im Vatikan und

ihr künstlerisches Umfeld. In: Dorothee Gall (Hrsg.): / Anja Wolkenhauer (Hrsg.): Laokoon in

Literatur und Kunst. Berlin: de Gruyter, S. 33. 20 Vgl. Lessing 2012, S. 23. 21 Vgl. ebd. 22 Vgl. Ströbel 2013, S. 75.

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Überlegenheit der Poesie gegenüber der Malerei. Beispielsweise sei es ein Vorteil

der Poesie, dass wir miterleben wie etwas entsteht, während die Malerei uns etwas

bereits Entstandenes präsentiert.23

In Laokoon urteilt Lessing nicht lediglich über das Verhältnis von Kunst und Bild,

sondern beschreibt auch generelle ästhetische Urteile über Kunst. Bildende Kunst

würde Schönheit anstreben.24

Es sei nach Lessing, das Hauptanliegen von Kunst,

dass uns die vom Kunstwerk vermittelte Vorstellung und Empfindung deutlicher

bewusst wird.25

Lessing schreibt sowohl der Literatur als auch der bildenden

Kunst einen illusionierenden Charakter zu.26

Die Form der Nachahmung

unterscheidet sich jedoch „in ihren Mitteln beziehungsweise in der Art der

Zeichen […].“27

Lessing bezeichne die Nachahmung, die deutliche Vorstellungen

nach sich zieht, als das Werk vervollkommnend und somit höchstes Ziel.28

Grund

hierfür ist die damalige Sicht, dass Kunst Mimesis anzustreben versucht. Aus

heutiger Sicht ließen sich selbstverständlich Künstler_innen und Kunstepochen

anführen, die Nachahmungen ablehnen, deren Ziel nicht die Mimesis ist.

Von großer Bedeutung bei Lessings Unterscheidung der beiden Künste sei der

Begriff Handlung.29

Handlungen würden aufgrund ihres zeitlichen Charakters

Poesie kennzeichnen, da diese eine Abfolge von Vorgängen beinhalten. Das

Wesentliche der Poesie sei, dass die Körper in ihr Handeln würden.30

Malerei

könne hingegen eine Handlung, also einen Augenblick erfassen, der

dementsprechend keine zeitliche Abfolge darstelle.31

Sie sei dadurch

gekennzeichnet, dass sie den Raum als Wirkungsort hat, das heißt, dass sie Teile

habe, die in Koexistenz zu einem Ganzen werden würden.32

Dementsprechend sei

Malerei die „sichtbar stehende Handlung“ 33

, während Poesie die „fortschreitende

Handlung“ 34

sei. Malerei könne zwar Handlungen nachahmen, dies würde sie

23 Vgl. Lessing 2012, S. 122. 24 Vgl. Szarota 1959, S. 15ff. 25 Vgl. Schrader 2005, S. 62. 26 Lessing bezieht sich zwar auf Beispiele der Bildhauerei und die Poesie in Laokoon, die

Unterschiedlichkeiten dieser beiden Teilgebiete, lassen sich jedoch auch auf die Bildende Kunst

und Literatur beziehen. 27 Giuliani 1996, S. 7. 28 Vgl. Schrader 2005, S. 64. 29 Vgl. ebd., S. 66ff. 30 Vgl. Lessing 2012, S. 115. 31 Vgl. ebd., S. 115. 32 Vgl. Schrader 2005, S. 68. 33 Vgl. ebd., S. 69. 34 Vgl. ebd.

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jedoch lediglich mit Körpern andeuten.35

Poesie könne zwar Körper nachahmen,

dies würde sie jedoch mittels Handlungen erreichen.36

Poesie habe laut Lessing

den Vorteil „aus der langweiligen Mahlerey eines Körpers, das lebendige

Gemählde einer Handlung zu machen.“37

Lebendigkeit ist nach Lessing

dementsprechend mit den Handlungen der Poesie verknüpft. Der stehenden

Handlung der Malerei hingegen schreibt er nicht die Lebendigkeit in diesen

Maßen zu.

Malerei könne lediglich „einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und

muß daher den prägnantesten wählen […].“38

Poesie könne mehrere Handlungen

aufzeigen. Malerei ist somit laut Lessing eingeschränkter in der Darstellung. Die

Malerei hat Lessing zufolge, nicht die Möglichkeiten Handlungen darzustellen. Es

fehlt der Malerei dementsprechend die Möglichkeit, Zeit mittels Handlungen

darzustellen. Wenn Malerei versuche Handlungen darzustellen, sei dies ein Indiz

von schlechtem Geschmack.39

Malerei würde sich durch ihre Körper auszeichnen.

„Gegenstände, die neben einander oder deren Theile neben einander existieren,

heissen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften, die

eigentlichen Gegenstände der Mahlerey.“40

Während sich Malerei durch Koexistenz, Raum und Körper auszeichne, würde

sich Poesie durch Sukzession, Zeit und Seele auszeichnen.41

„[D]ie Zeitfolge ist

das Gebiete des Dichters, so wie der Raum das Gebiet des Mahlers.“42

Die Körper

der Malerei existieren jedoch nur in einem bestimmten, festgelegten, zeitlichen

Rahmen, während Körper in der Poesie handeln und somit auch Teil einer

zeitlichen Abfolge sind. Beide Bereiche sind somit voneinander abhängig: Die

Körper agieren in der Zeit sowie die Handlungen durch Körper erst deutlich

werden.

35 Vgl. Lessing 2012, S. 115. 36 Vgl. ebd. 37 Lessing 2012, S. 134. 38 Ebd., S. 116. 39 Vgl. ebd., S.130. 40 Ebd., S. 115. 41 Vgl. Schrader 2005, S. 75. 42 Ebd., S. 130.

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Die Raum-Zeitlichkeit der Schwesterkünste, die Lessing in den

Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt erweist sich insgesamt als

einer der wichtigsten Ansätze in der Lehre von der Wechselseitigen

[sic!] Erhellung der Künste […].43

Sie macht die Vorteile beider Künste deutlich und zeigt ihre Schwachpunkte auf.

Lessing spricht beiden Künsten ein eigenes Zeichensystem zu, mit dem sie und

ihre Wirkung zu unterscheiden sind. Er definiert „die Eigenschaften der beiden

Künste von den scheinbaren Eigenschaften der Zeichen her […].“44

Der Nutzen

des jeweils der Kunstform zugehörigen Zeichenrepertoires ist für ihn ein

Qualitätsindiz der jeweiligen Kunstform.

Die Möglichkeiten dieser Zeichensysteme sind unterschiedlich, sie

haben je nach System bestimmte Fähigkeiten, die Lessing hier

theoretisch ermitteln will. Und die Zeichen sind umso besser geeignet, je mehr sie ihre spezifischen Eigenschaften dazu einsetzen, den

jeweiligen Rezipienten/innen einen möglichst authentischen Prozess

des nachahmenden Erzeugens zu ermöglichen.45

Sowohl Malerei als auch Poesie können mithilfe ihres Zeichenrepertoires

Nachahmen und so Vorstellungen bei dem_der Rezipienten_in hervorrufen. Die

Zeichen, der sie sich hierbei bedienen, unterscheiden sich jedoch in der Art, wie

wir sie zu rezipieren gelernt haben. Sprache sowie Schrift lernen wir als Kind, je

nachdem wo wir aufwachsen, kennen und deuten. Sie ist durch die Konventionen

gewachsen und für uns verständlich durch diese Konventionen. Bilder lernen wir

in natürlichen Kontexten kennen. Sie sind nicht durch Festsetzungen einer

Gemeinschaft geregelt, sondern aus der Natur der Dinge erlernt.46

Lessing

unterscheidet in diesem Kontext natürlich von willkürlich erlernten Zeichen. Ein

willkürliches Zeichen sei die Sprache, da sie „durch einen konventionellen Code

festgelegt wurden, während natürliche Zeichen durch Naturgesetze gegeben

sind.“47

Schrift ist eine Sprache, deren Zeichen nicht natürlich erlernt sind. „Die

Sprache der Malerei ist […] scheinbar universell, international und muss nicht

43 Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis

eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin: Schmidt, S. 15. 44 Ströbel 2013, S. 77. 45 Ebd. 46 Beziehungsweise sind diese bedingt auch durch z.B. Symbolik von Bildern teilweise ebenso

durch Konventionen erlernt, jedoch nicht so stark wie es die Zeichen der Schrift sind. 47 Ströbel 2013, S. 78.

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erlernt werden.“48

Schrift ist von uns akzeptiert, wie sie festgesetzt wurde. Die

Zeichen der Schrift wurden willkürlich gewählt. Sie „[…] unterscheiden sich als

physikalisch und geometrisch genau zu beschreibende Teile eines Systems nur

durch die in komplizierten Konventionen gebildeten Beziehungen zu bestimmten

Begriffen von sinnfreien Linien.“49

Wir haben den Linien der Schrift erst einen

Sinn gegeben. Ohne Übereinkünfte innerhalb einer Gesellschaft würde Schrift

nicht lesbar sein und beim Betrachten bedeutungslos erscheinen. Bildende Kunst

bedient sich dementsprechend natürlicher Zeichen, während sich Literatur den

willkürlichen Zeichen der Schrift bedient.

Vom willkürlichen Charakter der Sprache haben die Ästhetiker des 18.

Jahrhunderts die Malerei deutlich abgesetzt und sie als natürliches Zeichensystem eingestuft: zwar sind die Bildzeichen nicht

naturgegeben, sondern von Menschen gefertigt und insofern künstlich;

aber die Verbindung zwischen ihnen und dem jeweils Bezeichneten ist (anders als bei Wörtern) nicht willkürlich gesetzt, sondern beruht auf

einer Ähnlichkeitsrelation, die ihrerseits als natur-bedingt aufgefaßt

wird.50

Lessing sei der Auffassung, dass die Malerei lediglich über natürliche Zeichen

verfüge und daher auch nur materielle Dinge darstellen könne, während Poesie

darüber hinaus Dinge darstellen könne.51

Hier wird sein Standpunkt deutlich, dass

die Literatur mit ihren willkürlichen Zeichen, der der bildenden Kunst in der

Darstellungsweise von Geschehnissen überlegen ist, da sie über die natürlichen

Zeichen hinaus, also nie Gesehenes, bezeichnen kann.

Lessing vergleicht die Laokoon-Gruppe mit den Werken von Homer, einem

antiken Poeten, der die Geschichte von Laokoon im Zusammenhang mit dem

Trojanischen Krieg niederschrieb. Lessing erklärt, dass der Poet über ein größeres

Repertoire verfügt: „Homer bearbeitet eine doppelte Gattung von Wesen und

Handlungen; sichtbare und unsichtbare. Diesen Unterschied kann die Mahlerey

nicht angeben: bey ihr ist alles sichtbar; und auf einerley Art sichtbar.“52

Poesie

würde die Handlungen, die nicht konkret beschrieben werden, also die unsichtbar

48 Ströbel 2013, S. 78. 49 Heinz Gappmayr (1974): Zur Ästhetik der visuellen Poesie. In: Thomas Kopfermann (Hrsg.):

Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie. Tübingen: Max Niemeyer, S. 61. 50 Giuliani 1996, S. 8. 51 Vgl. Ströbel 2013, S. 79. 52 Lessing 2012, S. 100.

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seien, dem menschlichen Vorstellungsvermögen überlassen.53

Poesie sei

dementsprechend anspruchsvoller als Malerei. Sie verlangt mehr Eigenleistung

von der_dem Rezipienten_in. Er beschreibt dies so: „Bey dem Dichter ist ein

Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall

hindurch.“54

Angedeutete Handlungen in einem Text würden demnach der_dem

Rezipienten_in die Möglichkeit bieten, sich diese vorzustellen. Abstraktionen,

reale wie auch imaginierte Gegenstände, seien in der Poesie möglich.55

Zusammenfassend lässt sich Lessings Modell wie folgt beschreiben:

Malerei nützt ihr Potential als beschreibendes Medium in der deskriptiven Malerei (Landschaft, Stillleben etc.), sie offenbart die

Grenzen ihrer Möglichkeiten in der narrativen Malerei

(Historienmalerei). Mit der Poesie hingegen verhält es sich genau entgegengesetzt: Sie nutzt ihre Möglichkeiten optimal aus, wenn sie

erzählt, also Handlungen darstellt und gerät an ihre Grenzen, wenn sie

versucht Körper zu beschreiben.56

Zu Lessings Unterscheidung von bildender Kunst und Poesie sollte immer

bedacht werden, dass er beide Künste seiner und der vergangenen Zeit als

Grundlage seines Modells nutzt. Lessings Laokoon ist nur nachzuvollziehen,

wenn die Kunst der lessingschen Zeit mit seinen Aussagen geprüft wird.

[B]ei Lessing verweist das künstlerische Zeichen ganz und gar auf das

Bezeichnete, bei den Modernen schiebt es sich selbst als Produkt eines artifiziellen Verfahrens in den Vordergrund.

57

Zeichen und Bezeichnetes waren zu Zeiten Lessings eng verknüpft. Ein Bild aus

der Frühen Neuzeit hatte dementsprechend einen anderen Anspruch als eines aus

nachfolgenden Kunstepochen. „Wenn man ein Bild von Jackson Pollock

betrachtet, wird man mit Lessings Prinzipien nicht sehr weit kommen.“58

Die

bildende Kunst diente im 18. Jahrhundert dem Zweck die natürliche Welt

möglichst realistisch darzustellen, während die Poesie Handlungen schilderte. Die

natürlichen Zeichen der Malerei haben in ihrer Eigenart einen größeren Bezug zur

Wirklichkeit. Die Malerei hätte diesbezüglich einen Vorteil gegenüber der

53 Vgl. Lessing 2012, S. 100. 54 Ebd., S. 54. 55 Vgl. Lessing 2012 (Nachwort), S. 453. 56 Ströbel 2013, S. 80. 57 Giuliani 1996, S. 7. 58 Ebd.

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Poesie.59

Zur heutigen Zeit ist die Trennung, wie sie Lessing vorschlug, daher

weniger nachvollziehbar. Denn die Bildende Kunst hat sich weiterentwickelt und

kann heute ebenfalls Handlungen und Zeit darstellen. Ebenso ist Literatur nicht

durchweg von zeitlichen Abfolgen geprägt. Rezipienten_innen lesen zwar die

Wörter hintereinander in einer Abfolge, würden es jedoch als Ganzes erfassen.60

„So ist weder die Rezeption eines Textes auf reine Sukzessivität, noch die

Rezeption eines Bildes auf reine Simultanität zu reduzieren.“61

Wir können

ebenso ein Bild in einer zeitlichen Abfolge betrachten, es also Zentimeter für

Zentimeter betrachten, als auch einen Text von überschaubarer Länge, in einem

Blick räumlich erfassen. Zudem habe die bildende Kunst beispielsweise schon

durch die Vasenmalerei in der Antike bewiesen, dass sie auch narrative

Möglichkeiten habe.62

Katrin Ströbel behauptet jedoch in Anlehnung an Luca

Giuliani, dass ein Text den Blick der Rezipienten_innen und damit auch die

zeitliche Dimension, medienimmanent steuert.63

Ströbel betont zudem, dass ein

weiterer Unterschied der beiden Künste darin läge, dass der Text im Gegensatz

zum Bild abgeschlossen in seiner Rezeption sei.64

Eine Unterscheidung, die

jedoch je nach Künstler_in und Werk der jeweiligen Kunstgattungen auch keine

allgemein gültige Unterscheidung ist und daher nur mit Einschränkungen zu

beachten ist.

Lessings Theorie stellt somit das Fundament von Überlegungen dar, wie beide

Künste der Visuellen Poesie mit ihren Zeichen Wirkungen erzielen, und wie diese

in der jeweils anderen Kunstgattung zu nutzen sind: „[E]s könnte eine erste

Antwort auf die Frage sein, warum die Künste zueinander drängen bzw. warum

das Interesse am Aneignen von Verfahrensweisen der anderen Kunst geweckt

wird.“65

Durch die Vermischung der Künste seien somit die jeweiligen Schwächen

zu kompensieren.66

Bedient sich ein Werk der bildenden Kunst der Zeichen der

Poesie so kann sie die zeitlichen Merkmale in sich aufnehmen; bedient sich ein

Werk der Poesie der bildenden Kunst kann sie die räumlichen Merkmale in sich

aufnehmen.

59 Vgl. Lessing 2012, S. 258. 60 Vgl. Ströbel 2013, S. 83. 61 Ebd. 62 Vgl. ebd., S. 84. 63 Vgl. ebd., S.83f. 64 Vgl. ebd., S. 84. 65 Ebd., S. 84. 66 Ebd., S. 85.

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Die Theorie von Horaz und Lessing stellen lediglich zwei Stellungsnahmen von

einer großen Breite an Schriften dar, die sich mit dem Verhältnis von bildender

Kunst und Poesie auseinandersetzten. Sie sind jedoch die maßgebendsten Texte,

die Jahrhunderte lang die Sicht von Künstler_innen auf die Literatur und die

bildende Kunst prägten. Sie sollen deshalb hier als Vorläufer langer Traditionen

betrachtet werden, auch wenn es durchaus Gegenpositionen und auch

Weiterentwicklungen dieser Theorien gab. Dass sowohl die Poesie als auch die

bildende Kunst über ein Zeichenrepertoire verfügt, darüber sind sich die nach

Lessing folgenden Theorien im Übrigen meist einig. Die Unterschiedlichkeit der

Zeichen wird jedoch verschiedenartig ausgelegt und kann als Vorteil der einen als

auch der anderen Kunst betrachtet werden.67

Anhand der Horaz-Tradition und der darauf folgenden Theorie von Lessing lassen

sich Parallelen mit der Kunstgeschichte ausfindig machen. Diese wurde durch

beide Theorien stark beeinflusst. Erst durch Lessing erfolgte eine strikte Trennung

der Künste, die erst im Laufe der Zeit wieder aufgebrochen werden konnte, wie

im Folgenden verdeutlicht werden soll.

1.2.Das Zusammenwirken von Schrift und Bild in der bildenden Kunst

Poesie oder bildende Kunst? - Im 20. Jahrhundert vermischen sich die Künste. In

die bildende Kunst kehrt die Schrift ein, während die Poesie zum Bild findet.68

Dies ist kein neuartiges Phänomen, wie es häufig beispielweise bei Wolfgang M.

Faust betont wird.69

Eva Maltrovsky hebt hervor, dass die Verbindung von

Sprache und Bild bereits in der Antike zu finden sei.70

Es gäbe bereits diverse

Formen solcher Verbindungen im Mittelalter und der Renaissance. 71

Eine theoretisch festgeschriebene Trennung sei erst im 18. Jahrhundert durch die

damalige bürgerliche Ästhetik aufgekommen.72

Lessings Laokoon zieht diese

Trennung der Gattungen nach sich. „Im 18. Jahrhundert legte man Wert auf die

67 Giuliani führt hier beispielsweise Jean-Baptiste Du Bos an, der in der Natürlichkeit der

bildnerischen Zeichen den Vorteil der Malerei hervorhebt. Lessing und Du Bos haben denselben

Ansatz die Künste zu unterscheiden, werten die Unterscheidung jedoch unterschiedlich aus. Siehe:

Giuliani 1996, S. 8f. 68 Vgl. Faust 1987, S. 7. 69 Vgl. ebd. 70 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 81. 71 Vgl. ebd., S. 63. 72 Vgl. ebd.

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Trennung der Gattungen, eine Vermischung sei Zeichen eines schlechten

Geschmacks.“73

Die bildende Kunst als auch die Literatur begannen sukzessiv die

Vorteile der jeweiligen anderen Kunst für sich zu nutzen. Hierfür musste sich

jedoch das Verständnis von Kunst und was ihr Anliegen sein kann vorerst ändern.

Das Mimesis-Prinzip wurde im Verlauf der Geschichte der Kunst beharrlich

hinterfragt und Künstler_innen wandten sich von diesem Prinzip zunehmend ab.

Weder im Impressionismus noch im Realismus konnte Schrift Bestandteil des

Bildes werden. Die Vertreter_innen dieser Kunstepochen hatten einen anderen

Anspruch, was die bildende Kunst leisten sollte.74

Ihre Vorstellung, was die

bildende Kunst darstellen kann und soll, ging mit der Integration von Schrift nicht

konform.

Der Umbruch, der mit dem Kubismus vollzogen wird, indem das

legitimierende System der Repräsentation durch Ähnlichkeit von

einem System der Referenz durch Zeichen ersetzt wird, trennt das Bild vom tradierten Modell natürlicher Wahrnehmungsbeziehungen.

75

Erst die Avantgarden nahmen Elemente von Kunstgattungen, wie der Poesie, in

ihre bildende Kunst mit auf.76

Sie „wenden sich seit dem Kubismus gegen einen

tradierten, gattungsbezogenen Kunstbegriff, sodass die Gattungsverwischungen

der Verbindung von Bild und Sprache eben diese Opposition dokumentieren.“77

Der neue Kunstbegriff lässt die Integration von Schrift ins Bild erst zu. Eine

Einbeziehung von Schrift von Künstler_innen der vorherigen Kunstepochen ist

kaum ausfindig zu machen. „Kubismus, Futurismus und Dadaismus setzten […]

neue Impulse nach einer völligen Trennung der Kunstgattungen.“78

Die

Künstler_innen experimentieren mit neuen Materialien, unter anderem mit der

Schrift, dem Medium einer anderen Kunstgattung: Der Poesie. Es finden sich

„[…] Wörter, Sätze, Texte in Bildern von Pablo Picasso und Georges Braque,

René Magritte, Andy Warhol und Cy Twombly.“79

Die ersten Kunstwerke, in denen Schrift Bestandteil des Bildes wurde, entstanden

in der Zeit des Kubismus. Pablo Picasso und Georges Braque seien Entdecker der

73 Maltrovsky 2004, S. 74. 74 Vgl. Faust 1987, S. 39. 75 Ebd., S. 42. 76 Vgl. Ebd., S. 32. 77 Maltrovsky 2004, S. 82. 78 Ebd., S. 9. 79 Faust 1987, S. 7.

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Exterritorialität, die ein Schriftzeichen in einem Bild darstellen könne.80

„Wie

zufällig und fast nebensächlich geschieht die Sprachintegration im Kubismus.“81

Man sieht dies am Beispiel von zahlreichen papier collés des Kubismus. Die

Kubisten_innen lehnten illusionierende Mittel ab und verfolgten dennoch das Ziel,

einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen.82

Schrift, die ohnehin keinen

dreidimensionalen Raum darstellt, bot sich dementsprechend an, Bestandteil von

kubistischen Werken zu werden. In Braques Stillleben mit Gitarre aus dem Jahre

1910/11 wurden zwei Silben eingefügt: JO und NAL.83

Die_Der Rezipient_in,

die_der dieses Bild betrachtet, fügt diese Wörter zu dem Wort JOURNAL

zusammen, sie_er würde so auf seine gedankliche Leistung aufmerksam gemacht

werden.84

Die, in den kubistischen Werken, verankerte Schrift stellt zudem einen

Bezug zur Realität dar.

Juan Gris sei der erste Künstler, der einen literarischen Text in ein Bild

einarbeitet.85

Es handelt sich um ein Gedicht, das Elemente anderer visueller

Körper des Bildes aufnimmt: „[…] Dinge sind doppelt im Bild: Als sprachliches

Symbol [und, Anm. IT] als sprachliches Zeichen.“86

Das Bild trägt den Titel

Stilleben mit Gedicht. Das Bild ist sowohl durch die Schrift als auch durch

Bildelemente strukturiert. Beide Elemente bezeichnen teilweise dasselbe, jedoch

sind auch Unterschiede zwischen Schrift und Bild ausfindig zu machen. „Er

macht die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen verbalem und visuellem

Bereich deutlich.“87

Die Abweichungen der Bild- und Schriftelemente werden

hiermit aufgezeigt. Ferner werden die Elemente, die die Schrift bezeichnet, jedoch

nicht als Bildelement zu finden sind, „zum immateriellen Bereich der

Stimmungen und Gefühle, die das Gedicht anspricht.“88

Die Aussage des

Gedichtes wird so mit der Visualisierung unterstützt. Dieses kubistische Werk

wurde zeitlich sehr viel früher als die bekannte Visuelle Poesie geschaffen.

Dennoch weist es bereits viele Elemente der Visuellen Poesie auf. „Wort und

80 Vgl. Franz Mon (1997): Wortschrift Bildschrift. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle

Poesie. München: Edition Text und Kritik, S. 7. 81 Faust 1987, S. 37. 82 Vgl. Faust 1987, S. 45. 83 Vgl. ebd., S. 49. 84 Vgl. ebd., S. 49f. 85 Vgl. ebd., S. 52. 86 Ebd., S. 52. 87 Ebd., S. 53. 88 Ebd.

