Case Study: Social Media Strategien in der Musikbranche

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1 Case Study: Universal Music Deutschland – International Divison Social Media Strategien in der Musikbranche Die Universal Music Group ist eines der bedeutenden vier Major-Labels des globalen Musikmarktes. Trotz der allgegenwärtigen misslichen Wirtschaftslage der Branche, behauptet sich der Musikriese als bisher unangefochtener Spitzenreiter eines Marktes der mehr denn je enormen elementaren Veränderungen unterworfen ist: Denn Musikkonsum wird digital. Wie sich der Branchenprimus kommunikativ auf diese digitale Revolution einstellt, soll diese Fallstudie aufzeigen. Das vergangene Jahrzehnt war für die Musikindustrie kein leichtes; es war eher eines, das die Protagonisten der Branche sicherlich gerne aus den Ge- schäfts- und Geschichtsbüchern streichen würden. Eine Absatzkrise, die weite Teile der Branche schon den Untergang der kulturellen Wertschöpfung aus Musik voraussagen ließ. Wie wahrscheinlich kaum ein anderer Wirtschafts- zweig sah sich die Musikindustrie durch die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt in ihrer Existenz bedroht. Die Schuldfrage war schnell geklärt: Das World Wide Web, mit all seinen Peer-to-Peer-Netzwerken (P2P), Sharing- Plattformen und Foren, über die der - aus Sicht der Wirtschaft - breit angeleg- te Musikdiebstahl in Form illegaler Downloads organisiert wird. Eine Branche im Wandel: Die Musikindustrie in der Krise Allein in deutschen Haushalten existieren inzwischen über 23 Millionen Breit- bandanschlüsse (vgl. BMWi 2009), die es den Usern mit großer Geschwindig- keit ermöglichen, ein nahezu unerschöpfliches Repertoire an Musikstücken kostenfrei aus dem Netz zu laden. Der Bundesverband Musikindustrie e.V., der die Interessen von rund 350 deutschen Musikunternehmen vertritt, beziffert die Zahl illegaler Musik-Downloads im Jahr 2008 auf 312 Millionen. Dem Bundsverband Musikindustrie zufolge deckten 3,74 Millionen Deutsche ihren Musikbedarf über illegale Internet-Tauschbörsen. Zwar existieren inzwischen in Deutschland über 40 Onlineportale mit Mu- sikservices (vgl. Musikwoche 2010), doch das Geschäft mit legalen Musikfiles

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Case Study: Social Media Strategien in der Musikbranche am Beispiel von Universal Music Germany International Division.

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Case Study: Universal Music Deutschland – International Divison

Social Media Strategien in der Musikbranche

Die Universal Music Group ist eines der bedeutenden vier Major-Labels

des globalen Musikmarktes. Trotz der allgegenwärtigen misslichen

Wirtschaftslage der Branche, behauptet sich der Musikriese als bisher

unangefochtener Spitzenreiter eines Marktes der mehr denn je enormen

elementaren Veränderungen unterworfen ist: Denn Musikkonsum wird

digital. Wie sich der Branchenprimus kommunikativ auf diese digitale

Revolution einstellt, soll diese Fallstudie aufzeigen.

Das vergangene Jahrzehnt war für die Musikindustrie kein leichtes; es war

eher eines, das die Protagonisten der Branche sicherlich gerne aus den Ge-

schäfts- und Geschichtsbüchern streichen würden. Eine Absatzkrise, die weite

Teile der Branche schon den Untergang der kulturellen Wertschöpfung aus

Musik voraussagen ließ. Wie wahrscheinlich kaum ein anderer Wirtschafts-

zweig sah sich die Musikindustrie durch die fortschreitende Digitalisierung

unserer Welt in ihrer Existenz bedroht. Die Schuldfrage war schnell geklärt:

Das World Wide Web, mit all seinen Peer-to-Peer-Netzwerken (P2P), Sharing-

Plattformen und Foren, über die der - aus Sicht der Wirtschaft - breit angeleg-

te Musikdiebstahl in Form illegaler Downloads organisiert wird.

