christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen...

52
christiane gerstetter und alexander kamieth Eine juristische Analyse der Auslandstätigkeit zweier deutscher Unternehmen unternehmensverantwortung – vorschläge für eu-reformen

Transcript of christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen...

Page 1: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

c h r i s t i a n e g e r s t e t t e r u n d a l e x a n d e r k a m i e t h

Eine juristische Analyse der Auslandstaumltigkeit zweier deutscher Unternehmen

unternehmensverantwortung ndash vorschlaumlge fuumlr eu-reformen

Impressum

AutorInnenChristiane Gerstetter (ecchr) ndash Teile III V VI Alexander Kamieth ndash Teile I II IV

RedaktionLaura Ceresna Cornelia Heydenreich Johanna Kusch Larissa Neubauer

HerausgeberGermanwatch eV

Buumlro BonnDr Werner-Schuster-Haus Kaiserstr 201 Dndash53113 Bonn Telefon 022860492ndash0 | Fax ndash19

Buumlro BerlinVoszligstr 1 Dndash10117 Berlin Telefon 030288 8356ndash0 | Fax ndash1

Internet httpwwwgermanwatchorg E-mail infogermanwatchorg

Mai 2010

Bestellnummer 10-4-02ISBN 978-3-939846-62-8

Diese Publikation kann im Internet abgerufen werden unter wwwgermanwatchorgcorpeuref

Layout Judith Fehlau und Malte Herok

Titelfotos

Kleines Foto Roland Muumlller-Heidenreich aus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Groszliges Foto Victor Munnik Blick auf Vanderbijlpark in Suumldafrika ndash ein Stahlwerk des in Luxemburg ansaumlssigen Konzerns ArcelorMittal

Druck Digital-Druck-Zentrum Berlin

Gedruckt auf 100 Recyclingpapier

Danksagung

Wir danken dem SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene fuumlr die Genehmigung die Studie bdquoAll die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig Arbeitsbedin-gungen bei Aldi-Zulieferern in China und Indonesienldquo herausgegeben von SUumlDWIND als eine Grundlage fuumlr die Erstellung dieser Studie zu nutzen

Wir danken Franziska Humbert (Oxfam Deutschland) Claudia Muumlller-Hoff und Miriam Saage-Maaszlig ( European Center for Constitutional and Human Rights ECCHR) sowie Ingeborg Wick (SUumlDWIND) fuumlr intensive Diskus-sionen und viele hilfreiche Kommentare zu dieser Studie

Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstuumltzung der Europaumlischen Union hergestellt Die Verantwortung fuumlr diese Publikation liegt bei Germanwatch sowie den AutorInnen

Inhaltsverzeichnis

Abkuumlrzungsverzeichnis 4

Vorwort 5

Zusammenfassung 6

I Einleitung 8

II

1

2

3

Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

10

10

10

11

14

14

III

1

2

3

4

5

6

ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro

Fischer ohne Fische

Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

a Haftung des Mutterunternehmens

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

16

17

18

20

20

22

23

23

24

27

IV

1

2

3

4

5

Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China

Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

a Vertragliche Anspruumlche

b Deliktische Anspruumlche

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

28

29

31

32

33

34

34

36

37

37

37

38

V

1

2

3

Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

40

40

41

43

VI

1

2

3

Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Haftungsnormen weiterentwickeln

Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

44

45

46

47

Literaturverzeichnis 48

Weitere Informationen 51

4 |

Abkuumlrzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

AwZ Ausschuss fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des deutschen Bundestags

BGB Buumlrgerliches Gesetzbuch

BNDES Banco Nacional de Desenvolvimento Econocircmico e Social [brasilianische Entwicklungsbank]

BSCI Business Social Compliance Initiative

CSR Corporate Social Responsibility

CORE Corporate Responsibility Coalition

ECCJ European Coalition for Corporate Justice

ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights

FIDH International Federation of Human Rights

FIOCRUZ Fundaccedilatildeo Oswaldo Cruz [Brasilianisches Forschungsinstitut]

GmbH Gesellschaft mit beschraumlnkter Haftung

HGB Handelsgesetzbuch

IBAMAInstituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renovaacuteveis [brasilianische Bundesumweltbehoumlrde]

IAO Internationale Arbeitsorganisation

ICCPRInternational Covenant on Civil and Political Rights [Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte]

ICESCRInternational Covenant on Economic Social and Cultural Rights [Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte]

INEAInstituto Estadual do Ambiente [Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro]

OECD Organisation for Economic Cooperation and Development

PACS Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul

StGB Strafgesetzbuch

TKCSA ThyssenKrupp CSA Sideruacutergica do Atlacircntico Ltda

UN United Nations [Vereinte Nationen]

UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

ZPO Zivilprozessordnung

| 5

Vorwort

Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern seit langem eine international verbindliche Rahmensetzung fuumlr Unternehmensverantwortung um zu erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtliche soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene gegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich zur Wehr setzen koumlnnen Derzeit erscheint es realistischer nicht ein einzelnes Rahmen-werk sondern ein Set aus verschiedenen verbindlichen Instrumenten auf un-terschiedlichen Ebenen zu schaffen Eine wichtige Ebene fuumlr die weltweiten Aktivitaumlten von deutschen Unternehmen ist das Europarecht Immer mehr Politik- und Rechtsbereiche in Deutschland werden von den Vorgaben des Eu-roparechts mit- und umgestaltet Unter anderem deshalb ist es nach Ansicht von Germanwatch wichtig auf europaumlischer Ebene anzusetzen um Veraumlnde-rungen zu bewirken

Um die zivilgesellschaftlichen Kraumlfte fuumlr verbindliche Unternehmensverant-wortung zu buumlndeln haben sich im Jahr 2005 Organisationen aus mehreren europaumlischen Laumlndern zusammengeschlossen und die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) gegruumlndet Germanwatch hat diesen Prozess von An-fang an begleitet und auf deutscher Ebene im Jahr 2006 das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung mit gegruumlndet das nun die nationale Ver-tretung der ECCJ auf deutscher Ebene darstellt

Parallel zur Veroumlffentlichung dieser Studie startet das ECCJ-Netzwerk die Kampagne bdquoRechte fuumlr Menschen Regeln fuumlr Unternehmenldquo Damit will die ECCJ breite oumlffentliche Unterstuumltzung fuumlr verbindliche Regelungen fuumlr Unter-nehmen auf EU-Ebene gewinnen Die Zeit dafuumlr scheint reif denn aktuell laumlsst auch die EU in einer juristischen Studie die bestehende europaumlische Rechts-lage zum globalen Agieren von Unternehmen untersuchen Ebenso sind durch den sogenannten Ruggieprozess auf UN-Ebene ndash nach John Ruggie dem UN-Sonderbeauftragten fuumlr Wirtschaft und Menschenrechte ndash und die dortige Diskussion um Staatenpflichten zum Menschenrechtsschutz sowie im Zuge der Auswirkungen der Finanzmarktkrise Fragen zu Regulierungen fuumlr Unter-nehmensverantwortung staumlrker in der Debatte

Germanwatch koordiniert die deutschen Aktivitaumlten der ECCJ-Kampagne im Rahmen des CorA-Netzwerkes und hat in diesem Zusammenhang ua die vor-liegende Studie in Auftrag gegeben Sie analysiert an Hand von zwei Fallbei-spielen die Rechtslage auf deutscher Ebene und bildet mit ihren Schlussfolge-rungen eine wichtige Grundlage fuumlr die Forderungen der ECCJ zu Regelungen auf europaumlischer Ebene

Berlin Mai 2010

Cornelia Heydenreich und Johanna Kusch Germanwatch

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 2: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

Impressum

AutorInnenChristiane Gerstetter (ecchr) ndash Teile III V VI Alexander Kamieth ndash Teile I II IV

RedaktionLaura Ceresna Cornelia Heydenreich Johanna Kusch Larissa Neubauer

HerausgeberGermanwatch eV

Buumlro BonnDr Werner-Schuster-Haus Kaiserstr 201 Dndash53113 Bonn Telefon 022860492ndash0 | Fax ndash19

Buumlro BerlinVoszligstr 1 Dndash10117 Berlin Telefon 030288 8356ndash0 | Fax ndash1

Internet httpwwwgermanwatchorg E-mail infogermanwatchorg

Mai 2010

Bestellnummer 10-4-02ISBN 978-3-939846-62-8

Diese Publikation kann im Internet abgerufen werden unter wwwgermanwatchorgcorpeuref

Layout Judith Fehlau und Malte Herok

Titelfotos

Kleines Foto Roland Muumlller-Heidenreich aus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Groszliges Foto Victor Munnik Blick auf Vanderbijlpark in Suumldafrika ndash ein Stahlwerk des in Luxemburg ansaumlssigen Konzerns ArcelorMittal

Druck Digital-Druck-Zentrum Berlin

Gedruckt auf 100 Recyclingpapier

Danksagung

Wir danken dem SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene fuumlr die Genehmigung die Studie bdquoAll die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig Arbeitsbedin-gungen bei Aldi-Zulieferern in China und Indonesienldquo herausgegeben von SUumlDWIND als eine Grundlage fuumlr die Erstellung dieser Studie zu nutzen

Wir danken Franziska Humbert (Oxfam Deutschland) Claudia Muumlller-Hoff und Miriam Saage-Maaszlig ( European Center for Constitutional and Human Rights ECCHR) sowie Ingeborg Wick (SUumlDWIND) fuumlr intensive Diskus-sionen und viele hilfreiche Kommentare zu dieser Studie

Diese Publikation wurde mit finanzieller Unterstuumltzung der Europaumlischen Union hergestellt Die Verantwortung fuumlr diese Publikation liegt bei Germanwatch sowie den AutorInnen

Inhaltsverzeichnis

Abkuumlrzungsverzeichnis 4

Vorwort 5

Zusammenfassung 6

I Einleitung 8

II

1

2

3

Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

10

10

10

11

14

14

III

1

2

3

4

5

6

ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro

Fischer ohne Fische

Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

a Haftung des Mutterunternehmens

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

16

17

18

20

20

22

23

23

24

27

IV

1

2

3

4

5

Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China

Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

a Vertragliche Anspruumlche

b Deliktische Anspruumlche

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

28

29

31

32

33

34

34

36

37

37

37

38

V

1

2

3

Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

40

40

41

43

VI

1

2

3

Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Haftungsnormen weiterentwickeln

Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

44

45

46

47

Literaturverzeichnis 48

Weitere Informationen 51

4 |

Abkuumlrzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

AwZ Ausschuss fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des deutschen Bundestags

BGB Buumlrgerliches Gesetzbuch

BNDES Banco Nacional de Desenvolvimento Econocircmico e Social [brasilianische Entwicklungsbank]

BSCI Business Social Compliance Initiative

CSR Corporate Social Responsibility

CORE Corporate Responsibility Coalition

ECCJ European Coalition for Corporate Justice

ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights

FIDH International Federation of Human Rights

FIOCRUZ Fundaccedilatildeo Oswaldo Cruz [Brasilianisches Forschungsinstitut]

GmbH Gesellschaft mit beschraumlnkter Haftung

HGB Handelsgesetzbuch

IBAMAInstituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renovaacuteveis [brasilianische Bundesumweltbehoumlrde]

IAO Internationale Arbeitsorganisation

ICCPRInternational Covenant on Civil and Political Rights [Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte]

ICESCRInternational Covenant on Economic Social and Cultural Rights [Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte]

INEAInstituto Estadual do Ambiente [Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro]

OECD Organisation for Economic Cooperation and Development

PACS Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul

StGB Strafgesetzbuch

TKCSA ThyssenKrupp CSA Sideruacutergica do Atlacircntico Ltda

UN United Nations [Vereinte Nationen]

UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

ZPO Zivilprozessordnung

| 5

Vorwort

Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern seit langem eine international verbindliche Rahmensetzung fuumlr Unternehmensverantwortung um zu erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtliche soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene gegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich zur Wehr setzen koumlnnen Derzeit erscheint es realistischer nicht ein einzelnes Rahmen-werk sondern ein Set aus verschiedenen verbindlichen Instrumenten auf un-terschiedlichen Ebenen zu schaffen Eine wichtige Ebene fuumlr die weltweiten Aktivitaumlten von deutschen Unternehmen ist das Europarecht Immer mehr Politik- und Rechtsbereiche in Deutschland werden von den Vorgaben des Eu-roparechts mit- und umgestaltet Unter anderem deshalb ist es nach Ansicht von Germanwatch wichtig auf europaumlischer Ebene anzusetzen um Veraumlnde-rungen zu bewirken

Um die zivilgesellschaftlichen Kraumlfte fuumlr verbindliche Unternehmensverant-wortung zu buumlndeln haben sich im Jahr 2005 Organisationen aus mehreren europaumlischen Laumlndern zusammengeschlossen und die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) gegruumlndet Germanwatch hat diesen Prozess von An-fang an begleitet und auf deutscher Ebene im Jahr 2006 das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung mit gegruumlndet das nun die nationale Ver-tretung der ECCJ auf deutscher Ebene darstellt

Parallel zur Veroumlffentlichung dieser Studie startet das ECCJ-Netzwerk die Kampagne bdquoRechte fuumlr Menschen Regeln fuumlr Unternehmenldquo Damit will die ECCJ breite oumlffentliche Unterstuumltzung fuumlr verbindliche Regelungen fuumlr Unter-nehmen auf EU-Ebene gewinnen Die Zeit dafuumlr scheint reif denn aktuell laumlsst auch die EU in einer juristischen Studie die bestehende europaumlische Rechts-lage zum globalen Agieren von Unternehmen untersuchen Ebenso sind durch den sogenannten Ruggieprozess auf UN-Ebene ndash nach John Ruggie dem UN-Sonderbeauftragten fuumlr Wirtschaft und Menschenrechte ndash und die dortige Diskussion um Staatenpflichten zum Menschenrechtsschutz sowie im Zuge der Auswirkungen der Finanzmarktkrise Fragen zu Regulierungen fuumlr Unter-nehmensverantwortung staumlrker in der Debatte

Germanwatch koordiniert die deutschen Aktivitaumlten der ECCJ-Kampagne im Rahmen des CorA-Netzwerkes und hat in diesem Zusammenhang ua die vor-liegende Studie in Auftrag gegeben Sie analysiert an Hand von zwei Fallbei-spielen die Rechtslage auf deutscher Ebene und bildet mit ihren Schlussfolge-rungen eine wichtige Grundlage fuumlr die Forderungen der ECCJ zu Regelungen auf europaumlischer Ebene

Berlin Mai 2010

Cornelia Heydenreich und Johanna Kusch Germanwatch

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 3: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

Inhaltsverzeichnis

Abkuumlrzungsverzeichnis 4

Vorwort 5

Zusammenfassung 6

I Einleitung 8

II

1

2

3

Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

10

10

10

11

14

14

III

1

2

3

4

5

6

ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro

Fischer ohne Fische

Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

a Haftung des Mutterunternehmens

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

16

17

18

20

20

22

23

23

24

27

IV

1

2

3

4

5

Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China

Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

a Vertragliche Anspruumlche

b Deliktische Anspruumlche

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

28

29

31

32

33

34

34

36

37

37

37

38

V

1

2

3

Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

40

40

41

43

VI

1

2

3

Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Haftungsnormen weiterentwickeln

Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

44

45

46

47

Literaturverzeichnis 48

Weitere Informationen 51

4 |

Abkuumlrzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

AwZ Ausschuss fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des deutschen Bundestags

BGB Buumlrgerliches Gesetzbuch

BNDES Banco Nacional de Desenvolvimento Econocircmico e Social [brasilianische Entwicklungsbank]

BSCI Business Social Compliance Initiative

CSR Corporate Social Responsibility

CORE Corporate Responsibility Coalition

ECCJ European Coalition for Corporate Justice

ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights

FIDH International Federation of Human Rights

FIOCRUZ Fundaccedilatildeo Oswaldo Cruz [Brasilianisches Forschungsinstitut]

GmbH Gesellschaft mit beschraumlnkter Haftung

HGB Handelsgesetzbuch

IBAMAInstituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renovaacuteveis [brasilianische Bundesumweltbehoumlrde]

IAO Internationale Arbeitsorganisation

ICCPRInternational Covenant on Civil and Political Rights [Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte]

ICESCRInternational Covenant on Economic Social and Cultural Rights [Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte]

INEAInstituto Estadual do Ambiente [Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro]

OECD Organisation for Economic Cooperation and Development

PACS Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul

StGB Strafgesetzbuch

TKCSA ThyssenKrupp CSA Sideruacutergica do Atlacircntico Ltda

UN United Nations [Vereinte Nationen]

UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

ZPO Zivilprozessordnung

| 5

Vorwort

Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern seit langem eine international verbindliche Rahmensetzung fuumlr Unternehmensverantwortung um zu erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtliche soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene gegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich zur Wehr setzen koumlnnen Derzeit erscheint es realistischer nicht ein einzelnes Rahmen-werk sondern ein Set aus verschiedenen verbindlichen Instrumenten auf un-terschiedlichen Ebenen zu schaffen Eine wichtige Ebene fuumlr die weltweiten Aktivitaumlten von deutschen Unternehmen ist das Europarecht Immer mehr Politik- und Rechtsbereiche in Deutschland werden von den Vorgaben des Eu-roparechts mit- und umgestaltet Unter anderem deshalb ist es nach Ansicht von Germanwatch wichtig auf europaumlischer Ebene anzusetzen um Veraumlnde-rungen zu bewirken

Um die zivilgesellschaftlichen Kraumlfte fuumlr verbindliche Unternehmensverant-wortung zu buumlndeln haben sich im Jahr 2005 Organisationen aus mehreren europaumlischen Laumlndern zusammengeschlossen und die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) gegruumlndet Germanwatch hat diesen Prozess von An-fang an begleitet und auf deutscher Ebene im Jahr 2006 das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung mit gegruumlndet das nun die nationale Ver-tretung der ECCJ auf deutscher Ebene darstellt

Parallel zur Veroumlffentlichung dieser Studie startet das ECCJ-Netzwerk die Kampagne bdquoRechte fuumlr Menschen Regeln fuumlr Unternehmenldquo Damit will die ECCJ breite oumlffentliche Unterstuumltzung fuumlr verbindliche Regelungen fuumlr Unter-nehmen auf EU-Ebene gewinnen Die Zeit dafuumlr scheint reif denn aktuell laumlsst auch die EU in einer juristischen Studie die bestehende europaumlische Rechts-lage zum globalen Agieren von Unternehmen untersuchen Ebenso sind durch den sogenannten Ruggieprozess auf UN-Ebene ndash nach John Ruggie dem UN-Sonderbeauftragten fuumlr Wirtschaft und Menschenrechte ndash und die dortige Diskussion um Staatenpflichten zum Menschenrechtsschutz sowie im Zuge der Auswirkungen der Finanzmarktkrise Fragen zu Regulierungen fuumlr Unter-nehmensverantwortung staumlrker in der Debatte

Germanwatch koordiniert die deutschen Aktivitaumlten der ECCJ-Kampagne im Rahmen des CorA-Netzwerkes und hat in diesem Zusammenhang ua die vor-liegende Studie in Auftrag gegeben Sie analysiert an Hand von zwei Fallbei-spielen die Rechtslage auf deutscher Ebene und bildet mit ihren Schlussfolge-rungen eine wichtige Grundlage fuumlr die Forderungen der ECCJ zu Regelungen auf europaumlischer Ebene

Berlin Mai 2010

Cornelia Heydenreich und Johanna Kusch Germanwatch

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 4: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

4 |

Abkuumlrzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

AwZ Ausschuss fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des deutschen Bundestags

BGB Buumlrgerliches Gesetzbuch

BNDES Banco Nacional de Desenvolvimento Econocircmico e Social [brasilianische Entwicklungsbank]

BSCI Business Social Compliance Initiative

CSR Corporate Social Responsibility

CORE Corporate Responsibility Coalition

ECCJ European Coalition for Corporate Justice

ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights

FIDH International Federation of Human Rights

FIOCRUZ Fundaccedilatildeo Oswaldo Cruz [Brasilianisches Forschungsinstitut]

GmbH Gesellschaft mit beschraumlnkter Haftung

HGB Handelsgesetzbuch

IBAMAInstituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renovaacuteveis [brasilianische Bundesumweltbehoumlrde]

IAO Internationale Arbeitsorganisation

ICCPRInternational Covenant on Civil and Political Rights [Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte]

ICESCRInternational Covenant on Economic Social and Cultural Rights [Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte]

INEAInstituto Estadual do Ambiente [Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro]

OECD Organisation for Economic Cooperation and Development

PACS Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul

StGB Strafgesetzbuch

TKCSA ThyssenKrupp CSA Sideruacutergica do Atlacircntico Ltda

UN United Nations [Vereinte Nationen]

UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

ZPO Zivilprozessordnung

| 5

Vorwort

Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern seit langem eine international verbindliche Rahmensetzung fuumlr Unternehmensverantwortung um zu erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtliche soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene gegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich zur Wehr setzen koumlnnen Derzeit erscheint es realistischer nicht ein einzelnes Rahmen-werk sondern ein Set aus verschiedenen verbindlichen Instrumenten auf un-terschiedlichen Ebenen zu schaffen Eine wichtige Ebene fuumlr die weltweiten Aktivitaumlten von deutschen Unternehmen ist das Europarecht Immer mehr Politik- und Rechtsbereiche in Deutschland werden von den Vorgaben des Eu-roparechts mit- und umgestaltet Unter anderem deshalb ist es nach Ansicht von Germanwatch wichtig auf europaumlischer Ebene anzusetzen um Veraumlnde-rungen zu bewirken

Um die zivilgesellschaftlichen Kraumlfte fuumlr verbindliche Unternehmensverant-wortung zu buumlndeln haben sich im Jahr 2005 Organisationen aus mehreren europaumlischen Laumlndern zusammengeschlossen und die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) gegruumlndet Germanwatch hat diesen Prozess von An-fang an begleitet und auf deutscher Ebene im Jahr 2006 das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung mit gegruumlndet das nun die nationale Ver-tretung der ECCJ auf deutscher Ebene darstellt

Parallel zur Veroumlffentlichung dieser Studie startet das ECCJ-Netzwerk die Kampagne bdquoRechte fuumlr Menschen Regeln fuumlr Unternehmenldquo Damit will die ECCJ breite oumlffentliche Unterstuumltzung fuumlr verbindliche Regelungen fuumlr Unter-nehmen auf EU-Ebene gewinnen Die Zeit dafuumlr scheint reif denn aktuell laumlsst auch die EU in einer juristischen Studie die bestehende europaumlische Rechts-lage zum globalen Agieren von Unternehmen untersuchen Ebenso sind durch den sogenannten Ruggieprozess auf UN-Ebene ndash nach John Ruggie dem UN-Sonderbeauftragten fuumlr Wirtschaft und Menschenrechte ndash und die dortige Diskussion um Staatenpflichten zum Menschenrechtsschutz sowie im Zuge der Auswirkungen der Finanzmarktkrise Fragen zu Regulierungen fuumlr Unter-nehmensverantwortung staumlrker in der Debatte

Germanwatch koordiniert die deutschen Aktivitaumlten der ECCJ-Kampagne im Rahmen des CorA-Netzwerkes und hat in diesem Zusammenhang ua die vor-liegende Studie in Auftrag gegeben Sie analysiert an Hand von zwei Fallbei-spielen die Rechtslage auf deutscher Ebene und bildet mit ihren Schlussfolge-rungen eine wichtige Grundlage fuumlr die Forderungen der ECCJ zu Regelungen auf europaumlischer Ebene

Berlin Mai 2010

Cornelia Heydenreich und Johanna Kusch Germanwatch

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 5: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 5

Vorwort

Nichtregierungsorganisationen wie Germanwatch fordern seit langem eine international verbindliche Rahmensetzung fuumlr Unternehmensverantwortung um zu erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtliche soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene gegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich zur Wehr setzen koumlnnen Derzeit erscheint es realistischer nicht ein einzelnes Rahmen-werk sondern ein Set aus verschiedenen verbindlichen Instrumenten auf un-terschiedlichen Ebenen zu schaffen Eine wichtige Ebene fuumlr die weltweiten Aktivitaumlten von deutschen Unternehmen ist das Europarecht Immer mehr Politik- und Rechtsbereiche in Deutschland werden von den Vorgaben des Eu-roparechts mit- und umgestaltet Unter anderem deshalb ist es nach Ansicht von Germanwatch wichtig auf europaumlischer Ebene anzusetzen um Veraumlnde-rungen zu bewirken

Um die zivilgesellschaftlichen Kraumlfte fuumlr verbindliche Unternehmensverant-wortung zu buumlndeln haben sich im Jahr 2005 Organisationen aus mehreren europaumlischen Laumlndern zusammengeschlossen und die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) gegruumlndet Germanwatch hat diesen Prozess von An-fang an begleitet und auf deutscher Ebene im Jahr 2006 das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung mit gegruumlndet das nun die nationale Ver-tretung der ECCJ auf deutscher Ebene darstellt

Parallel zur Veroumlffentlichung dieser Studie startet das ECCJ-Netzwerk die Kampagne bdquoRechte fuumlr Menschen Regeln fuumlr Unternehmenldquo Damit will die ECCJ breite oumlffentliche Unterstuumltzung fuumlr verbindliche Regelungen fuumlr Unter-nehmen auf EU-Ebene gewinnen Die Zeit dafuumlr scheint reif denn aktuell laumlsst auch die EU in einer juristischen Studie die bestehende europaumlische Rechts-lage zum globalen Agieren von Unternehmen untersuchen Ebenso sind durch den sogenannten Ruggieprozess auf UN-Ebene ndash nach John Ruggie dem UN-Sonderbeauftragten fuumlr Wirtschaft und Menschenrechte ndash und die dortige Diskussion um Staatenpflichten zum Menschenrechtsschutz sowie im Zuge der Auswirkungen der Finanzmarktkrise Fragen zu Regulierungen fuumlr Unter-nehmensverantwortung staumlrker in der Debatte

Germanwatch koordiniert die deutschen Aktivitaumlten der ECCJ-Kampagne im Rahmen des CorA-Netzwerkes und hat in diesem Zusammenhang ua die vor-liegende Studie in Auftrag gegeben Sie analysiert an Hand von zwei Fallbei-spielen die Rechtslage auf deutscher Ebene und bildet mit ihren Schlussfolge-rungen eine wichtige Grundlage fuumlr die Forderungen der ECCJ zu Regelungen auf europaumlischer Ebene

Berlin Mai 2010

Cornelia Heydenreich und Johanna Kusch Germanwatch

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 6: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