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Bildzeichen werden zur visuell-verbalen Einheit.“89

Sie verbinden sich zu einem

gemeinsamen Zweck. „Im Gesamt des Kubismus ist der direkte Sprachbezug nur

Teilaspekt. Doch in ihm scheint die Radikalität des neuen Kunstbegriffs am

weitesten vorangetrieben.“90

Bezüglich des Kubismus lässt sich festhalten: „Zum einen wird auf die grafische

Qualität der Buchstaben hingewiesen, zum anderen auf die referentielle Funktion

des Sprachzeichens als Verweis auf Realität.“91

Die Schrift fügt sich in das

kubistische Bild. Sie wird Teil des visuellen Gesamten des Bildes und kontrastiert

sich dennoch von den anderen bildlichen Elementen durch ihren klaren Bezug zur

Realität und der Lesbarkeit ihres Zeichens. Die Schrift im Bild ist ein Umbruch in

der bildenden Kunst. Die bildende Kunst hinterfragt sich und ihre eigenen

Grenzen durch die Einbeziehung von Schrift ins Bild. Bildende Künstler_innen

als auch Literaten_innen der Zeit nach dem Kubismus nehmen die Denkweise der

Kubisten_innen auf und verfolgen diese weiter. Beispielsweise greifen die

Futuristen_innen Aspekte des Kubismus auf.

Die kubistische Änderung des Kunstbegriffs und die sich in ihr

andeutenden Aspekte der Gattungsüberschreitung […] nehmen die

Futuristen auf und modifizieren sie gemäß ihren künstlerischen und gesellschaftlichen Erneuerungsbestrebungen.

92

In Anlehnung an die technischen Fortschritte dieser Zeit sind Bewegung und Zeit

wichtige Bestandteile der futuristischen Kunst. Filippo Tommaso Marinetti

fordere eine Befreiung der Wörter, also eine Abschaffung grammatikalischer

Regelungen.93

Seine parole in libertá hatten weite Auswirkungen, beispielsweise

habe es Apollinaire hinsichtlich seiner Kalligramme beeinflusst.94

Der Verzicht

auf grammatische Regelungen und das freie Positionieren der Schrift im Bild

bietet dem Futurismus Möglichkeiten die Rezeptionsweise zu steuern. Die neue

Anordnung der Buchstaben sei als Provokation gedacht.95

Die sprachlichen

Uneingeschränktheiten der Schrift im Futurismus „sollen die durch dies alles

89 Faust 1987, S. 53. 90 Ebd., S. 58. 91 Ebd., S. 48. 92 Ebd., S. 85. 93 Vgl. Ebd., S. 96f. 94 Vgl. Ebd., S. 100. 95 Vgl. Peter Weiermair (1993): Zur Geschichte der visuellen Poesie. In: Eleonora Louis (Hrsg.) /

Toni Stooss (Hrsg.): Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20.

Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit bei Stuttgart : Edition Cantz, S. 186.

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angedeuteten Bewegungsrichtungen das Auge lenken und damit den Lese- bzw.

Betrachtungs-Vorgang steuern.“96

Das Bild lenkt durch die Schrift den Blick der

Betrachtung.

„Synthese und Simultaneität waren die zentralen Ideen, die hinter allen

Neuerungen standen.“97

Besonders der Aspekt der Synthese, den der Futurismus

verfolgte, bot die Integration von Schrift im Bild an.

Unter dem Gesichtspunkt der Synthese führte die Integration von

Sprache in Werke der bildenden Kunst zu einer Form der

Lingualisierung, in der das futuristische Bild zum »Text« wird.98

Durch das Einarbeiten von Schrift konnte das futuristische Bild, die Botschaft an

seine Rezipienten_innen klar vermitteln; eine Tatsache, die der Grundidee des

Futurismus entgegenkam. Das futuristische Bild habe nicht die Absicht eine

Nachbildung der Realität zu sein, sondern es soll die Idee hinter dem Bild deutlich

machen.99

Das Bild würde so zum „visuell-verbalen »Text« […].“100

Die Sprache

im Bild würde dementsprechend auf die Umgebung der selbigen verweisen.101

Der Dadaismus treibt das Zusammenspiel von bildender Kunst und Literatur

weiter voran. Er „beschleunigt die wechselseitige Durchdringung der Künste.“102

Die Dadaisten_innen verfolgten das Ziel, dem bürgerlichen Kunstbegriff

entgegenzuwirken.103

Eine Zuordnung der Lautgedichte des Dada zur bildenden

Kunst, darstellendes Spiel, Poesie oder gar Musik ist beispielsweise in vielen

dadaistischen Werken nicht möglich.

Bei den Surrealisten ist besonders René Magritte und dessen Umgang mit Schrift

und Bild hervorzuheben. „Durch den Einsatz von Schriftzügen erzielt er paradoxe

96 Reinhard Döhl: Poesie zum Ansehen, Bilder zum Lesen?: Notwendiger Vorbericht und Hinweise

zum Problem der Mischformen im 20. Jahrhundert. In: Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und

bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes.

Berlin : Schmidt, 1992, S. 163. 97 Faust 1987, S. 102. 98 Ebd. 99 Vgl. ebd., S. 92. 100 Ebd., S. 111. 101 Vgl. ebd. 102 Ebd., S. 161. 103 Vgl. ebd., S. 162.

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Bildlösungen […].“104

Bei Magritte ist diese Paradoxie häufig mit den Titeln und

Beschriftungen seiner Bilder verbunden.

Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgt mit der abstrakten Kunst ein Bruch zur

bisherigen Kunsttradition des Abbildens der Wirklichkeit. „Aus dem Mißtrauen

gegen das Bild als Ikon, das die Umbruchsformulierungen der bildenden Kunst

des zweiten Jahrhunderts bestimmt, entsteht das abstrakte Werk.“105

Die abstrakte

Kunst, verzichte auf einen Wirklichkeitsbezug und somit auch auf die Einbindung

von Sprache in ihren Werken.106

Jedoch sei sie in der abstrakten Kunst „als

reflektierte Begründung an die Seite gestellt.“107

Dies sei in Werken von Wassily

Kandinsky und Piet Mondrian zu beobachten.108

„Dringt Sprache im Kubismus und Futurismus ins Bild, stellt sich Sprache in der

abstrakten Kunst neben das Werk, so findet Duchamp zur Sprache anstelle des

Kunstwerks oder als Kunstwerk.“109

Marcel Duchamp würde das Ready-made-

Konzept als verbales Konzept anstelle des Kunstwerks setzen, da der Kauf eines

Gegenstandes durch die Benennung zum Kunstwerk zum Kunstwerk werden

würde.110

Aus kunstgeschichtlicher Sicht lässt sich dementsprechend zusammenfassend

festhalten: „Die bildende Kunst findet zur Sprache im oder neben dem Kunstwerk

und in der äußersten Konsequenz zur Sprache anstelle des Kunstwerks oder als

Kunstwerk.“111

Das Einbeziehen von Sprache in die bildende Kunst wurde somit

bis an die Grenzen der Künste ausgetestet. Die Gattungsgrenzen von bildender

Kunst und Poesie wurden demzufolge bereits in der Antike diskutiert und im

Verlauf der Kunstgeschichte permanent in neuen, andersartigen Bezügen

miteinander kombiniert. Die Vermischung der Künste ist seit dem 18. Jahrhundert

hin zu einer vollkommenen Vermischung der Künste forciert worden.

Fragwürdig bleibt daher, ob eine klare Einteilung zur einen oder anderen

Kunstgattung im 21. Jahrhundert nicht längst unerheblich ist. Denn Mischformen

104 Carolin Meister (2007): Die Ausweitung der Kompetenzzone. Gegen die mediale Begründung

disziplinärer Grenzen. In: Dirck Linck (Hrsg.) / Stefanie Rentsch (Hrsg.): Bildtext – Textbild.

Probleme der Rede über Text-Bild-Hybride. Freiburg im Breisgau u.a.: Rombach, S. 188. 105 Faust 1987, S. 134. 106 Vgl. ebd., S. 113. 107 Ebd. 108 Vgl. ebd., S. 119ff. 109 Ebd., S. 135. 110 Vgl. ebd., S. 152 f. 111 Ebd., S. 191f.

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der Gattungen bildende Kunst und Literatur sind längst nicht mehr Einzelfälle.

„Grenzüberschreitungen zwischen den verschiedenen Kunstgattungen sind im 20.

Jahrhundert reichlich vorhanden, ab den 90er Jahren eher die Regel als die

Ausnahme.“112

Visuelle Poesie entstand aus der Reflexion der beiden Künste und

deren Nutzbarkeit für die jeweils andere Kunst. Kubisten_innen, Dadaisten_innen

und nachfolgende bildende Künstler_innen, aber auch Poeten_innen brachten die

Grenzüberschreitung soweit, dass eine eigene Kunstgattung, die Visuelle Poesie,

entstand, welche sich genau in dem Dazwischen der beiden Künste bewegt und

die tradierte Trennung der beiden Künste vollkommen loslöst.

2. Visuelle Poesie

Die Trennung von Moderner Poesie und Visueller Poesie erscheint simpel:

Visuelle Poesie bezieht auch das Visuelle von Poesie mit ein. Visualität ist jedoch

auch ein Merkmal von moderner Lyrik, weshalb eine Trennung nach diesem

Kriterium nicht angemessen ist.

Nicht nur der Zeilenumbruch entsprechend der Verslänge, sondern

auch der großzügige Umgang mit unbeschriebener Blattfläche gehört

zu den unübersehbaren Merkmalen modernder Lyrik. Schon dies nährt die Vermutung, in der Poesie nicht nur ein diskursives, sondern auch

ein visuelles Ereignis zu sehen.113

Lyrik hat per se dementsprechend immer einen visuellen Charakter.114

Zeilenumbrüche und Verslänge stehen in der modernen Poesie jedoch nicht mit

dem in der Schrift beschriebenen Gegenstand im Zusammenhang.115

Die

Einteilung in Verse ist historisch gewachsen und hat keinen Bezug zur

Gesellschaft.116

Bezeichnendes und Bezeichnetes sind in der modernen Poesie

voneinander getrennt zu betrachten. Das heißt die Visualität des Textes eines

modernen, poetischen Werks steht nicht in Verbindung mit dem Bezeichneten des

Gedichts. Hier liegt die Besonderheit der Visuellen Poesie: Bezeichnetes und

112 Maltrovsky 2004, S. 59. 113 Seraina Plotke (2009): Gereimte Bilder. Visuelle Poesie im 17. Jahrhundert. München: Wilhelm

Fink, S. 11. 114 Sowie Schrift, und das durch sie entstehende Schriftbild, ohnehin immer eine visuelle Ebene in

sich birgt. Die Schriftart, das Format und vieles mehr beeinflussen die_den Rezipienten_in beim

Lesen von Texten. 115 Vgl. Plotke 2009, S. 11. 116 Vgl. Eugen Gomringer (Hrsg.) (1972): konkrete poesie. Stuttgart: reclam, S. 154.

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Bezeichnendes können sich vermischen, sich gegenseitig ergänzen und

beeinflussen. „In der visuellen Poesie erscheint das Schöne in den

Differenzierungen der transzendentalen Einheit von Zeichen und Begriff.“117

Das

Besondere der Visuellen Poesie liegt in der Differenz, die Bild und Schrift trennt

und in den Gemeinsamkeiten, die sie verbindet.

Es ist

[…] das wahrnehmen der grafischen qualität der sprachzeichen, ihre

ordnung auf einer vorgegebenen fläche und das spiel mit der spannung zwischen dem bezeichnenden (der figur des sprachzeichens) und dem

bezeichneten (seiner einzelnen oder durch kombination verschiedener

zeichen entstehenden bedeutung)[,]118

welches die Visuelle Poesie für die_den Betrachter_in so interessant macht.119

Die Zeichen und das, was mit diesen Zeichen verbunden wird, werden von der

Visuellen Poesie thematisiert und genutzt.

Seraina Plotke betont, wie es bereits Lessing tat, dass es wichtig sei, die Art der

Zeichen zu unterscheiden.120

Die Visuelle Poesie bedient sich zwei Arten von

Zeichen. Plotke unterscheidet hier die ikonischen von den symbolischen

Zeichen.121

Die ikonischen Zeichen lassen sich mit dem von Lessing als natürlich

bezeichneten Zeichen gleichsetzen. Die ikonischen Zeichen sind in der bildenden

Kunst dann vertreten, wenn sie etwas darstellen, das mit einem Gegenstand der

Wirklichkeit von der_dem Rezipient_in verbunden werden kann. Die Malerei zu

Zeiten Lessings hat sich auf diese ikonischen Zeichen der Malerei beschränkt. Die

Abkehr von den ikonischen Zeichen in der bildenden Kunst erfolgte erst später

mit der abstrakten Malerei. Symbolische Zeichen sind vergleichbar mit den von

Lessing bezeichneten willkürlichen Zeichen. Es sind die Zeichen der Schrift, die

keine Ähnlichkeiten zum Bezeichneten aufweisen würden.122

117 Gappmayr 1974, S. 64. 118 Klaus Peter Dencker (1996): ein wort zur visuellen poesie. In: Eugen Gomringer (Hrsg.):

visuelle poesie. Stuttgart: reclam, S. 149. 119 Die Anthologien von Gomringer sind mit Texten versehen, die sich ausnahmslos der

Kleinschrift bedienen. 120 Vgl. Plotke 2009, S. 34ff. 121 Bei dieser Unterscheidung bezieht sie sich auf die Theorien von Thomas A. Sebok und

Umberto Eco. 122 Vgl. Plotke 2009, S. 36f.

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Ikone zeichnen sich gegenüber Symbolen […] insofern aus, als der

Rezipient oder die Rezipientin bei Ersteren eine Ähnlichkeit zum

denotierten Gegenstand wahrnimmt, bei Letzteren die Beziehung zum

Denotat hingegen als weitgehend arbiträr respektive offensichtlich durch Konvention gesetzt erscheint.

123

Bezeichnendes und Bezeichnetes liegen bei ikonischen Zeichen eng beieinander.

„Bilder sind wirklichkeitsnah. Sie orientieren sich an der wahrnehmbaren

Realität.“124

Schrift tut dies nicht. Die Optik ist uneins mit dem, was das Zeichen

darstellt. Bei den symbolischen Zeichen hingegen herrscht eine Differenz, die

durch Konventionen aufgehoben wird und uns durch diese Aufhebung kaum

bewusst ist. „Bilder bieten schnell konsumierbares Wissen, bequeme

Informationen.“125

Schrift hingegen muss erst dechiffriert werden. Grund hierfür

ist die schnelle Lesbarkeit, die den natürlichen Zeichen innewohnt und die

verzögerte Lesbarkeit, die willkürlichen Zeichen anhaftet. „Bilder bieten pro

Zeiteinheit viel mehr Information, als Sprache das je könnte.“126

Dennoch ist das

Bild ebenso wie die Schrift nur ein Zeichen für etwas. „Der gemalte Gegenstand

ist, wie das Wort oder der Text, nicht mit dem Gegenstand identisch.“127

Dies ist

die Gemeinsamkeit beider Zeichen. Beide Zeichen vermitteln eine Botschaft, die

jedoch außerhalb des Bildes verweisen.

Die „[…] Differenziertheit zwischen Zeichen und Begriff ist in der visuellen

Dichtung nicht etwas Vermittelndes, sondern eine poetische Qualität.“128

Sie nutzt

die Art der Zeichen, indem sie sie zu einem Ganzen verbindet. Sie kann die

Vorteile beider Medien nutzen. Die jeweils für das eine Medium spezifischen

Eigenschaften würden so das andere Medium ergänzen.129

Unsere Sprache bestimme, wie wir die Wirklichkeit erfahren würden.130

Wir

konstruieren uns aus der Sprache eine Vorstellung. Diese Vorstellung muss mit der

einer anderen Person nicht konform gehen. „Der Begriff [von etwas, Anm. IT] ist

123 Plotke 2009, S. 37. 124 Erich Straßner (2002): Text-Bild-Kommunikation Bild-Text-Kommunikation. Tübingen: Max

Niemeyer, S. 13. 125 Straßner 2002, S. 13. 126 Ebd., S. 14. 127 Barbara Wichelhaus (2006): Kunst und Sprache – Bilder im Kunstunterricht. In: Johannes

Kirschenmann u.a. (Hrsg.): Kunstpädagogik im Projekt der allgemeinen Bildung. München:

kopaed, S. 76. 128 Gappmayr 1974, S. 61. 129 Vgl. Straßner 2002, S. 19. 130 Vgl. Wolf Haas (1990): Sprachtheoretische Grundlagen der Konkreten Poesie. Stuttgart: Hans-

Dieter Heinz, S. 3.

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etwas Ideenhaftes, Allgemeines, der Gegenstand etwas Einzelnes und

Einmaliges.“131

Ein Wort hat zwar eine Bedeutung, jedoch hat jeder eine andere

Vorstellung zu diesem Wort. Zudem gibt es Wörter, die nicht an konkrete

Gegenstände oder an konkrete Vorstellungen gebunden sind. Das Bezeichnende

der Schrift ist daher nicht universell lesbar. Die Visuelle Poesie betont die

Differenz und spielt mit den Möglichkeiten die eine individuelle Auslegung des

Bezeichnenden ermöglicht.

Der Text habe zudem in der Visuellen Poesie die Möglichkeit im

zweidimensionalen Raum gestisch darzustellen.132

„expansion, schachtelung, reihung, stauung, fallenlassen und viele

andere, oft nicht mehr beschreibbare gestische bewegungen vermögen sich in der flächigen textordnung niederzuschlagen […].“

133

Die Möglichkeit Bewegung und somit Handlung mittels des Signifikanten und

nicht des Signifikats darzustellen wird somit möglich. Bei konventionellen

Texten, die von links nach rechts horizontal geschrieben sind, ist diese gestische

Form nicht möglich, sie muss durch das Bezeichnete der Zeichen erfolgen. Somit

nutzt die Visuelle Poesie sowohl die willkürlichen als auch die natürlichen

Zeichen und überdies die Bildfläche für ihre Zwecke.

2.1.Hintergründe der Visuellen Poesie

Die Visuelle Poesie, die bewusst Sprachmaterial als Gestaltungsmittel für die

Bildfläche wählt, ist eine Weiterentwicklung der Avantgarden. Eine Vielzahl von

Werken der Visuellen Poesie entstand in den sechziger Jahren.134 Im Unterschied

zu den Vorläufern des Kubismus, Futurismus und Dadaismus haben die Werke,

die nach 1945 entstanden sind, einen Fokus auf die eigene Materie und somit

einen stark reflektierenden Charakter. Sie ist eine Kunstform, die kritisch und

selbstironisch mit ihren eigenen Mitteln ins Urteil geht.

131 Gappmayr 1974, S. 62. 132 Vgl. Mon 1972, S. 169f. 133 Ebd., S. 169. 134 Vgl. Mon 1997, S. 11.

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Die Konkrete Poesie erhielt ihre Bezeichnung zu Beginn der fünfziger

Jahre. Sie ist eine inzwischen abgeschlossene internationale nicht-

mimetische Sprachkunstform, die von den materialen Eigenschaften

der Sprache ausgeht: von der verbalen, vokalen und visuellen Materialität des Wortes.

135

Die Vermischung von beiden Künsten ist wie bereits skizziert kein neuartiges

Phänomen. Figurengedichte waren bereits in der Antike eine Kunst, die

Schriftbild und Text zu einer Einheit formte. Es gab seit dieser Zeit, immer wieder

Schriftwerke, die sich der_dem Betrachter_in auf einem Blick als lesbar zeigten

„und insofern in ihrer Rezeptionsästhetik dem Betrachten eines Bildes

vergleichbar sind.“136

Die Formen der heutigen Visuellen Poesie unterscheiden

sich jedoch von denen der früheren in ihrer Funktionsweise und in ihrer

Komplexität. Dennoch betont Klaus Peter Dencker:

Beobachtet man […] die allmähliche Aufweichung des strengen

Figurengedicht-Typs der Antike oder des Barocks zum freien Textbild

der Gegenwart, so wird erst deutlich, daß jeder sich von herkömmlicher ´Dichtung ́ noch so weit entfernte Versuch trotzdem

gebunden bleibt als Elemente und Formen von Buchstaben auf der

einen und an die Semantik von Wörtern auf der anderen Seite […]137

Nach Dencker seien die früheren Formen mit den heutigen Formen der Visuellen

Poesie dementsprechend überwiegend identisch. „[…] Ausdrucks- und

Ansprachemöglichkeiten durch visuelle (und visualisierte akustische) Hilfsmittel

mit ihren zusätzlichen Reizen, Signalen und Auskünften […]“138

würden jedoch in

der Visuellen Poesie der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zusätzlich genutzt

werden. Wo der Ursprung des neu entdeckten Interesses von Schrift als Material

in den 50er-Jahren begründet liegt, wird durch einen Rückblick auf die

gesellschaftlichen und politischen Umstände der Zeit deutlich. Hier liegen die

Anfänge der modernen Visuellen Poesie.

Franz Mon erklärt, dass, seit sich Schrift durch die Industrialisierung der

Printmedien zunehmend durch unsere Lebenswelt zieht, sie auch ein wachsendes

135 Klaus Peter Dencker (1997): Von der Konkreten zur Visuellen Poesie – mit einem Blick in die

elektronische Zukunft. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle Poesie. München: Edition Text

und Kritik, S. 173. 136 Plotke 2009, S. 12. 137 Klaus Peter Dencker (1972): Text-Bilder. Visuelle Poesie international. Von der Antike bis zur

Gegenwart. Köln: DuMont, S. 7. 138 Ebd.

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Interesse für Künstler_innen darstelle.139

Der technische Fortschritt der Medien

zog ein Umdenken in der Kunst nach sich. Die neuen Medien seien Katalysatoren

für die Vermischung der Medien der bildenden Kunst und Literatur, da sie selbst

meist eine Mischform von Schrift und Bild darstellen würden.140

Die Visuelle

Poesie ist somit Abbild der Medienwelt, wie sie gegenwärtig ist.

Die Visuelle Poesie stellt für viele Betrachter_innen eine Spielerei mit der Schrift

dar. Dies hat sie vermutlich ihren bekanntesten und häufig witzigen oder ironisch

wirkenden Werken zu verdanken. Olaf Kutzmutz betont jedoch, dass die

Entstehung der Visuellen Poesie einen gesellschaftlichen und politischen

Beweggrund hat,

denn vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der

avantgardistischen Kunst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stellt sich das scheinbar vornehmlich Spielerische experimenteller Literatur

als ihr sprachpraktisches Vermögen dar.141

Sprache sei in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein machtpolitisches Instrument

gewesen.142

Da sich die Künstler_innen dieser Instrumentalisierung von Sprache

und deren negativen Folgen bewusst waren, würden sie eine instrumentelle

Nutzung der Sprache ablehnen.143

„Das Sprachmaterial selbst steht deswegen bei

den Experimenten der Wiener Gruppe, bei Ernst Jandl, Eugen Gomringer oder

Franz Mon im Vordergrund.“144

Wie bereits die Dadaisten_innen die Sprache als

Machtinstrument erkannt und hinterfragt haben, so erkennen auch die Visuellen

Poeten_innen die Einflussnahme, die die Verwendung von Sprache als

Kommunikationsmittel mit sich bringt. Die Visuelle Poesie möchte mittels

Experimenten mit dem Medium Schrift dem Ausnutzen von Sprache als

Machtinstrument, wie es zu Zeiten des Dritten Reichs geschah, entgegenarbeiten.

Sie ist eine „[…] Kritik an der ideologischen Vereinnahmung und dem daraus

139 Vgl. Mon 1997, S. 5ff. / Dencker stützt diese These. Siehe: Dencker 1997, S. 169. 140 Alltägliche Beispiele wie Emoticons, die per Mobiltelefonnachrichten versendet werden, um

die Schrift zu unterstützen haben Einzug in unseren Alltag. 141 Olaf Kutzmutz (1997): Kritik und Hermetik. Zu Franz Mons visuellen Arbeiten seit den

achtziger Jahren. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Visuelle Poesie. München: Edition Text und

Kritik, S. 33. 142 Vgl. Kutzmutz 1997, S. 33. 143 Vgl. ebd., S. 34. 144 Ebd.

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resultierenden Mißbrauch von Sprache.“145

Eine bewusste Auseinandersetzung

mit Schrift und deren Wirkungsweise ist dementsprechend ein Ziel der Visuellen

Poesie. Dabei sollen Kontexte der Schrift miteinbezogen werden. Der Umgang

mit Medien erfordert Reflexion, um mit ihnen verantwortungsvoll umzugehen.

Hierfür müssen die Medien und deren Wirkungen transparent gemacht werden.

