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Fragebeantwortung unter www.falkfoundation.de Falk Gastro-Kolleg 1 Titelbild: Magenausgangsstenose bei Neudiagnose eines Morbus Crohn bei einem 15-jährigen Mädchen, das seit 3 Jahren Bauchschmerzen angab und eine verzögerte Gewichts- und Längenzunahme aufwies. Chronisch entzündliche Darm- erkrankungen in der Pädiatrie Zusammenfassung Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) gewinnen in der Kinder- und Jugend- medizin zunehmend an Bedeutung. Ihre Diagnose hat für Kinder und Jugendliche eine lebenslange Konsequenz, bedarf in der Regel einer langjährigen medikamentösen Therapie und gefährdet die körperliche und psychosoziale Entwicklung. Dabei unter- scheidet sich eine in jungen Jahren diagnostizierte CED in wesentlichen Punkten von einer Neuerkrankung eines Erwachsenen und ist besonders durch einen aktiveren Verlauf und langstreckigen Befall charakterisiert. Eine sorgsame Diagnostik, bestehend aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, Labor, oberer und unterer Endoskopie und Darstellung des Dünndarms, entscheidet über die differenzierte und individualisierte Therapie. Atypische Verläufe im Kindesalter und die körperlichen und psychosozialen Besonderheiten von Heranwachsenden erfordern Spezialisten für pädiatrische CED. Schlüsselwörter Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) | Morbus Crohn | Colitis ulcerosa | IBD Unclassified | Kindes- und Jugendalter | Diagnostik | atypische Befunde | Therapie Dr. Tobias Schwerd Prof. Dr. Sibylle Koletzko Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie Dr. von Haunersches Kinderspital Lindwurmstr. München Falk Gastro-Kolleg Pädiatrische Gastro- enterologie

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Fragebeantwortung unter

www.falkfoundation.de

Falk Gastro-Kolleg

1

Titelbild: Magenausgangsstenose bei Neudiagnose eines Morbus Crohn bei einem 15-jährigen Mädchen, das seit 3 Jahren Bauchschmerzen angab und eine verzögerte Gewichts- und Längenzunahme aufwies.

Chronisch entzündliche Darm-erkrankungen in der PädiatrieZusammenfassung

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) gewinnen in der Kinder- und Jugend-medizin zunehmend an Bedeutung. Ihre Diagnose hat für Kinder und Jugendliche eine lebenslange Konsequenz, bedarf in der Regel einer langjährigen medikamentösen Therapie und gefährdet die körperliche und psychosoziale Entwicklung. Dabei unter-scheidet sich eine in jungen Jahren diagnostizierte CED in wesentlichen Punkten von einer Neuerkrankung eines Erwachsenen und ist besonders durch einen aktiveren Verlauf und langstreckigen Befall charakterisiert. Eine sorgsame Diagnostik, bestehend aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, Labor, oberer und unterer Endoskopie und Darstellung des Dünndarms, entscheidet über die differenzierte und individualisierte Therapie. Atypische Verläufe im Kindesalter und die körperlichen und psychosozialen Besonderheiten von Heranwachsenden erfordern Spezialisten für pädiatrische CED.

Schlüsselwörter

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) | Morbus Crohn | Colitis ulcerosa | IBD Unclassified | Kindes- und Jugendalter | Diagnostik | atypische Befunde | Therapie

Dr. Tobias SchwerdProf. Dr. Sibylle KoletzkoAbteilung für Gastroenterologie und HepatologieDr. von Haunersches KinderspitalLindwurmstr. München

Falk Gastro-Kolleg

Pädiatrische Gastro- enterologie

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Chronisch entzündliche Darmerkrankungen in der Pädiatrie

Einleitung

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) mit ihren 2 Hauptformen Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU) werden am häufigsten im jungen Erwachsenen-alter diagnostiziert. Bis zu einem Drittel aller CED-Patienten erhält die Diagnose jedoch vor dem 20. Lebensjahr und 10–20% aller CED-Patienten sind Kinder oder Jugendliche. Während in den vergangenen 50 Jahren eine allgemeine Zunahme der Inzidenz und Prävalenz für CED in den Industrienationen und in allen Altersgruppen zu verzeichnen war, kommt es aktuell eher zu einer Verschiebung hin zu einem Beginn der CED in jüngeren Jahren. In Deutschland werden beispielsweise jedes Jahr ca. 800–1500 Kinder und Jugendliche neu mit einer CED diagnostiziert.

Die Diagnose einer CED hat für die Patienten lebenslange Konsequenzen und gefähr-det durch ihren chronisch rezidivierenden Verlauf die körperliche, psychosoziale und berufliche Entwicklung der Heranwachsenden. Eine in jungen Jahren diagnostizierte CED ist im Vergleich zum Erwachsenenalter häufig durch einen aktiveren Verlauf oder einen langstreckigen Befall charakterisiert. Zusätzlich betreffen einige Komplikationen einer CED, wie z. B. Kleinwuchs oder ein verzögertes Einsetzen der Pubertät, nur pä-diatrische Patienten. Einige Zahlen und Fakten zu Besonderheiten einer CED in der Pädiatrie sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Besonderheiten einer CED in der Pädiatrie

Morbus Crohn – Fast ein Fünftel der MC-Patienten unterschreitet die errechnete Körpergröße um mehr als 8 cm [1].

– Zum Zeitpunkt der Diagnose und im Verlauf findet sich eine erhöhte Prävalenz von Wachstumsstörungen (Körpergröße geringer als -2 Standardabweichungen) und schwerer Mangel-ernährung (BMI geringer als -2 Standardabweichungen) [2].

– 10–40% der pädiatrischen MC-Patienten leiden bereits bei Diagnose an einer verringerten Knochenmineralisation [3].

– Nach 20 Krankheitsjahren wurden 70–80% der Patienten mindestens einmal operiert [4].

Colitis ulcerosa – 60–80% der pädiatrischen CU-Patienten leiden bei Diagnose an einer Pancolitis (im Erwachsenenalter 20–30%) [5].

