Charles Wyrsch

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Charles Wyrschist ein Mystiker

Transcript of Charles Wyrsch

CharlesWyrsch Peinture

DiePublikationerscheintanlässlichderAusstellung«CharlesWyrsch.Peinture»MuseumimBellparkKriens22.Augustbis24.Oktober2o1o

Herausgeber:HilarStadlerAutoren:Jean-ChristopheAmmann, HilarStadlerAnhang:CélineGaillard,RalfKellerLektorat:YasminKiss;JosephEgli,RalfKellerKonzeptundGestaltung:Hi–MegiZumstein,

ClaudioBarandunReproduktionenundLithos:ProlithAG–

digitalfactory,Schönbühlb.BernDruckundBindung:DZADruckerei

zuAltenburgGmbH,Altenburg,Thüringen

BildUmschlagvorne:ArbeitstischdesKünstlers,2o1o;Foto:ClaudioBarandun,Luzern

BildVorsatz:CharlesWyrschimAtelier,2oo4Foto(Ausschnitt):GeorgAnderhub,Luzern

BildUmschlaghinten:CharlesWyrschOhne Titel,um198oTuscheaufPapier,28×34,5 cm

Copyright:©2o1oMuseumimBellparkKriensAlleRechtevorbehalten

DieTextrechteliegenbeidenAutorenDieBildrechteliegenbeiCharlesWyrsch

DiePublikationisteinProjektdesMuseumimBellparkKriens–www.bellpark.ch

ISBN978-3-9523729-o-6

UnserDankgehtanfolgendeBeteiligte:Jean-ChristopheAmmann,FrankfurtamMainAgnesDuboux-Wyrsch,VeveyMonikaMariaHerzog,LuzernBasilWyrsch,Aeschb.BirmensdorfChristophLichtin,KunstmuseumLuzernNathalieUnternährer,NidwaldnerMuseum,StansIsoldeundKarlBühlmann,LuzernEricaEbinger,LuzernMegiZumstein,LuzernClaudioBarandun,LuzernYasminKiss,ZürichCélineGaillard,Schänis-RufiJosephEgli,LuzernRalfKeller,KriensGeorgAnderhub,Luzern

UnserDankgiltdenLeihgebern:KunstmuseumLuzernNidwaldnerMuseum,StansSammlungAnliker,EmmenbrückeRosmarieundWalterHohler,LuzernBrigitundGuidoMarbach,St. ErhardsowieallenanderenLeihgebern,dienichtgenanntseinwollen

PublikationundAusstellungwurdenindankenswerterWeiseunterstütztdurch:KulturförderungKantonNidwalden

KantonLuzern

GemeindeKriensArtephilaStiftungStiftungCharlesWyrsch,KriensZugerKulturstiftungLandisundGyrDr.GeorgundJosiGuggenheim-StiftungCasimirEigensatzStiftungBildhauerHansvonMatt-StiftungSchindlerKulturstiftungwww.kunstverkauf.chBrigitundGuidoMarbach,St. ErhardHermannWyss,EnnetbürgenArtClubMuseum&BellparkGemeindeBuochs

5 CharlesWyrschisteinMystiker

CharlesWyrschmaltausdemDunklenherausundinsDunkelhinein.DieRäumegreifenineinander,verschmelzen.ImDunkelunddurchdasDunkelschimmertLicht,manchmalflimmertes.DasDunkelkannsichaufhellen.DasDunkelgeneriertBildnisse,Selbst-portraits,weiblicheKörper,liegend,RückenakteundauchStill-leben.EineVerdunkelungfindetnichtstatt:DieNachtgebiert!EssindkeineAlbträume.EssindmystischeErkundungen,diedasBegehrenindieSelbstbefragungeinfliessenlassen.Mankannesauchumgekehrtsagen:DieSelbstbefragungschliesstdasBegehrenein,biszumSelbstzweifel,biszurTodesahnung,biszumLeidundSchmerzauschristlicherTradition.Lust,Schmerz,EkstaseundAskeseverbindensichimSchaffenvonCharlesWyrschzueinerglühendenEinheit.AbererhältDistanz,weildasWissendarumsieinerlebteAhnungtransformiert.ErlebteAhnungistdieimmerwiederimWerkerfahreneVerkörperungdessen,wasdakommt,imStaunen,darüber,wasgeschieht.AktiveErwartungdessen,wassichmitmir,demMaler,ereignet,derichbinundnichtbin.

DerDichterJuanRamónJiménez(1881– 1958)sagtesso:

«Ichbinnichtich.Ichbinjener,deranmeinerSeitegeht,ohnedassichihnerblicke,denichoftbesuche,unddenichvergesse.Jener,derruhigschweigt,wennichspreche,dersanftmütigverzeiht,wennichhasse,derumherschweift,woichnichtbin,deraufrechtbleibenwird,wennichsterbe.»

EsgibtStillleben,dienurscheinbaralsungegenständlicheGemäldeinErscheinungtreten.ManchmalexplodierensieinLichtundFarbe,manchmalimplodierensie,verdichtensichinSpurenvonErinnerung,undmanchmalwerdensiezurTrinität:DieDreierformistalleinigemalerischeSubstanz.DurchbrocheneSchwerkraft.LiegendeQuaderineinerschiefergrauen,namenlosenLandschaft.ErdfarbeneBlöckevonbreitenPinselhiebenausLichtmittigge-trenntundverbunden.Aberdannauchdiesedreigläsernen,neben-einandergestellten,gleichsamhingehauchtenFormen,alskämedasLichtvoninnenheraus,alsmüsstesichParzivalentscheiden,welchevondiesendreiFormenderGralseinkönnte.