2.2.Begriffsbildung der Visuellen Poesie

Die Konkrete Poesie kann von der Visuellen Poesie abgegrenzt werden. Ihr liegen

sprachtheoretische Ursprünge zugrunde. Die Visuelle Poesie ist hingegen weniger

eng mit Theorien zur Sprache verbunden. Beiden Kunstformen ist das Visuelle der

Schrift gemeinsam, die sie nutzen. Die Konkrete Poesie sei nach Dencker dadurch

von der Visuellen Poesie zu unterscheiden, da sie nicht das Ziel habe ein Bild

darzustellen, sondern eine Konstellation, die unvermeidlich auch eine Bildfläche

beanspruche.146

„[D]ie visuelle Komponente in der Konkreten Poesie ergibt sich

schon zwangsläufig aus der dieser Poesie eigenen Organisation von Text- und

Buchstabenmaterial.“147

Die Konkrete Poesie ist eng verbunden mit der Idee der Konkreten Kunst.148

„ein

inhalt ist […] nur dann interessant für den konkreten dichter, wenn sich seine

geistige und materielle struktur als interessant erweist und sprachlich bearbeitet

werden kann.“149

Dementsprechend beschränkt sich die Konkrete Poesie auf ihr

Material: Der Schrift. Nach Denckers Definition ist die Konkrete Poesie eine Art

Vorläufer der Visuellen Poesie beziehungsweise die Visuelle Poesie ist eine

Weiterentwicklung der Konkreten Poesie.150

„Hat die Konkrete Poesie das

Sprachbewußtsein geschärft, so versucht die Visuelle Poesie […] ein

Sprachkontextbewußtsein […] zu entwickeln.“151

Die Visuelle Poesie beschränke

sich hierbei nicht so stark auf das Textmaterial wie die Konkrete Poesie dies

145 Ulrich Ernst (1991): Konkrete Poesie. Innovation und Tradition. Wuppertal: Bergische

Universität – Gesamthochschule Wuppertal, S. 8. 146 Vgl. Dencker 1997, S. 175. 147 Ebd. 148 Vgl. Maltrovsky 2004, S.101f. 149 Gomringer 1972, S. 159. 150 In dieser Arbeit sollen wie in der Einleitung vorangestellt Konkrete und Visuelle Poesie unter

einem Begriff gefasst werden und werden daher begrifflich im Folgenden nicht weiter voneinander

getrennt. Da jedoch die geschichtliche Entstehung und Entwicklung mit der Unterscheidung der

beiden Poesieformen verknüpft ist, ist die Unterscheidung der Begriffe an dieser Stelle notwendig. 151 Dencker 1997, S. 176.

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macht.152

Dencker betont, dass es sich bei der Visuellen Poesie, um einen

komplexeren Umgang mit Schrift handelt, da die Visuelle Poesie mehrere Ebenen

hat, denn sie nähme auch bildnerische Elemente in sich auf.153

Die Konkrete

Poesie verweist auf das Wort als Träger eines Zeichens, Visuelle Poesie hingegen

verortet es in einem Kontext. Dencker versteht die Visuelle Poesie als auf die

Kontexte von Sprache ausgerichtet.154

Dies war im Jahr 1997. Im Jahr 1972

bezeichnete er die Visuelle Poesie noch als „das figurale Gestalten mit oder durch

einen Text […].“155

Eine sehr viel allgemeinere Definition, die nicht, wie im

Nachhinein, die Konkrete Poesie beiseitelässt. Hier wird deutlich, dass die

Künstler_innen der Visuellen Poesie selbst Schwierigkeiten in der Differenzierung

der beiden Formen aufweisen und ihre Kategorisierungen sich mit der Kunstform

an sich weiterentwickelt haben.

Zuordnungen der Werke zur Konkreten und Visuellen Poesie gestalten sich

dementsprechend schwierig, da die Übergänge fließend sind. „Die Anzahl

verschiedener Typisierungen von Visueller Poesie sind nahezu unüberschaubar.

Die Konkrete Poesie wird nahezu in jeder Stellungnahme, als diejenige Poesie

bezeichnet, die die Schrift fokussiert, während die Visuelle Poesie diese in jedem

Fall mit einbezieht, sie jedoch nicht das Zentrum ihrer Arbeit ist. Gomringer fasst

es knapp wie folgt zusammen: „während die konkrete posie die anschauung im

wort, d.h. begrifflich, konzentriert, geht die visuelle poesie umgekehrt vor: sie

macht begriffliches anschaulich. visuelle poesie illustriert.“156

Sie betrachtet nicht

lediglich die Schrift als Material, sondern sie wird in vielfältigeren Formen

eingesetzt. „das heißt, visuelle poesie erweitert sozusagen das sich in der

konkreten poesie anbietende bild der schrift […].“157

Sie begrenzen sich nicht auf

die Schrift, sondern beziehen weitere Elemente ein. „daraus ergibt sich auch, daß

die visuelle poesie sich vielschichtiger präsentiert, auf mehreren ebenen erzählen

kann.“158

Sie bezieht weitere Elemente ein und lässt den Grundgedanken der

Konkreten Poesie dennoch nicht außer Acht. Sie betont die grafische Qualität, die

der Schrift innewohnt. Sie geht somit „[…] einen erheblichen schritt weiter über

152 Vgl. Klaus Peter Dencker (2011): Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis

zu den digitalen Experimenten der Gegenwart. Berlin: De Gruyter, S. 3. 153 Vgl. Dencker 2011, S. 3 154 Vgl. Dencker 1997, S. 175f. 155 Dencker 1972, S. 8. 156 Gomringer 1996, S. 10. 157 Ebd., S. 9. 158 Ebd., S. 149.

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die enge gattungsgrenze der literatur hinaus in den intermedialen bereich

zwischen literatur und bildender kunst, als dies die konkrete poesie tat.“159

Viele Werke zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie sowohl der Konkreten

Poesie als auch der Visuellen Poesie in verschiedener Literatur zugeordnet

werden. Sie sind je nachdem wie die Definition der Verfasser_innen der Werke

lautet, unterschiedlich zugordnet. Viele Künstler_innen haben zudem sowohl

Werke, die deutlich der Konkreten Poesie zuzuordnen sind, geschaffen und haben

überdies auch Werke, die zweifelsohne der Kategorie der Visuellen Poesie

zuzuzählen sind, angefertigt. Wie bereits in der Einleitung erläutert, wird daher

keine Unterscheidung der beiden Kunstrichtungen im Folgenden unternommen,

denn dass die visuelle Besonderheit der Schrift in beiden Kunstformen

vordergründig ist, ist mit dem Leitgedanken beider Formen einhergehend. Nach

Dencker ist diese Arbeit dementsprechend aus der Perspektive der_des

Betrachter_in gedacht: „Aus der Sicht des Betrachters konnten alle

Anordnungsformen des Textmaterials, die nicht den traditionellen Satzspiegel

entsprachen, als Visuelle Poesie bezeichnet werden.“160

2.3.Formen Visueller Poesie

Es gibt verschiedene Erscheinungsformen der Visuellen Poesie. Schrift und Bild

können sich in verschiedensten Weisen auf der Bildfläche zusammenfügen. Die

wichtigsten und für den Grundschulunterricht relevantesten Formen der Visuellen

Poesie werden im Folgenden erläutert.

Figurengedichte sind die wahrscheinlich bekannteste Form von Visueller Poesie.

Besonders im Barock war es eine häufig vorzufindende Form der Poesie.

Die Bildebene der barocken Figurengedichte konstituiert weder ein

Gemälde noch ein komplexes Bild, sondern ist in der Regel dadurch

gekennzeichnet, dass über die Anordnung der Wörter auf der Blattfläche die Konturen eines Gegenstandes in der Art eines

Schattenrisses wiedergegeben sind.161

159 Gomringer 1996, S. 150. 160 Dencker 2011, S. 10. 161 Plotke 2009, S. 35.

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Nach dem vielfachen Aufkommen zu Zeiten des Barocks wurde das

Figurengedicht besonders im 19. und 20. Jahrhundert wieder als Möglichkeit der

Bildgestaltung entdeckt und ist bis heute Teil der Visuellen Poesie.162

In der

Poesie ist die Einbeziehung der Form ein alt tradiertes Phänomen.

Figurengedichte sind eine sehr frühe Erscheinung. Sowohl in der Antike, im

Mittelalter als auch in der Frühen Neuzeit sind sie zu finden.163

Zudem können sie

„in fast allen Kulturen nachgewiesen werden.“164

Im 17. Jahrhundert wurden

Figurengedichte seltener.165

Dencker merkt an, dass, im Bereich der Figurengedichte in der Visuellen Poesie,

auch Verflachungen der Kunst zu finden seien.166

Auch der Apfel mit Wurm167

von

Reinhard Döhl, das wohl bekannteste Figurengedicht aus dem Jahr 1965 sei laut

Dencker ein Werk, das an einer Verflachung von Figurengedichten grenze.168

Es

zeichnet sich durch die Form eines Apfels aus, dessen Schattenumriss sich durch

die Wiederholung des typografisch Schriftzugs Apfel bildet. Der Witz in diesem

Werk liegt in der Ersetzung eines Schriftzugs Apfel mit dem Schriftzug Wurm.

Nach Dencker sei es wichtig bei Figurengedichten, dass „das Verhältnis zwischen

Begriff und optischer Präsentation des begriffsrepräsentierenden Zeichens […] ein

dialektisches sein […]“169

solle. Sonst verflacht das Figurengedicht indem es

lediglich optisch um eine Ebene ergänzt als der konventionelle Textaufbau ist. Ein

Figurengedicht, das lediglich durch seinen Schattenumriss das Bezeichnete durch

das Bezeichnende darstellt „wirkt durch seine Ähnlichkeit, nicht aber durch seine

Idee.“170

Die Idee der Visuellen Poesie strebt jedoch mehr an. Text- und

Bildelemente sollen neue Formen der Rezeption anbieten.

Guillaume Apollinaire gilt als bekanntester Künstler von Figurengedichten. Er ist

besonders für seine Figurengedichte aus den Jahren 1913 bis 1916 bekannt.171

Apollinaire „leitete die typographische Revolution des 20. Jhdts. ein.“172

Es

handelt sich um Figurengedichte, die sich frei von den Lesegewohnheiten der

162 Vgl. Dencker 2011, S. 608. 163 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 64ff. 164 Ebd., S. 65. 165 Vgl. ebd., S. 73. 166 Vgl. Dencker 2011, S. 616. 167 Siehe Abbildung 1. 168 Vgl. Dencker 2011, S. 616. 169 Ebd., S. 619. 170 Ebd. 171 Vgl. Maltrovsky 2004, S. 78. 172 Ebd.

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Rezipienten_innen machen. Apollinaire widersetzt sich der horizontalen

Schreibweise und beginnt mit Schrift und im Schriftbild zu zeichnen. Das

Schriftbild stellt hierbei einen Gegenstand dar. Diese Textbilder von Apollinaire

stellen Wegbereiter dar,

dem die Experimente der Futuristen und Dadaisten folgen, fortgeführt, erweitert und zu ganz eigenständigen Formen gebracht [werden, Anm.

IT] durch die Künstler der Konkreten und Visuellen Poesie in der

zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.173

Poeten_innen wie Stéphane Mallarmé beginnen Ende des 19. Jahrhunderts die

Poesie und deren Visualität in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Mallarmé

bezieht „grafische Prinzipien in die Literatur mit ein. Der Text nähert sich dem

Bild, er erfährt Ikonisierung, die mit seinen inhaltlichen Momenten

korrespondiert.“174

Besonders sein Werk Un Coup de Dés gilt als „[…]

Wegbereiter für eine neue Gattung der Sprache-Bild-Texte.“175

Es erinnert sehr an

die Visuelle Poesie des 20. Jahrhunderts, da es die Visualität des Textes betont. Es

gab einen Umschwung innerhalb der Poesie, da dieses Werk „erstmals konsequent

einen Bewegungs- und Gedankenprozeß des Textes durch moderne Methoden der

Typographie transparent machte […].“176

In Un Coup de Dés ahmt der Text keine

Form nach, wie es die Figurengedichte taten. Die Schrift verweist auf sich selbst.

„Das Auftauchen von Wörtern und Wortgruppen aus dem Weiß der Seiten versteht

Mallarmé als Auftauchen der Wörter aus dem Schweigen.“177

Die Grenze zur

bildenden Kunst wird so aufgebrochen. Das Visuelle kehrt in die Poesie.178

Dabei

geht er einen Schritt weiter als die bekannten Figurengedichte und widersetzt sich

den festgelegten äußeren Umrissen der bisher bekannten Figurengedichte.179

„Als

erster verwendet Mallarmé freie Verse und schuf eine offene Form.“180

Mallarmé

weicht von den bisher bekannten Figurengedichten ab und führt sie weiter. Ihre

173 Dencker 1997, S. 173. 174 Faust 1987, S. 68. 175 Maltrovsky 2004, S. 77. 176 Ulrich Ernst (1992): Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittelalter und Neuzeit.

In: Ulrich Weisstein (Hrsg.): Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis

eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin: Schmidt, S. 146. 177 Faust 1987, S. 68. 178 An dieser Stelle sei jedoch darauf verwiesen, dass Poesie immer auch eine Visualität durch

Strophen und Verse besitzt. 179 Vgl. Jeremy Adler / Ulrich Ernst (1987): Text als Figur : visuelle Poesie von der Antike bis zur

Moderne. Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek vom 1. September 1987 - 17.

April 1988. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek, S. 233. 180 Ebd.

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Machart erinnert bereits sehr an die Werke der Visuellen Poesie im 20.

Jahrhundert. Diese Werke von Mallarmé nennt Denker Satzspiegel.

Die Konstellation würde durch den Einbezug von Raum

Assoziationsmöglichkeiten schaffen und nicht zwingend ein geschlossenes

Gebilde darstellen.181

Die Elemente im Bild einer Konstellation beziehen sich

aufeinander und wirken aufeinander ein. Der Raum und die Positionierung der

Buchstaben sind von Belang. Bei einer Konstellation sei es nicht möglich den

optischen Text in einen akustischen Text zu übersetzen wie es bei Texten mit

konventioneller Zeichenanordnung der Fall sei.182

„In der Konstellation kommt es

zu einem Spannungsverhältnis zwischen graphischer und begrifflicher Dimension,

so daß beide Dimensionen sich ergänzen oder die optische Form einen

bestimmten Aspekt des Begriffes fixiert.“183

Besonders Eugen Gomringer ist für

seine Formen der Konstellation bekannt. „Gomringers wesentliche und

einflußreiche poetische Innovation war die Konstellation.“184

Die Kalligrafie ist eine weitere Form der Visuellen Poesie. Sie ist „der Weg von

der Lesbarkeit über die Sichtbarkeit zu einer neuen Bildlichkeit der Schrift, die

auf einer individuell-gestischen Qualität fußt.“185

Die_Der Schreibende kann mit

einer Kalligrafie mittels seiner Handschrift den Inhalt mit dem Schriftbild

verknüpfen. Die persönliche Stellung zum Text kann mit der Schreibweise dessen

einhergehen. Die Ästhetik der eigenen Handschrift steht bei Kalligrafien im

Vordergrund.

2.4.Grundlagen Visueller Poesie

„Mit der Hybridisierung der Bilder durch die Verschränkung visueller und

verbaler Techniken hat die Kunst des 20. Jahrhunderts eine Herausforderung an

die disziplinären Grenzlinien formuliert.“186

Wo endet bildende Kunst und wo

beginnt etwas Literatur zu sein? Visuelle Poesie ignoriert die disziplinären

Grenzen. Sie stellt eine Herausforderung an ihre Rezipienten_innen dar. Sie betont

die visuellen Erscheinungen ihrer beiden Medien. Die_Der Rezipient_in ist

181 Vgl. Gomringer 1972, S. 163. 182 Vgl. Weiermair 1993, S. 185. 183 Ebd. 184 Ebd. 185 Dencker 2011, S. 697 186 Meister 2007, S. 192.

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gefordert, wenn sie_er Visueller Poesie begegnet. Sie_Er muss alte

Lesegewohnheiten ablegen und wird sich dieser Gewohnheiten somit bewusst.

Werke der Visuellen Poesie sind anschaubar und/oder lesbar. Manchmal erwecken

sie nur den Anschein lesbar zu sein und in anderen Fällen erweist sich ihre

Lesbarkeit als optische Täuschung. Durch die Einbeziehung der Fläche und der

sichtbaren Beziehungen der Elemente in einem Werk der Visuellen Poesie ändert

sich die Rezeptionsweise.

der ganze text zeigt auf einen blick seine struktur, gliedert sichtbar

seine beziehungen aus […], tritt unmittelbar ins bild, statt sich erst in

der vorstellung des lesers allmählich aus dem gelesenen erinnerten aufzubauen.

187

Ein Werk der Visuellen Poesie „[…] wird zum seh- und gebrauchsgegenstand:

denkgegenstand – denkspiel.“188

Die Schrift fordert von uns eine erlernte

Rezeptionsweise, die sie gleichzeitig infrage stellt. „Bild und Sprachtext stellen

differente Kommunikationssysteme dar, die durch ihre Verbindung zu einem

neuen Ganzen zusammengefügt werden.“189

Die Auseinandersetzung mit dieser

Form bietet neue Möglichkeiten der Darstellung. Sie sind somit häufig auch in

ihrer Rezeptionsweise komplexer als Werke, die sich auf ein Medium

beschränken.

Gemäß Wolf Haas gäbe es drei Hauptthesen der Visuellen Poesie. Je nach

Vertreter_in sei die eine oder andere These im Vordergrund des Werks der

Visuellen Poesie. Die erste These lautet: „Die Sprache bestimmt die

Wirklichkeitserfahrung. Gesellschaftskritik muß daher als Sprachkritik

erfolgen.“190

Diese These ist dem geschichtlichen Kontext geschuldet. Visuelle

Poesie zeichnet sich dadurch aus, das sie Werke hervorbringt, die die Macht von

Sprache thematisieren und reflektieren. Wie wir Sprache verarbeiten und das

Werk durch die Sprache wahrnehmen ist Gegenstand der Visuellen Poesie. Zudem

betont Haas, wie sehr unsere Wahrnehmung von Sprache abhängig ist.191

Wie wir

unsere Umwelt wahrnehmen, wird vielfach durch Sprache gelenkt. Sie wirkt auf

187 Franz Mon (1972): zur poesie der fläche. In: Eugen Gomringer (Hrsg.): konkrete poesie.

Stuttgart: Reclam, S. 168. 188 Gomringer 1972, S. 156. 189 Maltrovsky 2004, S. 13. 190 Haas 1990, S. 2. 191 Vgl. ebd.

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uns und unsere Eindrücke von der Welt ein. Sie lenkt sie und darf daher nicht

unreflektiert konsumiert werden, sondern sollte mittels der Kunst erfahrbar

gemacht werden.

Die zweite These laut Haas ist, dass die Visuelle Poesie die Semantik ablehne,

also bedeutungsfreien Umgang mit Sprache zu repräsentieren versuche.192

Die

Unmöglichkeit mit gewissen Wörtern nichts zu assoziieren wird grundsätzlich

Thema der Visuellen Poesie. Auch die Unmöglichkeit mit Wörtern wie alles oder

nichts etwas Konkretes zu assoziieren wird von der Visuellen Poesie thematisiert.

Somit sei sie „[…] nichts Vermittelndes, sondern bloßes Material, bloßes

Sprachding.“193

Besonders Gomringer betont diesen Aspekt der Visuellen Poesie.

das wort: es ist eine größe. es ist – wo immer es fällt und geschrieben

wird. Es ist weder gut noch böse, weder wahr noch falsch. Es besteht aus lauten, aus buchstaben, von denen einzelne einen individuellen,

markanten ausdruck besitzen.194

Die Gesellschaft und der Gebrauch von Wörtern erschaffen aus dem einfachen

Wort erst einen Gegenstand mit Bedeutung. Begegnen wir einem Wort ohne

Vorbehalt wäre es nur das was es ohne Bezeichnetes ist: Bedeutungslose Linien

und somit Gestaltungsmittel einer Fläche.

Hieraus bildet sich sodann die dritte und letzte These nach Haas, in der er auf die

Materialität von Sprache und dem mit ihr einhergehenden Schriftbild eingeht.

Gomringer merkt an195

: „die schlagzeile und das schlagwort schlagen nicht nur

durch lautkombination und inhalt, sie schlagen auch durch das schriftbild.“196

Für

ihn ist das Wort eine Kraft, die sich ein Rezipient im Alltag nicht bewusst macht.

Ein Wort hat für ihn einen materiellen Reiz, der durch die Umgebung des Wortes

zu- und abnehmen kann: Das Besondere am Wort sei „die schönheit des materials

und die abenteuerlichkeit des zeichens.“197

Diese drei Thesen sind auf viele Werke der Visuellen Poesie zutreffend. Sie

spiegeln die Ideen der Visuellen Poeten_innen wider. Durch die große Bandbreite

192 Vgl. Haas 1990, S. 2. 193 Ebd. 194 Gomringer 1972, S. 157. 195 Gomringer betont, dass die konsequente Kleinschreibung das rationellste Schriftbild sei,

dementsprechend ist sowohl sein Buch „konkrete poesie“ als auch „visuelle poesie“ konsequent

mit Texten, die aus kleinen Buchstaben bestehen, verfasst worden. Siehe: Gomringer 1972, S.

153f. 196 Gromringer 1972, S. 153. 197 Ebd., S. 157.

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von Visueller Poesie entstanden jedoch auch verschiedene Grundhaltungen, was

die Visuelle Poesie leisten solle. Nach Heinz Gappmayr solle ein_e Rezipient_in

in Visueller Poesie nicht den „[…] Sinn einer Mitteilung über Gegenstände

außerhalb der Sprache […]“198

erwarten. Wir sind dahingehend sozialisiert

worden, dass Sprache immerzu auf etwas Außersprachliches verweist.

Eine Dichtung, die sich vor allem auf sich selbst bezieht, d.h. auf das,

womit nur etwas vermittelt werden soll, wird in ihrer Struktur zugleich die Explikation dieser Bedingungen vermitteln und somit

nicht vorherbestimmen, nach welchem Schema sich das Verständnis

des Lesers zu richten habe.199

Dichter der Visuellen Poesie zielen nicht konkret auf eine Interpretation seitens

der_des Rezipienten_in ab, die einen Bezug außerhalb des Sprachsystems hat.

Durch diesen Selbstbezug der Sprache sei das Objekt, über den die_der

Rezipienten_in etwas aussagen könnte, abwesend.200

Spätere Arbeiten der

Visuellen Poesie beziehen jedoch den Sprachkontext in ihre Werke ein.

Nach Eugen Gomringer würde die Visuelle Poesie von ihren Mitteln abhängen.201

Diese seien das Wort und der mit diesem Wort verbundene Zweck in der

Gesellschaft.202

Beim Lesen eines Wortes assoziieren wir mit dem Wort das

Bezeichnete des Wortes. Verschiebt sich der Kontext, in dem wir das Wort

kennengelernt haben, kann dies zu neuen Assoziationen und zu einer intensiveren

Auseinandersetzung mit dem Wort und der Schrift allgemein führen. Visuelle

Poesie kann „[…] Spannung aus der Negation des Erwartungshorizontes des

Lesers beziehen.“203

2.5. Drei Beispiele der Visuellen Poesie

Um die Besonderheiten der Visuellen Poesie und der damit einhergehenden

Faszination der Werke der Visuellen Poesie deutlich zu machen, werden im

Folgenden die Werke dreier Visuellen Poeten_innen erläutert. Sie sollen

exemplarisch aufzeigen, wie die Visuelle Poesie Schrift und Bild für sich nutzt

198 Gappmayr 1974, S. 59. 199 Ebd., S. 60. 200 Vgl. Ebd., S. 62. 201 Vgl. Gomringer 1972, S. 156. 202 Vgl. ebd. 203 Weiermair 1993, in Wien, S. 126.

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und die damit einhergehende Ästhetik der Schrift betont. Die Auswahl der drei

Künstler_innen soll die große Bandbreite an Möglichkeiten und Facetten der

Visuellen Poesie deutlich machen. Es sind hier bewusst drei Künstler_innen

gewählt, die sich in ihrer Art der Umsetzung von Visueller Poesie stark

unterscheiden. Zudem wurde bei der Auswahl dieser drei Exempel Wert darauf

gelegt, dass sie für eine vierte Klasse sowohl interessante Facetten der Visuellen

Poesie aufweisen und zudem dem Alter angemessen sind. „Kunstwerke sollen

Handlungen anregen, die kindlichen Bedürfnissen entsprechen.“204

Das heißt die

Beispiele stellen Werke dar, die die Schüler_innen einer vierten Klasse fordern,

dabei jedoch durch ihre Machart eine Faszination mit sich bringen, die die

Schüler_innen zu einer Auseinandersetzung mit ihnen motivieren sollen.

Gomringers Werke sind ein Beispiel für eine Form der Visuellen Poesie, die sich

sehr nah an der Schrift orientiert.205

Er arbeitet ausschließlich mit den

Zeichenelementen, die die alphabetische Schrift liefert. Carlfriedrich Claus weist

ein hohes Maß an Bildelementen auf. Seine Visuelle Poesie zeichnet sich durch

ein hohes Maß an Komplexität aus. Safiye Cans Visuelle Poesie hat eine Form,

die sich durch einen besonderen Witz und dennoch durch einen Tiefgang in der

Wort-Bild-Kombination hervorhebt. Die hier vorgestellten Werke sollen

exemplarisch für die große Bandbreite der Visuellen Poesie beschrieben werden.

2.5.1. Eugen Gomringer

Ein Werk

wird erst vollständig

von denjenigen gemacht,

die es betrachten.206

Dies wird besonders bei den Werken von Eugen Gomringer deutlich. Bei ihm

„gehen in den ˏKonstellationen´ Text und Fläche eine untrennbare, nicht linear zu

ˏlesende´ Einheit ein.“207

Er fokussiert sich auf das Sprachmaterial. Die_Der

Rezipient_in ist gezwungen beim Anblick seiner Werke sich mit der eigenen

Sprache auseinanderzusetzen. Gomringers gestalterische Mittel sind hierbei sehr

204 Constanze Kirchner (2009): Kunstpädagogik für die Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt,

S. 151. 205 Das heißt, die häufig zur Konkreten Poesie gezählt wird. 206 Marcel Duchamp zit. nach Uhlig 2005, S. 84. 207 Straßner 2002, S. 95.