6 |

Zusammenfassung

Anhand zweier Fallstudien untersucht die vorliegende Studie exemplarisch die Haftung deutscher Unternehmen fuumlr Umweltzerstoumlrung und Menschen-rechtsverletzungen durch ihre im Ausland angesiedelten Toumlchter und Zu-lieferer Die erste Fallstudie bezieht sich auf eine Tochtergesellschaft der ThyssenKrupp AG in Brasilien die zweite auf Zulieferer von Aldi in China Die Studie kommt zu dem Ergebnis dass nach geltendem deutschen Recht Schadensersatzklagen von Geschaumldigten aus Brasilien bzw China gegen die in Deutschland ansaumlssigen Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg haumltten Da Geschaumldigte ndash in den beiden untersuchten Faumlllen aber auch in vielen anderen

ndash ihre Rechte auch in ihren jeweiligen Heimatlaumlndern haumlufig nicht durchsetzen koumlnnen sind juristische Reformen dringend erforderlich

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ein europaumlisches Netz-werk von Nichtregierungsorganisationen hat drei Hauptforderungen zur Verbesserung der Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr ihre Akti-vitaumlten im Ausland entwickelt Die Verbesserungen die durch die Umsetzung der drei ECCJ-Forderungen zu erreichen waumlren werden in den Fallstudien der geltenden Rechtslage mit folgendem Ergebnis gegenuumlber gestellt Die Um-setzung der Forderungen auf europaumlischer Ebene wuumlrde die Chancen derje-nigen die durch Toumlchter oder Zulieferer deutscher Unternehmen im Ausland geschaumldigt werden deutlich verbessern vor deutschen Gerichten Schadens-ersatz zu erhalten

Die erste Forderung der ECCJ ist die Einfuumlhrung einer Haftungspflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen fuumlr ihre Auslandstaumltigkeiten wobei hier un-terschieden wird zwischen einer Mutter-Tochter-Beziehung und einer Liefer-beziehung Fuumlr Mutterunternehmen will ECCJ eine eigene Haftung einfuumlhren Danach fuumlhrt jeder schuldhafte Verstoszlig eines rechtlich selbstaumlndigen Toch-terunternehmens gegen Menschenrechte oder Umweltstandards zu einer Haftung des Mutterunternehmens Dies beinhaltet die Aufhebung des bisher geltenden rechtlichen Prinzips dass Mutterunternehmen nicht fuumlr das Ver-halten ihrer Tochterunternehmen haften auch wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen Dieses Prinzip verhindert bisher Klagen direkt gegen die Mut-terunternehmen mit Sitz in Europa

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 7: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 7

Im Verhaumlltnis zwischen in Europa ansaumlssigen Unternehmen und Zulieferern auf die die Unternehmen erheblichen Einfluss ausuumlben fordert die ECCJ die Festlegung einer Sorgfaltspflicht fuumlr die belieferten Unternehmen Die Un-ternehmen sollen die Pflicht haben zu untersuchen welche Risiken fuumlr Men-schenrechte und Umwelt durch die Taumltigkeit der Zulieferbetriebe entstehen und verpflichtet sein Maszlignahmen zur Vermeidung dieser Risiken zu ergrei-fen Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen sollen sie nach den Vorschlauml-gen der ECCJ fuumlr Schaumlden welche die Zulieferer verursachen haften Wie die Fallstudie zu den Arbeitsbedingungen in Aldi-Zulieferbetrieben in China zeigt haben ArbeiterInnen in Zulieferbetrieben ohne eine solche Sorgfaltspflicht keine rechtliche Handhabe gegen das in Europa ansaumlssige Unternehmen das wirtschaftlich von miserablen Arbeitsbedingungen und der Beschraumlnkung der Rechte der ArbeiterInnen in den Zulieferbetrieben profitiert

Die ECCJ fordert zweitens die Einfuumlhrung von Berichts- und Publizitaumltspflich-ten Diese umfassen eine Pflicht fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen seiner Geschaumlftstaumltigkeit nach einheitlichen Vorgaben zu berichten sowie die Pflicht die Ergebnisse nach bestimmten Vorgaben zu veroumlffentlichen bzw zugaumlnglich zu machen Eine solche gerichtlich durchsetzbare Pflicht wuumlrde es Opfern der wirtschaftlichen Auslandsaktivitaumlten in Europa ansaumlssiger Unternehmen ndash beispielsweise brasilianischen Fischern oder chinesischen ArbeiterInnen ndash leichter machen ihre Anspruumlche und Schaumlden darzulegen und einzuklagen VerbraucherInnen koumlnnten zudem ihre Konsumentenscheidungen entsprechend ausrichten und damit Druck auf Unternehmen ausuumlben um auf die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Ausland hinzuwirken

Drittens fordert die ECCJ ergaumlnzende Reformen im Bereich des Prozessrechts Es gilt die Zustaumlndigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten und die Anwend-barkeit des Rechts dieser Staaten auch in Faumlllen mit Auslandsbezug zu sichern Die gegenuumlber multinationalen Unternehmen finanziell schwaumlchere Position von geschaumldigten Einzelpersonen und Informationsdefizite sollen zudem durch geeignete Verfahrensregeln zB hinsichtlich der Gewaumlhrung von Pro-zesskostenhilfe und einer Beweislastumkehr ausgeglichen werden Weitere prozessuale Erleichterungen wie etwa Sammel- oder Verbandsklagen wer-den in der ECCJ noch diskutiert

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 8: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

8 |

I Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht anhand von zwei Fallbeispielen welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind um Unternehmen fuumlr Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Aktivitaumlten im Ausland zur Rechenschaft zu ziehen Die erste Fallstudie untersucht die Auswirkungen die der Bau eines Stahlwerkes durch eine ThyssenKrupp Tochter in Brasilien auf Menschen und Umwelt hat Im zweiten Beispiel werden arbeitsrecht-liche Probleme bei der Produktion von Textilien in China die vom deutschen Discount-Markt Aldi vertrieben werden geschildert

Damit werden zwei typische Konstellationen von Geschaumlftsbeziehungen in der globalen Unternehmenswelt dargestellt Die Fallstudie zu ThyssenKrupp beschreibt eine Unternehmensgruppe und eine Mutter-Tochter-Beziehung In der Fallstudie zu Aldi geht es um ein Auftragsverhaumlltnis zwischen Unter-nehmen in einer Lieferkette die rechtlich und organisatorisch unabhaumlngig voneinander sind

Die beiden Beispiele stehen stellvertretend fuumlr eine verstaumlrkte Taumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen auszligerhalb der EU Geringere Ko-sten hohe Produktionskapazitaumlten Bodenschaumltze und neue Maumlrkte zaumlhlen zu den wichtigsten Gruumlnden fuumlr die verstaumlrkte Auslandstaumltigkeit1 die alle Branchen und Bereiche betrifft Im europaumlischen Vergleich nutzen deutsche Unternehmen die Moumlglichkeit der Verlagerung ihrer Taumltigkeit ins europaumlische und auszligereuropaumlische Ausland am staumlrksten2 Geringe Transportkosten die globale Vernetzung der Maumlrkte und verbesserte Kommunikationsmoumlglichkei-ten erweitern den Aktionsradius von Unternehmen und erleichtern ein globa-les Agieren

Zudem illustrieren die zwei Fallbeispiele unterschiedliche Gruumlnde fuumlr ein Un-ternehmensengagement im Ausland Das Beispiel von ThyssenKrupp welches im Rahmen eines Joint-Ventures mit einem Erzproduzenten ein Stahlwerk in Brasilien baut verdeutlicht die Strategien von EU-Unternehmen bei der Si-cherung von Rohstoffen EU-Unternehmen kaufen Rohstoffe angesichts einer wachsenden Weltmarktnachfrage nicht nur im Ausland ein sondern organi-sieren selbst den Abbau von Rohstoffen und deren Weiterverarbeitung Da-bei spielen groszlige Abbau- und Produktionskapazitaumlten eine zentrale Rolle3

1 Neureiter amp Nunnenkamp 2009

2 Alajaumlaumlskouml 2008

3 Ein Beispiel von vielen bdquoBP schnappt sich Oumll-Felder in Lateinamerikaldquo httpwwwspiegeldewirtschaftsoziales 0151868301000html [aufgerufen1942010]

4 Wick amp Woumltzel 2008 S 341

5 Wick 2007 S 7

6 Business Social Compliance Initiative siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen1942010]

7 Heydenreich 2010 S 15

8 Wick 2009

9 ECCJ httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en [aufgerufen1942010]

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 9: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 9

Die Fallstudie zu Aldi einem der bekanntesten Discounter in Deutschland zeigt hingegen einen anderen Aspekt der wirtschaftlichen Taumltigkeit deutscher Unternehmen im Ausland auf Deutsche Unternehmen nutzen vermehrt die Entwicklungs- und Schwellenlaumlnder als Standorte fuumlr ihre Textil- und Beklei-dungsproduktion4 Gruumlnde dafuumlr sind die dortigen geringen Arbeitskosten und hohe Produktionskapazitaumlten dh die Moumlglichkeit in diesen Laumlndern in kuumlrzester Zeit hohe Stuumlckzahlen zu produzieren Im Textilsektor ist China der groumlszligte Produzent mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent5

Die Fallstudien zeigen auch welche Probleme durch auslaumlndische Investitionen von deutschen Unternehmen und die Produktion fuumlr deutsche Unternehmen im Ausland fuumlr die dortigen ArbeiterInnen bzw AnwohnerInnen entstehen koumlnnen Untragbare Arbeitsbedingungen und massive Umweltverschmutzung sind nur zwei Beispiele die im Zusammenhang mit der Auslandstaumltigkeit deutscher und europaumlischer Unternehmen in den letzten Jahren fuumlr Schlag-zeilen gesorgt haben Ein Bekanntwerden und oumlffentliches Anprangern sol-cher Missstaumlnde reicht jedoch haumlufig nicht aus um vor Ort Veraumlnderungen zu bewirken

Unternehmen versuchen teilweise bindende und sanktionsbewehrte rechtli-che Rahmenbedingungen zu vermeiden und setzen auf freiwillige Selbstver-pflichtungen zur Einhaltung von Menschenrechts- Sozial- und Umweltstan-dards im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) Aldi ist beispiels-weise wie mehr als 500 andere Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI)6 beigetreten um seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden Allein der Beitritt zu einer freiwilligen Initiative gewaumlhrt haumlufig noch keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen fuumlr die ArbeiterInnen in den Zulieferunternehmen Wenn freiwillige Ansaumltze erfolgreich sein wollen muumls-sen sie ua mit einem Umsetzungs- und Managementinstrumentarium aus-gestattet sein und ein unabhaumlngiges Monitoring- und Beschwerdeverfahren unter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften beinhalten7 was zB bei BSCI nicht der Fall ist Aktuelle Untersuchungen zu Aldi8 aber auch viele andere Erfahrungen mit freiwilligen Ansaumltzen zeigen dass dieser Ansatz nur begrenzt Wirksamkeit entfalten kann und zudem meist nicht alle Unternehmen einer Branche erfasst Ein nachhaltiger Schutz von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt kann nur durch gesetzliche Regulierung gewaumlhrleistet werden

Die ECCJ das groumlszligte zivilgesellschaftliche Netzwerk das sich innerhalb der EU der verbindlichen Unternehmensverantwortung widmet hat aufgrund der bestehenden Regelungsdefizite einen Katalog von Reformvorschlaumlgen und Neuerungen zum Europarecht vorgelegt9 Diese Vorschlaumlge werden im Rahmen dieser Studie an Hand der Fallbeispiele konkretisiert es wird dar-gestellt inwiefern die ECCJ-Vorschlaumlge zu einer Verbesserung der Situation derjenigen beitragen wuumlrden die im Rahmen der Auslandstaumltigkeit deutscher Unternehmen einen Schaden erleiden Damit wird aufgezeigt dass eine europaumlische Regulierung globaler Unternehmenstaumltigkeiten fuumlr den Schutz von Menschenrechten und Umwelt notwendig und moumlglich ist

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 10: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

10 |

II Unternehmen zur Verantwortung ziehen ndash die ECCJ-Forderungen

Um eine Verbesserung der aktuellen Rechtssituation zu erreichen hat die ECCJ die folgenden Hauptforderungen entwickelt

1 Haftungserweiterung fuumlr in Europa ansaumlssige Unternehmen

a Haftung des Mutterunternehmens fuumlr das Tochterunternehmen

Wenn ein Unternehmen durch seine eigene Geschaumlftstaumltigkeit anderen Per-sonen Schaden zufuumlgt dann haben die geschaumldigten Personen grundsaumltzlich einen Anspruch darauf dass das entsprechende Unternehmen Schadenser-satz zahlt Problematisch wird es wenn Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumldigungen ndash wie haumlufig in Faumlllen mit Auslandsbezug ndash durch rechtlich selbstaumlndige Tochterunternehmen begangen werden Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt das sogenannte Trennungsprinzip wonach juristisch selbstaumlndige Teile eines Konzerns grundsaumltzlich nicht fuumlreinander haften10 Das bedeutet dass bei der geltenden Rechtslage ndash auszliger in eng begrenzten hier nicht relevanten Ausnahmefaumlllen ndash nur Klagen gegen die fuumlr Schaumlden un-mittelbar verantwortliche Tochtergesellschaft im Ausland Erfolg haben koumln-nen11 Eine in Deutschland ansaumlssige Muttergesellschaft ist also grundsaumltz-lich rechtlich nicht verantwortlich fuumlr das Handeln ihrer Tochtergesellschaft

ndash weder im Inland noch im Ausland

Um diese Regelungsluumlcke zu schlieszligen fordert die ECCJ die rechtliche Selb-staumlndigkeit von Mutter- und Tochterunternehmen fuumlr den Fall von Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumldigungen durch Tochterunternehmen von in Europa ansaumlssigen Unternehmen im Ausland aufzuheben12 Mutterun-ternehmen sollen fuumlr Menschenrechtsverletzungen und umweltschaumldliches Verhalten ihrer Tochterunternehmen im Ausland haftbar sein13 Dies wuumlrde im deutschen Recht zu einer Erweiterung der Haftung von Unternehmen auf Rechtsguumlter wie Menschenrechte und Umwelt fuumlhren Die Haftung der Un-ternehmen soll nach Vorschlaumlgen der ECCJ auf die Verletzung grundlegen-der internationaler Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz be-schraumlnkt sein die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit bestimmten Entwicklungslaumlndern enthalten sind14

10 Baierlipp 2002 S 25ff

11 Interessanterweise haben allerdings die Vertreter der Thyssen-Krupp AG in Deutschland bisher kaum versucht die Verantwortung fuumlr die Ereignisse in Brasilien auf die TKCSA abzuschieben

12 Gregor amp Ellis 2008 S 12

13 Gregor amp Ellis 2008 S 12

14 Gregor amp Ellis 2008 S 16 Grundlage fuumlr das EU-Praumlferenz-system ist die Verordnung (EG) Nr 7322008 des Rates vom 22 Juli 2008 uumlber ein Schema allgemeiner Zollpraumlferenzen fuumlr den Zeitraum vom 1 Januar 2009 bis 31 Dezember 2011 im Bereich der Menschen rechte und Arbeitnehmerrechte Internationaler Pakt uumlber buumlrger liche und politische Rechte Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Uumlbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Uumlberein-

kommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Uumlbereinkommen uumlber die Rechte des Kindes Konvention uumlber die Verhuumltung und Bestrafung des Voumllkermordes Uumlbereinkommen uumlber das Mindestalter fuumlr die Zulassung zur Beschaumlftigung (Nr 138) Uumlbereinkommen uumlber das Verbot und unverzuumlgliche Maszlignahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr 182) Uumlbereinkommen uumlber die Abschaffung der Zwangsarbeit (Nr 105) Uumlbereinkommen uumlber Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr 29) Uumlbereinkommen uumlber die Gleichheit des Entgelts maumlnnlicher und weiblicher Arbeitskraumlfte fuumlr gleichwertige Arbeit (Nr 100) Uumlbereinkommen uumlber die Diskrimi-nierung in Beschaumlftigung und Beruf (Nr 111) Uumlbereinkommen uumlber die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr 87) Uumlbereinkommen uumlber das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen (Nr 98) Internationale Konvention uumlber die Bekaumlmpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 11: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 11

Die Vorschlaumlge der ECCJ sehen dabei vor dass das Mutterunternehmen nur dann haftbar ist wenn es eine wirtschaftliche oder rechtliche Kontrolle uumlber oder wesentlichen Einfluss auf das Tochterunterneh-men ausuumlben kann15 Dann soll es aber ohne eigenes Verschulden fuumlr ein schuldhaftes Verhalten der Toch-terunternehmen haften Um Schadensersatz vom in Europa ansaumlssigen Mutterunternehmen zu bekommen muumlsste der Geschaumldigte einen kausalen Zusammen-hang zwischen dem Handeln oder Unterlassen des Tochterunternehmens im Ausland und dem Schaden nachweisen16 Der Geschaumldigte muumlsste zudem zeigen dass das Tochterunternehmen die Rechtsverletzung vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig herbeigefuumlhrt hat dh die im Verkehr erforderliche Sorgfalt auszliger Acht gelassen hat17 Bei Umsetzung dieser ECCJ-Forderung koumlnnten Geschaumldigte nicht nur gegen das Tochterunternehmen in ihrem Heimatland sondern auch direkt gegen das Mutterunternehmen vor europaumlischen Gerichten ihren Anspruch auf Schadenersatz geltend machen

b Sorgfaltspflichten und Haftung in Europa ansaumlssiger Unternehmen fuumlr Zulieferunternehmen

Die juristische Selbstaumlndigkeit von Unternehmen schafft jedoch nicht nur innerhalb von Konzernen Pro-bleme Auch innerhalb von Lieferketten sind Unterneh-men rechtlich und wirtschaftlich haumlufig selbstaumlndig Die Lieferungen von Waren und deren Zahlung werden dabei vertraglich geregelt Zwar koumlnnen die Unterneh-men die Waren abnehmen aufgrund ihrer Marktmacht teilweise durch die Gestaltung der Lieferbedingungen soziale und oumlkologische Auswirkungen der Produktion beeinflussen jedoch fehlt eine gesetzliche Haftung des beauftragenden Unternehmens fuumlr Rechtsverlet-zungen durch den Lieferanten Wenn beispielsweise ArbeiterInnen weniger als den Mindestlohn erhalten und der Preis fuumlr eine Ware dadurch besonders nied-rig ist dann ist nur das produzierende Unternehmen verantwortlich Das belieferte Unternehmen hat einen wirtschaftlichen Vorteil ist aber keinen Lohnforderun-

gen oder Schadensersatzanspruumlchen von geschaumldigten ArbeiterInnen ausgesetzt

Deshalb fordert die ECCJ eine Haftungserweiterung auf das belieferte Unternehmen in Faumlllen von Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden die durch Zulieferer verursacht werden welche eine ver-tragliche Beziehung zu in der EU ansaumlssigen Unterneh-men haben18 Das belieferte Unternehmen so fordert die ECCJ soll Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Mi-nimierung von Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden haben19 Bei der Verletzung der Sorgfaltspflichten soll es fuumlr Schaumlden haftbar sein Dieser Vorschlag beinhaltet zum einen dass das Un-ternehmen Risiken fuumlr moumlgliche Menschenrechtsver-letzungen und Umweltschaumlden durch seine Lieferan-ten identifiziert Zum anderen muumlsste es geeignete Maszlignahmen zur Vermeidung von negativen Auswir-kungen fuumlr Menschen und Umwelt ergreifen Ein Haf-tungsanspruch bestuumlnde nach den ECCJ-Forderungen dann wenn ein Schaden eintritt das Unternehmen entsprechende Risiken zuvor erkannt hatte oder haumltte erkennen koumlnnen und keine angemessenen Gegen-maszlignahmen ergriffen hat Ein Unternehmen wuumlrde nicht haften wenn es beweisen koumlnnte dass es nach gewoumlhnlichen Umstaumlnden von den Missstaumlnden nicht haumltte wissen koumlnnen oder die noumltige Sorgfalt bei der Vermeidung erkannter Risiken angewendet hat Die Unternehmensleitung soll dadurch veranlasst werden Risiken die durch die Unternehmenstaumltigkeit fuumlr Men-schen und Umwelt entstehen praumlventiv entgegenzu-wirken20

Die genauen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ergeben sich nach Vorschlaumlgen der ECCJ in Abhaumlngig-keit von den Moumlglichkeiten der Einflussnahme des belieferten Unternehmens auf seine Zulieferbetriebe Groumlszligere Anteile an einem Unternehmen gemeinsame Angestellte dominierende Kontrolle durch Vertrags-beziehungen Abhaumlngigkeiten auf Grund des Lieferum-fangs oder Vorteile durch Rechtsverletzungen sind nur einige messbare Kriterien

15 Gregor amp Ellis 2008 S 15 Kontrolle oder Einfluss wird hierbei auf Grundlage einer europaumlischen Richtlinie definiert die diese ua aufgrund von Aktienbesitz oder aufgrund be-stimmter Rechte wie der Moumlglichkeit den Geschaumlftsfuumlhrer der Tochterfirma zu ernennen bzw abzusetzen festlegt

16 Gregor amp Ellis 2008 S 13

17 Damit Betroffene diese Erfordernisse erfuumlllen koumlnnen fordert ECCJ zudem prozessuale Erleichterungen ndash siehe bdquoVerbesserung des Zugangs zu Gerichtenldquo auf Seite 14

18 Gregor amp Ellis 2008 S 21

19 Gregor amp Ellis 2008 S 22

20 Gregor amp Ellis 2008 S 18

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 12: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

12 |

Forderung 1a

Mutterunternehmen haften fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch Tochterunternehmen uumlber die sie Kontrolle ausuumlben

Rechtliches Problem

Unternehmen werden nicht durch internationale Abkommen zu Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet sondern nur durch die Gesetze des Landes in dem sie ihren Sitz haben oder taumltig sind

Trennungsprinzip Jedes Unternehmen ist als juris-tische Person nur fuumlr seine eigenen Handlungen verantwortlich und kann nicht fuumlr Handlungen eines anderen Unternehmens der gleichen Unternehmens-gruppe haftbar gemacht werden

Vorschlag

Unternehmen sind zum Schutz der Menschenrechte und zum Umweltschutz verpflichtet Unternehmen haften fuumlr die Handlungen der Tochterunternehmen auszligerhalb Europas die sie kontrollieren Jeder schuldhafte Verstoszlig gegen international an-erkannte Menschenrechts- und Umweltstandards durch das Tochterunternehmen fuumlhrt zur Haftung des Mutterunternehmens

Forderung 1b

Ein Unternehmen ist innerhalb seiner Einflusssphaumlre verpflichtet Maszlignahmen zu ergreifen um Verletzungen von Menschenrechten und Umweltgesetzen von beauftragten Unternehmen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken

Rechtliches Problem

Unternehmen tragen keine Verantwortung fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Schaumldigungen der Umwelt durch beauftragte Zulieferunterneh-men

Vorschlag

Unternehmen haben eine Sorgfaltspflicht die Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in ihrem Einflussbereich sicherzustellen Die Sorg-faltspflicht umfasst Risiken fuumlr Rechtsverletzun-gen zu untersuchen und geeignete Maszlignahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen zu tref-fen Ein Schadensersatzanspruch besteht wenn das Unternehmen die Beachtung der Sorgfalts-pflicht nicht nachweisen kann

Uumlbersicht ECCJ-Forderungen

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 13: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 13

Forderung 2

Unternehmen muumlssen uumlber Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden durch ihre Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen

Rechtliches Problem

Unternehmen sind nicht verpflichtet uumlber die Risi-ken fuumlr Menschenrechtsverletzungen und Umwelt-verschmutzungen zu berichten die durch ihre ei-gene Unternehmenstaumltigkeit oder die ihrer Toch-terunternehmen bzw Zulieferer entstehen

Vorschlag

Unternehmen muumlssen uumlber oumlkologische und so-ziale Auswirkungen ihrer Taumltigkeit berichten und diese oumlffentlich machen Die Berichte enthalten vergleichbare Informationen zur Unternehmens-struktur und zum Einflussbereich Risiken fuumlr Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden so-wie Vergleichsdaten zu den vorherigen Berichten

Forderung 3

Der Zugang zu europaumlischen Gerichten fuumlr Opfer der Taumltigkeit in Europa ansaumlssiger Unternehmen im Ausland wird verbessert

Rechtliches Problem

Klageverfahren vor europaumlischen Gerichten sind fuumlr Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden auszligerhalb der EU mit groszligen pro-zessualen und finanziellen Huumlrden verbunden

Vorschlag

Europaumlische Gerichte sind fuumlr Faumllle mit Menschen-rechtsverletzungen und Umweltschaumlden zustaumlndig und wenden europaumlisches Recht an Es wird eine Beweislastumkehr oder ein Untersuchungsrecht der KlaumlgerInnen fuumlr Informationen uumlber die Taumltig-keit des Unternehmens eingefuumlhrt Finanzielle Erleichterungen fuumlr finanzschwache KlaumlgerInnen sollten geschaffen werden In der Diskussion ste-hen noch Klageverfahren von Opfergruppen und Interessenvertretungen

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 14: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

14 |

3 Verbesserung des Zugangs zu Gerichten

Die durch das Verhalten von Unternehmen Geschaumldig-ten muumlssen oftmals groszlige Hindernisse uumlberwinden um sich vor Gerichten in ihren Heimatlaumlndern und vor europaumlischen Gerichten vor weiteren Beeintraumlchtigun-gen zu schuumltzen oder eine Entschaumldigung zu erhalten Moumlglichen Klagen in EU-Laumlndern stehen viele prozes-suale Huumlrden entgegen Deshalb fordert die ECCJ Re-formen des Prozessrechts in den EU-Laumlndern28

Ein erstes Problem ist die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte Schadensersatzklagen derjenigen die durch Unternehmenstaumltigkeiten im Ausland einen Schaden erlitten haben sind bisher oft an der fehlenden Zu-staumlndigkeit europaumlischer Gerichte gescheitert29 In den Laumlndern wo Schaumlden verursacht wurden koumlnnen die Betroffenen ihre Rechte mangels effektiv funk-tionierender Gerichte und Behoumlrden haumlufig aber nicht durchsetzen auch wenn diese gesetzlich verbrieft sind Die ECCJ fordert daher EU-Regeln zu verabschie-den welche die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr Klagen gegen europaumlische Mutter- und belieferte Unternehmen mit Sitz in der EU sicherstellen Euro-paumlische Gerichte waumlren dann fuumlr Klagen wegen Men-schenrechtsverletzungen und Umweltschaumlden im EU-Ausland zustaumlndig Die ECCJ fordert weiterhin gesetz-lich festzuschreiben dass europaumlisches Recht bzw das der Mitgliedstaaten anwendbar ist sofern das Mutter-unternehmen bzw Importunternehmen im EU-Raum ansaumlssig ist30 Ohne eine entsprechende Regelung liefen die vorgeschlagenen Reformen Gefahr nicht zur Anwendung zu kommen da noch offen bliebe ob das Gericht nach europaumlischem Recht oder nach dem Recht des Landes in dem die Schadenshandlung vorgenom-men wurde urteilen wuumlrde