– Mehr Kinder als Erwachsene müssen mit einer akuten schweren Kolitis stationär behandelt werden [6, 7].

– Nach 10 Jahren Krankheitsdauer ist die Zahl der Kolektomien höher bei Patienten mit Krankheitsbeginn im Kindesalter als im Erwachsenenalter [5, 8].

IBD Unclassified – Kinder unter 7 Jahren werden häufiger mit IBD Unclassified diagnostiziert [9].

Ätiologie

Intensive Forschung in den vergangenen 20 Jahren hat wesentlich zu unserem Ver-ständnis von CED beigetragen. Das intestinale Immunsystem steht vor der Herausfor-derung intestinale Pathogene zu erkennen und gleichzeitig die eigene Darmflora oder Antigene aus der Nahrung zu tolerieren. Dabei trennt eine einzelne Reihe intes-tinaler Epithelzellen das komplexe Mikrobiom des Darms von der sterilen Darmwand. Kommt es zu einer Störung an dieser Grenzfläche kann sich eine Immunantwort ent-wickeln, die gegen die wirtseigene Flora im Darm gerichtet ist und sich als chronische Entzündung des Darms (CED) manifestiert. Faktoren, die an dieser gestörten intes-

P Jedes Jahr 800–1500 CED- Neu diagnosen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland

Tab. 1

P Verlust von immunologischer Toleranz führt zur Entzündung im Darm.

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tinalen Homöostase beteiligt sind, können 3 großen Gruppen zugeordnet werden: genetische Prädisposition, Immunsystem oder Umweltfaktoren, wie z. B. das intesti-nale Mikrobiom, Rauchen, Stillen oder Antibiotikaexposition. In der wachsenden Liste möglicher Umweltfaktoren finden sich auch jene, die direkt durch gesundheitliche Aufklärung (Rauchen, Stillen) oder ärztliche Intervention (Antibiotikatherapie) beein-flusst werden können. So kommt beispielsweise dem Stillen in Bezug auf die Entwick-lung einer CED im Kindes- und Jugendalter eine protektive Rolle zu [10]. Die Gabe von Antibiotika hingegen stellt einen Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer CED dar. Eine Antibiotikatherapie in jüngerem Alter oder die wiederholte Gabe von Anti-biotika sind dabei mit einem steigenden Risiko assoziiert [11, 12].

Diagnosekriterien

Die Diagnose einer CED kann für Kinder und Jugendliche die Notwendigkeit einer jahrelangen Medikation bedeuten. Eine differenzierte medikamentöse Therapie ba-siert auf einer umfassenden Diagnostik, die eine Klassifikation der CED in die 3 Subty-pen (MC, CU oder IBD Unclassified [IBDU] = Kolitis, die keine weitere Einteilung in Crohn-Kolitis oder CU zulässt) ermöglicht und die Ausdehnung und Schwere der Entzündung erfasst. Im Jahr 2005 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe (IBD Working Group) der European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutri-tion (ESPGHAN) die sogenannten Porto-Kriterien, eine Empfehlung zur Diagnostik von CED im Kindes- und Jugendalter. In den letzten Jahren führten jedoch detaillierte Untersuchungen von pädiatrischen CED-Kohorten und der Einzug sensitiverer Dia-gnostikverfahren in die pädiatrische Gastroenterologie (z. B. fäkale Inflammationsmar-ker, Videokapselendoskopie u. v. m.) dazu, dass innerhalb der 3 großen CED-Entitäten atypische Phänotypen bzw. Verläufe erkannt wurden. Die überarbeiteten Empfehlun-gen der Porto-Kriterien gehen insbesondere auf atypische Befunde im Rahmen der diagnostischen Aufarbeitung ein, um dem behandelnden Arzt mehr Sicherheit in der Diagnose und Klassifikation der CED zu geben [13].

Die Diagnose einer CED sollte im Kindes- und Jugendalter auf folgenden Bausteinen basieren:

• Anamnese und körperliche Untersuchung,• Labor, einschließlich fäkaler Entzündungsmarker,• obere und untere Endoskopie mit Stufenbiopsien für die Histologie,• Bildgebung des Dünndarms mittels MRT-Sellink und/oder Kapselendoskopie.

Andere Ursachen für eine Entzündung des Darms sollten ausgeschlossen sein. Dabei gilt es insbesondere gastrointestinale Infektionen, eine Nahrungsmittelallergie oder einen primären Immundefekt von einer CED abzugrenzen.

Anamnese und Untersuchung

Kinder und Jugendliche mit anhaltenden (≥ 4 Wochen) oder wiederkehrenden Symp-tomen (≥ 2 Episoden in 6 Monaten) wie Bauchschmerzen, Durchfall, rektalem Blut-abgang oder Gewichtsverlust sollten auf eine CED hin untersucht werden.

Da sich lediglich ein Viertel der pädiatrischen Patienten mit der klassischen Symptomtrias aus Bauchschmerzen, Durchfall und Gewichtsverlust präsentiert, muss auf unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit oder Leistungsknick geachtet werden. Extra intestinale Manifestationen (EIM) werden in 6–23% der Kinder bei Diagnose beo bach tet, häufiger bei Kindern über 6 Jahren.

Die Familienanamnese für CED sollte bei jedem Verdacht auf eine CED erfasst werden, da Verwandte ersten Grades eines CED-Patienten ein erhöhtes Risiko haben an MC oder CU zu erkranken. Gleichzeitig findet sich bei ca. 10–30% der Kinder und Jugend-lichen mit einer CED eine positive Familienanamnese. Bei Patienten mit einem frühen Beginn der Erkrankung (z. B. in den ersten 6 Lebensjahren) liegt die Rate sogar noch höher [14].

P Atypische Befunde sind im Kindesalter häufig.