Eine Branche im Wandel: Die Musikindustrie in der Krise

Allein in deutschen Haushalten existieren inzwischen über 23 Millionen Breit-

bandanschlüsse (vgl. BMWi 2009), die es den Usern mit großer Geschwindig-

keit ermöglichen, ein nahezu unerschöpfliches Repertoire an Musikstücken

kostenfrei aus dem Netz zu laden. Der Bundesverband Musikindustrie

e.V., der die Interessen von rund 350 deutschen Musikunternehmen vertritt,

beziffert die Zahl illegaler Musik-Downloads im Jahr 2008 auf 312 Millionen.

Dem Bundsverband Musikindustrie zufolge deckten 3,74 Millionen Deutsche

ihren Musikbedarf über illegale Internet-Tauschbörsen.

Zwar existieren inzwischen in Deutschland über 40 Onlineportale mit Mu-

sikservices (vgl. Musikwoche 2010), doch das Geschäft mit legalen Musikfiles

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steckt mit 42 Millionen Downloads noch immer in den Kinderschuhen. Trotz

eines Umsatzplus 2008 im deutschen Onlinemarkt von 34 Prozent (vgl. Bun-

desverband Musikindustrie 2009) ist der Trend noch immer deutlich: Auf einen

legalen Download über Plattformen wie Apple iTunes oder Musicload.de

kommen jeweils 8 Musikdateien aus illegalen Quellen (vgl. Bundesverband

Musikindustrie 2009). Inmitten der branchenspezifischen Krise traf auch die

gesamte Weltwirtschaft eine Flaute, die bis heute anhält. Die Musikindustrie

bekommt diese multiplen Faktoren seit langem zu spüren: Der digitale Wan-

del ergänzt durch ein zurückhaltendes Konsumverhalten der Deutschen.

Die Zahlen der vergangenen Jahre sprechen für sich: Setzte die phonografische

Wirtschaft in Deutschland im Jahr 1999 noch über 2,6 Milliarden Euro um,

wurden im Jahr 2008 nur noch 1,575 Milliarden Euro erwirtschaftet – ein be-

trächtlicher Umsatzrückgang von 41 Prozent (vgl. Bundesverband Musikin-

dustrie 2009).

Ein grundlegender Wandel wird in der Musikindustrie seit Jahren beobachtet

und kontinuierlich diskutiert, bisher jedoch ohne umfassenden Lösungsan-

satz. Doch sicher ist: Krisen bringen stets auch Chancen, etwas neu oder bes-

ser zu machen. Vor allem aus Sicht der integrierten Kommunikation bietet die

Musikindustrie großes Entwicklungspotenzial und wohl und auf Grund der

wachsenden Herausforderungen an ein ertragsbasiertes Online-Marketing

wohl auch den entsprechenden Bedarf.

Die Zukunftsangst und die Kaufzurückhaltung vieler Konsumenten werden die

Kommunikationsverantwortlichen der Musikbranche nur geringfügig beein-

flussen oder gar auflösen können - Faktoren, die den digitalen (Kultur-) Wan-

del betreffen, jedoch sehr wohl. Neue Absatzmärkte sowie -instrumente und

vor allem (inter-)aktive Kommunikationsstrategien sind gefordert. Diese ge-

hören doch letztlich zu den gewachsenen Kernkompetenzen der Musikbran-

che: öffentliche Kommunikation mit und durch Medien (vgl. Herwig 2008a).

Einige Impulse der Diskussion sollen in dieser Fallstudie aufgegriffen werden.

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Weltmarktführer in Sachen Musik: Universal Music

Der globale Musikmarkt ist in weiten Teilen unter wenigen Playern aufgeteilt:

Die vier weltweit größten Plattenfirmen (Universal, EMI, SonyBMG, Warner)

haben einen Marktanteil von rund 75 Prozent – daher werden sie als Major-

Label1 bezeichnet. Die übrigen 25 Prozent verteilen sich auf unzählige kleinere

und Kleinst-Labels – die sich weitestgehend als Independents zusammenfas-

sen lassen.

Mit 25 Prozent des globalen Musikmarkts hält Universal Music des größten

Anteil des weltweiten Musikgeschäfts. Auch im deutschen Segment steht das

Unternehmen an der Spitze. So schreibt das Branchenmagazin „musik.woche“

in seinem Rückblick auf die Jahresverkaufscharts 2009: „Universal Music

bleibt das Maß aller Dinge. Der Berliner Major liegt in allen Bereichen vorn:

bei den Chartsanteilen Longplay, Singles und Compilation […]“ (Musikwoche

2009).