2 Verbindliche Berichts- und Publizitaumltspflichten zu sozialen und oumlkologischen Risiken

Unternehmen ab einer bestimmten Groumlszlige 21 sind ge-setzlich verpflichtet jaumlhrlich einen Jahresabschluss22 und einen Lagebericht23 zu veroumlffentlichen24 Der Wirtschaftsmarkt und die Marktteilnehmer werden durch diese Berichts- und Publizitaumltspflichten ge-schuumltzt indem die finanzielle Situation und Risiken fuumlr das Unternehmen dargestellt werden25 Arbeitnehmer- und Umweltbelange muumlssen bisher nur bei einem er-heblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung in den Bericht aufgenommen werden

Unternehmen berichten teilweise freiwillig von ihrem sozialen und oumlkologischen Engagement Dieses En-gagement ist grundsaumltzlich zu begruumlszligen Allerdings handelt es sich hierbei bisher nur um wenige Unter-nehmen Zudem stellen die Unternehmen soziale und oumlkologische Missstaumlnde bei sich und in ihrer Lie-ferkette oft nicht umfassend zT sogar irrefuumlhrend dar26 Fuumlr die Betroffenen und die Oumlffentlichkeit sind solche Berichte jedoch nur hilfreich wenn umfassende vergleichbare und wahrheitsgemaumlszlige Informationen bereitgestellt werden Die ECCJ fordert deshalb dass Unternehmen verpflichtet werden Informationen zur Gesellschaftsstruktur und Zulieferern offen zu legen Das Unternehmen soll daneben uumlber sein soziales und oumlkologisches Engagement sowie entsprechende Risi-ken und Missstaumlnde berichten muumlssen Zudem sollte das Gesetz effektive Sanktionen und Klagemoumlglich-keiten fuumlr Einzelne und Verbaumlnde fuumlr den Fall eines Verstoszliges gegen die Berichts- und Publizitaumltspflicht enthalten27

21 Vgl sectsect 267 326 327 HGB Die Publizitaumlts pflicht ist nach Unternehmensgroumlszlige abgestuft

22 Dazu zaumlhlen die Darstellung des Vermoumlgens und der Schulden von Aufwendungen und Ertraumlgen des vergan-genen Geschaumlftsjahres nach sect 242 Abs 3 HBG

23 Der Geschaumlftsverlauf und die Lage des Unternehmens sowie Risi-ken der kuumlnftigen Unternehmensentwicklung bilden den Lagebericht nach sect 289 HGB Informationen uumlber Umwelt- und Arbeitnehmer-belange sollen in den Lagebericht gemaumlszlig sect 289 Abs 3 HGB aufge-nommen werden wenn auf Grund von Umwelt- und Arbeitnehmer-belangen ein wirtschaftliches Risiko fuumlr das Unternehmen besteht

24 sectsect 325 ff HGB

25 Merkt in Baumbach Hopt (2010) sect 325 Rn 1

26 Gregor amp Ellis 2008 S 27

27 Gregor amp Ellis 2008 S 32 Dies schlieszligt eine strafrecht-liche Sanktionierung fuumlr die Geschaumlftsfuumlhrung mit ein

28 Gregor amp Ellis 2008 S 19 26 32

29 Ascoly 2008 S 8

30 Gregor amp Ellis 2008 S 14

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 15: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 15

Eine zweite Huumlrde stellen haumlufig gerichtliche Beweisanforderungen dar KlaumlgerInnen muumlssen grundsaumltzlich ihre Schaumlden sowie Handlung und Ver-schulden der beklagten Unternehmen beweisen Das ist haumlufig nicht einfach bisher koumlnnen beklagte Unternehmen Beweise fuumlr unternehmerische Verfeh-lungen und Rechtsverletzungen zuruumlckhalten obwohl sie uumlber die notwen-digen Informationen verfuumlgen Innerhalb des Beweisrechts sollte daher zur Staumlrkung von Klaumlgern ein Untersuchungsrecht der Klaumlgerpartei oder eine Be-weislastumkehr zu ihren Gunsten fuumlr die hier diskutierten Fallkonstellationen eingefuumlhrt werden

Eine dritte Huumlrde sind hohe Prozesskosten und -risiken bei Zivilklageverfah-ren Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss beispielsweise ein Klaumlger wenn er einen Prozess verliert nicht nur fuumlr seine eigenen Kosten aufkommen sondern auch fuumlr diejenigen seines Gegners und die Gerichtskosten Die Op-fer koumlnnen haumlufig schlichtweg die dafuumlr noumltigen finanziellen Mittel nicht auf-bringen Das kann Geschaumldigte von einer Klage abhalten Die ECCJ diskutiert deswegen etwa die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe oder eine neutrale Kostenfestsetzung bei menschen- und umweltrechtlichen Gerichtsverfahren zu Beginn des Verfahrens Regeln wonach die Klaumlgerpartei in bestimmten Faumlllen nur fuumlr ihre eigenen Kosten aufkommen braucht vermindern das Risiko fuumlr hohe Verfahrenskosten

Die ECCJ diskutiert weiterhin die Moumlglichkeit einer kollektiven Klage ge-gen Unternehmen und staatliche Institutionen zu schaffen die eine groszlige Gruppe von Opfern zur Klageerhebung berechtigt Das Urteil wuumlrde allen Opfern einen Schadensersatz zusprechen ohne dass alle Opfer individuell klagen muumlssten Weitere zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren wuumlr-den vermieden Daruumlber hinaus sollten Interessenvertretungen wie Gewerk-schaften oder Umweltverbaumlnde bei Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltschaumldigungen durch Unternehmen im Ausland klagen duumlrfen Auch eine solche Reform wuumlrde Klagen vereinfachen da die Geschaumldigten aus dem Ausland nicht notwendigerweise selber klagen muumlssten

Die dargestellten prozessualen Reformvorschlaumlge sind nicht abschlieszligend Allgemein kann jedoch festgehalten werden dass das Prozessrecht der EU-Laumlnder an die besonderen Fallgestaltungen von Menschenrechtsverletzun-gen und Umweltschaumlden im EU-Ausland angepasst werden muss um eine ef-fektive gerichtlich durchsetzbare Haftung von Unternehmen sicherzustellen

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 16: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

16 |

III ThyssenKrupp ein deutscher Stahlgigant in Rio de Janeiro31

ThyssenKrupp ist ein Markenname der gerne als Synonym fuumlr die Qualitaumlt von Industrieprodukten aus Deutschland gebraucht wird Doch die ThyssenKrupp AG mit Sitz in Duisburg ist laumlngst ein multinationaler Konzern der in mehr als 80 Laumlndern aktiv ist32 Die derzeit groumlszligte Auslandsinvestition von Thyssen-Krupp ndash und die groumlszligte Auslandsinvestition in Brasilien in den letzten zehn Jahren33 ndash ist ein Stahlkomplex an der Bucht von Sepetiba in der Naumlhe von Rio de Janeiro Um den dortigen industriellen Komplex zur Stahlherstellung ua mit Hochoumlfen einem Hafengelaumlnde einer Kokerei und einem Kraftwerk zu erbauen und zu betreiben hat ThyssenKrupp im Jahr 2006 ein Joint-Venture mit dem brasilianischen Eisenerzunternehmen Vale do Rio Doce gegruumlndet die TKCSA Die TKCSA ist ein Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG ThyssenKrupp haumllt ca 74 Prozent der Anteile Vale den Rest34

Das Stahlwerk in Brasilien wird bei Fertigstellung das groumlszligte Lateinamerikas sein35 und ist ein zentrales Element der Wachstums- und Internationalisie-rungsstrategie des deutschen Stahlkonzerns ThyssenKrupp begruumlndet seine Investition in Brasilien vor allem damit dass es angesichts des gewachsenen Weltmarktbedarfs eine groumlszligere Rohstoffkapazitaumlt brauche ndash daher auch die Kooperation mit einem Unternehmen das Eisenerz foumlrdert36 Der in dem Werk produzierte Stahl ist fuumlr den Export nach Europa und in ein Thyssen-Krupp-Werk in die USA bestimmt Die Gesamtkosten der Investition belaufen sich nach derzeitigen Schaumltzungen von ThyssenKrupp auf 52 Mrd Euro ndash eine deutlich houmlhere Summe als die urspruumlnglich veranschlagten 13 Mrd Euro37

Das neun Quadratkilometer groszlige Gelaumlnde auf dem das Stahlwerk entsteht liegt an der Bucht von Sepetiba in einem Gebiet voller Gegensaumltze Einerseits ist die Bucht ein landschaftlich attraktives Gebiet in dem viele Menschen von Tourismus und Fischerei leben Andererseits sind in dem Gebiet in den letzten Jahrzehnten verstaumlrkt Industriebetriebe angesiedelt worden deren Taumltigkei-ten die oumlrtliche Umwelt stark belasten Die Ansiedlung von Unternehmen in der Gegend hat dabei nicht zu einer Anhebung des Lebensniveaus fuumlr alle Be-voumllkerungsschichten gefuumlhrt ndash viele Menschen in der Gegend leben in Armut und prekaumlren Umstaumlnden38

31 Die Darstellungen zum Stahlwerk der ThyssenKrupp Tochter TKCSA in Brasilien beruhen auf Untersuchungen brasilianischer Nichtregierungsorganisationen insbesondere des Instituto Poliacuteticas Alternativas para o Cone Sul (PACS) sowie des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

32 Vgl httpwwwthyssenkruppcomdekonzernindexhtml [aufgerufen 1032010]

33 Junttan Greatest on shore foundation work in the world is carried in Brazil with Finish presence httpwwwjunttanfiindexphpsivu=Brazilampkieli=en [aufgerufen 1032010]

34 ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 239

35 PACS 2009 S 12

36 ThyssenKrupp Steel Sepetiba Chronicles S 3 httpwwwthyssenkrupp-steel-europecomcsadata dedownloadschroniclespdf [aufgerufen 1932010]

37 Mangrovensuumlmpfe werden zum Millionengrab Handelsblatt vom 22 Januar 2010

38 Nuntildeez Viegas 2007 S 37 f

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 17: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 17

Die Bauarbeiten an dem Stahlwerk haben im Jahr 2006 begonnen Nach Angaben von ThyssenKrupp sollen in dem Werk 3000 Arbeitsplaumltze entstehen die Mehrheit davon fuumlr lokale Kraumlfte Zudem erwartet das Unterneh-men dass mehrere Tausend Arbeitsplaumltze als indirekte Folge des Betriebs des Stahlwerks geschaffen wer-den39 Die brasilianische Bundesregierung unterstuumltzt das riesige Investitionsprojekt nachdruumlcklich So hat TKCSA von der staatlichen brasilianischen Entwick-lungsbank BNDES einen Kredit von umgerechnet ca 600 Millionen Euro erhalten40 der brasilianische Praumlsi-dent Lula hat die Baustelle bereits zweimal besucht41 Die Behoumlrden des Bundesstaates Rio de Janeiro haben Genehmigungen fuumlr unterschiedliche Bestandteile der Stahlwerkkomplexes erteilt Dabei ist allerdings umstritten ob der Genehmigungsprozess ordnungs-gemaumlszlig verlaufen ist Das Ministeacuterio Puacuteblico das unter anderem dafuumlr zustaumlndig ist die Einhaltung verfas-sungsmaumlszligiger Rechte der Bevoumllkerung durch andere Behoumlrden zu uumlberwachen stellte laut einer Presse-erklaumlrung bdquoUnregelmaumlszligigkeitenldquo im Genehmigungs-prozess fest und empfahl die Aussetzung der Genehmi-gungen42

Die sozialen Folgen des Projekts fuumlr die AnwohnerIn-nen des Stahlwerks und seine Umweltauswirkungen sind zudem nicht so positiv wie die demonstrative Unterstuumltzung des Projekts durch das brasilianische Staatsoberhaupt sowie die Behoumlrden des Bundesstaats Rio de Janeiro vermuten laumlsst und wie es der deutsche Konzern in der Oumlffentlichkeit darstellt Lokale Fischer AnwohnerInnen aus der Umgebung des Stahlwerks und brasilianische Nichtregierungsorganisationen so-

wie Wissenschaftler uumlben schwerwiegende Kritik an TKCSA und machen auf die negativen Auswirkungen des Stahlwerks auf Menschen und Umwelt aufmerk-sam

1 Fischer ohne Fische

Besonders von dem Stahlwerk betroffen sind ca 8000 Fischerfamilien die fruumlher vom Fischfang in der Bucht von Sepetiba gelebt haben Die Fischer klagen daruumlber seit dem Beginn der Bauarbeiten an dem Stahlwerk nicht mehr genug Fische zu fangen um davon leben zu koumlnnen Viele Fischer arbeiten inzwischen in anderen

ndash haumlufig schlechter bezahlten weniger sicheren und ungelernten ndash Berufen Statistiken des Verbandes der Kleinfischer-Vereinigungen von Rio de Janeiro weisen fuumlr das Jahr 2000 eine Fangmenge von durchschnittlich sieben Tonnen pro Fischer aus im Jahre 2007 sind es noch knapp vier Tonnen und im Jahr 2009 840 kg43 Der Fischer Isak Alves Oliveira sagte bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro im Jahr 2009 aus dass er umgerechnet ca 25 Euro pro Woche durch die Fischerei verdiene fruumlher aber 120ndash165 Euro pro Woche eingenommen habe44

Plausible Vermutungen zu den Ursachen fuumlr den Ruumlck-gang des Fischbestands gibt es einige Die Bucht von Sepetiba ist auf Grund von Taumltigkeiten fruumlherer indu-strieller Unternehmen stark mit Schwermetallen ver-seucht die sich im Laufe der Zeit auf dem Grund der Bucht abgelagert haben45 TKCSA hat Teile des Grunds der Bucht von Sepetiba absaugen lassen damit ein Hafenbecken und ein Kanal der zum Betriebsgelaumlnde

39 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml -rung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wick lung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumente links fraktion netpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

40 BNDES finances BRL 148 billion to ThyssenKrupplsquos steel complex in Santa Cruz (RJ) Meldung der BNDES vom 206 2007 httpinterbndesgovbrenglishnewsnot141_07asp [aufgerufen 1032010] Umgerechnet nach Kurs vom 1032010

41 ThyssenKrupp AG Response by head office to the countermoti-ons regarding the Agenda of the General Stockholderslsquo Meeting of ThyssenKrupp AG on January 21 2010 httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegenantraegeCoun termotions_2010-01-11_132900_enpdf [aufgerufen 1032010]

42 Ministeacuterio Puacuteblico Federal do Rio de Janeiro MPFRJ aponta erros em licenciamento ambiental da CSA httpwwwpgrmpfgovbrnoticiasnoticias-do-sitemeio-ambiente-e-patrimonio-culturalmpf-rj-aponta-erros-em-licenciamento-ambiental-da-csa [aufgerufen 1032010]

43 Federaccedilatildeo das Associaccedilotildees de pescadores e Aquumlicultores artesanais do Rio de Janeiro oJ

44 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro ndash Comissatildeo de Defesa dos Direitos Humanos e Cidadania 2009

45 Molisani et al 2003 S 18 ff

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 18: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

18 |

Lokale Nichtregierungsorganisationen haben bisher vergeblich versucht Daten zur Wasserqualitaumlt zu erhal-ten Nach einem Zeitungsbericht laumlsst ThyssenKrupp die Wasserqualitaumlt von TUTECH einer der Universitaumlt Hamburg-Harburg und der Hansestadt Hamburg gehouml-renden GmbH uumlberwachen51 ThyssenKrupp verweist aber wegen der Daten auf die zustaumlndige brasiliani-sche Behoumlrde52 INEA die Umweltbehoumlrde des Staates Rio de Janeiro hat die Daten bisher trotz Nachfragen der brasilianischen Nichtregierungsorganisation PACS die den Protest der Fischer unterstuumltzt nicht heraus-gegeben

Die Fischer haben jedoch nicht nur mit dem Verschwin-den der Fische aus der Bucht von Sepetiba zu kaumlmpfen sondern auch damit dass Teile des Stahlwerkkom-plexes sie zu weiten Umwegen beim Fischen zwingen Insbesondere hat TKCSA eine Bruumlcke bauen lassen die vier Kilometer weit in die Bucht hineinragt An ihrem Ende sollen Schiffe mit Rohmaterial ent- und mit fer-tigem Stahl beladen werden Die Bruumlcke bietet kei-nen Durchlass fuumlr die Boote der Fischer die bisher in der gesamten Bucht gefischt haben Wenn die Fischer die Bruumlcke umfahren haben sie hohe Treibgaskosten brauchen viel Zeit und verdienen damit weniger

2 Weitere Auswirkungen fuumlr Gesundheit und Umwelt

AnwohnerInnen des Stahlwerks und lokale Organisa-tionen befuumlrchten noch weitere negative Konsequen-zen fuumlr Mensch und Umwelt in der Bucht von Sepetiba

bdquoThyssenKrupp beutet das hochwertige Erz aus uns lassen sie die Schlackeldquo so brachte es einer der Fischer waumlhrend einer Rundreise in Deutschland Anfang 2010 auf den Punkt53

fuumlhrt die fuumlr groszlige Schiffe noumltige Tiefe erhalten46 Umweltschuumltzer vermuten dass dadurch die sedimen-tierten Schwermetalle aufgewirbelt wurden was zum Sterben der Fische fuumlhrt47 Ein lokaler Wissenschaftler wird in einem Zeitungsartikel mit der Angabe zitiert er habe bei den Fischen in der Bucht von Sepetiba Defor-mationen feststellen koumlnnen48 Als weitere Gruumlnde fuumlr den Ruumlckgang der Fischbestaumlnde in der Bucht werden die Toumltung von Fischen bei den Absaugarbeiten49 so-wie der erhoumlhte Schiffsverkehr im Zusammenhang mit den Bauarbeiten genannt50

46 Vgl Nuntildeez Viegas 2007 S 35 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 1

47 Vgl Bericht der Agecircncia Petroleira de Notiacutecias Mais de 2 mil pescadores artesanais vatildeo agrave justiccedila federal vom 19 Maumlrz 2008 der sich auf das Foacuterum de Meio Ambiente da Baiacutea de Sepetiba beruft httpwwwapnorgbrapnindexphpoption=com_contentamptask=viewampid=240ampItemid=40 [aufgerufen 1032010] ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Umweltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebatecombr 20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-entrevista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

48 Poluiccedilatildeo na Baiacutea pode ateacute deformar peixes O Dia online vom 3152008 httpconfapescaorgbrpoluicao-na-baia- de-sepetiba-pode-deformar-peixes [aufgerufen 1742010]

49 ThyssenKrupp Vale contra o meio ambiente Interview mit dem Um-weltschuumltzer Seacutergio Ricardo vom 872008 httpwwwecodebate

combr20080709thyssenkrupp-vale-contra-o-meio-ambiente-ent revista-com-o-ambientalista-sergio-ricardo [aufgerufen 1032010]

50 Dragagens e circulaccedilatildeo de navios tiram o ganha-patildeo dos pescadores O Globo vom 10 82008 httpauroraproderjrjgovbrresenharesenha-imagens2008-08-10_00019_page00001pdf [aufgerufen 1742010]

51 Willi Mohrs Thyssen-Krupp weist Vorwuumlrfe zuruumlck WAZ vom 21112009

52 So Dr Gunnar Still Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 2712010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

53 Vgl httpwwwhart-brasilientextede20100123thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-die-fischerproteste-presse erklarung-viele-fragen-offen [aufgerufen 2742010]

Fuumlr den Bau dieses Stahlwerks von einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien wurden 4 Quadratkilometer Mangroven-wald abgeholzt Laut Erlaubnis des Bundesstaats Rio de Janeiro haumlt-ten jedoch nur 2 Quadratkilometer durch das Unternehmen abgeholzt werden duumlrfen

Foto MPF ndash Ministeacuterio Puacuteblico Federal | 2008

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 19: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 19

Wissenschaftler des brasilianischen Forschungsinsti-tuts FIOCRUZ kritisieren dass eine Umweltvertraumlglich-keitspruumlfung die hinsichtlich der Stahlfabrik durchge-fuumlhrt wurde54 die Umweltauswirkungen des Betriebs des Stahlwerks nicht umfassend beruumlcksichtige Ins-besondere seien Auswirkungen die sich durch die gleichzeitige Emission verschiedener Schadstoffe fuumlr Umwelt und menschliche Gesundheit ergeben nicht beruumlcksichtigt worden Emissionen seien nicht quanti-fiziert einzelne Schadstoffe gar nicht untersucht wor-den Insgesamt kritisiert das Institut die Umweltver-traumlglichkeitspruumlfung unter verschiedenen Aspekten als oberflaumlchlich und unzureichend55 Die Autoren der Studie sehen Anzeichen dafuumlr bdquodass ThyssenKrupp von der institutionellen Schwaumlche des brasilianischen Systems fuumlr die Uumlberwachung der Umweltqualitaumlt pro-fitiert und sich in einer Weise verhaumllt die nach euro-paumlischem Recht zumindest fragwuumlrdig istldquo56 Vertreter von ThyssenKrupp haben dagegen erklaumlrt dass die Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung den Anforderungen des brasilianischen Rechts vollumfaumlnglich entspreche das Stahlwerk halte nicht nur die brasilianischen son-dern auch europaumlische Umweltstandards ein57

Lokale Organisationen weisen demgegenuumlber bei-spielsweise darauf hin dass der aus der Bucht ent-fernte mit Schwermetallen belastete Schlamm sich langfristig wieder in der Bucht verteilen koumlnnte Ein

Teil des Materials wurde naumlmlich in 18 m tiefe Loumlcher in der Bucht versenkt die mit Erdreich abgedeckt wurden58 UmweltschuumltzerInnen machen darauf auf-merksam dass sich die abgedeckten Loumlcher mit gifti-gem Material in der Naumlhe eines Gebietes befinden wo Schiffe manoumlvrieren diese koumlnnten so die Befuumlrch-tung versehentlich (zB durch Anker) die abgedeckten Loumlcher in der Bucht aufreiszligen59

Die Bauarbeiten haben auch zur Zerstoumlrung von Man-grovenwald gefuumlhrt Die bundesstaatliche Umwelt-behoumlrde IBAMA stellte im Dezember 2007 fest dass eine mehr als doppelt so groszlige Flaumlche des Waldes wie genehmigt gerodet worden war60 Nach Angaben von ThyssenKrupp hat sich TKCSA mit der Umweltbehoumlrde auf eine Wiederaufforstung geeignet61 die Kosten fuumlr die Wiederaufforstung in Houmlhe von umgerechnet ca 12 Mio Euro hat ThyssenKrupp dabei in die Liste der von TKCSA finanzierten sozialen Projekte aufgenom-men62

Nach Berechnungen lokaler Behoumlrden wird das Stahl-werk sobald es voll in Betrieb ist zudem die CO2-Emissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent er-houmlhen das entspricht einem Anteil von ca 14 Prozent der Emissionen des Bundesstaats Rio de Janeiro mit seinen ca 16 Millionen EinwohnerInnen63

54 Einzelne Teile des Stahlwerk-Komplexes wurden im Rahmen getrennter Verfahren genehmigt Die der Verfasserin der Studie vorliegende Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung auf die sich auch FIOCRUZ bezieht umfasst die Stahlproduktion selbst nicht aber zB Ausbaggerungsarbeiten und die Hafenanlage

55 Firpo Porto amp Milanez 2009

56 Firpo Porto amp Milanez 2009 S 12

57 Muumlndliche Aussage von Herrn Still Direktor und Leiter der Abteilung Umweltschutz der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 193 2010]

58 Royal Boskalis Westminster nv Projektbeschreibung Sepetiba Bay S 2

59 Nuntildeez Viegas 2007 S 47

60 IBAMA Relatorio de Fiscalizaccedilatildeo Nr 2362007 [im Besitz der Verf]

61 Muumlndliche Angaben von Vertretern des Vorstands und des Aufsichtsrats der ThyssenKrupp AG waumlhrend der Aktionaumlrs - versammlung am 21 Januar 2010

62 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die im Text genannte Euro-Summe entspricht der in der Liste genannten Summe von 29 Mio Reais bei Zugrund-legung des Wechselkurses vom 13 32010 [im Besitz der Verf]

63 O preccedilo do progresso O Globo vom 6112009 S 10 Das hat TKCSA allerdings nicht daran gehindert fuumlr die Durchfuumlhrung be-stimmter emissionsmindernder Maszlignahmen eine Anerkennung als Projekt im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) zu beantragen Der CDM ist ein im Kyoto-Protokoll dem inter-nationalen Abkommen uumlber die Minderung von Treibhausgasen vorgesehenes Instrument das klimafreundliche Investitionen in Entwicklungslaumlndern foumlrdern soll Sollten die TKCSA-Maszlignahmen als CDM anerkannt werden so wuumlrde TKCSA dafuumlr Emissionszerti-fikate erhalten die auf den weltweiten Emissionshandelsmaumlrkten verkauft werden koumlnnten siehe die Projektbeschreibungen Recovery of Basic Oxygen Furnace gas (BOF gas) at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDBNMYAV6X 6XAG8EE8SBI9O0A5HE53EZDviewhtml [aufgerufen 1332010] und Heat Recovery Coking Plant at TKCSA in Rio de Janeiro Brazil httpcdmunfcccintProjectsValidationDB9U1UNXP5XJIN2YU8VG09S3YALQVHR0viewhtml [aufgerufen 1332010]

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 20: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

20 |

bezahlt worden67 Vieles deutet folglich darauf hin dass TKCSA nicht daran interessiert war die lokale Bevoumllkerung umfassend uumlber die Auswirkungen des Stahlwerks zu informieren und Einwaumlnde zu beruumlck-sichtigen Dass sich das Unternehmen mit den prote-stierenden Fischern bisher nicht an einen Tisch gesetzt hat um ernsthaft mit ihnen uumlber ihre Forderungen zu verhandeln verstaumlrkt den Eindruck dass TKCSA an einem wirklichen Dialog mit der lokalen Bevoumllkerung nicht interessiert ist

Insgesamt ist also von Corporate Social Responsibi-lity der Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch den Konzern in einer glaubhaften Weise nicht viel zu sehen obwohl die ThyssenKrupp AG auf ihrer Webseite versichert dass sie bdquogroszligen Wertldquo darauf lege bei ihren Entscheidungen bdquowirtschaftliche so-ziale und oumlkologische Gesichtspunkte einzubezie-henldquo68 Interessant ist in diesem Zusammenhang dass zwar die ThyssenKrupp Steel Europe eine Tochter der ThyssenKrupp AG und zustaumlndig unter anderem fuumlr die Produktion besonders hochwertiger Stahlprodukte69 Nachhaltigkeitsberichte verfasst die ThyssenKrupp AG einen derartigen Bericht fuumlr Brasilien oder andere Auslandsstandorte aber nicht erstellt70