P Infektionen und Allergien ausschließen

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Symptome einer CED

Morbus Crohn Colitis ulcerosa

Bauchschmerzen Häufig Selten

Diarrhö Häufig, nicht-blutig

Häufig, blutig

Fieber Häufig Selten

Gewichtsverlust/-stillstand Häufig Selten

Müdigkeit, Leistungsknick Häufig Selten

Appetitmangel Häufig Selten

Malnutrition Häufig Selten

Wachstumsverzögerung, Gedeihstörung Häufig Selten

Verzögertes Einsetzen der Pubertät Häufig Selten

Perianale Veränderungen wie Fissur, Mariske Häufig Selten

Eisenmangelanämie Häufig Häufig

Extraintestinale Symptome (z. B. Uveitis, Arthritis, Erythema nodosum)

Möglich Möglich

Bei der klinischen Untersuchung sollten anthropometrische Daten (Körperlänge, Körpergewicht) in Perzentilen dokumentiert und Wachstumsverlauf und Gewichts-entwicklung durch retrospektive Daten (z. B. aus dem Kinder-Untersuchungsheft) er-hoben werden. Aus der Körperlänge der Eltern können die Zielgröße errechnet und Abweichungen erkannt werden. Zusätzlich sollte die Pubertätsentwicklung nach den Kriterien von Tanner dokumentiert werden. Neben einer vollständigen klinischen Un-tersuchung ist auf folgende Befunde zu achten:

• Inspektion von Haut (Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, Blässe), Mund-höhle (Cheilitis, Aphthen) und der Analregion (Fisteln, Marisken, Fissuren, Abszesse),

• Palpation des Abdomens auf Resistenzen (z. B. Konglomerat im rechten oder linken Unterbauch) oder Abwehrspannung,

• Untersuchung auf EIM (Haut, Gelenke, Augen).

Labor

Folgende Laborwerte gehören zur Basisdiagnostik einer CED:• großes Blutbild,• mindestens 2 Entzündungsparameter: BSG und CRP, ggf. fäkale Entzündungspara-

meter (z. B. Calprotectin),• Albumin,• GPT und γGT,• ggf. Antikörper ASCA, pANCA.

Keine der genannten Untersuchungen ist spezifisch für die Diagnose einer CED und selbst unauffällige Laborwerte schließen eine CED nicht aus. Die Auswertung eines großen Registers aus Nordamerika ergab, dass 21% der pädiatrischen Patienten mit mildem MC und 54% der Patienten mit milder CU bei Diagnose Normalwerte für fol-gende 4 Parameter hatte: BSG, Albumin, Hämoglobin und Thrombozyten [15].

Äußerst sensitive Marker für einen Entzündungsprozess im Gastrointestinaltrakt (GIT) sind fäkale Inflammationsmarker. Sie sind in ihrer Sensitivität dem CRP oder der BSG überlegen. Fäkale Marker können jedoch nicht zwischen einer CED und einem anderen entzündlichen Prozess (z. B. Infektion) im GIT unterscheiden oder auf die Lokalisation der Entzündung hinweisen. Normale fäkale Inflammationsmarker machen eine Ent-

Tab. 2

P Wachstumsverlauf kann ein wichtiger Hinweis auf eine CED (v. a. MC) sein.

P Unauffällige Laborwerte schließen eine CED nicht aus.

P Calprotectin im Stuhl ist ein sensitiver Marker für Darmentzündung.

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zündung im Dick- oder Dünndarm unwahrscheinlich und dienen somit zur Abgren-zung von extraintestinalen Entzündungen oder von nicht-entzündlichen abdominalen Erkrankungen (z. B. Bauchschmerzen und Durchfällen bei Kohlenhydratmalabsorp tion) und funktionellen Beschwerden. Somit können fäkale Inflammationsmarker bei Kin-dern als Entscheidungshilfe für eine Endoskopie herangezogen werden, vor allem dann, wenn unspezifische Symptome vorherrschen.

Albumin ist ein guter Marker für den Proteinverlust über den Darm und korreliert mit der Krankheitsschwere und -aktivität. Erhöhte Leber- bzw. Cholestasewerte weisen auf eine Beteiligung der Leber hin (z. B. primär sklerosierende Cholangitis, Overlap-Syndrom) und sollten eine erweiterte Diagnostik nach sich ziehen.

Eine generelle Empfehlung für die Bestimmung serologischer Marker, ASCA (Anti-Saccharomyces-cerevisiae-Antikörper) und pANCA (perinukleäre antineutrophile zyto-plasmatische Antikörper) kann nicht ausgesprochen werden, da die Sensitivität nur bei ca. 60% liegt. Positive Befunde unterstützen jedoch die Diagnose und können bei der Einordnung in MC oder CU hilfreich sein.

Vor der Endoskopie sollten Infektionen durch Stuhluntersuchung auf pathogene Bak-terien (Salmonellen, Shigellen, Yersinien und Campylobacter), inklusive Clostridium difficile (Toxin A und B) möglichst ausgeschlossen werden. Eine erweiterte mikro bielle Diagnostik sollte bei einer positiven Reiseanamnese oder Patienten aus Endemie-gebieten (z. B. Migrationshintergrund) durchgeführt werden. Bei einer Anamnese über Wochen oder gar Monate ist zu bedenken, dass der positive Nachweis einer akuten Infektion das gleichzeitige Vorliegen einer CED nicht ausschließt.

Endoskopie und Histologie

Jeder Patient mit der Verdachtsdiagnose CED benötigt eine Ösophagogastroduo-denoskopie (ÖGD) und eine Ileokolonoskopie. Dabei sollten mehrere Biopsien von verschiedenen Lokalisationen entnommen werden, auch dann, wenn die Schleim-haut makroskopisch nicht entzündet erscheint. Eine obere Endoskopie sollte bei jeder Form der Kolitis, aber auch bei unauffälliger Koloskopie und Dünndarmdiagnostik durchgeführt werden. Die Ergebnisse der EuroKids-Studie zeigten, dass die ÖGD bei Kindern mit Kolitis in 1 von 13 Fällen für die Diagnose MC entscheidend war [16].