Jean-ChristopheAmmann

I 7 NarzisssprichtCharlesWyrsch,aufgehobeninderMalerei

EsmagdemSchaffendiesesGläubigenimFeldderKunstentsprechen,dassseineBilder,einmalansLichtgehoben,dieursprünglichenAbsichtendesProjektsregelrechtdurchkreuzen.AngetretenmitderVorstellungeinerRetrospektive,solltendieseGemäldeimzurückliegendenRaumeinesLebenswerkseingereihtundverortetwerden.WiedasKunsthistorikerhaltgernetun.Nur,dieBilderhabendiesnichtzugelassen.IhrePräsenz–odersollmansagen:ihrezeitloseAktualität–behindertdieangestrebteSicherheiteinerhisto-rischenDistanz.ImBegriff,dasFalschezutun,musstenwirumdenken. SoberichtetdasBuchzwarüberdiever-schiedenenStationenseinesLebensundSchaffens–tatsächlichbesichtigenwirhiereinLebenswerk,dasüberrundsiebzigJahreentstandenist–,aberstatteinerEinordnungunternimmtdasProjekteineLektürediesesWerks,dessenBestandteilehis-torischgleichwertigbehandeltwerden.Soerschei-nendieseWerkewieGrabbeigabeneinesgewitztenPharao,die,indemsieansLichtgelangen,unszwingen,überdiesesSchaffenwiederneunach-zudenken.SowurdeausdergeplantenJubiläums-ausstellungeinProjektüberdenKünstlerCharlesWyrschunddieAktualitätseinesSchaffens.

RespektderMalerei

JeweilseinervonderFamiliewird«etwasande-res»,vorzugsweisePfarrer.MöglicherweisehatdiesevoralleminkatholischenGegendenverbrei-teteGepflogenheitCharlesWyrschsWerdegangzumKünstlerbegünstigt,obwohldieländlich-bäuerlicheTradition,indieer192ohineingeborenwurde,nichtdafürprädestiniertwar.AlsRicht-punkteineskünstlerischenWerdegangsdientderbekanntePortrait-undKirchenmalerJohannMelchiorWyrsch(1732–1798),dessenBeispielBestandteildesFamilienbewusstseinswar. DasfamiliäreUmfeldistkulturellinteressiertundbietetdurchausMöglichkeiteneinerIdentifi-kation.VaterKarl,derdasMalergeschäftinzweiterGenerationführt,istbegeisterterMusikerundDirigentderMusikvereineBuochsundEnnetbür-gen.CharlesWyrschwächstaufgrunddesfrühen

TodesseinerMutterbeidenGrosselternauf;Gross-vaterKarlistDekorationsmaler,derseinHand-werkwährendeinessechsjährigenAufenthaltsinMünchenerlernthat.SeinSteckenpferdistdieLandschaftsmalerei,dieernachVorlageninderTraditiondes19.Jahrhundertsauszuführenpflegt. Allesspieltsichjedochzuerstineingeüb-tenBahnenab.CharlesWyrschbeginntimAltervonfünfzehnJahren,wiediesfürdenSohneinesMalermeistersmiteigenemGeschäftzuerwar-tenist,dieLehrealsFlachmaler.NachdemLehr-abschlussimväterlichenBetriebbesuchterabSeptember1939dieKunstgewerbeschuleLuzernzwecksFortbildungimSchriftenmalen.ImmerfleissigerbesuchterKurseimFigurenzeichnen,etwabeimLehrerErichMüller,undziehtendlicheinekünstlerischeAusbildunginBetracht.1DieErnsthaftigkeitseinerAbsichten,dieMalereizumBerufzumachen,unterstreichtWyrschmitdemWechselandieÉcoledesBeaux-ArtsinGenfimSommer1943,derdamalseinzigeneigentli-chenKunstschulederSchweizmitakademischemGepräge.CharlesWyrschbeschreibtdieÉcoledesBeaux-ArtsalseinetraditionellausgerichteteSchule,andererangehaltenwurde,WerkealterMeister,vorabderRenaissance,zustudieren. SeineArbeitenjenerJahrezeigendieEin-flüssederGenferKunstschule.Deutlichzuerken-nenistdiesinseinenLandschaften,aberauchimfrühenSelbstbildnisvon1944,dasihnalsselbstbewusstenjungenKünstlerzeigt.—Abb.IAuchdasinseinerGenferZeitgemalteBildeinesMarkt-standes,Ohne Titel(1945),zeigtNähezurValeur-Malerei,dieanderGenferKunstschuleunterdemEinflussvonAlexandreBlanchet(1882–1961)gepflegtwurde.Bemerkenswertandiesemklein-formatigenWerksinddieFlächeninWeissundGrün,diealsFarbfeldereinenabsonderlichenEigenwertentfaltenundalseigenständigeFigurendieKompositionbeherrschen.—Abb.IIAnge-sprochenaufdasüberraschendeEigenlebenderFarbflächen,meintCharlesWyrschheute,dasseieinfacheinsehrschönesWeiss,wasalsGrundfürdieSetzungdurchauseinleuchtet.2 DreiJahrebleibterinGenfundschliesstdieAusbildungmitAuszeichnungab.1946vollziehtereineKehrtwendehinzurModerne.ErgeniesstwährendmehrererMonatePrivatunterrichtbeimAvantgardistenundehemaligenMitglieddesModernenBundes,AlbertPfister(1884–1978),derihnmitderFarbintensitätderFauvistenundderdeutschenExpressionistenkonfrontiert.3Pfisterhältihnan,GemäldealleinausdendreiPrimär-farbenGelb,Rot,BlauunterVerzichtaufWeisszuerarbeiten.DieFarbewirddabeiunverdünntausderTube–CharlesWyrschnenntdies«buttrig»–

8 II DerHabitusdesKünstlers

CharlesWyrschdebütiertmiteinerSerievonPortraits,dieer«Barone»nennt.MitdieserPor-traitseriebeziehterPosition.EräussertsichalsKünstlermiteigenständigenArbeiten.Offen-sichtlichverarbeitetermitdieserWerkserieseinePariserErfahrung.DieBildnisseder«Barone»entstehenbezüglichKoloritundkompositorischerAuffassunginAnlehnungandieausklingendeÉcoledeParis,namentlichanWerkevonAmedeoModigliani(1884– 192o)undJuanGris(1887–1927).—Abb.VI