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simpel gehalten. Im überwiegenden Teil seiner Arbeiten benutzt er lediglich

Alphabetschrift zur Gestaltung einer Fläche. Das Farbspektrum beschränkt sich

auf schwarz und weiß. Zudem zeichnen sich seine Werke durch eine sehr schlichte

und begrenzte Anzahl an Buchstaben oder Wörtern aus. „Der Einzelbegriff oder

Einzelbuchstabe verweist provokativ auf seine Existenz und auf den ästhetischen

Eigenwert von Sprache.“208

Das Zentrum seiner Werke ist immer das

Sprachmaterial und deren Ästhetik.

Gomringer selbst betont den gezielten Einsatz von Worten und deren gezielten

Auslassung von Worten damit die Wörter gezielt wirken können: „das schweigen

zeichnet die neue dichtung gegenüber der individualistischen dichtung aus. Dazu

stützt sie sich auf das wort.“209

Besonders in seinem Werk schweigen210

wird die

Betonung auf das Bezeichnete des Wortes deutlich. Zudem wird hier erkennbar

wie Gomringer mit simplen Mitteln einen unvermeidlichen Effekt erzeugt, der

die_den Rezipienten_in auf sich selbst und ihre_seine Rezeption von Text

zurückwirft. Es ist das bekannteste Werk Gomringers. Es ist ein sehr schlicht

gehaltenes, visuelles Gedicht, das aus lediglich 14 Wörtern besteht. Es handelt

sich bei diesen Wörtern um das Verb schweigen. Es zeichnet sich durch eine

horizontale, typografische Schrift aus, die in fünf Zeilen jeweils dreimal das Verb

aufweist, bis auf die mittlere Zeile, die lediglich zweimal das Verb verzeichnet.

Durch diese Konstellation entsteht eine Lücke innerhalb der Wörter. Genau in der

Mitte des Gedichts ist eine sofort erkennbare Abwesenheit des Wortes

auszumachen. Diese Auslassung lässt der_den Rezipienten_in ebenfalls in diese

Lücke das Wort schweigen vermuten, auch wenn es gerade an dieser Stelle zu

fehlen scheint. Das eigentlich Bezeichnete des Wortes schweigen entsteht erst

durch den Verzicht auf das Wort und somit durch den Verzicht auf die Schrift

selbst. Würde dieses Gedicht vorgelesen werden, wäre an der Stelle, an der kein

schweigen stehen würde tatsächliches Schweigen angebracht. Das Wort und die

Bedeutung werden auf diese Weise hervorgehoben. Der Paradoxie des Wortes und

seiner Bedeutung wird sich der_die Rezipienten_in somit bewusst. Schrift und

Funktionen werden durch diese sehr simple Demonstration des Zusammenspiels

von Bezeichnendem und Bezeichnetem hinterfragt und diskutiert. Die Umsetzung

208 Straßner 2002, S. 95. 209 Gomringer 1972, S. 157. 210 Siehe Abbildung 2.

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ist eine visuelle. Nur durch die ständige Wiederholung des Wortes wird das Fehlen

deutlich. In einem kontinuierlichen Text würde ein_e Leser_in nicht eine Lücke

im Text mit der Assoziation des Schweigens, also des Nichtsagens und der Stille,

verbinden. Dies ist nur durch die von Gomringer gewählte visuelle Darstellung

möglich. Der Aufbau der Schrift ist der Aussage des Textes dienlich.

In der Visuellen Poesie ist es, wie in diesem Werk deutlich wird, wichtig die

Fläche zu beachten und die einzelnen Elemente in Beziehung zu setzen. „[S]ie

bringt ihre bedeutungsmomente, wie zentrum, rand, oben, unten, rechts, links, mit

in den lesezusammenhang […]“211

Die Fläche macht die Konstellationen

verschiedener Bild- und Schriftelemente erst möglich. Deren Zusammenspiel wird

durch sie bestimmt.212

„Die Fläche erhält ihre eigene Grammatik.“213

Durch die

unkonventionelle Nutzung von Textfläche tritt sie in den Vordergrund und in das

Bewußtsein der_des Rezipienten_in. Durch diese freie Setzung der Textelemente

wird es möglich der Struktur der Textfläche Bedeutung zu geben. Die

Konstellation der einzelnen Elemente in der Bildfläche gerät ins Blickfeld. Wörter

und deren Assoziationen vermischen sich. Die Gruppierung und Lage der

Textelemente und der bildlichen Elemente können die Aussage der Schrift stützen,

sie negieren, sie ignorieren und vieles mehr. Die Bedeutung der Buchstaben- und

Wortelemente lässt sich durch die Lage auf dem Bild und deren Zusammenwirken

mit weiteren Elementen verändern.

„Die leere Mitte bzw. die Leere in der Mitte macht zudem, visuell gesehen, den

Eindruck eines leeren Raumes, der umgeben ist von ´schweigenden´ Mauern.“214

Eine Betrachtung der Wörter in Bezug auf die Fläche, die sie mit ihren

Signifikanten beschreiben, legt die Vermutung nahe, dass das Schweigen etwas

umschließt das nicht sichtbar ist. Denkbar wäre, dass es nicht sichtbar ist, da es

nicht benennbar ist. Nicht Benennbares ist sowohl durch Schrift als auch durch

Bild darstellbar: Eine weiße Leinwand wie ein weißes Blatt Papier spiegelt

lediglich das Medium dar und verweist somit auf sich selbst.

Visuelle Poesie kann, wie an Gomringers Werk deutlich wird, Sprachsensibilität

erzeugen. Sie deckt die Konstruktion der Schrift auf und kann ebenso kritisch

211 Mon 1972, S. 168f. 212 Vgl. ebd., S. 169. 213 Straßner 2002, S. 95. 214 Hans Hiebel (2006): Das Spektrum der modernen Poesie. Interpretationen deutschsprachiger

Lyrik 1900-2000 in internationalen Kontext der Moderne. Teil ll (1945 – 2000). Würzburg:

Königshausen und Neumann, S. 204.

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hinterfragen, wie diese aufgebaut ist. Durch den sparsamen Einsatz der

Schriftelemente wird überdies deren Ästhetik betont.

2.5.2. Carlfriedrich Claus

Mit dem Begriff Sprachblätter werden die Bilder von Carlfriedrich Claus, die sich

aus einer Fülle an teilweise nicht entzifferbaren Buchstaben, Wörtern und Sätzen

zusammenfügen, bezeichnet. Sie sind nicht auf einen Blick lesbar, sondern in

einer unüberschaubaren Menge angeordnet. Ein Sprachblatt sei hier als ein

exemplarisches Beispiel für die Machart seiner Visuellen Poesie beschrieben.

Das Material dieses Sprachblattes ist Transparentpapier, das beidseitig mit

schwarzer Tusche mit einer Feder beschriftet wurde. Im unteren Viertel des Bildes

befindet sich ein dunkler, ungenau gezeichneter, ungleichmäßiger Halbkreis aus

Strichen, auf dem noch dunklere Striche einen Umriss formen, der an einen

Schatten erinnert. Oberhalb dieses Halbkreises ist eine Vielzahl von

Strichelungen, kleinen Gebilden und Schriften, die in verschiedene

Schreibrichtungen auf das Papier platziert wurden. Der Halbkreis ist durch

diverse, gezeichnete, undefinierbare Gebilde mit dem oberen Teil des Bildes

verbunden. Der obere Teil des Bildes weist Schrift in verschiedenen Formen auf.

Durch die Transparenz ist die Schrift teilweise blass und spiegelverkehrt lesbar.

Getrennt werden die verschiedenen Schriftornamente durch Linien, Striche und

Gebilde, die ebenfalls eine unterschiedliche Stärke, Größe und Form aufweisen.

Die einzelnen Elemente des Bildes rufen Assoziationen beim Betrachten hervor.

Sie verschließen sich jedoch der eindeutigen Zuordnung als Gegenstände. Durch

die Kombination der verschiedenartigen Elemente des Bildes ist keine eindeutige

Zuweisung zu dem Dargestellten möglich. Dieses ungeordnete und

unüberschaubare Gebilde trägt daher zu Recht den Titel Entstehung einer

Denklandschaft215

. Die_Der Betrachter_in kann sich scheinbar die ungeordneten

Gedanken des Künstlers anschauen. Verknüpfungen der Gedanken entstehen

durch Schrift- als auch durch Bildelemente zwischen den unterschiedlichen

Textelementen. Es entsteht der Eindruck einer Landschaft. Die ovalen Gebilde

erinnern an Gedankenblasen wie sie aus Comics bekannt sind.

215 Siehe Abbildung 3.

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Wenn Grundschulkinder der bildenden Kunst begegnen assoziieren sie, wie

Erwachsene auch, das Gesehene mit vorher Gesehenem.

Kinder werden […] in Kunstwerken vorerst nach Ähnlichkeiten und

Entsprechungen ihrer Lebens- und Erfahrungswelt suchen, wenn sich

die Wahrnehmungsgegenstände dem direkten (Wieder-)Erkennen entziehen.

216

Sie möchten etwas in einem Bild wiedererkennen. Sie sind fasziniert von Formen,

die sie entschlüsseln müssen. Das Erkennen von Figuren in Wolkenbildern ist

hierbei das beste Beispiel. Das Werk von Claus erinnert an solche Wolkenbilder,

die Assoziationen zulassen, jedoch nicht deutlich einen bestimmten Gegenstand

benennen.

Nachvollziehbarkeit weist das Bild durch die Anordnung und das chaotische

Durcheinander der unterschiedlichen Elemente nicht auf. Es macht

dementsprechend eher darauf aufmerksam wie wirr Gedanken entstehen und wie

viele verschiedene Eindrücke zusammenwirken, wenn wir etwas denken. Zudem

wird deutlich, wie verworren die Gedanken aufeinander wirken und sich

beeinflussen. Manche Gedanken sind kaum beschreibbar, sie sind undefinierbar,

wie sie hier im Werk von Claus zu sehen sind. Die Gedankenwelt scheint

unüberschaubar. Dies wird besonders durch der Unlesbarkeit der Bild- und

Schriftelemente deutlich. Die Bildelemente, die meist feine und grobe Linien und

Gebilde darstellen vernetzen das Bild zu einer Einheit. Eine gewisse Struktur wird

durch sie gegeben. Nur die Schrift würde die_den Betrachter_in überfordern.

Durch die Kombination von Schrift und Bild wird es umso interessanter. Diese

Kombination schafft Struktur. Es entsteht die Struktur einer Landschaft und

erinnert durch ihre Zusammensetzung an eine Landkarte. Und wie bei einer

Landkarte darf Beschriftung zur Orientierung im hier dargestellten

„Gedankenwirrwarr“ nicht fehlen.

Das Werk wirft die Frage auf: Wie denken wir? Denken wir in Bildern oder in

Sprache? Vermutlich denken wir in beiden Medien. Und vermutlich denken wir

so, wie es das Werk von Claus aufzeigt: Ungeordnet und vollkommen chaotisch.

Wir haben schöne Gedanken, die sich mit den hellen Flächen assoziierbar wären.

Zudem haben wir unschöne Gedanken, die die dunklen Flächen des Papiers

216 Bettina Uhlig (2005): Kunstrezeption in der Grundschule. München: kopaed, S. 36.

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widerspiegeln könnten. Unsere Gedanken breiten sich aus, wie sich die Schrift auf

dem Papier ausdehnt. Und sie gehen über das hinaus, was wir denken können, wie

sich auch die Schrift über das Blatt Papier hinaus erstreckt.

Die Visuelle Poesie von Claus macht deutlich, dass sich die Visuelle Poesie sehr

weit entfernen kann von Schrift wie sie im Alltag bekannt ist. Dies wird auch

deutlich anhand von Werken wie Antikontemplative Meditation217

, welches sich

durch völlige Unlesbarkeit der Zeichen auszeichnet. Die Zeichen weisen eine

Form auf, die sehr stark an Schrift erinnert, widersetzen sich jedoch

Leseversuchen. Der Anschein einer Geheimschrift, die nur für eine ausgewählte

Gruppe von Menschen lesbar ist, entsteht. So wird die_der Rezipient_in auf die

Bildelemente aufmerksam, die scheinbar Schriftelemente sind, sich jedoch nicht

dem gewohnten Zeichen der Schrift bedienen. Der malerische und zeichnerische

Charakter der Schrift wird genutzt. Die inhaltliche Komponente, die der Schrift

enthalten ist, wird ausgesetzt. Das Unentschlüsselbare macht das Bild

dementsprechend reizvoll.

Visuelle Poesie ist eine Kunstform, die Schrift als Gestaltungsmittel einsetzen

kann. Sie ist nicht auf die Lesbarkeit der schriftlichen Zeichen fixiert, sondern

kann ihre Ästhetik auf vielfache Weise nutzen.

2.5.3. Safiye Can

Links gehen und rechts stehen: Eine Absprache, der wir im Alltag ständig

begegnen und die Safiye Can zum Ausgangspunkt ihrer Konstellation

linksgehenrechtsstehen218

machte. Hier fügen sich die Wörter in zwei Spalten, die

jeweils 36 Zeilen aufweisen. Auf der linken Seite sind die Wörter Links gehen zu

lesen. In einem gewissen Abstand folgen auf der rechten Seite, die Wörter Rechts

stehen. Unterbrochen wird dieses regelmäßige Satzgefüge mit dem Wort Idiot in

der linken dreizehnten Spalte. Die darunter liegenden Zeilen der linken Spalte

sind nun mit den Wörtern Links stehen versehen. In der in Deutschland gängigen

Leserichtung von oben nach unten entsteht so der Eindruck als würde das Wort

Idiot die oberen von den unteren Zeilen inhaltlich trennen. Da das Wort Idiot

einen Menschen personifiziert, wird die_der Rezipient_in beim Lesen der Wörter

217 Siehe Abbildung 4. 218 Siehe Abbildung 5.

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dazu verleitet, auch die übrigen Wörter mit Menschen zu verbinden: Mit

Menschen, die links gehen und rechts stehen und zu solchen, die durch einen

Idioten dazu veranlasst wurden ebenso links als auch rechts zu stehen. Das Wort

Idiot nimmt dementsprechend gewissermaßen den anderen Wörtern die Dynamik.

Es scheint als würde der Idiot, derjenige, der nicht das macht, was alle anderen

machen, nämlich links gehen und rechts stehen, durch seine Handlung alle

anderen in ihrem Tun behindern. Alltagssituationen, wie das Verhalten auf

Rolltreppen oder die gängigen Regelungen auf Autobahnen, sind viele mit der

Konstellation von Can assoziierbar. Und sicherlich gibt es in all diesen

Alltagssituationen, die durch gesellschaftliche Konventionen entstanden sind,

auch Menschen, die sich diesen Regelungen widersetzen und von anderen als

Idiot betitelt werden. Die Wörter stellen ihre eigene Umgebung her: Eine Masse

an Menschen, die durch einen Menschen aus ihrem gewohnten Strom gerissen

werden. Interessant ist zudem, dass selbst die Wörter, wie Links gehen also, die,

die keine Substantive sind und somit keine Menschen beschreiben durch den

Kontext dennoch als Wörter, die für Menschen stehen, frühzeitig identifiziert

werden.

Diese Konstellation, die solche Phänomene buchstäblich beim Namen nennt,

erhält durch das subtile Aufzeigen, wie Menschen durch solche willkürlichen

Regelungen in ihrem Alltag festgelegt sind, eine gewisse Komik. Da sich jeder

mit dieser Situation identifizieren kann, auch wenn Can gar keine spezifische

Situation benennt, erhält sie einen humorvollen Aspekt. Das Wort Idiot erscheint

so unerwartet in dem geordneten Gefüge der Worte, dass es zum witzigen Bruch

der Konstellation wird.

Dieses Visuelle Gedicht unterscheidet sich von den Gomringers. Es wirft die_den

Rezipienten_in nicht so sehr auf die Schrift und deren Wirkungsweise zurück,

sondern verweist auf gesellschaftliche Umstände. Es macht deutlich, wie sehr ein

einzelner eine Gemeinschaft zum Stillstand bringen kann.

Es ist jedoch unklar wer den Idioten als einen solchen betitelt. Ist die_der

Rezipient_in der Meinung er sei einer, sobald er nicht mehr der Masse folgt oder

denkt dies nur die Masse, die von ihm aufgehalten wird? Die_Der Betrachter_in

erhält einen anderen Blick auf die ansonsten so homogene Masse, innerhalb derer

alle einander folgen, scheinbar ohne den Strom der Masse zu befragen. Das

Visuelle Gedicht wird so von der dargestellten Alltagssituation zu einer

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gesellschaftskritischen Auseinandersetzung der Künstlerin mit der derzeitig

vorzufindenden Situation in Deutschland und der Welt. Die Masse folgt

demselben Weg. Wer sich der Masse widersetzt, widersetzt sich den

Konventionen. Sich solchen Konventionen entgegenzustellen, die eine lange

Tradition haben, wie das Linksgehen und Rechtsstehen, hat die Folge, dass der

Rebell als Idiot bezeichnet wird.

Andere Werke von Can zeichnen sich durch ähnliche Tiefe bei näherer

Beschäftigung mit ihnen aus. Beispielsweise in ihrem Werk Butterfly219

. Auf den

ersten Blick ist ein Schmetterling zu sehen, dessen Körper aus den Buchstaben A,

L und L bestehen. Die Striche, die von diesem Schmetterlingskörper ausgehen

weisen auf jeweils drei Wörter: es ist vergänglich. Beim erstmaligen Betrachten

verleitet das Bild daher dazu, die Buchstaben und Wortfetzen zusammenzufügen.

Es entsteht der Satz Alles ist vergänglich. Die Form des Schmetterlings wird im

Zusammenhang mit dieser Aussage beinahe zum Kitsch. Es scheint, als sei es ein

Figurengedicht ohne Tiefgang. Erst bei einer näheren Betrachtung und

Auseinandersetzung mit dem Werk fallen die Fühler des Schmetterlings auf, die

die Form eines Kommas haben. Demzufolge wäre eine weitere Form der

Lesbarkeit dieses Gedichts All, es ist vergänglich. Assoziationen vom All und das

Zusammenspiel der Symbolik des Schmetterlings mit dem All und der

Vergänglichkeit werden somit angestoßen. Zudem wird die_der Rezipient_in

somit auf die Mehrdeutigkeit des Werks und der Mehrdeutigkeit von Sprache

aufmerksam. Ein kleines Zeichen, wie das Komma, kann dem Werk einen neuen

Sinn geben.

Visuelle Poesie ist nicht eindeutig. Sie nutzt die Mehrdeutigkeit der Sprache und

fügt dieser eine Bildebene hinzu, die bei der Rezeption den Verstehensprozess

unterstützt oder aufhält und somit Rezeptionsweisen hinterfragt. Sie kann, wie in

linksgehenrechtsstehen deutlich wurde, auf die gesellschaftlichen Umstände

verweisen und zu einer Auseinandersetzung mit diesen beitragen.

3. Kunstunterricht in der Grundschule

Nach den vorherigen Darstellungen der Visuellen Poesie soll nun ein Einblick in

den Kunstunterricht der Grundschule erfolgen, innerhalb dessen die Visuelle

219 Siehe Abbildung 6.

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Poesie Eingang finden könnte. Die Rahmenbedingungen des Kunstunterrichts

sollen so deutlich werden, um eine Einbettung der Visuellen Poesie in diesen

Rahmen zu prüfen. Zunächst wird der fächerübergreifende Unterricht der Fächer

Kunst und Deutsch als Basis für das Thema Visuelle Poesie untersucht.

3.1.Fächerübergreifender Unterricht

„Mit fächerübergreifendem Lehren und Lernen wird in der aktuellen

Schulreformdiskussion im Allgemeinen die Erwartung verknüpft, Unterricht zu

verbessern oder weiterzuentwickeln.“220

Gründe für die Vermutung, dass ein

fächerübergreifender Unterricht auch einen besseren Unterricht darstellt, gibt es

viele, jedoch existieren auch Gegenpositionen, die fächerübergreifenden

Unterricht nicht befürworten. Woher diese Forderung nach Interdisziplinarität der

Schulfächer rührt, soll im Folgenden kurz umrissen werden.

In der Grundschule ist ein interdisziplinärer Unterricht Alltag. Die Fächergrenzen

sind hier häufig fließend, da eine Lehrkraft mehrere Fächer unterrichtet. Die

Gegebenheiten in der Primarstufe sind dementsprechend günstig für einen

fächerübergreifenden Unterricht der Fächer Deutsch und Kunst. Daher stellt sich

die Frage, warum es eigentlich Schulfächer an der Grundschule gibt.

Schulfächer bieten Sicherheit. Sie strukturieren den Schulalltag, indem sie

Kategorien bilden, um die Schüler_innen sowohl mit naturwissenschaftlichen,

geisteswissenschaftlichen, als auch gesellschaftswissenschaftlichen Inhalten zu

konfrontieren. Sowohl Schüler_innen als auch Lehrkräften bietet dieser Rahmen

der Schulfächer und den ihnen zugeteilten Inhalten Orientierung. Diese Einteilung

von gewissen Inhalten zu bestimmten Schulfächern gewährt ihnen

augenscheinlichen Schutz. Schüler_innen wissen annähernd, was sie erwartet,

wenn sie beispielsweise in den Religionsunterricht gehen. Auch Lehrkräfte eignen

sich spezifisches Wissen beispielsweise durch ihr Studium an, um auf die Inhalte

der Unterrichtsfächer, die sie unterrichten, vorbereitet zu sein. In einem

fächerübergreifenden Unterricht sind sie dementsprechend fachlich nicht auf alle

Fächer gleichermaßen gut vorbereitet. Zudem sind zeitraubende Absprachen

220 Martina Geigle (2004): Konzepte zum fächerübergreifenden Unterricht. Eine historisch-

systematische Analyse ihrer Theorie. Hamburg: Dr. Kovač, S. 269.

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zwischen den Lehrkräften, die einen fächerübergreifenden Unterricht

organisieren, erforderlich. Ferner

haben sich Lehrerinnen und Lehrer bei der Vorbereitung

fächerübergreifender Inhalte ihrer eigenen subjektiven Konstrukte zu

vergewissern. So ist zu vermeiden, dass sich Fachgrenzen überschreitende Themen allein auf Grund von Ähnlichkeiten oder

sprachlichen Assoziationen ergeben, die letztlich auch für

Schülerinnen und Schüler nicht oder nur schwer zu durchschauen sind.

221

Ein Entgegenwirken solcher subjektiver Konstrukte bedarf jedoch einer tiefen

Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsthema, welches wiederum die zeitlichen

Ressourcen der Lehrkräfte fordert. Schulfächer sind mit ihren Kerncurricula

voneinander abgegrenzt und inhaltlich infolgedessen durchschaubar. Das System

der Schulfächer hat dementsprechend viele Vorteile. Eine Aufhebung der

Schulfächer geht zudem mit der Befürchtung einher, dass das Fach inhaltlich

begrenzt wird, da andere Fächer in den Fokus gelangen. Ein fächerübergreifender

Kunstunterricht „sollte […] nicht dazu führen, die Identität des Faches Kunst aus

den Augen zu verlieren und die fachlichen Kernbereiche zu opfern.“222

Bedenklich an der obligatorischen Einteilung nach Schulfächern ist, dass nicht

alle Inhalte klar zuzuordnen sind. Noch Bedenklicher ist, ob alle Inhalte überhaupt

zugeordnet werden sollten. Denn die Schulfächer sind konstruierte Kategorien,

denen wir in unserem Alltag häufig vermischt begegnen. Die Lebenswelt der

Schüler_innen ist meist weit entfernt von den Konstrukten der Schulfächer. Ferner

sind auch die Schulfächer an sich inhaltlich nie gänzlich trennbar, selbst wenn

eine klare Trennung angestrebt werden würde. Beispielsweise wenn im

Mathematikunterricht eine Textaufgabe gestellt wird, die gute Lesekompetenz von

den Schüler_innen verlangt oder im Werkunterricht eine Skizze gezeichnet

werden soll. Die Themen der Schulfächer vermischen sich sowohl innerhalb der

Schule als auch im Alltag. Ein Beispiel wäre hier auch die Visuelle Poesie, die

weder dem Fach Deutsch noch dem Fach Kunst klar zuzuordnen wäre.

Auf der Grundlage, dass es sich nur um eine konstruierte Trennung der

Unterrichtsfächer handelt, ist anfechtbar, ob diese Trennung nicht aufgebrochen

221 Geigle 2004, S. 271. 222 Peez, Georg (Hrsg.) (2011): Kunst in der Grundschule fächerverbindend: Unterrichtsbeispiele

und Methoden. Baltmannsweiler: Schneider, S. 11.