Als Teil der Universal Music International Group gehört der Musikriese zum

französischen Medien- und Kommunikationskonzern Vivendi. Unter diesem

Dach sind weltweit diverse Labels und Geschäftsbereiche angesiedelt. Auf

dem deutschen Markt firmiert das Unternehmen als Universal Music Deutsch-

land GmbH, deren hauptsächliches Geschäft durch sechs Divisons (Geschäfts-

bereiche) getragen wird: Der Geschäftsbereich Domestic etabliert und ver-

marktet nationale, meist deutschsprachige Künstler. Classics & Jazz, bietet

Musik aus den gleichnamigen Genres. Koch Universal Music produziert und

vermarktet viele renommierte Künstler aus dem Bereich Schlager und Volks-

musik. Der Bereich Family Entertainment bedient vor allem den Markt für

Kinder- und Erwachsenen-Hörspiele sowie -bücher. Und die Abteilung Strate-

gic Marketing vermarktet einerseits zum Beispiel Compilation-Tonträger2

oder Sammlereditionen, zum anderen entwickelt sie neue Geschäfts- und Er-

lösstrategien für das Unternehmen (vgl. Universal 2009).

Aufgrund der vielfältigen und zahlreichen Geschäftsbereiche konzentriert sich

diese Fallstudie vorrangig auf die Arbeit der International Divison, jenem Un-

1Als Major-Label werden die vier weltweit marktführenden Musikkonzern: Universal Music Group, Warner Music Group, EMI Group, Sony Music Entertainment. 2 Compilations sind sogenannte Kopplungen, die i.d.R. zu einem bestimmten Genre oder Thema aus Titeln diverser Künstler

oder eines Künstlers zusammengestellt werden: z.B. „Best of“-, „Hitparaden-“ Sampler.

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ternehmensbereich von Universal Music Deutschland, der internationale

Künstler genreübergreifend in Deutschland vermarktet. Der Großteil dieser

Künstler stammt aus Großbritannien oder den Vereinigten Staaten und befin-

det sich in den Ursprungsländern ebenfalls bei Unternehmen der Universal

Music Group International unter Vertrag (vgl. Wagner 16.12.2009).

Sämtliche Online-Aktivitäten von Marketing und Public Relations koordiniert

innerhalb der Divison die Abteilung „New Media“. Das folgende Fallbeispiel

soll die Online-Strategie und entsprechende Schwerpunktthemen für Aktivitä-

ten im Social Web diskutieren. Als Gesprächspartner für diesen Beitrag stan-

den Kai Wagner, Head of New Media der International Division von Universal

Music Deutschland sowie der Social-Media-Experte und Blogger Thomas Pfeif-

fer (webevangelisten.de) zur Verfügung.

Cluster im Netz: Universal bespielt unterschiedliche Genre-Kanäle

Das primäre Ziel aller Online-Aktivitäten der Universal International Division

ist klar definiert: Vor allem zählt die Vermarktung des Produkts „Musik“. Mit

noch immer 81 Prozent bleibt die CD größter Umsatzträger der Branche (vgl.

Bundesverband Musikindustrie, 2009: 12) – verständlich, dass „das Augenmerk

auf unserer hauptsächlichen Einkommensquelle liegt“ (Wagner 16.12.2009).

Zusätzliche Erlöse stammen aus Tour- und Merchandise-Lizenzen, Entgelte für

Abonnement- und Streaming-Modelle sowie dem Download-Geschäft.

Dadurch zeichnet sich grundlegend eine vertriebsinitiierte Online-Strategie

ab, die auf ihrer operativen Ebene derzeit einen Wandel durchläuft. Hinter

diesen digitalen Neuerungen steht die Absicht, die Konsumenten bzw. Fans

mit ihren Künstlern künftig stärker zu vernetzen.

Die International Division vertritt eine vielfältige Bandbreite von Künstlern:

Ob Teenie-Idol oder Superstar, die Produktpalette bietet für zahlreiche Ziel-

gruppen die richtige Musik. Zur Vermarktung werden die Künstler und ihre

Musik-Produktionen in Genres geclustert – also Kategorien wie Rock, Pop o-

der Hip Hop. „Hierfür wurden auch im Netz spezifische Genre-Kanäle geschaf-

fen, über die wir unsere Künstler präsentieren können“ (Wagner 16.12.2009).