EssindPortraitsmitkubischaufgebauten,gelängtenGesichtern,oftversehenmiteinerschwarzenMelone.DasKoloritistbeiallerZurück-haltungundKargheitexquisit–immerkehrenTizianrot,RömischerOcker,Caputmortuum,SchwarzundWeisswieder–undlässtdenEin-druckdesReichenundKostbarenentstehen.EssindBilderstarrerRepräsentation,dieeinenZuginsKarikaturistischeundMaskenhafteer-halten,wasgegenüberdemaltmeisterlichenMal-gestuseineeigenartigeFaszinationbewirkt.6ManchenPortraitsliestmandieZügedesKünst-lersab,derseinAbbildmiteinemvornehmenHabitusausstaffiert:«ErmachtnieeinenHehldaraus,dassersichselbstgerneimMittelpunktallerDingesieht.»7 DassympathischHochstaplerischedieserFiguristgleichsamdieErfindungeinerIdentität,zwarironischhinterlegt–abundanerkennenwirauchAnlehnungenundVerwandtschaftenzurFigurCharlots–,aberdocheineSelbstinszenie-rungdesKünstlersalsDandy,dieesihmerlaubt,sichvomkleinbürgerlichenMilieu,ausdemerursprünglichstammt,zudistanzieren.DerZu-standderFiguristjedochimRobertWalser’schenSinnlabil.DerSchutz,denihmdieRolleindertheatralischenÜberhöhungbietet,drohtimmerauchverlustigzugehen. Erschliesstmitden«Baronen»eineerstePhasederkünstlerischenSelbstfindungab.Sichsel-berwerden,hatCharlesWyrschdiesenProzessumschrieben.8MitdieserGemäldeseriereüssiertervorderLuzernerKunstszene.EricaundJosefEbinger,Endeder5oer-JahrewichtigeAnlaufstelleundeigentlicherDrehpunktderjungenLuzer-nerSzene,werdenaufdasSchaffendesjungenKünstlersaufmerksamundveranstalten1957dieersteEinzelausstellunginderGalerieanderReuss.Bereits196ofolgtdiezweiteAusstellunginderGaleriederEbingers.PeterF.Althaus,dernachmaligeKonservatoramKunstmuseumLuzernundChefredaktorder«Kunst-Nachrich-ten»,9würdigtdasSchaffendesjungenKünstlers

aufgetragen.DasfrüheFrauenportraitinRot,Ohne Titel(um1946),istunterdemEinflussvonPfistersFarblehreentstanden.—Abb.III

ErwechseltdanachandieKunstgewerbe-schuleBasel,dieunterderLeitungdesKonstrukti-vistenWalterBodmer(19o3–1973)damalseinenhervorragendenRufgeniesst.SolerntderjungeWyrschzwischen1946und1949nebenderfarb-intensivenexpressionistischenAusrichtungauchdieanalytische,konstruktivistischeTendenzderModernekennen.CharlesWyrschbezeichnetWalterBodmer,derihmauchdenZugangzurabs-traktenKunsteröffnet,alseinenseinerwich-tigstenLehrer:«DieBaslerSchulewarsehrstreng,sostreng,dasssiemichfüreineWeileeigentlichvollkommenniederschmetterte.NachBaselhabeichdenRespektvorderMalereigelernt,undderistgeblieben.»4

SeineAusbildungrundetervon1949bis1952miteinemAufenthaltinParisab.ErbesuchtKurseanderoffenenKunstschuleAcadémiedelaGrandeChaumièreundlässtsichvombekanntenKunstlehrerAndréLotheunterrichten.Dieweni-generhaltengebliebenenArbeitenseinerAusbil-dungszeitbelegendieEinflüssederunterschiedli-chenKunstrichtungen,dieCharlesWyrschalsSchülerverarbeitet.DasStückderdreiBadendenzeigtdieAuseinandersetzungmitdemSchaffeneinesPaulCézanne.—Abb.IVBishinzumMalgestusfolgthierderjungeKünstlerdemBeispieldesfranzösischenMeisters.BeidenGemäldenderKathedraleNotre-DamedeParisisterimKoloritwiedermehrdenImpressionisten,namentlichdemWerkvonClaudeMonet,verpflichtet.—Abb.VDieZeichnung,diedieFassadenflächederKathe-dralestrukturiert,erinnertgleichzeitigandiekonstruktivistischeAuffassung,dieihmWalterBodmervermittelthat.IndieserAuseinander-setzungmitunterschiedlichenVorbildernderKunstfälltauf,dassdieneuestenTendenzenderZweitenÉcoledeParis,diesichseit1945umdieKünstlerDubuffet,Soulages,deStaël,Hartung,Poliakoff,Mathieuetabliert,dasSchaffenvonCharlesWyrschinjenenJahrenkaumbeeinflussen. WiederzurückinderSchweiz,erhälter1953seinerstesEidgenössischesKunststipendiumzu-gesprochen,dasihmeinenfünfMonatedauerndenAufenthaltinSpanienermöglicht.AngelpunktdieserReiseistdasWerkvonElGreco,daseranunterschiedlichenStationenimOriginalstudiert.51 WeitereLehreranderKunstgewerbeschuleLuzernwaren

u.a.MaxvonMoosundWernerHartmann.2 AteliergesprächvonCharlesWyrschundHilarStadler,Kriens,

1.6.2o1o.3 AufdenKunstlehreraufmerksamgemachthatihn

dieKünstlerinGertrudStiefel.4 ErnstScagnet,«LuzernerKünstlerwiesieleben–

wiesiearbeiten(X)–CharlesWyrsch,LichtundFinsternis»,in:Luzerner Neueste Nachrichten,2o.1.1968.

5 WieAnm.2.

11 DiereineFarbeerhältdabeieineüberraschendeEigenständigkeit,alswürdeWyrschsichmitdiesenabstraktenStudienaufdieLehreAlbertPfistersbesinnen. ImmermehrnimmterzuerstdieIntensitätderFarbezurück.DasBildAufsteigender Rhythmus(1965/1966)basiertaufderReduktiondesKolo-ritsaufBraun-,Weiss-undSchwarztöne,istaberinseinerkompositorischenBewegtheitmitdenfrüherenArbeitenverwandt.—Abb.IXMehrundmehrberuhigtCharlesWyrschFarbklangundRhythmus.AuchderMalgestuswirdkontrollier-ter,diebildbestimmendenElementeaufwenigeAkzentereduziert,ausgehendvoneinersymme-trischenAnordnung.DieseFigurationensetztervoreinendunklen,sichineineunbestimmteTiefeöffnendenMalgrund,vordemsiezuschwebenscheinen,wobeihierderKontrastHell-DunkelindenVordergrundrücktunddenFarbakzentimmernebensächlicherwerdenlässt.WyrschsWegzurAbstraktionführthinzueinerVerinner-lichungundistschliesslicheinWegzurückzu«archetypischenUrvorstellungenhieratisch-symmetrischerBildstrukturen:deshalbscheinenseineabstraktenFigurationengeradezuzwangs-läufigindieSphäresakralerWeiheeinzumün-den».13BeispielhaftkannmandiesamGemäldeAllerseelen(1971)festmachen.—Abb.X1o PeterF.Althaus,«CharlesWyrsch»,in:Werk,1o,1964,S.376 –378.11 StanislausvonMoos,«CarlottaStocker–CharlesWyrsch»,

KunstmuseumLuzern,in:Werk,7,1964,o.S.12 AndréRogger,Charles Wyrsch,www.sikart.ch.13 StanislausvonMoos,«CarlottaStocker–CharlesWyrsch»,

KunstmuseumLuzern,in:Werk,7,1964,o.S.