Typische Befunde einer CED im Kindesalter

Morbus Crohn Colitis ulcerosa „klassisch“Atypische CU (s. Tab. 5)

GIT – Von oral bis anal– Isolierter oraler oder analer Befall möglich

– Rektum und Kolon– Keine Dünndarmbeteiligung mit Ausnahme

einer Backwash-Ileitis: nur bei entzündetem Caecum möglich

Verteilungsmuster – Segmentale Verteilung mit makro- und mikro-skopisch entzündungsfreier Schleimhaut

– Kontinuierliche Entzündung der Schleimhaut, die im Rektum ihren Ausgang nimmt

Makroskopische Schleimhaut-veränderungen

– Tiefe Ulzerationen– Pflastersteinrelief– Stenosen

– Kontinuierliche Rötung der Schleimhaut mit Aufhebung oder Rarefizierung der Gefäß-zeichnung, Kontaktvulnerabilität, Ulzera

– In späterem Stadium: Verlust der Haustrierung, Pseudopolypen, Wandstarre

Mikroskopie – Granulome können im gesamten GIT lokalisiert sein und dürfen nicht in der Nähe von rupturier-ten Krypten liegen

– Fokal chronische Entzündung– Transmurales Entzündungsinfiltrat– Submukosale Fibrose

– Schweregrad der Veränderungen nimmt nach distal zu

– Keine Granulome– Kryptenabszesse– Gestörte Kryptenarchitektur– Basale Lymphoplasmozytose

Krankheitsverhalten – Interne Fisteln, Stenosen, Strikturen

Perianaler Befall – Fisteln, Abszesse, Marisken, isolierter perianaler Befall möglich

P Biopsien auch bei unauffälliger Schleimhaut nehmen.

Tab. 3

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Endoskopien bei Kindern müssen in einem kindgerechten Umfeld und nach alters-entsprechender Aufklärung und Vorbereitung unter Allgemeinanästhesie oder tiefer Sedierung erfolgen. Bevorzugt sollten sie in einer Kinderklinik von einem Kinder-gastroenterologen oder einem entsprechend weitergebildeten Kollegen durchge-führt werden.

Eine detaillierte Beschreibung der Krankheitslokalisation ergab sich aus einem pros-pektiven europäischen Register für CED, der EuroKids-Studie, in der bei Patienten mit neu diagnostizierter CED das makroskopische und mikroskopische Befallsmuster so-wie die extraintestinalen Manifestationen genauestens erfasst wurden. Damit findet sich für MC eine häufige Mitbeteiligung des oberen GIT und CU ist besonders durch eine Pancolitis bei Diagnose charakterisiert.

Befallsmuster nach der EuroKids-Studie [17, 18]

MC (n = 582) CU (n = 579)

Ileum (± Kolon) 16% Proktitis 5%

Kolon 27% Linksseitenkolitis 18%

Ileum + Kolon 53% Subtotale Kolitis 9%

Isoliert oberer GIT 4% Pancolitis 69%

Befall des oberen GIT 54% Rectal sparing 4%

Granulome 43% Cecal patch 2%

Atypische Präsentationen einer CU sind im Kindesalter nicht selten. Als atypisch wer-den fünf Phänotypen bezeichnet, die durch folgende makro- bzw. mikroskopische Befunde gekennzeichnet sind:

Atypische Präsentationen einer CU [13]

Makroskopische Befunde Mikroskopische Befunde

CU – „klassisch“

Kontinuierliche Entzündung der Schleimhaut, die im Rektum ihren Ausgang nimmt

– Gestörte Kryptenarchitektur– Basale Lymphoplasmozytose– Schweregrad der Veränderungen

nimmt nach distal zu– Keine Granulome

CU – atypisch

1. Makroskopische Aussparung des Rektums (rectal sparing)

Keine Entzündung im Rektum oder Rektosigmoid

Entsprechen den typischen CU-Befunden

2. Erhaltene Architektur der Krypten bei kurzer Erkrankungsdauer

Kontinuierliche Entzündung der Schleimhaut vom Rektum ausgehend, kann mit Aussparung des Rektums einhergehen

Evtl. fokal aktive Entzündung; Befunde einer chronischen Entzündung oder gestörten Kryptenarchitektur können noch nicht vorhanden sein; typisch für junge Kinder mit kurzer Beschwerdedauer

3. Isolierte Entzündung im Caecum, häufig um den Abgang der Appendix (cecal patch)

Gesunde Mukosa trennt entzündetes Caecum von restlicher Kolitis

Typische Histologie; ggf. Zeichen einer unspezifischen Entzündung

4. Kleine bzw. vereinzelte Ulzerationen oder Erosionen im oberen GIT

Erosionen oder kleine Ulzera im Magen, dürfen nicht linear oder serpiginös sein

Diffuse bzw. fokale Gastritis, keine Granulome

5. Transmurale Entzündung des Kolons im akuten schweren Schub der CU

Kontinuierliche Entzündung der Schleimhaut, die im Rektum ihren Ausgang nimmt

Kann mit transmuraler Entzündung oder tiefen Ulzera einhergehen

P Die Lokalisationen einer CED bei Kindern unterscheiden sich von Erwachsenen.

Tab. 4

Tab. 5

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IBD Unclassified (IBDU)

Eine CED, die sich ausschließlich im Kolon manifestiert, kann – auch nach vollstän-diger Durchführung der Diagnostik – eine definitive Einordung in MC oder CU un-möglich machen. Je jünger die Patienten bei CED-Manifestation sind, desto häufiger wird die Diagnose IBDU vergeben. So werden beispielsweise in der Gruppe der unter 7-jährigen CED-Patienten bis zu einem Fünftel als IBDU klassifiziert, in der Gruppe der unter 3-Jährigen wächst der Anteil auf ca. ein Drittel an [9].

Bildgebung des Dünndarms

Eine Untersuchung auf Dünndarmbeteiligung wird bei allen Patienten mit der Ver-dachtsdiagnose CED empfohlen und ist besonders bedeutend bei Patienten mit Verdachtsdiagnose MC, bei Patienten, deren Ileum nicht eingesehen werden konnte, oder jenen mit atypischen Befunden einer CU oder einer IBDU.