Um den Künstler als Produkt werden diverse Web-Angebote geschaffen, die es

dem User erleichtern soll, zügig die gewünschten Informationen zu finden und

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sich mit dem persönlichen Idol zu vernetzen: Ob Fanpage auf Facebook, Vide-

okanal auf You Tube oder die Künstlerseite auf Myspace - Universal setzt auf

eine umfassende Nutzung der Cross-Promotion-Kanäle, auch in der Verlin-

kungsstrategie. Eine portalübergreifende Vernetzung der jeweiligen „Univer-

sal Angebote“ rückt an die Stelle einer „One Site Strategie“, die alle User auf ein

Webangebot zu zwingen versuchte (vgl. Wagner 16.12.2009). Die geschaffenen

Genre-Kanäle im Format von Webportalen werden inzwischen durch alle Ge-

schäftsbereiche von Universal Music Deutschland mit Künstler-Content be-

stückt. Eine Konsolidierung der Webaktiviäten innerhalb der letzten zwei Jah-

re überführte die bisherigen „Insellösungen“ der einzelnen Abteilungen in

bereichsübergreifende Webangebote (vgl. ebenda).

Neben den Genre-Kanälen, die eine Vielzahl von Künstlern präsentieren, exis-

tieren noch die jeweiligen Musikerwebseiten. Um die Genre-Plattformen in

Zukunft weiter zu stärken, sollen jedoch weitestgehend alle individuellen

Künstler-Webseiten der Plattenfirma abgeschaltet werden. „Mit der Bünde-

lung auf Genre-Seiten kann Interessierten und Fans einer Band auch Reper-

toire anderer Künstler des entsprechenden Genres angeboten werden“ (Wag-

ner 16.12.2009). Die Stärkung der Online-Plattformen ist damit klar durch das

Produktmarketing motiviert. Einzig die sogenannten Fokus-Künstler (Künst-

ler im Vermarktungsschwerpunkt, bspw. aufgrund hoher Absatzzahlen und

einer starken Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit – z.B. die Rockband Metal-

lica) werden auch weiterhin eigene deutschsprachige Webseiten behalten, um

damit der herausragenden Bedeutung gerecht zu werden.

Bisher wurden auf Universal-Plattformen keine ausgewiesenen Social Media

Tools etabliert, was laut Wagner eher technisch bedingt als ausdrücklich ge-

wollt war. Inzwischen existieren dialogische Grundfunktionen wie Kommen-

tartools oder Foren. Die Seiten sind auch stets mit weiteren Netzwerken der

Künstler verbunden. „Wir kommen zu den Fans: Unabhängig davon, wo sich

der User mit Gleichgesinnten über die Musik und den Künstler austauschen

will – wir bieten die Möglichkeit“ (Wagner 16.12.2009).

Die Inhalte sollen daher verstärkt aus einem Netzwerkgedanken heraus ag-

gregiert werden. Das bedeutet: In die jeweiligen Künstlerwebseiten werden

Inhalte aus unterschiedlichen Quellen eingebunden. Die News-Sektion wird

einerseits durch Universal befüllt, zusätzlich werden auch externe Newsfeeds

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zum Künstler eingebunden (bspw. Medienberichte mit Hilfe von Google

News). Inhalte aus sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter werden

ebenfalls platziert. Wagner betont dabei zu beachten, dass eingebundene

„Fremdinhalte“ stets zu kontrollieren sind, um ungewünschte Nachrichten

oder Informationen über den Künstler zeitnah ausschließen zu können – was

wohl weniger im Sinne eines offenen Social Media-Dialogs und der im Netz oft

geforderten Transparenz ist, dafür aber den Gedanken eines erfolgreichen

Produktmarketings unterstützt. Eine ausgewiesene Kontrollinstanz in der

International Division gibt es hierfür bisher nicht. Social-Media-Monitoring

findet daher nur begleitend statt, liegt aber nicht im Tätigkeitsschwerpunkt

eines Mitarbeiters.