DasKreuz

Mitteder6oer-JahreentstehtmitdemKreuzwegfürdieTheresienkapellederPiuskircheinMeggeneinesvonCharlesWyrschsfrühenHauptwerken,dasdieRezeptionseinesSchaffensalseinesreligi-ösennachhaltigprägenwird.EsgelingtihminVerbindungmitdemvonFranzFüegentworfenenSchlüsselbauderNachkriegsmoderneeinbedeu-tendesBeispielderkirchlichenKunstderModerne.XavervonMoossiehtihninseinerUmsetzunggleichwertignebenden«grossenkirchlichenKünst-lernderGegenwart».14 DasWandgemäldestehtimKontextmitbe-kanntenArbeitenzurkirchlichenKunst,dieindererstenHälftedes2o.JahrhundertsmitWerkenvonMatisse,RouaultundandereneineneueAk-tualitäterhält.CharlesWyrschsinddieseArbeitenbekannt,erwähltaberfürseinGemäldeanderRückwandderTheresienkapelleeineneigenstän-digenWeg.ErwagtetwasNeues,indemerdasGeschehendesKreuzwegesaufeinemdurchgehen-den,überzwanzigMeterlangenBandalsein

in«Werk»undrichtetCharlesWyrsch1964ineinerDoppelpräsentationmitCarlottaStocker(1921– 1972)dieersteAusstellungimmusealenKontextein.6 «CharlesWyrsch.GalerieanderReuss»,in:Werk-Chronik,12,1957.7 EvaRoelli,«BesuchimKünstler-Atelier;beiCharlesWyrschin

Lachen»,in:Luzerner Tagblatt,3.6.1961.8 WieAnm.2.9 PeterF.Althausistvon1959bis1968Konservatoram

KunstmuseumLuzern.

«MetaphysischeGlut»

Die«Barone»sindalsthematischeundkompo-sitorischeAnlageletztlicheindochzurigidesBild-konzept,dasdenMalerinseinerEntwicklungeinzuengendroht.CharlesWyrschwendetsichinderFolgevermehrtdemStilllebenzu,daserum196ofürseinSchaffenneuentdeckt.EswirdzumeigentlichenÜbungsfeldfürdieWeiterentwick-lungseinerMalerei.AmvielfachvariiertenMotivdernebeneinandergereihtenFlaschenundGe-fässetreibterseineStudienderProportionen,VolumenundRaumverhältnissevoran.1oUndimmermehrverdichtensichdieseStudienzuBil-dernreiner,gegenständlichnichtmehrbestimm-barerGegenwart.UndimmermehrwirdindiesenFigurationen«dieFarbezumalleinigenAus-drucksträgerunderreichtinständigerIntensi-vierungschliesslicheinebeinahmetaphysischeGlutundmagischeAusstrahlung»,wieStanislausvonMoosineinerAusstellungsbesprechungvon1964festhält.11—Abb.VII

SoerlangtCharlesWyrscheineFreiheitdespersönlichenAusdrucks,diefolgerichtigzurAbs-traktionhinführenmuss.DieseEntwicklungistgleichzeitigmitderModifizierungseinerMal-weiseverbunden.Derleichte,lasierendeMalstilseinerPortraitserie,derimUmgangmitderFarbederEleganzderÉcoledeParisverpflichtetist,wirdabgelöstdurcheinenwuchtigen,pastosenFarbauftrag.DasGemäldeDas Begräbnis des Don Carlos(1965/197o)isteinBeispielaufdemWegdieserEntwicklung.—Abb.VIIICharlesWyrscharbeitetimmermehrmitdemSpachtelunder-reichtdadurcheineneueMaltextur,welcheauchaufdieBildanlageEinflussnimmt.InderFolgeentstehenum1965pastosgespachtelteFarbfeld-malereien,diesichmitihrendominierenden,eckigenFormenandenGemäldenvonNicolasdeStaëlundSergePoliakofforientieren.12

SeineerstenVersuchesindfreierhythmi-scheStudien,welcheSinneseindrückeinabstrahie-rendeFigurationenumsetzen.GesehenesundErlebteswirdinbewegtenBildgestaltungenauf-gelöst.DiesehauptsächlichkleinformatigenArbeitensindeigentlicheFarbkompositionen,dieaufderLeuchtkraftderPrimärfarbenberuhen.

III

V/VIIV

14 VII NeueGegenständlichkeit

«CharlesWyrschistvielleichtdergrössteKünstler–umdieKlassifizierungzuwagen–,dendieInnerschweizjehervorgebrachthat»,18ordnetderKunstkritikerundspäteretheoretischeBeglei-terderInnerschweizerInnerlichkeit,TheoKneu-bühler,dasSchaffenvonWyrschein.Das1969formulierteVersprechenwirdsichnichtinderpro-phezeitenFormerfüllen.DieKunstverändertsichvon1968bis1972radikal,zwischenderbahn-brechendenAusstellung«Whenattitudesbecomeform»anderKunsthalleBernundderKasselerdocumenta5.MalerischePositionentretennebenkonzept-undprozessorientierterKunstzuneh-mendindenHintergrund. WyrschsReaktionaufdieseEntwicklungistüberraschend,aberfürseinenEigensinnwie-derumtypisch.ErkehrtabvonderAbstraktionunderfindetsichneudurchdieHinwendungzumFigürlichen.DenWandelvollziehterinderGattungdesPortraits,präziser:miteinerSerievonSelbstportraits.WiedersetzteranbeidieserFormderSelbstbefragung,vergleichbarderVor-gehensweisebeiderGemäldeserieder«Barone»Endeder5oer-Jahre.—Abb.XI