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werden sollte. Die Forderung eines interdisziplinären Unterrichts ist darin

begründet, dass die durch die Schulfächer konstruierte Strukturierung fern von der

Lebenswelt der Schüler_innen sei und zudem „aktuellen Anforderungen seitens

der Schule und der Gesellschaft nicht gerecht werden“223

könne. Soziale

Kompetenzen und Interesse am Unterricht seitens der Schüler_innen könne mit

einer strikten inhaltlichen Trennung der Fächer nicht so gut errungen werden wie

mit einem interdisziplinären Unterricht, so lautet die These der

Befürworter_innen.

Durch die Vernetzung der Hirnaktivitäten beim fächerübergreifenden Arbeiten wird schließlich Kreativität gefördert, durch die spezifischen

sozialen Umgangsweisen und Arbeitsformen Sozialkompetenz

geübt.224

Gewisse Schlüsselqualifikationen seien nicht an Schulfächer geknüpft.225 Diese

Schlüsselqualifikationen fasst Peez unter dem Begriff Bildung. Peez grenzt die

Begriffe Bildung und Qualifikation voneinander ab und bezieht sich hierbei auf

Ludwig Duncker. Fächerübergreifender Unterricht würde eher den Bildungsaspekt

stärken.226

Dieser sei dadurch geprägt, dass die Grundschule „die Dimensionen

Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität als wesentliche

Grundfähigkeiten […]“227

den Schüler_innen lehren soll. Der Begriff

Qualifikation erfasst laut Peez überprüfbare Kompetenzen.228

Fraglich ist, ob ein

fächerübergreifender Unterricht, der den Bildungsaspekt des Unterrichts erwirken

soll, die Qualifikation des Unterrichts mindert oder ob sie nur nicht messbar ist.

Lediglich weil Bildung, wie sie im interdisziplinären Unterricht der Fall ist, nicht

überprüfbar ist, kann sie dennoch ein Ziel des Unterrichts darstellen, erscheint

jedoch zu Zeiten nach PISA für viele Lehrkräfte unattraktiv. „Denn eng

festgeschriebene Ziele und Lernwege sind in interdisziplinären

Erfahrungszusammenhängen nicht determinierbar.“229

Dennoch bietet

223 Geigle 2004, S. 11. 224 Brigitte Limper (2013): Interdisziplinarität und Ästhetische Bildung in der Grundschule.

München: kopaed, S. 35. 225 Vgl. Geigle 2004, S. 270. 226 Vgl. Peez 2011, S. 11. 227 Ebd., S. 10. 228 Vgl. ebd., S. 9. 229 Ebd., S. 11.

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Interdisziplinarität die Möglichkeit der Bildung und bietet außerhalb von

messbaren Kompetenzerweiterungen einen Zugewinn für die Schüler_innen.

Alexander Glas betont, dass Wort und Bild im Kunstunterricht ohnehin nicht

voneinander trennbar seien.230

„Der Ansatz ist von vornherein interdisziplinär

ausgerichtet.“231

Die Fächer Kunst und Deutsch werden in der Praxis bereits heute

häufig für fächerübergreifenden Unterricht genutzt. Die Schüler_innen malen in

einem Lesetagebuch ihre Vorstellungen zum Gelesenen oder sie interpretieren das

im Kunstunterricht behandelte Bild mithilfe von Sprache, die sie im

Deutschunterricht lernen. Die beiden Fächer scheinen sich mit einem Blick in die

Praxis dementsprechend sehr gut für einen fächerübergreifenden Unterricht zu

eignen. In einem fächerübergreifenden Unterricht der Schulfächer Kunst und

Deutsch können „in Wechselwirkung die sprachlichen und die künstlerisch-

ästhetischen Fertigkeiten gefördert werden.“232

Visuelle Poesie, die bereits

Elemente aus beiden Fächern beinhaltet, eignet sich hierfür, um beide Bereiche,

also Schrift und Bild, im Unterricht zu behandeln.

Ein Argument der Befürworter eines interdisziplinären Unterrichtsalltag an

Schulen in Bezug auf das Fach Kunst ist besonders hervorzuheben: „Wer

Selbstentfaltung sowie kindliche Kreativität fordert und fördert, kann nicht

gleichzeitig von Erwachsenen definierte feste Fächergrenzen propagieren.“233

Die

bildende Kunst, die sich immer schon aus allen Bereichen des Lebens inspirieren

ließ, Einfluss auf sie nahm und in ihnen agierte lässt sich nicht in Kategorien wie

die der Schulfächer zwängen. Eben so wenig lässt sich das Schulfach Kunst von

anderen Schulfächern abgrenzen. „Im Fächerkanon der Grundschule ist das

Ästhetische in allen Lehr- und Lernprozessen ein ´Ferment´, ein bedeutender

Wirkstoff.“234

Eine gewisse Interdisziplinarität von Kunst zu anderen

Schulfächern ist dementsprechend ohnehin gegeben. Peez bezieht sich auf Gunter

Otto bei seiner Behauptung „dass das Ästhetische als Erkenntnisform alles

durchdringe […]“.235

So ist es auch bei der Schrift naheliegend, dass die ihr

innewohnende Ästhetik eine Erkenntnis nach sich ziehen kann. Visuelle Poesie als

230 Vgl. Glas, 2006, S. 61. 231 Ebd. 232 Meike Aissen-Crewett (2003): Kunstunterricht in der Grundschule. Braunschweig:

Westermann, S. 20. 233 Peez 2011, S. 7. 234 Ebd., S. 3. 235 Ebd., S. 16.

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Unterrichtsgegenstand ist daher in einem fächerübergreifenden Unterricht der

Fächer Kunst und Deutsch denkbar und sinnvoll.

3.2. Ein Blick ins Kerncurriculum

Der Kunstunterricht in Grundschulen wird nach dem Kerncurriculum gestaltet. Da

diese Arbeit an einer niedersächsischen Universität entstand, wird im Folgenden

das Kerncurriculum des Bundeslandes Niedersachsen betrachtet und hinsichtlich

des Unterrichtsthemas Visuelle Poesie untersucht.

„Das fachbezogene Lernen wird ergänzt und bereichert durch fächerverbindendes

und fächerübergreifendes Lernen.“236

Dies ist die Forderung, die sowohl im

Kerncurriculum Kunst als auch im Kerncurriculum Deutsch zu finden ist.

Anknüpfpunkte der beiden Fächer gibt es inhaltlich mehrere, um einen

fächerübergreifenden Unterricht herzustellen. So kann beispielsweise das

szenische Darstellen sowohl als Teil des Deutschunterrichts als auch als Teil des

Kunstunterrichts betrachtet werden. Denn im Kerncurriculum des Faches Deutsch

sind im Rahmen eines handlungs- und produktionsorientierten Unterrichts

szenische Darstellungen vorgesehen.237

Das Kerncurriculum des Faches Kunst

verweist bei den möglichen Bildnerischen Verfahren auch das Darstellende Spiel

als Form auf.238

Es existieren dementsprechend inhaltliche Überschneidungen der

beiden Fächer.

Das Schreiben, eine Tätigkeit die traditionell im Deutschunterricht der

Grundschule Teil des Unterrichts ist, wird im Kerncurriculum des

Kunstunterrichts konkret genannt. Es handelt sich beim Schreiben im Rahmen des

Kunstunterrichts um einen inhaltsbezogenen Kompetenzbereich.239

Es ist neben

„Zeichnen, Malen, Druck, Collagieren […].“240

Teil des Bereichs des Bildhaften

Gestaltens in der Fläche. Im Kerncurriculum Kunst wurde die Schrift

dementsprechend als gestalterisches Mittel für die Grundschule bereits als

verwendbar und tauglich befunden. Hier ist sie unter dem Punkt Grafisches

236 Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.) (2006): Kerncurriculum für die Grundschule

Schuljahrgänge 1-4. Deutsch. Hannover, S. 8. Als auch: Niedersächsisches Kultusministerium

(Hrsg.) (2006): Kerncurriculum für die Grundschule Schuljahrgänge 1-4. Kunst. Gestaltendes

Werken. Textiles Gestalten. Hannover, S. 7. 237 Vgl. Kerncurriculum Deutsch, S. 24. 238 Vgl. Kerncurriculum Kunst, S. 21. 239 Vgl. ebd., S. 13. 240 Ebd.

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Gestalten „mit Schrift gestalten“241

als Möglichkeit aufgeführt. Schrift als Teil des

Kunstunterrichts hat hier dementsprechend einen gestalterischen Zweck. Sie wird

im Kunstunterricht als ein ästhetisches Phänomen betrachtet, das Teil einer

gestalteten Fläche darstellen kann. So wie es die Visuelle Poesie für sich entdeckt

hat, befindet auch das Kerncurriculum, dass die Schrift eine ästhetische Qualität

besitzt.

Im Fach Deutsch wird „[…] Sprache als gestaltbares und gestaltendes Medium

[…]“242

betrachtet. Folglich hat auch das Kerncurriculum für den

Deutschunterricht den ästhetischen Aspekt von Sprache erkannt. In Anbetracht

dessen, dass auch das Kerncurriculum Deutsch einen „gestalterischen und

experimentierenden Umgang mit Schrift […]“243

vorgibt, stimmen die

Kerncurricula über ein, dass Schrift ein gestalterisches Potenzial innewohnt.

„Im Rahmen einer förderlichen Lese-, Schreib- und Gesprächskultur wird das

Sprachlernen mit künstlerisch-ästhetischen Zugangsweisen verbunden.“244

Dies

ist eine weitere Forderung des Kerncurriculums Deutsch. Dementsprechend ist ein

weiteres Ziel, den ein fächerübergreifender Unterricht von Kunst und Deutsch

verfolgen kann, dass der Umgang mit Schrift, als gestalterisches Mittel im

Kunstunterricht, die Schüler_innen zum Schreiben animieren kann. „Bedeutsames

Anliegen des Deutschunterrichts ist es, bei den Schülerinnen und Schülern Freude

am Umgang mit Sprache zu wecken, zu steigern, sie zum Lesen und Schreiben zu

motivieren […].“245

Das Schreibinteresse ist durch das Experimentieren mit

Schrift als Gestaltungsmittel im Kunstunterricht zu steigern.

Die Visuelle Poesie bietet angesichts des Kerncurriculums sowohl in den

Kompetenzen des Faches Kunst als auch in denen des Faches Deutsch

Anknüpfpunkte. Die Schrift, das entscheidende Element der Visuellen Poesie, ist

in beiden Fächern verortet und kann dementsprechend zu beiden Fächern

zugehörig definiert werden. Ein fächerübergreifender Unterricht zum Thema

Visuelle Poesie ist demzufolge curricular bereits in der Grundschule angelegt.

241 Vgl. Kerncurriculum Kunst S. 21. 242 Kerncurriculum Deutsch, S. 7. 243 Ebd., S. 11. 244 Ebd., S. 9. 245 Ebd., S. 8.

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3.3. Visuelle Poesie in der Grundschule

Ein Kunstunterricht, der in einer vierten Schulklasse Visuelle Poesie zum

Unterrichtsgegenstand macht, führt dazu, dass die Schüler_innen sich mit dieser

Kunstform näher auseinandersetzen müssen und sich hierfür mit Bild- und

Wortverhältnissen in den Werken der Visuellen Poesie beschäftigen. „Da es keine

Algorithmen gibt, die den Rezipierenden zielsicher zur »Essenz« eines

Kunstwerkes führen, sind hier vor allem flexible Denkleistungen erforderlich.“246

Diese kognitiven Fähigkeiten werden im Grundschulalter jedoch erst

herangebildet.247

Schüler_innen in der vierten Jahrgangsstufe verfügen bereits

über Fähigkeiten, um ein Kunstwerk zu untersuchen, beispielsweise können sie

Formenelemente untersuchen.248

Zudem ist es für sie möglich „über das

Herstellen einfacher Inhalt-Form-Zusammenhänge zu lebensweltlich fundierten

Deutungsansätzen zu gelangen.“249

Daher kann die Visuelle Poesie bereits in

diesem Alter Unterrichtsgegenstand sein, denn sie hat durchaus lebensweltliche

Bezüge und wie bereits mithilfe der Werke von Gomringer, Klaus und Can gezeigt

wurde, gibt es vielfache interessante Ansatzpunkte, die Kinder an die Visuelle

Poesie heranführen können. Hierbei muss beachtet werden, dass Kinder anders

mit bildender Kunst umgehen als Erwachsene. Kinder urteilen unbedachter über

Kunst und so können

Details, wie Farben, Accessoires, Oberflächenstrukturen oder eine

bestimmte Materialität […] auf der Grundlage subjektiver

Bedeutsamkeit ihre besondere Aufmerksamkeit erlangen und sie dazu

motivieren, sich eingehender mit einem Kunstwerk zu beschäftigen.250

Die gerade erlernte Schrift in der Grundschule kann für die Schüler_innen eine

subjektive Bedeutsamkeit darstellen. Der Inhalt der Schrift als auch die

Bildelemente der Visuellen Poesie können ebenso bedeutsam für die Kinder sein.

Eine Auseinandersetzung mit der Visuellen Poesie ist in Bezug auf das

persönliche Interesse der Schüler_innen an Schrift daher eine lohnende.

246 Uhlig 2005, S. 42. 247 Vgl. ebd., S. 41ff. 248 Vgl. ebd., S. 43. 249 Ebd., S. 44. 250 Ebd., S. 37.

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48

„Die Sprache ist als Objekt der Forschung unerschöpflich.“251

Egal ob

Unterrichtsgespräch oder Bildtitel: Sprache ist immer Teil des Kunstunterrichts.

Sie ist kein unwesentlicher Teil des Kunstunterrichts, denn die Rezeption von

Kunst und künstlerischem Handeln wird von ihr vornehmlich mitgestaltet.

„Schule verteilt [erst, IT], von Ausnahmen abgesehen, verschiedene Operationen

auf Unterrichtsstunden, Lernbereiche oder Fächer.“252

Zwar wird die Sprache

tendenziell dem Deutschunterricht zugerechnet. Diese eindeutige Zuweisung zu

diesem Fach ist jedoch nicht zutreffend, da sie ebenso einen nicht unerheblicher

Bestandteil des Kunstunterrichts darstellt. Kunstunterricht basiert sowohl auf Bild

als auch auf Wort.

Das Schreiben und Malen von Bildern ist für Vorschulkinder eine nah

beieinanderliegende Aktivität, die erst durch Schule und ihre Fächer eine klare

Trennung erfahren würde.253

Kinder malen Bilder. Zudem malen sie Linien, um

die Schrift nachzuahmen, von der sie das System der Zeichen noch nicht

verstanden haben. Den ästhetischen Aspekt der Schrift nutzen sie somit bevor sie

den Sinn von Schrift erkennen. „Schrift und Bild sind Folge derselben Aktivität.

Beides lernt man auf weiten Strecken durch Zugucken, durch Dabeisein, auch

durch Nachmachen […].“254

Schüler_innen der ersten Klasse erkennen in der

Schrift Linien, die zuvor für sie keine Bedeutungen haben. Sie lernen jedoch die

Konventionen der Schrift kennen und erkennen so wie sich „[…] Linien in etwas

Sinnhaftes verwandeln können.“255

Die Bedeutung der Zeichen der Schrift wird

von den Kindern noch nicht erkannt. Sie muss erst erlernt werden.

Grundschulkinder werden damit vertraut gemacht, dass sie horizontal von links

nach rechts schreiben und das möglichst nach der Norm, das heißt alle

Schüler_innen mit einem möglichst gleichen Schriftbild. In der vierten Klasse

einer Grundschule ist die Schriftsprache für die Schüler_innen bedeutsam. Sie

lernen, wie sie mit ihr kommunizieren können und wie eine gewisse Emanzipation

durch sie erfolgt. Der Weg zur Schriftsprache ist für Kinder meist auch ein Schritt

zum Erwachsenwerden und hat daher eine große Bedeutung. Das Erlernen der

Schriftsprache ist folglich auch häufig mit einer großen Motivation einhergehend.

251 Gappmayr 1974, S. 60. 252 Otto 1998, Bd. 3, S. 178. 253 Vgl. Otto 1998, Bd. 3, S. 178. 254 Ebd. 255 Gappmayr 1974, S. 63.

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49

Schüler_innen einer vierten Schulklasse haben bereits eine gewisse

Lesekompetenz und können dementsprechend das Spiel mit der Schrift in der

Visuellen Poesie erkennen. Visuelle Poesie erforscht die Schrift. Sie hat die

Besonderheit an sich grundsätzlich schon fächerübergreifend zu sein. Es handelt

sich um eine Kunstform, die sowohl Bild- als auch Textelemente beinhaltet und so

naturgemäß ein mögliches Unterrichtsthema ist, das in einem

fächerübergreifenden Unterricht der Fächer Kunst und Deutsch denkbar wäre.

Schrift eignet sich deswegen als Forschungsgegenstand für Grundschulkinder, da

sie es auch ohne Anleitung durch die Lehrkraft für die Schüler_innen ohnehin

schon darstellt. Das Erlernen der Schriftsprache ist für die Schüler_innen meist

ein mühsamer Weg. Kinder, die in die Grundschule kommen, haben

erfahrungsgemäß die Hoffnung und einen großen Ehrgeiz möglichst bald Zutritt

zur Welt der Schriftsprache zu gelangen. Sie möchten die Wörter selbst lesen, die

ihnen bisher immer vorgelesen werden mussten. Dementsprechend haben sie

einen eigenen, inneren Antrieb sich zu emanzipieren und haben sich in der vierten

Klasse bereits ausgiebig mit der Schriftsprache auseinandergesetzt. Hier beginnen

meist die ersten Experimente mit der Schrift: Der i-Punkt wird zu einem Herz

gemalt, die eigene Unterschrift wird möglichst unleserlich zu Papier gebracht und

die ersten Versuche Schreibschrift mit Druckschrift zu vermischen werden

getätigt. Die eigene Handschrift ist Untersuchungsgegenstand der Schüler_innen.

Die Visuelle Poesie kann an dieser Stelle die Eigenart der Schüler_innen nutzen:

„Sie sind neugierig und ständig auf der Suche nach neuen Entdeckungen und

Herausforderungen. Vor allem Ungewöhnliches und Fremdes weckt ihr

Interesse.“256

Die aus dem Deutschunterricht bekannten Buchstaben werden in der

Visuellen Poesie aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen. Die Schüler_innen

werden mit Schrift in einem neuen Kontext konfrontiert. „Neugier und

Forscherdrang motiviert sie dazu, fremd Anmutendes, aber auch Vertrautes in

ungewöhnlichen Zusammenhängen zu erkunden […].“257

Vertraut ist ihnen bereits

das Zusammenwirken von Bild und Schrift. Dies jedoch nicht in Bezug auf

künstlerische Werke, sondern sie werden mit Werbeplakaten und ähnlichem aus

ihrer Alltagswelt konfrontiert. Diese Werbeplakate haben eine Botschaft, die sie

dem_ der Rezipienten_in mitteilen möchten.

256 Uhlig 2005, S. 38. 257 Ebd., S. 328.

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50

Beim ästhetischen Code, der auf Mehrdeutigkeit abzielt, ist dies anders. Die Rezipienten werden durch die Suche nach immer neuen

Codes, durch Verletzungen und das bewusste Spiel mit

konventionellen Codes herausgefordert. Der Rezeptionsprozess eines Kunstwerks steht dem der Werbung und anderen Gebrauchsformen

des Alltags diametral entgegen.258

Schüler_innen stehen dementsprechend vor einer neuen Herausforderung, wenn

ihnen die Visuelle Poesie begegnet. „Die Fähigkeit Bilder ´lesen´ zu können,

ihnen nicht einfach ausgeliefert zu sein, wird eine kulturell immer wichtigere

Kompetenz, die deshalb schon in der Grundschulzeit entwickelt werden muss.“259

Bilder, die mit Schrift zusammen agieren, begegnen den Schüler_innen immerzu.

Ob in der Werbung oder über Mobiltelefon-Nachrichten mit Emoticons:

Schüler_innen begegnen Wort und Bild als sich ergänzende Medien im Alltag.

Visuelle Poesie kann auch diese Medien und deren Wirkungsweise den

Grundschulkindern deutlicher machen und zu einem bewussteren Umgang mit

ihnen führen. „Kinder schließen in ihren Sinnzuweisungen und

Bedeutungsstiftungen direkt an ihren lebensweltlichen Wissens- und

Erfahrungsschatz an.“260

In der Visuellen Poesie ist dieser lebensweltliche Bezug

in Form von Werbung oder neuen Medien erkennbar. Lebensweltlich ist das

Thema Visuelle Poesie dementsprechend nah an dem der Grundschüler_innen.

Die Bilder der Visuellen Poesie jedoch versperren sich der Eindeutigkeit, die dem

alltäglichen Aufkommen von Schrift- und Bildkonstruktionen innewohnt. Sie

zeichnen sich durch ihre Mehrdeutigkeit aus und dadurch, dass sie auf die Schrift-

und Bildwirkung aufmerksam macht.

Die Gewohnheit der Grundschulkinder Bilder nicht zu hinterfragen, kann zum

Problem werden. Erich Straßner formuliert es treffend: „Die Pädagogik wendet

ihnen wenig Aufmerksamkeit zu, erzieht kaum im Hinblick auf eine

ˏBildkompetenz´. So sind die meisten Schulabgänger ˏpiktorale Analphabeten.“261

Visuelle Poesie kann jedoch die Auseinandersetzung sowohl mit Bildern, als auch

mit Sprache, deren Inhalte und Kontextbezüge anregen. Grundschulkinder können

die Visuelle Poesie und deren Machart durchschauen und sie erforschen. Sie

258 Maltrovsky 2004, S. 15. 259 Peez 2011, S. 13. 260 Uhlig 2005, S. 43. 261 Straßner 2002, S. 16.

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„liefert keine ergebnisse. Sie liefert den prozess des findens.“262

Dieser Prozess ist

auch anwendbar auf die mediale Lebenswelt der Kinder und kann die

Bildkompetenz in dieser Hinsicht stärken.

Grundschulkinder hinterfragen die Schrift nicht. Es sollte ihnen bewusst gemacht

werden, dass Sprache wie wir sie kennen, nichts Gegebenes ist, sondern eine

Normsetzung zur Verständigung. „die sprache ist ein verständigungsmittel,

keineswegs allerdings ein starr fixiertes. ihre vielfalt zeigt sich in den zahlreichen

verschiedenen sprachen und schriften.“263

Kindern ist dies nicht bewusst. Eine

Auseinandersetzung mit dem Gelernten, der Norm entsprechendem Schreiben

kann sie zu einem tieferen Verständnis von Schrift, deren Lesbarkeit und den

Kontexten, in denen sie zu finden ist, führen. Die Schüler_innen einer vierten

Grundschulklasse können das System mittels Visueller Poesie in Frage stellen und

mit dem System experimentieren. Die Grenzen von Sprache und Verständigung

können ausgetestet werden. Dabei ist jedoch Folgendes zu beachten:

in der visuellen poesie geht es nun nicht etwa darum, diese

selbstverständlichkeit zu diffarmieren und das verhältnis zur sprache zu verfremden, als sei der vetraute umgang mit ihr etwas, das

eigentlich nicht sein sollte.264

Sie betont jedoch die Differenz von Bezeichnendem und Bezeichnetem mittels

Schrift, Fläche und Bildelementen. Die Konventionen der Schrift werden deutlich

und eine Auseinandersetzung mit dem gerade Erlernten kann durch Visuelle

Poesie angeregt werden. Ein kritischer Umgang mit dieser kann folglich ein

Nachdenken seitens der Schüler_innen nach sich ziehen und diese zu einem

tiefergreifenden Verständnis führen.

3.4.Möglichkeiten der Vermittlung von Visueller Poesie:

Kunstpädagogische Positionen im Vergleich

Wie die Vermittlung von Kunst am besten im Unterricht gelingen kann, dazu gibt

es verschiedene Positionen. Zwei von ihnen sollen hier vorgestellt werden und auf

ihre Umsetzung mit dem Unterrichtsthema Visuelle Poesie geprüft werden.

262 Bremer 1974, S. 101. 263 Heinz Gappmayr (1996): zur ästhetik der visuellen poesie. In: Eugen Gomringer (1996):

visuelle poesie. Stuttgart: Reclam, S. 145. 264 Ebd.

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Als erste Position wird die von Gunter Otto und Maria Otto herangezogen. Gunter

Otto ist dafür bekannt, dass er „sich seit den 50er Jahren intensiv darum bemühte,

das Fach Kunst in der Schule gleichwertig zu anderen Fächern zu etablieren und

zu verankern.“265

Danach soll ein neueres Konzept geprüft werden. In diesem Fall

wird die Ästhetische Forschung nach Helga Kämpf-Jansen Ausgangspunkt sein,

um aufzuzeigen, wie sich ein Kunstunterricht mit dem Unterrichtsthema Visuelle

Poesie unter diesem Aspekt gestalten könnte.

3.4.1. Visuelle Poesie als Ausgangspunkt

Wie wäre ein Unterricht denkbar, der mit der Visuellen Poesie beginnt, der also

Kunst an den Anfang stellt und von hier aus die Prozesse der Schüler_innen

veranlasst? Ein Konzept, der diese Form des Kunstunterrichts möglich macht, ist

der Prozess des Auslegens von Bildern nach Gunter und Maria Otto.