Social Media für Musiker: Dialog oder Marketing-Kommunikation?

Aus den Online-Aktivitäten ergeben sich nach Wagner drei bedeutende Wäh-

rungen, die dem Unternehmen messbaren Nutzen ermöglichen. Als „harte

Währung“ ist der Produktabsatz in all seinen Ausformungen zu bezeichnen.

Zum anderen nutzt Universal Music den User Traffic, um diesen für Werbung-

platzierungen zu vermarkten. Inzwischen wird auch verstärkt auf Newsletter-

Abonnements und die Reichweite in sozialen Netzwerken gesetzt – die jedoch

in der Budgetierung eine untergeordnete Rolle spielen. Das vorrangige Ziel

bleibt es, zur Veröffentlichung eines neuen Produkts die größtmögliche Auf-

merksamkeit zu generieren (vgl. Wagner, 2009). Damit lassen sich die (Onli-

ne-) Aktivitäten klar der klassischen Verkaufsförderung als Hauptbestandteil

des Marketing-/Kommunikations-Mix zuordnen. Vor allem im Netz sind die

Grenzen zwischen imagebildenden „Above the line“-Aktionen und absatzför-

dernden „Below the line“-Maßnahmen dabei oft fließend, so dass die Aufga-

benschwerpunkte der Social Media-Aktivitäten meist nur tendenziell festge-

stellt werden können (vgl. Fuchs/Unger 2006: 143).

Der Social-Media-Experte Thomas Pfeiffer sieht darin nunmehr die altbekann-

te Rivalität zwischen Marketing- und PR-Abteilung. Während das Marketing

harte Zahlen zur Erfolgskontrolle benötigt, zahlen Social Media-Aktivitäten

aus Pfeiffers Sicht nur mittelbar auf die Marke ein, was sich an klassischen

betriebswirtschaftlichen Key Performance Indicators (KPIs) schwer ablesen

lässt. Daher müsse Universal Music sein Blickfeld um differenziertere Erfolgs-

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faktoren erweitern. Denn eine langfristige Imagepflege sei nur sehr schwierig

in kurzfristigen Kennzahlen, wie es z.B. CD-Verkäufe sind, kenntlich zu ma-

chen. Die PR sei es vielmehr gewohnt, mit weichen Faktoren zu arbeiten:

„Social Media aus reiner Marketingsichtweise zu beackern, halte ich für eine

sehr eingeschränkte Strategie“ (Pfeiffer 16.12.2009). Soziale Netzwerke sind

grundsätzlich mehr für kommunikative Faktoren des Word of Mouth zugäng-

lich, als für klassische Werbung. Gezielte Werbebotschaften ziehen im Netz

gegebenenfalls nur den Unmut der Nutzer auf sich und vernachlässigen den

potentiellen Nutzen den das Unternehmen daraus ziehen könnte. (vgl. Ham-

madouah 2009c).

Der außerordentliche Mehrwert von Social Media liegt vor allem in der ausge-

prägten Fankultur, die in den sozialen Netzwerken zum Leben erwacht. Das

enge „Kommunikationskorsett“ des Marketings hilft dabei nur wenig (vgl.

Hammadouah 2009b). Aus Sicht der Fans wäre es wünschenswert, in den ge-

samten Lebenszyklus eines Künstlerprodukts involviert zu sein. Allerdings

gestaltet sich dies sehr schwierig, da die jeweiligen Kampagnen eng an die

Veröffentlichungstermine neuer Produkte geknüpft sind und Künstler daher

in veröffentlichungsfreien Zeiten oft nur wenig neue Geschichten liefern kön-

nen, die den Fan permanent aktivieren würden. (vgl. Wagner 16.12.2009).

Doch diese Strategie - ein organisiertes Kommunikationsverhalten an die je-

weilige Releasephase zu koppeln - wird im Social Web nicht funktionierren.