Klassische Befunde für einen MC sind: Stenose im Dünndarm oder im oberen GIT, in-nere (enterisch, enterovesikal, enterokutan etc.), perianale Fisteln oder Nachweis einer signifikanten Entzündung des Dünndarms (z. B. Darmwandverdickung im Ileum oder Jejunum).

Auf eine Bildgebung kann nur dann verzichtet werden, wenn die endoskopische und histologische Untersuchung eindeutig für eine CU spricht, d. h. sich in der Koloskopie und ÖGD sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch (mehrere Biopsien) kein An-halt für eine andere CED-Entität ergibt.

Die MR-Enterografie (MRE) ist eine sensitive Methode zur Erkennung einer Dünndarm-beteiligung oder von Komplikationen einer CED (Fisteln, Abszesse, Stenosen). Durch die fehlende Strahlenbelastung ist eine MR-Untersuchung immer einer Computer-tomografie (CT) oder einer konventionellen Röntgendiagnostik mit Durchleuchtung (fraktionierte Magendarmpassage, Enteroklysis) vorzuziehen. Eine CT ist speziellen Situationen vorbehalten, wie z. B. dem Nachweis von intraabdominalen oder retro-peritonealen Abszessen. Die Kapselendoskopie stellt ein der MRE gleichwertiges Ver-fahren zur Dünndarmdiagnostik dar, wobei die Mukosa besser, die Darmwanddicke dagegen nicht beurteilt werden kann.

Bildgebung CED im Überblick

Methode Vorteile Nachteile

MR-Enterografie – Erkennt sensitiv eine Dünndarmbeteiligung und deren Ausmaß

– Erkennt sensitiv Komplikationen (Abszesse, Fisteln, Stenosen, prästenotische Dilatation)

– Keine Strahlenbelastung

– Nicht überall verfügbar– Bei Kleinkindern Durchführung erschwert

(Bewegungsartefakte) und evtl. nur in Narkose möglich

– Kein standardisierter Aktivitätsscore verfügbar

Kapselendoskopie – Erkennt sensitiv eine Dünndarmbeteiligung (der MRT überlegen)

– Invasives Verfahren mit Risiko der Kapsel-retention (Cave: Ausschluss einer Stenose durch MRT vor Durchführung empfohlen oder Gabe einer patency-Kapsel, die sich bei Retention auflöst)

– Falsch-positive Ergebnisse bei NSAR- Gebrauch möglich

– Hoher technischer Aufwand und Kosten

Ultraschall (ohne Kontrastmittel)

– Als Screening-Methode oder zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen sowie zur Verlaufskontrolle geeignet

– Gute Verfügbarkeit– Geringe Kosten– Keine Strahlenbelastung

– Keine ausreichende Sensitivität (Unter-suchung sollte durch MR ergänzt werden)

– Qualität abhängig vom Untersucher

(Doppel-)Ballon-Enteroskopie Speziellen Situationen vorbehalten

P IBDU: häufige Diagnose im Kleinkindesalter

P Dünndarmuntersuchung gehört zum Standard einer CED-Erstdiagnostik.

Tab. 6

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Differenzialdiagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung

Die Differenzialdiagnose einer CED umfasst eine lange Liste. Infektionen gehören zu den häufigsten Differenzialdiagnosen unabhängig vom Alter und Allergien sind beson-ders im Kleinkindesalter relevant. Ein besonderes Augenmerk verdienen Kinder, die sich in den ersten Lebensjahren (< 6 Jahre) mit einer CED präsentieren. Die frühe Prä-sentation kann hier immer ein Hinweis für eine primäre Immundefekterkrankung sein.

Differenzialdiagnosen einer CED

• Gastrointestinale Infektionen (Bakterien, Viren, Parasiten, atypische Erreger)

• Allergische Enterokolitis (z. B. Kuhmilchproteinallergie)

• Zöliakie

• Immundefekterkrankungen: – angeborene Immundefekte (z. B. septische Granulomatose,

Hermansky-Pudlak-Syndrom, Mutationen im Gen für IL-10-Rezeptor, XIAP u. v. m. [19])

– erworbene Immundefekte – Graft-versus-Host-Disease

• Vaskuläre Erkrankungen (z. B. Morbus Behçet, Purpura Schoenlein-Henoch)

• Psychische Erkrankungen (z. B. Anorexia nervosa)

• Medikamenten-induzierte Ulzera (z. B. NSAR)

Therapie

Allgemeine Aspekte

Ziele der CED-Therapie sind eine Heilung der Schleimhaut (Mucosal Healing) und die Kontrolle der Entzündungsaktivität, die zu Beschwerdefreiheit (= Remission) des Patien-ten, normalisierter Lebensqualität und damit einer ungestörten körperlichen und psy-chosozialen Entwicklung führen. Vor dem Hintergrund einer chronischen Erkrankung und dem langjährigen Bedarf an medikamentösen Therapien sollte eine Übertherapie mit dem Risiko von Nebenwirkungen (z. B. Osteopenie durch Kortikosteroide) ebenso vermieden werden wie eine zu zurückhaltende Behandlung mit der Gefahr eines Re-zidivs oder sogar Verlusts von Darmabschnitten (z. B. Resektion von Stenosen).

Die Behandlungsstrategie der pädiatrischen CED wird wesentlich von altersspezifischen Besonderheiten beeinflusst. Besondere Bedeutung kommt der Vermeidung einer Wachstumsverzögerung oder der Pubertätsentwicklung zu. Außerdem spielt die Ent-wicklung einer normalen maximalen Knochendichte (peak bone mass) eine Rolle, nach-dem das Risiko für Frakturen und Osteoporose in höherem Lebensalter u. a. von der im jungen Erwachsenenalter erreichten maximalen Knochendichte abhängt. 10–40% der pädiatrischen CED-Patienten erreichen ihre genetisch vorgegebene Knochen-dichte nicht. Weil sich systemische Kortikosteroide ungünstig auf Wachstum und Qualität der Knochen auswirken, sind steroidsparende Therapien in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen von außerordentlicher Bedeutung.