4 Der Protest der Fischer ndash und der Versuch sie zum Schweigen zu bringen

Einen Teil der lokalen Fischer hat TKCSA durch die be-schriebenen Anhoumlrungen und sozialen Projekte den-noch scheinbar zufrieden gestellt In einer Material-sammlung zitiert ThyssenKrupp drei Fischer die die Unterstuumltzung durch TKCSA loben71 Was das Unter-nehmen dabei verschweigt ist dass die Unterstuumltzung der lokalen Bevoumllkerung fuumlr das Stahlwerk alles andere als einhellig ist Verschiedene Fischerorganisationen protestieren seit Jahren mit Demonstrationen gegen das Stahlwerk Sie fordern von TKCSA Schadensersatz

3 Oumlffentliche Anhoumlrungen und soziales Engagement des Unternehmens ndash eine weiszlige Weste

Dennoch praumlsentiert sich ThyssenKrupp gerne mit ei-ner weiszligen Weste So ruumlhmt sich der Konzern damit insgesamt mehr als 29 Mio Euro in soziale Projekte in der Umgebung investiert zu haben64 Wie bereits beschrieben hat das Unternehmen in die Liste der so-zialen Projekte aber auch solche Aktivitaumlten aufge-nommen die der Behebung der von ihm angerichteten Schaumlden dienen Umgerechnet 16 Millionen Euro sind zudem fuumlr nicht naumlher beschriebene bdquoVerbesserungenldquo im Hauptsitz der Umweltbehoumlrde von Rio de Janeiro bestimmt 270 000 Euro fuumlr die Spende von zwei Mi-litaumlrbooten an lokale Hafenbehoumlrden Der Betrag der tatsaumlchlich der Verbesserung der sozialen Situation der lokalen Bevoumllkerung dient macht insgesamt nur einen Bruchteil der gesamten Investitionssumme aus

Im Vorfeld der Bauarbeiten hat TKCSA nach eigenen Angaben drei oumlffentliche Anhoumlrungen der Bevoumllke-rung vor Ort durchgefuumlhrt65 Diese Anhoumlrungen sind Teil des Genehmigungsprozesses und dienen dazu die lokale Bevoumllkerung uumlber das Projekt zu informieren und eventuelle Einwaumlnde zu diskutieren66 Von einem lokalen Wissenschaftler der TeilnehmerInnen der oumlf-fentlichen Anhoumlrungen befragt hat wird allerdings beschrieben dass diese Anhoumlrungen so spaumlt am Tag begannen dass viele TeilnehmerInnen die Anhoumlrungen vor Ende verlassen mussten um das letzte oumlffentliche Transportmittel nach Hause noch erreichen zu koumlnnen Die vom Unternehmen vorausgewaumlhlten Fragen seien in einer so technischen Weise beantwortet worden dass viele der Anwesenden die Informationen nicht verstanden haumltten Zudem seien Personen mit Bussen zu den Anhoumlrungen gefahren worden die nicht zu den AnwohnerInnen des kuumlnftigen Stahlwerks gehoumlrten und fuumlr ihre Anwesenheit waumlhrend der Anhoumlrungen

64 Uumlbersicht bdquoCSA Social Projectsldquo uumlbereicht von Vertretern von ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 Die oben zitierte Summe entspricht der in diesem Dokument angegeben Summe von gut 73 Millionen brasilianischen Reais bei Zugrundelegung des Wechselkurses vom 28 Februar 2010

65 Aussage von Herr Bailer Direktor bei ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfraktionnet pdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

66 Barbosa Zborowski 2008 S 130

67 Nuntildeez Viegas 2007 S 46 f

68 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

69 Vgl ThyssenKrupp AG Geschaumlftsbericht 20082009 S 6

70 ThyssenKrupp Fragen und Antworten zum Thema Corporate Responsibility httpwwwthyssenkruppcomdeinvestorfaq_corporate_responsibilityhtml [aufgerufen 1332010]

71 Materialsammlung uumlberreicht von Vertretern von

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 21: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 21

fuumlr ihren Verdienstausfall und Maszlignahmen um sicher-zustellen dass sie wieder in der Bucht fischen koumlnnen Mehrere Fischervereinigungen haben zivilrechtliche Klagen gegen TKCSA eingereicht und verlangen Scha-densersatz fuumlr ihren Verdienstausfall Bis heute ist uumlber diese Klagen nicht entschieden worden

Fuumlr den Protest gegen das Stahlwerk zahlen die Fischer dabei teilweise einen hohen Preis Besonders drastisch ist der Fall des Fischers L72 Dieser Fischer ist seit meh-reren Jahren in verschiedenen lokalen Fischerorganisa-tionen aktiv teilweise in fuumlhrenden Positionen Nach Beginn seines Engagements gegen das Stahlwerk er-hielt L mehrfach telefonische Drohungen und beob-achtete in der Nacht vermummte Personen in seinem Vorgarten Im Februar 2009 erhielt er aus einem vor-beifahrenden Auto eine Waffe gezeigt ndash eine in der Gegend als Todesdrohung bekannte Geste die den Fischer dazu veranlasste noch am selben Tag seinen Stadtteil zu verlassen In den meisten Faumlllen konnte er nicht identifizieren wer ihn bedroht hat Er geht ndash auf Grund von Hinweisen von Freunden und Kollegen

ndash aber davon aus dass die Drohungen von Mitgliedern von lokalen Milizen stammen Bei den Milizen handelt es sich um in Rio de Janeiro weit verbreitete mafiaaumlhn-liche Gruppen denen unter anderem Polizisten und Ex-Polizisten angehoumlren und deren Bosse haumlufig lokale Politiker sind73 Einen Mann der ihn bedroht hatte er-kannte der Fischer L bei einer oumlffentlichen Anhoumlrung der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro auf einem Foto allerdings wieder der Mann ist laut Angaben des Fischers in der Gegend als fuumlhrendes Mitglied der lokalen Milizen bekannt Die bei der An-houmlrung ebenfalls anwesenden Vertreter von TKCSA er-kannten den Mann auch wieder Es handelt sich um ei-nen Angestellten des Unternehmens naumlmlich den Chef

des Werkschutzes74 TKCSA hat nach eigenen Angaben den Hintergrund des Angestellten gruumlndlich uumlberpruumlft dabei keinerlei Probleme festgestellt und beschaumlftigt ihn weiter Im Uumlbrigen beruft sich ThyssenKrupp darauf nur nach brasilianischen Verfahren zertifizierte Sicher-heitsunternehmen unter Vertrag zu nehmen75

Der bedrohte Fischer L wurde inzwischen in ein staatli-ches Schutzprogramm fuumlr Menschenrechtsverteidiger aufgenommen In der Begruumlndung der Entscheidung seitens der zustaumlndigen staatlichen Behoumlrde heiszligt es dass er bdquowegen der ernsten Gefahr fuumlr sein Leben die von Drohungen von Seiten von Polizeiangehoumlrigen so-wie von Milizen ausgehen die vermutlich angestellt wurden um das Eigentum von ThyssenKrupp und Vale do Rio Doce zu bewachenldquo in das Programm aufgenom-men werde76 Der Fischer lebt seit einem Jahr weit weg von seiner Familie und ohne Moumlglichkeit seinen Beruf auszuuumlben in wechselnden Bundesstaaten Brasiliens

ThyssenKrupp waumlhrend der Anhoumlrung des Ausschusses fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 12010 Fishermen Testimonials [im Besitz der Verf]

72 Die folgende Darstellung beruht auf einer intensiven Be-fragung des Fischers die Rechtsanwaumlltinnen des ECCHR am 2812010 in Berlin durchgefuumlhrt haben Ein Mitschnitt der Befragung kann auf Nachfrage zur Verfuumlgung gestellt werden

73 Vgl unter anderem den Bericht einer Untersuchungskom-mission der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro Rio de Janeiro State Assembly Parliamentary Committee of Investigation 2008 Fuumlr den Vorsitzenden dieser Kommission den Abgeordneten Marcelo Freixo und seinen Mitarbeiter star-tete Amnesty International im Jahr 2008 eine Urgent Action weil

sie Todesdrohungen von Seiten der Milizen erhielten aber von Seiten des brasilianischen Staates nur unzureichend geschuumltzt wurden Inzwischen wurden entsprechende Schutzmaszlignahmen ergriffen vgl Amnesty International Fear for Safety ndash Marcelo Freixo Vinicius George 2 Juni 2009 httpwwwamnestyorgukuploadsdocumentsdoc_19440pdf [aufgerufen 1132010]

74 Assembleacuteia Legislativa do Estado do Rio De Janeiro 2009 S 78

75 So Herr Bailer Direktor der ThyssenKrupp AG bei der Anhouml-rung des Ausschusse fuumlr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestags am 27 Januar 2010 vgl Bericht der Fraktion die Linke httpdokumentelinksfrak tionnetpdfmdb7768330557pdf [aufgerufen 1032010]

76 Presidecircncia da Repuacuteblica Secretaria especial dos direitos humanos Declaraccedilatildeo vom 4 November 2009 [im Besitz der Verf]

Demonstration von 900 Personen gegen ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp in Brasilien

Foto Fabio Caffe | 2009

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 22: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

22 |

Artikel 6 ICESCR schuumltzt das Recht auf Arbeit Dazu gehoumlrt es dass Menschen waumlhlen koumlnnen welche Ar-beit sie verrichten wollen80 Zudem schuumltzt das Recht auf Arbeit menschenwuumlrdige Arbeit Die Fischer in der Bucht von Sepetiba koumlnnen ihre Arbeit als Fischer die sie gerne weiterhin ausuumlben wollen nicht mehr ver-richten und sind gezwungen andere haumlufig schlechter bezahlte und weniger selbstaumlndige Taumltigkeiten aus-zuuumlben um zu uumlberleben Sie werden damit der vom Recht auf Arbeit geschuumltzten Wahlmoumlglichkeiten be-raubt

Ein weiteres relevantes Menschenrecht ist das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung das in Artikel 19 Absatz 2 des Internationalen Pakts uumlber buumlrgerliche und politi-sche Rechte (ICCPR)81 enthalten ist Das Recht auf freie Meinungsaumluszligerung schlieszligt ndash innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen ndash das Recht ein Gedankengut jeder Art in Wort Schrift oder Druck durch Mittel ei-gener Wahl weiterzugeben Eine Kritik an einem be-stimmten Unternehmen oder einer bestimmten staat-lichen Politik gegenuumlber diesem Unternehmen ist eine Meinungsaumluszligerung in diesem Sinn ndash die Fischer haben also mit ihren Protesten von diesem Recht Gebrauch gemacht Die Einschuumlchterung von Personen ndash wie des Fischers L ndash die von ihrem Recht auf freie Meinungs-aumluszligerung Gebrauch machen behindert die Ausuumlbung dieses Rechts82

Neben den internationalen Menschenrechtsabkom-men die sich an Staaten richten gibt es auch einige Bemuumlhungen internationaler Organisationen Regeln unmittelbar fuumlr das Verhalten multinationaler Kon-zerne aufzustellen Eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Initiative ist der UN Global Compact der bestimmte Prinzipien fuumlr das Verhalten multinationaler

5 Internationales Recht und die Fischer von Rio de Janeiro

Der Fischer L ist damit vielleicht der derzeit am staumlrk-sten von dem Stahlwerk Betroffene jedoch keines-wegs der Einzige fuumlr den die Aktivitaumlten der Thyssen-Krupp-Tochter negative Auswirkungen haben Obwohl die brasilianischen Staatsorgane sich ndash wie beschrie-ben ndash keineswegs einig sind ob TKCSA die einschlauml-gigen gesetzlichen Anforderungen eingehalten hat und lokale Organisationen den Bau des Stahlwerks im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevoumllkerung scharf kriti-sieren haben brasilianische Gerichte und Behoumlrden das Investitionsprojekt bisher weder gestoppt noch dafuumlr gesorgt dass die Forderungen der Fischer und UmweltschuumltzerInnen umgesetzt werden Vertreter von ThyssenKrupp haben wiederholt geaumluszligert dass TKCSA alle Anforderungen des brasilianischen Rechts einhalte Wie aber sieht es mit dem internationalen Recht aus namentlich den international geltenden Menschenrechten Dazu ist zunaumlchst festzuhalten dass internationale Menschenrechtsabkommen wie der Internationale Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle (WSK-) Rechte77 (ICESCR) nur Staaten verpflichten78 Unternehmen ndash auch groszlige transnatio-nale Unternehmen ndash sind so der juristische Konsens allenfalls an ganz wenige Normen des Voumllkerrechts gebunden die vor besonders schwerwiegenden Taten wie Folter schuumltzen sollen79

Dennoch lohnt ein Blick in die internationalen Men-schenrechtsabkommen Diese enthalten naumlmlich nicht nur juristische Regeln sondern verkoumlrpern auch einen internationalen moralisch-politischen Konsens daruumlber wie Menschen nicht behandelt werden duumlrfen

77 Internationaler Pakt uumlber wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte vom 19 Dezember 1966

78 Frey 1997 S 163 KinleyTadaki 2004 S 935 937 ff

79 Vgl Weilert 2009 S 902 Einzelne JuristInnen versuchen allerdings immer wieder Begruumlndungsansaumltze dafuumlr zu finden dass transnationale Unternehmen angesichts ihrer wirtschaft-lichen Macht welche diejenige vieler Staaten uumlbersteigt an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden sind vgl fuumlr einen guten Uumlberblick Kaleck amp Saage-Maaszlig 2008 S 21 ff

80 Vgl UN Committee on Economic Social and Cultural Rights General Comment No 18 on the Right to Work (Art 6) vom 24 November 2005 Rn6 httpwww2ohchrorgenglishbodiescescrcommentshtm [aufgerufen 1432010] Drzewicki 1995 S 178

81 Internationaler Pakt uumlber buumlrgerliche und politische Rechte vom 16 Dezember 1966

82 Vgl beispielsweise UN Commission on Human Rights The Right to Freedom of Opinion and Expression Dokument ECN42005L52 vom 1542005 httpdaccess-dds-nyunorgdocUNDOCLTDG0513870PDFG0513870pdfOpenElement [aufgerufen 232010]

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 23: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 23

Unternehmen bezuumlglich der Einhaltung menschen- und arbeitsrechtlicher sowie oumlkologischer und Antikorrup-tionsstandards vorsieht ThyssenKrupp ist jedoch nicht Mitglied des Global Compact83 Das Verhalten trans-nationaler Unternehmen regeln weiterhin auch die OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen84 Die Leitsaumltze sind an multinationale Unternehmen gerichtete Empfehlungen unter anderem hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Menschenrechts- Arbeits- und Umweltstandards Die Leitsaumltze sehen einen Beschwerdemechanismus vor den Nichtregierungs-organisationen nutzen koumlnnen wenn sie der Ansicht sind dass ein multinationales Unternehmen gegen die Leitsaumltze verstoszligen hat Das daran anschlieszligende Ver-fahren ist jedoch auf Mediation angelegt Geschaumldigte haben keinen Schadensersatzanspruch

Insgesamt existieren damit auf der internationalen Ebene keine Normen die es den brasilianischen Fi-schern ermoumlglichen wuumlrden ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen Sie muumlssen sich also an nationale bzw regionale Gerichte halten

6 Entschaumldigung fuumlr brasilianische Fischer vor deutschen Gerichten

Die brasilianischen Fischer konnten ihre Rechte bisher ndash unter anderem mangels Unterstuumltzung durch die staat-lichen Behoumlrden und Gespraumlchsbereitschaft des Un-ternehmens ndash in ihrem Heimatland nicht durchsetzen Da das Mutterunternehmen der TKCSA seinen Sitz in Deutschland hat liegt der Gedanke nahe ein Verfah-ren auf Schadensersatz in Deutschland anzustrengen Dabei wuumlrde es sich um eine zivilrechtliche Klage han-deln85 denn das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehun-gen von Privatleuten und Unternehmen untereinander

Um eine moumlgliche zivilrechtliche Klage der Fischer vor deutschen Gerichten mit dem Ziel Schadensersatz von der ThyssenKrupp AG zu erhalten wird es daher im Fol-genden gehen Der Schaden der Fischer besteht darin dass sie nicht mehr fischen koumlnnen dh ihrer bisheri-

gen Arbeit nicht mehr nachgehen und ihre Familien da-durch nicht mehr ernaumlhren koumlnnen Im Folgenden wird davon ausgegangen dass dies auf eine oder eine Kom-bination der oben beschriebenen Ursachen dh die Durchfuumlhrung von Absaugarbeiten die Vergiftung von Fischen durch das Aufwirbeln giftiger Schwermetalle und die baulichen Anlagen in der Bucht von Sepetiba zuruumlckgeht Einer der Fischer musste wie beschrieben zudem wegen der gegen ihn gerichteten Todesdrohun-gen seinen Wohnort verlassen er hat als Schaden nicht nur den Verdienstausfall sondern auch eine enorme emotionale Belastung durch den unfreiwilligen Wohn-ortwechsel die Trennung von seiner Familie und die vorausgehenden Drohungen

Auf den folgenden Seiten wird dargestellt welche Probleme sich bei der derzeitigen Rechtslage bei ei-ner solchen Klage vor deutschen Gerichten gegen ein deutsches Mutterunternehmen wegen Schaumlden erge-ben die dessen Tochter im Ausland angerichtet hat Zudem wird erlaumlutert welche Auswirkungen die ECCJ-Forderungen im Fall der Fischer haumltten

a Haftung des Mutterunternehmens

Ein erstes Problem im Zusammenhang mit einer Klage von Opfern der wirtschaftlichen Aktivitaumlten von Toch-terunternehmen deutscher Unternehmen im Ausland ist wie bereits oben beschrieben ob eine Klage gegen den Mutterkonzern moumlglich ist In den hier beschriebe-nen Faumlllen hat in Brasilien die TKCSA Ltda eine von der ThyssenKrupp AG zwar nicht wirtschaftlich aber juris-tisch getrennte Person gehandelt Gemaumlszlig dem derzeit im deutschen Recht geltenden oben beschriebenen Trennungsprinzip haftet innerhalb eines Konzerns grundsaumltzlich das Mutterunternehmen gegenuumlber Ge-schaumldigten nur fuumlr seine eigenen Aktivitaumlten nicht die seiner Toumlchter Ein Schadensersatzanspruch der brasi-lianischen Fischer gegen die in Deutschland ansaumlssige ThyssenKrupp AG wegen der durch TKCSA angerichte-ten Schaumlden scheidet somit nach geltendem Recht aus

83 Vgl UN Global Compact UN Global Compact Participants httpwwwunglobalcompactorgParticipantsAndStakeholders indexhtml [aufgerufen 1432010]

84 Online unter httpwwwoecdorgdataoecd56401922480pdf [aufgerufen 942010]

85 Die Untersuchung beschraumlnkt sich auf zivilrechtliche Anspruumlche Die Frage ob sich einzelne Manager in den deutschen Unternehmen nach deutschem Recht strafbar gemacht haben und deswegen im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens mit einer Geld- oder gar einer Gefaumlngnisstrafe belegt werden koumlnnten wird nicht behandelt

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 24: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

24 |

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem Umwelthaftungsgesetz

Das deutsche Umwelthaftungsgesetz87 bestimmt dass jemand der durch eine Umwelteinwirkung die von einer der im Gesetz genannten Anlagen ausgeht ge-toumltet verletzt oder gesundheitlich geschaumldigt wird vom Inhaber dieser Anlage Ersatz fuumlr den entstande-nen Schaden verlangen kann Zudem muss der Inhaber der Anlage auch Schadensersatz leisten wenn eine Sache also ein bestimmtes physisches Objekt durch Umwelteinwirkungen die von dieser Anlage ausgehen beschaumldigt wird88 Die brasilianischen Fischer koumlnnten eine Klage nicht auf dieses Gesetz stuumltzen Sie haben weder Gesundheitsschaumlden erlitten noch sind be-stimmte Sachen die ihnen gehoumlren zerstoumlrt worden Dass die Fische aus der Bucht verschwunden sind und sie daher vom Fischen nicht mehr leben koumlnnen mag eine Folge des Baus des Stahlwerks sein wird aber vom Umwelthaftungsgesetz nicht erfasst89

Schadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrecht

Neben dem Umwelthaftungsgesetz sind auch allge-meine zivilrechtliche Regelungen uumlber den Ersatz von entstandenen Schaumlden anwendbar Von Bedeutung ist insbesondere das sogenannte Deliktsrecht Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlungen eines anderen einen Schaden erlitten hat ohne dass die beiden vorher einen Vertrag miteinander geschlos-sen hatten Ein Alltagsbeispiel hierfuumlr sind Verkehrs-unfaumllle bei dem eine Verletzte Schmerzensgeld und Reparaturkosten fuumlr ein kaputtes Fahrrad vom Verursa-cher des Unfalls haben moumlchte Das Deliktsrecht ist die naheliegendste Grundlage fuumlr die Geltendmachung von Schadensersatz durch die brasilianischen Fischer wegen Verlust ihrer Verdienstmoumlglichkeiten Der wich-tigste Paragraph des deutschen Deliktsrechts ndash sect 823 des Buumlrgerlichen Gesetzbuches (BGB) ndash regelt zwei Fallkonstellationen

Die ECCJ fordert dass ein europaumlisches Mutterunter-nehmen auch ohne eigenes Verschulden fuumlr das schuld-hafte Verhalten seiner Tochter gegenuumlber denjenigen die durch ein Verhalten des Tochterunternehmens ei-nen Schaden erlitten haben haften soll wenn es die Tochter kontrolliert Da die ThyssenKruppp AG mehr als 70 Prozent der Anteile an der TKCSA haumllt ist von einer solchen Kontrolle im vorliegenden Fall auszuge-hen Wuumlrde die von ECCJ vorgeschlagene Formulie-rung wonach ein Mutterunternehmen auch fuumlr durch seine Tochterunternehmen verursachte Umweltschauml-den oder einen Verstoszlig gegen menschenrechtliche Standards haftet86 deutsches Recht waumlre die Haf-tung von deutschen Mutterunternehmen weiter als bisher Die Mutter wuumlrde haftbar gemacht fuumlr Schauml-den die ihr Tochterunternehmen verursacht hat Die Haftung der Mutter waumlre dabei unabhaumlngig von einem eigenen fahrlaumlssigen oder vorsaumltzlichen Verhalten von Angestellten des Mutterunternehmens Damit koumlnnte beispielsweise brasilianischen Fischern der Weg zu deutschen Gerichten eroumlffnet sein wenn sie gegen die ThyssenKrupp AG als Mutterunternehmen der TKCSA klagen wollen

b Schadensersatz fuumlr die Fischer ndash die deutsche Rechtslage

Voraussetzung fuumlr eine Haftung der ThyssenKrupp AG gegenuumlber den Fischern waumlre dabei allerdings nicht nur die Haftung des Mutterkonzerns fuumlr seine Tochter wie von der ECCJ vorgeschlagen die Tochter muumlsste sich auch selbst in einer Weise verhalten haben welche die Fischer ndash nach deutschem Recht ndash zu Schadenser-satz berechtigt also fahrlaumlssig oder vorsaumltzlich einen Schaden verursacht haben Deswegen untersuchen wir nun wie erfolgversprechend eine Klage der Fischer nach deutschem Recht in Deutschland waumlre Anschlie-szligend kommen Probleme hinsichtlich der Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und der Anwendbarkeit deutschen Rechts zur Sprache

86 Gregor amp Ellis 2008 S 13

87 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) vom 10121990

88 Vgl sect 1 UmweltHG

89 Der Gesetzgeber hat dies in seiner Gesetzesbegruumlndung so ausgedruumlckt bdquoWer durch eine Umwelteinwirkung einen Schaden erleidet ohne daszlig er in einem der genannten Rechts-guumlter verletzt ist kann diesen Schaden nicht uumlber sect 1 ersetzt verlangen insbesondere reine Vermoumlgensschaumlden sind in-soweit nicht zu ersetzenldquo BT-Drs 117104 S 17

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 25: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 25

In der ersten Fallkonstellation wird Schadensersatz gewaumlhrt wenn vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig eine andere Person das Leben den Koumlrper die Gesundheit die Freiheit das Eigentum oder ein sonstiges Recht einer natuumlrlichen oder rechtlichen Person schaumldigt Im vor-liegenden Fall kommt eine Verletzung des sogenann-ten bdquoRechts am eingerichteten und ausgeuumlbten Gewer-bebetriebldquo in Betracht Ein brasilianischer Fischer der mit seinem Boot regelmaumlszligig fischen geht und dadurch den Lebensunterhalt fuumlr sich und seine Familie erwirt-schaftet hat einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb im Sinne des deutschen Rechts90 Schadensersatz fuumlr Schaumldigungen dieses Gewerbe-betriebs koumlnnen die brasilianischen Fischer allerdings nicht verlangen Nach der deutschen Rechtsprechung erhaumllt man als Betriebsinhaber Schadensersatz naumlm-lich nur wenn ein anderer sich mit einer Handlung di-rekt und gezielt gegen den Betrieb richtet91 Keinen Schadensersatz gibt es wenn ein Unternehmen von bestimmten Ereignissen nicht anders betroffen ist als andere Personen auch92 beispielsweise wenn ein Stromkabel auszligerhalb des Betriebsgelaumlndes bei allge-meinen Bauarbeiten zerstoumlrt93 oder eine Wasserstraszlige gesperrt wird die das Unternehmen normalerweise als Transportweg nutzt94 TKCSA hat die Absaugarbeiten in der Bucht nicht vorgenommen um die Fischer zu schaumldigen oder zu diesem Zweck Hindernisse in die Bucht gebaut

In der anderen Fallkonstellation von sect 823 BGB muss jemand der gegen ein Gesetz verstoumlszligt das den Schutz von jemand anderem bezweckt und dabei den anderen schaumldigt diesem den Schaden ersetzen Die deutschen JuristInnen sind dabei der Ansicht dass ein solches

Schutzgesetz nur ein Gesetz sein kann welches eine einzelne Person schuumltzt dieser Person muss aufgrund des Gesetzes zudem ein Rechtsweg oder Klageweg of-fen stehen um ihre Rechte zu verteidigen95

Die oben erwaumlhnten internationalen Menschenrechts-normen wuumlrde ein deutsches Gericht voraussichtlich nicht als Schutzgesetz einstufen und entsprechend Schadensersatz gewaumlhren96 Zweck dieser Menschen-rechtsnormen ist zwar gerade der Schutz von Indivi-duen Sie ermoumlglichen es Individuen aber nicht sich gegen Handlungen von anderen Privatleuten oder Un-ternehmen zu wehren sondern geben nur die Moumlglich-keit ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen vom Staat zu fordern

Auch der Straftatbestand der Gewaumlsserverschmut-zung (sect 324 StGB) kommt grundsaumltzlich als Schutzge-setz fuumlr die brasilianischen Fischer in Frage der Para-graph verbietet auch die Verschmutzung auslaumlndischer Gewaumlsser97 Die Norm hat allerdings eine allgemein oumlkologische Schutzrichtung98 was ihre Einstufung als Schutzgesetz zumindest schwierig macht Zudem macht sich wegen einer Gewaumlsserverschmutzung nur strafbar wer ohne behoumlrdliche Genehmigung handelt ThyssenKrupp hatte nach eigenen Angaben fuumlr die Aus-baggerungsarbeiten eine Genehmigung der brasiliani-schen Behoumlrden Die Anerkennung auslaumlndischer Ge-nehmigungen im deutschen Zivilrecht ist umstritten99 ThyssenKrupp war aber keinesfalls verpflichtet eine Genehmigung fuumlr das Stahlwerk nach deutschem Recht einzuholen das ist ein starkes Argument dafuumlr dass wegen der brasilianischen Genehmigung Manager der ThyssenKrupp AG nicht nach sect 324 StGB strafbar sind