Denn das soziale Netz lebt von unmittelbarer Kommunikation, vom Austausch,

vom Empfinden von Nähe. (vgl. Hammadouah 2009a,b). Auch Wagner konsta-

tiert den Bedarf dialogorientierter, direkter Social-Media-Kommunikation,

abseits des reinen Produktmarketing. Allerdings scheint diese Nähe gerade für

die Universal Music International Division nicht einfach zu herzustellen

zu sein, da die Künstler meist aus dem angelsächsischen Ausland stammen

und daher für authentische, zeitnahe Kommunikation auf den deutschen Gen-

rekanälen oder andernorts nicht verfügbar sind. Auch hat sich bei vielen in-

ternationalen Stars die Bedeutung des Social Web noch nicht fundamental

verankert. Je bekannter der Künstler, desto wertvoller erscheint jedoch der

direkte Draht, der authentische Einblick in das Leben des persönlichen Idols

(vgl. Hammadouah 2009b). Hingegen gibt es Künstler, zu deren Image es ge-

hört, die Öffentlichkeit über ihr „wahres Ich“ im Unklaren zu lassen. „Diese

Künstler wollen keine Transparenz bieten, geschweige denn eine herzige Bin-

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dung zu ihren Fans“ (Wagner 16.12.2009). Der Druck, sich in sozialen Netz-

werken zu engagieren, um Fans und potenzielle Käufer zu erreichen, wird sich

allerdings weiter erhöhen – das Social Web wird mehr und mehr zur Grundla-

ge der diversen Musikkarrieren der Zukunft (vgl. Hammadouah 2009a.) Wag-

ner fasst es zusammen: „Die Kanäle haben sich unglaublich diversifiziert. Frü-

her bist du als Plattenfirma mit einem Künstler bei 'Wetten, dass…' gewesen –

das war der sichere Anschub für eine hohe Chartplatzierung des neuen Al-

bums. Das gibt es heute nur noch sehr selten. Die Vorhersehbarkeit von Erfolg

eines Produkts ist inzwischen viel schwieriger geworden. Wir müssen dem

Kunden zuhören, das ist wichtiger denn je“ (Wagner 16.12.2009). Diesen Dia-

log kann das Netz ermöglichen.

Zahlungsbereitschaft 2.0:

Wie das Social Web die Wertschöpfung verändert

Ein größeres Kommunikationsdefizit sieht der Musikmanager Stefan Herwig

wiederum in der Unfähigkeit, sich der Absatzkrise der Musikbranche effizient

anzupassen (vgl. Herwig 2008a). Er kritisiert die einseitige Annahme, lediglich

die illegale Verfügbarkeit von Musik im Netz sei schuld an den Umsatzrück-

gängen des vergangenen Jahrzehnts. Die Ursprünge des Problems seien indes

viel früher zu suchen, z.B. als die Branche in den 1960er und 1970er Jahren

den Musikmarkt globalisierte und mit ihren Produkten Länder- und Kultur-

grenzen überschritten. Dabei verschwand aus Herwigs Sicht das gesamte

Image der Musikindustrie hinter ihren Künstlern. Da Markennamen der Plat-

tenfirmen für den Kauf eines Tonträgers kaum von Bedeutung waren, schien

es nachhaltiger zu sein, den Künstler als alleinigen Schöpfer des Produkts in

den Vordergrund zu stellen. Der Marketingfaktor „Starkult“ habe im Sinne

einer maximalen Fanbindung den Glauben des omnipotenten Musikers ge-

schaffen (vgl. Herwig 2008a). Auch Wagner unterstreicht die Feststellung, dass

Universal Music als Marke für den Musikkonsumenten irrelevant ist: „Dem

Kunden bietet es keinen sonderlichen Mehrwert zu wissen, dass Universal

Music hinter dem Produkt steht. Daher müssen wir auch nicht zwingend im

Vordergrund stehen“ (Wagner 16.12.2009).

Ein anderes Problem: Was vor 40 bis 50 Jahren strategisch legitim war, als die

Branche noch die volle Entscheidungsgewalt über ihre Produkte hatte, bringt

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sie heute in eine missliche Lage, denn die Musikindustrie hat durch die fort-

schreitende Digitalisierung die Exklusivität über ihr Kulturgut verloren. Der

Kunde kann nun individuell entscheiden, ob er für Musik bezahlt oder nicht

(vgl. Herwig 2008a). Mit Blick auf den „generell schlechten Ruf“ (Wagner

16.12.2009) der Plattenfirmen stellt sich eine bedeutende Frage: Wer ist die

Musikbranche überhaupt? In der Wahrnehmung vieler sind das sind die, die

jahrelang zu teure CDs verkauft haben, ihre Künstler dafür aber nicht ange-

messen entlohnen. Warum sollte der Musikkonsument dann noch immer für

Musik bezahlen, führt Herwig den Gedankengang vieler Konsumenten zu Ende

(vgl. Herwig 2008a). Dass die Wahrheit über die musikalische Wertschöpfung

der Öffentlichkeit nicht bekannt und bewusst ist, liegt letztlich an der Strategie

der Konzerne, unsichtbar zu bleiben.