DieBesinnungaufdasSelbstbildniskombi-niertermiteinerHinwendungzualtmeisterlichenMaltugenden.ErkehrtzurückzuPinselundPaletteundsetzteinmalmehraufdieihmver-trauteTechnikderÖlmalerei.AuchdiesmagimKontextderKunstentwicklungzuBeginnder7oer-Jahreüberraschen. DiePortraitsdieserSeriesindäusserstdunkelgehalten.GeheimnisvolleGesichter,aufbeinahabstrakteZeichenreduziert,bevölkernausnahms-losdüstereRäume.NurmühsamscheinensiesichausdemDunkelherauszulösen,prekäristihrZustandamRandderSichtbarkeit.AlswürdendieseGesichterausderErinnerungheraufsteigen,alswärensienichtTeileinesbeobachtetenGegen-übers.—Abb.XXVII/XXXVI

EsisteinereferenzielleMalerei,dieWyrschhierpraktiziert.BezugspunktdieserPortraitsistdiesmalnichtdiechristlicheIkonografie,son-derndiespanischeSchuledes17. Jahrhunderts,namentlichdasWerkvonVelázquez,dasermitdieserSerienacheinermehrjährigenGärungszeitverarbeitet.EinefrüheBegegnungmitdemWerkdesspanischenMeisterssollbereitsanlässlichdererstenSpanienreiseum1953stattgefundenhaben,vonderCharlesWyrschberichtet,dassihmdieReduziertheitderFarbenindenBildnissenvonElGrecoundVelázquezgrossenEindruckgemachthätte.19AktiviertwirddieErinnerungandiespanischeMalereimöglicherweisedurch

AufundAbvonChristus’Leidendarstellt.InseinerUmsetzungverzichteteraufdasanekdo-tischeerzählerischeBeiwerkundbündeltdiePassionaufdie«ErfahrungvonbangerEinsamkeitundtrostloserVerlassenheitineinemunbestimm-barenWeltenraum».15 DieFigurationenrhythmisierendieDarstel-lungvomLeidenswegChristi.TrägerindesInhaltsistjedochdieFarbe,dieindieserArbeiteinebemerkenswerteRolleeinnimmt.DieFarbakzentestrukturierendieBedeutungsebenendieserLei-densgeschichte:«AmSchlussegibtunsderMaleretwasvomGrossartigsten,dasernurdurchdasMittelderfarbigenKlängeauszudrückenim-standewar:denGlaubenanAuferstehungundHimmelfahrt.»16OffensichtlichbasiertdieserUmgangmitderFarbeaufseinenzeitgleichstatt-findendenabstraktenStudien. CharlesWyrschmeintmitderPassionundebensomitdenwiederkehrendenDarstellungendesSchmerzensmannesnichtalleindasLeidChristi.DerKünstlergleichtdiesesvorbildlicheLeidmitpersönlichenErfahrungenab.IndieZeitseinerArbeitenamKreuzwegfälltderUn-falltodseinerdreijährigenTochterCaroline.CharlesWyrschhat,nacheigenenAngaben,diesesschmerzhafteErlebnisinseinemWandgemäldefürMeggenverarbeitet.17 ErverschränktalsopersönlicheLeidverar-beitungmitMotivenderchristlichenIkonografie,ausderenTopoiersichbeinaheausschliesslichaufdenSchmerzensmann,aufdenGekreuzigtenoderdenEccehomobezieht.DieseMotiveschei-nenseinerLebensauffassungzuentsprechen.DurchdasEinfärbenderikonografischenVorlagedurchMomentedespersönlichenEmpfindenslädterdieMotivemitneuerBedeutungaufundgibtihnenihreGültigkeitzurück. CharlesWyrschüberschreitetdurchdieseSubjektivierungtradierterBildmusterdieinderIkonografievorgegebenenWissensinhalteunderfülltsiemitneuemLeben.MitdemschreiendenChristusetwa,Schrei(1995/1996/2oo1),entferntersichdeutlichvoneinertraditionellenGottes-darstellung,undwirsehendasAufbegehren,denProtesteinesMenschenunsererZeit.—Abb.XLIVImBlickstehtfürWyrschnichtprimärdieKate-gorieeinerreligiösenKunst.DerGekreuzigtewirdvielmehrzueinermetaphysischenChiffre,dieer–wiedasanalogfürdieSelbstportraitsunddieAktdarstellungengilt–inunterschiedli-chenPhasenseinesSchaffensmalerischaufihreBedeutungbefragt.14 XavervonMoos,«DerKreuzweginMeggenvonCharlesWyrsch», in:Vaterland,13.2.1967,o.S.15/16 Ebd.17 MarkusBritschgi,Charles Wyrsch. Werke 1942–1990,Stans199o,S.3of.

17 ManchmalsindKopfundFüssemalerischkaumausformuliert,siesindnurzuerahnen.Ergehtdabeinichtvoneinerfestgelegtenkompositori-schenStrukturaus,vielmehrformterdenKörper,indemermehrfachansetztunddasErreichtewiederüberarbeitet.Verständlich,dassesbeidie-serArbeitsweisezuunvorhersehbarenEntwick-lungenkommtunddieDarstellungdasBildformatüberragt,dieFigurallenfallsneuzukonturie-renist,umihrHaltzugeben,wiewirdiesbeiderLiegendenvonDer Rücken auf Braun(1973/1995/1996)zuerkennenmeinen.—Abb.XIV

DieMalweisewirdaufdasMotivausgerich-tet.DerMalerschaltetdie«elementare,physischeAnwesenheit»,dieerdenLiegendenzuschreibt,gleichmitderbetontenPräsenzderMaterialitätseinerkünstlerischenMittel.DasKoloritistinseinerReduktionaufeinHell-DunkeldemjenigenseinerDon-Carlos-Bilderverwandt.DerDuktuserhältneueBedeutung,wirdbewegtundstruk-turiertdasMotiv.DieMaterialitätderFarbebringtden«Körper»derMalereiinsSpiel.DiePräsenzderdargestelltenFigurgehtschliesslichausdemErosderMalereihervor.2o «CharlesWyrsch»,in:Jean-ChristopheAmmann/TheoKneu- bühler(Hrsg.),Rapport der Innerschweiz im Helmhaus Zürich,

Ausstellungskatalog,HelmhausZürich,Luzern1974,o.S.