Neben den somatischen Aspekten einer CED bedeutet die Diagnose einer chronischen Erkrankung für die jungen Patienten und ihre Familien eine außerordentliche psycho-soziale Belastung. Häufig kommt es als Reaktion auf die Erkrankung bei den Kindern bzw. Jugendlichen zu einem Verlust des Selbstwertgefühls oder einer negativen Selbst-wahrnehmung. Dies geht nicht selten mit einer reduzierten Eigenverantwortung der Heranwachsenden oder auch einem vermehrten Konfliktpotenzial mit den Eltern, ins-besondere in Bezug auf die neue Erkrankung, einher. Das beeinflusst beispielsweise auch die zuverlässige und regelmäßige Einnahme der Medikamente von Jugendlichen. Nach einer Studie von LeLeiko et al. nehmen bis zu drei Viertel der jugendlichen Pa-tienten ihre medikamentöse Therapie nur unzuverlässig ein und gefährden damit die Kontrolle der CED [20].

P Eine CED im frühen Kindesalter kann Hinweis auf einen primären Immundefekt sein.

Tab. 7

P Die CED-Therapie darf Wachstum und Entwicklung nicht gefährden.

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Die medikamentöse oder nutritive Therapie der CED kann hier nur im Überblick dar-gestellt werden und geht auf die Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen ein. Allgemein wird zwischen einer Induktionstherapie (Abheilung der Schleimhaut) und einer Erhaltungstherapie (Kontrolle der Entzündung) unterschieden. Vor Beginn jegli-cher Immunsuppression sollte der Impfstatus überprüft und ggf. aktualisiert werden. Falls z. B. bei Diagnose einer CU Kortikosteroide eingesetzt werden müssen, ist mit Impfungen bis zur Remission und zum Absetzen der Steroide zu warten. Beim MC ist der beste Zeitpunkt für notwendige Impfungen, besonders Lebendimpfungen, die Remission unter exklusiver Ernährungstherapie.

Colitis ulcerosa

Nachdem Ausdehnung der Kolitis und Krankheitsaktivität deutlich korrelieren, richtet sich die Therapie der pädiatrischen CU nach der Aktivität (bestimmt durch Koloskopie bzw. im Verlauf auch durch den Pediatric Ulcerative Colitis Activity Index (PUCAI). Orale 5-Aminosalicylsäure (5-ASA)-Medikamente werden zur Therapie der leichten bis mä-ßig schweren CU empfohlen. Aufgrund des meist ausgedehnten Kolonbefalls kommt eine rein topische 5-ASA-Therapie, wie sie bei isoliertem rektalem Befall verwendet wird, selten zum Einsatz. Bei höherer Krankheitsaktivität bzw. nach dem Versagen der 5-ASA-Medikation (trotz optimaler Dosierung) wird mit oralen Steroiden behandelt. Obwohl Steroide initial in 70–90% der Patienten effektiv wirken, kommt es bei ca. 50% der pädiatrischen CU-Patienten im Verlauf zu einer steroidrefraktären oder -abhän gigen Kolitis. Steroide dürfen jedoch unter keinen Umständen als Erhaltungstherapie ein-gesetzt werden. Für eine Erhaltungstherapie kommen primär Thiopurine (Azathioprin bzw. 6-Mercaptopurin) in Betracht. Zur Vermeidung von Nebenwirkungen (Hepatoto-xizität oder Myelosuppression) sollte vor Beginn die TPMT-Aktivität bestimmt werden. Methotrexat (MTX) kann aufgrund fehlender Studien zum Remissionserhalt bei Kin-dern und Jugendlichen mit CU nicht empfohlen werden. Eine Therapie mit dem anti-TNFα-Medikament Infliximab (ab dem 6. Lebensjahr für CU zugelassen) ist Patienten vorbehalten, die auf 5-ASA-Präparate und Thiopurine nicht ansprechen oder steroid-refraktär oder steroidabhängig sind. Je jünger die Kinder sind und je ausgeprägter die Krankheitsaktivität, umso höher sollten die Induktionsdosis gewählt oder die Infusions-intervalle gekürzt werden. Eine Kolektomie mit ileoanaler Pouchanlage sollte bei an-haltender Krankheitsaktivität und Ausschöpfung aller medikamentösen Therapien in Betracht gezogen werden. Die reduzierte Fertilität in Zusammenhang mit Operationen im kleinen Becken muss mit den Patientinnen und ihren Familien diskutiert werden.

Morbus Crohn

Zur Induktion stehen die Ernährungstherapie (ET), Steroide oder anti-TNFα-Medi-kamente zur Verfügung. Die Therapie der ersten Wahl im Kindes- und Jugendalter ist eine ausschließliche ET. Bei der ET erhalten die Patienten für 6–8 Wochen ausschließ-lich eine Formelnahrung auf Milcheiweiß- oder bei Kuhmilchproteinallergie auf Amino-säurenbasis per os oder per Sonde. Die ausschließliche ET ist im Kindes- und Jugend-alter der Effektivität von Steroiden vergleichbar, bei Dünn- und Dickdarmbefall effektiv wirksam und hat fast keine Nebenwirkungen. Obwohl systemische Glukokortikoide seit jeher zur Therapie einer CED verwendet werden, induzieren Steroide im Gegen-satz zur ET keine komplette Abheilung der Schleimhaut. Orale Glukokortikoide sollen nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine ET keine Option darstellt. Bei isoliertem ileozökalem Befall kann Budesonid als Alternative zu oralen Steroiden verschrieben werden.

Thiopurine (z. B. Azathioprin), Methotrexat oder anti-TNFα-Medikamente sind als Erhal-tungstherapien für eine steroidfreie Remission empfohlen. Thiopurine und MTX sind dabei als etwa gleichwertige Alternativen zu verwenden, wenngleich die Datenlage für MTX deutlich geringer ist. Anti-TNFα-Medikamente nehmen eine Sonderrolle ein, da sie als Induktions- und Erhaltungstherapeutika für chronisch aktiven, luminalen MC eingesetzt werden können. Zugelassen für Kinder mit MC ab 6 Jahren sind Infliximab und Adalimumab. Eine primäre Therapie mit anti-TNFα wird bei perianalem MC mit transsphinktärer Fistel empfohlen. Hier ist in der Regel eine zusätzliche chirurgische

P Impfstatus beachten und auffrischen!