Gerade im Online-Markt bringt diese Intransparenz das wirtschaftliche Gut

Musik in Bedrängnis. Auch Marktführer Universal Music benötigte viele Jahre

zur Konsolidierung, um sich damit angemessen auf das „digitale Leben“ (Wag-

ner 16.12.2009) im Netz einzustellen. Visionen und Strategien für den Online-

Markt wurden bisher nicht konzernweit formuliert. Durch die Dezentralität

der einzelnen Operating Companies wird eine zentrale Steuerung einer um-

fassenden New-Media-Strategie erschwert (vgl. Wagner 16.12.2009). Die Mu-

sikindustrie wurde durch die rasante Entwicklung des Internet schlichtweg

überrollt.

Der Branche fehlt ein neues, unverbrauchtes Denken. Im Netz sind neue Wege

zu gehen, die es so vielleicht zuvor nicht gab: „Denn die Glühbirne war auch

nicht die Weiterentwicklung der Kerze“ (Pfeiffer 16.12.2009). So sei es bei-

spielsweise nicht überraschend gewesen, dass Apple als branchenfremder

Querdenker den digitalen Musikmarkt mit iTunes revolutioniert habe. Klassi-

sche Erlösmodelle funktionieren im Netz nicht mehr, da sie wichtige Faktoren

der Digitalisierung vernachlässigten: „Paid Content Modelle müssen vor allem

einfach und sexy sein“ (ebenda). Der Mensch ist demnach nicht, im Sinne des

klassischen Modells des Homo oeconomicus, grundsätzlich darauf bedacht,

seinen eigenen ökonomischen Vorteil zu maximieren. Die Mehrheit Konsu-

menten besitzen durchaus ein Unrechtsbewusstsein und damit auch eine

grundsätzlich Bereitschaft für nichtphysische Musik zu bezahlen (vgl. Pfeiffer

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16.12.2009). Allerdings sei das Unrechtsbewusstsein beim illegalen Download

von Musik geringer ausgeprägt.

Dafür gibt es laut Pfeiffer zweierlei Gründe: „Zum einen ist es die gelernte Kul-

tur: Das Netz bietet uns eine Vielfalt von Produkten, ohne bezahlen zu müssen.

Zum anderen sind es die zu komplexen Bezahlmodelle. Auch die heutigen ein-

fachen Modelle sind noch zu komplex.“

Daraus folgert Pfeiffer zwei Lösungsansätze. Dort, wo digitaler Musikdiebstahl

stattfindet, müsse eine kommunikative Atmosphäre der Transparenz und Of-

fenheit aufgebaut werden – zwischen Musikbranche, Künstler und Konsumen-

ten. Ein Kulturwandel, wie die Musikindustrie mit drakonischen Strafandro-

hungen erzwingen zu wollen, scheint im Social Web aussichtslos.

Zudem werden aus Pfeiffers Sicht rundum neue Geschäftsmodelle benötigt. Zu

klären sei, wofür Geld verlangt werden könne. Dazu gehört nicht mehr das

einzelne mp3-file zum Download, denn das bietet dem Konsumenten keinen

echten Mehrwert mehr (vgl. Peiffer 16.12.2009). Der netzbasierte Kulturwan-

del schreitet immer weiter voran. Pfeiffer geht davon aus, dass sich die Um-

sonst-Mentalität bei digitalen Gütern in den nächsten zwei bis drei Jahren re-

lativieren wird: „Die Bereitschaft für Content zu zahlen wird zunehmen. Ein

Trend lässt sich schon heute bei iPhone-Nutzern erkennen, die für entspre-

chende Apps durchaus bereit sind, Geld zu bezahlen“ (vgl. ebenda). Hierzu

gehören Streaming- oder Abonnement-Modelle, die es dem Musikkonsumen-

ten ermöglichen, für das Hören von Musik zu zahlen ohne zugleich den Titel

als Download kaufen zu müssen. Auch Wagner sieht in Wertschöpfungsmodel-

len dieser Art die Zukunft des Musikmarktes. Denn neben dem sozialen Leben

verlagern immer mehr Menschen auch ihren Musikkonsum in die digitale Welt

– ein Trend der durch die derzeitige Zunahme mobiler Internetnutzung riesi-

ges Potenzial birgt.