3.4.1.1.Auslegen von Bildern nach Gunter und Maria Otto

Gunter Otto vertritt eine kunstpädagogische Position, die den Kunstunterricht an

Bildern266

vorsieht. In Auslegen. Ästhetische Erziehung als Praxis des Auslegens

in Bildern und des Auslegens von Bildern stellen er und seine Frau Maria Otto

Unterrichtsbeispiele vor, die sich von Bildern her aufbauen. Es handelt sich um

eine Position, die im Kunstunterricht, Bilder in den Mittelpunkt der Handlungen

der Schüler_innen stellt. Am Anfang des Unterrichts nach Otto steht demnach

immer das Bild, welches von den Schüler_innen betrachtet wird oder das Bild,

welches von Schüler_innen produziert wird. „Unter Auslegung werden Prozesse

des Bildermachens und Prozesse des Bildverstehens zusammengesehen.“267

265 Kirchner 2009, S. 50. 266 Unter dem Begriff Bilder haben laut Otto und Otto „[a]lle visuellen, bildhaften Phänomene der

Lebenswelt […] Anrecht, im Kunstunterricht behandelt zu werden […]“ Aus: Peez 2012, S. 66.

Otto und Otto machen keine Unterschiede zwischen Bildern. Sie beziehen sich auf einen

erweiterten Kunstbegriff und somit finden nicht lediglich Werke der bildenden Kunst Einzug in

seine Unterrichtsbeispiele, sondern auch Bilder des Alltags. „Ebenso meint die Rede von Bildern

immer den gesamten Bereich der Bildproduktion, der Plastik und der Architektur, der «äußeren»

Bilder also- aber ebenso den der «inneren» Bilder.“ Aus: Gunter Otto / Maria Otto (1987):

Auslegen. Ästhetische Erziehung als Praxis des Auslegens in Bildern und des Auslegens von

Bildern. Seelze: Friedrich, S. 16. 267 Otto / Otto 1986, S. 10.

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53

Sowohl die Rezeption als auch die Verarbeitung von Gesehenen ist Teil des

Prinzips von Otto und Otto.

All das ist […] gerechtfertigt, wenn es nicht nur zum Nachdenken

über sich selbst oder über irgendetwas, sondern zu Fragen an das Bild

führt, zu Fragen, die in das Bild hineinführen, zu immer differenzierter werdenden Aufmerksamkeit für das, was auf dem Bild zu sehen ist.

268

Ein tieferes Verständnis für das Bild, welches Unterrichtsgegenstand ist, ist im

Zuge des Konzepts nach Otto und Otto demnach Ziel des Auslegens von Bildern.

Damit einhergehend soll die_der Betrachter_in etwas über sich selbst und

ihre_seine Welt bei der Auslegung des Bildes erkennen. Im Vergleich zu vielen

anderen kunstpädagogischen Positionen ist hier das Bild der Ausgangspunkt des

Unterrichts und somit laut Otto Schwerpunkt der ästhetischen Erziehung.269

Es

wird deutlich, dass Otto das Auslegen von Bildern also das Herstellen, die

Betrachtung und Deutung von Kunstwerken oder alltäglichen Bildern als zentrales

Element des Kunstunterrichts betrachtet.270

Otto betrachte das Auslegen von

Bildern als erlernbar, es ist jedoch von Mehrdeutigkeit bestimmt.271

Die

erlernbaren Schritte sind Prozeduren wie „[s]ehen, sprechen, sammeln, machen

und verstehen […].“272

Diese sind demnach im Rahmen des Kunstunterrichts der

Grundschule anzustrebende Fähigkeiten.

Otto und Otto setzen den Begriff Auslegung mit dem Begriff der Interpretation

gleich.273

Auslegung sei lediglich das ältere Wort der beiden Synonyme.274

Sie

verstehen hierunter „eine allgegenwärtige, tägliche Praxis. Wir legen aus, was wir

wahrnehmen, legen schon beim Wahrnehmen aus, vor jedem Bild und bevor wir

uns ein Bild machen.“275

Es ist demnach ein unabwendbares Handeln, wenn

Schüler_innen mit Bildern konfrontiert werden. Unbewusst verknüpfen

Schüler_innen das Gesehene mit eigenen Erfahrungen und somit mit anderen

Bildern, die sie zuvor wahrgenommen haben. Diese Verknüpfungen haben

Erkenntnispotenzial. Sie können mit neuen Bildern lernen, ihre Lebenswelt

268 Otto / Otto 1986, S. 60. 269 Ästhetische Erziehung meinte eine „[…] Erziehung mit und durch Kunst […].“ Aus: Peez

2012, S. 63. 270 Vgl. Peez 2012, S. 64. 271 Vgl. ebd. 272 Otto / Otto 1986, S. 10. 273 Vgl. ebd., S. 22. 274 Vgl. ebd. 275 Ebd., S. 34.

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andersartig wahrzunehmen und sie zu hinterfragen. Bilder auslegen berge die

Möglichkeit, „die Welt der Bilder mit der eigenen Lebenswelt verbinden […]“276

zu können. Die Auseinandersetzung mit Bildern hat dementsprechend immer

einen Bezug zur eigenen Lebenswelt des_der Herstellenden oder des_der

Rezipienten_in.

„Wer Bilder macht, legt die Welt aus, die Welt, in der er handelt, er legt sein

Verhältnis zu der Welt aus, in der er lebt.“277

So beschreiben Otto und Otto die

Wirkung, die die Tätigkeit des Bildermachens hervorbringen kann. Interpretation

würde nicht lediglich durch sprachliche Äußerungen geschehen, sie seien auch im

Medium der bildenden Kunst denkbar.278

Das heißt die Auseinandersetzung mit

der Rezeption eines Bildes kann mithilfe künstlerischen Handelns erfolgen.

„Bildermachen wird mithin zur Handlungskonsequenz vorausgegangener

Wahrnehmungen und löst zugleich neue Wahrnehmungsprozesse im sozialen

Zusammenhang aus.“279

Die Verarbeitung von Bildern kann ein weiteres Bild

sein. Die Auseinandersetzung mit Bildern kann mit künstlerischem Handeln zum

Verständnis von Bildern beitragen. Hierbei fordern Otto und Otto: „Schluß mit der

Tabuisierung der Mehrzahl alltäglicher ästhetischer Verhaltensweisen – wie

abmalen, durchpausen, in Bilder hineinmalen und was es sonst alles noch geben

mag.“280

Sie fordern einen Umgang mit Bildern, bei denen die Schüler_innen das

Bild und dessen Eigenheiten nutzen, um damit ihr eigenes Bild zu gestalten. Otto

und Otto erklären, dass so „die Reaktionen auf die angebotenen Bildwerke bis in

den Einzelfall ebenso einfallsreich und voll von produktiver Phantasie sind wie

bei den Künstlern.“281

Sie sprechen somit dem künstlerischen Handeln der

Schüler_innen ein großes Potenzial zu.

„Bilder sind Medien der Aufklärung, der Erkenntnis und der Information, des

Genusses, aber auch der Herrschaft und der Manipulation.“282

Wir begegnen ihnen

ständig im Alltag. Ihre Manipulation zu durchschauen und ihnen mit einem

analytischen Blick zu begegnen ist ebenso Ziel des Konzepts nach Otto und Otto.

276 Otto / Otto 1986, S. 20. 277 Ebd. 278 Vgl. ebd., S. 23. 279 Ebd., S. 25. 280 Ebd., S. 211. 281 Ebd., S. 213. 282 Ebd., S. 20.

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Otto und Otto betonen, dass das Wahrnehmen eines Bildes Grundlage des

Auslegens sei.283

Wahrnehmung ist auf Realitäten bezogen; Wahrnehmung verweist in

der Regel auf soziale Zusammenhänge: auf Zu- und Abwendung, auf

Verständnis für das Bedürfnis oder die andersartigen Vorstellungen eines Partners; Wahrnehmung konstituiert, Nichtwahrnehmung

zerstört soziale Zusammenhänge; Wahrnehmung wird erst durch

Sprache sozial […].284

Die im Zuge des Auslegens stattfindende Wahrnehmung verlangt demnach den

Austausch mit anderen über das Wahrgenommene. Beim Wahrnehmen des Bildes

solle die_der Rezipient_in das Bild und dessen Informationen verarbeiten.285

„[D]ieser Prozeß tendiert zur Einbeziehung mehrerer Sinnesbereiche, ist

sprachabhängig, realitätsbezogen, offen für Handlungen und sozial gebunden.“286

Selber Bilder machen ist dementsprechend ebenso bedeutsam wie das Sprechen

über Bilder.287

Zudem ist neben dem Betrachten und Herstellen von Bildern, das

Sammeln von Bildern eine weitere Form des Auslegungsprozesses.

Bildersammeln ist eine Vermittlungshandlung zwischen Bilder sehen

und Bilder »merken«, nämlich, womit was zu tun hat, welche

Alternativen es gibt, was dazugehört oder entgegengesetzt ist.288

Das Sammeln könne auch erst eine Auslegung bzw. eine Auseinandersetzung mit

Bildern notwendig machen.289

Es verknüpft Bilder und kann neue

Zusammenhänge aufzeigen, die bei der Wahrnehmung einzelner Bilder nicht

deutlich wird. „Sammeln heißt, einen Auswahlgesichtspunkt wichtig machen,

heißt isolieren, vergleichen, gegenüberstellen und unterscheiden.“290

Sehr wichtig ist nach Otto und Otto das Betrachten und sich austauschen über

Bilder. „Bevor gezeichnet, gesprochen, gesammelt werden kann, wird das Bild

283 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 24. 284 Ebd., S. 25. 285 Vgl. ebd. 286 Ebd. 287 Vgl. ebd., S. 25ff. 288 Ebd., S. 25f. 289 Vgl. ebd., S. 29. 290 Ebd.

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wahrgenommen, gesehen, betrachtet.“291

Bei der Betrachtung würden die

Rezipienten_innen das Bild in ihren eigenen Sinnzusammenhängen einordnen.292

Ihre_Seine Vorerfahrungen sind Teil der Betrachtung des Bildes und somit Teil

des Auslegungsprozesses selbst. Otto und Otto plädieren daher dafür, diese

Sinnzusammenhänge für den Verstehensprozess zu nutzen und „nicht die

didaktisch unproduktive Annahme, daß Menschen vor einem Bild das

Vorverständnis und die vorfabrizierte Auslegung eines Lehrers oder

Museumsführers […]“293

als gegebene Interpretation annehmen. Dieses

Verknüpfen von persönlichen Sinnzusammenhängen mit einem Bild nennen Otto

und Otto das bilden eines Percepts.294

„Percepte bildet jeder im

Wahrnehmungsprozeß.“295

Bei der Bildung eines Percepts ist es nicht lediglich

wichtig, was das Bild darstellt, sondern „was der Betrachter, mit dem, was er

sieht, verbindet.“296

Es seien die persönlichen Vorstellungen, die mit dem Bild

zusammen das Percept bilden und somit zu Verstehensprozessen führen

würden.297

Diese Percepte seien „gedanklich, verbal oder visuell“298

möglich. Das

heißt die Percepte, die Schüler_innen bilden sind sowohl für diese artikulierbar,

als auch darstellbar. Sie können jedoch als Gedankengut bei den Schüler_innen

selbst bleiben und nicht nach außen hin getragen werden. Das Sprechen über

Bilder birgt jedoch die Chance andere Percepte kennen zu lernen und das eigene

zu überdenken. Gleiches gilt für die künstlerische Auseinandersetzung mit einem

betrachteten Bild, da es die eigenen Vorstellungen und Verstehensprozesse zum

Bild deutlich macht. Nach der Perceptbildung werden die Kontexte des Bildes Teil

der Auslegung. Kontexte „können aus Bildern oder aus Texten bestehen, die auf

Bilder verweisen, zu Bildern hinführen.“299

Hintergrundinformationen zur_zum

Künstler_in, zu der Entstehungszeit und den gesellschaftlichen Umständen sind

Bestandteil des Kontextes in welchem das Bild auszulegen ist. „Perceptbildung

291 Otto / Otto 1986, S. 50. 292 Vgl. ebd. 293 Ebd., S. 51. 294 Vgl. ebd. 295 Ebd., S. 83. 296 Ebd., S. 51. 297 Vgl. ebd. 298 Ebd. 299 Ebd., S. 83.

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57

und Kontextbildung sind Auslegungsschritte.“300

Der Verstehensprozess basiert

auf diesen einzelnen Schritten.

Das Konzept von Otto und Otto beruht auf einen offenen Kunstbegriff, offenem

Unterricht und offene Medien im Unterricht sowie auf entdeckendem Lernen.301

Mit diesen Grundhaltungen kann das Auslegen von Bildern zu einem Prozess des

Austausches mit anderen Schüler_innen werden. Diese Prinzipien lassen die

Mehrdeutigkeit des Auslegens von Bildern zu. Eine Ergebnisoffenheit im

Unterricht wird begünstigt. Dennoch sind die Beispiele, die Otto und Otto

anführen immer auch durch Anleitungen durch die Lehrkraft geprägt.

Eine Kritik an Ottos Position

ist die (Be-)Nutzung der Kunst für Lehr- und Lernprozesse, ohne die

Kunst autonom als Kunst anzuerkennen, die in ihren zentralen Anteilen in Auslegungsprozessen weder gelehrt noch verstanden

werden kann.302

Denn Kunstwerke haben eine andere Wirkungsweise wie Bilder des Alltags und

deren Besonderheiten wird ein Kunstunterricht nach Otto und Otto nicht gerecht.

Wenn die bildende Kunst nicht Teil des Unterrichts ist, können Schüler_innen

auch nicht die Besonderheiten dieser kennen lernen. Die Visuelle Poesie ist jedoch

Teil der bildenden Kunst, eine Auseinandersetzung mit der Visuellen Poesie im

Rahmen des Prinzips des Auslegens von Bildern nach Otto und Otto ist demnach

ein Unterricht, der dieser Kritik entgegenarbeitet. Im Folgenden soll daher ein

Unterricht, der mit dem Auslegungsprozess von Bildern der Visuellen Poesie

arbeitet, entworfen werden.

3.4.1.2.Auslegen von Visueller Poesie

Das Auslegen von Visueller Poesie kann sowohl im Deutsch- als auch im

Kunstunterricht stattfinden. Demnach ist ein fächerübergreifender Unterricht auch

nach Otto und Otto sinnvoll. Denn Gunter Otto beobachtete bereits, wie eine

elften Klasse „von Vorerfahrungen aus der Textinterpretation im

300 Otto / Otto 1986, S. 83. 301 Vgl. ebd., S. 15f. 302 Peez 2012, S. 66.

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58

Deutschunterricht […]“303

sich Wissen über die Herangehensweise bei der

Interpretation eines Kunstwerks herangezogen hat. Die Fächer und der Umgang

mit der jeweiligen Kunst des Faches haben dementsprechend übertragbare

Handlungsmuster im Umgang mit bildender Kunst. Die Fächer können

voneinander profitieren. Otto und Otto plädieren für einen fächerübergreifenden

Kunstunterricht, da dieser die ästhetische Erziehung fördere.304

Sie betonen bei

ihrem Prinzip des Auslegens zudem:

Auch wenn wir uns vor allem auf dem Lernbereich Ästhetische

Erziehung begrenzen, meinen wir ein weites Feld: Insonderheit

geraten dabei diejenigen Unterrichtsfächer in den Blick, die sich seit je auf Herstellungs- und Verstehensprozesse beziehen […].

305

Das Prinzip des Auslegens ist demnach auch auf literarische Texte anwendbar.

Otto und Otto beschreiben dies wie folgt: „Der hier gemeinte Vorgang, der auf

Bilder wie auf Texte bezogen werden kann, wird […] Auslegung genannt.“306

Das

Prinzip des Auslegens eignet sich demnach auch zur Anwendung auf Visuelle

Poesie, welche beide Elemente vereint.

„Kunst bedarf der Vermittlung durch das Initiieren ästhetischer Prozesse, um ein

Sich-Einlassen zu ermöglichen, ohne dass Unbekanntes sogleich abgelehnt

wird.“307

Dies ist der erste Schritt, der zu bedenken wäre, wenn

Grundschüler_innen Visueller Poesie begegnen. Die Bildauswahl muss sowohl

ansprechend als auch nicht zu befremdlich auf die Schüler_innen wirken.308

Ein

gelungener Austausch über Bilder kann dafür sorgen, dass die Schüler_innen den

neuen Bildern ohne Abwehr begegnen. Das Auslegen von Bildern ist eine

kommunikative Handlung.

Bilder auslegen ist ein Prozess, der nicht nur ohne subjektive

Reaktionen verarmt, sondern der auch auf das Potential produktiver

subjektiver Zugriffe nicht verzichten darf, weil diese Anlass zu

intersubjektivem Austausch sind und zugleich Wege in das Konzept des Bildes bahnen und Fragen nach seiner Bedingtheit (Allocation)

auslösen.309

303 Otto 1998 Bd. 2, S. 254. 304 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 16. 305 Ebd., S. 16. 306 Ebd. S. 22. 307 Kirchner 2009, S. 52. 308 Beispiele, wie eine solche Auswahl aussehen könnte, wurden bereits unter Punkt 2.5. genannt 309 Otto 1998 Bd. 2, S. 258.

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Das heißt, dass das bloße Betrachten von Visueller Poesie nur ein Teil des

Auslegens ist. Ein produktiver Umgang mit ihr kann Schüler_innen den

Verstehensprozess erleichtern. Denkbar wäre daher, dass ein Visuelles Gedicht am

Anfang eines Kunstunterrichts zunächst einmal von den Schüler_innen betrachtet

wird. Im Verlauf der Unterrichtseinheit müssen die Schüler_innen jedoch die

Chance erhalten sich mit dem Betrachteten auseinanderzusetzen.

Bei den Auslegungsprozeduren würden sich drei Verfahren hindurchziehen: Das

Betrachten und Sprechen über Bilder, das Machen von Bildern und das Sammeln

von Bildern.310

Es sind Verfahren, die den Schüler_innen als Instrumente der

Bildauslegung nach Otto und Otto im Unterricht gelehrt werden sollen. Diese drei

Verfahren sollen den Schüler_innen auch die Visuelle Poesie näher bringen

können, wie hier an Beispielen deutlich gemacht werden soll.

„Sprechen kann heißen: Schreiben, zuhören, was andere sagen oder schreiben,

diskutieren, auf das Bild beziehen; Aussagen am Bild prüfen…“ 311

Am Anfang

einer Unterrichtssequenz zum Thema Visuelle Poesie wäre daher zunächst ein

Unterrichtsgespräch über beispielsweise das Werk linksgehenrechtsstehen von

Safiye Can denkbar, in dem die Schüler_innen ihre Eindrücke schildern können.

„Bei solchem Sprechen müssen zunächst auch naive Rede und vormethodische

Reaktionen erlaubt sein, damit man einsehen kann, daß es weiterhilft, zu

sammeln, zu befragen, zu untersuchen, zu erinnern und zu verknüpfen- und sich

gegenseitig zu befragen.“312

Otto macht seine Thesen bezüglich des

Kunstunterrichts an verschiedenen Praxissituationen von Gruppen deutlich, die

sich mit Kunstwerken auseinandersetzten. Er schildert eine Unterrichtssituation,

in der er bewusst den mündlichen Austausch zwischen den Schüler_innen

abbricht.313

Er fordert stattdessen die Schüler_innen auf ihre Gedanken zum

besprochenen Kunstwerk aufzuschreiben. „Schreiben ermöglicht, dass jeder seine

Meinung ohne Druck einer Mehrheitsmeinung bilden und festhalten kann.“314

Dies wäre neben einem Unterrichtsgespräch ebenso bei der ersten Begegnung mit

einem Visuellen Gedicht denkbar. Bei der Interpretation des Werks würde

hierdurch die Mehrdeutigkeit deutlich werden, da die Schüler_innen von den

310 Otto / Otto 1986, S. 24. 311 Ebd., S. 104. 312 Ebd., S.28. 313 Vgl. Otto 1998, Bd. 2, S. 254. 314 Ebd.

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Deutungen der anderen nicht beeinflusst werden. Bei linksgehenrechtsstehen von

Safiye Can würden die Schüler_innen vermutlich die Konstellation auf ganz

verschiedene Alltagssituationen beziehen. Die Mehrdeutigkeit, die durch die

Schrift einhergeht, kann so nachvollzogen werden und ein wichtiges

Charakteristikum des Mediums Schrift, mit der die Visuelle Poesie arbeitet, würde

so deutlich werden. Auch eine mögliche Kombination aus vorherigem

Unterrichtsgespräch und nachfolgenden einzelschriftlichen Eindrücken wäre

denkbar. So würden auch schwächere Schüler_innen, die nicht den Aufbau des

Gedichts und den Zusammenhang von dem Wort Idiot und der darauffolgenden

veränderten Zeichenfolge direkt verstehen, eine Möglichkeit erhalten, sich mit

dem Werk näher auseinanderzusetzen. Sie würden auf Wort- und

Sinnzusammenhang des Werks aufmerksam gemacht werden und könnten sich

dann individuell auf Alltagssituationen besinnen. Otto betont die Wichtigkeit des

Austauschs mit anderen über Bilder. „Indessen bleibt auch das auf Wahrnehmung

und auf Handeln bezogene Sprechen mit Worten ein zentraler Aspekt der

Auslegung.“315

Im Austauschen über Bilder und den damit verbundenen

subjektiven Wahrnehmungen erkennen Otto und Otto einen wichtigen Schritt zum

Verstehen von Bildern. Das Unterrichtsgespräch ist somit wichtiger Bestandteil im

Auslegungsprozess. „Sprechen lernen ist dabei der Weg, um hinter das Bild und

die subjektive Bedingtheit der Rezeption zu kommen.“316

In Form des Unterrichts

mit dem Unterrichtsgegenstand der Visuellen Poesie ist die deutsche Sprache

somit sowohl Bestandteil des betrachteten Bildes als auch Bestandteil der

Auseinandersetzung über das Werk.317

Der Deutschunterricht muss daher ebenso

wie der Kunstunterricht auf die Unterrichtssequenz vorbereiten.318

Die These von

Otto und Otto lautet, dass im Kunstunterricht „auf Sprache gegenüber Bildern

nicht verzichtet“319

werden kann. Das Sprechen über Bilder sei laut Otto und Otto

315 Otto / Otto 1986, S. 27. 316 Ebd. 317 Natürlich ist auch ein fächerübergreifender Unterricht mit anderen Fächern wie dem

Englischunterricht denkbar, der wiederrum englischsprachige Poesie in den Blickpunkt nehmen

könnte. 318 Hier wäre eine Unterrichtseinheit zum Thema Lyrik denkbar. Die Besonderheiten an Gedichten

sollten die Schüler_innen zum Zeitpunkt dieser Unterrichtssequenz bereits kennen. Die Optik des

Visuellen Gedichts von Safiye Can ähnelt sehr dem Versaufbau von Gedichten. Dieser sollte den

Schüler_innen bekannt sein damit sie Leserichtung und Aufbau auf das linksgehenrechtsstehen

beziehen können. 319 Otto / Otto 1986, S. 52.

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der Aspekt ihres Konzepts, das am meisten Bedenken bei anderen aufweise.320

Grund sei, dass „Bilder etwas mitteilen, was man so nicht sagen könnte.“321

Interessant im Zuge dieser Arbeit ist, dass diese Kritik bei der Visuellen Poesie,

die durch den Rückgriff auf Schrift teilweise sehr konkret benennt, was sie

aussagen möchte, nur bedingt zutrifft. Es ist eine weitere Ebene, die bei der

Visuellen Poesie hinzukommt, wenn sich über das geschriebene Wort mündlich

ausgetauscht wird.

Otto und Otto plädieren für einen Kunstunterricht der „[…] Sprache als Moment

im Wahrnehmungsprozß […]“322

annimmt. Das heißt, die Schüler_innen sollen

ihre Wahrnehmungen mit Sprache anderen und sich selbst verständlich machen.

Die Differenz zwischen Bild und Sprache ist Otto und Otto hierbei bewusst, sie

betonen, „daß wir zu Bildern wohl immer nur sprachliche Äquivalente bilden

können, daß es zwischen Bild und Sprache nur Entsprechungen und keine

«Gleichungen» geben kann […].“323

Die Verschiedenheit der Medien wird durch

die Transformation ins jeweilige andere Medium erst deutlich.

Aber die Differenz zwischen dem Bild und dem, was ich darüber im

Medium der Sprache sagen kann, ist eine Grundgegebenheit der

Bildauslegung, die auch dem Betrachter bewußt werden muß.324

Die Schüler_innen merken dies vermutlich bereits in der vierten Klasse: Sie

können mit ihren Worten nicht das ausdrücken, wie sie das Bild wahrnehmen,

aber es hilft bei den Verstehensprozessen und ist dementsprechend Teil des

Auslegungsprozesses nach Otto und Otto.325

Wichtig bei der Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk ist laut Otto, dass die

Schüler_innen lernen Beliebigkeit in der Deutung von einer bildbezogenen

Subjektivität zu unterscheiden.326

Die Schüler_innen sollen nicht lernen zu

spekulieren wie ein Visuelles Gedicht die subjektive Wirkung erzielt, die es auf

sie hat, sondern analysieren lernen, wie diese Wirkung zustande kommt. Das

320 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 52. 321 Ebd. 322 Ebd. 323 Ebd., S. 53. 324 Ebd. 325 Überdies ist der Austausch über Bilder auch hinsichtlich des Deutschunterrichts förderlich, da

die Schüler_innen sich im Sprechen und dem damit einhergehenden Finden der richtigen Worte

ihren Wortschatz ausbauen und das Sprechen und Diskutieren mit anderen als

Kommunikationsform geübt wird. 326 Vgl. Otto Bd. 2, S. 256.