P Ernährungstherapie ist die Therapie der ersten Wahl.

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Intervention (z. B. Fadeneinlage) nötig. Ein Abszess muss vor anti-TNFα-Therapie durch ein Beckenboden-MRT ausgeschlossen worden sein oder ggf. vorher drainiert werden.

Die Therapie mit 5-ASA-Produkten spielt beim MC nur noch eine untergeordnete Rol-le. Bei Patienten mit sehr mildem Verlauf und Kolonbefall können 5-ASA-Derivate zum Einsatz kommen. Jugendliche Patienten sollten über das Rauchen und das damit ver-bundene Risiko einer Exazerbation der MC-Aktivität aufgeklärt werden.

Medikamente in der Therapie der CED

Morbus Crohn Colitis ulcerosa

Leichte bis mäßige

Aktivität

Hohe Aktivität

Fulminant/ steroid-refraktär

Fisteln Leichte bis mäßige

Aktivität

Hohe Aktivität

Fulminant/ steroid-refraktär

Lokalisiert, distal

Pouchitis

ET (nur ausschließliche) I (MH) I (MH) I (MH)

5-ASA (oral) I, E I, E (MH)

5-ASA (rektal) I, E I, E (MH) I, E

Steroide (oral) I I I I I I

Steroide (i.v.) I I

Budesonid (oral) I I

Budesonid (rektal) I

Azathioprin E (MH) E (MH) E E

MTX E E

anti-TNFα I, E (MH) I, E (MH) I, E (MH)

Cyclosporin A I

Tacrolimus I

Antibiotika (Ciprofloxacin, Metronidazol)

I I

ET = Ernährungstherapie; I = Induktion; E = Erhaltungstherapie; MTX = Methotrexat; MH = Mucosal Healing

Erweiterte Aspekte in der Betreuung pädiatrischer Patienten mit chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Die Diagnose einer CED hat weitreichende Konsequenzen für die Patienten und deren Familien. Eine umfassende Kontrolle wichtiger Aspekte der Erkrankung soll hier im Überblick dargestellt werden:

• Regelmäßige Vorstellung in der CED-Sprechstunde mit standardisierter Anamnese, körperlicher Untersuchung (inkl. Perzentilen und Ernährungszustand) und Bewertung von Laborwerten, die eine Abschätzung von Aktivitätsindices (z. B. PCDAI, PUCAI) er-möglichen

• Anbieten von psychologischer Unterstützung, Informationsmaterial oder Adressen von Selbsthilfeorganisationen (z. B. www.dccv.de)

• Regelmäßige Kontrolle und Aktualisierung des Impfstatus (z. B. HPV bei Mädchen, Varizellen, jährliche Grippeimpfung)

• Verlaufskontrollen von CED-spezifischen Komplikationen bzw. therapiebezogenen Nebenwirkungen. Dazu gehören:

– Untersuchungen bei Verdacht auf Leberbeteiligung (PSC bzw. Overlap-Syndrom) – Untersuchung der Knochendichte mittels quantitativer Computertomografie

(pQCT), falls nicht möglich Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) – Jährliche Kontrolle beim Augenarzt zum Ausschluss einer Augenbeteiligung oder

von Nebenwirkungen der Steroidtherapie (Glaukom, Katarakt) – Krebsvorsorge (empfohlen ab 7–10 Jahren dauernder CED)• Vorbereitung der Transition von jugendlichen Patienten zu den Kollegen der Erwach-

senenmedizin

Tab. 8

P CED-Therapie umfasst mehr als den Darm.

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Zu empfehlende Literatur

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2 Vasseur F, Gower-Rousseau C, Vernier-Massouille G, Dupas JL, Merle V, Merlin B, et al. Nutritional status and growth in pediatric Crohn’s disease: a population-based study. Am J Gastroenterol. 2010;105(8):1893–900.

3 Werkstetter KJ, Pozza SB, Filipiak-Pittroff B, Schatz SB, Prell C, Bufler P, et al. Long-term development of bone geometry and muscle in pediatric inflammatory bowel disease. Am J Gastroenterol. 2011;106(5):988–98.

4 Vernier-Massouille G, Balde M, Salleron J, Turck D, Dupas JL, Mouterde O, et al. Natural history of pediatric Crohn’s disease: a population-based cohort study. Gastroenterology. 2008;135(4):1106–13.

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7 Dinesen LC, Walsh AJ, Protic MN, Heap G, Cummings F, Warren BF, et al. The pattern and outcome of acute severe colitis. J Crohns Colitis. 2010;4(4):431–7.

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11 Kronman MP, Zaoutis TE, Haynes K, Feng R, Coffin SE. Antibiotic exposure and IBD development among children: a population-based cohort study. Pediatrics. 2012;130(4):e794–803.

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13 Levine A, Koletzko S, Turner D, Escher JC, Cucchiara S, de Ridder L, et al. The ESPGHAN Revised Porto Criteria for the Diagnosis of Inflammatory Bowel Disease in Children and Adolescents. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2013. [Epub ahead of print]

 Literatur

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16 de Bie CI, Buderus S, Sandhu BK, de Ridder L, Paerregaard A, Veres G, et al. Diagnostic workup of paediatric patients with inflammatory bowel disease in Europe: results of a 5-year audit of the EUROKIDS registry. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2012;54(3):374–80.

17 Levine A, de Bie CI, Turner D, Cucchiara S, Sladek M, Murphy MS, Atypical disease phenotypes in pediatric ulcerative colitis: 5-year analyses of the EUROKIDS Registry. Inflamm Bowel Dis. 2013;19(2):370–7.

18 de Bie CI, Paerregaard A, Kolacek S, Ruemmele FM, Koletzko S, Fell JM, et al. Disease phenotype at diagnosis in pediatric Crohn’s disease: 5-year analyses of the EUROKIDS Registry. Inflamm Bowel Dis. 2013;19(2):378–85.