Protestbilder

Um198ostösstermitden«Protestbildern»aufneuesTerrainvor.AuslöserdieserWerkserieistderkonkreteWiderstandgegeneingeplantesBau-vorhabeninseinerunmittelbarenNachbarschaft.MitmalerischenMittelnkämpftergegendieZerstörungdesnatürlichenLebensraumsan.DerProtestäussertsichzuerstineinerSerievonLand-schaftsbildern,VedutenderZerstörung,indenenerdieVeränderungdesihnumgebendenLebens-raumsdokumentiert.CharlesWyrschwirdzumengagiertenKünstler,dersichmitseinerMalerei–wennauchvergeblich–gegendasUnabwend-barezurWehrsetzt. DerProtestistzwecklosundderKünstlerempört,dasseinBauvorhabeninseinerWohnge-meindenichtgestopptwerdenkann,auchisterenttäuschtvondenInstitutionen,diedieseBauver-schandelungnichtverhinderthaben.MitSchalkerzähltergerne,wieerdanachderGemeindeKrienseinStilllebengeschenkthabe.DargestelltseienaufdiesemStilllebenfünfleereFlaschen,dieerindirektemBezugzudenfünfAmtsträgernsieht,welchedamalsderGemeindevorstanden. AusgehendvondiesempersönlichenErlebnis,äussertsichseinZornimmermehrineineroppo-sitionellenHaltunggegenüberdenherrschendenZuständen,imSpeziellengegenüberderUmwelt-

dieRezeptiondesWerksvonFrancisBacon(19o9–1992),dieanlässlichderAusstellungimPariserGrandPalaisvon1971vertiefteinsetzt.BaconsWerkistsomitauchmitWyrschserwachtemInte-resseamFigürlicheninVerbindungzubringen. WiederschreibterdenunterschiedlichenSelbstportraitsRollenzu,dieinihrenwechselndenIdentitätenmithistorischenBezügenkokettie-ren.CharlesWyrschstattetsiemitAttributenaus,welchedieFigurenderfeudalenWeltdesspani-schenAdelszuordnet;dieHalskrauseimGemäldeDon Carlos de negro(1971– 1973/1983/1986–1988/199o)isteinBeispieldafür.—Abb.XLII«DonCarlos»nennterzuweilendiesesAlterEgo,alsdasersich,zugehörigdenBildweltenderspanischenMalerei,inszeniert.AufbemerkenswerteArtundWeiseverschmelzenhierMalgestusundSelbst-inszenierung–alswürdeersichdurchdieRollen-zuschreibungindiejeweilsbevorzugteMaltradi-tioneinschreiben.DieseFigurensindGeschöpfederKunst.DasGedächtnis,ausdessenErinnerungdieseFigurenaufsteigen,isteigentlichdieMalerei.18 TheoKneubühler,«EineneueFormdesVisionären»,in: Vaterland,1.12.1969.19 WieAnm.17,S.29.

KörperderMalerei

ParallelzudenDon-Carlos-BildnissenwendetersichseitAnfangder7oer-JahrevermehrtdemAktzu.CharlesWyrschsetztzueinemWerkzyklusan,denerbisindieaktuelleZeitlaufenderwei-tert.InderAuseinandersetzungmitdemweib-lichenKörpererschafftereinenBildtypus,andemerimmerwiederarbeitet,denerinVariantenimmerwiederbestätigt. EinefrüheprototypischeAusformungstelltderRückenaktmitdemTitelLiegender Akt(1972)dar.—Abb.XXVIIIDieweiblicheFigurliegtaufdemBauch.SiewendetsichvomBetrachterab.DieFigurhebtsich,vergleichbardenPortraitsjenerJahre,vereinsamtvoneinemtiefschwarzenGrundab.WyrschetabliertmitdemRückenakteineArtSchlüsselfigurseinesSchaffens,dieerfolgen-dermassendeutet:«MitmeinenisoliertsichimdunklenRaumbefindendenFigurenmöchteichdieEinsamkeitdesheutigenMenschenineinerrationalistischdenkendenGesellschaftdarstellen.IndemdieweiblicheFigurinmeinenletztenArbeitenaufdemBauchliegt,wirdsieinihrerelementaren,physischenAnwesenheitnochstärkeraufsichselbstzurückgeworfen.»2o

WyrschnimmtnichtdenganzenMenschenindenBlick,erkonzentriertsichaufTeiledesKörpers,hieraufdasGesässunddieSchenkel.DerKörperistvomBildzentrumhergemalt.Erarbei-tetsichvomRumpfzudenExtremitätenvor.

VIII

XIX

21 Die«Protestbilder»markiereneinenWendepunktimSchaffenvonCharlesWyrsch.IndemerPosi-tionbezieht,modifizierterdiekünstlerischenAnliegenundwendetsichvorübergehendvondenakademischenThemenstellungenab,innerhalbderenGrenzenseinbisherigesWerkverortetwar.ErarbeitetanderEinsetzungeinerzeithaltigenMalerei.IndiesemPunktkönntedasBeispielBaconseinmalmehreineAnregunggewesensein:nämlich,dassauchaufderGrundlageeinerin-tensivenBeschäftigungmitdenaltenMeisternundunterEinsatzdestraditionellenmaleri-schenHandwerksfürdieGegenwartgültigeWerkegeschaffenwerdenkönnen.DasAnliegeneinergegenwärtigenKunstentwickeltsichausderErfah-rungder8oer-JahrezueinemwichtigenAspektseinerspätenWerke. MitderVerlagerungderInteressenscheintsichentsprechenddieBewertungdesbisherigenSchaffenszuverändern.Esfälltauf,dassseitEndeder7oer-unddannvermehrtseitAnfangder8oer-JahreeineNachbearbeitungseinesWerkseinsetzt.CharlesWyrschunterziehtdiefrüherenArbeiteneinerNeubewertung,übermaltdiege-schaffenenWerkeundüberführtsieineinenArbeitsprozess,dersichoftübermehrereJahrehinzieht–alsobseinWerkebensoderKriseausgesetztseinkönnte.InjenenJahrenbeginnter,dieArbeitsschritterückseitigaufdenBildernfestzuhalten.EsentstehteineArtProtokollderWerkgenese.OffensichtlichsinddieseRegisterdesSchaffensprozessesAusdruckseinermanchmalzweifelndenSuchenachdem«richtigen»Bild.DarüberhinausbegreifenwirdieseNeubearbei-tungalseinelaufendeAktualisierungseinesbisherigenSchaffens.ErsetztseineBildermehr-fachenVeränderungenausundtransferiertsiequasiindenjeweilsaktuellenWerkzusammenhang.InsofernlässtsichdieseÜberarbeitungalseineArtBelebungverstehen–odersollmansagen:BeatmungseinesWerks?EineStrategie,diemanbereitsinseinerBeschäftigungmitVorlagenausderklassischenMalereierkennenkonnte.21 EvaKramis,«BildbefreiungundBefreiungimBild»,in:

MartinSchwander(Hrsg.),Charles Wyrsch,AusstellungskatalogKunstmuseumLuzern,Luzern1996,S. 1o.