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Auslegen eines Visuellen Gedichts sollte begründbar sein und nicht ein beliebiger

Gedanke, bzw. der Gedanke kann ein Anfang des Auslegens darstellen, darf

jedoch nicht unreflektiert bleiben. Warum gewisse Schüler_innen das

linksgehenrechtsstehen mit gewissen Situationen verknüpfen sollten die

Schüler_innen daher benennen können. So erhalten sie die Möglichkeit ihre

Auslegung zu begründen und andere Schüler_innen bekommen die Chance die

Gedanken ihrer Mitschüler_innen nachzuvollziehen.

„Machen kann heißen: fotokopieren und übermalen, umgestalten und

ausgestalten, herstellen und verändern – natürlich auch: Wirkungen erproben und

beurteilen, Ausdruck herstellen und überprüfen…“327

Beim Bilder machen heben

Otto und Otto hervor, dass das Beherrschen von Verfahren zum Bilder machen im

Kunstunterricht gelehrt werden sollte.328

Das Beherrschen von Verfahren, um

Bilder zu malen, zeichnen oder anderweitig zu gestalten ist Grundvoraussetzung,

damit die Grundschüler_innen mit diesen Verfahren Visuelle Poesie selbst

anfertigen können.

Die Schrift ist in Bezug auf Visuelle Poesie eine wichtige Komponente. Wenn die

Schüler_innen Bilder auslegen und in diesem Zuge selbst Bilder der Visuellen

Poesie herstellen, ist die Schrift ein wichtiger Bestandteil. Wenn sie in der Schule

schreiben lernen, dann gilt „[a]ls ´schön geschrieben´ […] die Schrift, die der

Regel folgt.“329

Bei der Visuellen Poesie ist diese Normsetzung wie die Schrift der

Schüler_innen aussehen sollte eher hinderlich. Gunter Otto plädiert für ein freies

Arbeiten mit der Schrift, damit die_der Schüler_in „[…] Schreiben als Suche nach

Form erfahren kann, Form, die dem Inhalt korrespondiert und etwas vom

Schreibenden verrät.“330

Otto erklärt, dass das Schreiben in der Schule nicht

lediglich auf Lesbarkeit zielen solle, sondern der ästhetische Charakter der Schrift

als Bild erkannt werden könne.331

Grundschüler_innen werden im

Deutschunterricht meist zu einer sehr leserlichen Schrift angeleitet, die sehr auf

den inhaltlichen Aspekt der Schrift Wert legt. In einem Kunstunterricht, der

Visuelle Poesie als Gegenstand hat, ist es möglich den Schüler_innen ein

Bewusstsein für den ästhetischen Gehalt von Schrift näher zu bringen. „Also

327 Otto / Otto 1986, S. 104. 328 Vgl. ebd., S. 174. 329 Otto 1998 Bd. 3, S. 173. 330 Ebd., S. 174. 331 Vgl. ebd.

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sollten wir nicht nur nachdenken, was wir und wie wir schreiben, sondern auch

worauf und womit […].“332

Schrift als Bildgestaltung kann von den

Viertklässler_innen erprobt werden und eine Form der Bildauslegung darstellen.

Kalligrafien der Schüler_innen anfertigen zu lassen, wären beispielsweise im

Zuge einer Unterrichtseinheit zur Visuellen Poesie denkbar.

Es sind mehrere Formen im Unterricht vorzugehen durchführbar, die das eigene

Herstellen von Visueller Poesie ermöglichen. Eine Möglichkeit in das

Unterrichtsthema einzusteigen ohne vorab ein Bild der Visuellen Poesie zu

betrachten, wäre eine Arbeitsanweisung an die Schüler_innen, dass sie zu einem

Thema ein Bild gestalten sollen. Nach Otto und Otto wäre dies ein Einstieg, der

bevor die Schüler_innen mit Bildern von anderen konfrontiert werden, erfolgen

sollte und der auf die Vorstellungskraft der Schüler_innen aufbaut.333

Es wäre

möglich, den Schüler_innen einer vierten Grundschulklasse den Arbeitsauftrag zu

geben, ein Bild zu gestalten, welches gewisse Worte beinhalten soll und das

sowohl aus Schrift- als auch aus Bildelementen besteht. „[A]naloges, paralleles

Malen und Zeichnen verbindet auch mit der Arbeitssituation des ´Meisters´, führt

auch an die Probleme heran, die er lösen muß.“334

Ein anschließender Vergleich

der Bilder innerhalb der Schulklasse und ein darauffolgender Vergleich von

Künstler_innen der Visuellen Poesie, die sich ebenfalls auf diese Wörter als

Elemente in ihren Werken beziehen, könnte die Schüler_innen zum Sprechen über

Bilder auffordern. Das Machen von Bildern wäre so eine Form, die

Reflexionsmöglichkeiten im Anschluss böte. Die Lebenswelt der Schüler_innen

würde mit denen der anderen Schüler_innen und denen der Visuellen

Poeten_innen in Bezug gesetzt werden. Die Kontexte, in denen die Wörter ihren

Platz im zweidimensionalen Bild fänden, wären vermutlich sehr unterschiedlich.

Eine Tatsache, die wiederrum das Medium von Schrift und deren vielfache

Verwendung und Mehrdeutigkeit würde so bereits Grundschulkindern deutlich

werden. Beispielsweise könnte das Wort schweigen Ausgangspunkt der

Schüler_innenarbeiten sein. Eine daran anschließende Auseinandersetzung mit

Gomringers Werk wäre sinnvoll.

332 Otto 1998 Bd. 3, S. 178. 333 Ein Beispiel, das eine ähnliche Unterrichtssituation aufzeigt, ist zu finden in: Otto / Otto 1986,

S. 42. 334 Otto / Otto 1986, S. 54.

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Eine Arbeitsanweisung, die das Bildermachen im Bezug zur Visuellen Poesie

beinhalten würde, wäre außerdem, dass die Schüler_innen dazu aufgefordert

werden eine Landschaft mit ihren Gedanken mit Bild und Schrift zu gestalten.

Dazu dürften sie sich ein Thema, worüber sie sich viele Gedanken machen, selbst

aussuchen und bekämen dann die Aufgabe zu diesem Thema ein großes Blatt

Papier zu bemalen und zu beschreiben. Bedingung bei dieser Aufgabenstellung

wäre, dass sie sowohl schreiben als auch malen oder zeichnen, um ihre Gedanken

den anderen Schüler_innen deutlich zu machen. Ein anschließender Vergleich mit

dem Sprachblatt Entstehung einer Denklandschaft von Carlfriedrich Claus wäre

hiernach eine denkbare Fortführung der Unterrichtssequenz.

Eine weitere Möglichkeit Bilder zu machen und hierdurch die Schüler_innen die

Visuelle Poesie ergründen zu lassen, wäre, dass sie dazu aufgefordert werden

würden ein Visuelles Gedicht, wie beispielsweise schweigen von Eugen

Gomringer in ein Bild zu übersetzen. Das heißt, die Schriftelemente werden von

den Schüler_innen durch Bildelemente ersetzt. Das gebildete Percept zu

Gomringers Werk würde so deutlich werden und Unterschiede in der

Wahrnehmung der Schüler_innen in einem anschließenden Vergleich und/oder

Gespräch reflektiert werden können. So „geschehe im Umgestaltungsprozeß die

gedankliche Annäherung an ein Kunstwerk der Vergangenheit im Medium

konkreter Handlungen, praktischer (und nicht verbaler) Untersuchungen.“

Auch das Weitermalen eines Visuellen Gedichtes wäre eine mögliche Umsetzung

des Konzepts von Otto und Otto. Beispielsweise könnten die Viertklässler_innen

nur die Wörter Links gehen und Rechts stehen als Anlass erhalten ein Bild

herzustellen, das sowohl Schrift- als auch Bildelemente erhält. Ein abschließender

Vergleich mit dem Visuellen Gedicht von Safiye Can würde mit einer

tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Werk einhergehen, als eine

Betrachtung ohne ein vorheriges künstlerisches Handeln der Schüler_innen.

Eine Form das Percept, das sich ein_e Schüler_in gebildet hat, deutlich zu machen

ist das „[…] Abmalen, Übermalen, Weitermalen, Hineinmalen und das Malen

parallel zu Bildern […].“335

Mit diesen Methoden geht die These einher, dass es

den Schüler_innen das Kunstwerk näher bringen kann, wenn diese sich selbst mit

dem Bild künstlerisch beschäftigen. Sie würden somit das Bild aufmerksamer

335 Otto / Otto 1986, S. 53.

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wahrnehmen.336

Ein Hinein- und Übermalen des Werks Entstehung einer

Denklandschaft von Claus wäre demgemäß ebenso eine Möglichkeit, die

Gedanken des Künstlers weiter zu denken und sich vermehrt mit diesen

auseinanderzusetzen.

Im Sinne des Bilderauslegens nach Otto und Otto wäre es auch denkbar, den

Schüler_innen eine Kopie des Butterfly von Safiye Can zu geben. Auf der Kopie

könnten lediglich die feinen Linien der Flügel und der Fühler des Schmetterlings

abgebildet sein und nicht die Wörter. Diese Kopien könnten sie nach vorherigem

Betrachten und Besprechen des Werkes der Künstlerin selbst gestalten und mit

ihren eigenen Wörtern ihr eigenes Visuelles Gedicht in Anlehnung an das von Can

gestalten.337

„Sammeln kann heißen: Bilder oder Texte suchen, Ähnlichkeiten oder

Unterschiede identifizieren, neue Sichtweisen im Material entdecken, vergleichen,

ordnen und zuordnen.“338

Das Sammeln von Bildern ist eine weitere Prozedur des

Auslegens. Wir Sammeln Bilder sobald wir sehen können. Verknüpfungen und

Sinnzuweisungen von neuen Bildern nehmen wir immer mit Rückbindung an

vorher gesehenen Bildern wahr.

Zum Sammeln zählen Otto und Otto zudem das Sammeln von Texten zu Bildern.

Gunter Otto betont die hohe Relevanz bei der Kunstbetrachtung sich mit

Verstehenshilfen dem Werk zuzuwenden.339

Er vertritt diesbezüglich folgende

Auffassung: „Niemand kann alles auf Grund sinnlicher Wahrnehmung verstehen;

nichts erklärt sich auf Dauer aus sich heraus.“340

Wir brauchen Informationen zu

Bildern, um sie verstehen zu können. Wenn geschichtliche Bezüge zu Visueller

Poesie relevant sind, sollten sie laut Otto und Otto auch benannt und in den

Auslegungsprozessen beachtet werden. In der Grundschule wären aufgrund der

Tatsache, dass viele Themen wie die Weltkriege oder andere politische und

gesellschaftliche Situationen noch nicht Unterrichtsthema waren die

geschichtlichen Bezüge nicht im vollen Umfang mit in den Auslegungsprozess

einzubeziehen. Jedoch könnten sie in Ansätzen thematisiert werden. Texte zu

336Vgl. Otto / Otto 1986, S. 53. 337 Ein ähnliches Verfahren wie in: Otto / Otto 1986, S. 220. 338 Otto / Otto 1986, S. 104. 339 Vgl. Otto 1998 Bd. 2, S. 278. 340 Ebd.

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Bildern können Antworten geben, auf die Fragen, die ein Bild mit sich bringe.341

Bei der Visuellen Poesie gibt es kaum Texte, die einer vierten Klasse angemessen

wären. Die Lehrkraft sollte den Schüler_innen altersgemäße zusätzliche

Informationen zu den Werken bieten. Wichtig ist daher, dass die Lehrkraft die

Hintergrundinformationen altersgemäß vermittelt. Schüler_innen interpretieren

Bilder heute anders als noch vor einigen Jahren, da sich die gesellschaftlichen

Umstände verändern und mit ihnen der Blick auf Bilder. Das Auslegen von

Bildern ist immer an die Lebenswelt der Schüler_innen gebunden. Sie legen die

Bilder entsprechend aus. Bilder, die aus früheren Jahrhunderten stammen, werden

heute in einem anderen Kontext gesehen. Dies muss auch den Schüler_innen

während des Prozesses verständlich gemacht werden. „Bilder machen und Bilder

verstehen sind historische Kategorien.“342

Da sich die gesellschaftlichen

Umstände immer wieder verändern und mit ihnen der Blick auf Bilder, muss dies

den Schüler_innen vermittelt werden, damit sie ihren Blick auf Bilder in den

richtigen Kontext einordnen können.

Sammeln von Bildern wäre im Rahmen der Visuellen Poesie in der Form denkbar,

dass beispielsweise die Grundschüler_innen die Aufgabe erhalten zu Gomringers

Werk schweigen Bilder zu sammeln. Schweigen ist ein Wort, welches viele

Assoziationen zu Situationen hervorbringt. Es gibt evtl. Familienfotos der

Schüler_innen, auf denen geschwiegen wird, es gibt Werbung die nur mit

schweigenden Gesichtern und Text arbeitet und es gibt Comics, Mangas,

Emoticons, die die Schüler_innen aus ihrer eigenen Lebenswelt vermutlich zur

Genüge kennen. Wenn vor dem Sammeln solcher Bilder vorab ein

Unterrichtsgespräch darüber stattfindet, was Schweigen heißt, beziehungsweise

was Schweigen für die Schüler_innen bedeutet, kann deutlich werden, was diesen

Begriff ausmacht und was das Besondere an dem Wort ist. Somit ist ein Bezug zu

den gesammelten Bildern der Schüler_innen und dem Werk von Gomringer

mühelos durchführbar. So können Verknüpfungen zu den Bildern hergestellt

werden und die Paradoxie des Wortes Schweigen würde deutlich werden.

Das Sammeln von Bildern kann in Bezug zum Unterrichtsthema der Visuellen

Poesie, das Sammeln von verschiedensten Materialien darstellen, die Bild und

Text vereinen. Dazu können Werke der Visuellen Poesie selbst gesammelt und mit

341 Vgl. Otto / Otto 1986, S. 72. 342 Ebd., S. 23.

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den Eindrücken zu anderen alltäglichen Bildern verglichen und in Bezug gesetzt

werden. Die Besonderheiten der Visuellen Poesie würden durch diesen Vergleich

den Schüler_innen deutlich werden. Das Sammeln sei zudem „eine mentale

Haltung: ein Gedächtnis für Bilder haben, Bilder im Kopf haben, Betroffenheiten

nicht vergessen, neue Bilder mit alten und alte Bilder mit neuen verknüpfen.“343

Eine simple Zusammenstellung von Visueller Poesie, die von der Lehrkraft den

Schüler_innen gezeigt wird kann dies nicht leisten. Die Schüler_innen müssen

Bezüge zu den Bildern herstellen und sich mit ihnen auseinandersetzen.

Wie hier bereits umrissen gibt es eine Vielzahl von Methoden, die in dem

Auslegungsprozess nach Otto und Otto in Bezug auf Visuelle Poesie möglich

wären. „Ob die Auslegung die richtige Methode, also eine ergiebige Methode hat,

ob diese Vorgehensweise bei diesem Bild angemessen, adäquat, hinreichend

durchdacht ist – das entscheidet sich am Ergebnis, an der Vielfalt der

ausgeschnittenen Dimensionen und der gewonnenen Aufschlüsse.“344

3.4.2. Visuelle Poesie als Ziel

Die Visuelle Poesie und ihre Vertreter_innen betonen die experimentellen

Möglichkeiten, die Schrift bietet. Kinder der Grundschule, die, wie bereits

erläutert, ohnehin dazu neigen die Beschaffenheit der Schrift zu erforschen,

können die Idee von Visueller Poesie erfahren, ohne dass sie vorab mit ihr in

Berührung kommen. Das heißt, dass Schrift als Forschungsobjekt die

Schüler_innen zur Visuellen Poesie hinführen kann, ohne dass sie Werke der

Visuellen Poesie vorab kennengelernt haben. Hierzu soll im Folgenden der

kunstpädagogische Ansatz von Helga Kämpf-Jansen vorab dargestellt werden. Sie

hat mit ihrem Ansatz der ästhetischen Forschung den Kunstunterricht zu einem

Ort der Forschung erklärt und plädiert für einen sehr ergebnisoffenen Unterricht.

343 Otto / Otto 1986, S. 132. 344 Ebd., S. 104.

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3.4.2.1.Helga Kämpf-Jansen und die Ästhetische Forschung

„Es ist vielfach Ignoranz, Unfähigkeit oder vielleicht auch Angst ganz andere

Formen ästhetischer Aktivitäten in Gang zu setzen.“345

Diesen Widerwille gegen

ganz neue und andere Formen des Kunstunterrichts, wie er traditionell stattfindet,

widersetzt sich dem Ansatz des Ästhetischen Forschens nach Kämpf-Jansen.

„Ästhetische Forschung distanziert sich von einem Unterricht, der pausenlos

Antworten gibt, ohne dass Fragen gestellt werden.“346

Kämpf-Jansen sei es

wichtig, dass Schüler_innen im Kunstunterricht etwas erforschen und

Zusammenhänge verstehen würden, anstatt dass sie nach genauen Vorgaben der

Lehrkräfte Bilder herstellen, zu denen sie keinen Bezug hätten.347

Es

sind Formen des Erarbeitens, Forschens, Recherchierens,

Experimentierens und Präsentierens eigen, die einen neuen immer

anderen Blick auf die Gegenstände von Kunst und Alltag ermöglichen und andere geistige Dimension [sic!] eröffnen. Hier liegen die

Grundlagen des Konzepts ´ästhetischer Forschung´348

Kämpf-Jansen spricht sich gegen eine strikte Trennung von künstlerischer und

wissenschaftlicher Arbeit aus.349

Alltägliche Erfahrungen, Kunst, aber auch

wissenschaftliches Arbeiten werden in diesem Konzept miteinander verknüpft. So

“vertritt sie ein ästhetisches Bildungskonzept, das auf die Bündelung

verschiedener menschlicher Erkenntnisweisen setzt.“350

Durch die ästhetische

Auseinandersetzung mit Kunst und der Wahrnehmung von Kunst könnten

Sehgewohnheiten im alltäglichen Leben beeinflusst werden.351

Die Sicht auf

Alltägliches wird durch die Erfahrungen, die das ästhetische Handeln mit sich

bringt verändert. Es bedingen sich dementsprechend die alltäglichen Erfahrungen

mit den ästhetisch forschenden Handlungen.

345 Helga Kämpf-Jansen (2000): Ästhetische Forschung. Aspekte eines innovativen Konzeptes

ästhetischer Bildung. In: Manfred Blohm (Hrsg.): Leerstellen. Perspektiven für ästhetisches

Lernen in der Schule. Köln: Salon, S. 84. 346 Seydel, 2006, S. 39 347 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 83. 348 Ebd., S. 96f. 349 Vgl. ebd., S. 97. 350 Marie-Luise Lange (2006): Der essenzielle Klang eines jeden. In: Manfred Blohm u.a. (Hrsg.):

Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-Jansen. München: kopaed, S.

90. 351 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 92.

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Schrift ist ein alltägliches Phänomen, das sich als Forschungsgegenstand im

Rahmen Ästhetischer Forschung eignet. Jede_r Schüler_in hat einen Text, ein

Wort oder ähnliches, das sie_ihn aus ganz persönlichen Gründen zur Forschung

anregt. Kämpf-Jansens These diesbezüglich lautet: „Folgen Kinder und

Erwachsene ihren persönlichen Interessen, sind die ästhetischen Handlungsweisen

nie armselig reduziert […].“352

Es handelt sich bei der Ästhetischen Forschung, um einen ergebnisoffenen

Unterricht, der je nachdem in welche Richtungen die Ästhetischen Forschungen

verlaufen, sehr unterschiedliche Resultate hervorbringen kann. Das Ergebnis ist

jedoch bei der ästhetischen Forschung nicht der Fokus der Arbeit, sondern die

Forschung selbst. Das Forschen ist zwar auf ein Ziel, also ein ausstellbares

Endprodukt, welches die Forschung wiederspiegelt, ausgerichtet, soll jedoch

hauptsächlich den Forschenden ästhetische Erfahrungen ermöglichen.

„Ästhetische Forschung hat nur Sinn, wenn man sich auf den Weg begibt, ohne

ein bereits vorhersehbares Ergebnis erhalten zu wollen.“353

Die unterrichtliche

Durchführung ist daher mit einem gewissen Risiko einhergehend. Jedoch bietet

sie auch Chancen, die konventioneller Kunstunterricht nicht bieten kann. Sie

zeichnet sich somit durch „andere Formen der Erkenntnis jenseits der Vernunft ab,

über andere Zugänge und ein anderes Begreifen der Welt“354

aus.

„Im Konzept Ästhetischer Forschung hat das Lesen und das Schreiben von Texten

einen neuen Stellenwert und steht selbstverständlich neben allen anderen

ästhetischen Ausdrucksformen.“355

Es kann Grundlage der Forschung sein, sie

jedoch auch lediglich begleiten. Im Zuge des Konzepts nach Kämpf-Jansen haben

die Schrift und der Umgang mit Texten eine hohe Relevanz, um Erkenntnisse über

das eigene Handeln zu erlangen.

Ästhetische Forschung hat – wie alle Forschung – nur Sinn, wenn die Forschenden eine Frage haben, an einer Sache arbeiten wollen, die sie

schon längst interessiert, einer Idee folgen, ein ihnen wichtiges

Vorhaben verwirklichen wollen.356

352 Helga Kämpf-Jansen (2006): Ästhetische Forschung – Fünfzehn Thesen zur Diskussion. In:

Manfred Blohm u.a. (Hrsg.): Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-

Jansen. München: kopaed, S. 33. 353 Ebd., S. 35. 354 Ebd., S. 36. 355 Ebd., S. 35. 356 Kämpf-Jansen 2000, S. 98.

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Motivierende Themen, die eine forschende Haltung der Schüler_innen begünstigt

sind demnach unerlässlich. Schrift ist wie bereits beschrieben, ein Phänomen zum

Zeitpunkt der vierten Schulklasse, dass die Schüler_innen ohnehin zu forschenden

Handlungen und Experimenten anregt.

3.4.2.2.Schrift als Anreiz Ästhetischer Forschung

Am Anfang steht eine Frage, ein Gedanke, eine Befindlichkeit; ein Gegenstand, eine Pflanze, ein Tier; ein Phänomen, ein Werk, eine

Person – fiktiv oder authentisch, eine Gegebenheit oder Situation; ein

literarischer Text, ein Begriff, ein Sprichwort oder anderes.357

Im Sinne der Visuellen Poesie wäre der Ausgangspunkt der Visuellen Poesie

demnach ein Schriftstück, d.h. ein Wort, ein Satz, ein Gedicht, ein Text oder ein

Buch. Es könnte jedoch ebenso etwas Gegenständliches oder eine Emotion sein,

die mit Hilfe von Schrift und anderen Medien erforscht werden kann. Die Schrift

formt sich im Zuge der ästhetischen Forschung zu etwas Neuem. Etwas, das die

Schüler_innen erforschen. Der Sinn der Ästhetischen Forschungen der einzelnen

Schüler_innen erfolgt nicht durch eine Lehrkraft, sondern würde von den

Forschenden selbst gegeben werden.358

Das heißt, die Lehrkraft sollte möglichst

wenig Einfluss auf die Ästhetischen Forschungen der Schüler_innen ausüben.

Eine Ästhetische Forschung hat immer einen persönlichen Bezug und ist durch

das persönliche Interesse der_des Schülers_in bestimmt.

Als problematisch bei der Durchführung von Ästhetischer Forschung im

Kunstunterricht einer vierten Grundschulklasse kann es sich herausstellen, dass

sich Ästhetische Forschung durch eine hohe Eigenständigkeit und

Selbstverantwortung auszeichne.359

Dieser Aspekt ist gewiss von Vorteil für die

Schüler_innen, da die Ästhetische Forschung somit auch deren Selbstständigkeit

fördert. Jedoch sollte eine Lehrkraft abwägen inwiefern die Schüler_innen einer

vierten Klasse diese Selbstständigkeit leisten können.360

Auch dass der Arbeitsort

der Ästhetischen Forschung frei wählbar sein solle, wie es Kämpf-Jansen fordert,

357 Kämpf-Jansen 2000, S. 98. 358 Vgl. Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 359 Vgl. Kämpf-Jansen 2000, S. 98. 360 Die Schüler_innen sollten dementsprechend eigenständiges Arbeiten gewohnt sein und mit

solchen Aufgabenstellung demgemäß umgehen können. Den Drang etwas zu erforschen bringen

Kinder bekanntermaßen mit, die Schule muss diesen im Rahmen des Unterrichts jedoch weiterhin

fördern.