Denn Musik bringt Menschen zusammen und ist in der Lage, Stimmungen zu

wecken. Im Sinne einer Netzwerktheorie sind solche Effekte hochrelevant (vgl.

Clement / Papies / Albers 2009) und sollten gerade im Social Web im Rahmen

von Kommunikation und kultureller Wertschöpfung auf fruchtbaren Boden

stoßen.

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Impressum:

Darmstadt / Dieburg im April 2010

Autor: Bastian Ewald, Dipl.-Online-Journalist (FH)

Institut für Kommunikation und Medien

Hochschule Darmstadt (h_da)

Mediencampus Dieburg

Max-Planck-Str. 2

64807 Dieburg

E-Mail: ikum (a) h-da.de

Web: www.ikum.org

Quellennachweise:

BMWi (2009): Flächendeckende Breitbandversorgung forcieren - Aufbau von Hoch-leistungsnetzen unterstützen. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. URL: http://www.zukunft-breitband.de/BBA/Navigation/breitbandstrategie.html (Abruf: 10.01.2010) Bundesverband Musikindustrie (2009): eBook: Musikindustrie in Zahlen 2008. Jahreswirtschaftsbericht. URL:http://www.musikindustrie.de/uploads/media/ms_branchendaten_jahreswirtschaftsbericht_2008.pdf (Abruf: 09.01.2010) Clement, Michel / Papies, Dominik / Albers, Sönke (2009): Netzeffekte und Musik. In: Clement / Papies / Albers (Hrsg.): Ökonomie der Musikindustrie. 2. Auflage. Wies-baden: Gabler: 45 - 48 Fuchs, Wolfgang / Unger, Fritz (2007): Management der Marketing-Kommunikation. 4.Auflage. Berlin/Heidelberg: Springer Hammadouah, Yousef (2009a): Entertainment Communities auf dem Prüfstand. Wettbewerb um Aufmerksamkeit in der digitalisierten Welt., in: Musikwoche, Jg., Heft 20: 8 – 11 Hammadouah, Yousef (2009b): Direkter Draht sorgt für authentischen Einblick. Fankultur in Social Networks., in: Musikwoche, Jg., Heft 20: 12 – 14 Hammadouah, Yousef (2009c): Auf der Suche nach dem richtigen Weg. Social Net-works und ihre Geschäftsmodelle., in: Musikwoche, Jg., Heft 24: 8 – 13 Herwig, Stefan (2008a): Unsichtbare Machenschaften. Plädoyer für eine bessere Selbstdarstellung der Musikbranche. Musikwoche, Jg., Heft 40: 9 – 11 Herwig, Stefan (2008b): Imagewechsel für Musikbranche 2.0. Plädoyer für eine bes-sere Selbstdarstellung. in: Musikwoche, Jg., Heft 41: 9 – 13 Musikwoche (2009): Musikcharts – Jahres-Charts 2009. Online verfügbar: http://storage.livepaper.de/emv/musikwoche/2010/01/media/files/Mspecial_1001_jahresauswert.pdf (Abruf: 16.02.2010)

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Musikwoche (2010): Deutsches Musikgeschäft im Internet legt zu. In: Musikwoche Online, 22.03.2010. Online verfügbar: http://www.mediabiz.de/musik/news/deutsches-musikgeschaeft-im-internet-legt-zu/287456 (29.03.2010) Universal (2009): Company: Universal Music Deutschland, URL: http://www.universal-music.de/company/universal-music-deutschland/ (Abruf: 10.01.2010) Interviews: Kai Wagner, Head of New Media, Universal Music International Division, München (16.12.2009) Thomas Pfeiffer, Social Media Berater, webevangelisten.de, München (16.12.2009)