MaleninderGegenwart

Inden«Protestbildern»formulierterAnliegenundKritikexplizitmitoftanklagenden,garpole-mischenBildfindungen.Seitden9oer-JahrenwendetersichunterBeibehaltungdergrundlegen-denFragestellungendenangestammtenMoti-venseinesWerkszu,dasseitdenAnfängenaufderTriasvonPortrait,Akt,Stilllebenbesteht.ErbesinntsichwiederaufdasSelbstportrait;davon

zerstörung,derLuftverschmutzung,demVerkehr.SeinProtestdrücktsichinderFolgealseineKritikanderGesellschaftaus,dieerabMitteder8oer-JahrevorzugsweiseinderBildgattungdesPortraitsabhandelt.DieKrisedieserGesellschaftspiegeltsichzunehmendalsKrisedesEinzelnen.CharlesWyrschartikuliertseineBeobachtungen,seineSorgenundseineVerzweiflungnunfastausschliesslichinBildernvonGesichtern.DasAnt-litzwirdgleichsamzurBühnederKrisen-undProblemdarstellungen.GemäldewieAngst(1981/1982/199o/1995–1997)—Abb.XIX,Aussichten(1973/1974/1976 –198o/1983/1984/199o)—Abb.XXIII,Unglücklich(1997)—Abb.XLVIsindBeispielederthe-matischenVerlagerung.EineSteigerungauchinderMalweiseerhältdieSeriemitdemWerkTrauer um den Tod der Geliebten(1983/1985/199o/1991/1994/1995/1997).—Abb.XVIndemkleinformatigenGemäldemitdemTitelWahnsinn(1979–198o/1983–1985)verzerrterdasFrauengesichtbiszurUnkenntlichkeit,indemeresmitgrobenPinsel-strichenübermalt.DieIntegritätderFigurwirdhinterfragtunddrohtverlorenzugehen.—Abb.XLVII

Die«Protestbilder»erhaltenAnfangder9oer-Jahremitdensogenannten«Feindbildern»eineSteigerung.WyrschverarbeitetindieserGemälde-serieeinnegativesErlebnisimNachgangseinerretrospektivangelegtenAusstellungvon199oundformuliertindenBildernseineWutgegenüberderverantwortlichenPerson,vonderersichgetäuschtundungebührlichvereinnahmtfühlt.DieGemäldeserieistschliesslichauchalsdieVerarbeitungeinestraumatischenErlebnisseszuverstehen,dasihnandenRandeinerpersönlichenKrisebringt.21DieseBilder,dieeralseineAbrech-nungmiteinem«Feind»,einerkonkretenPerson,beginnt,haterbereitswiederinandereThemen-bereichetransformiert.DiePortraitsdes«Macht-menschenB»,wieerseinenKonterpartnennt,betiteltermitSchöner Wohnen in Kriens(1982/1995)—Abb.LIoderF. P.(1982/1983/1994)—Abb.LIIundverschränktsiemitdemThemaderVerschan-delungseinesLebensraumsunterdemDiktateinesspekulativenBauens,dasamAnfangdieserWerkseriesteht. DerMalaktwirddurchdie«Feindbilder»zueinemVorganganimistischerBeschwörung.SeineMalereientstehtausdemAffekt.Ermalt,zeich-net,überzeichnetdenKopfdesKontrahenten,traktiertihnmitPinselstrichenundverformtihnzueinemmonströsenGebilde.MitSäureundRasierklinge,mitAbdeckbandbearbeiteterdieMalschichtderBilderundmeinteigentlichdenDargestellten.DasMalenimFurorbringtihnzuexperimentellenTechniken,durchdieerauchseinemalerischenMittelerweitert.

XI

22 XIIEsgehtCharlesWyrschnichtumInterpretation.SeineBildersindeineÜbersteigerungdesTatsäch-lichen.SiegeheninderSpiegelungdessen,wasamObjektpassiert,weitüberdieWirklichkeithinaus.Undvielleichtbremster,vergleichbardenPhänomenen,dieSamuelHerzoginBezugaufdasSchaffenvonLucienFreudfeststellte,diekörperlichenManifestationenimRaumderMalereisoab,dassDingespürbargemachtwerden,dieeigentlichnichtfürdieÖffentlichkeitvorgesehensind.23Undmöglicherweiseistdieunmittelbare,anschaulicheEvidenz,24dieseineBilderausstrah-len,durchdiesesMomentbestimmt. CharlesWyrschäussertsichbezüglichseinerjüngstenWerkedahingehend,dasseseinedergrossenSchwierigkeitensei,nichtderRoutinezuverfallen.SobeschreibterdieMeisterschaft,dieerüberalldieJahrezweifelsohneerlangte,alseinedergrösstenGefahren,gleichsamalsFalleseinesheutigenSchaffens.SeinespätenWerkesindimmeraucheinAnmalengegendieroutinierteSicherheit.Erwollejeweilsbeim«Nichts»begin-nen,meinter.25SoführterdieMalereianihrenNullpunktzurück,umvondortseineKunstgewis-sermassenneuzuschaffen.22 FlurinaParavicini-Tönz/GianniParavicini-Tönz/Cristina

Casagrande(Hrsg.),Charles Wyrsch. Edith,Luzern2oo3.23 SamuelHerzog,«DasLebenalsKruste»,in:Neue Zürcher Zeitung,

28.5.2o1o,S.49.24 MartinSchwander,«ZumGeleit»,in: Charles Wyrsch,Ausstel-

lungskatalog,KunstmuseumLuzern,Luzern1996,S. 5.25 WieAnm2.