19 Uhlig HH. Monogenic diseases associated with intestinal inflammation: implications for the understanding of inflammatory bowel disease. Gut. 2013;62(12):1795–805.

20 LeLeiko NS, Lobato D, Hagin S, McQuaid E, Seifer R, Kopel SJ, et al. Rates and predictors of oral medication adherence in pediatric patients with IBD. Inflamm Bowel Dis. 2013;19(4):832–9.

 Literatur

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Bitte beachten Sie:Bei der Beantwortung der Fragen ist immer nur 1 Antwort möglich.

Die Beantwortung der Fragen und Erlangung des Fortbildungszertifikats ist nur online möglich. Bitte gehen Sie dazu auf unsere Homepage www.falkfoundation.de. Unter dem Menüpunkt Falk Gastro-Kolleg können Sie sich anmelden und die Fragen beantworten. Bitte diesen Fragebogen nicht per Post oder Fax schicken!

Wichtig:Fragebeantwortung unter

www.falkfoundation.de

Falk Gastro-Kolleg

Falk Gastro-Kolleg

Pädiatrische Gastro- enterologie

Fragen zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in der Pädiatrie

Frage 1:Welche Aussage ist richtig?

EE Pädiatrische CED-Patienten sind bei Erstdiagnose zunehmend jüngerEE Die Komplikationen einer CED bei Kindern unterscheiden sich nicht von denen

bei ErwachsenenEE Eine CED kommt bei Patienten unter 2 Jahren nicht vorEE Kinder und Jugendliche mit einer CED machen weniger als 2% aller Patienten

mit CED in Deutschland ausEE Umweltfaktoren, wie z. B. frühkindliche Ernährung oder Exposition gegenüber

Antibiotika, spielen für die Entwicklung einer CED keine Rolle

Frage 2:Worüber berichten Colitis-ulcerosa (CU)-Patienten häufiger als Kinder oder Jugendliche mit Morbus Crohn (MC)?

EE GewichtsverlustEE Blutigen DurchfallEE AmenorrhöEE FieberEE Müdigkeit

Frage 3:Welche diagnostische Maßnahme gehört nicht zu den obligaten Untersuchungen bei Verdacht auf CED im Kindesalter?

EE AnamneseEE Körperliche Untersuchung mit Perzentilen und Pubertätsstadien nach TannerEE VideokapselendoskopieEE ÖsophagogastroduodenoskopieEE Ileokoloskopie

Frage 4:Welche Aussage zu fäkalen Inflammationsmarkern, wie z. B. Calprotectin, ist falsch?

EE Calprotectin ist ein sensitiver Marker für Entzündungen im Gastrointestinaltrakt EE Calprotectin hilft bei der Entscheidung zwischen Beschwerden entzündlicher

und nicht-entzündlicher Ursache EE Bei unspezifischen abdominalen Beschwerden ist Calprotectin hilfreich

für die Indikation zur EndoskopieEE Calprotectin ist bei Gastroenteritis und MC erhöhtEE Sehr hohe Calprotectinwerte sprechen eher für einen MC und gegen eine CU

Frage 5:Welche Aussage ist falsch? Zu den atypischen Befunden einer CU gehören

EE Aussparung der Entzündung im Rektum (rectal sparing)EE Isolierte Entzündung im Caecum bei linksseitiger Kolitis (cecal patch)EE Transmurale Entzündung bei akutem schwerem CU-SchubEE Multiple Aphthen im DuodenumEE Histologie mit erhaltener Kryptenarchitektur bei kurzer Beschwerdedauer

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Falk Gastro-Kolleg

Pädiatrische Gastro- enterologie

Frage 6:Welches ist keine Differenzialdiagnose für Kinder unter 6 Jahren mit CED?

EE KuhmilchproteinallergieEE ImmundefektEE ZöliakieEE Infektiöse GastroenteritisEE Morbus Whipple

Frage 7:Was ist im Kindes- und Jugendalter die Therapie der ersten Wahl bei Neudiagnose Ileocolitis-Crohn mit mäßig schwerer Aktivität ohne Nachweis von Fisteln?

EE Anti-TNFα-Biologika EE Ausschließliche ErnährungstherapieEE BudesonidEE CiprofloxacinEE 5-Aminosalicylate

Frage 8:Welche Aussage zur Ernährungstherapie ist richtig?

EE Bei der Auswahl der Formelnahrung muss nicht auf eine Kuhmilchallergie geachtet werden, da die verwendeten Nahrungen weder Molkeeiweiß noch Casein enthalten

EE Sie wirkt nur als ausschließliche ErnährungstherapieEE Sie sollte nur kurz, d. h. für 2 Wochen, empfohlen werdenEE Sie ist im Kindes- und Jugendalter weniger effektiv als SteroideEE Sie wirkt nur bei Dünndarmbefall

Frage 9:Welche Aussage zur Therapie mit Infliximab ist falsch?

EE Infliximab ist bei Kindern ab 6 Jahren für MC zugelassenEE Infliximab ist bei Kindern ab 6 Jahren für CU zugelassenEE Infliximab wirkt immunsuppressiv und hemmt das Längenwachstum bei KindernEE Vor Beginn der Infliximabtherapie sollte der Impfstatus überprüft

und ggf. aktualisiert werdenEE Infliximab eignet sich zur Primärtherapie eines fistulierenden MC

Frage 10:Welche Aussage zur Glukokortikoidtherapie im Kindes- und Jugendalter ist falsch?

EE Systemische Glukokortikoide werden zur Therapie eines schweren Schubs bei CU eingesetzt

EE Glukokortikoide wirken sich ungünstig auf die Knochenqualität ausEE Eine Erhaltungstherapie mit Azathioprin kann den Bedarf an Glukokortikoiden

reduzierenEE Eine Abhängigkeit von Glukokortikoiden entwickelt sich häufigEE Systemische Glukokortikoide bewirken die schnelle und anhaltende Ausheilung

der Darmschleimhaut