90 Voraussetzung fuumlr einen eingerichteten und ausgeuumlbten Gewerbebetrieb ist dass jemand eine selbstaumlndige entgeltliche und nachhaltige wirtschaftliche Taumltigkeit ausuumlbt in deren Rahmen er nach auszligen auftritt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 6

91 Die Juristen sprechen davon dass der Eingriff bdquobetriebs-bezogenldquo sein muss vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn D 11

92 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

93 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 194

94 Hager in Staudinger sect 823 Rn D14

95 Vgl Hager in Staudinger BGB sect 823 Rn G19ndashG21 Das ist bei vielen gesetzlichen Regelungen auszligerhalb des Zivilrechts nicht der Fall zB bei Regeln uumlber die Zustaumlndigkeit von Behoumlrden oder deren Verfahren

96 Die juristische Literatur schreibt wenig daruumlber ob internationale Menschenrechtsnormen ein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Hennings 2009 S 128 ist skeptisch Seibert-Fohr

2003 S 204 laumlsst die Fragen offen Allerdings weisen verschie- dene Autoren darauf hin dass EU-Normen die nicht unmittelbar in Deutschland gelten sondern vom deutschen Gesetzgeber noch umgesetzt werden muumlssen kein Schutzgesetz im Sinne von sect 823 Abs 2 BGB sein koumlnnen Privatpersonen haben aus solchen nicht umgesetzten EU-Normen naumlmlich keine Rechte gegenuumlber anderen Privatpersonen sondern allenfalls gegenuumlber dem Staat vgl Wagner in MuumlKo sect823 Rn 336 337 Sprau in Palandt sect 823 Rn 56a Auch deutsche Grundrechte werden aus diesem Grund von der Recht-sprechung nicht als Schutzgesetz eingestuft einzige Ausnahme ist Art 9 Abs 3 GG der die gewerkschaftliche Koalitionsfreiheit schuumltzt und fuumlr Gewerkschaften auch unmittelbar im Verhaumlltnis zu Arbeitgebern gilt vgl Hager in Staudinger sect 823 Rn G21

97 Steindorf in MuumlKo Strafrecht sect 330d Rn 2

98 KloepferViehaus 2002 Rn 16

99 Vgl zu unterschiedlichen Fallkonstellationen Bornheim 1995 S 234 ff

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 26: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

26 |

Schadensersatz wegen der Todesdrohung

Die Aussicht der Fischer Schadensersatz wegen ihrer Verdienstausfaumllle zu erhalten ist also nach geltendem deutschen Recht nicht gut Wie sieht es mit Schadens-ersatz fuumlr den Fischer L aus der wegen einer Todes-drohung seine Stadt verlassen musste und nun in ande-ren Bundesstaaten Brasiliens lebt

Die relevanten Rechtsnormen sind dieselben wie be-zuumlglich des Schadensersatzes fuumlr Verdienstausfaumllle Eine Moumlglichkeit fuumlr den Fischer L waumlre Schadens-ersatz wegen einer Koumlrperverletzung zu verlangen104 Die deutsche Rechtsprechung erkennt grundsaumltzlich an dass auch die Verursachung psychischer Leiden zum Schadensersatz wegen einer Koumlrperverletzung berechtigen kann wenn diese aumlhnlich intensiv sind wie ein koumlrperliches Leiden (etwa bei Mobbing)105 Ob der Fischer L Schadensersatz verlangen kann haumlngt des-wegen davon ab wie sehr ihn die Drohungen emotio-nal und psychisch beeintraumlchtigen

In Betracht kommt auch Schadensersatz fuumlr den Fischer wegen eines Verstoszliges gegen sect 241 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) sect 241 StGB stellt die Be-drohung einer anderen Person unter Strafe und ist ein Schutzgesetz im Sinne des deutschen Deliktsrechts106 Ein vorsaumltzliche Todesdrohung wie sie ndash vermutlich von Milizangehoumlrigen ndash gegenuumlber dem Fischer L ge-taumltigt wurde ist durch sect 241 StGB verboten Allerdings muumlsste diese Todesdrohung der TKCSA in jedem Fall in nachweisbarer Weise zuzurechnen sein um eine Haf-tung der TKCSA und ndash uumlber die Haftung des Mutterun-ternehmens gemaumlszlig den ECCJ-Forderungen der Thyssen-Krupp AG ndash zu begruumlnden Dies wird kaum moumlglich sein Der Fischer L weiszlig naumlmlich nicht wer ihn genau bedroht hat

und damit das Mutterunternehmen auch nicht fuumlr die durch verschmutztes Wasser entstandenen Schaumlden haftet Auch in dieser Fallkonstellation sind die Aus-sichten einer Klage brasilianischer Fischer gering

Ein weiterer Paragraph des deutschen Deliktsrechts100 regelt die sogenannte Haftung fuumlr Verrichtungsge-hilfen Grundsaumltzlich haftet danach jemand (der sog Geschaumlftsherr) fuumlr den andere (sog Verrichtungsge-hilfen) weisungsgebunden arbeiten und zu dem sie zB im Rahmen eines Arbeitsvertrags in einem Abhaumln-gigkeitsverhaumlltnis stehen wenn bei deren Taumltigkeit ein Schaden entsteht Wenn also beispielweise ein Handwerkermeister seinen Gesellen auf eine Baustelle schickt und dieser dort einen Fehler macht der zum Einsturz einer Mauer fuumlhrt haftet grundsaumltzlich nicht nur der Geselle sondern auch der Meister fuumlr den Scha-den Im Fall des Stahlwerks von ThyssenKrupp waumlre zu uumlberlegen ob diejenigen die die Absaugarbeiten in der Bucht durchgefuumlhrt haben Verrichtungshilfen der TKCSA sind Dann muumlsste diese naumlmlich unter Umstaumln-den fuumlr die angerichteten Schaumlden als Geschaumlftsherrin haften ndash und uumlber die von der ECCJ vorgeschlagene Haftung des Mutterunternehmens auch die Thyssen-Krupp AG Charakteristisch fuumlr einen Verrichtungsge-hilfen sind seine Abhaumlngigkeit und Weisungsgebun-denheit101 selbstaumlndige Subunternehmer sind daher keine Verrichtungsgehilfen102 Schon deswegen schei-det eine entsprechende Haftung der ThyssenKrupp AG fuumlr Umweltschaumlden in der Bucht von Sepetiba aus denn die Absaugarbeiten wurden von einem externen Partnerunternehmen der TKCSA vorgenommen Ein zusaumltzliches Problem besteht darin dass die Haftung fuumlr Verrichtungsgehilfen nur greift wenn der durch den Verrichtungsgehilfen angerichtete Schaden seiner Art nach gemaumlszlig dem deutschen Recht dem Geschaumldig-ten ersetzt werden muumlsste103 Das ist aber wegen der Besonderheiten des Umwelthaftungsgesetzes und des deutschen Deliktsrechts ndash wie dargestellt ndash nicht der Fall

100 sect 831 BGB

101 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 14

102 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 16

103 Vgl Sprau in Palandt sect 831 Rn 8

104 Die relevante Rechtsnorm waumlre der bereits oben zitierte sect 823 Abs 1 BGB

105 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 77 78

106 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 369

107 Die Haftung einer juristischen Person fuumlr das Verhalten ihrer leitenden Angestellten im Rahmen von deren Aufgabenkreis ergibt sich aus sect 31 BGB Ob das Unternehmen dabei nur fuumlr vorsaumltzliches oder auch fuumlr fahrlaumlssiges Verhalten leitender Angestellter haftet bemisst sich danach welche Art von Handlung das Schutzgesetz verbietet vgl Sprau in Palandt sect 823 Rn 60 Da eine Koumlrperver-letzung in Form einer psychischen Beeintraumlchtigung auch fahrlaumlssig verursacht werden kann wuumlrden leitende Angestellte der TKCSA nur haften wenn ihnen zumindest Fahrlaumlssigkeit nachweisbar waumlre

108 Vgl oben Fuszlignote 14

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 27: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 27

Selbst wenn er es wuumlsste wuumlrde das Unternehmen allerdings nur haften wenn leitende Angestellte der TKCSA hinsichtlich der Todesdrohungen fahr-laumlssig gehandelt haumltten107 Fahrlaumlssigkeit liegt dann vor wenn nachweislich die Geschaumlftsfuumlhrung der TKCSA haumltte voraussehen und verhindern koumlnnen dass Angehoumlrige des Werkschutzes entsprechende Drohungen aussprechen wuumlrden Dafuumlr gibt es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand keinerlei Hinweise Auch Schadensersatz wegen der Bedrohung wird dem Fischer L daher von einem deutschen Gericht wahrscheinlich nicht zugesprochen wer-den

c Zusammenfassung der juristischen Analyse und Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Nach geltendem deutschen Recht wuumlrden die Fischer voraussichtlich keinen Schadensersatz fuumlr ihre Verdienstausfaumllle und wegen der Bedrohung durch Milizangehoumlrige erhalten Dies hat vor allem damit zu tun dass das deutsche Zivilrecht nur gegen bestimmte Schaumlden und bestimmte Arten von Handlun-gen schuumltzt Ersetzt werden muumlssen Schaumlden an Leben Gesundheit oder Ei-gentum nicht aber andere Schaumlden (wie zB Einkommensverluste) die durch einen Verstoszlig gegen ein Umweltgesetz oder internationale Menschenrechts-normen entstehen Vom deutschen Recht erfasste Schaumlden haben die Fischer aber nicht

Die ECCJ-Forderungen wuumlrden ndash wie im Fall der Einfuumlhrung einer direkten Haftung des Mutterunternehmens ndash eine Verbesserung bringen Die ECCJ-Forderungen beinhalten eine Haftung von Mutterunternehmen wie der ThyssenKrupp AG fuumlr Verstoumlszlige ihrer Toumlchter gegen eine Reihe von internatio-nalen Abkommen die im allgemeinen Praumlferenzsystem der EU fuumlr den Handel mit Entwicklungslaumlndern benannt sind108 Dazu gehoumlren die beiden UN-Men-schenrechtspakte Wie oben gezeigt sind die brasilianischen Fischer sowohl in ihrem Recht auf Arbeit als auch ndash soweit sie Opfer von einschuumlchternden Drohungen waren ndash in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt Wuumlrden die ECCJ-Forderungen ndash hinsichtlich der Haftung des Mutterkonzerns und hin-sichtlich der Erweiterung der Art von Schaumlden fuumlr die deutsche Unternehmen haften ndash umgesetzt haumltte eine Klage der Fischer daher bessere Aussichten auf Erfolg als nach der geltenden Rechtslage Wie genau die Forderungen der ECCJ ins deutsche Recht umgesetzt werden koumlnnten muss allerdings noch weiter diskutiert werden

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 28: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

28 |

IV Ein hoher Preis fuumlr billige Textilien ndash die Lieferbeziehungen von Aldi in China109

Aldi ist in Deutschland nicht nur eines der bekanntesten sondern auch eines der erfolgreichsten Unternehmen Derzeit rangiert Aldi auf dem zweiten Platz der groumlszligten Familienunternehmen in Deutschland110 und ist weltweit in 18 Laumlndern vertreten Aldi setzt sich aus Aldi Nord und Aldi Suumld zusam-men und steht fuumlr Albrecht-Discount Laden Zwar handelt es sich bei Aldi Nord und Aldi Suumld um zwei selbstaumlndige Unternehmen diese sind jedoch in der oumlffentlichen Wahrnehmung zumeist als ein einziges Unternehmen unter dem Namen Aldi bekannt Als Discounter bezeichnet man ein Lebensmittel-geschaumlft mit begrenztem Sortiment und einfacher Ladenausstattung Dis-counter kaufen groszlige Mengen kurzfristig zu sehr geringen Preisen ein um die Waren sehr guumlnstig anbieten zu koumlnnen Aldi setzt neben dem Angebot von Lebensmitteln auf den Verkauf von sonstigen Waren wie Haushaltswa-ren Computer guumlnstige Handynutzungsvertraumlge und Bekleidungsstuumlcke zu

bdquoAktionspreisenldquo Diese tragen wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei111

Aldi arbeitet mit auslaumlndischen und inlaumlndischen Zwischenhaumlndlern sowie rechtlich selbstaumlndigen Untergesellschaften zusammen112 Die Geschaumlftsda-ten und Bilanzen dieser Unternehmen muss Aldi nach aktueller Gesetzeslage nicht veroumlffentlichen und tut es auch nicht freiwillig Auch seine Lieferstruk-turen veroumlffentlicht Aldi nicht Bei Untersuchungen zur Sozialvertraumlglichkeit von Unternehmen schnitt Aldi schlecht ab weil es nicht uumlber interne Unter-nehmensstrukturen und Produktionsbedingungen berichtet113 So aumluszligerte sich das Unternehmen gegenuumlber der Stiftung Warentest oder der Auszligen-handelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels nicht zu gestellten Fragen

Ein besonderes Augenmerk verdient das Textilangebot von Aldi weil Ver-braucherInnen zunehmend ihre Kleidung bei Discountern einkaufen114 Ein guumlnstiger Produktionsstandort dafuumlr ist China das zum groumlszligten Exportland fuumlr Textilien geworden ist115 Bei der Beschaffung von Textilien in China agie-ren Aldi Nord und Aldi Suumld wirtschaftlich gemeinsam116

Das SUumlDWIND-Institut117 konnte trotz der Undurchsichtigkeit der Liefer-struktur fuumlnf Textilfabriken identifizieren von denen Aldi zumindest bis zum Jahr 2005 Textilwaren bezog Vier der untersuchten Fabriken gehoumlren einem Tochterunternehmen eines der groumlszligten Textilherstellers in China der haupt-saumlchlich in die USA und in die EU exportiert118

109 Die Fakten zur Textilproduktion in China fuumlr Aldi wurden vom SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene recherchiert und herausgegeben

110 Ranking des Handelsblattes vom Dezember 2009 Deutschlands groumlszligte Familienunternehmen Siehe httpwwwhandelsblattcom handelsblatt-ranking-deutschlands-groesste-familienunternehmen 250343129bgStart [aufgerufen 1142010]

111 Wick 2009 S 21 23

112 Wick 2009 S 16

113 Wick 2007 S 16 17

114 Wick 2007 S 11 Die groumlszligten Textilhaumlndler Deutschlands httpwwwrankaholicsdewdie+groessten+textilhaendler+ deutschlands_1630 [aufgerufen 1142010]

115 Wick 2007 S 34

116 Wick 2007 S 14 Wick 2009 S 16

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 29: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 29

1 Arbeitsbedingungen bei Aldi-Zulieferern in China

Die Darstellung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen beruht auf einer von SUumlDWIND er-stellten Studie Im Jahr 2006 wurden fuumlnf Textilfabri-ken in der chinesischen Provinz Jiangsu untersucht Die Berichte und Studienergebnisse basieren auf Inter-views mit ArbeiterInnen der fuumlnf untersuchten Fabriken in China umfangreichen Literaturrecherchen und An-fragen an das Unternehmen Aldi

Die befragten ArbeiterInnen aumluszligerten sich zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere zu Arbeitszeiten Loumlhnen Gewerkschaftstaumltigkeiten Kinderarbeit und Fabrikunterkuumlnften Die Ergebnisse wurden an den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Konventionen gemessen Die chine-sischen Arbeitsgesetze bieten auf dem Papier einen guten Rechtsrahmen fuumlr ArbeiterInnen Allerdings werden in der Praxis haumlufig weder internationale Ar-beitsrechtsnormen noch das chinesische Arbeitsrecht eingehalten

In den fuumlnf untersuchten Textilfabriken sind 5300 Nauml-herInnen taumltig Die Mehrheit von ihnen sind Wander-arbeiterInnen die ihren Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort suchen muumlssen119 Sie wohnen in fabrikeigenen Schlafsaumllen weil hohe Mieten bei ge-ringem Gehalt oder Mangel an Wohnraum in der Naumlhe der Fabrik keine andere Option zulassen120 Einige der Schlafsaumlle werden abends zu einer bestimmten Uhrzeit geschlossen

Chinesische Regelungen zu den Arbeitszeiten legen fest dass bei maximal acht Stunden pro Tag die nor-male woumlchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 40 Stun-den betragen darf121 Hinzukommen duumlrfen maximal drei Uumlberstunden pro Tag bzw 36 Uumlberstunden pro Monat122 Zudem muss den ArbeiterInnen woumlchentlich

mindestens ein freier Tag gewaumlhrt werden123 Gemes-sen an diesen Vorgaben leisten die ArbeiterInnen aller fuumlnf Fabriken massive Uumlberstunden Die Anzahl der geleisteten Uumlberstunden in einer typischen Arbeitswo-che bewegt sich in den fuumlnf Fabriken zwischen 12 bis 42 Stunden pro Woche124 Das ergibt 48 bis 168 Uumlberstun-den pro Monat wenn vier Wochen fuumlr einen Monat zu Grunde gelegt werden

Waumlhrend der Produktionsspitzen fallen zudem leicht sieben Arbeitstage mit jeweils vier Uumlberstunden pro Tag an125 Ein Freizeitausgleich fuumlr die Uumlberstunden wird nicht gewaumlhrt Bei einer Verweigerung Uumlber-stunden zu leisten werden empfindliche Geldstrafen verhaumlngt und Loumlhne zuruumlckgehalten126 Die gesetzlich vorgesehenen bezahlten Urlaubstage hatte keiner der

117 Das SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene eV unter-sucht globale Wirtschaftsbeziehungen zeigt ungerechte Strukturen auf und weist VerbraucherInnenInnen politische und wirtschaftliche EntscheidungstraumlgerInnen nicht nur auf die Missstaumlnde hin sondern vermittelt ebenso Loumlsungsvorschlaumlge Weitere Informationen unter httpwwwsuedwind-institutde [aufgerufen 1142010]

118 Wick 2007 S 37

119 Wick 2007 S 37

120 Wick 2007 S 39

121 Gemaumlszlig Artikel 3 der Richtlinie des Staatsrats der Volksrepublik China zu Art 36 des chinesischen Arbeitsgesetzes wird der Standard von nicht mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche festgelegt

122 Art 41 Chinesisches Arbeitsgesetz

123 Art 38 Chinesisches Arbeitsgesetz

124 Wick 2007 S 51

125 Wick 2007 S 53

126 Wick 2007 S 44

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Roland Muumlller-Heidenreich

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 30: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

30 |

kommen zudem ihrer gesetzlichen Pflicht eine schrift-liche Lohnabrechnung zu erstellen nicht nach132 In den Fabriken werden fuumlr WanderarbeiterInnen auszliger-dem keine Sozialleistungen wie Renten- oder Kranken-versicherung gezahlt133

Neben der ordnungsgemaumlszligen Bezahlung fehlt eine ausreichende gesundheitliche Absicherung Wander-arbeiterInnen die die Mehrheit der Arbeitskraumlfte bil-den sind wie beschrieben selten krankenversichert Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird nur vor-genommen wenn die Krankheit mit der Arbeitstaumltig-keit unmittelbar verbunden ist Dieser Nachweis kann selten erbracht werden und daher wird selten Lohn fuumlr die Genesungszeit gezahlt Detaillierte gesetzliche Regelungen bestehen auch fuumlr den Mutterschutz fuumlr Schwangere ist eine bezahlte Mutterschaftszeit von 90 Tagen gesetzlich garantiert Den Befragten war kein Fall bekannt in dem der Mutterschutz gewaumlhrt wurde So muumlssen Schwangere eine Kuumlndigung einreichen und ihren Arbeitsplatz aufgeben134 Zudem ist der Arbeits-schutz mangelhaft Die ArbeiterInnen wurden in den Fabriken weder geschult noch auf Gesundheitsrisiken ihrer Taumltigkeit hingewiesen135

Die Disziplinierung der ArbeiterInnen wird nicht nur durch Geldstrafen136 sondern auch durch Kautionen fuumlr die Schlafsaumlle Zuruumlckhalten von Loumlhnen eine not-wendige Erlaubnis des Arbeitgebers zur Kuumlndigung137 und Aufsicht in den Schlafsaumllen erreicht138 Weiterhin versuchen die Fabrikmanager abendlichen Ausgang der ArbeiterInnen zu verhindern um gewerkschaftli-che Bestrebungen und Schwangerschaften zu unter-binden139 Aus der Sicht der Fabrikmanager verursa-chen Schwangerschaften einen Ausfall an Arbeitskraft der unbedingt vermieden werden soll Die Aufseher bespitzeln ArbeiterInnen um kritische ArbeiterInnen zu erkennen und ihnen kuumlndigen zu koumlnnen140

In allen Fabriken werden Kinder und Jugendliche be-schaumlftigt obwohl Kinderarbeit in China verboten ist141 Fabrikmanager stellen insbesondere dann Kin-der und Jugendliche ein142 wenn nicht genuumlgend Wan-derarbeiterInnen angeworben werden koumlnnen Die

127 Wick 2007 S 53

128 Wick 2007 S 52

129 Wick 2007 S 56

130 Zur Schaumltzung des Lohns einschlieszliglich Uumlberstunden Wick 2007 S 56

131 Wick 2007 S 56

132 Wick 2007 S 59

133 Wick 2007 S 58

134 Wick 2007 S 47 59

135 Wick 2007 S 58

136 Wick 2007 S 53

137 Wick 2007 S 38 41

138 Wick 2007 S 44

139 Wick 2007 S 43

140 Wick 2007 S 43

141 Wick 2007 S 48 49

befragten ArbeiterInnen erhalten127 Die ArbeiterIn-nen bekommen oftmals nur zwei freie Tage im Monat Eine Ausnahme war ein freier Tag fuumlr die ArbeiterInnen einer Fabrik als Vertreter auslaumlndischer Unternehmen das Firmengelaumlnde besichtigten128

Der ausbezahlte Lohn entspricht zwar dem festgeleg-ten Mindestlohn fuumlr eine regulaumlre Arbeitswoche von 40 Stunden reicht nach Angaben der ArbeiterInnen aber kaum aus um sich selbst zu versorgen129 Weil die Uumlberstunden nicht oder nur unzureichend bezahlt werden erhalten die ArbeiterInnen mit der Auszah-lung des Mindestlohnes viel weniger Lohn als ihnen nach chinesischem Gesetz zusteht130 Daruumlber hinaus wird entgegen der gesetzlichen Regelung selbst der Mindestlohn nicht gezahlt wenn die Fabrik nicht aus-gelastet ist und die ArbeiterInnen deshalb weniger oder gar nicht eingesetzt werden Fuumlr neu Eingestellte liegen die Lohnzahlungen nur bei einem Drittel des zu zahlenden Lohnes131 Nur in wenigen Faumlllen schlossen die ArbeiterInnen einen schriftlichen Arbeitsvertrag oder erhielten eine Ausfertigung sodass die Arbeite-rInnen zB vor Gericht ihren Lohnanspruch nicht ein-mal schriftlich nachweisen koumlnnen Die Arbeitgeber

Suumldchinesische Aldi Zulieferfabrik Quanxin Knittingaus Wick (2009) bdquoArbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft Aldi-Aktionswaren aus Chinaldquo

Foto Winfried Fleischmann

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 31: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 31

gesetzliche Dokumentationspflicht des Mindestalters wird regelmaumlszligig durch gefaumllschte Papiere von den Ar-beitgebern umgangen Somit laumlsst sich auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen die tatsaumlchlich in den Fa-briken arbeiten schwer nachvollziehen Ihr Arbeitsall-tag entspricht dem von Erwachsenen sie muumlssen die gleiche Arbeitsleistung erbringen und die gleiche Zeit arbeiten Gesundheitsuntersuchungen zum Schutz ih-rer koumlrperlichen Entwicklung werden nicht vorgenom-men

Auch die gewerkschaftliche Vertretung stellt ein Pro-blem dar143 Das chinesische Gesetz legt ua fest dass alle Unternehmen mit mehr als 25 Beschaumlftigen ein sogenanntes bdquoGewerkschaftskomiteeldquo gruumlnden sol-len144 Weiterhin ist geregelt dass sich die Arbeitgeber beim Anfall von Uumlberstunden sowohl mit den Gewerk-schaften als auch mit den ArbeiterInnen zu beraten ha-ben145 Und zur Funktion der Gewerkschaften heiszligt es dass sie die Rechte der ArbeiterInnen im Rahmen der Gesetze zu verteidigen haben und ihnen bei der Loumlsung ihrer Probleme helfen sollen146 Diese gesetzlich vor-gesehenen Arbeitnehmervertretungen wurden in den untersuchten Fabriken jedoch nicht gebildet zumin-dest wusste keine der interviewten ArbeiterInnen von einer Gewerkschaft im Betrieb In einer Fabrik wurde ArbeiterInnen die Gruumlndung einer Gewerkschaft aus-druumlcklich verboten147

Viele ArbeiterInnen sehen die Moumlglichkeiten zur Gruumln-dung solcher Gewerkschaftskomitees wenn sie denn um diese Option wissen jedoch ohnehin skeptisch und nutzen sie nicht Unter anderem sind in den Ge-werkschaftskomitees die Manager des Unternehmens vertreten und eine effektive Interessenvertretung der ArbeiterInnen erscheint damit fraglich

2 Protestaktionen und Reaktionen von Aldi

Der Discounter Aldi wurde von SUumlDWIND auf die un-haltbaren Arbeitsverhaumlltnisse bei den Zulieferern hin-gewiesen die Situation wurde anhand der Studiener-gebnisse erlaumlutert und auf die Verstoumlszlige gegen das chinesische Arbeitsrecht und die Kernarbeitsnormen nach den Uumlbereinkommen der Internationalen Arbeits-organisation (IAO)148 hingewiesen Die darauf folgende Aktion der Kampagne fuumlr Saubere Kleidung149 infor-mierte VerbraucherInnen und Medien uumlber die Arbeits-bedingungen in den Lieferunternehmen und rief zum Protest gegen die Verantwortungslosigkeit von Aldi auf150

Als Reaktion auf die Vorwuumlrfe folgte Aldi dem Bei-spiel vieler Unternehmen und trat der Business Social Compliance Initiative (BSCI) bei Die BSCI ist ein Zu-sammenschluss von mehr als 500 Unternehmen151 die sich fuumlr die Umsetzung der IAO-Uumlbereinkommen zu Kernarbeitsnormen152 bei den Zulieferunternehmen die Einhaltung der OECD-Leitsaumltze fuumlr multinationale Unternehmen sowie fuumlr den Umweltschutz in den Lie-ferunternehmen einsetzt Die Mitgliedschaft ist aus-schlieszliglich Unternehmen vorbehalten