Narzissspricht

ÜberschautmandiesesWerk,sowieesdasvor-liegendeBuchineinerstringentenAuswahlermög-lichenmöchte–undwieesnochdeutlichersicht-barwurde,alsfürdiesesProjekteineumfassendereAuswahlzusammengetragenwurde–,dannfällterstdieGeschlossenheit,dieKraftderSerienauf,indenenderKünstlerseineArbeitenrealisiert.DiesesWerkenstehtinSchüben,diezyklischwieder-kehren,anderenUrsprungofteineneueErkennt-nis,eineAnregungvonaussenstehenmag.CharlesWyrschhatseineAntennenbekanntlichweitausgefahren,erabsorbiert,waserinderKunsterfährtundbegreift,inseineMalerei.DasArbeiteninSerienistdanneineArtDurchdeklinierenneuerErkenntnisseundneuerErrungenschaften. Nicht,dassdasEinzelbildsichinderSerieunterordnenoderauflösenwürde.JedesseinerGe-mäldebeschwörtindermitnienachlassender,obsessiverIntensitätvorangetriebenenmalerischenAnnäherungdieikonischeQualitätdesBildes.WyrscharbeitetmitjedemBildstets,wiedasHansRudolfSchneebelibeschrieb,aneinerletztenFormundsomitanseinerzeitlosenAktualität.26

abgeleitetmalterwiedervermehrtStill-leben,indenenerdasMotivdesSchädelsinsZen-trumrückt.Alswolleerunterstreichen,dassdieGewissheitdesSchädelsjedesseinerAntlitzebestimmenwürde.CharlesWyrschbeziehtsichaufdasSujetdesMementomori,dasihmausdemBarockvertrautist.UnderthematisiertetwaimGemäldeAus (1982/199o/1997/1998)explizitdasEnde,welchesdemAlter,daserinseinenPor-traitsdarstellt,bevorsteht.—Abb.LXV

DasSelbstportraitüberführterinden9oer-JahrenineineintensivgeführteSelbstbeob-achtung,dieunbeabsichtigteineLangzeitstudieauslöst,welchedieVeränderungdesalterndenMenschendokumentiert.WeitentferntvoneinerkonzeptuellenAnordnung,maltersichgewis-sermasenhicetnunc,weildiesesMotivtäglichverfügbaristundinsoferndasdarausentstehendeSelbstgesprächTeilseinerLebensrealitätinderAtelier-Klauseist.SoentstehtübermehrereJahreeineschonungsloseDarstellungdesAlterns–einThema,vergleichbarmitderPortraitserieseinerunlängstverstorbenenFrauEdith22–und,darinenthalten,eineStudieüberdieVergänglichkeitallesMenschlichen.DieseGewissheitbedingtdenschonungslosenRealismus,derdieWerkeaus-zeichnet. EindrücklichistdieIntensitätderSelbstbe-obachtung.ImUnterschiedzudenfrüherenPor-traitserienvermeideterTypenhaftesundverzichtetweitgehendaufhistorischeBezüge.DerKünstlerschautinseinGesichtundscheintdieGesichtszügestaunendvonNeuemzuentdecken,erkenntsichzuweilenselber.ImUnterschiedzurNähe,welchedieseArbeitsanordnungvermutenlässt,nehmenwirimmerauchdieDistanzwahr,diederMalerzuseinemSelbstherstellt. BeidiesenSelbstportraitsstehtnichteinphilosophischesErkennenimVordergrund.ErsuchtindiesenBildnissennichtdieReduktionaufdasWesentliche.Ermaltalles,wassichindenFal-tenundGrubendiesesGesichtsbeobachtenlässt.JedesDetailistrelevant,nichtsgehtverloren.CharlesWyrschkumuliert,trägtStrichumStrich,SchichtumSchichtauf,bissicheineArtKrusteüberdemDargestelltenbildet.ErsetztwiederundwiederamgleichenOrtan,modellierend,anhäu-fend;eineArtSuche,diemanchmalanGiacomettierinnert.SoregistrierterjedesDetail,dassichindiesemGesichtverändert,undmaltselbstdasWachsenderNase,daserineinemebensobeti-teltenSelbstbildnisfesthält.—Abb.LXIV

ManwirddiesenBildnissennichtgerecht,wennmaninihnendiepsychologischeDeutungeinerTiefesucht,wennmansiereduziertaufdieBlosslegungeinerbeobachtetenWirklichkeit.

24 XIII HerausragendfürseinSchaffenistdieBe-deutungdesSelbstportraits.IhnenkommtindieserWerkanlageeinbesondererStellenwertzu.DennCharlesWyrschstössteineneueSchaffens-phaseoftmiteinerSelbstbefragungindiesemGenrean.AlsoberseineMalereijeweilsamSelbst-bildnisausrichten,seinePositionanihmüber-prüfenmüsste.Erbeziehtsichdabeiaufdas,wasihmgewissundvertrautist:dasGegenüberinderEigenspiegelung.Alskönnteersichdaraufverlassen,dassdieserNarziss,derimdunklenSpiegelseinerMalereiauftaucht,durchdasBildzuihmsprechenwürde;alskönnteerwissen,dassalsBlütediesesSchauensseineMalereivonNeuemwächst. Sobetrachtet,istdiesesSchaueneinEin-tauchenindieMalerei,einSichauflöseninderMalerei.UndmanvermutetinderEinschreibungdesKünstlersinseineKunsteinenAspektderüberzeugendenDringlichkeitdesWerks.Anande-rerStellewarvonCharlesWyrschsSchaffenalseinerreferenziellenMalereidieRede.Magsein,dassindieserWerkanordnungauchdieBrüchezubegründensind,dienebenderGeschlossenheitderSeriendiesenArbeitenebensoeigensind.Zuweilenistmangeneigt,eineKippenberger’scheMehrstimmigkeitzuerkennen,diedieEinheit-lichkeitdesWerksmanchmalunterläuft.Offen-sichtlichwirddasuvrevonCharlesWyrschinderanstehendenAufarbeitungderPostmoderneanAktualitätgewinnen. WyrschgleichtjaseinEmpfindennichtalleinmitseinerMalereiab.ErstehtimausdauerndenDialogmitdenaltenMeistern.EramalgamiertihreKunstindereigenenMalerei,erschreibtsichdurchRollenzuordnungenzuweilenselberindieseKunstein.IndiesemSinnistCharlesWyrscheinGläubigerderKunst.SeinMysterium,wennwirihmeinsolcheszumutenwollen,isteigentlichdieMalerei.26 HansRudolfSchneebeli,«CharlesWyrsch»,in:expressiv. Schweizer Kunst des 20.Jahrhunderts aus der Sammlung Anliker,

Ausstellungskatalog,KunstmuseumLuzern,Luzern1991,S. 173.

HilarStadler

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