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ist schwierig innerhalb der örtlich gebunden Schule umzusetzen und daher nur

bedingt übertragbar auf das hier dargestellte Beispiel.361

Auch die Forderung von

Kämpf-Jansen, dass „alle Vorgehensweisen subjektiv bedacht, emotional begleitet,

auf vielfache Weise fixiert und kommentiert“362

werden sollen, ist zwar im

Rahmen einer vierten Klasse möglich, jedoch müsste dies vermutlich in einem

kleineren Rahmen geschehen, als dies in den von Kämpf-Jansen aufgeführten

Beispielen erfolgt. Trotz dieser Schwierigkeiten, die durch den institutionellen

Rahmen gegeben sind, ist eine Ästhetische Forschung bereits in der Grundschule

denkbar. Wie Schrift in Form von Ästhetischer Forschung im Kunstunterricht

einer vierten Grundschulklasse Einzug erhalten kann, soll nachstehend skizziert

werden.

Um eine Ästhetische Forschung von Schrift zu inszenieren, wäre es ein

denkbarerer Unterrichtseinstieg eine Sammlung zu organisieren, die verschiedene

Quellen von Schrift beinhaltet. Beispielsweise Bücher, Zeitschriften, Zeitungen,

Werbung, Schulaufgabenhefte der Schüler_innen, Briefe der Schüler_innen,

Freundschaftsbücher der Schüler_innen, Klassenarbeiten, Einkaufsbelege,

Notizzettel, Karteikarten, Verpackungen, Fotografien von Schrift im Alltag,

Eintrittskarten und vieles mehr. Diese Sammlung könnte von der Lehrkraft

zusammengestellt werden, jedoch wäre es auch möglich und eher dem Konzept

des Ästhetischen Forschens entsprechend, wenn die Schüler_innen selbst dazu

aufgefordert werden Schriften zu sammeln, zu denen sie einen Bezug haben. Das

kann in diesem Fall sowohl Schrift sein, mit denen die Schüler_innen Hobbys,

Ereignisse, Emotionen oder ähnliches verbinden als auch Schrift, die sie

ästhetisch anspricht und die sie daher in ihre Sammlung aufnehmen möchten. Der

Fokus liegt hier auf „dem Sammeln, dem Ordnen, dem Dekorieren, dem

Arrangieren und Präsentieren all der Dinge, die man persönlich für schön oder

bedeutsam erachtet.“363

Damit einhergehen solle eine Frage der Schüler_innen.364

Forschung, sowohl wissenschaftlicher als auch ästhetischer, bedürfe einer

Motivation, die die Kinder dazu anregen würde etwas zu erarbeiten.365

361 Vgl. Kämpf Jansen 2006, S. 35. 362 Kämpf-Jansen 2000, S. 101. 363 Ebd., S. 99. 364 Vgl. Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 365 Vgl. ebd.

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Zudem wäre eine Sammlung von Schreib-, Gestaltungs- und Malutensilien

bereitzustellen. Beispielsweise Bleistifte, Buntstifte, Kreide, Deckfarben,

Abtönfarben, Tusche, Kohle, Stempel, Pappe, Papier, Textilien, Naturmaterialien

und vieles mehr, welches die Schüler_innen anregen könnte. Es müssen viele

Verfahren möglich sein, um den Ideen und Forschungsansätzen der Schüler_innen

wenig Grenzen zu setzen. Die ästhetische Forschung „bedient sich aller zur

Verfügung stehender Verfahren, Handlungsweisen und Erkenntnismöglichkeiten

[…].“366

Die Methode, wie die Schriftelemente ins Bild gesetzt werden oder wie

Bilder mit Schriften kombiniert werden oder wie Schriftelemente und

Bildelemente miteinander in Bezug gesetzt werden, soll Gegenstand der

Forschung sein und nicht Vorgabe der Lehrkraft durch ein vorgegebenes

Verfahren.367

Die Formulierung des Arbeitsauftrages ist zweifellos beim Ästhetischen Forschen

in einer vierten Klasse wichtig, um die Schüler_innen nicht zu überfordern. Den

Schülern_innen muss deutlich gemacht werden, dass sie mit der Sammlung an

Schriften oder anderem Material etwas herstellen sollen. Das Endprodukt ist

jedoch nicht im Fokus bei dem Ästhetischen Forschen. Da jedoch die Visuelle

Poesie im Anschluss der Unterrichtseinheit des Ästhetischen Forschens

Unterrichtsthema sein soll, kann es als Ziel des Unterrichts formuliert werden,

dass die Schüler_innen ein oder mehrere zweidimensionale Bilder mit Schrift

gestalten sollen oder aber ihre Forschungsergebnisse anderweitig ihren

Mitschüler_innen präsentieren müssen.368

Weitere Einschränkungen sind nicht im

Sinne des Ansatzes nach Kämpf-Janßen, demnach ist diese Arbeitsanweisung

durchaus die einzige, die an die Schüler_innen gerichtet werden sollte. Den

Schüler_innen sollte dann genügend Zeit eingeräumt werden, um das Material zu

erforschen. Sie würden ihre Schrift erforschen, sowohl die eigene als auch die

verschiedenster Materialien und diese nach ihren ästhetischen Urteilen auf dem

Bild anordnen und in Beziehung setzen. Ihre eigene Handschrift,

Computerschriftarten, Zeitschriftenartikel und Illustrationen: All dies sollen die

366 Kämpf-Jansen 2000, S. 101. 367 Nicht nur im Zuge einer Ästhetischen Forschung, sondern generell steht bei der Visuellen

Poesie nicht das Erlernen einer bestimmten künstlerischen Technik im Fokus des Unterrichts. Die

Prinzipien der Visuellen Poesie sind Mittelpunkt des Unterrichts. Daher kann die Technik frei

wählbar für die Schüler_innen bleiben. Sie können sich an erlernte Techniken aus den vorherigen

Kunststunden zurückbesinnen oder sich durch die Visuelle Poesie zu neuen Techniken inspirieren

lassen. 368 Collagen, Notizen oder ähnliches.

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Schüler_innen für sich entdecken, neu ordnen und in neue Kontexte verorten und

kombinieren. Denkbar wären zweifellos Hinweise der Lehrkraft, ob es Wörter

oder Sätze gibt, die sie besonders gerne mögen, beispielsweise eine Stelle im

Buch, ein Wort, das sie gerne schreiben oder mit dem sie etwas Schönes

assoziieren. Auch Hinweise, dass sie sowohl Druck- als auch Schreibschrift

verwenden dürfen und jegliche weitere Formen von Schrift wie besonders

ordentlich oder kaum leserlich, groß oder klein, ganze Texte oder nur einzelne

Wörter, könnte die Lehrkraft geben.369

Es muss den Schüler_innen nur deutlich

gemacht werden, dass sie mit dem Medium Schrift gestalten sollen: Der ästhetisch

forschende Aspekt dieser Arbeitsanweisung geht hiermit einher.

Christine Heil erklärt „Kunst selbst kann Anlass sein, um Ästhetische Forschung

zu betreiben.“370

Es wäre demnach durchaus auch möglich die Visuelle Poesie an

den Anfang der Ästhetischen Forschung zu stellen. Jedoch berge dieses Vorgehen

die Gefahr, dass nicht alle Schüler_innen bei der Visuellen Poesie ihr

„ästhetisches Vorhaben mit einem persönlichen Sinn versehen können […].“371

Möglich wäre jedoch auch ein solches Vorgehen in der Grundschule.

Ästhetische Forschung sei ein interdisziplinäres Konzept.372

Themen des

Sachunterrichts, Deutschunterrichts und weiterer Fächer sind häufig Bestandteile

einer Ästhetischen Forschung. Im Sinne eines fächerübergreifenden Unterrichts

wäre es möglich, dass die Schüler_innen der vierten Schulklasse ohnehin im

Vorfeld das Thema Gedichte im Deutschunterricht hatten und sie im Zuge dieser

Unterrichtseinheit selbst dazu angeleitet wurden lyrische Texte anzufertigen.

Diese von den Schüler_innen hergestellten Gedichte oder Texte können ebenso

Ausgangspunkt Ästhetischer Forschung darstellen, da es einen persönlichen

Bezug zu den Schüler_innen und den eigenen lyrischen Texten gibt, der

gesteigertes Interesse bei den Schüler_innen hervorrufen kann. Die Texte, die sie

369 Hinweise und Einschränkungen sind nicht im Sinne der ästhetischen Forschung nach Kämpf-Jansen. Jedoch könnte eine vierte Schulklasse ohne konkrete Anweisungen überfordert werden

durch diese freie Aufgabenstellung. Je nachdem wie sehr die Schüler_innen das

eigenverantwortliche und selbstständige Arbeiten gewohnt sind, ist jedoch auch eine

Unterrichtseinheit denkbar und wünschenswert, die vollkommen ohne Eingreifen der Lehrkraft

auskommt. 370 Christine Heil (2006): Bezugnehmen auf Kunst erforschen. Wie sich ein Reservoir ästhetischer

Möglichkeiten in der kartierenden Auseinandersetzung bilden kann. In: Manfred Blohm u.a.

(Hrsg.): Über Ästhetische Forschung. Lektüre zu Texten von Helga Kämpf-Jansen. München:

kopaed, S. 205. 371 Kämpf-Jansen 2006, S. 33. 372 Vgl. Limper 2013, S. 34.

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selbst geschrieben haben, bieten entweder durch ihr Thema, durch ihre eigene

Handschrift oder durch ihre Rhythmik, Potenzial von den Schüler_innen

weiterführend erforscht zu werden. Persönliches Interesse der Schüler_innen ist

ein wichtiger Faktor, um Ästhetische Forschung erfolgreich im Unterricht

durchführen zu können. Die Schüler_innen müssen einen inneren Antrieb haben,

etwas zu erforschen, diesen hätten sie, wenn es ihr eigenes Gedicht mit ihren

eigenen Gedanken und Beweggründen ist, welches den Forschungsgegenstand

darstellt.

Das Konzept der Ästhetischen Forschung erscheint im Bezug zur Visuellen Poesie

als eine Möglichkeit die Hintergründe der Visuellen Poesie mittels eigener

Erfahrungen der Schüler_innen deutlich zu machen. Wie bereits dargestellt ist die

Visuelle Poesie selbst eine Kunstform, die die Schrift erforscht und die deren

Wirkungsweise für die_den Betrachter_in deutlich machen möchte.

Schüler_innen, die die Schrift selbst erforschen, können vieles, was die Visuelle

Poesie ausmacht, selbst entdecken. Eine Ästhetische Forschung wie sie hier

beschrieben wurde, könnte der Anstoß sein, um Schrift zu untersuchen und somit

einen Zugang zur Visuellen Poesie zu ermöglichen. Dass das Ergebnis einer

Ästhetischen Forschung Schüler_innenarbeiten sind, die der Visuellen Poesie

zugerechnet werden können, wäre eher eine zufällige Gegebenheit. Davon kann

jedoch nicht ausgegangen werden und darf nicht Ziel der Ästhetischen Forschung

sein. Vorsatz einer solchen Ästhetischen Forschung kann jedoch sein, dass die

Schüler_innen Schrift ästhetisch erforschen und infolgedessen Erkenntnisse für

die Werke, wie sie Gomringer, Claus und Can geschaffen haben, erhalten. „Die

sich darüber ausbildenden Fähigkeiten, Erkenntnis- und Verhaltensmöglichkeiten

sind vielfältig.“ Eine neu entdeckte Faszination für Schrift und damit

einhergehende erhöhte Schreibmotivation kann Ergebnis eines solchen Unterrichts

sein. Die Schüler_innen „verändern alte Denkgewohnheiten und

Handlungsmuster, vergrößern das Repertoire der Zugänge ins z.T. vorher

Unvorstellbare.“373

So die These nach Kämpf-Jansen.

373 Kämpf-Jansen 2000, S. 102.

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3.4.2.3.Weitere Möglichkeiten die Visuelle Poesie zu vermitteln

Es ist an dieser Stelle kein allgemeiner Überblick aller denkbaren Varianten, in

denen die Visuelle Poesie zum Thema des Grundschulunterrichts werden kann,

möglich. Es sollen jedoch im Folgenden noch zwei weitere Möglichkeiten

genannt werden, die neben den zuvor genannten Konzepten als besonders

geeignet im Bezug zum Unterrichtsthema erscheinen.

Eine weitere Möglichkeit im Kunstunterricht Visuelle Poesie zu vermitteln, stellt

das Prinzip der Ästhetischen Operation nach Pierangelo Maset dar. „Dieser

Ansatz befasst sich zentral mit der Frage nach der »Mentalität« einer

künstlerischen, ästhetischen oder pädagogischen Arbeit.“374

Er plädiert dafür, die

Prinzipien eines Werkes, also das Besondere, was das Werk auszeichnet zu nutzen

und weiterzudenken.

Jede_r Künstler_in hat in seinen Werken etwas, das es auszeichnet, dieses kann

von Schüler_innen genutzt werden, um das Werk zu ergründen und selbst

ästhetisch zu handeln.

„Diese Operationen orientieren sich dabei an Verfahren, die in der

Kunst […] angewandt worden sind. Sie gehen über bereits bestehende

Verfahren jedoch insofern hinaus, als sie eine Ebene – die sowohl das

Konzept als auch die Ausführung oder beides betreffen kann – entweder hinzufügen oder auslassen.“

375

Als Beispiel einer ästhetischen Operation, die mit Visueller Poesie arbeitet, sei das

Werk Spray 71376

von Reinhard Döhl genannt. Er bediente sich hier Roy

Lichtensteins Werk Spray aus dem Jahre 1962. Döhl versieht Lichtensteins Werk

mit einer ergänzenden Textebene. Lichtenstein integrierte in seiner Kunst auch

häufig die Schrift, dies tat er jedoch meist in Form von Comic-Sprechblasen.

Durch den seriös wirkenden Zeitungsartikel, der hier eingefügt wurde, entsteht ein

Bruch zu der eigentlichen Mentalität des Künstlers. Ähnliche

Schüler_innenarbeiten wären denkbar, das heißt das Ästhetische Operieren mit

Schrift an Werken der bildenden Kunst ist ebenso möglich im Kunstunterricht der

374 Pierangelo Maset (2004): Zwischen Kunst und ihrer Vermittlung »Ästhetische Operationen«.

In: Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hrsg.): Bilden mit Kunst. Bielefeld:

transcript, S. 150. 375 Ebd., S. 152. 376 Siehe Abbildung 7.

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Grundschule. Ebenso sind Ästhetische Operationen an Werken der Visuellen

Poesie selbst möglich. „Jeder Künstler, jede Künstlerin verwendet mindestens

eine charakteristische ästhetische Operation.“377

Dies ist auch bei den hier

vorgestellten Visuellen Poeten_innen der Fall. Dieser Ansatz kann daher

besonders gewinnbringend für die Schüler_innen sein, denn neben dem „, dass es

»so etwas« wie eine Operation Warhol oder einer Operation Maradona gibt“, gibt

es auch eine Operation Gomringer, die den Ausgangpunkt für Schüler_innen

bilden kann.

Es handele sich bei diesen Methoden nicht lediglich um ein Verfahren, sondern es

sind viele Verfahren bezüglich einer Ästhetischen Operation denkbar.378

Wie diese

im Falle einer Ästhetischen Operation an Visueller Poesie von Viertklässler_innen

möglicherweise ausfallen, bleibt offen. Maset betont, dass mittels Ästhetischen

Operationen keine zu festgesteckten Ziele anzustreben seien.379

Die Ergebnisse

der Schüler_innen können sehr unterschiedlich ausfallen. Denn, da sie vermutlich

verschiedene Aspekte eines Werks für wichtig erachten, werden sie auch

unterschiedliche Ästhetische Operationen durchführen.

„Bei der Ästhetischen Operation geht es grundsätzlich um die Fragestellung:

Welche Mentalität steckt hinter welcher Arbeitsweise?“380

Da es bei dem Konzept

der Ästhetischen Operation gerade um diese Mentalität geht, kann dies für die

Schüler_innen daher zu einem tieferen Verständnis der Visuellen Poesie führen.

Ästhetische Operationen sind daher ebenso, wie die zuvor vorgestellten Konzepte,

ein wahrscheinlich lohnender Ansatz im Hinblick auf das hier beschriebene

Unterrichtsthema.

Ein ähnlicher Grundgedanke wird bei Maria Peters Text Performative

Handlungen und biographische Spuren in Kunst und Pädagogik deutlich.381

Peters setzt bei der Vermittlung auf performative Handlungen. Solche

Handlungen würden durch die Beziehung zwischen Werk und Betrachter_in

entstehen. Das Handeln würde zu einem Nachempfinden des

377 Maset 2004, S. 153 378 Vgl. ebd. 379 Vgl. Pierangelo Maset (2005): Ästhetische Operationen und kunstpädagogische Mentalitäten.

In: Karl-Josef Pazzini (Hrsg.) u.a.: Reihe Kunstpädagogische Positionen 10. Hamburg: University

Press, S. 17. 380 Ebd. S. 17. 381 Maria Peters (2005): Performative Handlungen und biografische Spuren in Kunst und

Pädagogik. In: Karl-Josef Pazzini u.a. (Hrsg.): Reihe Kunstpädagogische Positionen 11. Hamburg:

University Press.

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Entstehungsprozesses des Werkes führen. Folglich würde dieses Handeln Sinn

hervorbringen.382

Das Potenzial solcher performativen Handlungen macht sie an einem Beispiel

deutlich. In diesem konnte das Bild Geburt der Venus von Cy Twombly eine

Schüler_innengruppe dazu veranlassen, dieses in eine Performance zu

übersetzen.383

Die Lernenden erschließen sich auf diese Weise den eigentlichen

Gehalt des Werkes. „Wahrnehmungsroutinen wurden aufgestört und eine

Beweglichkeit des Denkens ausgebildet.“384

In Peters Position liegt der

entscheidende Zugang zur Kunst in dem Handeln von Schüler_innen zu

Kunstwerken. Dieses performative Handeln ließe sich somit ebenfalls auf Werke

der Visuellen Poesie anwenden. So könnte das Werk schweigen von Gomringer

von einer Schüler_innengruppe vorgelesen werden, in der eine_r der

Schüler_innen nichts sagt und schweigend in der Mitte der Schüler_innen steht.

Ebenso wäre eine Performance der Entstehung einer Denklandschaft möglich, die

vermutlich in einem chaotischen Durcheinander der Schüler_innen enden würde,

indem die Lernenden die verschiedenen Texte erzählen oder verschiedene Dinge

performativ darstellen. Cans linksgehenrechtsstehen wäre überaus geeignet, um es

mit einer performativen Handlung der Schüler_innen nachzuempfinden.

Aufgezeigt wurden an dieser Stelle lediglich exemplarische Möglichkeiten, wie

sie eventuell von den Schüler_innen umgesetzt werden könnten. Von einer

Aufnahme dieser Möglichkeiten in vorformulierten Arbeitsaufträgen sollte

hingegen abgesehen werden, da die Viertklässler dazu angeleitet werden sollten

sich selbst mit ihren Vorstellungen auseinandersetzen. Die Schüler_innen sollten

dazu angeregt werden, sich eigenständig mögliche Umsetzungen zu überlegen,

und sich auf diese Weise individuelle Gedanken zur Darstellbarkeit dieser Werke

in Formen der performativen Handlungen zu machen. Vielleicht wären Gruppen

denkbar, die diese Handlungen ihren Mitschüler_innen präsentieren, sodass auch

die Mehrdeutigkeit der Visuellen Poesie durch die verschiedenen performativen

Handlungen deutlich werden könnte.

382 Vgl. Peters 2005, S. 12 383 Vgl. ebd., S.14ff. 384 Ebd., S. 18

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Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich Schrift sehr gut im

Kunstunterricht der Grundschule nutzen lässt. Sie besitzt eine Ästhetik, die bereits

Schüler_innen einer vierten Klasse mittels der Visuellen Poesie näher gebracht

werden kann. Aus fachwissenschaftlicher Sicht lässt sich feststellen, dass die

Visuelle Poesie viele Facetten hat, die die Ästhetik der Schrift hervorhebt. An den

Beispielen, der in dieser Arbeit exemplarisch ausgewählten Künstler_innen,wird

dies deutlich. Dass die bildende Kunst sich seit vielen Jahrzehnten dem Medium

Schrift bedient, kann zudem die hohe Relevanz der Schrift in der bildenden Kunst

aufzeigen.

Mittels der These von Lessing ist die Unterschiedlichkeit der Kunst und Poesie

nachvollziehbar. Die jeweiligen Vorteile der beiden Künste sind hiermit erkennbar

und somit Grund für die Kombination beider Künste verständlich. Die

Entwicklung zur Visuellen Poesie, wie sie seit den 50er-Jahren vorzufinden ist,

macht deutlich, in welchen Formen Kunst und Bild zusammenwirken können.

Zudem werden anhand der Entwicklung der Visuellen Poesie, im Hinblick auf die

Einbeziehung von Schrift, die Antriebe der Visuellen Poeten_innen

nachvollziehbar. Anhand der Beispiele wurde die große Bandbreite dieser

Kunstform deutlich. Zudem wurden mit diesen Exempeln die Besonderheiten und

Bedeutsamkeiten für Betrachter_innen jeder Altersklasse, auch der der

Viertklässler_innen, erkennbar.

Die Unterschiede der jeweiligen Zeichen der Künste werden mittels der Position

von Lessing verständlich. Die Gemeinsamkeiten zeigt die Horaz-Tradition auf.

Wie Horaz können Schüler_innen zu der Meinung gelangen, dass sowohl Schrift

als auch Bild ähnliche Wirkungen haben. Sie können jedoch ebenso die

Erkenntnis erlangen, dass beide Medien ihre jeweiligen Potenziale in sich bergen,

wie Lessing dies darlegt. Wie beide Künste ihre Wirkungsfähigkeiten am besten

nutzen, können die Schüler_innen anhand von Werken der Visuellen Poesie

lernen.

Mithilfe des Konzepts von Otto und Otto können zu dieser Herangehensweise

eine Vielzahl an Möglichkeiten aufgezeigt werden. Schüler_innen können jedoch

auch durch eine eigene Forschung am Medium Schrift auf die Besonderheiten der

Visuellen Poesie aufmerksam werden. Zu diesem Ergebnis regt das Konzept des

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Ästhetischen Forschens nach Kämpf-Jansen an. Weitere Möglichkeiten die

Visuelle Poesie in den Kunstunterricht zu integrieren, zum Beispiel mit dem

Konzept der Ästhetischen Operation nach Maset oder mit performativen

Handlungen wie es Peters vorschlug, sind ebenso denkbar.

Aus kunstpädagogischer Sicht ist das Unterrichtsthema förderlich für die

Entwicklung der Schüler_innen, da die Auseinandersetzung mit der Visuellen

Poesie, die Kinder zu einem eigenständigen und kritischen Umgang mit Text- und

Bildmedien veranlasst. Das Verständnis der Wirkungsmacht, die Schrift in vielen

Kontexten besitzen kann und ihre Steuerung der Wahrnehmung ihrer

Rezipient_innen können bei näherer Auseinandersetzung mit Werken der

Visuellen Poesie zu einem selbstbestimmten Umgang mit ihr führen. Überdies ist

die Visuelle Poesie eine Kunstform, die mit ihrer Kombination von Wort und

Schrift faszinierend für Schüler_innen sein kann. Eine Auseinandersetzung birgt

somit nicht lediglich einen Nutzen hinsichtlich ihrer Bildkompetenz in sich,

sondern es ist mit dieser Kunstform auch eine überaus hohe ästhetische Qualität

verbunden, die Schüler_innen nahegebracht werden kann.

Eine Erwartung, die mit dem Umgang von Schrift im Kunstunterricht einhergeht,

ist, dass die Gestaltung mit Schrift auch eine Bereicherung für das Fach Deutsch

darstellt. Das Interesse an Schrift und damit einhergehend ein Schreibinteresse

der Schüler_innnen ist zu erwarten und wie es bereits das Kerncurriculum fordert,

dementsprechend ein Mittel das Schreibinteresse der Schüler_innen zu steigern.

Bei allen hier aufgeführten Möglichkeiten, die Visuelle Poesie in einer vierten

Grundschulklasse zum Unterrichtsgegenstand zu machen, ist eines sicherlich

erforderlich: Die Lehrkraft muss Mut beweisen. Kunstunterricht in der

Grundschule ist häufig auch heute noch geprägt von einem Ausschneiden von

Tulpen als Fensterdekorationen und dem Malen von Deckfarben zu

jahreszeitentypischen Themen. Sowohl den Schüler_innen selbst als auch den

Eltern muss deutlich gemacht werden, dass Kinder mehr künstlerisches Potenzial

in sich tragen und auch komplexeren Werken, wie denen der Visuellen Poesie auf

verschiedene Weisen begegnen können. Das Potenzial, das in einem solchen

Unterricht verborgen liegt, ist wie hier aufgezeigt, groß.

Es bedarf einer Umsetzung in der Praxis, um die Wirkung von Schrift im

Kunstunterricht zu erproben. Auch ein abschließendes Resümee, welches der

vorgestellten kunstpädagogischen Konzepte einer adäquaten Umsetzung der

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Visuellen Poesie im Kunstunterricht am dienlichsten ist, ist nur mit praktischen

Erfahrungen zu klären. Erprobungen der verschiedenen Herangehensweisen

müssen folgen und Beobachtungen, der Schüler_innen und deren ästhetischen

Erfahrungen, stehen noch aus.

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