Die BSCI ist eine Corporate Social Responsibility Initia-tive und soll die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verant-wortung durch die Mitgliedskonzerne dokumentieren Um dies in glaubhafter Weise zu tun fehlt es den BSCI-Regeln an einem zwingenden Durchsetzungsmechanis-mus fuumlr die Einhaltung der sozialen Standards153 Es gibt lediglich ein Pruumlfungsverfahren hinsichtlich der BSCI-Standards das von einem Mitgliedsunternehmen oder einem Lieferanten initiiert wird Die Ergebnisse des Pruumlfverfahrens stehen ausschlieszliglich den beteilig-

142 Wick 2007 S 49

143 An dieser Stelle wird gepruumlft ob die in chinesischen Ge-setzen verankerten Gewerkschaftsrechte verletzt wurden Den VerfasserInnen ist dabei bekannt dass das chinesische Gesetz Gewerkschaften nur eingeschraumlnkt zulaumlsst und die Gruumlndung einer unabhaumlngigen Gewerkschaft de facto nicht moumlglich ist Die Gruumlndung einer Gewerkschaft bedarf der Genehmigung des uumlbergeordneten All-Chinesischen-Gewerkschaftsbundes die bei einer unabhaumlngigen Gewerkschaft nicht erteilt wird

144 Artikel 10 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

145 Artikel 41 des chinesischen Arbeitsgesetzes

146 Artikel 6 des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes

147 Wick 2007 S 50

148 IAO ndash Internationale Arbeitsorganisation die Mindeststandards fuumlr Arbeitsbedingungen erarbeitet und in Form von Uumlbereinkommen mit Staaten umsetzt Weitere Informationen httpwwwiloorg globallang--enindexhtm [aufgerufen 1142010]

149 Die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung ist das deutsche Netzwerk der internationalen bdquoClean Clothes Campaignldquo die sich fuumlr verbesserte Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungs- und Sportartikelindustrie einsetzt Siehe httpwwwsaubere-kleidungdeindexhtml [aufgerufen 1142010]

150 Zu den einzelnen Protestaktionen siehe httpwwwsaubere-kleidungdeccc-10_eilaktionen ccc-12_pma-start_aldihtml [aufgerufen 642010]

151 Deutsche Unternehmen wie Deichmann Schuhe GmbH Esprit Karstadt Kaiser Rewe Gruppe S Oliver Lidl OBI sind vertreten

152 Die Kernarbeitsnormen sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen Beseitigung der Zwangsarbeit Abschaffung der Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschaumlftigung und Beruf

153 Zur rechtlichen Verbindlichkeit von CSR-Konzepten siehe Kocher 2010 S 33

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 32: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

32 |

Aldi Nord erwartet nach eigenen Angaben von seinen Partnerunternehmen dass alle Unternehmen in der Zulieferkette in Bezug auf die Einhaltung von Sozial-standards zertifiziert sind160 Diese Erklaumlrung lieszlig sich jedoch nicht verifizieren und auch auf Kundenanfragen an Aldi und Stellungnahmen von Nichtregierungsorga-nisationen gab es keine Reaktion161

3 Internationales Arbeitsrecht und die FabrikarbeiterInnen in China

Der wichtigste internationale Rahmen fuumlr Arbeits-rechte besteht in den Uumlbereinkommen bzw Konventio-nen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO162 Die IAO hat seit ihrer Gruumlndung im Jahre 1919 bislang 188 Uumlbereinkommen erarbeitet Diese Konventionen muumlssen vom jeweiligen Mitgliedsstaat erst noch rati-fiziert werden Mit der Ratifizierung verpflichtet sich der Staat das Uumlbereinkommen in seiner nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung umzusetzen und in regelmaumlszligigen Abstaumlnden der IAO uumlber diese Um-setzung zu berichten Um ein Mindestmaszlig an Arbeits-rechten weltweit festzusetzen hat die IAO im Jahre 1998 vier Grundprinzipien verabschiedet die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden Diese vier Ker-narbeitsnormen beziehen sich auf acht wichtige IAO-Konventionen und umfassen die Vereinigungsfreiheit und ein Recht auf Kollektivverhandlungen die Besei-tigung der Zwangsarbeit die Abschaffung der Kinder-arbeit und ein Verbot der Diskriminierung in Beschaumlf-tigung und Beruf Im Jahre 1998 haben sich saumlmtliche

ten Unternehmen zur Verfuumlgung154 welche uumlber die weitere Verwendung selbst entscheiden koumlnnen155 Ob und wann ein Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsrechtsstandards hin uumlberpruumlft wird richtet sich allein nach den beteiligten Unter-nehmen Sie behalten die Kontrolle uumlber die Resultate und koumlnnten somit Arbeitsrechtsverletzungen verber-gen156 Bisher haben weder Aldi noch die BSCI eine do-kumentierte Uumlberpruumlfung veroumlffentlicht

Auf Flugblaumlttern und Aushaumlngen berief sich Aldi seit seinem Beitritt zur BSCI auf die von der BSCI vorge-gebenen Sozialstandards die durch das BSCI-Pruumlf- und Kontrollverfahren eingehalten wuumlrden Aldi Suumld fuumlgte zudem eine Rubrik bdquoVerantwortungldquo auf seiner Internetseite hinzu Darin wird die Einhaltung von So-zialstandards nach den BSCI-Vorgaben in den Liefer-laumlndern beteuert und auf externe Uumlberpruumlfungen hin-gewiesen die die Einhaltung der Vorgaben angeblich absichern157

Insgesamt hat sich Aldi zwar der Diskussion uumlber Selbstverpflichtungen um Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zu verbessern inzwischen geoumlffnet Eine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch solche CSR-Konzepte ist jedoch mangels Durch-setzungsmechanismen kritisch zu beurteilen158 Der BSCI-Ansatz den Aldi gewaumlhlt hat ist ua wegen der geschilderten Intransparenz sowie seiner Nichtbeteili-gung von ArbeitnehmerInnenvertretungen oder Nicht-regierungsorganisationen besonders kritikwuumlrdig159

154 BSCI-Regeln S 9 siehe httpwwwbsci-euorg [aufgerufen 1142010]

155 Die Geheimhaltung wird durch folgende BSCI-Regel deutlich bdquoDie Ergebnisse der Auditierung duumlrfen ausschlieszlig-lich dem auditierten Lieferanten sowie dem betroffenen BSCI-Mitglied zugaumlnglich gemacht werdenldquo Die Unternehmen erhalten die Ergebnisse und koumlnnen daher auch uumlber deren weitere Nutzung entscheiden vgl BSCI-Regeln S 9

156 Die Uumlberpruumlfung beginnt mit einer Selbsteinschaumltzung Die Unternehmen koumlnnen sich auf die Pruumlfung einstellen Eine zwin-gende Durchsetzung von Korrekturmaszlignahmen gibt es nicht

157 Siehe httpverantwortungaldi-sueddeverantwortunghtmlsoziale_verantwortunghtm [aufgerufen 1142010] Aldi Nord ist zwar Mitglied der BSCI nimmt jedoch auf seiner Internetseite nicht darauf Bezug

158 Zweifel kamen auch im Europaumlischen Parlament auf bdquo dass CSR-Maszlignahmen weder einen Ersatz fuumlr angemessene Regelungen in den einschlaumlgigen Bereichen noch einen verdeckten Ansatz zur Einfuumlhrung einer solchen Gesetzgebung darstellen sondern als eigenstaumlndige Maszlignahmen gefoumlrdert werden solltenldquo Entschlieszligung des Europaumlischen Parlaments vom 13Maumlrz 2007 Abl EU Nr 301 E vom 13122007 S 40 Wick 2009 S 45

159 Dies kritisiert ua die Kampagne fuumlr Saubere Kleidung siehe eine Unterschriftenaktion zum Beitritt von Aldi zu BSCI vgl httpwwwsaubere-kleidungdepma-09_aldi2-bsci_ aldi-suedhtml [aufgerufen 2342010]

160 Wick 2007 S 17

161 Wick 2009 S 44

162 Vgl httpwwwiloorgpublicgermanregioneurprobonnzieleindexhtm [aufgerufen 1142010]

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 33: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 33

IAO-Mitgliedsstaaten also auch China zu den Kern-arbeitsnormen bekannt163 Insbesondere die Kernar-beitsnormen stellen einen internationalen Konsens fuumlr Arbeitsrechtsstandards dar Zwar verpflichten die IAO-Konventionen nicht die Unternehmen selbst jedoch beziehen sich Unternehmen zum Beispiel mittels der BSCI auf internationale Abkommen und setzen sich fuumlr die darin enthaltenen Rechte ein Aus diesen Gruumlnden verdienen die IAO-Konventionen eine detaillierte Un-tersuchung

Im Uumlbereinkommen Nr 1 der IAO zu Arbeitszeiten ist die Houmlchststundenzahl mit 56 Stunden pro Woche einschlieszliglich Uumlberstunden festgelegt Wie zuvor dargestellt muumlssen die ArbeiterInnen in Aldi-Liefer-betrieben jedoch in einer typischen Arbeitswoche in-klusive der Uumlberstunden 52 bis 82 Stunden pro Woche arbeiten Gegen die Arbeitszeitbegrenzung wird folg-lich regelmaumlszligig verstoszligen

Nach Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 138 duumlrfen Ju-gendliche unter 18 Jahre nur beschaumlftigt werden so-weit ihre koumlrperliche und seelische Entwicklung nicht beeintraumlchtigt wird Sofern es sich um besonders harte Arbeit handelt die fuumlr die Gesundheit schaumldlich sein kann liegt die Altersgrenze nach Art 3 (d) IAO Uumlber-einkommen Nr 182 bei 18 Jahren In allen Fabriken ha-ben Jugendliche zu den gleichen Bedingungen wie Er-wachsene gearbeitet Allein die hohe Arbeitsstunden-zahl von uumlber 52 bis 82 Stunden pro Woche laumlsst auf eine Beeintraumlchtigung der koumlrperlichen Gesundheit schlieszligen Zumindest muumlsste eine Gesundheitsgefaumlhr-dung durch eine aumlrztliche Kontrolle vermieden werden Derartige Schutzvorkehrungen gab es in keiner der un-tersuchten Fabriken

Art 2 IAO Uumlbereinkommen Nr 87 sichert ArbeiterIn-nen zu ungehindert eine Gewerkschaft gruumlnden oder ihr beitreten zu koumlnnen Nach IAO Uumlbereinkommen Nr 98 sollen ArbeiterInnen vor einer Benachteiligung fuumlr die Taumltigkeit in einer Gewerkschaft geschuumltzt wer-den Die Gruumlndung von Gewerkschaftskomitees nach chinesischem Gesetz wurde von den Fabrikmanagern

bisher nicht ausreichend ermoumlglicht In keiner der Fa-briken wussten die ArbeiterInnen etwas von der Exi-stenz einer Gewerkschaft obwohl die Arbeitgeber laut Gesetz zu Verhandlungen mit den ArbeiterInnen und der Gewerkschaft zB im Fall von Uumlberstunden verpflichtet sind In einer Fabrik wurde die Gruumlndung einer Gewerkschaft sogar ausdruumlcklich verboten Mit diesem Verbot einher geht die indirekte Androhung einer Kuumlndigung im Falle der Gruumlndung einer Gewerk-schaft oder erkennbar darauf hinfuumlhrender Aktivitaumlten Damit wird nicht nur dieses wichtige Arbeitsrecht ver-letzt sondern auch die Verwirklichung anderer Rechte die durch eine Gewerkschaft durchgesetzt werden koumlnnten Kollektive Lohnverhandlungen die Bezah-lung von Uumlberstunden oder ein Freizeitausgleich fin-den nicht statt

Die IAO-Konventionen nehmen jedoch wie oben er-waumlhnt nicht Unternehmen in die Pflicht sondern Staa-ten Die bestehenden Implementierungsmaszlignahmen auf IAO-Ebene va durch Berichtspflichten der Staa-ten fuumlhren nicht zu einer Verbesserung fuumlr die Betrof-fenen Die BSCI setzt sich nur durch Verhandlungen mit den Unternehmen und Verbaumlnden fuumlr die Durchset-zung ein In BSCI-Pruumlfverfahren koumlnnen die Arbeiter-Innen diese Rechte selbst nicht einfordern Somit sind die chinesischen ArbeiterInnen zur Durchsetzung ihrer Rechte auf nationale Gerichte angewiesen

4 Rechtsschutz und Entschaumldigung fuumlr chinesische TextilarbeiterInnen vor deutschen Gerichten

Zwar suchen immer mehr ArbeiterInnen seit dem In-krafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes in China aus dem Jahr 2008 bei Gericht Hilfe und reichen Klagen uumlber nicht ausgezahlte Gehaumllter oder erzwun-gene Uumlberstunden ein164 Dennoch klagen viele der Ar-beiterInnen insbesondere WanderarbeiterInnen ihre Rechte aus Angst um ihre Arbeitsstelle sowie wegen geringer finanzieller Mittel selten vor den Gerichten in ihrem Heimatland ein165 Es gibt in China zudem keine Arbeitsgerichtsbarkeit Arbeitsstreitigkeiten werden

163 Dies ist ua im Falle von China interessant das die Konven-tionen zu Vereinigungsfreiheit bislang nicht ratifiziert hat

164 Human Rights Watch 2008 S 265

165 Ein groszliges Problem stellt die Nachweispflicht der ArbeiterInnen uumlber das Bestehen eines tatsaumlchlichen Arbeitsverhaumlltnisses dar Dieser Beweis kann nur durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag erbracht werden den es haumlufig nicht gibt obwohl der Abschluss schriftlicher Arbeitsvertraumlge im Gesetz als Regel behandelt wird

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 34: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

34 |

b Deliktische Anspruumlche

Da zwischen den ArbeiterInnen und Aldi keine vertrag-liche Beziehung besteht ist das Deliktsrecht heran-zuziehen Es befasst sich mit Faumlllen in denen jemand durch die Handlung eines anderen einen Schaden er-litten hat ohne dass die beiden in einem vertraglichen Verhaumlltnis zueinander stehen Ein europaumlischer Auftrag-geber in diesem Falle Aldi wuumlrde dementsprechend haften wenn das Zulieferunternehmen eine ihm zure-chenbare Rechtsverletzung begangen hat Die chinesi-schen ArbeiterInnen muumlssten also zunaumlchst eine haf-tungsrelevante Rechtsverletzung des Zulieferunter-nehmens darlegen

Wie im Fall ThyssenKrupp beschrieben regelt der in Betracht kommende sect 823 BGB zwei Fallkonstellatio-nen167 Nach der ersten Fallkonstellation muumlsste das Zulieferunternehmen ein geschuumltztes Rechtsgut der ArbeiterInnen vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt ha-ben Der Paragraph kennt mehrere geschuumltzte Rechts-guumlter Vorliegend kommen als geschuumltzte Rechtsguumlter die Freiheit der Person und sonstige Rechte im Sinne des sect 823 BGB in Betracht

Die Freiheit der Person wird verletzt wenn eine Ein-schraumlnkung der Fortbewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen herbeigefuumlhrt wird168 Die Fortbewegungsfreiheit muumlsste nicht nur unerheblich beeintraumlchtigt sein169

Die ArbeiterInnen wurden zumindest zeitweise daran gehindert das Firmengelaumlnde zu verlassen Das Auf-sichtspersonal in den Fabriken und Schlafsaumllen kontrol-lierte den betrieblichen Ablauf und die Ordnung Ein konkreter physischer Zwang zB durch ein Verschlie-szligen der Werkstore waumlhrend der Arbeitszeiten wurde allerdings nicht berichtet Fraglich ist ob das Abschlie-szligen der Schlafsaumlle zur Nachtzeit die Bewegungsfrei-heit im Sinne des Paragraphen beschraumlnkt Hiergegen

erst nach einem freiwilligen innerbetrieblichen Schlich-tungsversuch sowie einem obligatorischen Schiedsver-fahren durch eine zustaumlndige Schiedskommission vor den ordentlichen Gerichten verhandelt Diese Art Vor-verfahren kostet aber bereits viel Geld so dass viele Ar-beiterInnen diesen Weg gar nicht erst einschlagen166

Da die Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette des deutschen Unternehmens Aldi auftraten liegt es nahe dass diese nach deutschem Recht beurteilt wer-den koumlnnten Nach dem deutschen Zivilrecht werden daher Entschaumldigungszahlungen fuumlr mangelnde Lohn-zahlungen sowie Moumlglichkeiten zur Einhaltung gesetz-licher Arbeitszeiten und die Zulassung von Gewerk-schaften gepruumlft

Es wird im Folgenden zudem dargestellt welche Pro-bleme sich ergeben wenn chinesische TextilarbeiterIn-nen vor einem deutschen Gericht gegen ein deutsches Unternehmen wegen Schaumlden klagen wuumlrden die ein Zulieferunternehmen des beklagten Unternehmens in China verursacht hat Zudem wird aufgezeigt wie die ECCJ-Forderungen an diesen Problemen ansetzen und sich bei ihrer Umsetzung die rechtlichen Moumlglichkeiten der ArbeiterInnen verbessern wuumlrden

a Vertragliche Anspruumlche

Um Anspruumlche aus einem Vertrag etwa auf Lohnzah-lung Einhaltung der Arbeitszeiten sowie weiterer ar-beitsrechtlicher Standards gegenuumlber Aldi geltend ma-chen zu koumlnnen muumlssten die ArbeiterInnen direkt mit Aldi in einem Arbeitsverhaumlltnis stehen Eine vertrag-liche Beziehung zwischen Aldi und den chinesischen ArbeiterInnen besteht jedoch nicht Die ArbeiterInnen stehen nur mit den Zulieferern von Aldi in einem Ver-tragsverhaumlltnis Nur diese sind zu Lohnzahlungen und deren ordnungsgemaumlszliger Berechnung sowie der Einhal-tung weiterer arbeitsrechtlicher Standards aus einem Vertrag verpflichtet

166 Yanyuan Cheng amp Darimont 2006 S 107

167 Zu den genauen Voraussetzungen der im Folgenden ge-pruumlften Paragraphen des Deliktrechts siehe Ausfuumlhrungen im ThyssenKrupp-Fall bdquoSchadensersatz wegen Verdienstausfall nach dem allgemeinen deutschen Zivilrechtldquo auf Seite 24

168 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 99

169 Sprau in Palandt sect 823 Rn 6

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 35: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 35

koumlnnte eingewendet werden dass die ArbeiterInnen indem sie die Schlafsaumlle nutzen zugleich ihr Einver-staumlndnis zu den Schlieszligzeiten geben Ferner schlichen sich ArbeiterInnen nachts heraus sie konnten sich also dem physischen Zwang aufgrund der Schlieszligzeiten der Schlafsaumlle entziehen Somit sind die ArbeiterInnen wohl eher nicht in ihrer Fortbewegungsfreiheit einge-schraumlnkt

Sonstige Rechte koumlnnten die Freiheit sein einer Ge-werkschaft beizutreten oder die Lohnforderungen der ArbeiterInnen Das Recht auf Mitgliedschaft und die Mitwirkung in Vereinen etwa werden als sonstige Rechtsguumlter170 geschuumltzt Davon sind jedoch die Verei-nigungsfreiheit und der Beitritt zu einer Gewerkschaft nach herrschender Meinung ausgenommen171 Aber auch das Vermoumlgen als solches oder vertragliche For-derungen wie etwa Lohnforderungen zaumlhlen nicht zu den geschuumltzten sonstigen Rechten Somit werden we-der die Freiheit einer Gewerkschaft beizutreten noch die Lohnforderungen der ArbeiterInnen durch das De-liktsrecht geschuumltzt

Auch nach der zweiten Fallkonstellation koumlnnen die ArbeiterInnen nach geltendem Recht keinen Schadens-ersatz verlangen Denn danach muumlsste Aldi gegen ein Schutzgesetz verstoszligen haben welches insbesondere den Schutz der ArbeiterInnen in den Zulieferfirmen be-zweckt Dabei ist zu beruumlcksichtigen dass sect 823 BGB den Einzelnen gegen die Verletzung durch eine andere Privatperson schuumltzen soll Die oben benannten inter-nationalen Arbeitsrechtsabkommen berechtigen die ArbeiterInnen nur gegenuumlber staatlichen Behoumlrden und nicht gegenuumlber Privaten Aus diesem Grund kann aus den internationalen Arbeitsrechtsabkommen kein Schutz gegen Handlungen von Unternehmen abgelei-tet werden sie sind daher keine Schutznormen nach sect 823 Absatz 2 BGB172

Nach der bisherigen Pruumlfung koumlnnten die ArbeiterIn-nen aus beiden Fallkonstellationen keinen Schadens-ersatz einklagen Eine Uumlberlegung waumlre die von der

ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht173 im Falle einer Um-setzung in europaumlisches Recht als weitere gesetzliche Schutznorm innerhalb des Deliktsrechtes einzufuumlh-ren174 Das haumltte unter anderem zur Folge dass die Un-ternehmen zur Einhaltung der internationalen Arbeits-rechtsabkommen gegenuumlber den ArbeiterInnen direkt verpflichtet waumlren

Im Weiteren muumlsste das Zulieferunternehmen dann diese Pflicht vorsaumltzlich oder fahrlaumlssig verletzt haben Die Fabrikmanager haben die Beeintraumlchtigungen der Bewegungsfreiheit die nicht angemessene Bezahlung der Uumlberstunden und die Beeintraumlchtigungen der Ar-beiterInnen durch fehlende gewerkschaftliche Vertre-tung bewusst und damit vorsaumltzlich herbeigefuumlhrt Das ausgesprochene Verbot in der Fabrik eine Gewerk-schaft zu gruumlnden sei hier beispielhaft fuumlr die repressi-ven Maszlignahmen genannt

Nach bisheriger Rechtlage muumlsste dann weiterhin ein Zusammenhang zwischen der Rechtsverletzung durch den Zulieferer und der Haftung des Abnehmers in Deutschland bestehen Die Verletzung des Schutzge-setzes muumlsste Aldi also zugerechnet werden koumlnnen Auch an dieser Stelle greift das derzeitige Delikts-recht nicht denn eine Haftung nach sect 823 BGB ist bei der Einschaltung von selbstaumlndigen Dritten nach dem deutschen Recht nicht moumlglich175 Selbstaumlndige Dritte sind ausschlieszliglich selbst fuumlr ihr Handeln verantwort-lich Die chinesischen Unternehmen handeln voumlllig selbstaumlndig Zudem ist auch nicht ersichtlich dass Aldi auf die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken di-rekt einwirkt

Es gibt eine Norm des Deliktsrechts die eine Haftung fuumlr das Verhalten Dritter eroumlffnet176 Sie greift aber nur wenn es sich bei dem Dritten um einen so genann-ten Verrichtungsgehilfen handelt Die fuumlr einen Ver-richtungsgehilfen charakteristische Abhaumlngigkeit und Weisungsgebundenheit erlaubt dem Geschaumlftsherrn die Taumltigkeit des Verrichtungsgehilfen jederzeit zu be-schraumlnken sowie Art und Umfang der Leistung genau zu

170 Sprau in Palandt sect 823 Rn 21

171 Sprau in Palandt sect 823 Rn 19

172 Vgl Seite 25 und Fuszlignote 96

173 Siehe Ausfuumlhrungen zu der ECCJ-Forderung nach einer Sorgfalts-pflicht der belieferten Unternehmen fuumlr ihre Zulieferer auf Seite 11

174 Wo die ECCJ-Forderungen genau Eingang in das deutsche Rechts-system finden wuumlrden ist noch offen An dieser Stelle wird lediglich ein moumlglicher Ansatz aufgezeigt Eine ausfuumlhrliche Pruumlfung wird nicht vorgenommen es interessiert vielmehr die bestehenden rechtlichen Probleme nach dem derzeit geltenden Recht zu verdeutlichen

175 Wagner in MuumlKo sect 823 Rn 286 ff

176 sect 831 BGB

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 36: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

36 |

Es besteht also die Moumlglichkeit gegen deutsche Un-ternehmen vorzugehen wenn sie faumllschlich vorge-ben oumlkologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten und dadurch die Kaufentscheidung von VerbraucherInnen beeinflussen180 Der Unterlassungs-anspruch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) hilft den ArbeiterInnen zumindest mittelbar Die Durchsetzung von Arbeitsrechten wird indirekt vorangetrieben weil die Unternehmen sich nicht den Anschein von sozialer Verantwortung geben koumlnnen ohne tatsaumlchlich soziale Verantwortung in den Produktionslaumlndern zu uumlbernehmen181 Im konkreten Fall stellte Lidl die irrefuumlhrende Werbung ein und gab eine entsprechende Unterlassungserklaumlrung ab

Soweit Unternehmen mit der verbindlichen Einhaltung rechtsaumlhnlicher Standards werben ohne eine Durch-setzung gewaumlhrleisten zu koumlnnen koumlnnen sie nach dem Wettbewerbsrecht haftbar sein182 Die wettbe-werbswidrige Handlung kann gerichtlich untersagt werden Das werbende Unternehmen muumlsste unlau-tere und unzulaumlssige geschaumlftliche Handlungen gegen-uumlber VerbraucherInnen vorgenommen haben die zur Taumluschung geeignete Angaben enthalten Angaben im Internet sind davon nicht ausgenommen183 Die Er-klaumlrungen auf der Internetseite zu verantwortlichem Handeln gehoumlren zur gewerblichen Taumltigkeit von Aldi weil sie Kunden uumlber die Produkte und das Unterneh-men informieren Die konkreten Erklaumlrungen von Aldi auf der Internetseite sind jedoch recht wage gehalten und moumlglicherweise nicht fuumlr eine Taumluschung geeignet Die Einhaltung und der Schutz von sozialen Rechten durch die BSCI-Mitgliedschaft werden von Aldi nur als Absichtserklaumlrung dargestellt Die Implementierung sei ein laumlngerer Prozess Die BSCI wird als Vermittler dargestellt und unterstuumltzt die Zulieferer nur bei der Einhaltung der Mindeststandards Ob eine Klage nach dem UWG gegen Aldi erfolgt haumltte ist daher fraglich

regeln177 Selbstaumlndige Unternehmen werden in dieser Form nicht von dem Vertragspartner beschraumlnkt178 Aldi bedient sich zwar der chinesischen Unternehmen aber nach bisherigem Kenntnisstand werden die Ar-beitsbedingungen nicht vertraglich zwischen Aldi und dem Zulieferer bestimmt Auch die Selbstverpflich-tung von Aldi durch seine Mitgliedschaft in der BSCI hat keine rechtliche Wirkung die auf eine Weisungs-gebundenheit der chinesischen Zulieferunternehmen schlieszligen lieszlige Aus diesem Grund koumlnnen die Arbeite-rInnen auch nicht uumlber diesen Paragraphen Schadens-ersatz von Aldi einklagen

Die ECCJ-Vorschlaumlge gehen auch auf dieses Problem ein und fordern eine Haftungserweiterung indem das beauftragende Unternehmen also hier Aldi fuumlr Rechtsverletzungen durch den Zulieferer haftet wenn die Moumlglichkeit der Einflussnahme auf diesen bestand Dabei handelt es sich um die von der ECCJ geforderte Sorgfaltspflicht fuumlr die beauftragenden Unternehmen Innerhalb der Lieferkette muss danach das beauftra-gende Unternehmen nach seinen rechtlichen orga-nisatorischen oder wirtschaftlichen Moumlglichkeiten Rechtsverletzungen des Lieferunternehmens verhin-dern oder bei einer Pflichtverletzung den Opfern Scha-densersatz leisten

c Unterlassungsanspruch gegen die Selbstdarstellung

Das allgemeine deutsche Zivilrecht hilft in seiner jetzi-gen Form den ArbeiterInnen nicht weiter Einen ande-ren Weg beschritt die Verbraucherzentrale Hamburg Sie klagte gegen einen anderen deutschen Discounter Lidl und berief sich auf Verstoumlszlige gegen das Wettbe-werbsrecht Die Verbraucherzentrale forderte in der Klage von Lidl die VerbraucherInnen irrefuumlhrende Werbung zu unterlassen Die Irrefuumlhrung lag nach An-sicht der Klaumlgerin darin dass das Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erwecke es koumlnne faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern garantieren und sei hierzu auch durch die Mitgliedschaft in der BSCI verpflichtet179

177 Wagner in MuumlKo sect 831 Rn 10

178 Sprau in Palandt sect 831 Rn 6

179 Vgl httpwwwvzhhde~uploadrewriteTexteRechtLidlaspx [aufgerufen 1242010]

180 sect 3 Abs 2 UWG

181 Vgl httpwwwecchrdelidl-klagearticleslidl-muss-werbung-zurueckziehen620html [aufgerufen 2642010]

182 Kocher 2010 S 31

183 Sosnitza in PiperOhlySosnitza sect 2 Rn 109

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 37: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 37

d Zusammenfassung der Analyse zur gegenwaumlrtigen Rechtslage

Die deutschen Gesetze sehen abgesehen vom Wettbe-werbsrecht keine rechtliche Verantwortung von Aldi fuumlr die Missstaumlnde in den Textilfabriken vor obwohl das Unternehmen von den geringen Produktionsko-sten die unter anderem durch Arbeitsrechtsverstoumlszlige moumlglich werden profitiert Aldi hat aus dem Liefer-vertrag keine Pflichten gegenuumlber den ArbeiterInnen Diese muumlssen sich fuumlr ihre Lohnzahlungen und Gewerk-schaftsvertretung an ihren Arbeitgeber das Zuliefer-unternehmen halten Auch Schadensersatzanspruumlche nach dem Deliktsrecht entfallen zum einen mangels einer bestehenden Schutzpflicht der Unternehmen auf die Einhaltung von Arbeitsrechten bei ihren Zulie-fern zu achten und zum anderen weil keine Haftung der Unternehmen fuumlr das Verhalten ihrer Zulieferer herge-leitet werden kann Daher werden nun die ECCJ-Forde-rungen und deren Auswirkungen im Falle ihrer Umset-zung fuumlr die chinesischen ArbeiterInnen dargestellt

5 Rechtslage bei Umsetzung der ECCJ-Forderungen

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei chine-sischen Zulieferfirmen von Aldi kann bei derzeitiger Rechtslage nicht in Deutschland eingeklagt werden und die bestehenden Berichts- und Publizitaumltspflich-ten der Unternehmen erlauben weder den Verbrauche-rInnen noch dem Geschaumldigten einen Einblick in die Unternehmensstrukturen und deren Taumltigkeit

Durch die Umsetzung der ECCJ-Forderungen sollen im Wesentlichen die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Standards und gegebenenfalls die Zahlung von Scha-densersatz erreicht werden Die geforderte Sorgfalts-pflicht und eine Publizitaumltspflicht wuumlrden dabei wei-terhelfen Die Sorgfaltspflicht erfordert moumlgliche und

effektive Abwehrmaszlignahmen gegen Arbeitsrechts-verletzungen Die vorgeschlagene Publizitaumltspflicht fuumlr Unternehmen wuumlrde fuumlr Geschaumldigte zu einer Er-leichterung im gerichtlichen Verfahren fuumlhren und zu einer besseren Informationslage fuumlr die europaumlischen VerbraucherInnen und Nichtregierungsorganisationen die sich fuumlr faire Arbeitsbedingungen einsetzen

Wie die Forderungen dann im Einzelnen ins deutsche Recht umgesetzt werden muss noch weiter diskutiert werden Im Rahmen der oben vorgenommenen Pruumlfung deliktischer Anspruumlche wurde nur ein Ansatz beispiel-haft aufgezeigt

a Haftungsanspruch bei Verletzung der Sorgfaltspflichten

Ein Schadensersatzanspruch der ArbeiterInnen koumlnnte gegen Aldi durchgesetzt werden wenn die Forderun-gen der ECCJ zur Einfuumlhrung einer Sorgfaltspflicht ge-genuumlber ihren Lieferanten zur Vermeidung von Men-schen- und Arbeitsrechtsverletzungen umgesetzt wer-den Aldi wuumlrde fuumlr Schaumlden und Kosten haften wenn es nicht beweisen koumlnnte dass es die erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung von Menschenrechtsverlet-zungen angewandt hat und die betreffenden Lieferan-ten unter seiner Kontrolle standen oder sich in seinem Einflussbereich befanden

Die Haftung des in Europa ansaumlssigen Unternehmens soll nach ECCJ-Forderungen auf dessen Einflussbereich begrenzt sein Die geforderte Sorgfaltspflicht und de-ren haftungsrechtliche Konsequenzen sollen auf die Faumllle beschraumlnkt werden in denen ein Unternehmen tatsaumlchlich die Moumlglichkeit hat Verletzungen abzu-wenden Die Einflusssphaumlre muss von den Gerichten in-haltlich genauer bestimmt werden Folgende Kriterien koumlnnen nach den ECCJ-Forderungen zur Beurteilung herangezogen werden Kontrolle durch ein Vertrags-

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 38: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

38 |

beitsstunden von 56 Stunden pro Woche inklusive der Uumlberstunden werden regelmaumlszligig uumlberschritten und somit das Recht auf Arbeitszeitbegrenzung verletzt

Diese Rechtsverletzungen durch den Zulieferer be-gruumlnden jedoch nur eine Sorgfaltspflichtverletzung wenn von Aldi keine geeigneten Schutzmaszlignahmen getroffen wurden In einem gerichtlichen Verfahren koumlnnte das europaumlische Unternehmen eine Haftung abwenden wenn es geeignete Abwehrmaszlignahmen nachweisen kann Der Beitritt zur BSCI stellt voraus-sichtlich keine geeignete Maszlignahme dar die Beein-traumlchtigungen der ArbeiterInnen die auftreten wenn etwa die Gruumlndung einer Gewerkschaft verboten wird zu beenden oder zu gewaumlhrleisten dass die Arbeiter-Innen nicht massive Uumlberstunden leisten muumlssen We-der die Verpflichtungserklaumlrung der Zulieferer noch die externen Uumlberpruumlfungen des BSCI-Pruumlfverfahren fuumlhren nach bisheriger Erkenntnis189 zu einer Verbes-serung und wuumlrden damit nicht als geeignete Maszlignah-men angesehen werden

Um jedoch rechtliche Schritte erfolgreich in die Wege leiten zu koumlnnen benoumltigen die Klaumlger konkrete Infor-mationen uumlber das belieferte Unternehmen die bisher nicht allgemein zugaumlnglich sind Deshalb fordert die ECCJ einen regelmaumlszligigen Bericht von Unternehmen uumlber deren Strukturen Missstaumlnde und Risiken fuumlr Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschaumlden

b Berichts- und Publizitaumltspflichten

Die Berichts- und Publizitaumltspflicht entsprechend der ECCJ-Forderungen beinhaltet uumlber Missstaumlnde und moumlgliche Risiken fuumlr die Verletzung von Menschen-rechten und Schaumlden fuumlr die Umwelt zu berichten und diese oumlffentlich zu machen Die ArbeiterInnen in den Zulieferfabriken von Aldi koumlnnten mit Hilfe von oumlffent-lich zugaumlnglichen Berichten leichter die oben darge-stellte Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen und er-fahren gegen welches Unternehmen sie ihre Anspruuml-che geltend machen koumlnnen

verhaumlltnis Beteiligung am anderen Unternehmen Per-sonenidentitaumlt auf Managementebene Groszligteil der Warenabnahme direkte Vorteile durch die Rechtsgut-verletzung184 Uumlber die Lieferbeziehungen zwischen Aldi und dem chinesischem Unternehmen koumlnnen nur die beteiligten Unternehmen Auskunft geben weil es bisher keine Publizitaumltspflicht uumlber die Unternehmens-struktur gibt

Eine moumlgliche Einflussnahme bestuumlnde uumlber die Ver-tragsgestaltung mit dem in Europa ansaumlssigen Unter-nehmen185 Standardvertragsklauseln fuumlr Vertraumlge mit Bezug zu Drittlaumlndern sind im europaumlischen Da-tenschutz186 bereits uumlblich Jeder Auftrag mit einem auszligereuropaumlischen Unternehmen beinhaltet dadurch die gewuumlnschten Mindeststandards fuumlr die Arbeiter-Innen187 Aldi haumltte im vorliegenden Fall die Einhal-tung der arbeitsrechtlichen Mindeststandards nach IAO-Uumlbereinkommen vertraglich absichern und fuumlr den Fall der Rechtsverletzung einen vertraglich vereinbar-ten Schadensersatzanspruch festlegen koumlnnen Aldi koumlnnte insofern auf das Lieferunternehmen Einfluss nehmen und Rechtsverletzungen verhindern

Die Unternehmen muumlssen nach den ECCJ-Vorschlaumlgen nur fuumlr Verletzungen von Rechten einstehen die in grundlegenden internationalen Uumlbereinkommen ge-schuumltzt sind188 Etwa das darin geschuumltzte Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nach Art 2 IAO-Uumlbereinkommen Nr 87 und Art 2 und 4 des IAO-Uumlbereinkommen Nr 98 wurden in einem konkre-ten Fall verletzt in dem die Schaffung einer gewerk-schaftlichen Vertretung von vorn herein verboten wurde Die anderen Beispiele in denen die ArbeiterIn-nen nicht uumlber eine vorhandene Gewerkschaft in ihrem Unternehmen informiert waren legt die Vermutung nahe dass es auch hier keine Gewerkschaft gab weil diese laut Gesetz zumindest bei Verhandlungen uumlber Uumlberstunden einbezogen werden muumlsste Kollektivver-handlungen uumlber Arbeitsbedingungen wurden auch in keiner anderen Form ermoumlglicht Auch die im Uumlberein-kommen Nr 1 der IAO geregelten maximalen Houmlchstar-

184 Gregor amp Ellis 2008 S 24 25

185 zB per Vertrag zu Gunsten Dritter sect 328 BGB

186 Siehe die Standardvertragsklauseln httpeceuropaeujustice_homefsjprivacymodelcontractsindex_dehtm

187 Die einzelnen Mindeststandards koumlnnen im jeweiligen Wirtschaftsbereich mit Hinweis auf die entsprechende Konvention oder das entsprechende Uumlbereinkommen angepasst werden

188 Gregor amp Ellis 2008 S 16 23 siehe fuumlr eine genaue Aufzaumlhlung auch Seite 10 Fuszlignote 14

189 Wick 2009

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 39: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 39

Nach den ECCJ-Forderungen muss das Unternehmen aufgeschluumlsselt nach den Produktionsstandorten die Risiken fuumlr moumlgliche Verletzungen von Ar-beits- und Menschenrechten benennen und zugleich die Maszlignahmen zur Risiko minimierung darstellen Aldi muumlsste in der Zukunft also seine Zuliefer-firmen in allen Laumlndern sowie eine Strategie zur sozialen und oumlkologischen Verantwortung offen legen Aldi muumlsste im vorliegenden Fall uumlber den bishe-rigen Beitritt zur BSCI hinaus eigene Pruumlfungsverfahren und eine Risikoana-lyse einfuumlhren Daruumlber hinaus muumlsste der jaumlhrliche Bericht geeignete Maszlig-nahmen darstellen die Risiken fuumlr Arbeitsrechte minimieren und Missstaumlnde beheben Die Pflicht zur Berichterstattung wuumlrde nach den ECCJ-Forderun-gen durch Sanktionen abgesichert die im Fall einer Pflichtverletzung von In-teressengruppen gerichtlich eingefordert werden koumlnnen

Menschenrechtsorganisationen und VerbraucherInnenorganisationen koumlnn-ten sich bei Einfuumlhrung der ECCJ-Vorschlaumlge effizienter fuumlr Arbeitsrechte einsetzen weil die einzelnen Fabriken und Zulieferer dann genau benannt werden muumlssten Sofern einzelne Unternehmen ihre Produktionsstaumltten in andere Laumlnder verlagern koumlnnte auch dort die Einhaltung der arbeitsrecht-lichen Mindeststandards unmittelbar uumlberpruumlft werden Aus Mangel an einer Veroumlffentlichungspflicht konnte die Lieferung von Waren an Aldi aus chinesi-schen Fabriken nur bis 2005 direkt verfolgt werden

Schlieszliglich haumltten alle Unternehmen eine kontinuierliche Einschaumltzung uumlber die Risiken ihrer Geschaumlftstaumltigkeit vorzunehmen Konkurrenten koumlnnten aus schlechteren und kostenguumlnstigeren Arbeitsbedingungen keinen Wettbe-werbsvorteil erlangen und VerbraucherInnen koumlnnten eine informierte Kauf-entscheidung treffen

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 40: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

40 |

V Zugang zu deutschen Gerichten und praktische Probleme

In Faumlllen in denen Geschaumldigte aus dem Ausland gegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland klagen wollen existieren neben den beschriebenen rechtli-chen Schwierigkeiten haumlufig weitere Huumlrden Diese haben mit dem Zugang zu deutschen Gerichten Beweisfragen und dem finanziellen Risiko von Zivil-klagen zu tun

1 Zustaumlndigkeit deutscher Gerichte und Anwendbarkeit deutschen Rechts

Bisher hat sich die Studie vor allem mit dem genauen Inhalt des deutschen Rechts befasst dabei wurde hypothetisch davon ausgegangen dass ein deut-sches Gericht fuumlr entsprechende Klagen zustaumlndig waumlre und nach deutschem Recht uumlber diese Klagen entscheiden wuumlrde Das ist aber keinesfalls selbst-verstaumlndlich Muumlssen diejenigen die durch die Handlungen transnationaler Unternehmen oder ihrer Zulieferer im Ausland geschaumldigt sind nicht versu-chen ihre Rechte in ihrem Heimatland einzuklagen

Die internationale Zustaumlndigkeit deutscher Zivilgerichte dh ihre Zustaumlndig-keit im Verhaumlltnis zu denjenigen anderer Staaten bestimmt sich grundsaumltzlich nach denselben Grundsaumltzen wie fuumlr inlaumlndische Sachverhalte190 Zustaumlndig fuumlr zivilrechtliche Klagen ist grundsaumltzlich das Gericht am Wohnort in Faumlllen von Unternehmen am Sitz des Beklagten191 Fuumlr besondere Fallkonstellatio-nen gibt es dabei spezielle Zustaumlndigkeiten192 Fuumlr das Deliktsrecht gilt dass wahlweise auch das Gericht zustaumlndig ist in dessen Bezirk die Handlung be-gangen wurde die zu einem Schaden gefuumlhrt hat also wo beispielsweise ein Verkehrsunfall stattgefunden hat193 Insgesamt koumlnnen deutsche Gerichte also fuumlr internationale deliktsrechtliche Klagen durchaus zustaumlndig sein

Die zweite wichtige Frage ist ob das zustaumlndige deutsche Gericht deutsches Recht auf Ereignisse anwenden kann die im Ausland stattgefunden haben Es waumlre zu vermuten dass deutsche Gerichte in jedem Fall nur deutsches Recht anwenden ndash das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall Welches Recht in deliktsrechtlichen Faumlllen anwendbar ist regelt europaweit einheit-lich eine EU-Verordnung die sogenannte Rom-II-Verordnung194 In dieser Verordnung ist als Grundsatz festgelegt dass das zustaumlndige Gericht das Recht desjenigen Staates anzuwenden hat in dem der Schaden eingetreten ist195 in den oben beschriebenen Faumlllen also grundsaumltzlich brasilianisches bzw chinesisches Recht Eine Ausnahme ist vorgesehen fuumlr Faumllle von Um-weltschaumlden wer wegen eines Umweltschadens klagt hat die Wahl seine Klage auch auf das Recht desjenigen Staates zu stuumltzen in dem der Schaumldiger

190 ThomasPutzo ZPO-Kommentar Vorbemerkung zu sect 1 ZPO Rn 6

191 Vgl sect 12 sect 17 Abs 1 ZPO

192 Ein Beispiel ist sect 13 Abs UWG fuumlr Klagen wegen irrefuumlhrender Aumluszligerungen

193 Vgl sect 32 ZPO

194 Verordnung (EG) Nr 8642007 vom 11 Juli 2007 uumlber das auf auszligervertragliche Schuldverhaumlltnisse anzuwendende Recht

195 Art 3 Abs 1 Rom-II-Verordnung

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 41: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 41

2 Informationsdefizite und Beweis probleme nach geltendem deutschen Recht

Zu den geschilderten rechtlichen Problemen kommt noch dass nach dem deutschen Recht in einem Zivil-prozess der Klaumlger bestimmte Tatsachen beweisen muss Dazu gehoumlrt dass der Beklagte fuumlr den Schaden den der Klaumlger ersetzt haben moumlchte verantwortlich ist Einerseits geht es dabei um Kausalbeziehungen dh die Fischer muumlssten zum Beispiel nachweisen dass das Absaugen von Schlamm aus der Bucht von Sepe-tiba giftige Schwermetalle aufgewirbelt hat und diese zu einem Fischsterben gefuumlhrt haben Sie muumlssten auch beweisen wie hoch der Schaden ist den sie er-litten haben Das ist nicht einfach insbesondere wenn lokale Behoumlrden und das Unternehmen entsprechende Informationen (wie zB Daten zur Wasserqualitaumlt) nicht freiwillig herausgeben Ein Gericht wuumlrde derar-tige Fragen normalerweise klaumlren in dem es Sachver-staumlndige hinzuzieht ndash insgesamt ein langwieriger und teurer Prozess Andererseits geht es dabei auch um das Verschulden von Angestellten der deutschen Unter-nehmen Die Unternehmen brauchen nach deutschem Recht nur dann Schadensersatz zu leisten wenn ihre Angestellten mindestens fahrlaumlssig gehandelt haben dh uumlbliche Sorgfaltsstandards auszliger Acht gelassen haben Das ist beispielswiese fuumlr die Fischer die die Zustaumlndigkeiten und Ablaumlufe innerhalb des Unterneh-mens nicht kennen nicht einfach nachzuweisen Auch die Lieferketten von Aldi sind nicht transparent was es schwer macht die Verantwortlichen zu benennen Auch Beweisanforderungen wuumlrden es fuumlr die brasilia-nischen Fischer und die chinesischen ArbeiterInnen da-her kompliziert machen vor einem deutschen Gericht Schadensersatz zu erhalten

Da diese Beweisprobleme typischerweise bei Umwelt- und Gesundheitsschaumlden auftreten die durch den Be-trieb von Industrieanlagen und durch fehlerhafte Pro-dukte verursacht werden enthaumllt das deutsche Recht

gehandelt hat196 Wuumlrden die brasilianischen Fischer eine Klage gegen die ThyssenKrupp AG in Deutschland anstrengen waumlre es dabei nicht ganz einfach zu be-stimmen wo der Handlungsort ist Einige Juristen sind der Ansicht dass in solchen Faumlllen der Handlungsort der Ort der Emission ist197 im Fall einer Klage der bra-silianischen Fischer vor einem deutschen Zivilgericht wegen der in Brasilien eingetretenen Umweltschaumlden sind die umweltzerstoumlrenden Handlungen die TKCSA vorgeworfen werden (zB die Absaugarbeiten in der Bucht) in Brasilien vorgenommen worden Danach waumlre brasilianisches Recht anwendbar Die ECCJ198 und andere199 vertreten dagegen die Ansicht dass

ndash gerade in Faumlllen in denen gegen die Muttergesell-schaft geklagt wird ndash der Handlungsort derjenige ist wo das Mutterunternehmen sitzt und entsprechende Entscheidungen trifft200 Ob ein deutsches Gericht im Fall von ThyssenKrupp deutsches oder brasilianisches Recht anwenden wuumlrde ist jedoch unklar Fuumlr eine Klage gegen irrefuumlhrende Aumluszligerungen die wie im Fall von Aldi den Wettbewerb und VerbraucherInnenin-teressen moumlglicherweise beeintraumlchtigen richtet sich die Zustaumlndigkeit nach den Auswirkungen der Aumluszlige-rung201 Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist das Recht des beeintraumlchtigten Marktes anwendbar202 Das Gericht wuumlrde daher deutsches Recht anwenden weil die Selbstdarstellung von Aldi an VerbraucherIn-nen in Deutschland gerichtet ist

Die ECCJ und ihre Mitgliedsorganisationen fordern Haftungsregeln fuumlr Unternehmen so in den europauml-ischen Rechtsordnungen zu verankern dass sie in Faumll-len von Verstoumlszligen gegen Umwelt- oder Menschen-rechtsnormen zwingend anwendbar sind203 dh dass in diesen Faumlllen nach europaumlischem Recht und nicht nach brasilianischem bzw chinesischem Recht ent-schieden werden muumlsste Bei der Umsetzung dieser Forderung koumlnnten die brasilianischen Fischer bzw die chinesischen ArbeiterInnen ihre Klage vor einem deut-schen Gericht auf deutsches Recht stuumltzen

196 Art 7 Rom-II-Verordnung spricht davon dass das Recht des Staates in dem das schadensbegruumlndende Ereignis eingetreten ist angewendet werden kann Damit ist nach der Terminologie des deutschen Zivilrechts der Handlungsort gemeint vgl Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 24 25

197 Junker in MuumlKo Art 7 Rom II-VO Rn 25 mit weiteren Nachweisen

198 Gregor amp Ellis 2008 S 17

199 Bornheim 1995 S 307 wohl auch Caillet oJ S 11

200 Allerdings ist der Begriff bdquoHandlungsortldquo in diesem Zusammen- hang etwas irrefuumlhrend Die Haftung des Mutterunternehmens ist nach Vorstellung der ECCJ naumlmlich nicht an eine bestimmte Handlung dieses Unternehmens gebunden sondern an seine Kontrolle uumlber das Tochterunternehmen

201 Vgl Art 6 Abs 1 Rom II Verordnung

202 Thorn in Palandt Art 6 Rom II Rn 10

203 Gregor amp Ellis 2008 S 18 Caillet oJ S 11

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 42: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

42 |

bereits jetzt in entsprechenden Bereichen Regeln die es Opfern einfacher machen Schadensersatz einzukla-gen Das bereits erwaumlhnte Umwelthaftungsgesetz legt fest dass wenn eine Anlage nach den vorliegenden Gegebenheiten einen bestimmten Schaden verursacht haben koumlnnte vermutet wird dass ein wirklich ent-standener Schaden auch durch diese Anlage verursacht worden ist204 Will der Betreiber der Anlage keinen Schadensersatz leisten muss er beweisen dass der Schaden nicht durch seine Anlage entstanden ist Auch bei Umweltfaumlllen die nach allgemeinem Zivilrecht ent-schieden werden machen es die Zivilgerichte den Ge-schaumldigten haumlufig durch Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr einfacher ihre Anspruumlche durchzu-setzen205 In arbeitsrechtlichen Faumlllen gibt es derartige Beweiserleichterungen allerdings nicht

Die Umsetzung der ECCJ-Forderungen wuumlrde hin-sichtlich der geschilderten Probleme jedoch weitere Verbesserungen bringen Die von der ECCJ vorgeschla-genen verschaumlrften Berichts- und Publizitaumltspflichten wuumlrden den Fischern und chinesischen ArbeiterInnen die Durchsetzung ihrer Anspruumlche erleichtern Wenn der Konzern beispielsweise ndash uumlber die durchgefuumlhrte Umweltvertraumlglichkeitspruumlfung hinaus ndash ausfuumlhrlich und mit Daten untermauert uumlber die tatsaumlchlichen Um-weltauswirkungen seiner Taumltigkeit in Brasilien berich-ten muumlsste koumlnnten die brasilianischen Fischer moumlg-licherweise ihre Beobachtung dass sie nicht mehr ge-nuumlgend Fische fangen durch wissenschaftliche Daten uumlber die Wasserqualitaumlt untermauern Sie waumlren dann in einer staumlrkeren Verhandlungs- und gegebenenfalls Klageposition gegenuumlber dem Unternehmen Waumlre Aldi verpflichtet ausfuumlhrlich uumlber soziale Risiken zu berichten die innerhalb seiner Lieferkette entstehen und seine Handelsbeziehungen offenzulegen koumlnnten die chinesischen ArbeiterInnen leichter identifizieren inwieweit Aldi Mitschuld an den miserablen Arbeitsbe-dingungen in ihren Fabriken traumlgt

Nach den Vorstellungen der ECCJ soll es auch eine Moumlglichkeit fuumlr Individuen oder Organisationen geben die Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten in Europa einzuklagen Gaumlbe es eine solche Klagemoumlg-lichkeit koumlnnten die brasilianischen Fischer oder deut-

sche Unterstuumltzerorganisationen die ThyssenKrupp AG gerichtlich dazu verpflichten lassen einen gehaltvol-len gruumlndlichen Bericht uumlber die Risiken die mit dem Bau des Stahlwerks einhergehen zu erstellen Chine-sische ArbeiterInnen koumlnnten Berichte von Aldi zu den sozialen und oumlkologischen Bedingungen innerhalb sei-ner Zulieferkette gerichtlich einklagen Dies waumlre eine gute Grundlage fuumlr eine eventuell darauf folgende Schadensersatzklage

Zudem beinhalten die ECCJ-Vorschlaumlge auch Reformen hinsichtlich des Verschuldens von Unternehmen und die Beweislast dafuumlr Hinsichtlich von Mutterunter-nehmen schlaumlgt die ECCJ eine Haftung vor die vom Verschulden des Mutterunternehmens dh beispiels-weise von Angestellten der ThyssenKrupp AG unab-haumlngig ist Im Falle der Todesdrohungen wurde gezeigt dass es fuumlr Klaumlger in manchen Faumlllen nicht einfach ist ein Verschulden des Unternehmens nachzuweisen Wenn ein solches Verschulden nicht mehr nachgewie-sen werden kann bzw das Unternehmen seinerseits darlegen muss wieso es alles Noumltige getan hat um die entsprechenden Risiken zu vermeiden macht dies das Klagen erheblich leichter Die ECCJ fordert allerdings innerhalb von Konzernen eine verschuldensunabhaumln-gige Haftung nur hinsichtlich des Mutterunterneh-mens fuumlr das Tochterunternehmen sollen die bereits existierenden gesetzlichen Haftungsbestimmungen gelten Das heiszligt im Normalfall dass eine Haftung nur dann eintritt wenn das Tochterunternehmen fahrlaumls-sig oder vorsaumltzlich gehandelt hat

Bezuumlglich der Haftung innerhalb von Lieferketten for-dert die ECCJ eine Sorgfaltspflicht fuumlr belieferte Unter-nehmen einschlieszliglich einer Beweislastumkehr Dies wuumlrde bedeuten dass das belieferte Unternehmen in einem Gerichtsverfahren darlegen muumlsste welche Maszlignahmen es zur Minimierung von Menschenrechts- und Umweltrisiken innerhalb seiner Lieferkette ergrif-fen hat es waumlren also nicht die Klaumlger die ein entspre-chendes Verschulden des Unternehmens beweisen muumlsste Auch dies wuumlrde Schadensersatzklagen fuumlr die Klaumlger einfacher machen und die Erfolgsaussichten solcher Klagen verbessern

204 sect 6 Abs 1 UmweltHG

205 Vgl die Uumlbersicht bei Sautter 1996 S 85 ff

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 43: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 43

3 Finanzielle Huumlrden beim Zugang zu Gerichten

Neben Beweisproblemen und Informationsdefiziten haumltten die chinesischen und brasilianischen Geschaumldigten jedoch noch weitere praktische Huumlrden zu uumlberwinden um Schadensersatz zu erhalten Groumlszligere Verfahren vor deut-schen Zivilgerichten kosten zumeist viel Geld ndash je houmlher die Summe um die es geht desto houmlher auch die Gerichts- und Anwaltskosten Weil derjenige der den Prozess verliert nicht nur seine eigenen Kosten sondern auch die des Gerichts und des Gegners tragen muss ist das finanzielle Risiko in Zivilverfah-ren sehr hoch ndash in den meisten Faumlllen zu hoch fuumlr brasilianische Fischer oder chinesische ArbeiterInnen Deswegen sollten ndash wie von der ECCJ gefordert ndash juristische Reformen umgesetzt werden die das finanzielle Risiko bei solchen Klagen mindern

Eine Moumlglichkeit waumlre beispielsweise dass der deutsche Staat Klaumlgern in solchen Faumlllen finanzielle Unterstuumltzung gewaumlhrt und damit das finanzielle Risiko mindert Andere ndash auch von der ECCJ diskutierten ndash Moumlglichkeiten wauml-ren die Einfuumlhrung von Sammelklagen in Faumlllen von Umwelt- und Menschen-rechtsverletzungen Ein Geschaumldigter koumlnnte dann stellvertretend auch fuumlr andere Geschaumldigte klagen auf Grundlage einer positiven Gerichtsentschei-dung koumlnnten aber auch andere Geschaumldigte Schadensersatz verlangen Da hier nur eine Person von vielen klagen muumlsste waumlren die Kosten dafuumlr deut-lich niedriger Auch die Einfuumlhrung einer Klagemoumlglichkeit fuumlr europaumlische Nichtregierungsorganisationen die die Interessen von Opfern vertreten waumlre eine Moumlglichkeit den Zugang zu Gerichten in der EU fuumlr Geschaumldigte aus dem EU-Ausland zu verbessern

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 44: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

44 |

VI Schlussfolgerungen amp Empfehlungen

Die beiden hier vorgestellten Beispiele fuumlr die wirtschaftlichen Aktivitaumlten deutscher Unternehmen im Ausland unterscheiden sich in verschiedener Hin-sicht Einmal geht es um die Aktivitaumlten der Tochter eines deutschen Kon-zerns in Brasilien das andere Mal um das Verhalten von Zulieferern eines deutschen Discounters Im ersten Fall geht es hauptsaumlchlich um Umweltver-schmutzung und Schadensersatz fuumlr Verdienstausfall im zweiten Fall um die Durchsetzung von Arbeitsrechten

Beide Faumllle machen jedoch eines deutlich Das deutsche europaumlische und in-ternationale Recht ermoumlglichen es bisher denjenigen die durch Aktivitaumlten der Toumlchter und Lieferanten deutscher Unternehmen geschaumldigt sind kaum ihre Beschwerden vor deutsche Gerichte zu bringen Dies waumlre aber ndash auch das zeigen die beiden Faumllle ndash wichtig In den Heimatlaumlndern der Betroffenen sind Behoumlrden und Gerichte nicht immer willens oder in der Lage zuumlgig Ab-hilfe zu schaffen bzw zu bewirken dass Unternehmen Schadensersatz lei-sten muumlssen ndash trotz teilweise vorhandener entsprechender Gesetze Auch die Mutterunternehmen oder die belieferten Unternehmen selber haben ohne Druck von auszligen wenig Interesse daran Forderungen von ArbeiterIn-nen nachzukommen Transparenz in ihren Geschaumlftsbeziehungen zu schaffen oder Schaumlden zu ersetzen die indirekt durch ihre wirtschaftliche Taumltigkeit im Ausland verursacht werden

Die Faumllle zeigen auch dass Corporate Social Responsibility die Uumlbernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch deutsche Unternehmen auf Grund freiwilliger Regelungen nicht immer effektiv funktioniert Die ThyssenKrupp AG beruft sich in ihren oumlffentlichen Darstellungen immer wieder auf eine an-geblich konzernintern angewandte Politik von Corporate Social Responsibi-lity tatsaumlchlich gibt es jedoch massive Hinweise darauf dass das von einer ThyssenKruppTochter in Rio de Janeiro gebaute Stahlwerk negative Umwelt-auswirkungen hat und ein Teil der lokalen Bevoumllkerung dadurch seine Lebens-grundlage verliert Auch die Informationspolitik des Unternehmens ist kritik-wuumlrdig Aldi hingegen benutzt seine Mitgliedschaft in der BSCI dazu Fragen hinsichtlich der Einhaltung sozialer Standards in seinen Zulieferbetrieben abzublocken Die BSCI-Regeln geben dabei den ArbeiterInnen in den Zulie-ferbetrieben keine Rechte und beinhalten keine Moumlglichkeit zur effektiven Uumlberpruumlfung und Durchsetzung dieser Standards jenseits der freiwilligen Be-muumlhungen der Mitgliedsunternehmen

Wenn deutsche Konzerne in Faumlllen von Verstoumlszligen gegen umwelt- und men-schenrechtliche Standards im Ausland juristisch haftbar gemacht werden koumlnnten waumlre das Risiko Schadensersatz zahlen zu muumlssen ein Anreiz

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 45: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 45

diese Standards einzuhalten Diejenigen die deutsche Gerichte im Hinblick auf die Auslandsaktivitaumlten deutscher Konzerne anrufen wollen sehen sich allerdings bei der geltenden Rechtslage mehreren Hindernissen gegenuumlber Groumlszligere Huumlrden bilden vor allem die fehlende Haftung von Mutterunterneh-men die fehlende Haftung von belieferten Unternehmen innerhalb von Lie-ferketten sowie fehlende Informationen uumlber die sozialen und oumlkologischen Auswirkungen der Taumltigkeit von Unternehmen im Ausland Zudem sehen sich Klaumlger prozessualen Problemen gegenuumlber Die von der ECCJ vorgeschlage-nen Reformen sind daher dringend notwendig

1 Haftungsnormen weiterentwickeln

Wie die beiden Fallstudien zeigen gibt es haumlufig uumlberhaupt keine Rechts-grundlage im deutschen europaumlischen oder internationalen Recht auf das auslaumlndische KlaumlgerInnen ihre Klage gegen das (Mutter-)Unternehmen in Deutschland stuumltzen koumlnnen Das gilt sowohl fuumlr Klagen wegen Menschen-rechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung durch Zulieferer deutscher Unternehmen als auch fuumlr diejenigen wegen eines Missverhaltens von Tochter-unternehmen

Eine Klage gegen das deutsche Mutterunternehmen einer im Ausland taumltigen Tochter oder gegen ein deutsches Unternehmen das die im Ausland produ-zierten Waren abnimmt ist in Deutschland nur dann moumlglich wenn zusaumltz-liche Haftungsnormen geschaffen werden Innerhalb eines Konzerns laumlsst sich eine Haftung des Mutterunternehmens durch die Aufhebung des gesell-schaftsrechtlichen Trennungsprinzips bewerkstelligen eine direkte Haftung des Mutterunternehmens auch fuumlr das Fehlverhalten der rechtlich selbstaumln-digen Tochter im Ausland waumlre dann nicht laumlnger ausgeschlossen Derzeit schuumltzt zudem das deutsche Zivilrecht nur bestimmte Rechtsguumlter wie zB Gesundheit oder Eigentum Die von der ECCJ vorgeschlagene Erweiterung der Haftung auf alle Faumllle in denen Unternehmen gegen internationale an-erkannte Menschenrechtsabkommen IAO-Normen oder internationale Um-weltabkommen verstoszligen wuumlrde die Rechtsposition von Geschaumldigten er-heblich verbessern Wie genau dies im deutschen Recht umgesetzt werden koumlnnte ist dabei noch zu diskutieren

Im Verhaumlltnis zwischen rechtlich selbstaumlndigen Unternehmen im Rahmen ei-ner Lieferkette wie im Falle von Aldi oder eines Joint Ventures waumlre die Ein-fuumlhrung einer Sorgfaltspflicht fuumlr das in Deutschland ansaumlssige Unternehmen als Grundlage fuumlr Klagen hilfreich Die Sorgfaltspflicht muumlsste dahingehend ausformuliert werden dass in Europa ansaumlssige Unternehmen innerhalb ihrer

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 46: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

46 |

Einflusssphaumlre das Risiko eines Verstoszliges gegen bestimmte Menschenrechts-normen oder der Verursachung gravierender Umweltschaumlden beurteilen muumls-sen Fuumlr den Fall dass dabei Risiken erkennbar sind muumlssten sie gesetzlich verpflichtet werden geeignete Gegenmaszlignahmen zu ergreifen Die Beweis-last fuumlr gerichtliche Verfahren sollte ndash wie von der ECCJ vorgeschlagen ndash da-bei so ausgestaltet werden dass das Unternehmen erklaumlren muss welche Maszlignahmen es ergriffen hat Wenn diese nicht ausreichend sind wuumlrde es fuumlr die angerichteten Schaumlden wegen der Verletzung seiner Sorgfaltspflicht den Geschaumldigten gegenuumlber haften

Dabei sind noch viele Detailfragen hinsichtlich der Umsetzung dieser Emp-fehlungen ins deutsche Recht zu klaumlren ndash das spricht aber nicht gegen die Um-setzung Auch viele bestehende Rechtsnormen sind sehr vage formuliert es ist dann Aufgabe der Gerichte sie durch Entscheidungen in einzelnen Faumlllen zu konkretisieren

2 Berichts- und Publizitaumltspflichten einfuumlhren

Geschaumldigte haben regelmaumlszligig im Vergleich zu den Unternehmen ein Infor-mationsdefizit Bei Lieferketten ist haumlufig nicht klar wer mit wem in welcher Geschaumlftsbeziehung steht auch in Konzernen mit Mutter- und Tochterunter-nehmen ist von auszligen in der Regel nicht zu verstehen wer im Konzern be-stimmte Entscheidungen getroffen hat Zudem ist es fuumlr Auszligenstehende oft schwierig hinreichend genaue Informationen uumlber die Auswirkungen unter-nehmerischer Taumltigkeiten im Ausland zu erhalten dies ist besonders in Faumll-len von Umweltschaumlden sehr problematisch wo genaue Daten uumlber die Ver-schmutzung von Luft Wasser oder Boden Voraussetzung fuumlr eine erfolgreiche Klage sind Im Fall von ThyssenKrupp halten beispielsweise unabhaumlngige Wis-senschaftler die im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durchgefuumlhrte Um-weltvertraumlglichkeitspruumlfung fuumlr unzureichend In einem solchen Fall waumlre es hilfreich wenn die ThyssenKrupp AG in Deutschland eine Verpflichtung haumltte die mit dem Bau eines Stahlwerks durch ihre Tochter in Brasilien verbundenen Risiken umfassend zu bewerten Wichtig ist auch dass die Einhaltung dieser Berichts- und Publizitaumltspflichten durchsetzbar ist chinesische ArbeiterIn-nen oder brasilianische Fischer koumlnnten dann beispielsweise an europaumlische Gewerkschaften oder Umweltorganisationen mit der Bitte herantreten die

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 47: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 47

Unternehmen auf Einhaltung der Berichts- und Publizitaumltspflichten zu ver-klagen Die entsprechenden Informationen koumlnnten nicht nur Grundlage fuumlr Klagen sein sondern es auch ermoumlglichen dass sich beispielsweise Arbeite-rInnen in verschiedenen Lieferbetrieben zusammenschlieszligen und gemeinsam kaumlmpfen ndash der Fall den ArbeiterInnen von Aldi-Zuliefern in China zeigt wie wichtig das ist

3 Zugang zu deutschen Gerichten verbessern und Prozesse vereinfachen

Schadensersatzklagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen oder Um-weltzerstoumlrungen durch auslaumlndische Toumlchter oder Zulieferer von in Europa an-saumlssigen Unternehmen sollten daruumlber hinaus auch in prozessualer Hinsicht erleichtert werden

Die Zustaumlndigkeit europaumlischer Gerichte fuumlr entsprechende Klagen sowie die Anwendbarkeit des Rechts der Mitgliedstaaten in diesen Faumlllen sollte europa-rechtlich festgeschrieben werden

Wichtig ist weiterhin die Ausgestaltung der Beweislast zu Gunsten der Klaumlger- Innen Fuumlr Tatsachen die im Bereich des eigenen Unternehmens von Toch-terunternehmen und Zulieferern liegen sollte das beklagte Unternehmen die Beweislast tragen Zudem sollte das Unternehmen ndash soweit es nur bei eige-nem vorsaumltzlichen oder fahrlaumlssigen Verhalten haftet ndash die Beweislast da-fuumlr tragen dass es kein Verschulden trifft KlaumlgerInnen welche die Ablaumlufe und Zustaumlndigkeiten innerhalb der Unternehmen in der Regel nicht kennen sollten nicht beweisen muumlssen wer im Unternehmen fuumlr einen Schaden ver-antwortlich zu machen ist

Zudem sollten die haumlufig schwache finanzielle Situation von Geschaumldigten und das hohe Prozessrisiko in Zivilprozessen durch geeignete Regelungen etwa uumlber die Gewaumlhrung von Prozesskostenhilfe in bestimmten Faumlllen oder einer neutralen Kostenentscheidung zu Beginn des Verfahrens die Einfuumlh-rung einer Sammelklage oder von Klagemoumlglichkeiten fuumlr Nichtregierungs-organsiationen abgemildert werden Nur so koumlnnen Geschaumldigte ihre rechtli-chen Moumlglichkeiten auch tatsaumlchlich durchsetzen

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 48: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

48 |

Literaturverzeichnisalajaumlaumlskouml p | 2009

Features of International Sourcing in Europe 2001ndash2006 Eurostat ndash Statistics in Focus

httpeppeurostateceuropaeuportalpageportalproduct_details

publicationp_product_code=KS-SF-09-073 [aufgerufen 1142010]

ascoly n | 2008

With Power Comes Responsibility ndash Legislative opportunities to improve

corporate accountability at EU level European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

assembleacuteia legislativa do estado do rio de janeiro ndash

comissatildeo de defesa dos direitos humanos e cidadania | 2009

Protokoll der 2 oumlffentlichen Anhoumlrung vom 1932009

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

baierlipp m | 2002

Die Haftung der Muttergesellschaft eines multinationalen Konzerns fuumlr die

Verbindlichkeiten ihrer auslaumlndischen Tochtergesellschaft ndash eine vergleichende

Untersuchung nach deutschem und franzoumlsischem Recht Hamburg Kovac

barbosa zboroswki m | 2008

Conflicto Ambientais na Baiacutea de Sepetiba o caso dos pescadores atingidos pelo

processo de implantaccedilatildeo do complex industrial da Companhia Sideruacutergica do

Atlacircntico (ThyssenKrupp CSA) Rio de Janeiro

httpwwwpsicologiaufrjbrpos_eicospos_eicosarq_anexos

arqtesesmarinazborowskipdf [aufgerufen 942010]

baumbach a hopt k | 2010

Kommentar zum Handelsgesetzbuch 34 Aufl Muumlnchen Beck Verlag

bornheim g | 1995

Haftung fuumlr grenzuumlberschreitende Umweltbeeintraumlchtigungen im Voumllkerrecht und

im internationalen Privatrecht Frankfurt am Main Berlin [ua] Lang

caillet m-c | 2009

Proposals for European Regulation on Multinational Corporation Activities SHERPA

httpasso-sherpaorgdocsPUBLICATIONSPOLE_RDECCJSherpa_CCFD_ENpdf

[aufgerufen 1142010]

cheng y darimont b | 2006

Reform und Gesetzgebung der chinesischen Arbeitsunfallversicherung

In Gesellschaft fuumlr Versicherungswissenschaft undndash gestaltung eV (Hrsg)

Soziale Sicherung in China Schriftenreihe der GVG Bd 54 Koumlln

drzewicki k | 1995

The right to work and rights in work In A Eide (Hrsg) Economic social and

cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff S 169ndash188

eide a | 1995

Economic social and cultural rights ndash a textbook Dordrecht [ua] Nijhoff

federaccedilatildeo das associaccedilotildees de pescadores e aquumlicultores

artesanais do rio de janeiro | oj

Dados de Pesquisa da pesca na regiatildeo da Baia de Sepetiba Rio de Janeiro

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

firpo porto m milanez b | 2009

Parecer Teacutecnico sobre o Relatoacuterio de Impacto Ambiental da Usina da

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (CSA) FIOCRUZMinisteacuterio da Sauacutede

[unveroumlffentlichtes Dokument im Besitz der Verf]

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 49: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 49

frey b a | 1997

The Legal and Ethical Responsibilities of Transnational Corporations in the Protection of

International Human Rights Minnesota Journal of Global Trade Jg 6 S 153ndash188

gregor f ellis h | 2008

Fair Law Legal Proposals to Improve Corporate Accountability for Environmental

and Human Rights Abuses European Coalition for Corporate Justice

httpwwwcorporatejusticeorgtwo-new-eccj-publications240htmllang=en

[aufgerufen 1142010]

habersack m saumlcker fj rixecker r (hrsg) | 2009

Muumlnchener Kommentar zum BGB 5 Aufl Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo]

heilmann s | 2004

Das politische System der Volksrepublik China

Wiesbaden VS Verlag fuumlr Sozialwissenschaften

hennings a | 2009

Uumlber das Verhaumlltnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten

Goumlttingen Universitaumltsverlag Goumlttingen

heydenreich c | 2010

Zivilgesellschaftliche Anmerkungen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

Nachhaltigkeit und Wirtschaft In VENRO (Hrsg) Entwicklungszusammenarbeit

und Wirtschaft ndash Zwischen Konfrontation und Kooperation

human rights watch (hrsg) | 2008

World Report 2008 httpwwwhrworglegacywr2k8 [aufgerufen 2642010]

joecks w | 2006

Muumlnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4 Band sectsect 263 ndash 358 StGB

1 ndash 8 105 106 JGG Muumlnchen Beck [zitiert als MuumlKo-Strafrecht]

kaleck w saage-maaszlig m | 2008

Transnationale Unternehmen vor Gericht ndash Uumlber die Gefaumlhrdung der Menschenrechte

durch europaumlische Firmen in Lateinamerika Berlin Heinrich-Boumlll-Stiftung

kinley d tadaki j | 2003

From Talk to Walk The Emergence of Human Rights Responsibilities for Corporations at

International Law Virginia Journal of International Law Jg 44 Nr4 S 932 ndash1023

kloepfer m vierhaus h | 2002

Umweltstrafrecht 2 Aufl Muumlnchen Beck

kocher e | 2010

Corporate Social Responsibility Eine gelungene Inszenierung

Kritische Justiz Jg 2010 Nr 1 S 29ndash37

molisani m m (u a) | 2004

Environmental changes in Sepetiba Bay SE Brazil

Regional Environmental Change Jg 4 Nr 1 S 17ndash27

neureiter m nunnenkamp p | 2009

Outsourcing Motives and Labour Market Implications An Empirical Analysis for European

Countries Working Paper 1541 httpwwwifw-membersifw-kieldepublications

outsourcing-motives-location-choice-and-labour-market-implications-an-empirical-

analysis-for-european-countries [aufgerufen 1142010]

nuntildeez vieacutegas r | 2007

Conflitos ambientais no Rio de Janeiro um estudo dos casos do projeto da

usina termeleacutetrica (UTE) de Sepetiba e do projeto da Companhia Sideruacutergica

do Atlacircntico (CSA) Rio de Janeiro UFRJ

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 50: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

50 |

pacs | 2009

Companhia Sideruacutergica do Atlacircntico (TKCSA) ndash Impactos e Irregularidades

na Zona Oeste do Rio de Janeiro 2 Aufl Rio de Janeiro

palandt o bassenge p (hrsg) | 2009

Buumlrgerliches Gesetzbuch ndash Kommentar 68 Aufl Muumlnchen Beck

piper h (begr) ohly a sosnitza o | 2010

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ndash Kommentar 5 Aufl Muumlnchen Beck

rio de janeiro state assembly parliamentary committee of investigation | 2008

Final Report to Investigate Militias Activity in the State of Rio de Janeiro Rio de Janeiro

sautter a k | 1996

Beweiserleichterungen und Auskunftsanspruumlche im Umwelthaftungsrecht

Berlin Duncker und Humblot

schmidt k | 2000

Gesellschaftsrecht 3 Aufl Koumlln Heymanns Verlag

seibert-fohr a | 2003

Die Deliktshaftung von Unternehmen fuumlr die Beteiligung an im Ausland begangenen Voumll-

kerrechtsverletzungen ndash Anmerkungen zum Urteil Doe I v Unocal Corp des US Court of

Appeal (9th Circuit) ZaoumlRV Jg 63 S 195ndash204

staudinger j v (begr) beitzke g (hrsg) | 1999

Staudingers Kommentar zum Buumlrgerlichen Gesetzbuch sectsect 823ndash825 13 Bearb

Berlin Sellierde Gruyter

thomas h putzo h (hrsg) | 2009

Zivilprozessordnung ndash Kommentar 30 Aufl Muumlnchen Beck

thyssenkrupp ag | 2009

Geschaumlftsbericht 20082009

httpwwwthyssenkruppcomdepublikationengeschaeftsberichtehtml

[aufgerufen 742010]

thyssenkrupp ag | 2010

Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenantraumlgen zur Tagesordnung der

Haupt versammlung der ThyssenKrupp AG am 21 Januar 2010 ndash Gegenantraumlge des

Dach verbandes der Kritischen Aktionaumlrinnen und Aktionaumlre zu TOP 3 und 4

httpwwwthyssenkruppcomindependenthauptversammlung_2010gegen

antraegeGegenantraege_2010-01-11_132900_depdf [aufgerufen 1042010]

troumlndle h fischer t (hrsg) | 2009

Strafgesetzbuch und Nebengesetze ndash Kommentar 56 Aufl Muumlnchen Beck

weilert k | 2009

Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum Geltung und Reichweite

voumllkerrechtlicher Standards ZaoumlRV Jg 69 S 883ndash917

wick i woumltzel u | 2008

Unrechtssystem Sweatshop Kritische Justiz Jg 2008 Nr 3 S 340ndash346

wick i | 2007

All die Textilschnaumlppchen ndash nur recht und billig SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie

und Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloadsALDI-

Broschuere_dlpdf [aufgerufen 1142010]

wick i | 2009

Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschaumlft SUumlDWIND Institut fuumlr Oumlkonomie und

Oumlkumene Siegburg httpwwwsuedwind-institutdedownloads2009-02_SW_

ALDI-Studie-2pdf [aufgerufen 1142010]

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 51: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

| 51

Weitere Informationen

hellip zu den zwei Fallbeispielen

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika wwwfdcl-berlinde

Kampagne fuumlr Saubere Kleidung wwwsaubere-kleidungde

SUumlDWIND-Institut fuumlr Oumlkonomie und Oumlkumene wwwsuedwind-institutde

hellip zu juristischen Ansaumltzen

Business amp Human Rights Resource Centre (Legal Portal) wwwbusiness-humanrightsorgLegalPortal

European Center for Constitutional and Human Rights wwwecchreu

hellip zu Unternehmensverantwortung sowie Kampagnen und Netzwerken

CorA-Netzwerk wwwcora-netzde

European Coalition for Corporate Justice wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch wwwgermanwatchorgcorp

Kampagnenwebsite bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo wwwrechtefuermenschende

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde

Page 52: christiane gerstetter und alexander kamiethgermanwatch.org/corp/euref.pdf · Impressum AutorInnen Christiane Gerstetter (ecchr) – Teile III, V, VI Alexander Kamieth – Teile I,

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist ein zivilgesellschaft-liches Netzwerk das sich innerhalb der Europaumlischen Union dem Thema Un-ternehmensverantwortung widmet Die Koalition besteht aus uumlber 250 zivil-gesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in 15 europaumlischen Laumlndern Die ECCJ setzt sich fuumlr eine bessere Regulierung der in der EU ansaumls-sigen Unternehmen ein um Menschen und Umwelt zu schuumltzen Deutsches Mitglied der ECCJ ist das CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung

wwwcorporatejusticeorg

Germanwatch ist eine gemeinnuumltzige und unabhaumlngige Umwelt- und Ent-wicklungsorganisation Germanwatch engagiert sich fuumlr globale Gerechtig-keit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen Germanwatch will erreichen dass Unternehmen weltweit menschenrechtli-che soziale und oumlkologische Standards einhalten und dass sich Betroffene bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen erfolgreich dagegen zur Wehr setzen koumlnnen Um diese politischen Ziele zu erreichen kooperiert Germanwatch mit vielen Nichtregierungsorganisationen und un-terstuumltzt zahlreiche Netzwerke Germanwatch ist Gruumlndungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitaumlten zur ECCJ-Kampagne

bdquoRechte fuumlr Menschen ndash Regeln fuumlr Unternehmenldquo

wwwgermanwatchorg

Im CorA-Netzwerk fuumlr Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Men-schenrechtsorganisationen Gewerkschaften kirchliche und entwicklungs-politische Organisationen Verbraucher- und Umweltverbaumlnde zusammen-geschlossen Das CorA-Netzwerk setzt sich fuumlr verbindliche Instrumente ein mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden die Menschen-rechte sowie international anerkannte soziale und oumlkologische Normen und Standards zu respektieren CorA ist Mitglied im europaumlischen Netzwerk ECCJ

wwwcora-netzde